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RE:Eubulides 10. 11

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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att. Bildhauerfamilie im 3./2. Jh. v. Chr.
Band VI,1 (1907) S. 871875
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10. 11) Auf einer beträchtlichen und immer noch wachsenden Anzahl attischer Statuenbasen, die sämtlich aus hymettischem Marmor gefertigt sind, findet sich die Künstlersignatur Εὔχειρ καὶ Εὐβουλίδης Κρωπίδαι (einmal Ἀθηναῖοι, ein andermal ohne Ethnikon) ἐποίησαν. Dem Schriftcharakter nach zerfallen sie in zwei Klassen, eine ältere mit kleinen Buchstaben von relativ einfacher Form (IG II 1640. II 5, 1642 b. Loewy Inschr. gr. Bildh. nr. 135) und eine jüngere mit größeren Buchstaben von geschnörkelter Form mit vielen Apices (IG II 1162. 1386. 1641–1643. Loewy a. O. 223–226). Wenn es eine Zeit lang zweifelhaft sein konnte, ob die Verschiedenheit des Schriftcharakters nicht auch eine Verschiedenheit der Persönlichkeiten involviere, so scheint jetzt der Vergleich mit den drei Inschriften aus der Zeit der Amtsführung der Poliaspriesterin Philotera (IG II 1385. 1386. 1411), die dieselbe Verschiedenheit der Buchstaben zeigen und von denen die zweite die Namen der beiden Künstler enthält, es außer Frage zu stellen, daß wir es stets mit denselben Bildhauern zu tun haben, eine Annahme, für die bereits im J. 1872 G. Hirschfeld Arch. Ztg. XXX 25ff. eingetreten ist. Von den Inschriften der zweiten Klasse ist die eine (IG II 1162. Loewy 223) dadurch datiert, daß sie auf der Basis einer Ehrenstatue des Miltiades von Marathon steht, dem auch das unter dem Archon Phaidrias nach Köhler (IG II 446, vgl. II 2 p. 403) um 150 v. Chr. (153/152 oder 151/149 Ferguson, 155/154 v. Schoeffer, s. Bd. II S. 591) abgefaßte Dekret gilt. Auf einer Anzahl anderer Basen gleichfalls aus hymettischem Marmor findet sich der Name des E. allein mit demselben Demotikon Κρωπίδης und dem Vatersnamen Eucheir. Auch hier zeigt sich dieselbe Verschiedenheit des Schriftcharakters wie auf den Basen mit beiden Künstlernamen. Die älteren Buchstabenformen erscheinen auf den Inschriften IG II 1646. 1646 b (wo als Material irrtümlich pentelischer statt hymettischer Marmor angegeben wird, vgl. Ἐφ. ἀρχ. 1887. 114). Loewy a. O. nr. 228 a. die jüngeren auf den Inschriften IG II 1645. Loewy a. O. nr. 228 (wo der Künstlername auch ohne das Zeugnis des Pausanias I 2, 4 mit absoluter Sicherheit zu ergänzen war) und IG II 1644. Loewy a. O. nr. 229. Hiernach kann nicht bezweifelt werden, daß dieser E. mit dem zweiten und sein Vater Eucheir mit dem ersten der beiden Künstler auf der früher besprochenen Basengruppe identisch ist und daß dort das Verhältnis von Vater und Sohn durch die Reihenfolge der Namen ausgedrückt werden soll. Endlich sind auch noch zwei Basen bekannt, die nur den Namen des [872] Eucheir tragen. Die eine ist in Athen gefunden worden und besteht wiederum aus hymettischem Marmor; die in kleinen ungekünstelten Buchstaben geschriebene Inschrift enthält außer dem Demotikon Κρωπίδης den Namen seines Vaters Eubulides, IG II 1639. Loewy a. O. nr. 134. Die zweite Basis, die die vom Rat geweihte Ehrenstatue eines Dionysodoros trug, befand sich in Megara, wo sie 1868 von Foucart abgeschrieben wurde (bei Le Bas Voyage arch. II 39 a, expl. p. 28. Loewy a. O. nr. 222). Seitdem ist sie verschollen. Das Material ist nach Foucart un marbre gris, die Buchstabenformen sind unbekannt. Die Signatur enthält den Namen Eucheir, ohne Vatersnamen, aber mit dem Ethnikon Ἀθηναῖος. Identität mit dem Εὔχειρ Εὐβουλίδου ist von vornherein sehr wahrscheinlich. Der bisher erörterte Tatbestand ergibt somit das Stemma:

