Amardos (Ἄμαρδος), so einstimmig die Hss. des Ptolemaios; Μάρδος ed. pr. d. Erasmus und nach ihm viele Ausgaben), Fluss in Medien, der sich in das kaspische Meer ergiesst, nach dem Volke der Amardoi (s. d.) benannt, deren Gebiet er im Westen von dem der Kadusier (s. d.) trennte, der heutige Sefîd-Rûd (pers. Weisser Fluss) oder Qyzyl-Ûzän (türk. Roter Fluss). Ptolemaios (VI 2, 2) legt seine Mündung unter 86° 30' Länge und 41° 30' Breite, seine Quellen unter 85° Länge und 38° 30' Breite, so dass die directe Entfernung zwischen beiden 1548 Stadien (= 286 Km.) beträgt. Nach ihm soll der Fluss auch mit dem See Margiane (var. Μαρτιανή), dem heutigen Urmia-See, in Verbindung stehen (ἡ συνάπτουσα αὐτῷ λίμνη καλουμένη Μαργιανή). Den Namen des Flusses hat Ptolemaios zweifelsohne dem Periplus des Patrokles entnommen, da, wie unter Amardoi gezeigt worden ist, die mit A anlautende Form des Volksnamens einzig und allein auf diesen zurückgeht, also auch die damit übereinstimmende des Flussnamens. Patrokles ist somit der erste, der von dem Flusse Kunde gegeben hat. Auch die Position der Flussmündung hat Ptolemaios sicherlich nach den Angaben desselben Gewährsmannes berechnet, da die A.-Mündung für diesen den Ausgangspunkt des Stadiasmos bildete, wie von Roesler (S.-Ber. Akad. Wien LXXIV 1873. 194) und K. J. Neumann (Herm. XIX 170ff. 180) nachgewiesen worden ist. Und wahrscheinlich beruht auch die Ansetzung der Quellen des Flusses auf Erkundigungen, die Patrokles an der Küste einzog. Dagegen wird die Annahme einer Verbindung zwischen dem Flusse und dem Urmia-See aus einem anderen Berichte stammen oder aus Combinationen des Ptolemaios selbst oder seines unmittelbaren Vorgängers Marinos von Tyros hervorgegangen sein. Von allem, was die Alten über den A.-Fluss gewusst haben mögen, sind die von Ptolemaios überlieferten Nachrichten die einzigen dürftigen Überbleibsel. Denn die Erwähnung des Flusses bei Ammianus Marcellinus (XXIII 6, 40) geht direct (s. Th. Mommsen Herm. XVI 612ff.) oder durch Vermittlung eines uns verloren gegangenen geographischen Handbuches (so Gardthausen Conjectanea Ammianea 28. 34; Jahrb. f. Philol. Suppl. VI 524f.) auf Ptolemaios zurück, ist also blosse Wiederholung. Und Dionysius Periegetes, der v. 734 den Μάρδος nennt und von ihm berichtet, dass er sich zwischen den Derkebiern (Derbikern, s. d.) und Baktriern ins kaspische Meer ergiesse (Μάρδος, Δερκεβίων τε καὶ ἀφνειῶν πόμα Βάκτρων· — ἀμφοτέρων γὰρ μέσσος ἐς Ὑρκανίην ἅλα βάλλει), liefert damit nur einen Beleg für das Vorhandensein der kürzeren Form des Flussnamens, die sich zu A. ebenso stellen würde, wie bei der Bezeichnung des Volkes, Mardoi zu Amardoi (s. d.), denn bei ihm ist der Μάρδος mit dem Μάργος, dem heutigen Murghâb, zusammengeworfen (vielleicht verdankt die gens Mardorum in Margiane bei Plin. n. h. VI 47 auch nur einer ähnlichen Verwechslung ihr Dasein, s. unter Mardoi), auf den allein das von jenem Gesagte, allerdings auch nicht ohne Einschränkung, passen würde. Holstenius hatte daher Μάρδος in Μάργος geändert, was Hill und Ursinus
