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Juedischer Krieg/Buch V 1-4

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Juedischer Krieg
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V. Buch.

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Die nahende Entscheidung des Krieges

oder

Jerusalems Belagerung:

Erstürmung der ersten zwei Mauern.

Umwallung der Stadt.

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Erstes Capitel.
Die drei Parteien des Aufstandes und ihre gegenseitigen Kämpfe. Johannes errichtet Belagerungsthürme gegen den inneren Tempel. Stärke des römischen Belagerungsheeres.

1 (1.) Als Titus in der oben beschriebenen Weise die Wüste, die sich im Norden Aegyptens gegen Syrien hinzieht, durchquert hatte, traf er in Cäsarea ein, um dort seine Streitkräfte für den beginnenden Feldzug in Bereitschaft zu setzen. 2 Während er aber noch in Alexandrien an der Seite seines Vaters an der Neuordnung der ihnen soeben von Gott in die Hände gespielten Herrschaft arbeitete, brach gerade damals auch der Zwist in Jerusalem mit neuer Stärke aus, so dass sich jetzt sogar drei Parteien bildeten, die alle untereinander arg verfeindet waren, was man im Grunde, da es nur unter Schurken geschah, als ein Glück und als eine gerechte Fügung bezeichnen kann. 3 Wir haben ja schon früher die Bedrückung der Bürgerschaft durch die Zeloten, welche so recht eigentlich den Beginn des Falles der Stadt bedeutet, in ihren ersten Anfängen und in ihrer immer schrecklicher sich gestaltenden Entwicklung mit aller Ausführlichkeit dargelegt. 4 Nicht unzutreffend könnte man dieselbe einen Aufruhr, geboren im Aufruhr, nennen und sie mit der Wuth einer tollgewordenen Bestie vergleichen, die aus Mangel an fremdem Fleisch bereits in das eigene zu beißen anfängt.

5 (2.) Es trennte sich nämlich Eleazar, der Sohn des Simon, derselbe, der bekanntlich auch zuerst die Zeloten der Volkspartei abspenstig gemacht und sie im Tempelbezirk gesammelt hatte, seinerseits wieder von der Partei des Johannes, scheinbar zwar indigniert über seine Tag aus Tag ein verübten Gewaltthaten und das ewige Blutvergießen, in Wirklichkeit aber that er diesen Schritt nur darum, weil er sich nicht dazu verstehen konnte, einem erst nach ihm auftauchenden Tyrannen unterthan zu sein, sondern selbst Alles haben wollte und die Herrschaft für sich allein begehrte. 6 Für seinen Plan gewann er den Judas, Sohn des Helkias, und den Simon, Sohn des Ezron, beides mächtige Männer, denen sich auch Ezechias, Sohn des Hobari, ein nicht unbekannter Name, beigesellte. 7 Jedem dieser Männer folgten nicht wenige Zeloten in die neue Partei, die nunmehr von der inneren Tempelmauer Besitz nahm und oberhalb der Tempelthore auf der Stirne des Heiligthums [362] ihre Geschütze aufpflanzte. 8 Da sie infolge des Ueberflusses an heiligen Vorräthen, die sie ohne den mindesten Scrupel hernahmen, in Hülle und Fülle zu leben hatten, so waren sie voll kecker Zuversicht. Doch wagten sie, nachdem sie sich einmal dort verschanzt hatten, mit Rücksicht auf ihre bedenkliche numerische Schwäche zunächst noch keinen Ausfall. 9 So sehr ihnen aber Johannes an Zahl überlegen war, ebenso stark war er mit seiner Stellung gegen sie im Nachtheil. Denn da er die Feinde gerade über seinem Kopfe hatte, so konnte er nirgends einen gedeckten Angriff unternehmen, sowenig ihm auch andererseits sein Zorn Ruhe ließ. 10 Mochte er übrigens auch größere Verluste erleiden, als er selbst den Leuten des Eleazar zufügte, er gab darum nicht nach: von beiden Seiten folgte Ausfall auf Ausfall, begleitet von einem Hagel von Geschossen, so dass das Heiligthum auf allen Seiten von Blut und Mord geschändet ward.

11 (3.) Jetzt konnte auch Simon, der Sohn des Gioras, den das Volk in seiner bittersten Verlegenheit, weil es von ihm noch Hilfe erwartete, herbeigerufen hatte, um sich freilich in ihm nur einen neuen Tyrannen zu holen, seine Angriffe auf die Partei des Johannes von der Oberstadt und einem Theile der Unterstadt aus, die sich in seiner Gewalt befanden, mit umso größerem Nachdrucke erneuern, als er sie auch von oben her bekämpft sah. Doch musste er seinerseits den Sturm auf sie ebensogut von unten hinauf wagen, wie die Leute des Johannes, wenn sie das Tempelgebäude ober ihren Köpfen angreifen wollten. 12 Aus solche Weise von zwei Seiten zugleich gepackt, verlor Johannes ebenso leicht auf der einen Seite, als er nach der andern hin gewann, und in dem Maße, als er sich in seiner niedrigen Stellung gegenüber den Anhängern des Eleazar schwer that, gab ihm seine Höhe über Simon das Uebergewicht. 13 So ist es begreiflich, dass er mit bloßen Handgeschossen die Stürme von unten her mit leichter Mühe zurückweisen konnte, während er die Feinde, die vom Tempel herab ihre Wurfspieße schleuderten, mit grobem Geschütze zurücktreiben musste. 14 Er war nämlich im Besitze von nicht wenigen Armbrustgeschützen und Katapulten, wie auch von Steinschleudern, durch die er sich nicht bloß der Angreifer erwehrte, sondern auch viele beim heiligen Opfer befindliche Personen niederstreckte. 15 Denn obschon die Aufständischen in ihrer blinden Wuth vor keiner Gottlosigkeit mehr zurückschreckten, so ließen sie doch noch jene, die da Opfer darbringen wollten, in den Tempel hinein, freilich nicht, ohne sie noch zuvor mit allem Misstrauen und aller Vorsicht, wenn sie Einheimische waren, weniger ängstlich aber, wenn sie Fremde waren, untersucht zu haben. War es diesen nun auch geglückt, an dem Eingang zum Heiligthum das grausame [363] Gemüth der Zeloten durch ihr Flehen zu erweichen, so fielen sie doch noch dem Aufstand zum Opfer, 16 indem die von den Maschinen geschleuderten Geschosse mit aller Gewalt über die Mauer hinweg bis an den Altar und das Tempelhaus flogen und dort unter den Priestern und Opfernden einschlugen. 17 So geschah es, dass viele, die von der Erde Grenzen herbeigeeilt waren, um die weitberühmte und allen Menschen ehrwürdige Stätte zu besuchen, noch früher, als ihre Opfer, zusammensanken und den von allen Griechen und Barbaren hochverehrten Altar mit dem eigenen Blute besprengten. 18 Einheimische und Fremde, Priester und Laien lagen manchmal todt übereinander, und das Blut der verschiedensten Leichen stand in den gottgeweihten Räumen zu Pfützen zusammen. 19 Hast du je etwas ähnliches, o, du unglückselige Stadt, von den Römern erlitten, die nur zu dem Zwecke, dich von den Greueln deiner eigenen Bürger zu säubern, in deine Mauern eingedrungen sind? Denn nicht mehr warest du Gottes Stätte, noch konntest du es bleiben, nachdem du das Grab deiner eigenen gemordeten Kinder geworden, und nachdem du den Tempel zu einem Todtenacker für die Leichen des Bürgerkrieges umgewandelt hattest! Möglich, dass du wieder einmal bessere Zeiten schauest, wenn anders du je Gott zu versöhnen vermagst, der dich in Schutt und Trümmer gelegt hat. 20 Doch ich muss leider nach dem Gesetze der Geschichtschreibung selbst meinen schmerzlichsten Gefühlen Halt gebieten, da hier nicht der Ort ist, dem eigenen Jammer Ausdruck zu verleihen, sondern bloß die Thatsachen darzulegen. Ich will nun in der Schilderung des Aufstandes weiter fortfahren.

