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Marquis Posa als Burgherr

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Textdaten
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Autor: Edmund Judeich
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Titel: Marquis Posa als Burgherr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 183–185
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[183]
Marquis Posa als Burgherr.

Emil Devrient scheidet nach siebenunddreißigjährigem Wirken an derselben von der Dresdner Hofbühne, nach sechsundvierzigjähriger Künstlerthätigkeit von der Bühne überhaupt. Bei der immer lebhafter hervortretenden Neigung des deutschen Theaters, sich ernsten, idealen Aufgaben zu entziehen, ist das Scheiden dieses Künstlers um so empfindlicher. Emil Devrient ist Repräsentant der classisch-idealen Bühnenwelt, mit ihm verläßt ein Kunstfürst seine „Truppen“, und was hilft der Donner des Abschiedsgrußes, der allenthalben auf dem Felde dieser Künstlerehre tönt – Devrient geht, und Manchem wird es scheinen, als gingen damit jene Bretter aus den Fugen, welche die Welt bedeuten.

Bedeutende Federn werden sich finden, das Leben und Wirken Emil Devrient’s zu schildern. Unsere heutige Aufgabe soll es sein, eine Seite des vorzüglichen Mannes zu berühren, welche nur ihm näher Stehenden ganz klar hervortreten konnte: seine Liebenswürdigkeit im persönlichen Umgange.

Zur Zeit, als Gutzkow, ein vertrauter Freund des Künstlers, in Dresden lebte, versammelte Devrient von Zeit zu Zeit einen kleinen gewählten Kreis seiner Freunde um sich. Namentlich waren es die Wintermonate, welche die fröhlichen Genossen zusammenriefen. Von einer solchen winterlichen Vereinigung aber will ich nicht erzählen, sondern von einem schönen, heißen Sommertage. Der Dampfer brauste von Dresden nach dem freundlichen Städtchen Bischofswerda nahe der sächsischen Lausitz. In einem Coupé des langen Wagenzuges entführte Devrient seine Freunde dem Drängen und Treiben der Residenz, und am genannten Haltepunkte nahm die feine Equipage des „Rittergüter“ sein eigen nennenden Künstlers die Ankömmlinge auf, sie nach dem seitwärts [184] liegenden Schlosse von Schmölln zu bringen. Ehe man jedoch dort ankam, ließ Devrient den Wagen am Eingange eines jungen, sorgfältig gepflegten Nadelwaldes halten, um seinen Lieblingsspaziergang mit den Freunden einzuschlagen. Es war Mittagszeit, die Augustsonne brannte glühend herab, um so erquickender wurde das Wandeln auf grünem Moose und im Schatten der Waldbäume. Die früher schon rege Unterhaltung belebte sich mehr und mehr und steigerte sich zu solcher Heiterkeit, daß es schien, als seien die seit Johannis schweigsam gewordenen Singvogel wieder eingezogen. Namentlich thaute auch der sonst so ernste Gutzkow auf und wechselte mit Devrient manch’ heitere Erinnerung an das Dresdner Leben und an das mehrjährige gemeinsame Wirken an der dortigen Hofbühne, bei welcher Gutzkow bekanntlich mehrere Jahre lang als Dramaturg thätig gewesen war. Nur ein ernster Zug mischte sich in die Unterhaltung: Gutzkow hatte von Weimar die Einladung empfangen, als Generalsecretär der deutschen Schillerstiftung einzutreten, und sah voll idealer Begeisterung für das ihm dadurch sich öffnende, dem Gemeinwohl nützliche Wirken freudig dieser Stellung entgegen. Es war aber nicht nur die Bekümmerniß, den geliebten Dichter und Freund in Dresden verlieren zu sollen, sondern eine Art düsterer Ahnung, welche sämmtliche Anwesende, vor Allen auch Devrient veranlaßte, Gutzkow von der Annahme dieser Stellung abzureden. So wenig man auch die wohlwollende Absicht des Großherzogs von Weimar, die freundschaftliche Gesinnung Dingelstedt’s verkannte, dem Dichter ein der That geweihtes, doch immerhin stilles, zu neuen Schöpfungen anregendes Asyl zu schaffen, so wenig glaubten doch Gutzkow’s Dresdner Freunde an das Gedeihliche dieser neuen Stellung für Gutzkow selbst. Der junge grüne Nadelwald von Schmölln mag es dem Parke zu Weimar und dem Thüringer Tannenhaine erzählen, daß er zuerst eine düstere Wolke über dem theuren Dichterhaupte aufsteigen sah.