[1735] billigten; und neuerdings ist dieselbe Emendation auch von Roesler (S.-Ber. Akad. Wien LXXIV 1873, 257, 2) vorgeschlagen worden. Bernhardy (z. d. St.) hat jedoch mit Recht an der Lesart der Hss. festgehalten, indem er auf A. bei Ptolemaios und Ammianus verwies, und C. Müller (Geogr. gr. min. II 150) hat gezeigt, dass es sich an jener Stelle um einen Irrtum des Dichters selbst (? oder vielmehr seiner Quelle) handle, dass also Μάρδος beizubehalten sei. Auf die Quelle des Dionysius geht in letzter Instanz auch der Fluss Mardes beim Geogr. Rav. (p. 77, 9 P.) zurück; denn auch er steht dort an einer Stelle, wo das Richtige der Name Margus gewesen wäre (Araxes-Mardes-Coapis-Bactros; vgl. Aristot. meteor. I 13, 16 ὁ Βάκτρος καὶ ὁ Χοάσπης καὶ ὁ Ἀράξης). Die kürzere Namensform Μάρδος für den Fluss beruht hiernach ausschliesslich auf dem Zeugnis einer einzigen ihn mit dem Μάργος verwechselnden Quelle. Es ist also der dringende Verdacht vorhanden, dass in ihr der Name des letzteren Flusses in Verbindung mit der bekannten kürzeren Form des Volksnamens die Wiedergabe des Namens A. hinsichtlich seines Anlautes beeinflusst habe; dass somit für den Fluss die kürzere Form Μάρδος, selbst wenn sie, was nicht unwahrscheinlich, vorhanden gewesen sein sollte, nicht als mit Sicherheit nachgewiesen betrachtet werden kann. Für ihn hat man sich auf den Namen A. zu beschränken, und dies ist ja selbstverständlich, wenn er dem Berichte des Patrokles entnommen ist, der auch für das dem Flusse benachbarte Volk nur die Bezeichnung Amardoi (s. d.) verwendet hat. Beide Namen, der des Volkes und der des Flusses, sind aber identisch; nach jenem führte dieser seinen Namen, wie dies schon d’Anville (Géographie ancienne abrégée, in Oeuvres II 459) bemerkt hat, worauf aber erst neuerdings wieder aufmerksam gemacht worden ist von H. Kiepert (Lehrb. d. alt. Geogr. 67) und K. J. Neumann (Herm. XIX 171). Denn sein Unterlauf bildete, wie Roesler (S.-Ber. Akad. Wien LXXIV 1873, 194) und im Anschlusse an ihn K. J. Neumann (a. a. O.) angenommen haben, die Westgrenze des Gebietes der Amarder (s. unter Mardoi), gegen die Kadusier (s. d.). Er ist hier die natürliche Markscheide — an eine solche pflegen auf niederer Kulturstufe stehende Stämme sich stets zu halten — und erfüllt hier die völkertrennende Rolle so vieler Querströme (s. Peschel Neue Probleme d. vergleich. Erdkunde³ 149). Wenn aber K. J. Neumann (a. a. O.) zur Begründung der Ansicht, dass die Amarder nicht noch westlich vom Flusse gewohnt haben könnten, sich auf die Thatsache beruft, dass das heutige Gîlân seinen Namen von dem kadusischen Stamme der Γῆλαι (s. d.) habe, so wäre diesem Umstande allerdings eine gewisse Beweiskraft zuzugestehen, falls der Sefîd-Rûd wirklich die Ostgrenze von Gîlân bildete, was aber nicht der Fall ist. Schon seit Beginn des Mittelalters, vielleicht noch länger, umfasst das Gebiet von Gîlân einen beträchtlichen Teil des Küstenlandes östlich vom Flusse, das sog. Bîä-Piš ,Vor dem Flusse‘ (bîä, gîlânisch ,Fluss‘ = avestisch vaidhi; piš ,vor‘), im Gegensatze zum Bîä-Päs ,Hinter dem Flusse‘; vgl. z. B. das Häft Iqlîm ,die sieben Zonen‘ des Ahmäd Râzî bei Dorn Auszüge aus muhammedan. Schriftstellern
