RE:Opfer 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Griechisches Opfer
Band XVIII,1 (1939) S. 579627
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Opfer. 1) A. Griechische.

Literatur. Schon im Altertum gab es darüber eine reiche gelehrte Spezialliteratur. Leider ist uns keine einzige derartige Schrift erhalten, und nur eine allerdings recht stattliche Zahl von Fragmenten, die sich in den Scholien und Lexicis finden (gesammelt von Tresp Die Fragmente der griech. Kultschriftsteller, RVV XV 1), geben uns einen Begriff von ihrer Vielseitigkeit und Ausführlichkeit und lassen erkennen, welch unschätzbares Material darin enthalten war und uns verloren gegangen ist. An erster Stelle ist Philochoros zu nennen mit seinen Schriften περὶ θυσιῶν, περὶ ἑορτῶν, περὶ ἡμερῶν, περὶ μυστηριῶν τῶν ἀθήνησι und περὶ καθαρμῶν. Von ihm sind auch die meisten Fragmente erhalten. Zeitlich war er nicht der erste, sondern schon vor ihm hatten Krates, Demon, Andron, Glaukippos und der Exeget Habron dasselbe Thema behandelt; auch die Verfasser von Ἐξηγητικά. wie Kleidemos (nicht Kleitodemos, s. Kirchner Prosop. Att 8494f.) und Autokleides, der vielleicht schon um 400 v. Chr. lebte (Tresp 45), gehören in diese Reihe. Beträchtlich später, aber- wohl noch vor Augustus (s. Tresp 90f.) schrieb Ammonios aus Lamptrai περὶ βωμῶν καὶ θυσιῶν, Apollonios aus Acharnai und Lysimachides über attische Feste, zur Zeit Hadrians der Athener Aristomenes eine Schrift mit dem etwas merkwürdigen Titel τὰ πρὸς τὰς ἱερουργίας. Alle diese Autoren behandelten nur oder wenigstens vornehmlich den athenischen Kult. Aber auch über andere Staaten gab es Spezialwerke, so von Sosibios über spartanische O., von dem Kallimacheer Istros über kretische, über die angeblich schon der bekannte Epimenides eine prosaische Schrift verfaßt hatte (Diog. I 112), [580] über rhodische von Gorgon (wohl identisch mit dem IG XII 1, 730 erwähnten Priester) und von dem durch die Bewahrung des Schwalbenliedes bekannten Theognis. In der Regel behandelten die Schriftsteller gerade der guten Zeit nur die O. ihrer Heimat, die sie ja allein gut kannten. Erst später wandte man sich den O. im allgemeinen zu, meist dann von irgendeinem philosophischen Standpunkt aus, so wahrscheinlich Demophilos trotz des verlockenden Titels περὶ τῶν παρ’ ἀρχαίοις θυσιῶν καὶ ἑορτῶν, der auch für das zweite Buch von Porphyrios’ Werk περὶ ἀποχῆς passen würde. Dieses bietet übrigens die einzige größere zusammenhängende Abhandlung über griechische Ο., die uns erhalten ist und die, wenn sie auch im Anschluß an Theophrast περὶ εὐσεβείας bestimmte philosophisch-religiöse Lehren vertritt, doch sowohl im einzelnen wie in der ganzen kulturgeschichtlichen Auffassung äußerst lehrreich ist. Dagegen ist fast wertlos die unter Lukians Namen gehende Schrift περὶ θυσιῶν, die mit den oben genannten ebenso betitelten gelehrten Schriften nicht das Geringste zu tun hat, sondern mehr den Charakter einer Schmähschrift trägt und nur an ganz wenigen Stellen sachlich brauchbare Angaben enthält.

In der neueren Forschung sind zwei Richtungen zu unterscheiden. Die eine ist die der klassisch-philologischen Schule, die sich im wesentlichen auf die Erforschung des griechischen Kultes selbst beschränkt und dazu die altbewährte sichere Methode mit unzweifelhaft steigendem Erfolge anwendet. Nach Lobeck (Aglaophamus 1829), Nägelsbach (Homerische Theologie, 1. Aufl. 1840; Nachhomerische Theologie 1857), K. Fr. Hermann (Gottesdienstl. Altertümer, 2. Aufl. von Stark 1858), Schoemann (1. Aufl. 1858, 2. Aufl. von Lipsius 1897) u. a. war es vor allem P. Stengel, der (sich das griechische O.-Wesen zu seinem Spezialgebiet auswählte und, seitdem er zum ersten Male 1879 in seinen immer noch nützlichen Quaestiones sacrificales (Berl. Progr. 1879) sich hier versucht hatte, in unermüdlicher, eindringlicher und erfolgreicher Arbeit unsere Kenntnis der schwierigen Probleme grundlegend gefördert hat (s. sein 1910 erschienenes Werk, Die O.-Bräuche der Griechen, in dem seine früheren zerstreuten Aufsätze, zum Teil den Fortschritten der Wissenschaft entsprechend etwas geändert, gesammelt sind). Seitdem ist eine reiche Literatur auf diesem Gebiete entstanden. Von größeren Werken sind besonders zwei zu erwähnen: die von J. v. Prott und L. Ziehen herausgegebenen Leges Graecorum sacrae e titulis collectae (I Fasti sacri 1896, II Leges sacrae 1908) und Eitrems großes Werk, Opferritus und Voropfer der Griechen und Römer, 1915, das, vom antiken Kult ausgehend und seine Erklärung als die eigentliche Aufgabe betrachtend, doch auch die Gebräuche anderer Völker im weitesten Umfang berücksichtigt und so ein überaus reichhaltiges und wertvolles Material gesammelt hat. Die zweite Richtung ist die der vergleichenden Religionswissenschaft, die, hauptsächlich auf ethnologische Forschungen gestützt, Entstehung und Bedeutung der religiösen Vorstellungen und Gebräuche zu ergründen sucht. [581] Sie wird durch Namen wie Tylor (Primitive Culture, 1. Aufl. 1871), A. Lang (Myth. Ritual and Religion, 1. Aufl. 1887), R. Smith (Lectures on the Religion of the Semites, 2. Aufl. 1894), Frazer (Golden Bough, 2. Aufl. 1900), Jevons (Introduction to the History of Religion, 1906) u. a. genügend charakterisiert und es ist kein Zweifel, daß sie Erkenntnisse gewonnen hat, die auch für die Erforschung des griechischen O.-Rituals fruchtbar gemacht werden können, wobei allerdings große Vorsicht geboten ist. Besonders wertvoll ist deshalb die kleine Schrift von M. P. Nilsson Primitive Religion (Religionsgesch. Volksbücher III 13 u. 14), weil ihr Verfasser in beiden Richtungen bewandert und bewährt ist; der Abschnitt über O. und Gebet S. 71–84 behandelt kurz und klar die Hauptprobleme im Rahmen der allgemeinen Religionsgeschichte. Stark durch die ethnologische Richtung beeinflußt ist auch die letzte größere Arbeit, die speziell die griechischen O. zum Thema hat, von Fr. Schwenn Gebet u. Opfer, Studien z. griech. Kultus, Heidelb. 1927. Daß der vorliegende Artikel die erste Richtung einschlagen muß und seine Aufgabe ist, die Tatsachen des griechischen O.-Rituals selbst unbeeinflußt von irgendwelchen Hypothesen festzustellen und damit eine möglichst sichere Grundlage für die allgemeine Religionswissenschaft zu schaffen, scheint mir bei dem Charakter und Zweck des Werkes selbstverständlich.

Einteilung. Das griechische O.-Wesen bietet zunächst eine schier verwirrende Mannigfaltigkeit von Arten und Riten, und das erste Bedürfnis für den Forscher ist es daher, durch Zusammenstellung des Gleichen und Ähnlichen, durch Bildung großer charakteristischer Gruppen eine gewisse Ordnung und Klarheit hineinzubringen. Eine solche Gruppierung ist natürlich unter verschiedenen Gesichtspunkten möglich, und jeder bietet seine Vorteile und Nachteile. Der erste Versuch einer derartigen Klassifizierung, den wir kennen, stammt von Theophrast, der in seinem Buch über die Frömmigkeit folgende Dreiteilung vornahm (bei Porphyr. abst. II 24): τριῶν ἕνεκα θυτέον τοῖς θεοῖς· ἢ γὰρ διὰτιμὴν ἢ διὰ χάρομ ἢ διὰ χρείαν τῶν ἀγαθῶν. Er unterschied also nach dem Zweck der O. Verehrungs-, Dank-und Bitt-O. (vgl. auch Philo de animal. sacrificio idoneis 2). Es ist klar, daß diese Einteilung, die nicht einmal vollständig ist (s. Bernays Theophrasts Schrift über d. Frömmigkeit 104ff.), große Mängel hat und den tief im Kult selbst liegenden, also durch den Charakter der Gottheit und des O.s selbst bedingten Eigentümlichkeiten nicht gerecht wird. Jedoch müssen wir uns darüber klar sein, daß diese Forderung überhaupt keine Einteilung erfüllt und gar nicht erfüllen kann. Denn das O.-Wesen, wenigstens das griechische, ist ja nicht das Produkt irgendwelcher theologischen Spekulation, die um eine logische Einteilung bemüht ist, sondern das Ergebnis der verschiedenen im Volksleben wirkenden, sich vielfach kreuzenden und vermischenden religiösen Impulse und Vorstellungen. Es empfiehlt sich und bleibt daher kaum etwas anderes übrig, als die O. und ihre Eigentümlichkeiten eben unter verschiedenen Gesichtspunkten [582] zu betrachten, und ausgehen wird man dabei am praktischsten, wie es auch in den Handbüchern meist geschieht, von der Einteilung nach dem Objekt der Opferung, eine Einteilung, die zwar zunächst äußerlich scheint, aber nicht nur einen bequemen Überblick über das ganze Gebiet ermöglicht, sondern auch die Behandlung wesentlicher Fragen vorbereitet.

I. Unblutige Opfer. Antike Philosophen wie Theophrast glaubten, daß, wie die älteste Nahrung die vegetarische, so das älteste O. das unblutige gewesen sei. Was die Nahrung betrifft, so dürfte auch die moderne Anthropologie damit übereinstimmen. Doch ist damit für das O. noch nichts bewiesen. Denn es ist ja die Frage, ob auf derjenigen menschlichen Entwicklungsstufe, auf der der O.-Kult entstand, nicht bereits auch die Fleischnahrung Sitte geworden war, und, war sie dies, dann ist ohne weiteres anzunehmen, daß man auch von ihr opferte (doch s. Kern Rel. d. Griechen I 156f. und Sjöqvist Arch. f. Rel. XXX 316. 322. 325f. über die Kultgeschichte eines kyprischen Temenos). Sicher aber ist, daß die unblutigen O. während des ganzen Altertums eine hervorragende Stellung behaupteten, nicht nur weil sie zu den ältesten O. gehörten und durch diese Tradition geschützt waren, sondern vor allem deshalb, weil die vegetarische Nahrung selbst bei den Griechen und Römern, wie übrigens schließlich auch heute noch, vorherrschend blieb (was an sich nichts mit dem Vegetarismus als Lebensgrundsatz zu tun hat; über diesen s. jetzt Haussleiter RVV XXIV 1935). Auch die Entwicklungsgeschichte dieser O., die Theophrast gibt (Porph. a. Ö. II 6; vgl. dazu auch O. Benndorf Eranos Vindobon. 375), ist im wesentlichen richtig. Selbst die primitivste Art, mit der Theophrast die Reihe beginnt, Gräser, Blätter und Wurzeln, ist nie ganz aus dem Kult geschwunden. Freilich die Blätter, die die Gefährten des Odysseus auf Thrinakria statt der O.-Gerste verwenden (Od. XII 357f.), sind wohl kaum das Rudiment eines uralten Rituals, sondern ein durch die Situation gegebener Einfall des Dichters (doch s. Eitrem 2781, der darin die Erinnerung an frühere Sitte sieht und auf die für den Totenkult bezeugte φυλλοβολία verweist). Aber Blätter von Gemüsen oder eßbare Wurzelknollen, die ja in der Nahrung einen wichtigen Platz einnahmen (Antiphanes bei Athen. IV 130 e verspottet die Griechen sogar als φυλλοτρῶγες), findet man noch im späteren Kult, so Porreezwiebeln als O. für Leto in Delos (Athen. IX 372 a), Lauch auf der τράπεζα für die Dioskuren (Athen. IV 137 e), Kohl in dem alten milesischen Kultgesetz (Rehm nr. 132), außerdem in der Abrechnung über die delischen Eileithyiaia (Bull. hell. XXXIV 142), wo freilich vielleicht nur die Kost für den Bäcker gemeint ist. Selbst Kraut, ἄγρωστις, kommt einmal vor (s. u.). Die im Kult üblichen unblutigen O. waren folgende:

1. Früchte und zwar aller Art, soweit sie – das ist offenbar entscheidend – eßbar sind, und wie sie die Jahreszeiten bringen, daher ὡραῖα (Thuk. III 58, 4. Xenoph. an. V 3, 9 u. a.) oder, wie es das Kultgesetz der Göttermutter in Thera umschreibt: ἐπάργματα ὧν αἱ ὧραι φέρουσιν (IG [583] XII 3, 346). Nun war aber eine einzelne Frucht in der Regel doch kein genügendes O. Man brachte also entweder von ein oder zwei Fruchtsorten ein größeres Quantum dar (so oft von Getreide), oder aber man wählte den naheliegenden Weg, von den verschiedenen Früchten, von allen ὡραῖα die ἀπαρχαί zu opfern. Das war die offenbar sehr beliebte παγκάρπεια (Hesych. s. παγκάρπεια • πανσπερμία. S. z. B. Eurip. frg. 912 θυσίαν ἄπυρον παγκαρπείας. Soph. frg. 366 bei Porph. a. O. II 19. Athen. XI 473 c. IG III 77, 15. Vgl. auch Hock Griech. Weihgebräuche 60ff.). Beispiele solcher π., die zugleich auch ein Bild von ihrer Zusammensetzung geben, bieten einige bekannte attische Kultgebräuche wie die πομοὴ Ἡλίου καὶ Ὡρῶν (Porph. II 7), zu der ἄγρωστις, ὄσπρια, δρῦςμιμαίκυλα, κριθαί, πυροί, παλάθη ἡγητηρία, ἀλεύρων πυρίνων καὶ κριδίνων φθόϊς verwandt werden (s. darüber Deubner Att. Feste 190), die πύανα der Pyanopsien (Phot. s. Πυανεψιών· 20 .. . πύανα δὲ πάντα τὰ ἀπὸ γῆς ἐδώδιμα ὀσπριώδη, ἃ συνάγοντες ἕψουσιν ἐν χύτραισ u. a.), die εἰρεσιώνη (s. d. bekannte Volkslied Diehl Anthol. lyr. II 193, 2 ἐ. σῦκα φέρει. Etym. M. 303, 18) und die κερνοφορία mit den κοτυλίσκοι, in denen ὅρμινοι, μήκωνες λευκοί, πυροί, κριθαί, πισοί, λάθυροι, ὦχροι, φακοί, κύαμοι, ζειαί, βρόμος, παλάθιον, μέλι, ἔλαιον, οἶνος, γάλα, ὄιον ἔριον ἄπλυτον darin waren (Athen. XI 478 d). Auch die θαργήλια, die dem für die Ionier so bedeutsamen Feste den Namen gaben, waren eine Pankarpie (Etym. M. πάντες οἱ ἀπὸ γῆς καρποί; vgl. dazu auch Kretschmer Glotta X 108ff. Deubner 189f.). Wie man sieht, überwogen dabei neben dem Getreide die Hülsenfrüchte, während von den Baumfrüchten nur die Feigen genannt werden, und zwar nicht nur roh, sondern auch zu einer Art Marmelade (παλάθη) verarbeitet. Doch dienten sicher alle Früchte der δένδρα ἥμερα als O.-Gaben (Paus. VIII 37, 7 und 42, 11. Theokrit. XV 112), so Nüsse bei den Poseideia in Delos (Bull. hell. a. O.) und für Iris in Delos (Athen. XIV 645 b), Oliven für die τράπεζα der Dioskuren (Athen. IV 137 e δρυπεπεῖς ἐλάας), Trauben in Phigalia (Paus. VIII 42, 11), Rosinen (Sophokl. frg. 366), Äpfel (in Melite als Tiere ausstaffiert: Zenob. V 22, ebenso in Boiotien Poll. I 30). Nach Theophrast waren die ersten Baumfrüchte, die man opferte, Eicheln, und daß sie einstmals gegessen und daher wohl auch geopfert wurden, steht fest (s. o. Bd. V S. 2023). Wenn in der Pompe des Helios unter den anderen Früchten auch δρῦς genannt wird, so sind vermutlich Eichenzweige mit Eicheln gemeint. Das wichtigste und häufigste unblutige O. war in historischer Zeit natürlich Getreide, in Griechenland also vor allem Gerste, die für die ältesten O. charakteristisch schien (s. Plut. Quaest. Graec. 6), und Weizen, und zwar haben sich alle die Formen der Darbringung, die, wie Theophrast erkannte, kulturgeschichtlich nacheinander folgten, in historischer Zeit nebeneinander behauptet. Insbesondere ist auch im offiziellen Kult, wie die O.-Gesetze beweisen, die alte Darbringung der Körner selbst immer üblich geblieben (Athen: Proll Fasti 2 C, Epidauros: Syll. 998, 6f., Milet: Inschr. 31 a Z. 10 ... οἶς ἄρσην ἐκτεὺς πυρῶν ἐκτεὺς [584] κριθέων). Viel größere Bedeutung gewann dann die immer mehr sich verfeinernde Zubereitung zu Schrot und Mehl, besonders wenn es mit Wasser, Milch, Honig oder Wein zu einem Brei angerührt wurde. Das war der bekannte πελανός, den es aber in sehr verschiedenen Formen, je nach der Zusammensetzung und dem Grade der Festigkeit des Teiges, gab (s. die ausführliche Erörterung u. Bd. XIX S. 246ff.). Den Abschluß der Entwicklung bildete das Backen des Teiges zu Brot, Kuchen oder anderem Backwerk. Am beliebtesten waren in historischer Zeit die Kuchen, die in allen möglichen Formen und Arten hergestellt wurden und deshalb schon bei den antiken Kultschriftstellern besondere Berücksichtigung fanden, sogar schon monographische Behandlung wie bei dem unter Hadrian lebenden Aristomenes in dem 3. Buch seiner Schrift τὰ πρὸς τὰς ἱερουργίας (Tresp 107f.) und bei dem von Athen. XIV 648 b zitierten Harpokration. Von neueren Darstellungen s. außer der bekannten Pemmatologia sacra in Lobecks Aglaophamus II 1050ff. und der immer noch nützlichen Abhandlung von O. Band Das attische Demeter-Kore-Fest der Epikleidia. Berl. Progr. 1887, jetzt besonders o. Bd. XI S. 2094ff. Zu bemerken ist freilich, daß nicht nur die älteren und ältesten Formen auch in späterer Zeit sich behaupteten, sondern sogar in derselben Kulthandlung nebeneinander vorgeschrieben wurden, z. B. Leg. Sacr. 35, 12 πό]πανα κσὶ πελανό[ν und Syll.³ 1025, 48 ἐφ’ ἑστίαν θύεται ἀλφίτων ἡμίεκτον, ἄρτο[ι δύ]ο ἐξ ἡμιέκτου κτλ. Dies damit zu erklären, daß hier die ältere Form ursprünglich die einzige war und, als nun die modernere eindrang, doch beibehalten wurde, ist naheliegend, aber nicht notwendig.

