Literaturbriefe an eine Dame/VIII

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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Literaturbriefe an eine Dame/VIII
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 770–771
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[770]
Literaturbriefe an eine Dame.
Von Rudolf Gottschall.
VII.

Es giebt, Madame, bekanntlich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt.

Dies gilt auch von den Frauen, welche von Frauenlob bis Schiller so viele Verherrlicher gefunden haben, denen man neuerdings aber die „himmlischen Rosen“, mit denen sie das irdische Leben schmücken sollen, in Blumen von sehr zweifelhaftem Glanz und Duft verwandelt hat. Die süßen Geheimnisse, die man früher in Frauenherzen suchte, sind jetzt zu Mysterien sehr abschreckender Art geworden, wenn man wenigstens manchen Autoren glauben darf, die sich mit diesen Nachtseiten der weiblichen Seele angelegentlich beschäftigt haben. Was sich die alte Schulweisheit nicht träumen ließ, das träumt eine neue, die jetzt eine bedeutende Herrschaft über die Geister ausübt. Sie kennen Ihren Nachbar, den Rittergutsbesitzer, der nach Vollendung seiner Studien sich jetzt mit der Bewirthschaftung seiner Güter beschäftigt. Er ist noch jung und geistreicher, als die meisten anderen Kreisstände, deren Himmel voll Geigen hängt im Sommer, wenn eine gute Ernte in Aussicht steht, und im Winter, wenn sie Glück in ihrem L’hombre-Kränzchen haben. Doch sein Aussehn hat etwas Finsteres, Unheimliches, das nur bisweilen durch sarkastische Geistesblitze aufgehellt wird; wenn er mit seinem schwarzen Pudel über die Felder schreitet, kann man ihn für einen Faust halten, der sich an den Strand der Ostsee verirrt hat. Den Frauen gegenüber hat er etwas unsäglich Ueberlegenes; seine Galanterie hat etwas Hohnlachendes; er spricht mit ihnen wie mit Geschöpfen, die von einem untergeordneten Planeten stammen, und zeigt mehr Gemüth gegen seinen Hund, als gegen die vielbesungenen Wunder der Schöpfung.

Nun, dieser Philosoph ist ein Schüler Schopenhauer’s, eines Mannes, der über die Frauen und die Liebe sehr ketzerische Ansichten hegte und einige der schwersten Schlagschatten in sein düsteres Weltgemälde bei der Zeichnung des ewig Weiblichen warf. Ein anderer Philosoph ging noch weiter in der Schilderung der Illusionen der Liebe: es ist dies der Philosoph des Unbewußten, E. v. Hartmann, der im Uebrigen eines der geistreichsten Werke neuer Weltweisheit geschrieben hat. Die schöne Literatur, die sich oft aus diesen geistigen Reservoirs befruchtet, wollte nicht zurückbleiben hinter den Attentaten auf die Weiblichkeit, welche von Seiten dieser tiefen Denker stattfanden. Namentlich aber ist es ein netter Novellenautor, Sacher-Masoch, der in seinen Frauen uns kleine Ungeheuer zu schildern liebt, welche, ähnlich wie der Meerpolyp in Victor Hugo’s „Meeresarbeitern“, mit ihren Fangarmen und Saugnäpfchen dem Herrn der Schöpfung Blut und Leben aussaugen.

Sacher Masoch ist kein Novellist von denjenigen, von denen zwölf auf ein Dutzend gehn. Er hat eine reiche Phantasie von Gluth und Ueppigkeit, entschiedenes Darstellungstalent, das sich besonders in stimmungsvoller Naturmalerei auszeichnet, Witz und Esprit, welche aus seiner Weltanschauung wie aus einer dunkeln Wolkenwand hervorblitzen. Umsomehr ist es zu bedauern, daß er in seinen neuesten Werken eine Originalitätssucht zeigt, welche mit abenteuerlicher Keckheit das weibliche Ideal zertrümmert, wie es auf germanischem Boden sich herrlich entfaltet hat, und an seine Stelle weibliche „Spottgeburten von Dreck und Feuer“ setzt. Nicht immer, nicht überall, aber oft genug, daß die Kritik sein Talent zur Ordnung rufen und vor einigen seiner Erzählungen eine weitleuchtende Warnungstafel errichten kann.

Dies gilt auch von dem zweibändigen Roman: „Die geschiedene [771] Frau“. Die Einleitung zu diesem Roman bildet ein Gespräch des Autors mit der bekannten Schriftstellerin Arthur Stahl. Sacher-Masoch sagt in diesem Gespräch, er wolle keinen Roman, sondern ein Sittengemälde schaffen, um unserer Gesellschaft ihr wahres, ungeschminktes Antlitz zu zeigen, sie statt in den goldumrahmten Spiegel, welcher lügt und schmeichelt, in eine „Pfütze“ blicken zu lassen. Diese Art der Spiegelung ist aber durchaus unästhetisch, namentlich wenn uns der Autor noch dazu mit dem Kopf in diese Pfütze stößt. Auch ist das Bild treffender, als der Verfasser selber glaubt; denn in der Pfütze sehen wir nicht das „wahre, ungeschminkte Antlitz“, sondern wir sehen es in einer Unreinheit und Trübung, welche nicht unseren Zügen, sondern nur dem Spiegel angehört.

