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2)Ὁ Εὔνοστος, Heros (Dämon) in Tanagra, dessen Sage Plutarch qu. Gr. 40 ausführlich erzählt (sonst wird er nirgends erwähnt). Er war ein Sohn des Elieus und der Skias und wurde von der Nymphe Eunosta, nach der er seinen Namen erhielt, aufgezogen. Schön, verständig und sittenstreng, verschmähte er die Liebe seiner Base Ochna, einer Tochter des Kolonos, die ihn daraufhin wegen angeblicher Vergewaltigung bei ihren Brüdern (Echemos, Leon, Bukolos) verleumdete. Die Brüder erschlugen den E. Ochna aber gestand später aus Reue die Wahrheit und stürzte sich, während die von Elieus gefangen
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genommenen Brüder entflohen, von einem Felsen in die Tiefe. E. hatte in Tanagra ein ἡρῷον und einen heiligen Hain (ἄλσος), den kein Weib betreten durfte. Wenn Erdbeben, Dürre oder andere Naturkatastrophen eintraten, forschte man in Tanagra zunächst nach, ob nicht etwa ein Übertreten dieses Verbotes die Schuld daran trüge. Als Quelle für seine Angaben nennt Plutarch die Liederdichterin Myrtis aus Anthedon, die ins 6. Jhdt. gehört und auch als Lehrerin Pindars genannt wird (Bergk PLG4 III 542), und die Schrift eines Diokles περὶ ἡρώων (wahrscheinlich der Historiker Diokles von Peparethos aus dem Anfang des 2. Jhdts. v. Chr.; FHG III 78f.). Es ist also eine alte, gut bezeugte boiotische Lokalsage, die das oft auftretende Thema von dem seiner Keuschheit zum Opfer fallenden Jüngling behandelt; ihre novellistische Ausgestaltung im einzelnen mag durch das von Plutarch an den Anfang seines Berichts gestellte αἴτιον (Τίς Εὔνοστος ἥρως ἐν Τανάγρᾳ; καὶ διὰ τίνα αἰτίαν τὸ ἄλσος αὐτοῦ γυναιξίν ἀνέμβατόν ἐστιν) beeinflußt worden sein. Das Wesen des Heros bleibt dunkel; auch die Frage, ob er mit der weiblichen Mühlengottheit E. (Nr. 1) etwas zu tun hat, muß offen bleiben. Crusius (Roschers Lexikon I 1405f.) weist ihn dem Kreis der in Tanagra eifrig verehrten Artemis zu, der er auch den Beinamen ἡ Εὔνοστος vermutungsweise zuschreibt; Maass (Gött. Gel. Anz. 1889, 815ff.) versucht den Nachweis, daß die bei Plutarch vorliegende Form der E.-Legende überhaupt nicht boiotisch sein könne, sondern die sehr früh in Attika vorgenommene Umformung einer ursprünglich tanagräischen Gentilsage darstelle; Gruppe (Griech. Mythologie und Religionsgeschichte 73) nimmt an, daß die Sage aus Aulis übertragen sei, da die Göttin von Aulis, Artemis, um glückliche Rückkehr von der Seefahrt angefleht werde. V. Puntoni Studi di mitologia greca ed italica I (Pisa 1884) 107f. gibt nur eine referierende Zusammenstellung verwandter Mythen und Legenden. Man vergleiche auch die feinen Bemerkungen Welckers (Kleine Schriften I 202f.) über die zahlreichen tragisch-romantischen Sagen und Lieder der Griechen, in denen blühende Jugend und hochherziger Sinn zum Opfer sinken. Das spezifisch Boiotische und die Popularität der Sagenfigur wird durch die nur in Boiotien und den angrenzenden Gebieten vorkommenden Personennamen E., Eunostides und Eunoste sowie durch die attische Phyle und die neapolitaner Phretrie Εὐνοστίδαι, die sich beide auf Boiotien zurückführen lassen, deutlich illustriert.