2. Honig (vgl. M. Schuster o. Bd. XV S. 379ff. Art. Mel; S. 1308f. Art. Met). Da er, von der Natur überall dem Menschen reichlich geboten, von den ältesten Zeiten an sowohl eigentliches Nahrungsmittel war wie als Süßstoff unsern Zucker vertrat, gehörte er auch sicher zu den ältesten O.-Gaben. Es ist anzunehmen, daß er auch als selbständige O.-Gabe für sich allein dargebracht wurde (s. Prott Fasti 2 D und 15; vgl. Aischyl. Pers. 612 παμφαὲς μέλι), auch Honigwaben (IG II 1651. 1662. 1667, wo aber auch Honigkuchen gemeint sein können, s. Leg. sacr. p. 75f.). Das Gewöhnliche war, daß man ihn entweder vermischt mit einer Flüssigkeit wie Wasser oder Milch als μελίκρατον spendete (s. o. Bd. XV S. 1577) oder als Zutat zu Brei und Kuchen verwandte. Honigkuchen, μελιττοῦττα, wurde besonders im chthonischen Kult geopfert, so in Athen der Burgschlange (Herodot. VIII 41) und der Ge Olympia (Paus. I 18, 7), dem Trophonios (Paus. IX 39. 11. Aristoph. Nub. 507) und Kerberos (Schol. Aristoph. Lys. 611. Verg. Aen. VI 420). Eine ältere Form der Darbringung erhielt sich in den attischen προκώνια, die als ἄφρυκτοι κριθαὶ ἢ πυροὶ μέλιτι κεχρισμένοι erklärt wurden (Phot. Etym. M. s. v.), vgl. die καρποὶ μέλιτι δεδευμένοι Plat. leg. 782 C. Auch wo μέλι allein genannt wird, mag oft ein μελίκρατον gemeint sein, so wenn es in dem alten Kultgesetz von Paros heißt μέλιτι σπένδεται (IG XII 5, 1027).

3. Milch (vgl. K. Wys Die Milch im Kultus [585] der Griechen u. Römer, RVV XV 2 und Herzog-Hauser o. Bd. XIV S. 1559ff.). Daß bei den indogermanischen Völkern, seitdem sie Viehzucht betrieben, also seit den frühesten Zeiten die Milch zur Nahrung und daher auch zum O. diente, ist sicher. In dem Kultus der olympischen Götter wurde sie freilich durch den Wein verdrängt, aber sie behielt ihre große Bedeutung – ganz abgesehen von Sekten wie den Pythagoreern (s. Haussleiter 97ff.) – einerseits in allen ländlichen Kulten und andrerseits im Totenkult, hier durch dessen besondere religio geschützt, dort, weil auf dem Lande die Milch, Schaf- und Ziegenmilch wohl mehr als Kuhmilch stets ein wesentlicher Teil der Nahrung blieb. Nach den Belegen galt dies allerdings wohl noch mehr für den römischen als den griechischen Kult, so daß man behaupten konnte: Romulum lacte, non vino libasse (Plin. n. h. XIV 88). War doch nicht nur etwa in den ganz alten, fast vergessenen Kulten der Rumina und Cunina oder bei den Hirtenfesten wie den Palilien, sondern auch bei einem der römischen Hauptfeste, den feriae Latinae Milch statt Wein die vorgeschriebene Spende (Nachweise und mehr Beispiele bei Wys 7ff.). Ein eigenartiges griechisches Beispiel ist das O. des Hirten Daphnis bei Longin. II 30, der den Nymphen opfert γάλα τῶν κεράτων κατασπείσας. Die Art der Verwendung der Milch beim O. war zweifach: entweder sie wurde, meist wohl mit Honig vermischt (s. o.), als nüchterne Spende (νηφάλιον, s. o. Bd. XVI S. 2481ff.) dargebracht, besonders im Kult der Toten und der unterirdischen Gottheiten (s. die Nachweise bei Wys 25ff. und o. Bd. XV S. 1577), oder sie wurde mit Mehl als eine Art Speise-O. zu einem Brei verrührt, einem πελανός, wie es z. B. die für die Göttermutter bestimmte γαλαξία in Athen war (Anecd. [Bekk.] Γαλάξια· ἑορτὴ Ἀθήνησι . . ἐν ᾗ ἕψουσι τὴν γ. ἔστι δὲ πόλτος κρίθινος ἐν γάλακτος). Als Milchprodukt gehört auch der Käse hierher (Wys 585.; o. Bd. X S. 1494). Da er auf dem Lande ohne jeden Zweifel in der Ernährung eine große Rolle spielte (s. Hom. Od. IX 231), tat er es sicher auch im ländlichen Kult, und was für Kreta bezeugt ist, daß dort eine bestimmte Art von Käse als O. üblich war (Athen. XIV 658 d), ist doch ohne weiteres auch für andere Landschaften anzunehmen (Wys’ Urteil ist danach zu berichtigen). Selbst im offiziellen Kult kommt er aber wiederholt vor, so in Kos (Syll.³ 1027, 13 τυροὶ ὀΐεοι δυώδεκα), auch als Käsekuchen (Inschr. v. Priene nr. 362, 8 τυρείην τῶι Ἑρμῆι καθότι καὶ τῆι Μυκάληι κτλ. Inschr. v. Kassossos, S.-Ber. Wien 1895, II S. 23 Z. 5 ὅταν δὲ ποιῶσιν τυράλφιτον καὶ [θ]ύω[σι]ν βοῦν κτλ.).

4. Öl (vgl. Clotilde Mayer, Das Öl im Kultus der Griechen, Diss. Würzb. 1917). Da es bei den Griechen und Römern unsere Butter vertrat, spielte es in der Nahrung eine große Rolle, und es ist deshalb kein Wunder, daß es auch im O.-Kultus häufig vorkommt, sei es als Spende (vgl. Porph. abst. II 20 νηφάλια … εἶτ’ ἐλαιόσπονδα) für sich allein oder mit anderer Flüssigkeit wie Milch oder Wein vermischt, sei es beim Backen des Mehls mit verwandt. Eine primitivere Form war es, wenn man es, wie in Phigalia im Kult der [586] Demeter Chthonia (Paus. VIII 42, 11), über die Früchte und andere unblutige O. ausgoß. Auch die ψαιστά, die Suidas als ἄλφιτα ἐλαίῳ καὶ οἴνῳ δεδευμένα erklärt, waren, ursprünglich wenigstens, wohl nicht, wie Stengel Opferbräuche 7f. und ihm folgend Clot. Mayer 68f. meinen, eine Art Brei, sondern, wie der Name selbst ja besagt, geschrotene Körner, die mit Öl oder Wein übergossen waren, vgl. auch Schol. Aristoph. Pax 1046 θυλήματα· τὰ τοῖς θεοὶς ἐπιθυόμενα ἄλφιτα und dazu u. Bd. XIX S. 247f. Clot. Mayer hat 55f. die Frage nach der Bedeutung der sakralen Ölspenden aufgeworfen und die Ansicht entwickelt, daß sie gar nicht als Nahrung für die Götter, sondern als Salbspende zur Körperpflege derselben dienen sollte. Daß bisweilen dieser Gedanke mithineinspielte, mag sein, aber im ganzen genommen scheint mir diese Auffassung verfehlt. Sie selbst muß schon zugeben, daß in den ψαιστά und θυλήματα das Öl doch als Speisefett gedacht war. Entscheidend scheint mir, wie ich schon o. Bd. XVIII S. 2485 bemerkte, daß die Zeugnisse für die Ölspende fast alle sich auf den chthonischen Kult beziehen, daß also für sie ebenso wie für die Wahl von Milch und Honig ihre Eigenschaft als μείλιγμα bestimmend war.

5. Wein. Während Honig-, Milch- und Ölspenden auf bestimmte Kulte beschränkt waren und in dem der olympischen Götter fast völlig zurücktraten und die Hauptverwendung dieser Nahrungsmittel in der Vermischung mit Schrot oder Mehl zu Brei oder Kuchen, also einem mehr oder weniger festen O. bestand, war beim Wein das Umgekehrte der Fall: auch er wurde zwar bei Brei und Kuchen als Zutat verwandt, aber seine eigentliche und überragende Bedeutung hatte er als Spende, insbesondere bei den blutigen O., und nimmt insofern eine besondere Stellung ein, die eine gesonderte Behandlung erfordert, s. den Art. Trankopfer u. Bd. VI A S. 2131ff.

6. Wolle. Sie wird unter O.-Gaben sehr selten erwähnt. In Phigalia wird auf den Altar der Demeter Melaina neben Früchten und Honigwaben auch ἐρίων τὰ μὴ ἐς ἐργασίαν πω ἥκοντα, ἀλλὰ ἔτι ἀνάπλεα τοῦ οἰσύπου gelegt und mit Öl übergossen (Paus. VIII 42, 11); in dem attischen Kernos befand sich außer Früchten, Honig, Milch, Öl und Wein auch ὄϊον ἔριον ἄπλυτον (so Kaibel Athen. XI 478 d; es kann aber ὄϊον auch zu dem vorausgehenden γάλα gehören, s. zu der Stelle auch Rubensohn Athen. Mitt. XXIII 2671), und Sophokles frg. 366 nennt unter den Bestandteilen eines gottwohlgefälligen O.s auch οἰὸς μαλλός, ein Wort, das auch in der alten milesischen Inschrift nr. 31 a Z. 5 steht. Doch ist bei der großen Bedeutung, die die Wolle im sakralen Leben besaß (s. Eitrem 379ff.), die Seltenheit des Vorkommens gerade beim O. wohl nur Zufall. Den Zweck dieser Wollgabe wollte Clot. Mayer (62), ähnlich wie bei der Erklärung der Ölspende, in dem Bedarf der Gottheit an Kleidung sehen. Aber diese Erklärung ist noch viel unwahrscheinlicher als jene. Wenn diese Rücksicht die Ursache war, warum dann gerade rohe, ungewaschene Wolle? Und was sollte diese Rücksicht überhaupt bei der Demeter Melaina, die man sich doch ursprünglich [587] in Pferdegestalt dachte? Wer sich an der Hand des von Eitrem gesammelten Materials die vielseitige Verwendung der Wolle im Kult vergegenwärtigt, die nur aus dem Glauben an ihre besondere religiöse Kraft zu erklären ist, wird diesem auch die Verwendung beim O. zuschreiben.

7. Weihrauch (vgl. v. Fritze Die Rauchopfer d. Griechen, Berl. 1894. Pfister u. Bd. I A S. 267ff.). Die Sache, die durch dieses Wort bezeichnet wird, ist nicht so einfach, wie es zunächst scheint. Es fragt sich nämlich, was man im Kult unter diesem Worte versteht. Im engeren Sinne bedeutet es speziell orientalische Spezereien, insbesondere das Harz des Libanosbaumes (λιβανωτός), ferner Zimt, Myrrhe u. ä. (s. Pfister a. O.). Aber diese ausländischen Arten von den einheimischen zu sondern und sich auf jene zu beschränken, wäre sachlich ganz unberechtigt. Im Gegenteil, die einheimischen (θυμιάματα und ἀρώματα waren für den alten griechischen Kult viel wichtiger; man braucht nur daran zu denken, daß die Pythia auch in späterer Zeit niemals mit ausländischem Weihrauch räucherte, sondern mit einheimischem Lorbeer oder Mehl (Plut. de Pyth. or. 397 a οὐδ’ ἐπιθυμιᾷ κασίαν ἢ λήδανον ἢ λιβανωτόν, ἀλλὰ δάφνην καὶ κρίθινον ἄλευρον), und daß Plat. leg. VIII 847 B sogar die Einführung der θυμιάματα ξενικά verbietet. Wenn die Pythia räucherte, so scheint der kathartisch-apotropäische Zweck deutlich, und es erhebt sich nun die zweite Frage, ob die Rauch-O. nur oder vornehmlich dazu dienten oder auch als wirkliche O.-Gaben für die Götter bestimmt waren. Stengel nennt an erster Stelle den kathartischen Zweck, der wohl bei den orientalischen Spezereien tatsächlich überwog, aber v. Fritze hat mit vollem Recht ihren Charakter als O.-Gaben betont, θύω, das später für den allgemeinen Begriff „opfern“ üblich gewordene Wort (s. u.). heißt eigentlich „räuchern, in Rauch aufgehen lassen“, und θύη) sind demgemäß Räucherwerk, nicht Brand-O. oder gar Backwerk, wie Stengel KA.³ 99 sagt, oder Brot (ders. Opferbr. 63, 1). Auch bei Homer ist diese Bedeutung einzusetzen, die wenigstens Il. IX 499f. noch deutlich zutage tritt, da hier die θύεα von dem Fettdampf des Brand-O. unterschieden werden, und die Scholien sind, wie oft, ganz in ihrem Recht, wenn sie zu Il. VI 270 bemerken: θυέεσσιν· ἃ ἡμεῖς θυμιάματα φαμεν. Auch in der Sakralsprache der klassischen Zeit bleibt diese Bedeutung, s. Syll.³ 1025, 37 ἱερεὺς δὲ τοῖς ἐντέροις ἐπιθυέτω θύη καὶ τοὺς φθόϊας, wo also die θύη von den Kuchen unterschieden werden, oder in dem Bestattungsgesetz von Keos Syll.³ 1218, 17 θύη θύειν ἐφίστια. In der Urkunde der milesischen Molpoi ist Z. 31 und 38/39 sicher Räucherwerk gemeint, während Z. 43 allerdings das Femininum ἀπὸ θυῶν ἐκαστέως O.-Tier oder allgemein O. zu bedeuten scheint (s. dazu v. Wilamowitz S.-Ber. Akad. Berl. 1904, 12. 19). Ferner aber ergibt sich und ist, wenn man die weitere Entwicklung des Wortes θύειν bedenkt, eigentlich selbstverständlich, daß diese θύη nicht etwa nur Blätter oder Zweige waren, die man des Wohlgeruches wegen verbrannte, sondern vor allem Getreide oder das daraus gewonnene Mehl, das man den Göttern als O.-Gabe verbrannte. Auch dies wird in den Homerscholien deutlich gesagt, s. [588] Schol. Q zu Od. XIV 429: πρὸ τῆς τοῦ λιβανωτοῦ εὑρέσεως ἀλφίτοις πρὸς τὸ θυμιᾶν ἐχέκρηντο. Von θύη sind Weiterbildungen θυηλαί und θυηλήματα (so Theophr. char. 10: vgl. Poll. I 27 die bessere Überlieferung θυηλήσαθαι), gewöhnlich θυλήματα. (Pherekrates frg. 23 K. Telekleides frg. 33. Aristoph. Pax 1040 mit Schol.; Plut. 660 mit Schol. Platon im Phaon frg. 174 K. Theophr. bei Porphyr. II 6; vgl II 17. Anecd. [Bekk.] XLII 46 θυλήματα ... ἄλφιτα οἴνῳ καὶ ἐλαίῳ μεμαγμένα. Hesych. Suid. s. v.). Entstehung und Bedeutung der beiden Wörter ist durch die in der milesischen Molpoi-Urkunde auftauchende ältere Form θυαλήματα aufgehellt worden: man verwandte als θύη zuerst Schrot und ging dann dazu über, es zu mahlen und dann auch mit Wein und Öl zu einem Brei oder Fladen anzurühren (v. Wilamowitz 15ff.). Wenn aber als ältestes Rauch-O. Schrot oder Mehl diente, dann liegt gar kein Grund vor, mit Pfister anzunehmen, daß es des Wohlgeruches wegen dargebracht wurde, sondern es waren die von der Nahrung den Göttern geopferten ἀπαρχαί. Insofern ist diese Art von Weihrauch gar keine Art der unblutigen O., sondern gehört unter 1. Früchte.

II. Blutige Opfer (ἔμψυχα, wie der Grieche besser sagte).

1. Menschen-O. (von Fr. Schwenn O. Bd. XV S. 948ff. ausführlich behandelt). Daß in der ältesten Zeit rituelle Tötung von Menschen als Reinigungs- oder Zaubermittel, als Königs-O., im Totenkult und im Dionysosdienst üblich war, ist kein Zweifel mehr. Die Frage ist nur, wann die Opposition dagegen sich durchsetzte und ob dies wirklich überall geschah. Die Antwort darauf kann wohl nur sein, daß wahrscheinlich nirgends die Menschen-O. durch einen Gesetzesakt abgeschafft wurden, sondern daß sie allmählich aufhörten, je nachdem die Kulturentwicklung des betreffenden Staates langsamer oder schneller fortschritt. Hat sich doch selbst in Athen ein Rest der alten Sitte in dem O. der Pharmakoi an dem Thargelienfest noch ziemlich lange erhalten (Kern Rel. d. Griechen I 175. v. Wilamowitz Glaube d. Hell. I 300; doch s. jetzt auch Deubner Att. Feste 188). Um so weniger kann man zweifeln, daß in den der Kultur abgelegenen Gebieten die humanere Auffassung nie völlig durchdrang, wie uns dies für das Lykaion in Arkadien bezeugt ist (Plat. Minos p. 315 C. Porph. abst. II 27. Paus. VIII 38, 7). Ebenso ist durchaus möglich, daß in besonders erregten Zeiten das Volk sich zu Menschen-O. hinreißen ließ. Für die Schlacht bei Salamis berichtet es uns Plutarch (Them. 13; Aristid. 9; Pelop. 21), und das Schweigen Herodots ist noch kein Beweis dagegen.