Die Verirrungen der Leidenschaft zu schildern, ist eine Aufgabe, deren Lösung die größten Dichter versucht haben. Auch durfte man nicht blos mit dem Maßstab der häuslichen Moral an ihre Schöpfungen treten, ohne die Bedeutung derselben zu gefährden. Doch die Leidenschaft muß einen Zug der Begeisterung und Größe, einen dämonisch hinreißenden Zauber haben, wenn wir ihr mit Antheil selbst auf allen Abwegen folgen sollen. Wo wir aber statt der Leidenschaft Gleichgültigkeit, Blasirtheit oder gar Ueberreizung finden, welche das Widerwärtige bevorzugt, da wenden wir uns ebenfalls gleichgültig oder selbst mit Ekel ab.

Die „geschiedene Frau“ von Sacher-Masoch besteht eine Reihe von Abenteuern, welche für einen weiblichen Don Juan vollkommen ausreichen würden. Sie macht überdies eine Zahl von Situationen durch, welche an Lucinde und Wally und Feydeau’s Fanny zugleich und überdies bisweilen an die Schaustellungen der Drehscheibe erinnern. Doch da auch Goethe in seinen „Briefen aus der Schweiz“ eine derartige Situation geschildert hat, so kann auch Sacher-Masoch über seine Muse noch einen Zipfel vom Krönungsmantel der Classicität breiten und so ihre Enthüllungen noch mit einem Schein antiker Würde drapiren. Bei ihrem letzten Abenteuer nehmen indeß alle Musen und Grazien und classischen Reminiscenzen Reißaus.

Sacher-Masoch irrt, wenn er meint, daß auch der Dichter, wie der Parfümeur, aus den Bestandtheilen einer Cloake Eau de mille fleurs bereiten kann. Dergleichen Elemente lassen sich in der Dichtung chemisch nicht zersetzen; sie wirken hier nur abstoßend auf den Geruchssinn. Doch die „geschiedene Frau“ soll ja eben ein dämonisches Weib sein, das keine geistigen Beweggründe kennt, das, unberechenbar, aus geheimnißvollen, unenträthselten, elementarischen Motiven handelt. Doch auch das Dämonische hört auf, wo das Ekelhafte anfängt. Auch darf der Dichter uns eine solche Schilderung nicht für ein „Sittengemälde“ ausgeben. Solche Erscheinungen, wie die Heldin des Dichters, sind glücklicherweise auch in der verworfensten Zeit Ausnahmen von der Regel, und wenn auch dergleichen, wie die Neigung zu einem körperlich und geistig widerwärtigen Menschen, einmal in der Wirklichkeit vorgekommen ist, so kann dies niemals für das charakteristische Zeichen einer Epoche gelten. Der Leichtsinn und die Sinnlichkeit mögen sich bisweilen von einem Sodomsapfel verlocken lassen, der hinter äußerem Glanz nur Asche und Moder birgt, aber in einen durchweg verfaulten Apfel zu beißen, das kann nur einem sehr krankhaften Gelüste einfallen.

Wenn das Talent Sacher-Masoch’s in der „Geschiedenen Frau“ trotz aller Geschmacksverirrungen unverkennbar blieb, so tritt es noch mehr in dem „Vermächtniß Kain’s“, den neuen Novellen des Autors, hervor, welche einen zusammenhängenden, von Einem Gedanken getragenen Cyklus bilden sollen. Doch auch hier wandelt der Dichter mit Vorliebe auf Abwegen und an Abgründen; ja in einzelnen Novellen erreicht er ziemlich die äußerste Grenze, bis zu welcher eine krankhaft extravagante Phantasie und sinnliche Ueberreizung in deutscher Literatur geführt haben. Einige dieser Novellen muß nicht die Polizei, sondern die Literatur auf den Codex der verbotenen Bücher setzen.

Einige, doch keineswegs alle! „Marcella“ ist eine reizende Idylle des ehelichen Glückes, und zwar nicht eines Glückes in Schlafrock und Pantoffeln, sondern eines Glückes, das aus schöner geistiger Gemeinsamkeit hervorblüht. Eine echt stimmungsvolle Beleuchtung schwebt über den Novellen: „Der Capitulant“ und „Mondnacht“. Die Schilderung der galizischen Winterlandschaft ist von überraschender Genialität; dasselbe gilt von der träumerischen Beleuchtung, welche die somnambule Heldin der „Mondnacht“ umschwebt. Beide Erzählungen sind kühn, die Schlußwendung der letzteren ist sogar verletzend. Dennoch überschreiten sie nicht das Maß des Erlaubten in der Schilderung der Leidenschaft. Auch den „Don Juan von Kolomea“, welchen Kürnberger in einer Vorrede ein „Stück Naturgeschichte des Menschen“ nennt, kann man sich gefallen lassen; es ist darin eine Psychologie, welche das anatomische Messer so geschickt zu handhaben weiß, wie etwa Balzac in seinen Romanen.