21 (4.) Dergestalt hatten sich also die eigentlichen Feinde der Stadt in drei Parteien getrennt: Die Partei des Eleazar kämpfte, und zwar oft genug betrunken, weil die Erstlingsgaben an das Heiligthum in ihrer Hut waren, gegen Johannes. Die Partei des Johannes dagegen machte unter beständigen Plünderungen der Bürger Ausfälle auf Simon, so dass also die Stadt auch ihm die Lebensmittel zum Kampfe mit den Gegenparteien liefern musste. 22 Wurde nun Johannes einmal von beiden Seiten zugleich angegriffen, so ließ er seine Krieger nach zwei Seiten hin Front machen und beschoss die aus der Stadt anrückenden Feinde von der Höhe der Säulenhallen herab, während er die Schützen am Tempel oben mit ihren Wurfspießen durch seine Maschinen in Schach hielt. 23 Ließen ihm aber einmal die Feinde ober ihm freie Hand, was oft geschah, wenn sie der Rausch und die Ermüdung kampfunfähig gemacht hatte, so stürmte er regelmäßig in größerer Stärke und mit desto größerer Verwegenheit auf die Leute des Simon heraus, 24 wobei er auch stets in dem ganzen Bereiche der [364] Stadt, aus dem er den Feind zurückgeworfen hatte, die Häuser anzündete, unbekümmert darum, dass eine Fülle von Getreide und mancherlei sonstiger Lebensmittel darin aufgespeichert lag. Dasselbe that auch Simon, wenn Johannes wieder den Platz räumte, und er selbst wieder vorrücken konnte, nicht anders, als wollten beide zu Fleiß und im Dienste der Römer alle Vorräthe, mit denen sich die Stadt gerade für die Zeit der Belagerung versehen hatte, zu Grunde richten und ihrer eigenen Kraft die Lebensadern unterbinden. 25 War doch auf diese Weise der ganze Bezirk rings um den Tempel in Flammen aufgegangen, und aus der Stadt ein wüster Tummelplatz für die beiderseitigen Kämpfer geworden. Das Getreide, welches ihnen über nicht wenige Jahre der Belagerung hinübergeholfen hätte, wurde bei dieser Gelegenheit bis auf einen geringen Rest ein Raub der Flammen, 26 und so musste Jerusalem eigentlich dem Hunger erliegen, was gerade am allerwenigsten zu fürchten gewesen wäre, wenn nicht ihre Vertheidiger sich die Hungersnoth selbst geschaffen hätten.

27 (5.) In dem allgemeinen Kampfe, den die Meuchlerbanden und das zusammengewürfelte Gesindel gegen die Stadt führten, bildete das eigentliche Volk mitten innen, sozusagen, den großen Opferleib, den alle und jeder zerreißen durften. 28 Greise und Frauen flehten in ihrer verzweiflungsvollen Bedrängnis infolge der Leiden des Bürgerkrieges um den Sieg der römischen Waffen und konnten kaum die Belagerer vor den Mauern erwarten, um wenigstens des Unheils innerhalb der Mauern endlich los zu werden. 29 Eine furchtbare Bestürzung und Angst herrschte unter der sesshaften Bevölkerung, die weder Zeit und Gelegenheit hatte, auch nur einen ruhigen Entschluss für einen entscheidenden Schritt zu fassen, noch auch die geringste Hoffnung besaß, eine friedliche Vereinbarung mit den Römern zu treffen oder wenigstens durch die Flucht aus der Stadt, wie viele es wünschten, sich retten zu können. 30 Denn überall standen Wachen, und trotz ihrer sonstigen Uneinigkeit betrachteten doch die Bandenführer jene, die den Frieden mit den Römern wünschten, oder in denen man Ueberläufer vermuthete, als gemeinsame Feinde, die man niederstieß, und nur darin waren sie einig, dass sie gerade jene ums Leben brachten, die desselben noch am würdigsten waren. 31 Ununterbrochen erscholl bei Tag und bei Nacht das Kampfgeschrei, 32 aber geradezu himmelschreiend war der Jammer der Trauernden, denen ein Unheil nach dem andern stets neue Wunden des Schmerzes schlug, während ihnen doch der Schrecken jeden Seufzer in der Kehle erstickte. Indem sie aber aus lauter Furcht selbst ihren Schmerz noch knebeln mussten, litten sie unter ihrem heimlichen Wehe Wahre Folterqualen. [365] 33 Die eigenen Verwandten nahmen keine Rücksicht mehr auf lebende Angehörige, waren sie aber ermordet, so sorgte man nicht einmal für ihr Begräbnis! Die Verzweiflung an der eigenen Rettung, die sich eines jeden bemächtigt hatte, erklärt uns beides. Unter den friedlich gesinnten Bürgern herrschte eben infolge der festen Ueberzeugung von ihrem bevorstehenden unvermeidlichen Untergang die vollste Resignation. 34 Kam es ja doch öfter vor, dass die Aufständischen über hoch aufgeschichtete Leichenhaufen schreiten mussten, wenn es zum Zusammenstoß kam, und sie geberdeten sich gerade da am allerwildesten, gleich als wäre aus den Leichen unter ihren Füßen eine neue Raserei in sie übergeströmt. 35 Immer erfanden sie neue mörderische Listen zur gegenseitigen Vernichtung, und erbarmungslos ward auch stets das Beschlossene durchgeführt, ohne eine Art von Marter oder irgend eine Eingebung der Grausamkeit zu sparen. 36 So verwendete Johannes selbst das für das Heiligthum bestimmte Holz zur Errichtung von Sturmmaschinen. Volk und Priesterschaft hatten nämlich früher einmal den Beschluss gefasst, das Tempelhaus in seinen Fundamenten zu verstärken und um zwanzig Ellen höher zu bauen, zu welchem Zwecke König Agrippa vom Libanon herab mit ungeheuren Kosten und Mühen das entsprechende Holz herbeischaffen ließ, schlanke und riesig lange Stämme, die man gesehen haben muss! 37 Leider unterbrach dann der Krieg den Bau. So ließ denn nun Johannes die Stämme zuhauen und daraus Belagerungsthürme herstellen, weil er sah, dass ihre Höhe zu den Vertheidigern des oberen Heiligthums hinaufreichte. 38 Er schob diese Thürme in die Nähe des Tempels und ließ sie hinter dessen Umfassungsmauer gegenüber der westlichen Ausbuchtung (Exedra) Posto fassen, weil nur auf dieser Seite es möglich war, solche Thürme anzubringen, während die übrigen Flächen im Vorhofe in bedeutender Ausdehnung von Stufen unterbrochen waren.