2. Tier-O. Im Gegensatz zu den unblutigen O. ist hier die Zahl der gebräuchlichen Arten auffallend gering. Daß für die Speise-O. nur eßbare Tiere in Betracht kamen, ist klar, aber selbst diese fanden keineswegs alle allgemeine Verwendung. Denn Wildpret und Fische wurden nur selten geopfert (doch bezieht sich Plut. Symp. VIII 8, 3 ἰχθύωνθύσιμος οὐδεὶς οὐδὲ ἱερεύσιμος nur auf die Pythagoreer). Den Grund suchte man früher (Hermann Gottesd. Alt. § 26, 11–14. Lobeck Aglaoph. 249) darin, daß diese Tiere in [589] der Zeit, in der die sakralen Gebräuche ihre Form erhielten, noch nicht zur Speise gedient hätten, und berief sich auf Homer, bei dem man nur in Notfällen dazu seine Zuflucht nimmt (s. Eustath. Od. XII 329. Athen. I 16. 22. 46). Aber selbst wenn die homerischen Helden nicht nur auf Fischgerichte, sondern auch auf Wildpret verzichtet haben sollten (vgl. jedoch Od. X 180ff.), so beweist das noch nichts für das Volk selbst. Das zeigt der Usus der historischen Zeit, der sicher auf altes Herkommen zurückgeht. Stengel hat deshalb eine andere, wesentlich bessere Erklärung beigebracht (Opferbr. 197): den Göttern hätte man keine toten oder verletzten Tiere darbringen dürfen; das Wild aber, das in Netzen oder Schlingen gefangen wurde, habe meistens Verletzungen davongetragen und sei auch nicht gutwillig zur O.-Stätte gegangen, worauf man großen Wert legte; ähnlich sei es mit den Fischen gewesen. Diese Erklärung ist bestechend und heute wohl allgemein angenommen. Aber ich glaube doch, daß sie nicht ganz das Richtige trifft. Daß die Verletzung bei der Jagd, sei es durch Pfeil oder Speer oder Netz oder Schlinge, kein das O. ausschließender Grund war, geht ja daraus hervor, daß tatsächlich Wild geopfert wurde, selbst Bären (s. Paus. VII 18, 7 im Kult der Laphria. X 32, 16 im Isiskult zu Tithorea. Daß es sich in diesen beiden Fällen um holokaustische O. handelt, ist für Stengels Ansicht gleichgültig). Insbesondere sind Hirsch-O. bezeugt und zwar nicht nur in einzelnen Fällen, sondern ganz allgemein von Theophrast bei Porph. II 25, dessen Angabe durch die sonstige Tendenz des Buches nicht entwertet werden kann. Vielleicht hatte er übrigens besonders die attischen Elaphebolien im Auge, an denen man nach Anecd. [Bekk.] I 249, 7 Hirsche opferte. Leider ist der Wortlaut dieser Stelle etwas unbestimmt und gestattet verschiedene Deutung. So kann man fragen, ob es sich um öffentliche, zu einem bestimmten Tag vorgeschriebene O. handelt oder um gelegentliche O. glücklicher Jäger (s. auch Deubner 209f.). Jedenfalls ist an der Tatsache der Hirsch-O. selbst nicht zu zweifeln, die wir auch noch sonst finden (Plut. Ages. 6, dazu Stengel 198f.). Hasen-O. müssen im Kult der Aphrodite sogar im Kult sehr beliebt gewesen sein (Philostr. Imag. I 6 ἱερεῖον τῇ Ἀφροδίτῃ ἥδιστον; auch inschriftlich: Leg. Sacr. 118. Reste von Hasenknochen im Heiligtum der Aphrodite bei Bassai in Arkadien: Ἐφ. ἀρχ. 1903, 151ff., von Kaninchen in Thera: Athen. Mitt. 1903, 50. 84. 265). Auch an Fisch-O. fehlt es in der Überlieferung nicht. Am bekanntesten sind die eigenartigen O. von Aalen des Kopaissees (Athen. VII 297 d τὰς ὑπερφυεῖς τῶν Κωπαΐδων ἐγχέλεων ἱερείων τρόπον στεφανοῦντας καὶ κατευχομένους οὐλάς τ’ ἐπιβάλλοντας θύειν τοῖς θεοῖς τοὺς Βοιωτούς) und die dem Poseidon von den Äolern geopferten Thunfische (Athen, a. O. 297 e. Noch mehr Beispiele bei Stengel 201). Wie Plutarchs Worte ἰχθύων θύσιμος οὐδεὶς οὺδὲ ἱερεύσιμος beweisen, wurden die Fische entweder geschlachtet (ἱερεύω), und dann ist gar kein Grund zu zweifeln, daß sie, nachdem der Gott seinen Teil bekommen hatte, als Speise dienten (anders Stengel KA.³ 123, doch s. Athen. VIII 346 e), oder man verbrannte sie wie unblutige O. ganz (so [590] sicher wohl die Phaseliten den Fisch, den sie dem Heros Kylabras opferten: Athen, a. O. 297 f – 298 a). Tatsächlich ließ also der Kult Wild- und Fisch-O. zu, was mit Stengels Erklärung nicht recht stimmt, und Xenoph. Kyneg. VI 13 besagt sogar ausdrücklich, daß man von der Jagdbeute auch den Göttern ihren Anteil gab. Es handelt sich folglich nicht darum, die rituelle Unzulässigkeit dieser O. zu erklären, sondern ihre Seltenheit, und das ist für den regelmäßigen, an bestimmte Tage oder gar Stunden gebundenen, insbesondere also öffentlichen Kult leicht. Denn es war ja keine unbedingte Sicherheit, daß zur rechten Zeit das Stück Wild zur Stelle war. Man hätte denn das Wild lebendig einfangen und hegen müssen, und dazu hatten die Griechen, wenn ich recht sehe, nie Neigung und viele von ihnen auch keine Gelegenheit. Denn man darf nicht vergessen: in ältester Zeit war Griechenland sicher einmal wildreich und blieb es in einigen gebirgigen Gegenden wie in Arkadien und im Taygetos auch noch später, aber in Attika, Boiotien, Megara, der Argolis, auf den Inseln, an der kleinasiatischen Küste – gab es in der klassischen Zeit da überhaupt noch größeres Wild? Vielleicht in der attischen ὀργάς (s. Xenoph. Kyneg. 9, 2), aber sicher doch nur ganz wenig. Selbst bei Hasen war diese Schwierigkeit noch vorhanden, und es ist bezeichnend, daß das lesbische Kultgesetz, in dem das Hasen-O. vorkommt, sich ganz offenbar auf private O. bezieht, also auf Gelegenheits-O.

Es war also letzten Endes die wachsende Zivilisation, die die Wild-O. immer mehr zurückdrängte und die Speise-O. auf die eßbaren Haustiere beschränkte. Im Altertum hat man sechs Tiere als opferbar angesehen, Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Huhn und Gans (Hauptstelle Suid. s. βοῦς ἕβδομος· … θυομένων δὲ τῶν ἒξ ἐμψύχων προβάτου ὑὸς αἰγὸς βοὸς ὄρνιθος χηνός, ebenso s. θύσον und Makarios II 89 cod. S. Über die andern Belegstellen, die in merkwürdigem Irrtum zum Teil βοῦς auslassen und durch πετεινόν oder gar νῆσσαν ersetzen s. Stengel 225ff.). Die vier ersten, die immer und überall geopfert wurden, bedürfen keines weiteren Wortes. Dagegen kennen wir die Gans als O.-Tier nur aus dem Isiskult (Paus. X 32, 9 in Tithorea; mehr bei Stengel 227), und es ist deshalb wohl kein Zufall, daß Theophrast a. O. die Gans nicht erwähnt und statt dessen den Hirsch nennt. Dagegen kommen Hühner häufiger vor (d. G. Wolff Porphyrii de philosophia ex oraculis haurienda rel. 187ff. Vgl. auch die reichhaltige Sammlung über „das stellvertretende Huhn-O.“ bei den verschiedensten Völkern von J. Scheftelowitz RVV XIV 3), Hähne besonders im Kult des Asklepios (bekannt der Hahn, den Sokrates ihm schuldet, Plat. Phaid. 118 A, worauf Lukian. Bis acc. 5 anspielt. Plut. Pyrrh. 3, 8. Herond. IV 12. 88. Artemidor. on. V 9), aber nicht nur in ihm. In Epidauros wird wie dem Apollon so auch der Artemis und Leto eine καλλαΐς geopfert (Syll.³ 998, 5), worunter wohl sicher ein Hahn bzw. eine Henne zu verstehen ist (s. Kretschmer Glotta IV 33f.). Die Annahme, daß die Hähne meist ganz verbrannt wurden, also nicht als Speise-O. dienten (Stengel KA.³ 122), ist nicht genügend begründet. Sie wurden allerdings wie andere Tiere [591] auch und vielleicht öfters als diese zu σφάγια, besonders zu Sühne-O. verwandt (z. B. Plut. Ages. 33. Paus. II 11, 7 und bildliche Darstellungen, s. Stengel a. O.), aber daß sie auch ein gewöhnliches Speise-O. waren, dafür genügt die Herondasstelle und Plut. Symp. VI 10, 1 μάγειρος ... τὸν νεωστὶ τῷ Ἡρακλεῖ τεθυμένον ἀλεκτρυόνα παραθεὶς ἁπαλόν. Auch andere Vögel wurden geopfert. Freilich ob Paus. IV 31, 7 und II 11, 7 mit ὄρνιθες allgemein Vögel oder Hühner gemeint sind, ist fraglich, und der eigentümliche καθαγισμός in Patrai (Paus. VII 18, 7) ist eine Singularität, aber Tauben, die auch eine Art Haustiere sind, waren wenigstens im Kult der Aphrodite ganz üblich, vielleicht von den Semiten übernommen (R. Smith Rel. d. Semiten 166), und die ebenfalls den Aphroditekult betreffende lesbische Inschrift (Leg. sacr. 119) bestimmt ἰρήϊον ὄττι κε θέλη … πλ[ὰ]γ χοί[ρω] καὶ ὄρνιθα ὄττι[νά κε θέλη (wohl auch mit dem Zusatz πλὰν …). Für jagdbare Vögel gilt dasselbe wie für das Wild. Rebhühner nennt als O. Ioh. Lyd. de mens. IV 44.

O. nicht eßbarer Tiere gab es nur unter den σφάγια, aber auf wenige Kulte beschränkt und – mit einer Ausnahme – selten. Die Ausnahme sind die Hunde-O. im Kult der Hekate (Plut. Quaest. Rom. 52. 68. 111), der κυνοσφαγὴς θεά (Lykophr. 77); nach Plut. 111 wurden sie einst von allen Griechen, zu seiner Zeit noch von einigen als καθάρσια verwandt. Außerdem berichtet Plut. 52, daß in Argos der Eileithyia (Εἰλιονείᾳ Hss.) ein Hund, und Paus. III 14, 9, daß in Sparta dem Enyalios und in Kolophon der Enodia die Jungen von Hunden geopfert wurden. Anders steht es mit den vereinzelt überlieferten Pferde-O., die dem Poseidon (Paus. VIII 7, 2. Appian. Mithr. 70. Cass. Dio XLVIII 48. Eurip. Hel. 1258f.), dem Helios (Paus. III 20, 5. Fest p. 181. Philostr. Her. X 1 p. 309), den Winden (Fest. 4 a. O.), dem Skamandros (Hom. Il. XXI 132) und Toten oder Heroen (Patroklos Hom. Il. XXIII 171ff., Toxaris Lukian. Skyth. 2, Diomedes Strab. V 204, den Heroinen von Leuktra Plut. Pel. 21f.) dargebracht wurden (s. darüber Stengel Opferbr. 154ff.). Eine nähere Prüfung macht nicht den Eindruck, daß es sich dabei um Zeugnisse eines wirklich noch im griechischen Volk lebendigen Kultes handelt. Bei der Mehrzahl ist vorgriechisches Erbe oder ausländischer Einfluß wahrscheinlich. Bei den Pferde-O. an Helios wirkte wohl Nachahmung persischer Sitte mit (s. Xen. an. IV 5, 35) aber das Taleton auf dem Taygetos, auf dem die Spartaner dem Helios Pferde opferten, war eine vorgriechische Kultstätte (v. Wilamowitz Glaube d. Hell. I 110f.), und dasselbe läßt sich über das apotropäische O. an die Winde vermuten, das in monte Taygeto, wie es leider unbestimmt bei Festus heißt, dargebracht wurde. Auch das O. eines Mithradates oder eines S. Pompeius an Poseidon ist für griechischen Kult nicht beweiskräftig, das O. der Athener für Toxaris als ἥρως ἰατρός entspricht sicher skythischer Sitte (Herodot. I 216. IV 61. Strab. XI 8, 6), das an Diomedes ist keltisch. Daß der Kult der Troer, die lebende Pferde in den Skamandros versenken, den Achill befremdet (Stengel 28, 2), ist wohl zu viel gesagt, [592] aber keinesfalls genügt dies eine Zeugnis, um griechische Pferde-O. an Flußgötter zu beweisen. Die wenigen Pferde-O., die wirklich als griechisch gelten können, sind Rudimente urzeitlichen Kultes. Für das Patroklos-O. steht das seit Rohde fest. Aber dahin gehört auch, wenn es nicht überhaupt vorgriechisch ist, das bekannte O. der Pferde, die die Argiver in die aus dem Meere emporsprudelnde Dinequelle versenkten (Paus. VIII 7, 2). Es ist gar nicht, wie man aus manchen Anführungen entnehmen könnte, für die historische Zeit bezeugt, sondern Pausanias sagt ausdrücklich, daß es τὸ ἀρχαῖον geschah. Ähnlich ist über das Eid-O. des Tyndareos (Paus. III 20, 9) zu urteilen, das man nicht mit Stengel durch den Hinweis auf Aristoph. Lys, 192 für die historische Zeit verwerten kann. So bleibt für diese eigentlich nur das O. des Epaminondas am Grabe der Heroinen von Leuktra, aber dies fand ja unter ganz außergewöhnlichen Umständen statt. Auch daß Pferde-O. in der ganzen Welt verbreitet waren (Frazer zu Paus. a. O.), kann für die historischen Griechen nichts beweisen, und die Kostspieligkeit, aus der man ihre Seltenheit bei ihnen erklären wollte (Nilsson Gr. Feste 428), scheuten die Griechen bei anderen O. wie den Hekatomben wahrlich nicht. – Die Eselhekatombe der Hyperboreer (Pind. Pyth. X 33, s. Schroeder Arch. f. Rel. VIII 76ff. v. Wilamowitz Pindaros 127) gehört der Sage, nicht der Wirklichkeit an. Tatsächliche Esel-O. kennt die Überlieferung in Lampsakos für Priap (Ovid. fast. VI 345. Lactant. inst. I 21) und in Tarent für die Winde (Hesych. s. ἀνεμώτας). Aber jenes ist wohl sicher ein Vermächtnis der Urbevölkerung (Schroeder 79), das tarentinische wahrscheinlich.

Daß die O.-Tiere von guter Beschaffenheit sein mußten, ist selbstverständlich. Wie man der Gottheit keine faulen Früchte oder verdorbene Milch darbringen durfte, ebensowenig ein krankes oder verstümmeltes Tier (Aristoteles bei Athen. XV 674f. οὐδὲν κολοβὸν προσφέρομεν πρὸς τοὺς θεούς, ἀλλὰ τέλεια καὶ ὅλα. Plut. de def. or. 49 mit bezeichnender Steigerung: δεῖ γὰρ τὸ θύσιμον τῷ τε σώματι καὶ τῇ ψυχῇ καθαρὸν εἶναι καὶ ἀσινὲς καὶ ἀδιάφθορον Poll. I 29). Das war so selbstverständlich, daß es in den O.-Gesetzen nur ganz selten erwähnt wird, so in Andania (Syll.³ 736, 70f.) παριστάτω τὰ θύματα εὐίερα καθαρὰ ὁλόκλαρα und im Dekret von Demetrias Leg. sacr. 82. Aber darüber hinaus galten natürlich dem Gotte schöne und ausgesuchte Tiere als besonders wohlgefällig, was freilich für den Privatmann nicht immer selbstverständlich war (Lukian. Iup. trag. 15), aber für den Frommen und für die Gemeinde doch mehr oder weniger bindend. Iason von Pherae setzte für den schönsten Stier sogar als Preis einen goldenen Kranz aus (Xen. hell. VI 4, 29), und wie peinlich man bei der Auswahl verfahren konnte, davon gibt der koische O.-Kalender Syll.³ 1025 mit seinen genauen Bestimmungen über die Prüfung der von den Phylen und ihren Unterabteilungen vorgeführten Rinder ein anschauliches Bild. Kürzer, aber doch auch bezeichnend ist die Bestimmung in Andania, daß die zum O. gestellten Rinder zehn Tage vor den Mysterien vorgeführt werden müssen, τοῖς δὲ δοκιασθέντοις [593] σαμεῖον ἐπιβαλόντω οἱ ἱεροὶ καὶ τὰ σαμειωθέντα παριστάτω ὁ ἐγδεξάμενος.

