RE:Asklepiodotos 10

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verfasser einer Taktikschrift
Band II,2 (1896) S. 1637 (IA)–1641
Asklepiodotos (Militärschriftsteller) in der Wikipedia
GND: 119487969
Asklepiodotos in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register II,2 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|II,2|1637|1641|Asklepiodotos 10|[[REAutor]]|RE:Asklepiodotos 10}}        

10) Unter dem Titel Ἀσκληπιοδότου φιλοσόφου τακτικὰ κεφάλαια ist einzig in der bekannten Taktikerhs. Laur. 55, 4 (alle übrigen bekannten Hss. sind unmittelbare oder mittelbare Abschriften; vgl. Haase De milit. script. edit. instit., Berol. 1847, 27ff. 32ff. Köchly De scriptor. milit. graec. cod. Bernensi diss. Tur. 1854; Kriegsschriftst. II 1, 128f. K. K. Müller Festschrift f. L. Urlichs, Würzbg. 1880, 106ff.; Festgabe z. 3. Säcularf. d. Univ. Würzburg v. Gramich, Haupt, Müller [1638] 1882, 30ff.) eine Schrift erhalten, von der sonst nirgends eine Erwähnung vorliegt. Die kurze (vgl. XII 10 αὗται διὰ βραχέων αἱ τοῦ τακτικοῦ καθηγήσεις), nur aus 12 Kapiteln bestehende Schrift behandelt in trockener, grundrissartiger Form, auf der Grundlage mathematischer Verhältnisse und festbestimmter Schemata die Elementartaktik der Hoplitenphalanx der hellenistischen Zeit. Ohne jede geschichtliche Einleitung, wie sie Aelian und nach ihm Arrian vorausschicken, wird gleich auf die Sache eingegangen und der Stoff mit dürren Worten, in einfachen Sätzen, ohne Ausschmückung, ohne Einfügung von Beispielen lehrhaft abgehandelt. So bietet die Schrift keine äusseren Anhaltspunkte für die Bestimmung der Zeit ihrer Entstehung und ihres Verfassers, sowie ihrer Quellen. Eine Vergleichung derselben jedoch mit den übrigen taktischen Werken zeigt deutlich, dass sie von Aelian (s. d. Nr. 10) benützt worden ist. Sie ist also vor dem 2. Jhdt. n. Chr. abgefasst und somit die älteste der uns erhaltenen taktischen Schriften. Merkwürdigerweise aber nennt Aelian, der im ersten Kapitel und auch sonst gelegentlich seine Gewährsmänner anführt, nirgends den A., der doch eine Hauptquelle für ihn war. Bei dem hohen Alter des Laur. (10./11. Jhdt.) und der Güte der Überlieferung, welche er aufweist, liegt zunächst kein Grund vor, an der Richtigkeit der Titelangabe zu zweifeln, trotz des Fehlens jeder andern Beglaubigung. Allein die eben erwähnte Thatsache fordert eine Erklärung. Eine solche ist auf doppelte Art möglich: entweder Aelian begreift A. mit unter die ἄλλοι τε πλείονες... οἷς πᾶσιν ἐγκυρήσας ἀπειρόκαλον ἡγοῦμαι πάντων μεμνῆσθαι (I 2), vielleicht eben um die Aufmerksamkeit davon abzulenken, dass er ihn so stark benutzt hat; oder A. steht zu der uns unter seinem Namen überlieferten Schrift in einem besonderen Verhältnis, das ursprünglich wohl bekannt, in der weiteren Überlieferung verdunkelt wurde. Und hiefür finden sich allerdings Anhaltspunkte. Der Verfasser wird in der Überschrift als (φιλόσοφος bezeichnet. Nun nennt Seneca einen A. als auditor Posidonii, und zwar in einer Weise, als ob A. das Mittelglied sei, durch welches die Ansichten des Poseidonios überliefert worden (nat. quaest. II 26, 6: A. auditor Posidonii tradidit; VI 17, 3: apud A. invenies auditorem Posidonii; vgl. II 30, 1: Quidam inter quos A. est iudicant; V 15, 1: A. auctor est; VI 22, 2: A. tradit). Auf der andern Seite sagt Aelian I 2 ὁ δὲ στωικὸς Ποσειδώνιος καὶ τέχνην τακτικὴν ἔγραψεν, das einzige Zeugnis für Poseidonios Taktik, denn Arrian I 2 geht auf Aelian zurück. Es liegt also die Vermutung nahe, dass, wie in andern Fällen, so auch Schriften des Poseidonios durch einen Mann Namens A. weitere Verbreitung gefunden haben, sei es, dass er sie herausgegeben, sei es, dass er sie bearbeitet hat. Nehmen wir dieses Verhältnis auch für die Taktik an, so würde A. nur als der Vermittler der Schrift seines Lehrers an die Nachwelt anzusehen sein (vgl. Diels Doxogr. 19. 225; Abh. Akad. Berlin 1885, 9. Rusch De Posidonio Lucreti Cari auct., Gryphisw. 1882, 18. 48. Schmekel 14, 5. Susemihl I 138. II 244. Osann Ztschr. f. d. Altertumswiss. XI 1853, 311ff. Köchly Diss. de libris tact. qui Arr. [1639] et Ael. fer. suppl., Tur. 1852, 11 = Opusc. acad. I; Kriegsschriftst. II 1, 74ff.). Die Kenntnis des wahren Verhältnisses verlor sich im Laufe der Zeit, es entstanden Zweifel bezüglich des Anteils, welchen A. an den aus dem Nachlass des Poseidonios von ihm herausgegebenen Schriften hatte, und die einen schrieben sie dem Poseidonios, die andern A. zu. Vielleicht kam dies ursprünglich auch im Titel zum Ausdruck (etwa Ἀσκληπιοδότου φιλοσόφου ἐκ τῶν Ποσειδωνίου [oder Ἀ. φ. ἤτοι Π.] τακτικὰ κεφάλαια), und der Laur. hat nur mehr einen Teil des alten Titels erhalten. Die Beschaffenheit des Werkes selbst, wie sie oben geschildert wurde, passt vollkommen zu der Erklärung, dass wir darin den kurzen Abriss vor uns haben, den Poseidonios seinen Vorlesungen zu Grunde legte, und den er beim Sprechen des weiteren ausführte. Auch die zeitlichen Verhältnisse stimmen völlig dazu: Aelian zu Anfang des 2. Jhdts. n. Chr.; Seneca 4 v. Chr. bis 65 n. Chr.; Poseidonios 135–51 oder nach anderer Annahme 130–46 v. Chr. Dass die Philosophen schon frühzeitig auch über Taktik gehandelt haben, ist bekannt, und dass Poseidonios – abgesehen von dem bestimmten Zeugnisse Aelians – dies ebenfalls gethan, ist nach den Auseinandersetzungen von Seneca (ep. 88, 21ff. 90, 7ff.), dass Poseidonios alle Künste auf die Philosophie zurückführte, vollkommen glaubhaft.