39 (6.) Durch diese nur mit einem Gottesraube zu Stande gekommenen Belagerungsmaschinen hoffte nun Johannes endlich seiner Feinde Herr zu werden. Aber all seine Anstrengung sollte sich ihm nach Gottes Fügung als ganz unnütz erweisen, da sie die Römer früher herbeirief, ehe Johannes noch einen einzigen Thurm an die Tempelmauer hatte rücken können. 40 Es marschierte nämlich gerade jetzt Titus von Cäsarea ab, nachdem er einen Theil der Truppen um sich gesammelt, den andern aber den Befehl gesandt hatte, sich bei Jerusalem mit ihm zu vereinigen. 41 Die Truppen bestanden aus den drei Legionen, die schon früher unter seinem Vater Judäa verwüstet hatten, und der zwölften Legion, die noch früher unter Cestius die bekannte Niederlage erlitten hatte, eine schon an sich im Ruhme hoher Tapferkeit [366] stehende Legion, die überdies jetzt noch das Andenken an die damaligen Leiden nach Befriedigung ihres Rachedurstes drängte. 42 Von diesen Legionen sollte die fünfte auf dem Wege von Emmaus, die zehnte aber in der Richtung von Jericho sich mit ihm vereinigen. Die zwei übrigen brachen mit Titus selbst auf, gefolgt von den Corps der verbündeten Könige, die alle gegen früher verstärkt waren, und zahlreichen Hilfstruppen aus den syrischen Städten. 43 Auch der Mannschaftsstand der vier Legionen wurde aus den mit Titus aus Aegypten gekommenen Truppen wieder um das ergänzt, was Vespasian an auserlesenen Legionären unter Mucianus nach Italien geschickt hatte. 44 Diese Ergänzung bildeten 2000 ausgemusterte Soldaten von der Besatzung Alexandriens und 3000 aus dem Wachcorps am Euphrat, die nun ebenfalls den Titus nach Jerusalem begleiteten. 45 Unter den Freunden in dem Gefolge des Titus ragte besonders Tiberius Alexander durch seine bewährte Anhänglichkeit und Klugheit hervor. 46 Früher Statthalter von Aegypten, wurde er jetzt zum Oberbefehlshaber aller Heeresabtheilungen befördert, da er der erste gewesen, welcher den eben aufsteigenden kaiserlichen Stern begrüßt und als ein leuchtendes Vorbild der Treue sich mit dessen noch unsicherem Glücke aufs engste verknüpft hatte. Doch folgte er nicht in der Eigenschaft eines bloßen Führers, sondern in der eines Rathgebers für die Eventualitäten des Feldzuges, da sowohl Alter als Erfahrung ihm ein großes Uebergewicht über alle andern verliehen.


Zweites Capitel.
Marsch der Römer gegen Jerusalem. Gefährlicher Recognoscierungsritt des Titus. Ankunft der Legionen vor der Stadt. Einigung der Rebellen. Titus rettet zweimal die zehnte Legion am Oelberg vor den wüthenden Angriffen der Juden.

47 (1.) An der Spitze des ganzen Belagerungsheeres des Titus zogen die Königlichen mit sämmtlichen Hilfstruppen. Nach ihnen kamen die Wegmacher und Lagervermesser; hierauf der Gepäckstrain der höchsten Officiere und hinter der Bedeckung desselben, die aus Schwerbewaffneten bestand, Titus selbst mit seinen Elitetruppen, namentlich den Lanzenträgern, gefolgt von der Reiterei der Legionen. 48 Letztere zog vor dem Geschütztrain, worauf die Tribunen und Cohortenführer mit ihrer auserlesenen Schutzmannschaft kamen. Ihnen schlossen sich die Feldzeichen an, geschart um ihren Legionsadler, an der Spitze derselben die Trompeter. 49 Endlich das Schlachtheer, die Colonne sechs Mann hoch, gefolgt von dem jeder Legion beigegebenen Tross, der die Lastthiere für das Gepäck vor sich hertrieb. Den Schluss des ganzen Zuges machten die Söldner, gedeckt von der eigentlichen Nachhut. 50 So ließ Titus in [367] musterhafter Ordnung, wie es bei den Römern von jeher üblich war, sein Heer vorrücken und drang zunächst über Samarien in das schon früher von seinem Vater eroberte und jetzt bereits gesicherte Gebiet von Gophna ein. 51 Daselbst campierte er eine Nacht, um mit dem Morgengrauen wieder weiter zu marschieren. Nach einem abermaligen Tagesmarsche nahm er sein Lager in dem von den Juden in ihrer Sprache sogenannten „Dornenthal“, welches bei einem Dorfe, namens Gabathsaul, das ist: „Sauls Hügel“, liegt und von Jerusalem etwa 30 Stadien entfernt ist. 52 Hier nahm er von der Elite 600 Reiter und ritt an ihrer Spitze Jerusalem zu, theils um die Stadt selbst und ihre Festungswerke zu recognoscieren, theils auch, um die Stimmung der Einwohner auszuholen, wenn sie vielleicht doch sein bloßes Erscheinen schon zur Furcht und Nachgiebigkeit bewegen könnte, ehe es zur Anwendung von Gewalt käme. 53 Er hatte nämlich erfahren – und das war auch die reinste Wahrheit – dass die unter der Tyrannei der Rebellen- und Räuberparteien zitternde Bürgerschaft den Frieden sehnlichst wünsche, aber, weil zu schwach für eine Gegenrevolte, zur Unthätigkeit verurtheilt sei.

54 (2.) Solange nun Titus auf der zur Stadtmauer führenden Heeresstraße geradeaus ritt, ließ sich keine Seele vor den Thoren blicken. 55 Als er aber vom Wege gegen den Psephinusthurm hin abschwenkte und seine Reiterschwadron mit der Flanke gegen die Mauer reiten ließ, da stürzten plötzlich bei den sogenannten Frauenthürmen durch das dem Helenamonumente gegenüberliegende Stadtthor eine Unzahl von Juden heraus, zertheilten den Reiterzug, 56 machten gegen die noch die Straße heransprengenden Reiter Front, um ihre Vereinigung mit den seitwärts abbiegenden zu verhindern, und schnitten wirklich den Titus mit einer kleinen Zahl seiner Krieger ab. 57 Vorwärts konnte er nicht mehr, da das ganze Terrain an der Mauer hin von Gräben, welche die Pflanzungen einschlossen, durchzogen und von Gartenanlagen in die Kreuz und die Quere, wie auch von vielen Zäunen coupiert war. 58 Eine Flucht zu den Seinigen zurück, von denen die meisten nicht einmal eine Ahnung von der Gefahr des Cäsars hatten, sondern in der Meinung, dass er schon mit ihnen umgekehrt sei, davongaloppierten, war, wie er sah, wegen der feindlichen Massen, die sich dazwischen geschoben hatten, und wegen des Rückzuges seiner Leute auf der Landstraße ein Ding der Unmöglichkeit. 59 Als nun Titus sein Heil nur mehr auf die eigene kräftige Faust gestellt sah, riss er sein Pferd herum und sprengte mit einem lautschallenden Commando an die Begleiter: „Mir nach!“ mitten unter die Feinde, um sich mit Gewalt zu den Seinigen durchzuschlagen. 60 Da nun konnte man wieder so recht sehen, [368] wie auch das Zünglein an der Schlachtenwage und der Lebensfaden der Fürsten nur in der Hand Gottes ruht. 61 Denn soviele Geschosse auch gegen Titus geschleudert wurden, der noch dazu ohne Helm und Panzer war, da er, wie erwähnt, noch nicht zum Angriff, sondern bloß zur Recognoscierung vorgedrungen war, so traf ihn doch nicht ein einziges, sondern alle sausten, als hätten die Juden zu Fleiß fehlgeschossen, ohne Schaden an ihm vorüber. 62 Dagegen schmetterte in einemfort bald rechts, bald links sein Schwert die anstürmenden Feinde zurück, während er jene, die ihn von vorne packen wollten, in Masse niederritt und über die gestürzten hinwegsetzte. 63 Mit einem wahren Wuthgeheul begleitete der Feind diese Heldenthat des Cäsar, und alles schrie: Nur los auf den! Aber wohin er ritt, da floh alles und stob in Massen auseinander. 64 Seine Schicksalsgenossen hielten sich dicht hinter ihm, obschon es Hiebe und Stiche im Rücken und an der Seite regnete; denn jeder sah nur einen Hoffnungsschimmer: ehe Titus umzingelt würde, mit ihm noch freie Bahn zu bekommen. 65 Nur zwei der hintersten erlagen: der eine wurde umzingelt und mit dem Pferde erschossen, der andere war abgesprungen und wurde niedergestoßen, sein Pferd aber als Beute fortgeführt. Mit den anderen schlug sich Titus durch und kam glücklich ins Lager. 66 Infolge des Umstandes, dass man schon beim ersten Angriff im Vortheil geblieben, und der daran geknüpften voreiligen Hoffnungen war die Stimmung unter den Juden eine sehr gehobene, und der kurzlebige Sieg gab ihnen eine gewaltige Zuversicht für die Zukunft.