[1736] betr. d. Geschichte u. Geographie d. südl. Küstenländer d. kaspisch. Meeres 100; auch Melgunof Das südliche Ufer des kaspischen Meeres 230. Ausserdem aber haben die Gêlen ursprünglich nicht den Amardern zunächst auf der Westseite des A. gewohnt (s. unter Gelai). In neuerer Zeit führt der A. zwei Namen, in seinem Ober- und Mittellaufe den türkischen Qyzyl-Ûzän ,Roter Fluss‘ (ebenso nennen ihn im 13. und 14. Jhdt. die in Persien herrschenden Mongolen, mongol. Ulan-Mürän; s. Ḥamd-ullah Mustaufî Qazvînî Nuzhāt ul-Qulûb ,die Ergötzung der Herzen‘ bei W. Ouseley Travels in various countries in the East III 392, daraus Ritter Erdk. v. Asien VIII 617, und H. Rawlinson Journ. Roy. Geogr. Soc. London X 64. an beiden Stellen mit fehlerhaften Lesarten; und Ḥâğğî Khalîfa Ğihân-numâ i. e. descriptio mundi, ed. Constantinop. 1732, 304, franz. Übers, bei Charmoy Chèref-Nâmeh trad. I 1, 99), den ihm die dort wohnenden türkischen Stamme gegeben haben, in dem unteren Teile seines Laufes, von seiner Vereinigung mit dem Šâh-Rûd ‚Königsfluss‘ bei Mänğîl an, den persischen Sefîd-Rûd ‚Weisser Fluss‘. Dies war ursprünglich die Bezeichnung des gesamten Flusslaufes; sie finden wir bei den arabischen Geographen (Sapèdh-Rôdh und Ispèdh-Rôdh) und in dem Abriss der Kosmogonie und Kosmographie der Parsen, dem Bundähiš (ed. Westergaard 50. 52; übers. bei F. Justi Der Bundehesch 28. 29; engl. Übers. v. West Sacred Books of the East V 76. 80: Spèdh-Rôdh, geschrieb. Spèt-Rôt). Es ist eine ansprechende, aber keineswegs sichere Vermutung von H. Rawlinson, dass der von Petros Patrikios (Anfang 6. Jhdt.) erwähnte (frg. 14 Müll., Dindorf Hist. gr. min. I 433) Fluss Asprudis (s. d.) in Medien (Ἀσπροῦδις ποταμὸς τῆς Μηδικῆς), in dessen Nähe der von Diokletian und Galerius im J. 297 an den persischen Hof geschickte Gesandte Sicorius Probus von dem persischen Könige Narsahê (Ναρσαῖος) empfangen wurde, der Sefîd-Rûd sei, und dass Asprudis die Form Äspêdh-Rôdh, mit dem in vielen persischen Dialekten vorgeschlagenen ä, wiedergebe, dass also die neuere Bezeichnung des A. bis ins 3. Jhdt. zurückreiche. Schon früher hatte der Herausgeber der Werke d’Anvilles, De Manne (Oeuvres d’Anville II Géographie ancienne abrégée 464, 4) den Asprudis mit dem Sefîd-Rûd zusammengestellt, aber irre geführt durch die von irgend einem Reisenden wiedergegebene volkstümliche Aussprache Äspì-Rùd den ersten Bestandteil beider Namen als persisch äsp ,Pferd‘ gedeutet, was bei Asprudis allerdings das Zunächstliegende ist (s. unter Asprudis). Der Qyzyl-Ûzän (Sefîd-Rûd) entspringt in dem Distrikt Qara-Tura (Rich Kara Tourow) ‚Schwarzstadt‘ (?) der persischen Provinz Kurdistân zwischen dem 35° und 36° nördlicher Breite und 46° und 47° östlicher Länge Greenwich. Die Quelle soll nach Rich (Narrative of a Residence in Koordistan I 226, daraus Ritter Erdk. v. Asien VIII 616) in den ᶜAbbâs-Bei-Bergen (St. John Karte v. Persien ᶜAbbâs-Dai) liegen; Ḥamd-ullah Mustaufì Qazvînî (bei W. Ouseley a. a. O., daraus Ritter a. a. O. 617).. und Hâğğî Khalîfa (Ğihân-numa a. a. O., franz. Übers. bei Charmoy a. a. O.) nennen das betreffende Gebirge das ‚Fünffingergebirge‘ (pers. Kùh i pänč ängušt; türk. Bäš parmaq
