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RE:Callistratus

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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römischer Jurist im 2./3. Jh.
Band S III (1918) S. 225229
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Callistratus, römischer Jurist um die Wende des 2. und 3. Jhdts.

I. Lebenszeit.

Über die Lebenszeit des C. geben nur spärliche Anhaltspunkte in den Exzerpten aus seinen Schriften, soweit sie uns in den Digesten erhalten sind, Auskunft und zwar sind es – da er niemals von anderen Juristen zitiert wird und selbst nur wenige Juristen (bis zu Iulianus) zitiert – allein die Kaiserbezeichnungen, die auf die Regierungen von Septimius Severus und Caracalla als die Entstehungszeit seiner Schriften hinweisen. Man wird also nicht fehlgehen, wenn man sein Geburtsdatum zwischen 160 und 170 liegend annimmt. Die einzige nicht juristische Quelle, die seinen Namen erwähnt, Lampridius (vita Alexandri c. 68), kann schon aus dem Grunde keine historische Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen, weil sie ihn mit Pomponius, Celsus, Proculus und Alfenus Varus als Schüler des Papinianus in den Rat des Kaisers Alexander Severus versetzt.

II. Heimat.

Auch über die Heimat und den Aufenthaltsort des C. weiß man nichts Sicheres. Sein Name deutet darauf hin, daß er aus dem griechischen Kulturkreise stammte. Daß er jedenfalls in einer Provinzialstadt lebte, beweist der Ausdruck in Dig. L 6, 6 (5) pr. civitas nostra; ein Hinweis auf irgend eine bestimmte Stadt findet sich aber in den erhaltenen Stellen nirgends vor. [226] Kalb (Roms Juristen [1890] 121) will – im Anklange in die Stelle Dig. L 15, 1 pr., wo Ulpianus seine Heimatstadt nennt – in Dig. XXVII 1, 17, 1 Ilion als die Vaterstadt des C. ansehen. Warum aber Bremer (Die Rechtslehrer und Rechtsschulen im Römischen Kaiserreich [1868] 98) gerade auf Cäsarea in Kappadokien kommt, ist nicht recht einzusehen. Sehr oft berücksichtigt C. provinziale Verhältnisse und Magistraturen, so wird auch insbesondere daraus, daß er öfters Rechtsverhältnisse aus dem Seeverkehre behandelt, geschlossen, daß er in einer Seestadt oder einem Emporium lebte (Bremer 98). Auch scheinen manche Stellen in seinen Quästionen, so insbesondere Dig. XXII 4, 5 (daß eine Tatsache auch ohne Beurkundung als wahr anzusehen sei) und Dig. XL 12, 37 (daß es keine Freilassung durch private Vereinbarung gebe) gegen griechische Anschauungen gerichtet zu sein. Aus seinem Aufenthalte im Osten des Reiches läßt sich auch am besten erklären, daß er von den späteren Juristen nie zitiert wird.

III. Sprache und Stil.

Die Sprache des C. ist ein ziemlich barbarisches Latein, was Mommsen (Die Kaiserbezeichnung bei d. römischen Juristen. Ztschr. f. Rechtsgesch. IX [1870] 104 = Jur. Schr. II 161) zu der Bemerkung veranlaßt, daß C. als Halbgrieche das Lateinische nur gestammelt habe (als Kuriosum sei der Ausspruch von Jenichen [De Callistrato [1742] ] erwähnt, der die pura castigataque oratio hervorhebt). Über die besonderen Eigentümlichkeiten seiner Sprache vgl. insbesondere Kalb (a. a. O. 118–121). Seine Vorliebe für das Griechische zeigt sich in den erhaltenen Fragmenten darin, daß wir an drei Stellen Kaiserkonstitutionen in griechischer Sprache (Dig. VIII 3, 16. L 6, 6 (5), 2. L 6, 6 (5), 6) und einmal ein längeres Zitat aus Platons Πολιτεία im Urtexte (Dig. L 11, 2) vorfinden. Der Stil des C. ist im allgemeinen einfach, nur in Dig. L 16, 220, 3 wird seine Ausdrucksweise phrasenhaft.

IV. Die einzelnen Schriften.

a) Werke vorwiegend privatrechtlichen Inhalts.