67 (3.) Nachdem noch während dieser Nacht die Legion von Emmaus sich mit Titus vereinigt hatte, brach er am anderen Tage von da auf und gelangte nach dem sogenannten Skopus, von wo man bereits der Stadt und des gewaltigen Tempels in seiner ganzen Pracht ansichtig wurde. Aus diesem Grund hat denn auch die an die Nordseite der Stadt anstoßende Hochebene ganz entsprechend den Namen Skopus erhalten. 68 Nur noch sieben Stadien von der Stadt entfernt, ließ jetzt Titus seine zwei Legionen für beide zusammen ein einziges Lager schlagen, während die fünfte Legion drei Stadien hinter ihnen eines beziehen sollte, weil sie noch vom anstrengenden Nachtmarsche erschöpft war, und Titus sie deshalb decken zu müssen glaubte, damit sie dann umso ruhiger an ihren Lagerwällen arbeiten könnte. 69 Eben hatten sich die Legionen an den Bau gemacht, als auch schon die zehnte Legion in der Richtung von Jericho her erschien, wo von früher her eine Heeresabtheilung lag, um den schon von Vespasian eroberten Pass, zu hüten. 70 Sie hatte den Befehl, in einer Entfernung von sechs Stadien bei Jerusalem am sogenannten Oelberg, welcher der Stadt nach [369] Osten vorgelagert und durch ein dazwischenliegendes tiefes schluchtartiges Thal, Kedronthal genannt, davon geschieden ist, sich zu verschanzen.

71 (4.) Die von außen her so plötzlich mit aller Gewalt heranstürmende Kriegsfurie unterbrach jetzt zum erstenmal den inneren Hader und die ewigen Zusammenstöße in der Stadt. 72 Starr vor Schrecken sahen die Aufrührer auf die römischen Heeresmassen, wie sie auf drei Punkten zugleich ihr Lager aufschlugen, und ließen sich nun endlich zu einer, freilich ebenso unrühmlichen, Verständigung herbei, indem sie sich gegenseitig diese und andere Worte der Ermunterung gaben: 73 „Wozu zaudern wir denn noch, oder was haben wir denn eigentlich, dass wir uns so geduldig durch die drei Schanzen da die Luftlöcher verstopfen lassen, und während sich dort ungestört eine ganze feindliche Veste uns gegenüber zum Trutze aufthürmt, wir sein ruhig, die Hände im Schoß und die Rüstung am Boden, hinter der Mauer hocken, gleich als hätten wir nur ein gar säuberliches und nutzbares Werk mit Interesse zu beschauen. 74 Also sind wir“, schrien sie höhnisch, „nur tapfer gegen einander, und dem Römer soll wegen unseres Zwistes ohne einen Blutstropfen von seiner Seite die Stadt in den Schoß fallen!“ Mit diesen und ähnlichen Worten feuerten sich die nunmehr vereinigten Scharen gegenseitig an, 75 warfen sich dann eilends in ihre Rüstungen, um sofort auf die zehnte Legion einen Ausfall zu machen. Unter einem betäubenden Geschrei stürmen sie durch die Thalschlucht und fallen die eben an der Befestigung des Lagers arbeitenden Römer an. 76 Die Römer, welche, in mehrere Partien vertheilt, an der Arbeit waren und zu letzterem Zwecke auch die meisten Waffen abgelegt hatten, zumal sie ja annehmen konnten, dass die Juden nicht so toll sein würden, einen Ausfall zu wagen, und dass, wenn sie schon dazu Lust haben sollten, ihre Kampfbegier durch die inneren Feinde in Anspruch genommen sein würde, 77 waren im Nu in allgemeiner Verwirrung: Alles ließ von der Arbeit, einige um geradewegs zu fliehen, viele, um sich schnell ihre Waffen zu holen; sie wurden jedoch, bevor sie sich den Feinden damit entgegenwerfen konnten, getroffen und niedergestreckt. 78 Kühn gemacht durch den Vortheil, welchen die ersten beim Ausfall über die Römer errungen, strömten den Juden immer mehr Streiter nach, und sie schienen sich bloß darum, weil sie Glück hatten, sowohl in ihren eigenen Augen, wie vor denen der Feinde zu vervielfachen. 79 Was aber bei Soldaten, die an Reih’ und Glied gewöhnt sind, und die nach einer bestimmten Ordnung, wie auch unter einem bestimmten Commando zu kämpfen gelernt haben, am allerschlimmsten wirkt, ist ein unvorhergesehener Durchbruch der militärischen Ordnung. Das war denn auch damals die Ursache, dass [370] die überraschten Römer vor dem Ansturm zurückwichen. 80 Allerdings, so oft sie, von dem Feinde zum Stehen gezwungen, sich gegen ihn wehrten, hemmten sie auch die Juden in ihrem Siegeslaufe und verwundeten sie bei ihrer unvorsichtigen Verfolgung. Als aber immer mehr Juden nachstürmten, stieg auch bei den Römern der Schrecken, und sie wurden endlich gar aus ihrem eigenen Lager zurückgedrängt, 81 ja es wäre jetzt wahrscheinlich um die ganze Legion geschehen gewesen, wenn nicht Titus, von der Gefahr schnell unterrichtet, ihr zu Hilfe gekommen wäre. Nachdem er zunächst die Fliehenden unter einer Flut von Vorwürfen über ihre Feigheit wieder zum Stehen gebracht, fiel er mit den Gardetruppen, die er mitgenommen hatte, 82 den Juden in die Flanke, hieb eine Menge von ihnen nieder, verwundete eine noch größere Anzahl, bis er die ganze Masse zum Fliehen gebracht und alle miteinander die Schlucht hinabgeworfen hatte. 83 Ungeachtet der großen Verluste, welche die Juden den steilen Abhang hinunter erlitten, kehrten sie sich sobald sie glücklich die Thalsohle hinter sich hatten, auf der anderen Seite wieder um und setzten, gedeckt durch die dazwischen liegende Kluft, den Kampf mit den Römern von dieser Entfernung aus fort. 84 So zog sich nun das Gefecht bis Mittag hin. Als dann die Sonne schon ein wenig tiefer stand, beorderte Titus die eigentlichen Legionäre zur Wiederaufnahme der Lagerarbeiten auf die Berghöhe, während die von ihm zur Hilfe mitgebrachten Truppen und die Auxiliarcohorten der erwähnten Legion in Schlachtordnung zu ihrer Deckung gegen einen neuerlichen Ausfall aufgestellt bleiben sollten.