Auch andere Schriften des Poseidonios sind ja durch Schüler verbreitet worden, vgl. Diog. Laert. VII 41 Παναίτιος δὲ καὶ Ποσειδώνιος ἀπὸ τῶν φυσικῶν ἄρχονται, καθά φησι Φανίας ὁ Ποσειδωνίου γνώριμος ἐν τῷ πρώτῳ τῶν Ποσειδωνείων σχολῶν.

Der ebenfalls nahe liegende Hinweis auf Geminos (vgl. Simplic. ad Aristot phys. f. 64v 34 = p. 291, 21 Diels Ὁ δὲ Ἀλέξανδρος φιλοπόνως λέξιν τινὰ τοῦ Γεμίνου παρατίθησιν ἐκ τῆς ἐπιτομῆς [ἐπιτομῇ Blass] τῶν Ποσειδωνίου Μετεωρολογικῶν [τῆς add. Diels] ἐξηγήσεως und f. 65r 9 = p. 292, 29 οὕτως μὲν οὖν καὶ ὁ Γέμινος ἤτοι ὁ παρὰ Γεμίνῳ Ποσειδώνιος. Priscian. Lyd. p. 42, 10 Bywater = p. 553 Dübner, ed. Plotin.: ex commento Gemini Posidonii de Μετεωρων) muss allerdings abgewiesen werden. Denn einmal beruht die Annahme der Schülerschaft des Geminos auf blosser Vermutung, und es steht nur fest, dass derselbe vor Alexander von Aphrodisias, also vor dem Ende des 2. Jhdts. n. Chr. gelebt hat, sodann hat Blass (De Gemino et Posidonio, Kiel 1883) gezeigt, dass auch aus anderen Gründen Geminos nicht wohl als Schüler von Poseidonios gelten kann (vgl. auch Heiberg Philol. XLIII 1884, 494. Schmekel 14, 5. Manitius Commentat. Fleckeisen. 95ff. Cantor Gesch. d. Math.² I 378ff.; Ztschr. f. Math. Hist.-litt. Abtl. XXXVI 1891, 96f. M. C. P. Schmidt Philol. Wochenschr. III 1883, 833ff.; Philol. XLII 1883, 82ff. XLV 1886, 63ff. 278ff. Tannéry Bull. d. sciences math. 2. Sér. IX 1885, I 283ff. = La géométrie grecque 29ff. Susemihl I 615. 762. II 139. Diels Doxogr. 19. Bake 59f. 242. Müller FHG III 248. Müllenhoff Deutsche Altertumsk. II 174. Corssen De Posidonio Rhodio, Bonn 1878, 42. Schühlein 69. Malchin De auctorib. quibusd. qui Pos. libros meteorol. adhibuerunt, Rost. 1893. Boll Jahrb. f. Philol. Suppl. XXI 1894, 213f.). [1640]