Auch das Dekret von Eretria über die Artemisien (Leg. sacr. 88) bietet beachtenswerte Einzelheiten, denn hier werden unter den O.-Tieren die κριτά hervorgehoben, und unter diesen wieder ist eines das καλλιστεῖον, und dem entspricht es, wenn die bekannte Urkunde über die kleinen Panathenaeen (Syll.³ 271) von dem Haupt-O. bestimmt μίαν … προκρίναντες ἐκ τῶν καλλιστευουσῶν βοῶν. Deshalb sind auch die in den Kultvorschriften gegebenen Preise nicht ohne weiteres als Normalpreise anzusehen. Nun finden sich aber auch Ausnahmen. Die eine ist die Nachricht, daß der Artemis Amarysia oder Kolainis auf Euboia nach Ailian. hist. an. XII 34 die Eretrier κολοβά opferten (vgl. Schol. Aristoph. Av. 873 und Kallim. frg, 76). In solch einzelnem Falle könnte irgendeine besondere in der Sage oder sonstwie begründete Rücksicht vorliegen (vgl. Paus. IX 19, 5 über die Artemis-O. in Aulis). Übrigens stimmt zu der ganzen Nachricht nicht recht, daß jenes eretrische Dekret über die Artemisien gerade über die Auswahl der O.-Tiere genauere Vorschriften enthält. Viel auffallender ist die allgemeine Behauptung (Plat.) Alkib. II p. 149, daß die Spartaner οὕτως ὀλιγώρως διάκειται πρὸς τοὺς θεούς, ὥστε ἀνάπηρα θύουσιν ἑκάστοτε. Das kann nicht ganz aus der Luft gegriffen sein und fordert eine Erklärung, da die Annahme, daß die Spartaner wirklich verkrüppelte Rinder und Schafe usw. den Göttern als O.-Tiere dargeboten hätten, unerträglich scheint. Vielleicht hilft hier das, was oben über die O. von Wild bemerkt ist. Es ist ja bekannt, daß die Spartaner, denen noch weite Jagdreviere zur Verfügung standen, eifrig die Jagd ausübten, und wenn sie von der Jagdbeute opfern wollten (s. Xen. cyn. VI 13), so war es oft nicht zu vermeiden, daß das erlegte Wild Verletzungen aufwies, die zwar nach durchaus verständiger Auffassung die Eignung zum O. nicht verhinderten, aber doch den andern übelwollenden Griechen ein Recht gaben zu sagen, sie opferten ἀνάπηρα. So ist es wohl auch kein Zufall, daß die Göttin von Eretria, der angeblich verstümmelte Tiere geopfert wurden, die Jagdgöttin Artemis war. – In diesem Zusammenhang mag noch Erwähnung finden, daß im allgemeinen kastrierte Tiere (die also doch auch verletzt waren) nicht grundsätzlich verboten waren, was schon daraus hervorgeht, daß die O.-Gesetze bisweilen ausdrücklich nichtkastrierte Tiere (ἔνορχα) verlangten (in Mykonos für Poseidon zweimal Syll.³ 1024, 6 u. 9; vgl. Hom. Il. XXIII 147f. für Spercheios). Auch steht nach den eindringenden Untersuchungen Stengels (Opferbr. 80ff. und Herm. LIX 313ff.) fest, daß bei den Eid-O. den O.-Tieren die Hoden ausgeschnitten wurden, auf die dann die Schwörenden traten (Demosth. XXIII 68. Dion. Hal. VII 50. Paus. III 20, 9) und die in der Sakralsprache mit τόμια bezeichnet wurden. Der uns aus der Literatur geläufige Ausdruck ὅρκια τέμνειν bedeutet eigentlich die beim Schwur-O. geschlachteten Tiere kastrieren. Ebenso erhielten die Toten zwar keineswegs immer, aber oft verschnittene Tiere (Etym. M. 345, 24 s. ἔντομα. Suid. s. ἐντομίδαι. Schol. Apoll Rhod. I 587, dazu Stengel a. O.). [594] Als Grund wird angegeben, daß den unfruchtbaren Toten auch unfruchtbare O. gebührten, was wohl tatsächlich den richtigen Sinn trifft.

An Geschlecht und Farbe werden sehr oft besondere Anforderungen gestellt, aber es ist schwer, darin ganz feste Grundsätze zu erkennen. Am ehesten gilt noch hinsichtlich der Farbe die Regel, daß den himmlischen Gottheiten weiße oder rötliche Tiere geopfert werden, den chthonischen schwarze. Das behaupten schon antike, allerdings späte Zeugen (Apollonorakel Euseb. praep. ev. IV 9, 2. Arnob. adv. gent. VII 19) und bestätigen zahlreiche Beispiele aus Literatur und Inschriften (s. Stengel Opferbr. 187ff). Besonders stark tritt die schwarze Farbe nicht nur im Toten- und Heroenkult (Hom. Od. X 527. XI 32. Eurip. El. 516. Plut. Arist. 21. Paus. IV 32, 3. V 13, 2. Philostr. Her. XIX p. 741 u. 743), sondern auch im Kult der Erdgottheiten selbst hervor (Syll.³ 1024, 25. Prott Fasti 26 B. Istros Schol. Soph. Oed. K. 42. Plut. Luc 10. Arrian. anab. 15. Diels Sibyll. Bl. 113, 37 u. a.). Aber auch hier finden sich Ausnahmen und Widersprüche: Die Despoina zu Lykosura erhält weiße O.-Tiere (Syll.³ 999, 19); Hom. Od. III 6 erhält Poseidon παμμέλανας ταύρους, dagegen in Mykonos als Τεμενίτης wie als Φύκιος weiße O.-Tiere. Das O., das Nestor am Meeresstrand darbringt, gilt doch wohl Poseidon als dem Meeresgott, und Poseidon Phykios ist als Gott des Seetanges auch Meeresgott. Warum also der Unterschied? Wirkt bei Homer noch die alte Auffassung des Gottes als des Gatten der Erde nach? Noch stärker sind die Widersprüche in bezug auf das Geschlecht (s. Stengel 191ff.; KA.³ 152f.). Auch hier ist man versucht, eine Regel aufzustellen wie Arnob. a. O.: diis feminis feminas, mares maribus hostias immolari. Aber dieser Grundsatz erleidet so starke Ausnahmen, daß in diesem Falle einmal die Regel dadurch wirklich entwertet wird. Sie galt für einzelne Gottheiten wie vor allem für Zeus und Poseidon. Denn Hom. Il. XV 373f. und Aristoph. Av. 566 sind keineswegs Beweise für Ausnahmen, da οἶς auch von männlichen Tieren gebraucht wird und zwar nicht nur bei Homer (Od. X 527), sondern auch in der Sakralsprache (s. z. B. das alte milesische Gesetz Inschr. nr. 31 a, wo zweimal οἶς ἄρσην vorkommt). Ebenso scheinen für Asklepios, Herakles und für alle Heroen nur männliche O.-Tiere bezeugt zu sein (Nachweise Stengel 194f.). Andrerseits verlangten Hera und Athene nach den vorliegenden Zeugnissen nur weibliche Tiere (daher Schol. Hom. Il. II 550 τῂ Ἀθηνᾷ θήλεα θύουσιν, was aber wohl nur eine Feststellung der homerischen Sitte ist); die scheinbaren Ausnahmen sind von Stengel überzeugend aus dem Wege geräumt. Dagegen ist bei Apollon die Geltung der Regel schon zweifelhaft. Zwar das bekannte Gesetz des Thasischen Nymphaions (IG XII 8, 358. Syll.³ 1033. Leg. sacr. 109 Νύμφηισιν κἀπόλλωνι Νυμφηγέτηι θῆλυ καὶ ἄρσεν ἃμ βόληι προσέρδεν) ist keine sichere Ausnahme, da das θῆλυ für die Nymphen, das ἄρσεν für Apollon gelten kann (anders freilich Stengel 192, 1, der ein gemeinsames O. an die Gottheiten versteht, wofür aber weder Od. XIV 435 noch Leg. sacr. 119 noch IG I 5 als Beweis ausreicht). Wohl aber erhielt Apollon Pythaieus [595] Deiradiotes in Argos ein weibliches Lamm vor der Weissagung (Paus. II 24, 1), vielleicht als Nachfolger einer alten mantischen Erdgöttin, und in Kos wird ihm nach Leg. sacr. 138 eine Ziege geopfert. Für Hermes ist in Eleusis eine Ziege vorgeschrieben, allerdings in Verbindung mit den Chariten (Leg. sacr. 2, 3) und in Lesbos jedes beliebige männliche oder weibliche Tier zugelassen. Viel zahlreicher sind die Abweichungen von der Regel bei den weiblichen Gottheiten. Zwar das eben genannte lesbische Gesetz, das die gleiche Freiheit auch für Aphrodite gestattet, mag ein besonderer Fall sein, und für Artemis sind die sicher bezeugten Ausnahmen nicht zahlreich (Kallim. frg. 76. Schol. Aristoph, Av. 873. Paus. IX 19, 5. Hesych. s. καπροφάγος). Aber zweifellos und sehr bemerkenswert ist, daß der Demeter, Ge und ähnlichen Göttinnen sogar mit Vorliebe männliche Tiere geopfert wurden, so in Eleusis von den Epheben (IG II² 1028, 10), und auch zu der τρίττοια, die hier die beiden Göttinnen erhielten (Leg. sacr. 2, 5), gehörten, da sie Syll.³ 83, 37 χρυσόκερων heißt, offenbar außer einem Stier auch Widder und Bock. Weitere Beispiele in den Fasti der marathonischen Tetrapolis (Prott nr. 26): B 17 Γῆι … τράγος πάμμελας, B 44 Κόρηι κριός (dies auch in Erythrai, Nordion. Steine S. 49 Z. 40), Syll.³ 1044, 37 (Halikarnass) Μοίραις κριόν, Leg. Sacr. 57 (Sparta) für Despoina wie für Persephone einen χοῖρον ἄρσενα, Eupolis frg. 183 K. κριὸν Χλόῃ Δήμητρι (vgl. dazu A. Mommsen Feste 477, 4). Andrerseits wurden aber denselben Göttinnen als Göttinnen der Fruchtbarkeit gerade auch trächtige oder Muttertiere geopfert: Prott Fasti 26 (Tetrapolis) B 9 Γῆι βοῦς κυσα. B 12 Δαίραι οἶς κυοῦσα. B 47f. Ἐλευσινίαι ὗς κυοῦσα … Χλόηι … ὗς κυ[σα]. Syll.³ 1024, 12 (Mykonos) Δήμητρι Χλόηι ὕες δύο … ἡ ἑτέρα … ἐγκύμων. 1025, 61 (Kos) Δ[άμα]τρι ὄϊς τέλεως καὶ τελέα κυέοσα. 1026, 3 Ῥέαι ὄϊς κυεῦσα. Inschr. v. Milet nr. 31, 5 Ἥρηι Ἀνθέηι οἶς λευκὴ ἔγκυαρ. Paus. II 11. 4 (Sikyon) den Eumeniden πρόβατα ἐγκύμονα. Wenn es verständlich ist, daß man der jungfräulichen Athene ἄδμητα ἱερεῖα opferte (Hom. Il. X 293. Od. III 383, wo freilich der Zusatz ἣν οὔπω ὑπὸ ζυγὸν ἤγαγεν ἀνήρ Zweifel über den Sinn von ἄδμητα übrig läßt, vgl. Bakchyl. IX 105 ἄζυγας βοῦς für Artemis), so ist um so auffallender, daß sie in Kos ein trächtiges Schaf erhält (Syll.³ 1025, 57) und auf dem archaischen Relief des Akropolismuseums eine trächtige Sau (s. K. Lehmann-Hartleben Arch/f. Rel. XXIV 19ff. Pfuhl Athen. Mitt. 1923, 132ff.). Dies ist wohl nur durch den älteren, auch mütterlichen Charakter der Göttin Athene zu erklären, der ja an verschiedenen Stellen zutage tritt (s. außer Lehmann-Hartleben 26 auch Fehrle RVV VI 183f. und die grundsätzlichen, freilich etwas kühnen, übrigens so nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Gedanken v. Protts Arch. f. Rel. IX 91). Für die O. an Artemis in Patmos (Kaibel Epigr. Gr. 872) muß wohl eine ähnliche Erklärung gelten.

Was das Alter der O.-Tiere betrifft, so wird ein Unterschied immer wieder betont, der zwischen ausgewachsenen und noch saugenden Tieren, den τέλεια und γαλαθηνά. Die Frage war, [596] wann ein Tier als τέλειον anzusprechen war; schon die antiken Grammatiker haben sie aufgeworfen und, was nicht zu verwundern, verschieden beantwortet, s. Hesych. s. τέλεια ἱερὰ τὰ ἐνιαύσια, οἱ δὲ τὰς ἡμέρας δέκα ὑπερβεβηκότα. Beide Erklärungen sind auffallend, denn auch Tiere, die älter sind als 10 Tage, sind noch saugend, und ein ganzes Jahr scheint wieder etwas viel. Natürlich kam es auf die Tierart an, und man wird, wenigstens für Privat-O., gern einen gewissen Spielraum gelassen, vor allem also Tiere, die noch säugend waren, doch als τέλεια zugelassen haben. Eine genauere, strengere Bestimmung gibt das Dekret von Keos (Syll.³ 958, 6ff. θύειν δὲ τὸμ μὲν βοῦν βεβληκότα, τὴν δὲ οἶν βεβληκυῖαν· ἂν δέ τι καὶ ὑαμινὸν θύηι, μὴ πρεσβύτερεον ἐνιαυσίου καὶ ἑγμήνου). Gemeint ist ein Rind oder Schaf, das das mittelste Paar der Schneidezähne schon gewechselt hat (ovis oder bos bidens der Römer) und etwa 1½–2 Jahre alt ist (s. Nehring Jahrb. f. Phil. 1893, 65ff.); es hat dann besonders zartes und wohlschmeckendes Fleisch. Vgl. die ähnliche Bestimmung in einem attischen Fragment (Leg. sacr. 16 a) οἶς λειπογνώμων und Eustath. Od. p. 1404, wo die Erklärung des Aristophanes v. Byzanz angeführt ist mit dem Zusatz καὶ Ἀττικήν τινα δωδεκῇδα θύεσθαι λεγομένην λειπογνώμονα οἶον τελείαν. Allgemeiner, aber in seiner ökonomischen Tendenz verständlich war das von Androtion (Athen. IX 17, 375b) überlieferte alte attische Gesetz μὴ σφάττειν πρόβατον ἄπεκτον ἢ ἄτοκον. In Wirklichkeit war aber das O. von Lämmern ebenso wie das von Ferkeln ganz gewöhnlich, wie eine Fülle von Zeugnissen sowohl aus der Literatur wie aus Inschriften beweist (Stengel Quaest. sacrif. 8ff.). Hier und da, aber im ganzen doch selten wird ein bestimmtes Jahresalter gefordert, so ein Jahr wiederholt bei Homer (Il. VI 94. 275. X 292. Od. III 382) und in Mykonos (Syll.³ 1024, 24f. ἐτήσιον), ein Mindestalter von 1½ Jahren in Keos für Schweine (s. o.), in Andania eine διετὴς σῦς (Syll.³ 736, 78). Pergamon soll zur Abwehr der Pest Zeus und Zeus Bakchos ein 3jähriges Rind, der Pallas ein 2jähriges Kalb opfern (CIG 3538). Ob die τρίττοιαι genannten O. wirklich immer aus 3jährigen Tieren bestanden (Istros im Etym. M. s. τριττὸν θυσίαν) oder diese Angabe auf der falschen Etymologie beruht, die bei Theognostos vorliegt, ist fraglich; es könnte ja diese aus der kultischen Tatsache abgeleitet sein. Das O. eines 5jährigen Ebers durch Eumaios (Hom. Od. XIV 419) und eines 5jährigen Stiers durch Agamemnon (Il. II 403. VII 315) sind durch die besondere Gelegenheit veranlaßte Einzelfälle. In diesem Zusammenhang sei auch die Scheu erwähnt, einen Pflugochsen, den Ackergenossen des Bauern, zu schlachten oder zu opfern. Denn daß diese Scheu tatsächlich bestand und insbesondere die attische Religion daran Anstoß nahm, ist gegenüber den klaren und mehrfachen Zeugnissen nicht zu bezweifeln (s. vor allem v. Wilamowitz Herakles I 60 und Deubner Att. Feste 172), s. den νόμος Ἀττικός bei Ailian. var. hist. V 14 βοῦν ἀρότην καὶ ὑπὸ ζυγὸν πονήσαντα σὺν ἀρότρῳ ἢ καὶ σὺν τῇ ἁμάξῃ μηδὲ τοῦτον θύειν, ὅτι καὶ οὗτος εἴη ἂν γεωργὸς καὶ τῶν έν ἀνθρώποις καμάτων κοινωνός, Schol. Arat. 132 (H. Schöne Rh. Mus. [597] LXIV 477), Varr. de re rust. II 5, 3. Auch dem Ritus der Buphonien liegt wahrscheinlich diese Anschauung zugrunde (Deubner a. O.). Ausnahmen gab es (Kult des Apollon Spodios in Theben Paus. IX 12, 1, des Herakles in Lindos Philostr. Im. II 24). Aber diese besonders begründeten Ausnahmen bestätigen die Regel (K. F. Hermann Gottesd. Alt. 26, 20).