85 (5.) Aber gerade diese Bewegung sahen die Juden für ein Zeichen der Flucht an, und sofort schwenkte auch schon der Signalmann, der oben auf der Zinne sitzend die Juden von allen Vorgängen zu unterrichten hatte, seinen Mantel hinab. In demselben Augenblick brach eine Menge ganz neuer Kämpfer mit einem solchen Ungestüm hervor, dass ihr Lauf den Sätzen der wildesten Bestien glich. 86 Niemand konnte denn auch in der ganzen römischen Schlachtordnung einem solchen Ansturm Widerstand leisten, und nicht anders, als wenn eine abgeschossene Steinkugel sie zurückgeschmettert hätte, stürzten sie aus ihren Reihen und wandten dem Feinde den Rücken, um die Höhe des Berges zu gewinnen. 87 Nur Titus war mit einer kleinen Schar in der Mitte des Abhanges geblieben. Seine Freunde, soviele ihrer überhaupt aus Scheu vor dem Feldherrn mit Verachtung der eigenen Todesgefahr bei ihm ausgehalten hatten, 88 baten ihn auf das dringendste, sich vor den mit fanatischer Todeslust erfüllten Juden zurückzuziehen und sein Leben nicht für jene in die Schanze zu schlagen, deren heiligste Pflicht es wäre, dies für den Feldherrn zu thun. Er möge doch bedenken, [371] wer er sei, und in seiner Eigenschaft als Kriegsherr und künftiger römischer Kaiser doch nicht für einen gemeinen Soldaten in die Lücke springen, wo ihn im nächsten Augenblicke das Verhängnis ereilen könne, ihn, auf dem der Erdkreis ruhe. 89 Doch Titus schien diese Bitten nicht einmal zu hören. Kräftig behauptete er sich gegen die heraufstürmenden Feinde und streckte, Mann gegen Mann ringend, jeden nieder, der über ihn hinauf wollte, dann rannte er wieder in den dichtesten Haufen am steilen Abhang und stieß die feindlichen Massen zurück. 90 Ein solcher Heldenmuth, verbunden mit einer so wuchtigen Körperkraft, machte die Juden ganz stutzig, doch wandten sie sich darum noch nicht der Stadt zu, sondern wichen jetzt nur dem Titus nach beiden Seiten aus, um den Flüchtlingen weiter droben nachzusetzen. Aber auch da packte sie Titus an der Seite und hemmte sie in ihrer hitzigen Verfolgung. 91 Unterdessen hatten auch die Lagerbauer oben die Flucht unter ihnen bemerkt 92 und werden aufs neue von Schrecken und Angst befallen: bald zerstiebt die ganze Legion in alle Winde, da man jetzt glauben musste, es gebe wirklich für den Ausfall der Juden keinen Widerstand mehr, und auch Titus selbst sei geworfen, weil sonst die anderen gewiss nie geflohen wären, wenn er noch am Platze wäre. 93 Und wie von einem panischen Schreckbild verfolgt, eilt der eine dahin, der andere dorthin, bis endlich einige ihren Feldherrn mitten im Kampfgetümmel erblicken und, das schlimmste für ihn befürchtend, mit laut hinschallender Stimme der fliehenden Legion zurufen: 94 „Der Feldherr in Gefahr!“ Nun trieb das Schamgefühl die Soldaten wieder zurück, wobei es nicht an gegenseitigen Vorwürfen fehlte, dass sie so feige geflohen, und was noch ärger, selbst den Cäsar im Stiche gelassen hätten. Dann stürzten sie sich mit aller Wucht auf die Juden und drängten die einmal ins Wanken gebrachte Masse von der Berglehne gegen die Thalmulde zu. 95 Nur Schritt für Schritt wichen die Juden unter fortwährendem Kampfe zurück, und nur ihrer günstigen Position verdankten es die Römer, dass sie endlich den Feind vollends in die Schlucht hinabtreiben konnten. 96 Bei der Verfolgung der Juden half Titus für seinen Theil redlich mit. Als das geschehen, sandte er die Legion aufs neue zum Bau der Lagerwälle zurück, während er selbst mit den früher schon zum Schutze aufgestellten Truppen die Feinde zurückwies. 97 Auf solche Weise hat also der Cäsar in höchst eigener Person, wenn man überhaupt einerseits ohne schmeichlerische Uebertreibung, andererseits ohne neidisches Mäkeln nur der Wahrheit die Ehre geben will, zweimal die ganze Legion aus der höchsten Gefahr gerettet und die ungestörte Vollendung der Lagerumwallung ihr ermöglicht.

[372]
Drittes Capitel.
Johannes bemächtigt sich mit List des inneren Tempels. Rasierung des Terrains durchs die Römer. Anschlag der Juden auf die arbeitenden Soldaten. Strenge des Titus. Das Heer bezieht das Lager vor der Mauer.

98 (1.) Kaum dass jetzt für kurze Zeit der Kampf vor den Thoren aussetzte, so erhob auch schon drinnen wieder die Zwietracht ihr Haupt. 99 Da nämlich der Tag der ungesäuerten Brote am vierzehnten des Monates Xanthikus, an welchem vor Alters nach dem Glauben der Juden ihre Befreiung aus der Knechtschaft der Aegypter stattgehabt, unmittelbar gekommen oder da war, öffneten die Anhänger des Eleazar mit der entsprechenden Vorsicht die Tempelthore und ließen die Leute aus dem Volke, die es wünschten, zum Gottesdienste hinein. 100 Unter der Maske dieses Festbesuches nun machte Johannes einen Anschlag. Er suchte sich dazu aus seinen Leuten gerade solche aus, welche noch weniger hervorgetreten waren, befahl ihnen, Waffen unter ihre Kleider zu stecken, und schmuggelte sie, obschon die meisten unrein waren, mit aller Behutsamkeit in den Tempel hinein, um denselben auf diese Weise schon vorher zu besetzen. 101 Wie sie drinnen waren, warfen sie die Kleider ab und entpuppten sich mit einemmale als Bewaffnete. Sofort entstand um das Tempelhaus herum ein ungeheurer Wirrwar und Tumult, indem das dem Parteigetriebe ferne stehende Volk alle ohne Unterschied bedroht glaubte, während die Zeloten ganz gut wussten, dass es auf sie allein zunächst abgesehen wäre. 102 Sie verließen denn auch, ohne es auf einen Kampf ankommen zulassen, ihre Wachtposten an den Thoren, andere sprangen von den Brustwehren und flüchteten sich in die unterirdischen Gänge des Heiligthums hinab. Das Volk aber drängte sich zitternd an den Fuß des Brandopferaltars und um das Tempelhaus herum, wo viele im Gewühle zertreten, viele unter einem Hagel von Knüttel- und Schwerthieben getroffen niedersanken. 103 Bei dieser Gelegenheit wurden auch viele ganz harmlose Leute aus Privatrache und rein persönlicher Feindschaft von ihren Widersachern als angebliche Parteifeinde ermordet, und wer immer in längst vergangenen Tagen mit einem der Meuchler einen Conflict gehabt und jetzt das Unglück hatte, erkannt zu werden, ward als Zelote auf die Marterstätte geschleppt. 104 So trieben sie es in der ärgsten Weise mit den unschuldigen Personen, während sie gleich darauf den Schuldigen Waffenstillstand und freien Abzug aus den unterirdischen Gängen gewährten. Weil sie jetzt auch über das innere Heiligthum und alle seine Schätze verfügten, schwoll ihnen nunmehr der Kamm auch gegen Simon. 105 Auf solche Art schmolzen die drei Parteien von früher wieder auf zwei zusammen.

[373] 106 (2.) Da Titus jetzt sein Lager vom Skopus weg näher an die Stadt heranrücken wollte, stellte er eine auserlesene Mannschaft von Reitern und Fußgängern in entsprechender Stärke zur Deckung gegen die Ausfälle der Juden auf, worauf die Hauptmacht den Befehl erhielt, den ganzen Streifen bis zur Stadtmauer hin zu planieren. 107 Infolge dessen wurden nun alle Zäune und Einfriedungen, welche die Bewohner zum Schutze um ihre Gartenanlagen und Baumpflanzungen angebracht hatten, niedergerissen, und alle Obstbäume darin umgehauen mit dem Material aber die Hohlwege und Wassergräben ringsum ausgefüllt; Felsenköpfe wurden mit eisernen Picken gesprengt: 108 kurz, die ganze Fläche vom Skopus bis zum Herodesmonument in der Nähe des sogenannten Schlangenteiches eben gemacht.