Nach kurzer Wanderung war das Schloß erreicht. Der Wagen hatte unterdeß ein vom Gastgeber vorsorglich von Dresden anher befördertes, in eine Hülle von Eis eingelegtes Fäßlein köstlichsten bairischen Bieres unter die Bäume des Schloßeinganges gebracht, und man stärkte sich an diesem freundlichen Labetrunke mit ganz besonderem Appetite. Hierauf geleitetete der Herr von Schmölln seine Gäste in die wohnlich eingerichteten Zimmer des Schlosses. Der feinste, künstlerischste Geschmack leuchtete in solider Einfachheit aus Meublement, Gemälden, Statuetten und Kupferstichen hervor, und schwer folgte man dem Rufe des Gastgebers, sich der beschaulichen Hingebung an all’ das Schöne zu entziehen, um die landwirtschaftlichen Etablissements des großen Gehöftes zu besichtigen. Mit der ihm angeborenen Elasticität der Bewegung verwandelte sich der Künstler nunmehr in den wohlunterrichteten Oekonomen; der Kuhstall wurde besichtigt, und man empfing aus des großen Mimen Munde Erläuterungen über die verschiedenen Racen der wohlgepflegten Rinderwelt; nebenher erhielt wohl auch die Großmagd oder die Mittelmagd ein kleines Lob, einen Tadel, die Aufforderung zu Diesem und Jenem. Man gelangte zu Besichtigung der Pferde und zu dem Schafstalle; auch hinsichtlich der Mütter und Lämmer war der Besitzer sehr wohl zu Hause. Sodann wurde eine ausgezeichnete Schweinezucht vorgeführt, und wir sahen unsern Marquis Posa vollständig unterrichtet über die Ferkelfütterung. Schöne Theaterbesucherin, die Du von Deinem Don Carlos (auch ihn hat Devrient gespielt) Tag und Nacht träumst, „fängt Dir der Knabe Karl an fürchterlich zu werden“? Halte an Deiner Bewunderung fest! Hättest Du die natürliche Grazie des großen Künstlers auch im Wirthschaftshofe anstaunen können, so würde Dir seine edle Wahrheit auf der Bühne noch einleuchtender geworden sein.

Es mochte die dritte Stunde des Nachmittags herangekommen sein, als der freundliche Wirth seine Gäste in das geräumige Speisezimmer des Schlosses zurückführte. Die äußere Einrichtung der Tafel war so geschmackvoll, daß man den abrundenden, symmetrisch ordnenden Blick des Hausherrn auch hier nachahnte; dienende Geister allein wissen derartigen Arrangements die letzte Feile nicht zu geben. Gutzkow nahm Platz an dem einen, Devrient an dem andern Ende der Tafel, die übrigen Herren reihten sich mitten ein. Eine ziemlich große Reihe feiner, aber durchaus solider, nicht an das hotelmäßige Durcheinander anstreifender Speisen folgte nacheinander, und vom einfachen „Rothen und Weißen“ verstieg man sich bald zu ausgesuchten, vorzüglichen Cabinetsweinen. Der Erzähler Dieses hat zwar viel Geschmack für solche Genüsse, aber ein sehr schlechtes Gedächtniß dafür, was die lesenden Hausfrauen ihm verzeihen mögen. Verweilen wir aber ein wenig bei der geistigen Unterhaltung, die sich während der Tafel entspann. Den ersten Toast brachte Devrient auf seine Gäste, Gutzkow erwiderte ihn in einem äußerst gewandten, formschweren Gedichte, ernste und heitere Tischreden der Anderen folgten; inzwischen eine belebte Unterhaltung über alle Dinge der Welt, namentlich über das Theater. Als aber Devrient das Glas Steinberger mit den Worten erhob: „Auf Richard Savage und seine Folgen’.“ und als Gutzkow diese Worte mit wärmstem Gegengruße erwiderte, tönte von allen Seiten die Frage nach der Bedeutung dieses Spruches.