III. Die Opferhandlung.

1. Sprachliches. Zunächst ist festzustellen, welche Wörter die Griechen für das O. gebrauchten und welches deren eigentliche Bedeutung war. Die Sakralsprache unterschied scharf folgendermaßen: Für die O. an die olympischen Gottheiten und für alle Speise-O. sagte man θύειν, für das O.-Tier ἱερεῖον (θῦμα oft in der Poesie, doch vereinzelt auch in Inschriften, s. Syll.³ 540, 25. 736 § 12. 19. 999, 13) dagegen für die O. an Tote und Heroen, für Eid-, Sühn- und Reinigungs-O., also für alle σφάγια (s. a. Bd. III A S. 1669ff.) ἐναγίζειν oder auch, nach dem dabei üblichen Ritus des Schlachtens, ἐντέμνειν. Daher wiederholt bei ein und derselben Gottheit wie Herakles der Unterschied ὡς μὲν θεῷ θύουσιν, ὡς δὲ ἥρωι ἐναγίζουσιν (Herodot. II 44. Paus. II 10, 1; vgl. 11, 7) und die vielen ἐναγισμοί an die Heroen (eine reiche Sammlung von Belegstellen für ἐναγίζειν bei Pfister Reliquienkult II 467ff.; έντέμνειν z. B. bei Thuk. V 11 für das O. an Brasidas). Aber dieser Sprachgebrauch wird oft und schon früh nicht mehr streng beobachtet (Beispiele bei Pfister 479), und zwar ist es θύειν und θυσία, das immer weiter um sich greift, oft für σφάγια gebraucht wird (s. z. B. Eurip. Iph. A. 15403.) und bald das allgemeine Wort für O. wird. Um so wichtiger ist es, seine ursprüngliche Bedeutung zu erkennen. Da ist zunächst das sicher, daß sie weder ,schlachten‘ ist – das ist bei Homer ἱερεύειν und später σφάζειν – noch etwa unserm ,opfern‘ entspricht, ein Wort, das, aus dem Kirchenlatein übernommen, leicht einen dem antiken Wort ganz fremden Begriff mitklingen läßt. Aber auch die Übersetzung ,verbrennen‘ (Stengel 4) ist ungenau, vielmehr ist θύειν das Causativum zu ,rauchen‘, heißt also eigentlich ,rauchen machen‘ und dann ,räuchern, ein Rauch-O. darbringen‘. Dies haben schon die antiken Grammatiker richtig erkannt, s. Schol. A zu Hom. Il. IX 219 θῦσαι οὐ σφάζαι, ὡς ὁ Τιμόθεος ὑπέλαβεν καὶ Φιλόξενος, ὁμοίως τῇ ἡμετέρᾳ συνθείᾳ, ἀλλὰ θυμιάσαι (vgl. Schol. Townl. z. St.). Bei Homer ist besonders deutlich Od. XIV 446 und hym. Apoll. 492. Daß man aber auch in klassischer Zeit immer noch diese Grundbedeutung empfand, beweisen Stellen wie Eurip. Herc. f. 936 τί· θύω … καθάρσιον πῦρ; und Iph. T. 1831 ἀπόρρητον φλογα θύουσα, und selbst Plut. Symp. VIII 8, 3 unterscheidet noch θύσιμος und ἱερεύσιμος. Im Zusammenhang konnte das Wort natürlich leicht soviel sein wie ,verbrennen‘ und dann allmählich die freiere und allgemeinere Bedeutung annehmen. In einen ganz anderen Vorstellungskreis führt uns ἐναγίζειν. Sachlich freilich kam es, da die meisten σφάγια verbrannt wurden, ebenso wie das Simplex ἁγίζω und καθαγίζω auf dasselbe wie verbrennen heraus. Aber das ist natürlich nicht die Grundbedeutung; gewisse σφάγια wie die Eid-O. wurden [598] ja gar nicht verbrannt, sondern vergraben. Vielmehr liegt der vielbehandelte Stamm ἅγος oder ἄγος zugrunde (s. J. Harrison Proleg. 53ff. Latte Arch, f. Rel. XX 260f. Williger RVV XIX 1, 33ff. Arbesmann Fasten 8ff.) und ἐναγίζειν muß daher, ob man es nun als Weiterbildung von ἐναγής oder als Compositum von ἁγίζεινauffaßt, ursprünglich den Sinn von ,ἁγνόν, d. h. tabu machen‘ gehabt haben. Der Sprachgebrauch ergibt also, daß es zwei Hauptarten von O. gab: 1. die besonders im Kult der olympischen Gottheiten üblichen Speise-O. und 2. die durch die Termini ἐναγίζειν und σφάγια bezeichneten θυσίαι ἄγευστοι. Die Grenzen zwischen beiden sind nicht ganz fest, und die σφάγια selbst wiesen je nach dem Zweck des O. mehr oder weniger starke Eigentümlichkeiten auf, aber daß im wesentlichen zwei Gattungen von O. zu unterscheiden sind, wird durch die Zweiheit der Termini gewährleistet.

2. Speiseopfer. Quellen. Irgendwelche genauere Beschreibung aus einem Kultschriftsteller ist nicht erhalten (s. o.). Denn die summarische Darstellung Dion. Hal. VII 72 kann, wenn sie auch ein paar wertvolle Angaben enthält, nicht als solche gelten. Dagegen bietet uns die poetische Literatur einige ausführlicheren Schilderungen. Man muß zwei Gruppen unterscheiden: einerseits die bekannten Homerstellen Il. I 447ff. II 410ff.; Od. III 429ff. (dies die genaueste). XIV 414ff., und davon wohl abhängig Apoll. Rhod. I 406ff., andrerseits Zeugnisse der klassischen Poesie Eurip. Herc. f. 922ff.; El. 791ff.; Iph. A. 1565ff. Aristoph. Pax 937ff.; Av. 850ff. 896f. 958ff. Menand. bei Athen. XIV 659 d. Der Wert der Homerstellen ist größer, entsprechend der Art der epischen Schilderung, die zwar nicht immer vollständig ist, aber in der Hauptsache doch den tatsächlichen Vorgang getreu wiedergibt. Dagegen sind die Stellen aus der Tragödie und Komödie nicht ganz so zuverlässig, weil bei ihnen dichterische Rücksichten mitspielen und evtl. gewisse Freiheiten und Ungenauigkeiten rechtfertigen. Das gilt sowohl für Euripides, der z. B. Iph. T. 1470ff., sicher von der korrekten Reihenfolge der Handlungen abweicht, wie besonders für Aristophanes, dessen Text zudem die begleitende Handlung auf der Bühne voraussetzt. Die Verse aus dem „Frieden“ sind deshalb trotz der eingehenden Behandlung, die Stengel zweimal ihnen gewidmet hat (Herm. LVII 536ff. LIX 307ff.), meines Erachtens immer noch nicht ganz erklärt. – Außer den genannten ausführlichen Schilderungen gibt es glücklicherweise noch eine größere Zahl kürzerer Zeugnisse, besonders wieder aus Dichtern, die zum Teil sehr wertvolle Ergänzungen bieten.

Ausführung des O. Ein Vergleich zwischen Homer und den späteren Stellen ergibt zwar in der Hauptsache Übereinstimmung, aber doch den einen Unterschied, daß bei jenem gewisse Riten fehlen, die für die klassische Zeit ohne Zweifel vorauszusetzen sind. So fehlen vor allem die u. unter b) genannten Riten. Daß dies auf Zufall beruht, ist bei der großen Ausführlichkeit an allen drei Stellen nicht glaublich. Vielmehr ergibt sich der Schluß, daß eben Änderungen im Ritual vorkamen. Ob Homer den älteren Zustand [599] darstellt oder umgekehrt sich in Athen und anderen Orten das Ältere erhielt, während die homerische Gesellschaft wie in anderen Fällen so auch hier von der alten Sitte abwich, ist schwer zu entscheiden. Die Tatsache selbst, daß nach Ort und Zeit und Umwelt die O.-Handlung sich abwandelte, ist fast selbstverständlich und zeigt auch Homer selbst, bei dem das große O. Agamemnons oder Nestors wesentlich anders verläuft als das des Schweinehirten Eumaios. Besonders auffällig ist das Fehlen der Kränze bei Homer. Denn es dürfte heute allgemein anerkannt sein, besonders auf Grund der bildlichen Darstellungen, daß der Kranz nicht etwa erst aus nachhomerischer Zeit stammt (s. Hock Griech, Weihgebr. 10, 1. Köchling De coron. ap. antiquos vi atque usu, RVV XIV 2, 89ff.). Zu unterscheiden ist die Vorbereitung auf das O. und die O.-Handlung selbst. Dazwischen stehen in der nachhomerischen Zeit einige Riten, die zwar noch vorbereitend sind, aber durch Ort und Zeit ihres Vollziehens doch schon mehr einen Teil der eigentlichen Kulthandlung bilden.

Vorbereitung des O., die außerhalb der O.-Stätte selbst stattfand. Über die Prüfung und Wahl der O.-Tiere ist oben gehandelt. Kam die Stunde des O. heran, wurde es selbstverständlich zuerst gereinigt, dann mit Binden geschmückt (Eurip. Herc. f. 529; Iph. A. 1567), außerdem auch, aber wie es scheint seltener, mit Kränzen (Lukian. de sacrif. 12. Plin. n. h. XVI 9. Tertull. de cor. 10). Bisweilen, also vor allem bei besonders feierlichen O., bekam es die Hörner vergoldet, so die Kuh, die Nestor der Athene opferte (Od. III 437f.) und die, die Diomedes ihr gelobte (Il. X 294); auch die eleusinische τρίττοια war χρυσόκερος (Syll.³ 83, 37); vgl. Tib. IV 1, 15 semper inaurato taurus cadit hostia cornu (Verg. Aen. V 366. IX 627). Wie die O.-Tiere so mußten die O.-Teilnehmer natürlich sich selbst in einen der heiligen Handlung entsprechenden Zustand versetzen (Clem. Alex. Strom. IV 22 δεῖν ἐπὶ τὰς ἱεροποιΐας καὶ τὰς εὐχὰς ἰέναι καθαροὺς καὶ λαμπρούς). Es ist daher selbstverständlich, daß man sich vorher zuhause wusch oder badete (Hom. Od. IV 759 und wichtig Eurip. El. 7918., wo die λουτρά deutlich von den χέρνιβες geschieden werden) und reine Kleider anlegte (Od. a. O.), meist wohl weiße (Aischin. III 77; öfters in den Sibyll. Orakeln bei Diels). Daß die O.-Teilnehmer sich einen Kranz aufsetzten, war offenbar, wenigstens bei allen etwas feierlicheren O., feste Sitte (Xen. an. VII 1, 40 ἐστεφανωμένος ὡς θύσων. Aischin. a. O.). Wenn man in späteren Zeiten in der Bekränzung einen Ausdruck der Festfreude sah, so ist doch kein Zweifel, daß die ursprüngliche Bedeutung sakral war, daß derjenige, der sich kränzte, sich damit schützte, entweder indem er sich auf diese Weise in den Schutz der Gottheit stellte (Hock 9f. Köchling 15) oder aber indem er sich dadurch gerade gegen die Gottheit, der er sich im O. nahte und die ursprünglich ja eine dem Menschen gefährliche Macht war, sicherte (Deubner Arch. f. Rel. XXX 90ff., der sich insbesondere auf die Analogie der Zauberriten stützt, wo der Kranz geradezu als φυλακτήριον bezeichnet wird). Freilich fragt man, warum dann bei einer Trauerbotschaft [600] der Opfernde den Kranz abnahm oder in dem Kult der Chariten in Paros der Kranz verboten war (Apollodor. III 15, 7. Plut. praec. san. p. 132f.). Der manchem wohl naheliegende Gedanke, daß die Chariten eben keine unfreundlichen Göttinnen waren, scheitert daran, daß dort auch die Flötenmusik und der Paian verboten war, ihr Kult also offenbar einen wohl aus der Urbedeutung der Chariten entwickelten düsteren Charakter trug (vgl. die aitiologische Erklärung des Kultes in den Zeugnissen). Für Deubners Erklärung spricht, daß dadurch sofort auch die Zweige der Adoranten verständlich werden. Über das Fehlen des Kranzes bei Homer s. o. – Auch die zum O. notwendigen Geräte mußten vor Beginn bereitgestellt sein. Am wichtigsten war der Korb (κανοῦν), in dem sich die O.-Gerste, das O.-Messer (μάχαιρα) und das στέμμα befand (Aristoph. Pax 948). Das O.-Messer wurde in den Korb hineingelegt (Eurip. Iph. A. 1563f. Platon FCA I 91 K.) und zwar so, daß es von der O.-Gerste bedeckt war (Schol. Aristoph. Pax a. O. ὅτι ἐκέκρυπτο ἐν τῷ κανῷ ἡ μάχαιρα ταῖσ ὀλαῖς καὶ τοῖς στέμμασιν, vgl. Iuven. sat. IV 12, 84) was, wenigstens nach dem Glauben der damaligen Griechen, kathartischen Zweck hatte (s. die von mir gegebene nähere Begründung Herm. XXXVII 397ff., dazu Ovid. met. II 713, doch vgl. auch Schwenn Gebet u. Opfer 110. 128ff.) Es wird auch überliefert, daß es besondere Körbe für die O.-Gerste gab, wie in Syrakus die ὀὐλάχνια (Etym. M. s. Δερβιστήρ)- der Name οὐλοχόϊον wird Hesych. s. v. erwähnt. Ferner mußte das Becken mit Weihwasser da sein, die χέρνιψ (Aristoph. Pax 956. Eurip. Iph. A. 1111). Weniger sakral als praktisch wichtig war das σφαγεῖον (Eurip. El. 800).

Das O.-Tier, der Priester und die übrigen O.-Teilnehmer waren am Altar versammelt. Aber ehe die eigentliche O.-Handlung begann, geschah noch anderes: man trug die Chernips und den Korb mit der O.-Gerste nach rechts herum um den Altar (Eurip. Iph. A. 1472. 1568; Herc. f. 926. Aristoph. Pax 957; Av. 958). Der Ritus hatte wahrscheinlich sowohl kathartische wie apotropaeische Bedeutung. Die kathartische, auch vom Schol. Aristoph. Pax 957 bezeugt, ist klar, und nur das kann man fragen, ob nur der Altar und was darauf war, durch die herumgetragenen Kultmittel geweiht werden sollte oder auch diese selbst durch den Altar und das darauf brennende Feuer, wie Eitrem 7 glaubt. Dieser nimmt aber weiter an, daß durch dieses Herumtragen gewissermaßen ein magischer Kreis um den Altar gezogen werden sollte, zur Abwehr dessen, was außerhalb des Kreises fällt, zum Schutze dessen, was drinnen ist, also ein apotropaeischer Ritus. Danach nahm der Priester vom Altar einen brennenden Scheit (δαλός), tauchte ihn in die χέρνιψ und bespritzte damit den Altar und die Anwesenden (Athen. IX 409 b. Eurip. Herc. f. 928–930. Aristoph. Pax 959). – Durch diesen sicher auch kathartischen Akt war die kultische Vorbereitung vollendet.

Die eigentliche O. -Handlung. Auch hier sind wieder mehrere Abschnitte zu unterscheiden: die das O. einleitenden Riten, die der Grieche mit dem Wort καθάρχεσθαι bezeichnete, [601] das Gebet, die eigentliche Opferung, d. h. die Schlachtung, die Verbrennung der für die Gottheit bestimmten Fleischstücke mit der Spende und endlich die Verteilung der übrigen an die O.-Teilnehmer. 1. Das καθάρχεσθαι (s. darüber Haussoullier Bull. hell. V 898. Dittenberger Ind. lect. Hal. 1889/90. L. Ziehen Rh. Mus. LVIII 391 ff. Stengel Opferbr. 40ff.). Wenn das Wort eigentlich den Beginn der O.-Handlung bezeichnete, so haben doch die Griechen schon früh darunter den besonderen Begriff der Vorweihe verstanden. Bei Homer nur ein einziges Mal gebraucht (Od. III 445 χέρνιβά τ’ οὐλοχύτας τε κατήρχετο) kommt es später und zwar schon bei den Tragikern ziemlich häufig vor (wobei allerdings zu beachten, daß in den Hss. wiederholt κατάρχεσθαι und κατεύχεσθαι verwechselt wird, s. Rh. Mus. LVIII 403). Ihr Vergleich läßt klar erkennen, daß hauptsächlich zwei Riten damit gemeint sind, also das O. einleiteten: das χερνίπτεσθαι (beweisend außer der Homerstelle Eurip. Iph. T. 40 und 56 vgl. mit 54 und 622) und zweitens die οὐλοχύται (Hesych. s. v. Schol. Hom. Od. III 445). Beide werden manchmal eng verbunden genannt, wobei für die Gerste auch der Korb, in dem sie liegt, stehen kann (Hom. Od. a. O. Eurip. Iph. A. 955. 1111. 1471f. 1568. Aristoph. Av. 850. Demosth. XXII 78), wodurch ihre Zusammengehörigkeit als Teile des κατάρχεσθαι bestätigt wird. Worin bestanden nun diese Riten? Über das χερνίπτεσθαι hat sich eine lebhafte Diskussion entsponnen (Eitrem Opferritus 78ff.; Beitr. z. griech. Religionsgesch. III 1ff., dagegen Stengel Herm. LVII 535ff. LIX 307f.), aus der sich meines Erachtens folgendes ergibt: Die eigentliche Bedeutung des Wortes ist natürlich „die Hand waschen, netzen“, und sie liegt, was Stengel nicht hätte bestreiten sollen, noch bei Homer vor. Denn es ist in der Tat gar kein Grund anzunehmen, daß das χερνίπτεσθαι vor dem O. Il. I 449 eine andere Bedeutung hat als das χερσὶν ὕδωρ ἐπιχεῦαι und νυψάμενος vor dem Gebet XXIV 306ff., und wie an dieser Stelle χέρνιβον das Waschbecken ist, so ist Od. I 136 χέρνιψ das zum Netzen der Hände bestimmte Wasser. Nur ist unter diesem Händewaschen (trotz der von Eitrem Opferritus 119ff. beigebrachten, an sich sehr interessanten Belege für die Bedeutung des schmutzigen Wassers im Dämonenglauben) nicht ein wirkliches Reinigen schmutziger Hände zu verstehen, sondern ein Netzen bzw. ein Übergießen der Hände aus kultischen Gründen, genau wie heute der Katholik seine Hand in das Weihwasserbecken taucht. Wenn Hom. Od. IV 52 den Gästen des Menelaos Wasser über die Hände gegossen wird, obwohl sie gerade aus der Badewanne gestiegen sind, so ist erst recht zu verstehen, daß man sich, bevor man der Gottheit nahte, noch einmal die Hände netzte und die Forderung absoluter Reinheit zu erfüllen suchte (s. auch die wichtige von Eitrem zitierte Tertullianstelle de or. 13 verae munditiae, non quas plerique superstitiose curant, ad omnem orationem, etiam cum a lavacro totius corporis veniunt, aquam sumentes). Im späteren Gebrauch drängt sich dann die Bedeutung ,besprengen‘ immer mehr vor (besonders deutlich Eurip. Iph. T. 58 οὓς ἂν χέρνιβες βάλωσ’ ἐμαί und 622 χαίτην [602] ἀμφὶ σὴν χερνίψομαι), und diese Bedeutungsentwicklung ist ja auch ganz klar: Mit der Hand, die man in das Weihwasser getaucht hatte, spritzte oder sprengte man die an ihr hängenden Tropfen. Man mag daher manchmal χέρνιβες geradezu mit ,Wasserspende‘ übersetzen, muß sich aber immer bewußt bleiben, daß der Grieche doch auch noch den ursprünglichen Sinn des Wortes mit empfand. So sind auch die bekannten Ausdrücke κοινωνὸν εἶναι χερνίβων (Aischyl. Ag. 1037), χερνίβων εἴργεσθαι (Demosth. XX 158) und χέρνιβας νέμειν (Soph. Oid. T. 246) im Hinblick auf das Ganze des Ritus zu verstehen: der Unwürdige wird von dem Ritus, der mit dem Benetzen der Hände beginnt und dem Sprengen des Weihwassers endet, ausgeschlossen. In einer Erklärung wie Schol. Hom. Od. III 445 τὸ ἀπὸ τῶν χερνίβων περιρραίνειν τῷ ἱερεῖῳ kommt durch das ἀπὸ, wenn ich recht sehe, die Zweiteilung des Ritus noch zum Ausdruck.