Über die Persönlichkeit des A. wissen wir nur, was oben angeführt ist. Doch liegt es nahe, mit Gomperz (Jen. Litteraturztg. II 1875, 605), Diels und Susemihl auf um die leider verstümmelte Stelle des von Comparetti aus einem herculanensischen Papyrus herausgegebenen Index Stoicorum des Philodemos zu beziehen, Col. 73 Ἀσκληπιόδοτος Ἀ[σ]κληπιδότου Νικαιεὺς ὃς καὶ αὐ / . . . . . (Riv. di filol. III 1875, 543). Der hier genannte A. steht allerdings unter den Schülern des Panaitios, aber Comparetti denkt auf Grund von Buchstabenresten an eine Ergänzung wie ὃς καὶ αὐ[τὸς Π]ο[σειδωνίου διήκουσεν], Die Möglichkeit, dass A. zuerst Schüler von Panaitios (gest. 110/109 v. Chr.) und dann von Poseidonios war, ist ja zuzugeben. Allerdings müsste er dann ziemlich gleichaltrig mit seinem Lehrer Poseidonios gewesen und sehr alt geworden sein. Denn Poseidonios starb (wenigstens nach Luc. Macrob. 20) 84 Jahre alt 51/46 v. Chr. A. müsste nun den Panaitios doch einige Zeit gehört haben, um unter seine Schüler gerechnet werden zu können; bei dessen Tode müsste er also doch wenigstens 18 Jahre alt gewesen sein. Er wäre demnach mindestens 77 oder 82 Jahre alt geworden; wenn man nicht annehmen will, dass er die Schriften seines Lehrers schon bei dessen Lebzeiten, etwa in dessen Auftrag, herausgegeben habe, eine Annahme, die bei dem schreibgewandten Poseidonios etwas ferne liegt. Wohl aus diesem Grunde hat Zeller 569 den im Ind. Herc. angeführten A. von dem Schüler des Poseidonios getrennt.

Die Frage nach den Quellen unserer Schrift ist, bei dem Mangel jeder Angabe hierüber und bei dem Fehlen früherer Werke, nicht leicht zu beantworten. Sehr nahe liegt es, besonders bei den bekannten sonstigen Beziehungen des Poseidonios zu Polybios, an Benützung der Taktik des letzteren zu denken. Vermutlich werden auch ältere von den bei Aelian (Arr.) I 2 aufgeführten Werken benützt sein, vielleicht auch, wie Lammert vermutet, die jedenfalls vorhandenen ,Exercierreglements‘ aus makedonischer Zeit. Der Grund, welchen Bauer (425, 1, vgl. übrigens 450, 2) gegen die Benützung von Polybios durch die späteren Taktiker anführt (Ersatz der Bezeichnung στίχος durch λόχος), ist nicht ausschlaggebend. Vor allem der Ausdruck συζυγοῦντας καὶ συστοιχοῦντας (Polyb. X 23, 7) ist nicht beweisend für seine Annahme, denn 1) werden diese Verhältnisse auch von A., Aelian und Arrian durchaus ebenso mit ζυγεῖν und στοιχεῖν bezeichnet, da ein entsprechender von λόχος gebildeter Ausdruck nicht vorhanden ist; 2) gebrauchen die Späteren, allerdings seltener, neben λόχος auch στίχος zur Bezeichnung der gleichen Sache (vgl. z. B. Asklep. II 2 ἐκαλεῖτο δὲ ὁ λόχος πάλαι καὶ στίχος. X 13 ἐξελιγμὸς δὲ ἢ κατὰ στοῖχον ἢ κατὰ ζυγὸν . . . ἤτοι κατὰ ζυγὸν . . . ἢ κατὰ στοῖχον . . . 14 ἤτοι κατὰ στοῖχον ἢ κατὰ ζυγὸν . . . 15 ἢ κατὰ λόχον ἢ κατὰ ζυγὸν . . . Ael. XXVIII 1 ὁ μὲν οὖν κατὰ στίχον ἐξελιγμὸς [Arr. ὁ μὲν κατὰ στίχους ἐ.]. XXVII 1 ἐξελιγμῶν δέ ἐστι γένη δύο τὸ μὲν κατὰ λόχους [Arr. ἐ. δὲ διτταὶ ἰδέαι, ἡ μὲν κ. λ.]) Die späteren Taktiker haben eben offenbar den mit der Zeit veränderten Verhältnissen Rechnung tragend vorwiegend die Ausdrücke späterer Zeit verwendet. Derartige Fragen werden mit einiger Sicherheit [1641] erst entschieden werden können, wenn die einzelnen taktischen Ausdrücke in ihrer Entwicklung durch die gesamte Litteratur unter steter Berücksichtigung der jeweils zu Grunde liegenden Quellen genau verfolgt sind (wozu ein Anfang gemacht ist von Myska De antiquiorum historicorum graecorum vocabulis ad rem militarem pertinentibus, Regim. 1886. Lindauer De Polybii vocabulis militaribus, Münch. 1889).

