Ob-Ost/Feldgrau und Feldbau

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Erste Sorgen Ob-Ost
von Fritz Hartmann
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V. Feldgrau und Feldbau
Hannover, den 8. November.

In der frommen Ecke des litauischen Bauernhauses trifft man überall dasselbe Heiligenbild: Sankt Georg. Aber es ist nicht der Lindwurmtöter, den die deutsche Ritterschaft als Schutzpatron verehrte. Vielmehr gilt er hier, der griechischen Namensbedeutung gemäß, als Segenspender des Landbaues. Somit wäre er denn auch bestens am Platze, denn Litauen und Kurland (das sich freilich als rein protestantisch ohne Heiligen behilft) sind fruchtbare Ackergegenden. Milder kalkhaltiger Lehm- und Humusboden, dessen reiche Fruchtbarkeit vorläufig nur durch unzureichende Entwässerung behindert wird. Der Klee erreicht Meterhohe; kurischer Weizen und kurisches Heu sind berühmt.

Das ist uns zum unschätzbaren Vorteil geworden. Als England seinen schandbaren Hungerplan faßte, hatte es nicht damit gerechnet, daß wir das bestwertige russische Land besetzen könnten. Allerdings hat dessen Ausnutzung ihre [38] Grenzen. Das Völkerrecht verbietet, eroberte Gebiete hungern zu lassen und aus ihren Scheunen das Mutterland zu nähren. Wohl würde der Brite sich keinen Deut um so ein papiernes Verbot kümmern. Seine irischen und indischen Gepflogenheiten sind weltkundig. Wir aber pflegen zu halten, was wir unterschrieben. Auch kommt uns das Völkerrecht auf einem Umwege doch zustatten. Es erlaubt nämlich die Verpflegung unserer Truppen aus den beigetriebenen Landeserzeugnissen. Dadurch wird die Heimat namhaft entlastet.

Unser Vorteil gebot also, den wirtschaftlichen Ertrag der Etappe zu erhöhen. Umsichtig, wie in allem, traten unsere Leute auch an diese weitsichtige Aufgabe heran.

In Litauen lagen 600 Güter, in Kurland sogar 149 Ritterhöfe und 4000 Bauernlose unbestellt, verlassen, oft zerstört. Viel Kronbesitz und tote Hand, aber vornehmlich doch wohl Sondereigentum. Genau läßt sich das Verhältnis gar nicht feststellen. Die Russen haben sämtliche Grundbücher verbrannt. Es gibt Güter von 3- bis 4000 Hektaren, von denen wir nicht einmal wissen, wem sie gehören.

[39] Welche Katasterfreuden für später! Für jetzt wurde ein Wirtschaftsausschuß eingesetzt. Sofort nahm er die ganze herrenlose Brache in waltende Hand. Überall wurden Gutsverweser bestellt. In Litauen sind es jetzt 118 Offiziere und 738 Unteroffiziere, Gefreite, Landstürmer. Natürlich vom bürgerlichen Berufe lauter Gutsbesitzer. Administratoren, Inspektoren oder Bauern; immer aber nicht mehr frontdienstfähig. Man sieht manchen, der am Stocke humpelt.

Zur Feldarbeit sind ihnen Hilfskräfte gegeben. Aus den Schippern hatte man neun Erntekompagnien, zu je 261 Mann, gebildet. Gefangene wurden herangezogen und freie Arbeiterkolonnen aus Einheimischen.

Der Wirtschaftsausschuß überwacht die ganze Landwirtschaft. Sowohl diese militärischen, als auch die ansässigen Bauernbetriebe. Er regelt den Bestellungsplan und besorgt die Betriebsmittel. So hat er aus Deutschland für eine Million Saatgut, für vier Millionen Dampfpflüge und sonstiges Ackergerät verschrieben. Endlich ordnet er die Ablieferung der Ernten an die Magazine.

Bei den saumseligen Bauern hat man einen mittelbaren Erzeugungszwang dadurch eingeführt, [40] daß man den Kreisen Strafen auferlegte, wenn sie zu wenig lieferten, sie aber für Mehrleistung belohnte. Der Gedanke hat sich bewährt und wird auch für die Heimat empfohlen.

Im Jahre 1915 war die Winterbestellung noch nicht durchführbar gewesen. Fast restlos hingegen schon die nächste Frühjahrsarbeit. Als wir das Land durchfuhren, war bereits die Ernte fast ganz geborgen. Hier und da stand noch Flachs oder Hafer auf den Feldern. Der ganze Nachdruck ist auf die Sicherung der Kartoffeln gelegt worden. Gerade weil der Herbst nicht hielt, was der Frühsommer versprochen. Es war der nasseste Juli seit 23 Jahren. Die sonstige Ernte ist besser, namentlich an Hafer und Gerste. Man hofft, in Kurland allein 2 Millionen Zentner Getreide ans Heer abliefern zu können.

Besonders übel stand es mit dem Vieh. Von den großen Gütern hatten die Russen oft das letzte Stück fortgetrieben. Besser verstanden sich die Bauern zu sichern. In verschwiegenem Dickicht hatten sie mit großem Geschick unterirdische Ställe und Futterscheunen angelegt. Sobald sie zur deutschen Wirtschaft Vertrauen gewonnen, kehrten sie zurück. So ergab sich am [41] Ende doch ein günstigerer Bestand, als man zuerst gefürchtet. Trotzdem freilich nicht mehr als ein Fünftel der letzten Friedensziffern. In ganz Kurland sind höchstens 70000 Stück Hornvieh zu finden.

Das litauische Rind ist unansehnlich, weil durch wahllose Kreuzung gänzlich entartet. Es kommt auf höchstens 8 Zentner Gewicht. Auch gibt es wenig, wenngleich fette Milch. Der Schweinebestand konnte durch scharfe Schlachtverbote so gehoben werden, daß zu Anfang nächsten Jahres das Heer sich auf stattliche Lieferungen freuen kann.

Auch das litauische Pferd ist klein, struppig, nichts weniger als wohlgebaut, kein geeigneter Vorwurf für den Tiermaler und doch höchst schätzbar. Ausdauernd wie kein zweites. Es nimmt mit Borkenrinde vorlieb, und soll doch das Zehnfache des deutschen Tieres leisten. Die Sachverständigen warnen davor, es durch verkehrte Zucht schöner, aber schlechter zu machen. Natürlich wird aus dem Lande dermaleinst unvergleichlich viel mehr herauszuholen sein. Der Wirtschaftsausschuß arbeitet unter den denkbar übelsten Verhältnissen. Wie im Dunkeln kann der Fuß [42] sich nur forttasten: trotzdem stößt jeder Schritt auf Stein oder Schwelle. Es fehlt überall am Notwendigsten. Namentlich auch an Kunstdünger, inbesondere jedoch an tierischen Arbeitskräften, so bereitwillig das Heer Reit-, Kolonnen-, Depot- und Lazarettpferde zur Verfügung stellt. Aber leistet nicht auch hier die Verwaltung Wundervolles; trotz alledem?