[1737] daglary). Sehr nahe der Wahrheit kommt Ibn Khordâdhbeh (9. Jhdt., liber viarum et regnorum ed. de Goeje Text 175, Übers. 136), wenn er die Quelle des Ispêdh-Rôdh in die Nähe des Thores der Stadt Sîsär verlegt, der Vorgängerin von Sännä (Sînä, Sännänduğ), der Hauptstadt der jetzigen persischen Provinz Kurdistân (s. G. Hoffmann Auszüge aus syrisch. Akten pers. Märtyrer übers. 265, 2095). Vgl. in Bezug auf die Quelle H. Kiepert Karte von Armenien, Kurdistan und Azerbeidschan 1858. N. Khanikof Routes in Persia. Ztschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Berlin VII Taf. I. Bis etwa zum 48° östlicher Länge fliesst der Fluss in ostnordöstlicher Richtung, wendet sich dann, etwas nördlich vom 36° Breite, nachdem er rechts den von Süden kommenden Talvâr, der am Nordostabhange des Tâlvântûgebirges entspringt, aufgenommen hat, nach Norden und behält mit einer westlichen Ausbiegung generell diese Richtung bis zum 371/2° bei. Auf dieser Strecke empfängt er zunächst einige kleinere Zuflüsse, rechts den Îğ-Rûd ‚den Fluss von Îğ‘, so genannt nach dem Hauptort des Distrikts Îğrûd in der Provinz Khamsäh, bei dem sich seine Quellen vereinigen (Schindler Jahrbuch Geolog. Reichsanstalt Wien XXXI 179; Ztschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Berlin XVIII 322), den Ligâmgîr-Rûd ,Zügelgreiferfluss‘ und den Qyzyl-Gači-Rûd, beide im Distrikt Qyzyl-Gačî (H. Rawlinson Qyzyl-Gäčìlär) von Khamsäh (Schindler Jahrb. Geol. Reichsanst. Wien XXXI 181), und den Zänğân-Àb oder Zänğân-Rûd ,den Fluss von Zänğân‘, der Hauptstadt von Khamsäh, der bei Sulṭânîäh entspringt; links den Säväntî-Fluss, so genannt nach einem daran gelegenen Dorfe, den Angûrân-Rûd ‚Angûrânfluss‘, so genannt nach Angûrân, dem Hauptdorfe des gleichnamigen Distriktes von Khamsäh, der in dem Arghûn-Gebirge entspringt (Schindler Jahrb. Geol. Reichsanst. Wien XXXI 183; Zeitschr. Gesellsch. f. Erdk. Berlin XVIII 325). Endlich nimmt er auf derselben Seite, 51/2 Km. nordnordöstlich von Mîânä (ältere Form Majâniğ), dem Hauptort des zur Provinz Âzärbâîğân (Media Atropatene) gehörigen Distriktes Gärmrûd, einen ansehnlichen Nebenfluss auf, den an dem Südabhange des Sähänd-Gebirges entspringenden und durch zahlreiche Zuflüsse vergrösserten Karangû (Schindler Kerangû), vielleicht türkisch ‚der finstere (Fluss)‘, auch Häšt-Rûd ,Achtflüsse‘ genannt. Vgl. für diese Strecke H. Kieperts oben genannte Karte und seine Nouvelle Carte générale des Provinces Asiatiques de l’Empire Ottoman 1884. Schindler Jahrb. Geol. Reichsanst. Wien XXXI Taf. II u. Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Berlin XVIII Taf. VI. VII. Khanikof and H. Kiepert Map of Aderbeijan 1862. Nach seiner Vereinigung mit dem Karangû schwenkt der Qyzyl-Ûzän nach Nordosten, indem er die innere Kette des nordwestlichen Älburz-Gebirges, des Parachoathras (s. d.) der Alten, durchbricht, um dann, in dem mittleren Teil seines Laufes, in der Richtung der Gebirgsketten gegen Südosten durch das Längsthal von Târom (bei den arabischen Geographen Târam) zu fliessen. Auf dieser Strecke strömt ihm nur ein nennenswerter Nebenfluss zu, der Šâh-Rûd ‚Königsfluss‘, aus Norden. Über diesen Teil seines Laufes s. Monteith Journ. Roy. Geogr. Soc. London III 12ff., daraus Ritter