109 (3.) In diesen Tagen richteten die Juden für die Römer folgende Falle her: 110 Die verwegensten Rebellen eilten vor die Frauenthürme hinaus, allem Anscheine nach von der Friedenspartei hinausgetrieben: dort drängten sie sich nun, offenbar aus Furcht vor dem Nahen der Römer, dicht zu Hauf' und steckten voll Schrecken die Köpfe zusammen. 111 Zugleich tauchten oben auf verschiedenen Punkten der Mauer Leute auf, die, wie es schien, dem Volke angehörten, und die unter lautem Geschrei: „Frieden, Frieden!“ um einen Vergleich baten und mit dem Versprechen, die Thore zu öffnen, die Römer herbeilockten. Dieses ihr Geschrei begleiteten sie mit Steinwürfen auf die Ihrigen, die sie von den Thoren wegzutreiben schienen. 112 Die letzteren thaten hingegen, als wollten sie sich wieder den Eingang erzwingen und die Juden drinnen mit ihren Bitten bestürmen, wobei sie sich alle Augenblicke mit allen Zeichen des Schreckens nach den schon heraneilenden Römern umsahen. 113 Ihre List blieb nicht ohne Eindruck, wenigstens nicht auf die Soldaten, die wirklich der Ueberzeugung waren, sie hätten die einen schon beim Schopfe, um ihnen gleich den Lohn geben zu können, während sie von den andern sicher erwarteten, sie würden ihnen die Stadt aufmachen, und sich demgemäß auch sofort ans Werk begaben. 114 Dem Titus aber kam die ganz überraschende Einladung verdächtig vor: er hatte ja erst einen Tag zuvor die Juden durch Josephus zu Friedensverhandlungen auffordern lassen und nicht das geringste Entgegenkommen gefunden. Er schärfte also jetzt den Soldaten ein, dass sie nur auf ihrem Posten bleiben sollten. 115 Indessen hatten schon einige von den zum Schutze der Erdarbeiter aufgestellten Truppen zu den Waffen gegriffen und waren gegen die Thore gestürzt. 116 Die vermeintlichen Flüchtlinge aus der Stadt zogen sich anfangs vor den Römern zurück, sobald sich die letzteren aber zwischen den Thürmen am Thore befanden, liefen die Juden vorwärts, im Kreise um die Soldaten herum [374] und fielen ihnen in den Rücken: 117 gleichzeitig sandten die Juden auf der Stadtmauer auf ihre Köpfe eine wahre Flut von Steinen und Geschossen jeder Art hinab, durch die eine erkleckliche Zahl getödtet, fast alle aber verwundet wurden: 118 es wurde ihnen nicht leicht, aus dem Bereiche der Mauern zu kommen, weil sie der Feind im Rücken gerade dorthin zu drängen suchte, und ihnen überdies auch die Scham über die erlittene Täuschung, wie auch die Furcht vor ihren Officieren gebot, die selbst eingebrockte Suppe auch auszuessen. 119 Aus diesem Grunde hielten sie denn auch die längste Zeit im Kampfe Stand, bis sie endlich, nicht ohne viele Hiebe von den Juden erhalten zu haben, freilich auch nicht ohne ebensoviele ausgetheilt zu haben, den Ring der Feinde durchbrechen können. Aber selbst noch auf dem Rückzug waren die Juden hinter ihnen her, um ihnen bis zum Grabmal der Helena mit ihren Geschossen zuzusetzen.

120 (4.) Ihr Glück schändeten jetzt die Juden durch eine geradezu bübische Ausgelassenheit. Sie höhnten die Römer, dass sie sich hatten so elend ködern lassen, schwangen die Schilde empor und tanzten und brüllten vor Freude. 121 Die Soldaten wurden bei ihrer Rückkehr von ihren Officieren mit Drohungen, vom Cäsar mit finsterer Stirne empfangen: „Es ist merkwürdig“, hob er an, „wie die Juden, die sich nur von den Eingebungen der Verzweiflung leiten lassen, dennoch alles so mit Vorbedacht und Umsicht ins Werk setzen, z.&nbsop;B. euch Fallen und Hinterhalte zu legen wissen, und wie sich wirklich auch das Glück infolge ihres Gehorsam und ihrer gegenseitigen Anhänglichkeit und Treue an ihre hinterlistigen Anschläge heftet. 122 Die Römer dagegen, denen sonst immer wegen ihrer militärischen Ordnung und wegen ihrer strammen Gehorsams gegen ihre Officiere auch das Glück treu gedient hat, diese erleiden auf einmal Schlappen über Schlappen, weil sie das Gegentheil von früher sind, und sie fallen, weil sie nicht einmal die eigene Faust beherrschen können, ja, was noch das allerschmählichste ist, weil sie ohne jede Führung, wohlgemerkt, vor den Augen des Cäsars, in den Kampf stützen! 123 In größtem Schmerz, fürwahr“, rief Titus aus, „werden aufseufzen die Kriegsgesetze, in größtem Schmerz mein eigener Vater, wenn ihm ein solcher Schlag zu Ohren kommen wird! 124 Mein Vater, sage ich, da dieser in Schlachten ergraute Held niemals noch eine solche Niederlage erlitten hat; die Gesetze sage ich, da sie trotz ihrer Strenge, mit der sie selbst eine leichtere Störung der Schlachtordnung an den Schuldigen stets mit dem Tode bestrafen, jetzt sehen mussten, wie gleich eine ganze Heeresabtheilung ihren Posten verlassen hat. 125 Doch die eigensinnigen Kämpfer sollen es alsbald merken, dass bei den Römern selbst ein Sieg, gegen das Commando erfochten, als [375] eine Schande gilt“. 126 Diese scharfen Worte an die Officiere ließen bereits klar durchblicken, dass Titus gegen alle insgesammt nach der ganzen Strenge des Gesetzes vorgehen wolle. Der Schuldigen bemächtigte sich die größte Muthlosigteit in der sicheren Erwartung demnächst die verdiente Todesstrafe erleiden zu müssen. 127 Jetzt bestürmten aber die Legionäre scharenweise den Titus mit ihren Bitten für die Kriegsgefährten und flehten ihn fußfällig an, doch die Voreiligkeit einiger weniger im Hinblick auf den pünktlichen Gehorsam aller anderen verzeihen zu wollen: gewiss würden dieselben ihren jetzigen Verstoß durch musterhaftes Benehmen in Zukunft wieder wett zu machen suchen.

128 (3.) Der Cäsar ließ sich durch diese Bitten nicht minder, wie durch die Rücksicht auf den eigenen Nutzen gnädig stimmen. Er gieng nämlich von der Ueberzeugung aus, dass der einzelne schuldige Mann stets der vollen Strafe zugeführt werden müsse, dass man es aber einer größeren Zahl gegenüber bei der bloßen Drohung bewenden lassen solle. 129 Er machte also zunächst den Soldaten eindringliche Vorstellungen, dass sie in Hinkunft besonnener sein sollten, und ließ Gnade walten. Er selbst spähte von da an eifrig nach einer Gelegenheit, um sich für die Hinterlist der Juden bezahlt zu machen. 130 Nachdem in vier Tagen der ganze Abstand bis zur Mauer vollständig planiert war, beabsichtigte er, das Gepäck und den Tross unter sicherer Bedeckung näher heranzuziehen, und ließ zu diesem Zwecke seine besten Truppen in Schlachtordnung von sieben Mann Tiefe von Norden nach Westen der Stadtmauer gegenüber Aufstellung nehmen. 131 Die vorderen Reihen bildete das Fußvolk, die hinteren die Reiterei, beide zu je drei Reihen: zwischen ihnen waren als siebente Reihe die Bogenschützen postiert. 132 Da jeder Ausfall von Seite der Juden an diesem gewaltigen Ring sich brechen musste, konnten nunmehr die Lastthiere der drei Legionen und der Tross ungefährdet der Stadt entlang ziehen. 133 Titus bezog nun, ungefähr zwei Stadien von der Stadtmauer entfernt, an deren Eckseite gegenüber dem sogenannten Psephinusthurm, wo der nach Norden verlaufende Mauerkreis eine Ausbiegung nach Westen macht, ein festes Lager. 134 Der andere Theil des Heeres verschanzte sich beim sogenannten Hippikusthurm, gleichfalls in einem Abstand von zwei Stadien. 135 Die zehnte Legion blieb jedoch auf ihrem früheren Standort am Oelberg.