In lebendiger Weise erzählte nun der große Darsteller sein erstes Bekanntwerden mit dem anwesenden Dichter. Devrient hatte sich nach längerer Wirksamkeit in Dresden in die Weltstadt Paris begeben, um sein damals verdüstertes Gemüth durch Anschauung einer neuen Sphäre aufzuheitern. Erfüllt von den Eindrücken der Darstellungsweise einer Mars, einer Rachel, eines Bouffé, Arnal, kehrte der Künstler nach Deutschland (1839) zurück, um merkwürdiger Weise auch hier wieder ganz neuen Elementen des dramatischen Lebens entgegengeführt zu werden. Achtzehn Jahre eines Künstlerlebens lagen bereits hinter Devrient, als er aus Paris nach Frankfurt a. M. zurückkehrte, und wenn man die hohe Bedeutung erwägt, die sich derselbe in dieser Zeit und namentlich während seiner Wirksamkeit in Dresden und in seinen Gastrollen auf den hervorragendsten Bühnen Deutschlands erworben; wenn man die Wirkungsreiche ideale Abgeschlossenheit des Charakters in das Auge faßt, mit welcher Devrient seine Kunst beherrschte, so sollte man meinen, daß nicht leicht ein Etwas zu denken wäre, das neue Strömungen erweckend in dieses Künstlerleben hätte eintreten können. Und doch war es so. In Frankfurt war ein frisches Bühnenleben durch Seydelmann und Döring erwacht, und die Träger einer „jungen Literatur“ waren mit dem Theater in Wechselwirkung getreten. Devrient lernte Gutzkow kennen, der soeben seinen Richard Savage der Bühne übergeben hatte, interessirte sich sofort auf das Lebhafteste für dieses Stück und verlangte von der Frankfurter Bühnendirection, ihm die Titelrolle desselben in sein Gastspiel einzureihen.

Der Director widerrieth das, da eine vor Kurzem stattgehabte erste Aufführung des Savage keine ganz glückliche gewesen war. Devrient bestand jedoch auf seinem Vorhaben und Gutzkow hatte die Genugthuung, zu sehen, daß das nicht volle Gelingen der ersten Aufführung nur der unvollkommenen Darstellung des Richard zuzuschreiben gewesen war, denn Devrient’s Vorführung des Sujets erregte unablässigen Jubel des Publicums und führte das Stück auf den bedeutendsten Bühnen Deutschlands ein. Seitdem ist Devrient nicht nur mit Gutzkow in fortdauernder Wechselwirkung geblieben, sondern hat sich auch der Produktionen von Prutz, Mosen, Laube bemächtigt. Der Hauch eines neuen, jungen Lebens berührte den Künstler an Leib und Seele, ein rastloser Thätigkeitstrieb erfaßte den Darsteller des Alt- und Neuclassischen. Wissen wir doch, daß es auch Devrient war, der Gutzkow’s Uriel den deutschen Bühnen gab. Er setzte es durch, daß Gutzkow selbst die Leseprobe in Dresden leitete, daß das Stück zur Aufführung kam; er war Ursache, daß Gutzkow als Dramaturg in Dresden angestellt wurde.

Außerordentlich belebend haben Beide auf einander gewirkt, und Wunder darf es also nicht nehmen, daß Devrient’s oben citirter Trinkspruch den ihm gegenübersitzenden Dichter elektrisirte. Devrient’s Eigenschaften als Künstler stehen die echt menschlichen schmückend zur Seite: die der treuen Anhänglichkeit, der Dankbarkeit. Wie lebendig anerkannte er bei dem Mahle, das wir hier schildern, welch’ mächtige Einwirkung die junge dramatische Literatur seit dem Jahre 1839 auf ihn gehabt habe! Von welch’ großartiger Thätigkeit seit jener Zeit der Künstler beseelt war, geht aus einer Bemerkung hervor, die Gutzkow in genauer Kenntniß der Thatsachen einflocht. In Frankfurt a. M. gab Devrient 1839 nacheinander vierundzwanzig Vorstellungen, die, wie der Dichter referirte, „eine bisher in der theatralischen Welt unbekannt gewesene Aufregung hervorriefen“. In Breslau folgten im nächsten Jahre vierzehn Vorstellungen, in München zehn, und achtzehn Vorstellungen zu gleicher Zeit in Mannheim, Mainz und Frankfurt a. M. Am 12. April 1841 eröffnete der Künstler das neue Theater in Dresden mit „Tasso“ und gab darauf in drei Monaten in Pesth zweiundzwanzig Vorstellungen.