[1738] Erdk. v. As. VIII 633ff. H. Rawlinson Journ. Roy. Geogr. Soc. London X 61ff. Bei Mängîl vereinigt er sich mit seinem letzten Nebenflusse, dem aus Südosten, aus dem zwischen den Älburzketten liegenden Distrikt Ṭâläqân kommenden zweiten und bedeutenderen Sâh-Rûd (Ibn Khordâdhbeh a. a. O. Šâhi-Rôdh), macht eine scharfe Biegung nach Nordosten und bahnt sich in einem engen Querthale einen Weg durch die äussere Älburzkette in das Tiefland am kaspischen Meere. Dort beginnt sein Unterlauf. Sobald er in die Ebene eingetreten, entsendet er in nördlicher Richtung einen Arm in die Lagune (Murdâb) von Änzälî (Enzeli). Vgl. für das Vorstehende Schindler Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Berlin XIV Taf. III. In einer Entfernung von etwa 25 Km. vom Meere spaltet er sich dann in zwei Hauptarme, die ein Delta bilden; von dem östlichen dieser Arme zweigt sich nach Osten hin noch ein Kanal ab, durch den früher eine schiffbare Verbindung mit der ehemals am Seeufer gelegenen Stadt Längärûd hergestellt war, s. Monteith a. a. O. 19; daraus Ritter Erdk. v. As. VIII 647. Melgunof Das südl. Ufer d. kasp. Meeres 235. Man wird diesen Ort als den östlichsten Punkt des gesamten Deltalandes des Sefîd-Rûd bezeichnen können, während im Westen die Lagune (Murdâb) von Änzälî (Enzeli) noch als dazu gehörig betrachtet werden muss. Die Hauptmündung des Sefîd-Rûd, die westliche, liegt unter 37° 24' 14" nördlicher Breite und 50° 11' 44" östlicher Länge Greenw. (russisch-kaspische Aufnahme), das auf der Nordseite der Lagune auf einer Nehrung gelegene Änzälî unter 37° 28' 45" nördlicher Breite und 49° 27' 50" östlicher Länge Greenw. (russisch-kaspische Aufnahme). Der vorstehende Überblick über den Lauf des Sefîd-Rûd zeigt, dass er zu den Querströmen zu zählen ist, da die Linie, die Quelle und Mündung verbindet, senkrecht zu der Erhebungsrichtung des von ihm entwässerten Gebietes steht. Bereits oben ist darauf hingewiesen, wie er in seinem Unterlaufe, in der solchen Flüssen eigenen Weise, die ethnographische Grenzlinie zwischen anwohnenden Stämmen bildet, und es lässt sich vermuten, dass dies auch in seinem Oberlaufe der Fall gewesen ist, wenngleich keine Kunde davon mehr zu uns gelangt ist. Die Kenntnis der auf den Fluss bezüglichen geographischen Thatsachen wird nunmehr ein besseres Verständnis der spärlichen von Ptolemaios über ihn gemachten Angaben ermöglichen. Was zunächst die ptolemaeische Ansetzung der Quelle, 1548 Stadien = 286 Km. von der Mündung, anbetrifft, so geht sie wahrscheinlich (s. o.) auf Erkundigungen zurück, die Patrokles darüber an der Mündung eingezogen hatte, denen also schwerlich eine genauere Kenntnis zu Grunde liegt. Die Küstenbewohner werden ihm in einer runden Zahl von Parasangen, also etwa 50 (zu 5,67 Km. = 283: zu 5,555 = 277 Km.), oder in Tagemärschen, etwa 10 zu 5 Parasangen — falls seitens des Ptolemaios eine Reduction stattgefunden, entsprechend mehr —, die Entfernung von der Mündung bis in diejenige Gegend angegeben haben, in der sie nach ihrer Kenntnis des Landes die Quelle vermuteten. Ptolemaios oder Marinos von Tyros haben diese dann in der von Patrokles überlieferten, vielleicht von ihnen reducierten Distanz