Doch neben diesen bereits bekannten Novellen finden sich zwei bisher ungedruckte: „Die Liebe des Plato“ und „Venus im Pelz“, gegen welche die Kritik eine Quarantaine errichten muß; denn ihr Wesen ist gespreizte Unnatur und widerwärtige Lüsternheit.

Glauben Sie nicht, daß Sacher-Masoch blos so harmlos ist wie Clauren, wenn dieser seine Mimili schildert, oder so raffinirt wie Louvet im „Faublas“, nur um Effect hervorzurufen. Alle seine oft seltsam anstößigen Erfindungen tauchen aus der Tiefe einer Weltanschauung hervor, in welcher eine neue deutsche Philosophie sich mit der Eigenthümlichkeit des sarmatischen Naturells auf das Engste verschwistert. Sacher-Masoch ist zugleich ein Kleinrusse und ein Anhänger Schopenhauer’s. Wäre er ein Kirchenmaler – er würde seine ruthenische Madonna im Zobelpelz malen und mit der Peitsche in der Hand; aber im Hintergrunde würde irgend ein Faun oder Satyr lauern, um die einzige Bedeutung des ewig Weiblichen zu versinnlichen.

Den Prolog des ganzen Novellencyklus spricht der „Wanderer“, ein eigenthümlicher russischer Sectirer, welcher die „Flucht vor der Welt“ als seinen einzigen Beruf, als das einzige Mittel zur Rettung der Seele erfaßt, ganz wie der Buddha am Ganges und der neue Buddha in Frankfurt am Main. Die Menschheit ist das Geschlecht Kain’s, die Liebe, das Eigenthum, der Staat, der Krieg, die Arbeit und der Tod sind das Vermächtniß Kain’s. Das ist die Weisheit, des Wanderers – es sind fünf neue Todsünden an Stelle der früheren sieben, und der Tod selbst erscheint als das einzige annehmbare Legat dieses unvordenklichen Vermächtnisses.

Wir treten also in diesen Cyklus wie in den Dante’schen Höllentrichter, aus einem Kreis der Verdammniß in den andern. Die vielbesungene „Liebe“, zu deren Mitschuldigen die Dichter sogar die Rosen und Nachtigallen in Schiras’ Zauberhainen machen, eröffnet die Kreise des Abgrunds in jener „Stadt der Schmerzen“, als welche die Erde selbst erscheint, und der rastlose Wirbelwind der Hölle, der selbst die anmuthige Francisca von Rimini, die ewig klagende, mit einer Helena und Kleopatra im Kreise treibt, braust schon über die Erde, welche im Auge der schwarzsehenden Philosophen die Hölle vollständig überflüssig macht.

Der Gegensatz der Geschlechter ist ein feindlicher; sie täuschen sich nicht, weil sie sich täuschen wollen, sondern, weil sie sich täuschen müssen. Das sagt der Vorredner des Dichters; das spricht das Motto des russischen Schriftstellers aus, welches Sacher-Masoch seinem „Don Juan de Kolomea“ vorsetzt. Die Liebe ist die schlimmste aller Illusionen – so tönt’s vom Main und von der Spree aus dem Munde tiefsinniger Denker, und der Dichter von den Ufern des Pruth malt die Illustrationen zu diesen Weisheitssprüchen.

Doch diese Illustrationen sind oft so seltsam, so unheimlich mysteriös, so effecthaschend beleuchtet, so grotesk verzeichnet, daß wir nicht einmal immer ihre klare Beziehung zu den Grundgedanken erkennen.

Die „Liebe des Plato“ ist ein höchst bizarres Capricco voll erkünstelter und unheimlicher Motive, und wenn man die „Venus im Pelz“ gelesen, möchte man glauben, daß prügeln ober geprügelt werden das groß- und kleinrussische Dilemma jenes „Ostens“ sei, dessen „Natur- und Menschensinn“, nach den Worten Kürnberger’s, verjüngend auf die deutsche Literatur wirken soll, während wir doch nur eine Mischung von Barbarei und Hypercultur in seinen, auch hervorragendsten Originalwerken finden.

Sacher-Masoch hat ohne Zweifel eine glänzende Darstellungsgabe, einen funkelnden Esprit, dessen Funken freilich oft aus der Asche aller Ideale hervorzucken. Doch das große Publicum und den häuslichen Herd müssen wir warnen vor diesen sogenannten Sittenschilderungen. Möge der Dichter selbst in den folgenden Theilen seines Cyclus den Weg finden, auf dem seine Begabung, das Seltsame und Lüsterne, das Ueberreizte und Ueppige verschmähend, durch glänzende Natur- und Sittenschilderungen anmuthend und anziehend auf die weitesten Kreise wirkt.