1. Ad edictum monitorium libri VI. Der Titel dieses Werkes ist uns nicht einheitlich überliefert. Im Index Florentinus heißt er edicton monitorion βιβλία ἕξ, in den Rubriken im Texte der Digesten in Dig. II 6, 2: l. 1. ad edictum monitorium, sonst immer l. … edicti monitorii. Es scheint, daß die Kompilatoren die Bedeutung des Titels dieses Werkes nicht verstanden haben. In Bezug auf die grammatikalische Zusammengehörigkeit dieser Worte bereitet die Frage einige Schwierigkeiten, ob monitorium ein Adjektiv oder ein Substantiv ist, nämlich ob wir hier einen Kommentar zu dem ‚mahnenden‘ Edikt oder ein ‚Merkbuch‘ zum Edikt vor uns haben; die erstere Ansicht, die früher die allein herrschende war, kann jetzt den überzeugenden Gegengründen, die zuerst Pernice (Miscellanea zu Rechtsgeschichte und Texteskritik [1870] II. Edictum breve und monitorium 89) vorgebracht hat, nicht standhalten.

Die Vertreter der ersten Ansicht sind darüber, was unter einem edictum monitorium zu verstehen sei, nicht einig. Es soll dies bald eine Zusammenstellung von mahnenden magistratischen Erlassen [227] sein, die mit der Iurisdiktion nichts zu tun haben (Brissonius De formulis [1592] III 276, anknüpfend an Literaturstellen, die von monere sprechen), bald eine solche von einigen milden Klauseln, die der Prätor in das Edikt inserierte, um die Parteien vor der Prozeßgefahr zu schützen (Haubold De edictis monitoriis ac brevibus [1804]), bald die Summe der späteren Zusätze zum Iulianischen Edikt, gleichbedeutend mit den novae clausulae (Rudorff Röm. Rechtsgesch. [1857] I 149. 269. Cuq Le Conseil des empereurs d’Auguste à Dioclétien [1884] 332, 4. Glasson Etude sur Gaius etz.² [1885] 315), bald eine solche der Zusätze zum republikanischen Edikt (Kuntze Cursus des römischen Rechts [1869] 220), bald die Interpretation des Edictum perpetuum, wobei besonders dessen mahnender Charakter hervorgehoben sei (Rudorff in Abänderung des oben Gesagten: Über die Iulianische Ediktsredaktion. Ztschr. f. Rechtsgesch. III [1864] 7. 20. 28f.), bald ein Sammelname für administrative Akte betreffend die Polizei oder die Ausführung der Gesetze (Kalindéro Droit prétorien et réponses des prudents [1885] 97), bald eine Sammlung von Mahnungen und Ratschlägen für die Prozeßführung, entnommen dem Edictum perpetuum oder dessen späteren Zusätzen (Buonamici Archivio giuridico LXV [1900] 66).

Demgegenüber zeigt die Lehre von Pernice, daß wir hier einen Ediktskommentar vor uns haben und zwar wie Lenel (Palingenesia I 96, 4) mit Recht vermutet, einen solchen zum provinzialen Edikt (wie bei Gaius), der infolge seines geringen Umfanges (6 Bücher gegen 32 des Gaius, ganz abgesehen von den großen Kommentaren zum städtischen Edikt) den Titel monitorium ‚Merkbuch‘ trägt. Wie aus den Arbeiten Lenels im ‚Edictum perpetuum‘ und in der Palingenesie zu ersehen ist, sind in den erhaltenen Stellen die verschiedensten Partien des Edikts, keineswegs bloß solche mit ganz besonderem Charakter, kommentiert. Der Wortlaut des Edikts selbst ist uns wohl aus dem Grunde bei C. nicht erhalten, weil ihn die Kompilatoren den großen Kommentaren entnahmen. Schließlich spricht gegen die Annahme von der Existenz eines edictum monitorium noch der Umstand, daß sich dieser Ausdruck sonst nirgends in der römischen Rechtssprache vorfindet. Der Titel des Werkes, der sicher verderbt ist, ist wohl mit Pernice (a. a. O. 103) am besten griechisch dem Index Florentinus entsprechend edicton (ω) monitorion (ο) zu lesen (edicta = Ediktsbestimmungen), lateinisch ad edictum monitorii libri VI oder edicti monitorium.