Die οὐλοχύται waren die zum O. gehörige heilige Gerste. Die Anwesenden nahmen sie aus dem κανοῦν, in dem sie zusammen mit dem O.-Messer und dem Stemma lag, auf (daher bei Homer ἀνέλοντο), um sie dann während des Gebets oder nach ihm (s. u.) nach vorwärts zu werfen (bei Homer προβάλοντο, daher später statt οὐλοχύται auch das Wort προχύται: Eurip. El. 803; Iph. A. 955. 1111. Apoll. Rhod. I 425. Herodot. I 160 οὐλὰς κριθέων πρόχυσιν ἐποιέετο). Es waren nicht geschrotene, sondern ganze Körner. Das wird nicht nur durch die Homerscholien bewiesen, mag nun ihre Ableitung von ὅλος richtig sein oder nicht, sondern vor allem wäre die Szene Aristoph. Pax 955ff., wo die Gerste unter die Zuschauer geworfen wird, nicht gut möglich. Sie waren in späterer Zeit mit Salz vermischt (Schol. Aristoph. Eq. 1167. Schol. Od. III 441; Il. 449. Suid. s. οὐλαί); bei Homer ist freilich kein Anzeichen für diesen Gebrauch. Das Reinigen von Unkraut wird einmal für die zum Rauch-O. dienenden οὐλαί inschriftlich erwähnt (Syll. 999, 15 ὀλοαῖς αἰρολογημέναις). Eigenartig ist der von den Scholien bezeugte Gebrauch, das Weihwasser mit der Gerste vermengt zu sprengen (Schol. Hom. Od. III 441. Hesych. s. χερνίβιον); wenn kein Irrtum vorliegt, kann es sich wohl nur um eine spätere Neuerung handeln. Doch wohin wurde das Wasser gesprengt und die Gerste gestreut? Für die historische Zeit ist durch verschiedene Zeugnisse gesichert, daß beides sowohl den O.-Tieren galt (s. außer den oben zitierten Stellen Eurip. Iph. T. 58 u. 622 und Schol. Hom. Od. III 445 vor allem Schol. Aristoph. Nub. 260 βάλλει τὸν πρεσβύτην καθάπερ τὰ ἱερεῖα ταῖς οὐλαῖ οἱ θύοντεςς, ferner Schol. Hom. Il. I 449; Od. III 441. Schol. Aristoph. Eq. 1167. Dionys. Hal. VII 72) wie dem Altar (Eurip. El. 803 λαβὼν δὲ προχύτας … ἔβαλλε βωμούς; Iph. A. 1470 αἰθέσθω δὲ πῦρ προχύταις καθαρσίοισιν. Dion. Hal. a. O. Aristoph. Lysistr. 1129 νιᾶς ἐκ χέρνιβος βωμὸν περιρραίνοντες, was freilich Stengel KA.³ 109 auf das Sprengen mit den δαλός bezog). Die Frage ist, ob dies schon zu Homers Zeit so war. Stengel (Opferbr. 16. 31. 44) bestritt es und meinte, προβαλέσθαι heiße ,nach vorne auf die Erde‘ werfen. Nun ist freilich diese Auslegung des Wortes nicht zwingend und ist offenbar von [603] Stengels Auffassung dieser ganzen Vorriten (s. u.) beeinflußt. Immerhin ist es doch auffallend, daß an keiner von den zahlreichen kürzeren oder längeren O.-Beschreibungen eine Spur von dem Werfen auf den Altar und das O.-Tier zu entdecken ist, und mit Änderungen im Ritual ist, wie wir schon sahen, zu rechnen. Leider bleibt nun aber hinsichtlich der οὐλοχύται noch eine andere Unklarheit oder Unstimmigkeit: Das Aufnehmen der O.-Gerste geschieht bei Homer vor dem Gebet, aber das dem ἀνέλοντο entsprechende προβάλοντο erscheint an den drei Stellen, wo es überhaupt vorkommt, nach dem Gebet (αὐτσαρ ἐπεὶ ῥ’εὔξαντο καὶ οὐλοχύτας προβάλοντο), während wiederum drei nachhomerische O.-Erzählungen bei genauer grammatischer Interpretation zu dem Schluß nötigen, daß der Opfernde die οὐλαί während des Gebets streut, s. Eurip. El. 803 ἔβαλλε βωμοὺς τοιάδ’ ἐννέπων ἐπη), Apoll. Rhod. I 425 ἅμ’ εὐχωλῇ προχύτας βάλε und Agatharchides bei Athen. VII 297 d κατευχομένους οὐλάς τ’ ἐπιβάλλοντας. Will man konziliatorisch verfahren, so könnte man folgenden Ablauf der Handlung vermuten: Vor dem Gebet, als καταρχή, nehmen alle O.-Teilnehmer die Gerste aus dem heiligen Korbe, zuerst der Priester oder wer seine Stelle vertritt, dieser streut sie, während er betet, aus, nach dem Gebet tun es die übrigen. Aber vielleicht heißt das doch dem genauen grammatischen Wortlaut zuviel Gewicht beilegen.

Eine ganz ähnliche Schwierigkeit ist mit der Frage verknüpft, welche Stelle im Ritual das ein paarmal vorkommende Abschneiden der Stirnhaare des O.-Tieres einnahm (Anecd. [Bekk.] I p. 52 μετωπιδία θρίξ. ἡ τῶν θυομένων ἱερεῖων , ἣν πρὸ τοῦ θύεσθαι ἀποκείροντες εἰς τὸ πῦρ ἐμβάλλουσιν), insbesondere ob es zum κατάρχεσθαι gehörte. Stengel hat dies gegenüber Dittenberger (Ind. lect.) lebhaft bestritten (Opferbr. 40ff.), aber seine Gründe scheinen mir nicht ausreichend. Die Reihenfolge der einzelnen Akte der Handlung bei Eurip. El. 81 Off. und Hom. III 446, auf die er sich beruft, kann, wenn man das eben für die οὐλοχύται Festgestellte bedenkt, keineswegs entscheidend sein, zumal bei dem O. des Eumaios Hom. Od. XIV 442f., das Stengel gar nicht berücksichtigt, das Abschneiden der Haare sogar unzweifelhaft dem Gebet vorausgeht, also doch zu den einleitenden Riten gehört. Auch kann man die Analogie des Eid-O. Hom. Il. III 273 (wiederholt XIX 253), wo ebenfalls das Abschneiden vorangeht, und den Ausdruck Eurip. Alk. 75 ὡς κατάρξωμαι ξίφει sowie endlich die freilich nicht mehr vollständige und daher schwierige Photiosglosse κατάρξασθαι τῶν τριχῶν· ἀπάρξασθαι τοῦ ἱερείου nicht ohne weiteres beiseite schieben. Mindestens geht aus all dem das hervor, daß das Abschneiden der Haare im Ritual keine ganz feste Stelle hatte. Aber eine andere Frage erhebt sich, wie nämlich der Priester oder sein Vertreter beide Riten, die οὐλοχύται und das Haar-O., vereinigen konnte. Nestor, kann man sagen, hat zuerst die οὐλαί gestreut und dann die Haare der Kuh abgeschnitten und während des Gebets ins Feuer geworfen. Aber der euripideische Aigisth? Wie soll man sich bei ihm beides verbunden denken? Angesichts dieser Divergenzen ist man versucht zu vermuten, daß man gar nicht [604] bei jedem O. die Haare des O.-Tieres abschnitt, umgekehrt aber Eumaios anstelle der Gerste die Haare den Göttern weihte. Über die Bedeutung dieses Ritus hat ausführlich Eitrem Opferritus 344ff. gehandelt, der ihn in die Reihe aller anderen Haar-O. und -Weihen stellt und auch hier ein O. an die Totenseelen vermutet. Darüber, wer das κατάρχεσθαι vollzog, kann im wesentlichen kein Zweifel sein. Was die χέρνιβες und die οὐλοχύται betrifft, so war es natürlich der Priester oder sein Vertreter, der diese Riten vor allen und zuerst vornahm (daher Hom. Od. III 444ff. zunächst von Nestor allein χέρνιβά τ’ οὐλοχύτας τε κατήρχετο), aber ebenso sicher ist, daß sich auch die anderen O.-Teilnehmer soweit möglich daran beteiligten. Das wird durch die bekannten Homerstellen (χερνίψαντο δ’ ἔπειτα καὶ οὐλοχύτας ἀνέλοντο) bewiesen und durch die Scholien und andere Zeugnisse bestätigt (s. o.). Dies gilt, wie ich ausdrücklich bemerke, auch für das χερνίπτεσθαι Eurip. Iph. T. 40 vgl. mit 622 oder 56 widerspricht dem keineswegs. Einmal kann das Menschen-O., das Iphigenie vollzieht, überhaupt nicht ohne weiteres mit anderen O. verglichen werden und schloß vielleicht die Teilnahme anderer aus (so schon Stengel Opferbr. 43). Aber ganz abgesehen davon, die Priesterin, die die heilige Handlung leitete, konnte immer von sich sagen κατάρχομαι oder χερνίψομαι, auch wenn sich dann andere diesem Ritus anschlossen, wofür Parallelen aus anderen Lebensgebieten beizubringen wohl kaum nötig ist. Nur soviel wird man einschränkend sagen dürfen, daß das Besprengen des Hauptes des O.-Tieres dem Priester schon wegen des Platzes, den er einnahm, zufallen mußte. Ebenso war es durch die Sache selbst gegeben, daß nur einer die Stirnhaare des O.-Tieres abschneiden konnte, der Priester oder wer seine Stelle einnahm.

Nicht zum κατάρχεσθαι gehört das Gebet. Wenn Dittenberger das annahm, so wurde er dazu durch seine scharfsinnige Interpretation von Eurip. Phoin. 571ff. verführt, der aber die einfache Änderung von κατάρξῃ in κατεύξῃ (s. o. über die hss. Verwechslung dieser beiden Verben) gerecht wird (Rh. Mus. a. O. 402f.).

2. Das Gebet (εὐχή· κατευχη). Weit entfernt, zu den einleitenden Riten der O.-Handlung zu gehören, bildet es vielmehr ihren Höhe- und Mittelpunkt. Das O. wurde ja, wenigstens von den Griechen der historisch erkennbaren Zeit, in der Absicht dargebracht, dem Gebete größeren Erfolg zu sichern: man hoffte, daß die Gottheit sich zur Entgegennahme der O.-Gabe selbst einfinden (Hom. Od. III 435 ἦλθε δ’ Ἀθήνη ἱρῶν ἀντιόωσα) und dabei das Gebet hören und schließlich auch erhören werde (über die doppelte Bedeutung s. Schwenn 28). Daher gibt es wohl Gebet ohne O. und ohne Spende, aber kein wirkliches O. ohne Gebet (Plin. n. h. XXVIII 3, 1 victimas caedi sine precatione non videtur referre). Deshalb hat das Gebet auch ebenso wie die Spende eine von O. ganz unabhängige, selbständige Bedeutung (vgl. Syll. or. 309, 7 μετὰ τὸ συντελεσθῆναι τὰς κατευχὰς καὶ τὰς σπονδάς καὶ τὰς θυσίας), die einen besonderen Artikel erfordert (s. einstweilen Pfister o. Bd. XI S. 2154f. Heiler Das Gebet 38ff. 191ff.). Hier beschränke [605] ich mich auf die Fragen, die mit dem O. selbst zusammenhängen.

a) In der Überlieferung kommt ein paarmal vor, daß das Gebet durch gewisse Formeln und Riten eingeleitet wurde. Dahin gehört der durch Aristoph. Pax 967f. bekannte Ruf, τίς τῇδε und die Antwort der Umstehenden πολλοὶ κἀγαθοί (vgl. das Scholion zu der Stelle, mit dem Suid. s. τίς τῇδε wörtlich übereinstimmt und aus dem in Verbindung mit Schol. Aristoph. Ran. 479 das sog. carmen populare PLG III p. 658 abgeleitet ist). Daß dieses Responsorium üblich oder gar notwendig war, kann natürlich dies vereinzelte Zeugnis nicht beweisen, und es ist ja auch ohne weiteres klar, daß eine solche Frage und Antwort nur in besonders feierlichen und in größeren O.-Versammlungen am Platze war, wie sie eben der Trygaios des Aristophanes fingiert. Verwickelter wird die Sache dadurch, daß jenes Scholion behauptet οἰ σπένδοντες λέγουσιν, also diese Formeln mit einer Spende in Verbindung bringt. Nun geschah die Hauptspende ja erst in einem späteren Stadium, nämlich nach der Schlachtung, aber es gibt auch andere Stellen, die eine solche vor dem Gebet erfolgende Vorspende zu bezeugen scheinen, der deshalb auch Stengel KA.³ 111 einen Platz im Ritual anweist. Die Hauptstütze ist Aristoph. Pax 433, wo die Handlung in folgender Reihenfolge fortschreitet: σπονδή· σπονδή. εὐφημείτε, εὐφημείτε. σπένδοντες εὐχόμεθα κτλ. Dazu stimmt Schol. Aristoph. Ran. 479 τὸ ἐν ταῖς θυσίαις ἐπιλεγόμενον. ἐπειδὰν γὰρ σπονδοποιήσωνται, ἐπιλέγουσιν· ἐκκέχυται, κάλει θεόν als Erklärung zu dem derben ἐκκέχοδα des Dionysos, ferner die bekannte Stelle aus Menanders Kolax (Athen. XIV 659 e), wo der die rituellen Formeln geschäftsmäßig herunterleiernde Koch erst dreimal σπονδή ruft und dann erst sagt εὔχου· θεοῖς Ὀλυμπίοις εὐχώμεθα, die boshafte Bemerkung des Stratonikos zu einem schlechten Flötenspieler εὐφήμει, μέχρι σπείσαντες εὐξώμεσθα τοῖς θεοῖς (Athen. VIII 349 c), wozu endlich noch die Analogie mit der Gebetsspende kommt Hom. Il. XVI 230f. ἀφύσσατο δ’ αἴθοπαοἶνον. εὔχετ’ ἔπειτα. Demgegenüber steht, daß sich bei Homer auch in den ausführlicheren O.-Beschreibungen keine Spur von einer solchen Vorspende findet und was wichtiger, da von ihnen ja keine vollständig ist, daß gar kein Raum dafür vorhanden scheint, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Riten des κατάρχεθαι sich bis in das Gebet hineinerstrecken. Man wird sich deshalb kaum dem Schluß entziehen können, daß in diesen nicht zum Wesentlichen gehörenden Einzelheiten starke Abweichungen vorkamen. – Viel zahlreicher und klarer sind die Zeugnisse für das Gebot des heiligen Schweigens, das εὐφημεῖτε (Aristoph. Ach. 240f. mit Schol. zu 237; Av. 959; Thesm. 295. Eurip. Iph. A. 1564. Syll.³ 1025, 32, wozu noch häufige Anspielungen kommen wie das favete linguis des musarum sacerdos Horaz oder Tibull. II 2, 2). Dies war offenbar uralte und allgemeine Sitte, die sich ja aus der Situation selbst als notwendig ergab. Wenn sie bei Homer nicht vorkommt, so beweist doch Il. IX 171, daß die homerische Zeit mindestens die Sitte kannte. Ob allerdings die εὐφημία immer und überall an derselben Stelle des Rituals geboten wurde, scheint mir nach den Zeugnissen zweifelhaft. Die [606] Verkündigung brauchte nicht der Priester vorzunehmen, bei größeren O. übernahm sie wohl oft, wenn nicht in der Regel, ein mit der nötigen Stimme ausgerüsteter Herold wie bei Eurip. Iph. A. a. O. Talthybios ὧ τόδ’ ἦν μέλον.