Eubulides I.   (ungewiß, ob Künstler)
|
Eucheir \
| Bildhauer um 150 v. Chr. tätig.
Eubulides II. /

Hiermit hat bereits G. Hirschfeld a. O. 27 die Erwähnung eines E., Sohnes eines Eucheir, in einem delphischen Proxeniendekret aus dem Jahre des delphischen Archon Phainis 191/190 v. Chr. (Wescher-Foucart Inscr. d. Delphes 18, 73. Dittenberger Syll.2 268. 74. Loewy a. O. 542) und in einer ungefähr gleichzeitigen Epimeletenliste aus dem Peiraieus (IG II 952 col. II 28. Loewy a. O. 543) kombiniert. Die fragliche Persönlichkeit heißt dort Εὐβουλίδης Εὐχήρου Ἀθηναῖος, hier Εὐβουλίδης Εὔχειρος Κρωπίδης, wonach an der Identität der Person und ihrer Zugehörigkeit zu der in Rede stehenden Künstlerfamilie füglich nicht gezweifelt werden kann. Dieser delphische Proxenos darf aber aus chronologischen Gründen nur mit dem ersten E., nicht mit dem zweiten gleichgesetzt werden. Denn wer im J. 190 delphischer Proxenos wird, also damals schon ein Mann von Ansehen und einem gewissen Alter ist, kann zwar zur Not im J. 150 selbst noch künstlerisch tätig sein, aber nicht in Gemeinschaft mit seinem Vater. Wir gewinnen also für E. I. als das Datum seiner Akme das J. 190 und wir ersehen, daß auch sein Vater ein Eucheir war, wodurch sich das obige Stemma um eine Generation nach oben hin erweitert. Ob aber dieser erste Eucheir und dieser ältere Eubulides gleichfalls Bildhauer waren, muß zunächst dahingestellt bleiben. Der in einer delphischen Inschrift (Bull. hell. VI 1882, 237 nr. 72) als Hieromnemon erscheinende Εὔ]χειρ Εὐβουλίδ[ου ist sicher der jüngere.

Den ersten Eubulides hat Milchhoefer (Arch. Stud. H. Brunn dargebracht 27) auf eine sehr feinsinnige Weise als Künstler zu erweisen gesucht, indem er die von Plinius XXXIV 88 im zweiten alphabetischen Verzeichnis erwähnte Erzstatue eines digitis computans mit einer an Evidenz grenzenden Wahrscheinlichkeit für das von Cicero (de fin. I 39), Pausanias (I 17, 2) und Diogenes Laertios (VII 182) erwähnte Sitzbild des Chrysippos von Soloi erklärt hat, auf welches Werk er, hierin mit Gercke (Arch. Anz. 1890, 57) zusammentreffend, nicht minder wahrscheinlich die früher Poseidonios genannte Marmorstatue [873] des Louvre, deren Kopf zwar antik, aber nicht zugehörig ist, zurückführt (Clarac 327, 2119. Milchhoefer a. O. 42 Fig. 1). Da nun Chrysippos zwischen den J. 208 und 204 gestorben ist (Bd. III S. 2502), jene Statue aber noch zu seinen Lebzeiten oder bald nach seinem Tode errichtet worden zu sein scheint, so darf die Annahme Milchhoefers, daß der Chrysippos digitis computans ein Werk des älteren E., des delphischen Proxenos, sei, trotz den Einwendungen von Schebelev Quaest. d. hist. Attica, Petropoli 1898, 331ff. einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Hingegen läßt sich der Versuch Milchhoefers, auch die Künstlersignatur von Tanagra (Loewy a. O. 133. IG VII 552, s. o. unter Nr. 9) demselben E. zuzuschreiben, mit dem relativ altertümlichen Charakter ihrer Buchstabenformen kaum in Einklang bringen; vielmehr empfiehlt es sich, wenn überhaupt ein Familienzusammenhang angenommen werden darf, den E. jener Inschrift für den Großvater des delphischen Proxenos und Verfertigers des Chrysippos zu halten, so daß in diesem Geschlecht drei Künstler den Namen E. geführt haben würden.