Über die Entstehungszeit dieses Werkes haben wir keine Anhaltspunkte. Die Reste sind uns in 21 Digestenfragmenten erhalten. Die Einteilung ist nach Lenels Palingenesie folgende: Die Fragmente aus dem 1. Buche reichen bis zum § 41 des Edikts, die aus dem 2. Buche von § 44*)[1] bis § 60, die aus dem 3. Buche von § 121 bis § 173, aus dem 4. Buche ist nur eine Stelle erhalten, [228] die systematisch zum Titel XVI § 94 des Ediktes (nach Lenel) gehört; da aber Gaius in seinem Kommentar zum Provinzialedikte diesen Titel nach dem Titel De legatis (Edikt nach Lenel XXVII §§ 169–173) behandelt, so ist dieser Parallelismus ein gewichtiges Indiz dafür, daß auch C. das Provinzialedikt kommentiert hat. Aus dem 5. und 6. Buche ist nichts erhalten. Von Zitaten finden sich in den erhaltenen Stellen nur einmal ein Reskript des Kaisers Antoninus Pius und zweimal Erwähnungen des Labeo (Dig. IV 4, 45 pr. IV 6, 9) vor.

2. Institutionum libri III. Auf die Entstehungszeit dieses Werkes lassen sich aus den erhaltenen 5 Stellen keine Schlüsse ziehen. Über das System vgl. Art. Institutiones. Zitate finden sich nicht vor.

3. Quaestionum libri II. Die Abfassung dieses Werkes fällt nach Dig. I 3, 38 in die Regierungszeit des Kaisers Septimius Severus und zwar – wie aus Dig. XLVIII 10, 15, 1 geschlossen wird – unter seine Alleinregierung. Eine Ordnung der Materien läßt sich aus dem Grunde, weil die Arbeit nur zwei Bücher hat, nicht mehr feststellen; soviel wir aus den erhaltenen 18 Fragmenten – darunter auch einigen ziemlich umfangreichen – sehen, wurden hier Rechtsfragen, hauptsächlich aus dem Privatrechte, aber auch aus dem Prozeß- und dem Strafrechte (Dig. XLVIII 19, 35), kasuistisch behandelt; das beste Beispiel hiefür bietet uns Dig. XIV 2, 4, wo offenbar die Besprechung des Falles vollständig erhalten ist. Mit Vorliebe belegt C. seine Ansicht mit einem autoritären Spruch; so finden sich 8 Kaisererlasse von namentlich genannten Kaisern vor, 2mal ist auf mandata principalia oder constitutiones principales im allgemeinen verwiesen und 4mal sind Senatsschlüsse herangezogen. Von Juristen finden wir nur 2mal Sabinus (Dig. XIV 2, 4 pr. § 1) und 2mal Papirius Fronto (Dig. XIV 2, 4, 2. L 16, 220, 1) – nach Fitting auf Grund unmittelbarer Benützung – zitiert.

b) Werke vorwiegend öffentlich rechtlichen Inhalts.

4. De cognitionibus libri VI; abgefaßt unter Severus und Antoninus Caracalla (Dig. I 19, 3, 2. L 2, 11. L 4, 14, 4). Von dieser Schrift sind uns 48 Stellen erhalten, außerdem versetzt Lenel noch eine Stelle, die uns in den Basiliken (LX 54, 19) mit dem Namen des C. erhalten ist und an das Ende des Digesten-Titels XLVIII 22 gestellt wird, in das 6. Buch des C. Der Zweck dieses Werkes, das die erste systematische Darstellung der extraordinaria cognitio ist, war, den Richtern im Zivil- und Strafverfahren bei den cognitiones (s. den Art.) an die Hand zu gehen, diese Schrift war also wohl hauptsächlich für deren Nachwuchs, die adsessores (vgl. Dig. I 22, 1), berechnet (Bremer 40); so finden sich auch äußere Verhaltungsmaßregeln für Beamte vor (Dig. I 18, 19). Die Vorliebe der Kompilatoren Iustinians für eine Systematik, welcher wir so viele andere Einteilungen verdanken, hat uns auch die Disposition dieser Schrift erhalten; nach Dig. L 13, 5 pr. werden die cognitiones bei C. folgendermaßen eingeteilt:

  • 1) de honoribus sive muneribus gerendis (l. I),
  • 2) de re pecuniaria (l. II–IV),[229]
  • 3) de existimatione alicuius (l. I),
  • 4) de capitali crimine (l. IV–VI).