b) Wichtiger sind die das Gebet selbst betreffenden Fragen. Zunächst: wer sprach das Gebet? Bei Homer ist es Il. I 4509. Chryses, der Priester des Gottes, in dessen Heiligtum das O. stattfindet, II 411 Agamemnon in seinem Lager, VI 304 bei dem Bittgang der troischen Frauen zum Tempel der Athene deren Priesterin Theano, Od. III 446 ist es Nestor, XIV 423 Eumaios in seiner Hütte und bei Apoll. Rhod. I 427 Iason. Der Unterschied ist klar: Der König, der in seinem Lager oder im Bereich seines Palastes, der Hausvater, der in seinem Hof opfert, betet auch selbst, dagegen im Heiligtum der Priester oder die Priesterin. Die Frage ist, ob später nach Beseitigung des erblichen Königtums die Beamten, die seine Funktionen übernahmen, auch jene sakralen Rechte behielten oder ob der Priester an seine Stelle trat. Mir scheint kein Zweifel möglich, daß in der Regel das letztere geschah, zumal die öffentlichen O. nunmehr meist in einem Heiligtum stattfanden. Allerdings werden in Inschriften oft Beamte, Archonten, Prytanen, Epimeleten u. a. belobt, daß sie die und die O. ἔθυον oder ähnlich (z. B. Syll.³ 388 τὰ μὲν ἀγαθὰ δέχεσθαι … ἃ ἀπαγγέλει ὁ ἄρχων γεγογέν[αι ἐν τοῖς ἱεροῖ]ς οἷς ἔθυεν κτλ.), und daraus hat Busolt geschlossen, daß in diesen Fällen die betr. Beamten in der Tat ebenso, wie es Homer von Nestor schildert, ,auf einem Altar in ihrem Amtsgebäude oder an einer zu ihrem Amtsbereich gehörenden Stätte‘ die O. vollzogen und nur, wo ein Priester genannt wird, dieser mitwirkte (Gr. Staatskunde II 1170, 4). Allein die Grundlage dieser Annahme ist brüchig. Denn das Verbum θύειν wird unzählige Male gebraucht, wo an den rituellen Vollzug gar nicht gedacht ist, sondern nur ausgedrückt wird, daß der und der ein O. sei es im Namen des Staates sei es als Privatmann darbringt (vgl. darüber die zutreffenden, immer noch sehr beachtenswerten Ausführungen von J. Martha Les sacerdoces Athéniens p. 73ff.). Schon daß es sich so oft um eine Mehrzahl von Beamten handelt, zeigt, daß nicht das Ritual selbst gemeint sein kann. Nur bei dem athenischen Archon βασιλεύς und ähnlichen Beamten, in denen die alte königliche Würde wenigstens nominell weiterlebte, liegt die Annahme nahe, daß diese wenigstens gewisse O. selbst ohne Mitwirkung des Priesters vollziehen mußten oder durften (Syll.³ 1025, 20 θύ[ει δὲ γ]ερεαφόρος βασιλέων. Aristot. pol. VI 1322 b, 26f.). Dafür spricht die Analogie der βασιλίννα, die bei den Anthesterien sicher selbst gewisse Riten vornahm (Demosth. 59, 73, wo es zunächst heißt ἔθυε τὰ ἄρρητα ἱερά) und, gerade soweit es sich um das Gebet handelt, auch (Lys.) VI 4 ἂν … λάχῃ βασιλεύς, ἄλλο τι ἢ ὑπὲρ ἡμῶν καὶ θυσίας θύσει καὶ εὐχὰς εὔξεται. Und doch regen sich, wenn man den weitgehenden Gebrauch von θύω bedenkt, Zweifel, die sich verstärken, wenn Aristot. Ἀθ. πολ. 57, 1 den allgemeineren Ausdruck gebraucht τἆς πατρίους θυσίας διοικεῖ οὗτος πάσας, was wieder zu vorsichtiger Benutzung der von Busolt als Beleg angeführten Platonstelle [607] pol. 290 e τῷ γὰρ λαχόντι βασιλεῖ … τὰ σεμνότατα καὶ μάλιστα πάτρια τῶν ἀρχαίων θυσίων ἀποδεδόσθαι mahnt. Eine sichere Lösung der Frage ist wohl nicht möglich, wahrscheinlich ist, daß der ἄρχων βασιλεύς gewisse O., insbesondere gewisse Gebete, selbst verrichtete, in der Regel aber bei öffentlichen O. der Vollzug des Rituals, also auch des Gebets, den Priestern oblag. Der Grund ist klar. In seinem Ursprung war allerdings das Gebet ein spontaner Ausdruck der Situation und des Affekts des Augenblickes und daher selbstverständlich auch nicht irgendwie formelhaft gebunden (s. Heiler Das Gebet 47f.). Aber schon früh, schon auf primitiver Stufe, glaubte man den Erfolg des Gebetes von bestimmten durch Erfahrung und Überlieferung gegebenen Bedingungen abhängig, unter denen bekanntlich die richtige Namensanrufung eine wichtige Rolle spielte, und der Priester war es, der diese allein kannte oder wenigstens am besten beherrschte; gerade deshalb heißt er ja auch ἄρητήρ (Hom. Il. I 11. V 78). Sowie sich dieser Glaube durchsetzte, mußte er fast notwendigerweise die Mitwirkung des Priesters erzwingen. Dasselbe galt natürlich erst recht für die privaten O. der einzelnen Bürger, die noch weniger als die Beamten über die notwendigen kultischen Kenntnisse verfügten, vgl. das Tempelgesetz von Oropos Syll.³ 1004. Leg. Sacr. 65 Z. 25 und Herond. IV 79ff. Wenn ein Privatmann opfern wollte, konnte es freilich oft vorkommen, daß der Priester nicht anwesend war, dann trat entweder ein anderer Tempeldiener für ihn ein wie der νεωκόρος bei Herondas, oder aber es mußte dann eben der Bürger selbst beten, was in Oropos vorsichtig so bestimmt wird: κατεύχεσθαι δὲ τῶν ἱερῶν[1]. καὶ ἐπὶ τὸν βωμὸν ἐπιτιθεῖν ὅταν παρεῖ τὸν ἱερέα, ὅταν δὲ μὴ παρεῖ, τὸν θύοντα.

c) Jedoch wenn der Priester das rituelle Gebet spricht, so ist damit nicht gesagt, daß die O.-Teilnehmer nur stumm mitbeten. Vielmehr war es wohl meist so, daß, nachdem der Priester oder wer seine Stelle einnahm, das Gebet vollendet, diese kurz mit einem Gebetsruf einfielen wie Ἰήιε Παιάν, und wenn bei Homer nach dem Gebet des Königs oder Priesters der Vers folgt αὐτὰρ ἐπεί ῥ’ εὔξαντο κτλ., so muß zwar nicht, kann aber etwas Ähnliches gemeint sein. War es ein Privat-O. in ganz kleinem Kreise, dann mochte der oder die Opfernde mit noch ein paar Worten mehr sich zu dem Gebet bekennen, wie es die Frauen bei Herondas tun, aber die Regel war wohl ein kurzer Gebetsruf. Dahin gehört nun auch das bekannte [608] ὀλολύζειν der Frauen beim Gebet, ein Rudiment jener oben erwähnten ganz primitiven Gebetsstufe (s. darüber außer o. Bd. XVII vor allem Eitrem Beitr. z. gr. Religionsgesch. III 44ff. Schwenn 36ff.). Ursprünglich war es ein primitives, die innere Erregung entladendes Schreien, wie schon das Wort selbst lehrt, und war natürlich keineswegs auf das O. beschränkt, sondern drückte die verschiedensten Gemütserregungen laus, Freude (Aischyl. Ag. 565) und Rachejubel (Hom. Od. XXII 408) ebenso wie Schrecken (Eurip. Med. 1173) oder Verzweiflung (Eurip. Tro. 1000), kriegerischen Fanatismus (Thuk.II 4) ebensogut wie religiösen Enthusiasmus (Eurip. Bakch. 688). Aber solche Erregung nimmt in den menschlichen Herzen begreiflicherweise leicht die Richtung zur Gottheit, sei es als Bitte sei es als Dank. Schon Eurykleias ὀλολύζειν bildet einen Übergang (Odysseus selbst nennt es v. 411 εὐχεταασθαι) und das Schreien der Hetären vor der Schlacht (Xen. an. IV 3, 19) ist wie das gleichzeitige παιανίζειν der Soldaten doch schon fast eine Art Beten. So wurde die ὀλολυγή zum Kultruf, aber hier allmählich doch wohl von der ursprünglichen Wildheit und Regellosigkeit befreit. Nicht daß sie etwa die Form eines Gebetes annahm [2], sie blieb immer ein Gebetsruf, aber sie wurde durch Rhythmus und Modulation gemildert und der fortschreitenden Kultur angepaßt. Natürlich muß es auch hier gewisse Abstufungen gegeben haben: die verzweifelten Troerinnen rufen anders als die Frauen im Gefolge des Nestor. Aber daß Penelope ihr Gebet zu Athene nicht mit wilden Schreien beendet, wird, denk ich, jeder zugeben, und daß später sogar eine gewisse Kunstübung zur ὀλολυγή gehörte, wird indirekt dadurch bewiesen, daß es in Pergamon im dortigen Kult der Athene sogar eine besondere ὀλολύκτρια gab (Syll.³ 982, 25). Die eigentliche Bedeutung dieses Rufes ist klar: er sollte die Gottheit aufmerksam machen und herbeirufen, wie es Eurip. Erechth. frg. 351 N. geradezu ausspricht ὀλολύζετ’, ὦ γυναῖκες, ὡς ἔλθῃ θεὰ … ἐπίκουρος τῇ πόλει. Wenn die antiken Grammatiker behaupten, daß er nur im Kult der Athene üblich war, so waren für sie wohl hauptsächlich die Homerstellen maßgebend, zu denen anscheinend auch die spätere Entwicklung stimmte, aber diese Beschränkung war, wie schon das Wort selbst lehrt, sicher weder ursprünglich noch auch überall geltend. – Dem ὀλολύζειν der Frauen entsprach das παιανίζειν der Männer und machte eine ähnliche Entwicklung durch, über die eingehend und überzeugend Deubner gehandelt hat N. Jahrb. XLIII 385ff.

d) Endlich bedarf eines kurzen Wortes die Frage, mit welcher Geste das Gebet beim O. verbunden war. Hier war die bekannte Sitte, beide [609] Hände zum Himmel emporzuheben, keineswegs allein herrschend, konnte es auch wegen des Ausstreuens der οὐλαί (s. o.) gar nicht sein, vielmehr pflegte man, wenn man dem Altar oder dem Götterbild gegenüberstand, nur die eine Hand zu erheben, wie es eine Reihe bildlicher Darstellungen zeigt (s. Stengel KA.³ S. 80 mit Tafel IV Fig. 19. 20. Sittl Gebärden 189).

3. Die Schlachtung des O. -Tieres. Die beiden Hauptfragen sind, wer die Schlachtung ausführte (darüber am eindringlichsten und besten Martha 73ff. 79ff.) und wie sie ausgeführt wurde. Dabei sind die Rinder-O. von dem O. kleinerer Tiere zu unterscheiden.

a) Rinder-O. Grundlegend ist die ausführliche Schilderung Hom. Od. III 447ff. Aus ihr ergibt sich hinsichtlich der Person, daß nicht etwa Nestor, der im übrigen die priesterlichen Funktionen ausübt, die Schlachtung ausführt, sondern dies seinen Söhnen Thrasymedes und Peisistratos überläßt. Was hier wegen Nestors Alter als selbstverständlich erscheint, darf man aber ohne weiteres für die meisten O. entsprechend annehmen (vgl. Eurip. Herc. f. 451f. τίς ἱερεύς; τίς σφαγεὺς τῶν διαπότμων). Denn zu dieser Funktion gehörte eine besondere Körperkraft, die man im allgemeinen nicht von den Priestern voraussetzen oder verlangen konnte – die Priesterinnen schieden ja aus diesem Grunde von selbst aus (vgl. Eurip. Iph. T. 40) –, und eine besondere Geschicklichkeit, die zwar wohl auch im Laufe der Zeit gewisse rituelle Regeln befolgen mußte, aber im Wesen doch nichts mit Religion und Kultus zu tun hatte. So ist es begreiflich, daß sich dafür allmählich ein besonderes sakrales Amt entwickelte, das des βουτύπος (Suid. s. βουτύπος • βουθύτης ὁ τοὺς βοῦς βάλλων πελέκει, ebenso Etym. M. s. v.), das sicher für die attischen Buphonien bezeugt ist, aber auch für andere Kulte vorauszusetzen ist, wenn auch zum Teil unter anderem Namen. So ist der in der archaischen Inschrift von Sybaris (IGA 543. SGDI 1653) vorkommende ἄρταμος von Dittenberger Herm. XIII 391 ff. als „Opferschlächter“ gedeutet worden (vgl. IG VII 2426, 16). Damit ist nicht gesagt, daß dieses Amt an sich nicht angesehen war; das Gegenteil wird ja schon dadurch bewiesen, daß die attischen βουτύποι aus dem Geschlecht der Thauloniden genommen wurden. Andererseits ist es auch wohl zu verstehen, daß im Laufe der Zeit in den gewöhnlichen Kulten doch das Amt an Ansehen verlor und schließlich mehr als Handwerk bewertet wurde. Dazu mußte das O. von Hekatomben führen und auch die in hellenistischer Zeit, besonders in Kleinasien eintretende Veräußerlichung des Kultes, wie sie sich ja auch im Verkauf der Priestertümer ausdrückte, dazu beitragen. Es vollzog sich dann in diesem Amt dieselbe Entwicklung, die Athen. XIV 660 a, wohl nach Kleidemos, bei den μάγειροι feststellt. So begegnet uns in Magnesia (Syll.³ 589, 19) ein θύτης, der als λητουργῶν τῇ πόλει bezeichnet wird, also offenbar bei allen öffentlichen O. funktionierte und also wohl dafür angestellt war, was schon kaum mit einer angeseheneren Stellung verträglich erscheint; er wird denn auch nachher Z. 57ff., wo die Verteilung des O.-Fleisches geregelt wird, nicht mehr besonders erwähnt, sondern [610] ist unter den λητουργήσασι einbegriffen. Vgl. auch Dion. Hal. VII 72 p. 1495, wo das der κατευχή folgende θθειν den ὑπηρέται anbefohlen wird. – Die zweite Folgerung aus der Homerstelle betrifft den Vorgang des Schlachtens selbst, der danach in zwei Teile zerfiel: Zuerst wurde dem Rind mit dem Beil von hinten der Nacken durchschlagen (außer Hom. Od. III 449f. s. Il. XVII 520ff. und Apoll. Rhod. I 429ff.), so daß es vorwärts auf den Boden stürzte und verendete. Dann bog man ihm den Hals wieder in die Höhe (bei Homer αὐερύειν, s. W. Schulze Quaest. ep. 56ff.), und nun erfolgte das eigentliche σφάζειν durch einen Stich in die Halsschlagader oder durch Durchschneiden der Kehle. Das herausströmende Blut ließ man entweder sofort auf den Altar fließen oder fing es in einer Schale, dem σφαγεῖον, auf (Etym. M. p. 737, 42. Poll. X 65. Eurip. El. 800. Aristoph. Thesm. 754. Theophr. bei Athen. VI 261 e). Soweit ist alles klar und sicher. Doch bleibt noch eine wichtige Besonderheit zu erörtern, das viel umstrittene αἴρεσθαι τοὺς βοῦς, das in den attischen Ephebeninschriften wiederholt als Kraftleistung der Epheben erwähnt wird (IG II 467–470) und in der Hephaestieninschrift (IG I² 844 Leg. Sacr. 12 Z. 30f.) zweihundert ausgewählten Bürgern übertragen wird. Gegen die frühere, zuletzt von v. Fritze (Arch. Jahrb. XVIII 58ff.) verteidigte Erklärung, die darunter das Hochheben und Herantragen der Rinder verstand, hatte Stengel (Arch. Jahrb. XVIII 113ff.; Opferbr. 105B.) lebhaften Einspruch erhoben: eine solche Leistung sei praktisch gar nicht möglich, das αἴρεσθαι bedeute in Wirklichkeit nur, daß man den Kopf oder auch den Oberkörper des getöteten Tieres in die Höhe richtete, um dann das σφάττειν vorzunehmen. Seine Beweisführung, insbesondere seine Berufung auf Äußerungen der Berliner Schlachthofexperten war so eindrucksvoll, daß er damals wohl allgemein Zustimmung fand. Und doch ist seine Ansicht nicht richtig. Denn daß es O. gab, in denen in der Tat das Rind, sogar ein Stier, von jungen Männern in die Höhe gehoben und zur O.-Stätte getragen wurde, steht, was in der Diskussion zunächst übersehen wurde (auch von mir Bursian CXL 544), durch den O.-Brauch von Nysa fest, der nicht nur literarisch durch Strab. XIV 650 bezeugt ist, sondern auch bildlich durch eine Münze von Nysa (Brit. Mus. Cat. Coins, Lydia p. LXXXIII 181 pl. 20, 20. Cook Zeus 498) und durch eine rf. Vase der Sammlung Hamilton (Cook a. O.). Es liegt also kein Grund vor, in den Ephebeninschriften und den anderen Stellen das αἴρεσθαι anders aufzufassen, als es die ungezwungene Übersetzung des Wortes verlangt und auch die Zeugnisse Eurip. Hel. 1562ff. und Paus. VIII 19, 2, deren Beweiskraft Stengel durch eine ziemlich gewaltsame und künstliche Interpretation zu beseitigen suchte, bestätigen (s. meine ausführlichere Begründung Herm. LXVI 227ff.). Wie die jungen Männer bei einem Rind oder gar einem Stier die Aufgabe bewältigten, ist eine Frage für sich. Schwer war sie natürlich, da nicht anzunehmen ist, daß sich alle Rinder oder ein Stier das Aufheben ruhig gefallen ließen – deshalb heißt es auch in den Ephebeninschriften ἐπάνδρως –, aber diese Erwägung kann trotz des [611] Berliner Schlachthofes nicht die antiken Zeugnisse erschüttern, sondern zwingt nur dazu, die heute verbreitete Ansicht (zuletzt bei Stengel KA. 50), die O.-Tiere hätten gutwillig zum O.Altar gehen müssen, einer Nachprüfung zu unterziehen. Wenn man die dafür angeführten Belegstellen ansieht, so ist kaum eine wirklich beweiskräftig, ja gerade die ausführlichste, die Geschichte von der Kuh, die sich dem Lucullus bei dem Übergang über den Euphrat freiwillig zum O. darbot (Plut. Luc. 24), ist in Wahrheit eher ein Zeugnis für das Gegenteil. Denn es heißt ausdrücklich λαβεῖν ἐξ αὐτῶν, ὅταν δεηθῶσιν, οὐ πάνυ ῥαδιόν ἐστιν οὐδὲ μικρᾶς πραγματεας und von der Kuh selbst καταβαλοῦσα τὴν κεφαλὴν ὥσπερ αἱ δεσμῷ κατατεινόμεναι. Am ehesten ließe sich dafür noch Macrob. sat. III 5, 8 anführen: observatum est a sacrificantibus, ut si hostia quae ad aras duceretur fuisset vehementius reluctata ostendissetque se invitam altaribus admoveri, amoveretur, quia invitam deo offerri eam putabant. Aber ganz abgesehen davon, ob die Stelle ohne weiteres für den griechischen Kult verwertet werden kann, so ist ja das reluctari durch den Zusatz vehementius zu einem sehr dehnbaren Begriff geworden. Wenn ein Rind heftigen Widerstand leistete oder gar sich losriß (Cass. Dio XLI 61), so war das natürlich ein böses Omen, und man suchte lieber ein anderes Tier, aber das ist doch etwas anderes als das einfache passive Sträuben, das leicht eintreten konnte und vielleicht sogar in der Mehrzahl der Fälle eintrat. Man konnte nicht erwarten, daß das O.-Tier immer wie eine θεήλατος βοῦς (Aischyl. Ag. 1251 f.) zum Altare schritt. Überdies gibt es umgekehrt Zeugnisse dafür, daß man den O.-Tieren Fesseln anlegte, also keineswegs mit dem gutwilligen Mitgehen (ἕπεσθαι ἐπὶ θυσίαν heißt es in Kos bei Herzog Abh. Akad. Berl. 1928, 6 nr. 8 Z.45) rechnete. Freilich das merkwürdige und große Schwierigkeiten machende τὸς δ[ὲ β]οῦ[ς ἐχσναι αὐτοῖς σφ]ίνγοσ[ιν προσαγειν πρὸς τ]ὸν βωμόν der Hephaestieninschrift ist zu streichen, da, wie ich Herm. LXVI (1931) 230f. zu erweisen suchte und durch Klaffenbach, der den allein noch vorhandenen Abklatsch untersuchte, gesichert ist, gar nicht σ]φινγοσιν sondern ἀπὸ σάλ]πινγος zu ergänzen ist (s. Herm. a. O. 231 den Korrekturzusatz in Anm. 2). Aber mehrere von Stengel selbst zitierte bildliche Darstellungen zeigen das Rind gefesselt (vor allem wichtig die Berliner Vase 1686, wo es mit Stricken an den Füßen und einer Kette um die Hörner an den Altar geführt wird), und die Satzungen der milesischen Molpoi schreibt die Lieferung von δεσμῶν τοῖς ἱερήιοισιν vor (Syll.³ 57, 33). Das eben zitierte Gesetz von Kos scheint in § 7 sogar besonders über störrische O.-Tiere gehandelt zu haben. So ist vielleicht auch das αἴρεσθαι τοὺς βοῦς dem Wunsche entsprungen zu verhindern, daß das O.-Rind, wenn es sich dem Altare nahte, plötzlich stehen blieb oder gar Miene machte zurückzugehen, was durch das Tragen unmöglich gemacht wurde. Wohl mochte das Tier dann brüllen, was nicht zu verhindern war, aber das wurde gar nicht als ungünstiges Zeichen angesehen, es ist sogar das Gegenteil bezeugt. Denn in dem für den archaischen Kult so wichtigen Gleichnis bei [612] Hom. Il. XX 403ff. heißt es ὡς ὅτε ταῦρος ἤρυγεν ἑλκόμενος Ἑλικώνιον ἀμφὶ ἄνακτα κούρων ἑλκόντων· γάνυται δέ τε τοῖς Ἐρυσίχθων, vgl. außer den Scholien Strab. VIII 384 über das O. der Panionia τότε γὰρ νομίζουσι καλλιερεῖν περὶ τὴν θυσίαν ταύτην, ὅταν θυόμενος ὁ ταῦρος μυκήσηται. Hier richtete sich eben der Kult nach den natürlichen Gegebenheiten, ebenso wie zu Messene der als ἐνάγισμα für Aristomenes bestimmte Stier die Grabsäule durch sein wildes Gebaren (θορυβουμένῳ καὶ σκιρτῶντι) bewegen mußte, sollte das O. günstig sein (Paus. IV 32, 3. Hermann Gottesd. Alt. 2 28, 6). Von dem Verhalten der O.Tiere beim Heranführen ist wohl zu unterscheiden die Überlieferung, daß man vor dem Schlachten gewissermaßen die Zustimmung des O.-Tieres durch sein Kopfnicken zu erhalten wünschte. Der Hauptzeuge ist Plutarch (Quaest. conv. VIII 8, 3 ἄρχι δὲ νῦν παραφυλάττουσιν ἰσχυρῶς τὸ μὴ σφάττειν, πρὶν ἐπινεῦσαι κατασπενδόμενον), der wohl besonders die delphische Praxis vor Augen hatte (de def. or. 49 σημεῖόν ἐστι τοῦ θεμιστεύειν τὸ σείσασθαι, vgl. c. 46). Aber daß es auch sonst Sitte war, zeigt das kurze σείου in der O.-Szene Aristoph. Pax 960. Nach dem Scholion zu dieser Stelle suchte man es zu erreichen, indem man das Tier mit Wasser bespritzte, nach Schol. Apoll. Rhod. I 415, indem man ihm ins Ohr Wasser goß. Es war das wohl ein Teil des χερνίπτεσθαι.