Zu der Zahl der erhaltenen Inschriften steht die Erwähnung dieser Künstlerfamilie in der Literatur in keinem Verhältnis. Außer jenem Eubulides (I) erwähnt Plinius (XXXIV 91) im dritten alphabetischen Verzeichnis einen Euchir als Verfertiger von Porträtstatuen, was auf den zweiten Eucheir vorzüglich paßt, da die mit seinem Namen erhaltenen Basen ausschließlich Ehrendenkmäler von Männern und Frauen getragen zu haben scheinen. Einen athenischen Bildhauer Eucheir, Sohn des E., nennt auch Pausanias VIII 14, 10 als Verfertiger des aus Marmor gefertigten Kultbildes des Hermes in Pheneos. Nichts hindert, auch hier an den zweiten Eucheir zu denken; da aber auch dessen gleichnamiger Großvater Bildhauer und Sohn eines E. gewesen sein kann, so haben wir mit der Möglichkeit zu rechnen, daß der Hermes vielmehr diesem älteren Eucheir gehört. Endlich beschreibt Pausanias I 2, 5 an der vom Dipylon nach dem Markte führenden Straße in dem ehemaligen Hause des Pulytion, das sich in der hellenistischen und späteren Zeit als Temenos des Dionysos Melpomenos im Besitz der dionysischen Techniten befand, eine Statuengruppe der Athena Paionia, des Zeus, der Mnemnosyne, der Musen und des Apollon, die er, nach dem überlieferten Text, als ἀνάθημα καὶ ἔργον Εὐβουλίδου bezeichnet. In der Gegend, wo man nach dem jetzigen Stand der topographischen Forschung das Haus des Pulytion anzusetzen hat und es auch schon früher, wenngleich nicht ohne Widerspruch, angesetzt hatte, sind zu den Zeiten von L. Ross nicht nur die oben erwähnte Künstlerinschrift des E. aus der jüngeren Gruppe (IG II 1645. Loewy 228), sondern auch ein Marmorkopf und ein weiblicher Torso gefunden worden, die der genannte große Forscher sofort für die Statuengruppe in Anspruch nahm, nur darin irrend, daß er den Kopf mit dem Torso verband (Ross Arch. Aufs. I 193ff. Taf. 12. 13. Brunn-Bruckmann Denkmäler griech.u. röm. Sculpt. nr. 49. Collignon Sculpt. II 621 fig. 327). Kopf und Torso rühren vielmehr von zwei verschiedenen Statuen her, die [874] aber sehr gut Musen dargestellt haben können. Dazu kam noch bei späteren Grabungen ein Athenakopf aus demselben Material und von derselben Arbeit zum Vorschein, der sich als eine flaue Kopie des durch die Athena von Velletri vertretenen Typus herausstellte (Athen. Mitt. VII 1882 Taf. 5. Brunn-Bruckmann a. O. nr. 48). Nach langjährigen Debatten und vielfachem Hin- und Herschwanken der Meinungen (vgl. Wachsmuth Stadt Athen I 198 und o. Suppl. I S. 184. Julius Athen. Mitt. VII 1882, 81ff. Lοlling und Wolters ebd. XII 1887, 365ff. Gurlitt Pausanias 264ff. 316ff.) ist neuerdings A. Milchhoefer a. O. 94ff. mit so durchschlagenden Argumenten für die Rosssche Hypothese eingetreten, daß er mit Recht bei der Mehrzahl der Fachgenossen Zustimmung gefunden hat. Das häufig geltend gemachte, obgleich für den mit der Manier des Pausanias Vertrauten kaum schwerwiegende Bedenken, daß die Inschrift den E. nur als den Künstler nennt, während ihm die Textworte auch die Weihung der Gruppe zuschreiben, hat Löschcke (bei Toepffer Attische Geneal. 204, 1) mit Glück dadurch zu beseitigen gewußt, dass er die überlieferten Worte καὶ Μουσῶν Ἀπόλλωνος τε, ἀνάθημα καὶ ἔργον Εὐβουλίδου in καὶ Μουσῶν, Ἀπολλώνιδός τε ἀνάθημα καὶ ἔργον Εὐβουλίδου zu ändern vorschlägt. Diese Konjektur wird nicht nur durch die nahen Beziehungen der pergamenischen Königin Apollonis zu den dionysischen Techniten und ihrem Schutzgott, dem Dionysos Melpomenos, sowie durch die in der so gewonnenen Fassung ganz dem Stil des Pausanias entsprechende Ausdrucksweise, als auch dadurch empfohlen, daß einerseits die Verbindung der Athena mit den Musen gerade für Pergamon charakteristisch ist (s. Preller Griech. Myth. Ι4 225), andererseits im Kult der dionysischen Techniten Dionysos Melpomenos zugleich die musische Seite des Apollon vertrat, so daß dessen Bild in der Gruppe wenn nicht befremdlich, so doch überflüssig gewesen sein würde. Auch wird durch diesen schönen Gedanken eine genauere Befristung der Gruppe gewonnen, die nicht jünger als 159 sein kann, da spätestens in diesem Jahre die Königin Apollonis gestorben ist, Fränkel Inschr. v. Pergamon I 88 (vgl. o. Bd. II S. 164). Für einen Sohn dieses jüngeren Eubulides hält Kirchner Pros. Att. I nr. 5330 und 6149 wohl mit Recht den Eucheir aus dem Demos Kropidai, der nach seiner sehr wahrscheinlichen Ergänzung in einer ans Ende des 2. Jhdts. v. Chr. gehörigen Inschrift IG II 840, 5. 8 zu irgend einem mit dem Asklepieion in Zusammenhang stehenden Amte gewählt ward, und noch in der Kaiserzeit erscheint auf einer Grabschrift ein Εὔβουλος Εὐβουλίδου Κρωπίδης (IG III 3501), wohl sicher ein Nachkomme dieser Künstlerfamilie und vielleicht mit dem Bildhauer Eubulos (s. d. Nr. 22) identisch.