Die Wertschätzung der Schrift hängt von der Beantwortung der Quellenfrage ab. Ausserdem muss beachtet werden, dass der Verfasser nicht als Fachmann, sondern von theoretischem Standpunkte aus den Stoff behandelt; Missverständnisse und künstliche Deutungen sind also nicht ausgeschlossen. Ferner darf nicht vergessen werden, dass auch in neuerer Zeit noch gar manches auf dem Exercierplatze geübt, darum auch in Büchern besprochen wurde, an dessen Ausführung auf dem Schlachtfelde wohl niemand gedacht hat.

Litteratur: Einzige Ausgabe in Griech. Kriegsschriftsteller. Griech. u. deutsch m. krit. u. erklär. Anmerk. v. H. Köchly u. W. Rüstow II 1, Lpzg. 1855 (ohne Benützung des Laur., nur auf Grund von Abschriften); Anmerk. II 2, 239ff. Kap. I und II in Mai Spicil. Vatic. IV 578ff., Rom 1840 (nach einer Abschrift des Laur.). Kap. I und XI in Köchly Diss. de libr. tact. qui Arr. et Ael. fer. suppl., Tur. 1852, 15ff. 33f. = Opusc. acad. I. Rüstow und Köchly Gesch. d. griech. Kriegswesens 104ff. 235ff. R. Förster Herm. XII 1877, 431ff. Haase Jahrb. f. Philol. XIV 1835, 115; Encyclop. v. Ersch u. Gruber III 21, 427ff. Bauer in Müllers Handb. d. kl. Altertumswiss. IV 1² S. 279f. 287. 422. 425. 450. Droysen in Hermanns Lehrb. d. griech. Ant. II 2, 35ff. Jahns Handb. einer Gesch. d. Kriegswes. Techn. Tl. 117ff.; Gesch. d. Kriegswiss. I 5ff. 67f. 130ff. Lammert Polybios u. d. röm. Taktik, Lpz. 1889, 11ff. Sérignan La phalange, Etude philol. et tact. s. les formations d’armées d. Grecs, Par. 1880. Serre Études s. l’hist. milit. d. Grecs et d. Romains, Par. 1888, 216ff. Dodge Alexander, Boston 1890, 65ff. 134ff Delbrück D. Perserkriege u. d. Burgunderkriege, Berl. 1887, 305ff.; Herm. XXI 1886, 83ff. Schneider Berl. philol. Wochenschr. VI 1886, 609ff.; Legion u. Phalanx, Berl. 1893, 70ff. Susemihl Gesch. d. griech. Litt. II 128ff. 244f. Schmekel D. Philos. d. mittleren Stoa 9ff. Zeller D. Philos. d. Griech.³ III 1, 569ff. Bake Posidonii Rh. reliquiae, Lugd. Bat. 1810, 21. 252. Müller FHG III 249. Toepelmann De Posidonio Rhodio, Bonn 1867, 35. Scheppig De Posidonio Apamensi, Hal. Sax. 1869, 7. Schühlein Stud. zu Posidonius Rh. Freising 1886, 68; in Posid. Rh. Freis. 1891.