4 Stellen aus dem 1. Buche werden von Lenel (Palingenesie) als Einleitung zu dem Werke unter der Rubrik De officio ius reddentis (vgl. Dig. I 18, 19) vorangestellt. In dieser Schrift zeigt sich die Häufigkeit der Kaiserkonstitutionen ganz besonders; es finden sich nicht weniger als 60 mit Nennung des Kaisers angeführt und wiederholt wird auf Kaisererlasse im allgemeinen als Grund der Rechtsanschauung des C. hingewiesen. So besteht z. B. die lange Stelle Dig. XXII 5, 3 nur in ihrem Principium ganz aus (sehr fein differenzierten) Worten des C., während §§ 1–6 a. O. fast nur Kaiserkonstitutionen mit kurzen Erläuterungen des Autors enthalten. Von Juristenzitaten ist uns nur in Dig. V 1, 36, 1 eine Ansicht des Iulianus erhalten; sie ist nach Fitting dem 1. Buche seiner Digesta entnommen.

5. De iure fisci et populi libri IV. Der volle Titel dieses Werkes findet sich nur in Dig. XLVIII 20, 1, sonst heißt es (wie auch im Index Florentinus) De iure fisci. Auch hier haben wir die erste selbständige Schrift ihrer Art vor uns. Die Abfassung dieses Werkes fällt unter Septimius Severus (Dig. XLIX 14, 2, 6). Es sind 7 zum Teil ziemlich lange Stellen erhalten, außerdem wird noch die Stelle Bas. LX 52, 9, die nur mit dem Namen des C. erhalten ist, in die Dig. unter XLVIII 20, 9 gereiht und von Lenel dem 1. Buche des C. zugeteilt. Im 1. Buche findet sich in Dig. XLIX 14, 1 die Grundeinteilung vor, wobei 15 sichere Fälle und 1 strittiger (Labeo gegen das Edikt) aufgezählt werden, ex quibus nuntiatio ad fiscum fieri solet. Weiters behandelt C. im 1. Buche noch allgemeine Fragen, insbesondere solche über die Fristen, im 2. Buche spricht er von den delatores, die ein anzeigepflichtiges Ereignis dem Fiskus mitteilen, im 3. Buche über die einzelnen Fälle, wobei auch solche behandelt sind, die in Dig. XLIX 14, 1 in der Einteilung nicht erhalten sind; vom 4. Buche ist keine Stelle auf uns gekommen. Von Kaiserkonstitutionen finden sich 17 namentlich genannte vor; von Juristen ist nur je einmal Labeo (Dig. XLIX 14, 1, 1 – wie Fitting annimmt, kaum aus erster Hand –) und Iulianus (Dig. XLIX 14, 3 pr.; die bezogene Stelle ist aus dem Buch 83 seiner Digesta, Dig. XXX 103) zitiert.

Literatur

Literatur: Krüger Gesch. d. Quellen und Literat. des röm. Rechts² 225. Kipp Gesch. d. Quellen d. röm. Rechts³ 137. Fitting Alter und Folge d. Schriften röm. Juristen² [1908] 69. Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 737. Teuffel Gesch. d. röm. Literat.⁶ [1913] III 122. Prosopographia imperii Romani [1897] I p. 272. – speziell über den Ediktskommentar des C.: Pernice Miscellanea zu Rechtsgesch. u. Texteskritik [1870]. Karlowa a. a. O. 635. Buonamici Archivio giuridico LXV [1900] 66. Boulard L. Salvius Iulianus, son oeuvre, ses doctrines sur la personnalité juridique [1902] 59.

Nachträge und Berichtigungen

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Band R (1980) S. 74
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Callistratus

Jurist in sever. Zt. S III.

Anmerkungen

  1. *) Diese Paragraphenzahlen, nach der 2. deutschen Auflage des ‚Edictum perpetuum‘ [1907], stimmen mit den in der Palingenesie angegebenen nicht immer überein.