Aus den besprochenen Tatsachen ergibt sich für die Bildhauerfamilie aus dem Demos Kropidai folgender Stammbaum, in dem nur die Zugehörigkeit der ersten Generation und ihre Verbindung mit der zweiten problematisch ist: [875]

Eubulides I.
(= Eubulides Nr. 9)
(Inschrift von Tanagra IG VII 552)
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Eucheir I.
(vielleicht Paus. VIII 14, 10 Hermes von Pheneos)
|
Eubulides II.
204–190 (um 204 Chrysippus digitis computans Plin. XXXIV 88; 191/0 Proxenos von Delphi, Dittenberger Syll.2 268, 74, und um dieselbe Zeit Epimelet im Peiraieus)
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Eucheir II.
bis 150 (Delph. Hieromnemon, Porträtstatuen Plin. XXXIV 91. IG II 1639 [Athen]. Loewy 222 [Megara], vielleicht der Hermes von Pheneos Paus. VIII 14, 10. Die in Gemeinschaft mit seinem Sohn gearbeiteten Werke s. unter diesem)
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Eubulides III.
159–150 (allein: IG II 1646. 1646 b. 1644: Weihgeschenk der Apollonis IG II 1645. Paus. I 2. 4; mit seinem Vater: IG II 1640. II 5, 1642 b. II 1162. 1386. 1641–1643).
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Eucheir III.
(IG II 840, 5. 8; ungewiß ob Bildhauer).

Charakteristisch für die Tätigkeit der Familie ist das Überwiegen der Porträtstatuen und das Zurücktreten der Götterbilder. Was wir an letzteren besitzen, macht einen unerfreulichen, die einzige Probe der ersteren einen recht guten Eindruck.

Wichtigste Literatur. G. Hirschfeld Arch. Zeit. XXX 1872, 25ff. A. Milchhoefer Archäol. Stud. H. Brunn dargebracht 37ff. Collignon; Sculpt. gr. II 620ff. Kirchner Prosopograph. Attica I nr. 5330. 5331. 6149–6151.