[1739] in ihre Karte eingetragen; mit richtigem Takt haben sie dies in südwestlicher Richtung von der Mündung gethan. Dass die Quelle dann 10' (831/3 Stadien = 15 Km.) südlich von der medischen Stadt Arsisaka (s. d.) zu liegen kam, ist kaum auf Grund irgend einer bestimmten Nachricht geschehen und muss als ein blosser Zufall angesehen werden. Macht man den Versuch, die ptolemaeische Entfernung von 286 Km. auf der Karte abzumessen, so gelangt man damit von der Mündung des Sefîd-Rûd entweder bis südöstlich von Bîğâr, der Hauptstadt der Provinz Gärrûs, dem ptolemaeischen Alisdaka (s. d.), an den Talvâr-Fluss (s. o.), nicht weit von dessen Quelle, der sehr wohl als die obere, südliche Fortsetzung des von Süden nach Norden gerichteten Teiles des Qyzyl-Ûzän-Laufes gedacht worden sein könnte; oder man kommt nördlich von Bîğâr an den Qyzyl-Ûzän selber, ein wenig westlich von der Stelle, wo die Strasse von Ekbatana (Hämädân) nach Ganzaka (Takht i Suleimân), der Hauptstadt von Media Atropatene, ihn überschreitet. Geht man noch nördlicher, so erreicht man die Gegend um Ganzaka, ein Gebiet, das sich durch die grosse Menge seiner teils nach Osten zum Qyzyl-Ûzän, teils nach Westen zum Ğaghatû fliessenden Wasserläufe auszeichnet (s. die oben angeführten Karten von Schindler in Jahrb. Geolog. Reichsanst. Wien XXXI und Ztschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Berlin XVIII), wo entfernter Wohnende also recht wohl die Quelle des Hauptstromes des Landes vermuten konnten. Alle drei Möglichkeiten zeigen, wie man sieht, dass die von Ptolemaios überlieferte Angabe des Patrokles jedenfalls auf einer Vorstellung von dem Anfangspunkt des Flusslaufes beruhte, die an thatsächliche geographische Verhältnisse anknüpfte. Auch für die von Ptolemaios behauptete Verbindung zwischen dem A. und dem Urmia-See (ἡ Μαργιανὴ λίμνη) lassen sich unschwer die Thatsachen nachweisen, die zu dieser falschen Annahme geführt haben. Der bedeutendste Nebenfluss des Qyzyl-Ûzän, der Karangû (s. o.), der auf der grössten Strecke seines Laufes von Westsüdwesten nach Ostnordosten strömt, hat seine Quellen am Südabhange des Sähänd-Gebirges. Die westlichste derselben ist nur durch einen schmalen Bergrücken von der östlichsten Quelle des Murdî-Čai ,Murdî-Flusses‘ (so genannt nach dem Dorfe Murdî südöstlich von Märâghä) getrennt. Dieses letzteren Lauf ist anfänglich gegen Süden und Südwesten gerichtet, wendet sich aber dann nach Westsüdwesten, endlich nach Nordwesten in den See. Die Westsüdweststrecke seines Laufes liegt aber genau in der westlichen Verlängerung des Karangû. Dieser Umstand in Verbindung mit der Nähe der Quellen hat offenbar dazu geführt, dass Karangû und Murdî-Čai für einen Fluss gehalten worden sind, der aus dem See zum Qyzyl-Ûzän (Amardos) fliesse oder auch umgekehrt, wie ein durch Bifurcation entstandener Arm dieses letzteren, und so eine Verbindung zwischen beiden herstelle; s. hierzu Khanikof and H. Kiepert Map of Aderbeijan 1862. Wenn Forbiger (Handb. II 588) jedoch den A. nach Ptolemaios aus ‚zwei Quellen auf dem Zagrus‘ entspringen lässt, so fehlt dafür jeder Anhaltspunkt. Hinsichtlich der Mündung des A., die ein besonderes Interesse deswegen beansprucht, weil sie der Ausgangspunkt des für die Kenntnis