Viertes Capitel.
Beschreibung der Stadt Jerusalem.

136 (1.) Die Stadt war mit Ausnahme jener Seiten, wo sie ohnehin von unzugänglichen Schluchten umgeben war, und wo sich deshalb nur eine einzige Mauer befand, von einem dreifachen Befestigungs- [376] gürtel geschirmt. Die Stadt selbst erhob sich auf zwei Hügeln, deren überbautes Gehänge einander zugekehrt war, so dass ihre dichten Häusermassen in das zwischeninnen liegende Thal hinabreichten. 137 Von diesen zwei Hügeln war der eine, auf welchem die Oberstadt lag, bedeutend höher und in seiner Ausdehnung von mehr geradlinigen Formen. Zufolge dieser seiner Festigkeit erhielt er auch vom König David, dem Vater des Salomon, des ersten Tempelbauers, den Namen „Veste“, von uns aber den Namen „oberer Markt“. Der zweite Hügel, welcher den Namen „Akra“ führte und die Unterstadt auf seinem Gehänge trug, war dagegen bogenförmig gekrümmt. 138 Letzterem gegenüber erhob sich noch ein dritter Hügel, der ursprünglich nicht an die Höhe des Akrahügels hinanreichte und von ihm auch in früherer Zeit durch eine andere breite Thalkluft geschieden war. 139 Später aber, unter der Herrschaft der Hasmonäerkönige, schüttete man diese Kluft zu, um die Stadt in unmittelbare Verbindung mit dem Tempel zu bringen, und machte auch durch Abgrabungen die Akrahöhe niedriger, damit das Heiligthum auch darüber noch hinsähe. 140 Das eine Thal, das, wie bemerkt, den Hügel der Oberstadt von dem Hügel unter ihm scheidet, genannt das Käsemacherthal, erstreckt sich bis Siloah, welchen Namen bei uns eine Süßwasserquelle von großer Stärke hatte. 141 Nach außen waren die zwei Hügel der Stadt von tiefen Schluchten umschlossen, so dass hier ein Eindringen wegen der Abstürze nach beiden Seiten hin nirgends möglich war.

142 (2.) Unter der Mauern war die „alte“ Mauer wegen der sie umgebenden Schluchten und wegen des hoch darüber aufragenden Hügels, auf dem sie gebaut war, besonders schwer zu stürmen. 143 Abgesehen von dieser vortheilhaften Lage war auch ihre Bauart eine sehr feste, da schon David und Salomon und dann die folgenden Könige ihren Stolz in die Förderung dieses Werkes gesetzt hatten. 144 Auf der Nordseite gieng sie vom Thurme aus, der den Namen Hippikusthurm führt, und zog sich zum sogenannten Xystus hinüber, berührte unmittelbar das Rathhaus, um dann an der westlichen Tempelhalle ihren Abschluss zu finden. 145 Auf der anderen Seite gegen Westen lief sie vom nämlichen Punkte aus, gieng über den sogenannten Bethso gegen das Essenerthor zu, um sich dann in ihrem südlichen Verlaufe über die Siloahquelle hinzuschlängeln. Dort machte sie wieder eine Biegung und lief auf der Ostseite gegen den Salomonsteich zu, bis sie zur sogenannten Ophelgegend gelangte, wo sie sich an die östliche Tempelhalle anschloss. 146 Die zweite Mauer nahm ihren Ausgang von einen Thore in der ersten Mauer, genannt das Gennaththor, umfasste mit ihrem Bogen nur die Gegend im Norden und gieng bis [377] zur Antonia hinauf. 147 Den Ausgangspunkt der dritten Mauer bildete wieder der Hippikusthurm, von dem aus sie sich nordwärts gegen den Psephinusthurm hinzog und dann ihren Lauf gegenüber dem Monumente der Helena, der Königin von Adiabene und Mutter des Königs Izates, und an den Königsgrotten oder königliche Höhlen vorbei fortsetzte. Beim sogenannten Walkermonument machte sie mit einem Eckthurm wieder eine Biegung, um sich endlich mit der alten Mauer zu vereinigen und mit dem Kedronthal ihren Endpunkt zu erreichen. 148 Agrippa hatte diese Mauer um den neugegründeten Stadttheil herum, der noch ganz offen war, aufführen lassen. Infolge ihren Menschenzuflusses war nämlich die Stadt allmählich über ihre Umfassungsmauern hinausgerückt, 149 und hatte sich ein neuer Stadttheil an der nördlichen Umgebung des Tempelhügels gebildet, welcher sich so beträchtlich ausdehnte, dass zuletzt noch ein vierter Hügel, namens Bezetha, ringsum besiedelt ward. Er lag der Antonia gegenüber, war aber von ihr durch einen tiefen Wallgraben geschieden, 150 der mit Absicht angelegt war, damit sich die Grundbauten der Antonia nicht mit dem Hügel selbst berühren sollten, und auf solche Weise der Zugang zu ihnen erschwert, ihre Höhe vergrößert würde. 151 Ebenso gab natürlich der tiefe Graben auch den Thürmen eine ungeheure Höhe. Der neugegründete Stadttheil hieß in der Sprache der Landesbewohner Bezetha, was man am besten mit „Neustadt“ wiedergeben könnte. 152 Da nun die dortigen Bewohner einer Schutzmauer dringend bedurften, so machte sich der gleichnamige Vater der jetzigen Königs Agrippa an den Bau der vorerwähnten Stadtmauer. Er stellte jedoch aus Furcht, dass Kaiser Claudius in der Anlage des Riesenwerkes nur Umsturz- und Aufruhrgelüste sehen könnte, den Bau wieder ein, nachdem er erst die Fundamente gelegt hatte. 153 Wäre die Mauer wirklich in der Weise, wie sie angefangen wurde, fortgeführt worden, so wäre in der That auch die Stadt geradezu uneinnehmbar geworden. Bestand doch ihr Gefüge aus Steinen von zwanzig Ellen Länge und zehn Ellen Breite, die schwerlich weder mit eisernen Mauerbrechern untergraben, noch mit Widdermaschinen erschüttert werden konnten. 154 Der eigentlichen Mauer gab man eine Breite von zehn Ellen. Die Höhe hätte selbstverständlich noch mehr betragen, wenn nicht der hochsinnige Plan des Gründers durchkreuzt worden wäre. 155 Später bauten freilich die Juden mit größtem Eifer daran fort, aber die Mauer stieg dessenungeachtet nur zu einer Höhe von zwanzig Ellen. Dazu kamen noch Brustwehren von zwei Ellen Höhe und Vorsprünge von drei Ellen, so dass die ganze Höhe zu fünfundzwanzig Ellen aufragte.