[185] Eine fast überwältigende Fülle von Gastspielen neben der constanten Berufsthätigkeit in Dresden zeichnete auch die folgenden Jahre aus. „Und vergiß meine Aufregungen in London nicht, theurer Freund!“ erwiderte Devrient.

„Wo Sie,“ fiel einer der Anwesenden ein, „den Faust spielten, den Sie uns immerdar vorenthalten haben.“

„Fragen Sie Goethe,“ erwiderte der Künstler, „warum man Faust nicht spielt.“

„Das kann,“ fiel ein Dritter ein, „allerdings der stolz antworten, dem über den ,Hamlet’ eine Fanny Kemble in London gesagt, daß sie den Hamlet Devrient’s über den John Kemble’s und ihres eigenen Vaters stelle.“

„Auch der jüngere Kean hat mir in Anerkennung meiner Rolle ein werthvolles Geschenk übergeben,“ bemerkte Devrient, „die Melodieen des vorigen Jahrhunderts zu den Liedern Ophelia’s.“

„Melodieen, die den Sänger in Ihnen ebenso beglückten, wie den Darsteller Hamlet’s,“ warf der Verfasser dieser Zeilen ein.

Einer der Anwesenden, der Jüngste, wunderte sich über die Aufklärung, daß Emil dereinst den Caspar im Freischütz, den Sarastro, Almaviva, Axur und sogar den Don Juan mit großem Erfolge gesungen.

„Als Caspar trat der gastirende Jüngling im Beginn seiner Laufbahn in Dresden auf,“ schaltete der Erzähler des Mahles ein und hob sein Glas mit ungefähr folgenden Worten: „Welch’ eine Welt liegt zwischen jenem ersten Caspar und dem Tasso, mit dem Devrient das neue Theater in Dresden einweihte! Aus einer Fülle der Gesichter hat sich ein großes, bedeutendes Künstlerantlitz herausgearbeitet; der sprudelnde Reichthum der Vielheit hat sich in einer krystallreinen Quelle concentrirt: in Schöpfung des classischem Ideales für alte und neue Dichtung. Wohl tönt des Sängers ausgebildete Stimme noch nach, aber gebannt an das Wort, es verschönend; wohl hat auch jene Zeit ihre Wirkungen hinterlassen, in welcher sich mit Tasso und Hamlet noch die Lästerschule und die Quälgeister stritten, aber es ist mir das Gute des Baudevillenhaften geblieben, die Präcision des dem Tage sich anlehnenden Lustspieles hat wohlthätig den langgezogenen Ton des Tragöden gekürzt, die Bewegungen des Mimen der Wahrheit zugeführt. Und wie nun der ganze Künstler vor uns steht, eine Verschmelzung des Tasso und Egmont in seiner Natur tragend, so wirke er noch lange zum Heile der deutschen Kunst, so bleibe er der Dresdner Bühne, ein Caspar im modernen Sinne, Freikugeln gießend für die Macht der Schönheit!“

Ein freudiges Hoch der begeisterten Gäste ertönte dem Künstler, und Gutzkow bemerkte mit liebenswürdigem Sarkasmus: „Was würde Tieck zu unserer Gerechtigkeit sagen! Seit Devrient sich nicht mehr ,Dame Kobold’ vorlesen ließ, seit Emil sich sogar dem jüngeren deutschen Drama zuwendete, sprach ihm der Romantiker nur noch Talent für naive Rollen und das Lustspiel zu. Fürwahr, es ist etwas um die Romantik, es ist etwas um ihre Wahrheit, für die leider der große Brite viel weniger gethan hat, als seine Uebersetzer glauben. Hoch lebe Emil der Naive, der Sohn der blauen Blume, hoch Wetter vom Strahl!“

Gelächter von allen Seiten, und heiter vertiefte sich die Gesellschaft in das die Gegenwart erleichternde Reich der Anekdote. Freund Devrient gab sich auch diesem Gebiete lächelnd hin, ohne jedoch es selbst als Erzähler zu ergänzen, denn immer ist ihm die neckende Nennung oder die Verletzung einer Persönlichkeit, und hätte es sich selbst um einen Gegner gehandelt, fern geblieben.

In der frohesten Stimmung brach man ziemlich spät von der Tafel auf. Eine Tasse des besten Mokka besänftigte die Aufgeregten, ehe das Dampfroß Gäste und Gastgeber wieder heim nach der Residenz führte. Das war der schöne Tag von Schmölln.

Edmund Judeich.