[1740] der Alten vom kaspischen Meere so wichtigen Stadiasmus des Patrokles gewesen ist (s. o.), muss auf die Möglichkeit hingewiesen werden, dass nicht die eigentliche Mündung ihm als solche gegolten habe, sondern die zur Aufnahme von Schiffen so geeignete Lagune von Änzälî (Enzeli), in die sich auch ein Arm des Sefîd-Rûd ergiesst. Aber gleichviel welcher von diesen beiden Küsteneinschnitten die patrokleische A.-Mündung gewesen sein mag, so hat Ptolemaios, oder schon Marinos von Tyros, bei der Eintragung derselben in seine Karte einen groben Missgriff begangen, indem er sie in ein ganz unrichtiges Verhältnis zu den Positionen des Binnenlandes brachte, für die die grosse Heerstrasse von Westen nach Osten die Grundlinie bildete. Er hat den Längenabstand zwischen der A.-Mündung und Rhaga-Europos (s. d.), jetzt Šâh Abd-ul-ᶜAzîm bei Tährân, zu 7° 10' angenommen, also im besten Falle, wenn die A.-Mündung der Lagune von Änzälî gleichgesetzt wird, um fast 3mal zu gross, sonst aber, falls die wirkliche Sefîd-Rûd-Mündung gemeint war, um nahezu 42/3mal zu gross. Dadurch liegt bei ihm die A.-Mündung 11/2° westlich von Ekbatana (88°; Hämädân 48° 16' östl. Länge Greenw., St. John), anstatt 11/2° (Hämädân-Änzälî) oder 21/2° (Hämädân-Sefid-Rûd-Mündung) östlich davon (beides in ptolemaeischen Längengraden, denen in der A.-Mündung, 500·cos. 41° 30' = 500·0,749 = 374,5 Stadien oder 69 Km. entsprechen). Mit der A.-Mündung müssen aber auch die übrigen aus dem Periplus des Patrokles entnommenen Stationen an der Küste des kaspischen Meeres um denselben Betrag nach Westen gerückt worden sein. Bei jedem methodischen Versuch, dieselben zu localisieren, werden daher die angegebenen Positionen zunächst ausschliesslich als von der A.-Mündung an zu rechnende Distanzangaben zu betrachten sein, die längs der Uferlinie abzumessen sind und die, je nach der Richtung derselben, die Länge oder die Breite der betreffenden Orte ergeben, während die andere Coordinate durch die Küstenlinie selbst geliefert wird. Ob die ursprüngliche Entfernungsangabe von Ptolemaios oder Marinos von Tyros willkürlich, zur Erzielung irgend einer Übereinstimmung, verändert worden ist, oder ob in ihr schon von Anfang an ein Schätzungsfehler steckte, muss die Betrachtung eines jeden einzelnen Falles lehren (s. auch unter Akola u. Alikadra). Die Identificierung des A. mit dem Sefîd-Rûd oder Qyzyl-Ûzän ist seit d’Anville (Géographie ancienne abrégée, in Oeuvres II 459. 464) allgemein anerkannt; vgl. z. B. Mannert (Geogr. d. Griech. u. Röm. V 2, 93). Ritter (Erdk. v. Asien VIII 615). Forbiger (Handb. d. alt. Geogr. II 588). H. Rawlinson (Journ. Roy. Geogr. Soc. London X 64). C. Müller (Geogr. gr. min. II 150). F. Justi (Beitrage z. alt. Geogr. Persiens I 23). Spiegel (Erânische Altertumskunde I 75, 1). Roesler (S.-Ber. Akad. Wien LXXIV 1873, 194). H. Kiepert (Lehrb. d. alt. Geogr. 67). K. J. Neumann (Herm. XIX 171).