156 (3.) Ueber diese Stadtmauer stiegen dann noch die Thürme auf, die eine Dicke und Höhe von zwanzig Ellen hatten und viereckig, wie [378] auch ganz massiv, gleich der Stadtmauer, gebaut waren, obschon andererseits das Gefüge und die Schönheit ihrer Quadern nicht einmal hinter dem Tempelhause in etwa zurückstand. 157 Auf dem compacten Mauerwürfel, der, wie gesagt, zwanzig Ellen hoch war, erhoben sich reichausgestattete Wohnräume und darüber Obergemächer, versehen mit zahlreichen Wasserbehältern zum Auffangen des Regens und mit breiten Stiegen nach den einzelnen Räumen. 158 Solcher Thürme nun besaß die dritte Mauer neunzig, in einem Abstand von 200 Ellen. Dagegen war die mittlere nur von vierzehn, die alte Mauer aber von sechzig Thürmen unterbrochen. 159 Der ganze Mauerkreis der Stadt betrug 33 Stadien. So staunenswert nun auch die ganze Anlage der dritten Mauer war, so verdiente doch der an der nordwestlichen Beuge aufragende Psephinusthurm, bei welchem Titus sein Lager aufgeschlagen hatte, noch die allergrößte Bewunderung. 160 Er war nämlich an die siebzig Ellen hoch und bot bei Sonnenaufgang eine Fernsicht bis nach Arabien hinein, wie auch auf die äußersten Stammgebiete der Hebräer am Meere. 161 Er war ein Achteck. Ihm gegenüber stand der Hippikusthurm, der an der alten Mauer mit noch zwei anderen Thürmen daneben von König Herodes erbaut worden war. Die drei standen, was Größe, Pracht und Festigkeit anlangt, wohl einzig auf dem Erdenrund da. 162 Denn zu der natürlichen Prachtliebe des Königs und seiner eifrigen Sorge um die Verschönerung der Hauptstadt kamen hier noch die zartesten Interessen, denen er die großartigen Bauten widmen wollte, die Liebe zu den ihm theuersten Personen, nämlich Bruder, Freund und Gattin, deren Gedächtnis er mit diesen Bauten verewigte, indem er die Thürme nach ihren Namen benannte. Die letztere hatte er, wie früher erzählt, aus eifersüchtiger Liebe hinrichten lassen, die zwei anderen aber verlor er durch den Heldentod, den sie im Kriege erlitten. 163 Der nach seinem Freunde genannte Hippikusthurm war viereckig mit einer Breite und Länge von je fünfundzwanzig Ellen, mit einer Höhe von dreißig Ellen, soweit er nämlich compacte Masse war. 164 Ueber diesem massiven, aus lauter Felsstücken gefügten Bau erhob sich eine zwanzig Ellen tiefe Cisterne als Sammelbehälter für das Regenwasser. 165 Darüber standen zwei Stockwerke mit mannigfachen Abtheilungen von Wohnräumen, bis zu einer Höhe von fünfundzwanzig Ellen. Ueber diesen Bau ragten ringsum zwei Ellen hohe Thürmchen und drei Ellen hohe Vorsprünge auf, so dass sich die Gesammthöhe auf achtzig Ellen belief. 166 Der zweite Thurm, dem Herodes den Namen von seinem Bruder Phasael gegeben, hatte gleiche Breite und Länge, nämlich zu je vierzig Ellen; auch die Höhe, soweit sie massiv war, betrug vierzig Ellen. 167 Darüber befand sich eine zehn Ellen hohe Gallerie, [379] die um den Thurm herumlief und mit einem Schutzgeländer, sowie mit Erkern abgeschlossen war. 168 In der Mitte stieg über die Gallerie wieder ein Thurm auf, in welchen sich die prächtigsten Räume theilten, und der sogar ein Bad enthielt, so dass dem Thurme nichts vom Glanz eines Königspalastes abgieng. Seine Zinnen waren in noch verschwenderischerer Weise, wie die des früher genannten Thurmes, mit Vorsprüngen und Thürmchen verschönert. 169 So stieg seine ganze Höhe auf ungefähr neunzig Ellen. Seine Gestalt erinnerte an den auf der Insel Pharus stehenden Leuchtthurm für die alexandrinischen Schiffer; doch war er von bedeutend größerem Umfang. Zur Zeit unserer Erzählung war er übrigens vom Tyrannen Simon zu seiner Residenz erklärt worden. 170 Der dritte Thurm, die Mariamne, nach der Gemahlin des Königs benannt, bestand zwanzig Ellen hinauf aus compacter Masse, wie er auch ebensoviel in die Breite und Länge gieng. 171 Doch übertrafen die Wohnräume, die er oben besaß, an Pracht und Mannigfaltigkeit jene der übrigen Thürme, da der König sich von der gewiss nahe gelegenen Anschauung leiten ließ, dass der nach einer Frau benannte Thurm schöner geziert sein müsse, als die nach Männern benannten, sowie dass umgekehrt die letzteren den Frauenthurm an Festigkeit überragen müssten. Alles in allem betrug seine Höhe nur fünfundfünfzig Ellen.

172 (4.) So gewaltig nun schon die drei Thürme nach ihrer natürlichen Größe waren, so ließ sie ihre Lage noch bedeutend höher erscheinen. 173 Denn die alte Mauer, zu der sie gehörten, war selbst wieder auf einem hohen Hügel angelegt und hob sich dann mit ihrem Bau wie eine den Hügel krönende Felsenkuppe zu einer Höhe von dreißig Ellen empor, auf der erst die Thürme ansetzten; begreiflich, dass auf solche Weise ihre Höhe um vieles gewann. 174 Bewunderungswürdig war auch der Umfang ihrer Steine, welche nicht aus den erstbesten Feldsteinen, auch nicht aus solchen Felsstücken gewählt wurden, die einzelne Hände noch bewältigen können, sondern aus weißem behauenem Marmor, 175 jedes Stück von einer Länge zu zwanzig, von einer Breite zu zehn und einer Dicke von fünf Ellen. Das Gefüge der einzelnen Steine war so fein, dass es schien, als wäre jeder Thurm nur ein einzigen Felsstück, das in die Höhe gewachsen und dann erst nachträglich unter den Händen der Steinmetze zu Form und Ecken ringsum glatt abgemeißelt worden ist: so vollkommen waren überall die Fugenränder verschwunden. 176 Mit diesen im Norden der Oberstadt liegenden Thürmen hieng nach innen der über alle Beschreibung herrliche Königshof zusammen. 177 Die Kostbarkeit des Materiales vereinigte sich hier mit der vollendetsten Kunstarbeit zu einem unübertroffenen Ganzen. Der Palast war auf allen [380] Seiten von einer dreißig Ellen hohen Befestigungsmauer geschützt und in gleichen Abständen ringsum von schmucken Thürmen eingefasst. Dazu kamen im Innern die ausgedehntesten Wohnräume und Speisesäle mit hunderten von Ruhelagern, 178 zu welchen Gemächern eine Fülle edler, von allen Seiten herbeigeschaffter Steinarten in unbeschreiblich schönem Wechsel verwendet wurde. Geradezu wunderbar war das Getäfel mit seinem riesigen Gebälke und dem Gefunkel seiner herrlichen Bekleidung. 179 So viele Gemächer auch waren, es herrschte darin doch überall ein anderer, ein tausendfacher Prunk, und jedes hatte seine vollständige Einrichtung, deren Gegenstände zum größten Theil aus Silber und Gold gearbeitet waren. 180 Ringsum liefen, eine Menge Säulengänge ineinander, und in jedem waren die Säulen anders. Der freie Raum, den sie einschlossen, war überall mit frischem Grün bedeckt. 181 Hier standen die verschiedensten Baumgruppen, zwischen denen lange Spazierwege hinführten, rechts und links überall tiefe Wassercanäle und Fischweiher, verschwenderisch geschmückt mit wasserspeienden Erzfiguren und einer Menge von Thürmchen, die für die zahmen Tauben an den Fontänen aufgestellt waren. 182 Doch es ist gar nicht möglich, eine würdige Schilderung von der Herrlichkeit des Königspalastes zu entwerfen. Um so schmerzlicher muss die Erinnerung an die Verheerungen berühren, welche die Mordbrenner dort angerichtet haben. 183 Denn wohlgemerkt, nicht die Römer haben die Einäscherung des Palastes verschuldet, sondern, wie wir schon früher erzählt haben, die jüdischen Meuchlerbanden bei Beginn des Aufstandes, wo das Feuer, das in der Antonia gelegt ward, auf den Palast übersprang und auch die oberen Theile der drei Thürme verwüstete.

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