b) Die übrigen O.-Tiere. Hier verlief alles naturgemäß viel einfacher, einfacher vor allem der Ritus des Schlachtens. Denn es war hier ja nicht nötig, wie beim Rind, das Schwein oder das Schaf oder die Ziege erst mit dem Beile zu fällen. Höchstens daß man größere Tiere erst durch einen Schlag betäubte, so wie Eumaios, als er für Odysseus den ὗν μάλα πίονα πενταέτηρον opfert. Sonst konnte man sofort das σφάττειν vornehmen. Wie das geschah, hat Stengel Opferbr. 116ff., anschaulich dargelegt und gezeigt, daß das Verfahren wie es heute noch auf dem Lande üblich ist, mit den antiken bildlichen Darstellungen übereinstimmt. Wenn es kleine Tiere waren wie Lamm oder Ferkel, hob einer es hoch und ein anderer durchschnitt ihm die Kehle (Hartwig Meisterschalen III 2. Marmordiskos des Museo Burbonico XIII Taf. 11; ebenso Hom. Il. XIX 266, wo Talthybios den Eber hält, Agamemnon ihm die Haare abschneidet, betet und dann den Hals durchschneidet). Dagegen war bei größeren Tieren, also den ἱερεῖα τέλεια das Verfahren so: Der Schlächter kniet entweder auf dem Tier oder er nimmt es zwischen die Beine, so daß es aufrecht steht, oder drückt es auch in sitzender Stellung durch das Gewicht seines Körpers nieder; mit der Linken faßt er das Maul, zieht den Kopf nach hinten und sticht ihm mit der Rechten das Messer in den Hals oder schneidet ihm die Kehle durch (Nachweisungen bei Stengel a. O.. wo auch die zahlreichen Darstellungen der kuhopfernden Nike gut erklärt sind). Bei den Kälbern kam es wohl sehr darauf an, wie groß sie waren: Plin. n. h. XXIV 80 wird es durch das Knie niedergedrückt, dagegen Eurip. El. 813 hoben es die Diener auf ihre Schultern. Es ist ja auch durchaus verständlich, daß man sich nicht in jeder Einzelheit durch starre Regeln binden ließ. Diese Freiheit bestand [613] nun aber hier auch hinsichtlich der die Schlachtung vollziehenden Person. Wenn bei den Rinder-O. die Regel war, daß dies schwere Geschäft dem Priester ein anderer Sakralbeamter oder O.-Diener abnahm, so war dazu bei den kleineren O. keine Notwendigkeit. Der Aigisth der Tragödie vollzieht das σφάζειν eigenhändig (Eurip. El. 813), und es spricht nichts dagegen, daß im historischen Kult der Priester dasselbe tat. Das gilt in erster Linie für die öffentlichen O., womit nicht gesagt ist, daß er hier unbedingt dazu verpflichtet war. Aber auch bei den privaten O. hat sicher oft der Priester nach dem κατάρχεσθαι und dem Gebet auch den Ritus des σφάζειν auf sich genommen. Das beweisen Stellen wie Plut. Non posse suav. vivi 21 p. 1102 C über den Epikureer θύων μὲν ὡς μαγείρῳ παρέστηκε τῷ ἱερεῖ σφάττοντι und Lukian. de sacr. 13 ὁ δὲ ἱερεὺς ἔστηκεν ᾐμαγμένος κτλ. sowie bildliche Darstellungen, in denen der Priester (Helbig Wandgemälde 283) oder sogar eine Priesterin (Monum. ined. del’ Instit. 1860 Taf. XXXVII) das Messer in der Hand hält. Aber ebenso verständlich ist, daß der Priester, der ja gar nicht immer anwesend sein konnte oder mochte, wenn ein Bürger opfern wollte, dies dem Neokoros (so in Kos im Tempel des Asklepios Herond. IV, vgl. aber auch über die lokal verschiedene Stellung des νεωκόρος meine Bemerkungen zu Leg. sacr. 65, 25 p. 202) oder irgendeinem anderen O.-Diener überließ, vor allem also in großen Tempeln. Der καθημεροθύτας von Olympia (Inschr. v. O. 61 ff.) ist wohl daher zu erklären. Oft endlich überließ man es dem Bürger, der das O. darbrachte, selbst, der seinerseits, wenn er es sich leisten konnte, wohl einen μάγειρος hinzuzog. Die Stellen, die Athen. XIV 659 d –661 d anführt und mit den Worten προίσταντο γοῦν (οἱ μάγειροι) καὶ γάμων καὶ θυσιῶν einleitet, wären sonst nicht verständlich.

4. Die Darbringung auf dem Altar und die Verteilung der σπλάγχνα. Die Ausführlichkeit, mit der Homer die Schlachtung des O.-Tieres schildert, fehlt hier leider, so daß unser Wissen hier beträchtliche Lücken aufweist. Soviel ist zunächst klar, daß nach dem σφάζειν in der heiligen Handlung eine Pause eintrat, in der das geschlachtete Tier für die weitere sakrale Verwendung zubereitet wurde. Man zog ihm das Fell ab, die inneren Teile wurden herausgenommen und die für den Gott bestimmten, insbesondere die μηρία, herausgeschnitten und in Fett gehüllt, darauf noch andere Fleischstückchen gelegt (ὠμοθέτησαν, näher bestimmt Od. XIV 428 πάντων ἀρχόμενος μελέων, s. auch oben unter ὠμοθετεῖν). Doch wurde wohl auch die rituelle Handlung selbst währenddem dadurch fortgesetzt, daß man mit dem Blut, das vorher im σφαγεῖον aufgefangen worden war, den Altar besprengte oder bestrich (Poll. I 27 αἱμάσσειν τοὺς βωμούς, vel. Bacchyl. X 111f. Rhet. gr. III 419, 31. Porph. I 25. II 27, 36, dazu Eitrem Opferritus 434f.). War dies alles erledigt, folgte der zweite Höhepunkt der O.-Handlung: Der Priester nahm die der Gottheit zukommenden Teile, legte sie in das Altarfeuer und spendete dazu Wein. Das waren wenigstens die beiden Hauptriten, die Homer in den formelhaften Versen καῖς δ’ ἐπὶ σχίζῃς ὁ γέρων, ἐπὶ [614] δ’ αἴθοπα οἶνον λεῖβε … αὐτὰρ ἐπεὶ κατὰ μήρα κάη καὶ σπλάγχνα πάσαντο summarisch erwähnt. Aber daß dies keineswegs so ganz einfach verlief, sondern wenn nicht in homerischer Zeit, so doch später mit gewissen Nebenriten verbunden war, dafür hat uns das zufällig inschriftlich erhaltene Gesetz über den Asklepioskult in Erythrai (Abh. Akad. Berl. 1909 S. 37 nr. 11 Z. 33f.) einen lehrreichen Fingerzeig gegeben. Denn hier erfahren wir, daß den Opfernden vorgeschrieben war, wenn der Priester τὴν ἱρὴν μοῖραν ἐπίθῆι, παιωνίζειν πρῶτον περὶ τὸμ βωμὸν τοῦ Ἀπόλλωνος τόνδε τὸμ παιῶνα ἐστρίς. Man sieht daraus zugleich, daß die Darbringung auf dem Altar längere Zeit in Anspruch nahm, also, wie zu erwarten, sehr feierlich und langsam geschah. Sie war in der Regel von Flötenmusik begleitet, wie zahlreiche bildliche Darstellungen und die besondere Erwähnung von Ausnahmen (Herodot. I 132. Apollod. III 15, 7) beweisen, die Bedeutung war ohne Zweifel apotropaeisch. Welches war nun der für die Gottheit bestimmte Anteil, die θεομοιρία (S. vor allem die reichhaltige und eindringende Erörterung der einschlägigen Fragen bei Puttkammer Quo modo Graeci victimarum carnes distribuerint 1912, 16.) Bei Homer waren es die in Fett gehüllten Schenkelstücke, auf die man noch kleine Stücke rohen Fleisches legte, und damit stimmt im wesentlichen Hesiod. Theog. 540f. überein, nur daß hier der Absicht der Stelle entsprechend durch den Ausdruck ὀστέα λευκά statt μηρία und die Weglassung der Fleischstückchen der Anteil noch geringer erscheint. Die Weihung der Schenkelstücke wird durch die nachhomeriserten Zeugnisse bestätigt. Von den literarischen sind am wichtigsten Paus. I 24, 2 τοὺς μηροὺς κατὰ νόμον ἐκτεμὼν τὸν Ἑλλήνων ἐς αὐτοὺς καιομένους ὁρᾷ und II 11, 7 οὐδὲ ἀποχρᾷ σφίσιν ἐκτέμνειν τοὺς μηρούς (s. ferner II 10, 1 und 4. V 13, 5 sowie Aristoph. Thesm. 693 mit Schol.). Auch die Sakralinschriften stimmen damit überein. Allerdings findet sich das Wort μηρία oder μηροί selten, nämlich außer in poetischen Anweisungen wie Orakeln, für die natürlich das epische Vorbild maßgebend war, in der guten Zeit nur einmal, nämlich in der archaischen O.-Ordnung von Milet Inschr. nr. 132, außerdem Leg. sacr. 86, 6. Sonst steht dafür immer σκέλος, womit in der Regel das linke gemeint zu sein scheint (Puttkammer 23ff.), denn das rechte erhält meist der Priester. Das homerische ὠμοθετεῖν kommt natürlich in dieser Form hier nicht vor, doch werden hier und da noch besondere und auch bessere Fleischstücke dem Gotte zugewiesen (z. B. in Kos Syll.³ 1026, 19 τῶν δὲ οἰῶν ὠμὸν [oder ὦμον ,Schulter‘. s. Herzog Abh. Akad. Berl. 1928 nr. 6, 11] ἐξ οὗ ἁ θεομοιρία τάμνεται und in Mykonos Syll.³ 1024, 7). Der Anteil der Götter war danach nicht groß, und das fiel ja schon den Griechen selbst früh auf. Bekannt ist die Erzählung Hesiods von dem Trug des Prometheus Theog. 535ff. (vgl. dazu Ada Thomsen Arch. f. Rel. XII 460ff.), die aber wohl kaum den von den Menschen geübten Kult tadeln, sondern ihn nur in der damals beliebten mythischen Art erklären soll. Ganz anders die Stellung der späteren Komödiendichter, die ohne Zweifel ihre Kritik gegen die Menschen und den Kultus selbst [615] richten. Es sind mehrere Stellen, die von Clem. Alex. Strom. VII 6 p. 846f. gesammelt wurden, um als Waffe gegen die Heiden zu dienen. Am schärfsten ist die bekannte Stelle aus Menander (bei Athen. I 146 e), der die Menschen mit den τοιχωρύχοι vergleicht: οἱ δὲ τὴν ὀσφὺν ἄκραν καὶ τὴν χολήν, ὅτι ἔστ’ ἄβρωτα, τοῖς θεοῖς ἐπιθέντες αὐτοὶ τἄλλα καταπίνουσι. Diese Kritik ist vom Standpunkt ihrer Zeit verständlich. Aber wenn wir heute religionswissenschaftlich die Frage betrachten, ist das Bild ein anderes. Zunächst waren in Wirklichkeit die Gaben für den Altar gar nicht so gering. Denn es wurden dem Gott nicht nur die μηρία verbrannt, sondern auch Fleischstücke. Wenn Eumaios πάντων ἀρχόμενος μελέων ὠμοθετεῖτο, hatte er sicher nicht das Bewußtsein, den Gott zu übervorteilen, und Chryses rühmt sich ja sogar εἰ δή ποτέ τοι κατὰ πίονα μηρί’ ἔκηα, und so mögen ursprünglich alle Menschen gedacht haben, die hierbei zudem bewußt oder unbewußt in der primitiven Voraussetzung handelten, daß der Gott gar nicht wie sie selbst durch das O.-Mahl satt zu werden brauchte, da er noch von vielen andern Menschen am gleichen Tage O. erhielt. Ferner gehörte ihm auch das Blut der O.-Tiere, und wenn das bei dem homerischen Speise-O. nicht so hervortritt, so darf man doch, ohne sich deshalb in unsichere Theorien zu verlieren, behaupten, daß gerade diese Blutspende auch beim Speise-O. eine Hauptgabe für die Gottheit war. Endlich aber und vor allem wird jene ganze Kritik durch ein Moment umgeworfen, das bisher allerdings von der Forschung meist nicht genug gewürdigt und verwertet wurde, und das ist die Tatsache, daß der Gott gar nicht nur auf dem Altar, sondern auch auf seinem heiligen Tisch, der τράπεζα, Gaben erhielt, O.-Fleisch und auch andere Nahrungsmittel. Davon steht freilich bei Homer nichts, und das hat wie auch in anderen Fällen irregeführt. Aber schon gewisse Stellen der späteren Literatur (Aristoph. Plut. 678. Paus. IX 40, 12. Polyb. XXXII 27, 7) mußten stutzig machen. Volle Klarheit brachten dann die zahlreichen Sakralinschriften. Sie bewiesen, daß im Kult die τράπεζα und der hier dem Gott dargebrachte Anteil überall eine große Rolle spielte, und es ist ausgeschlossen, daß dies etwa erst eine nachhomerische Neuerung war, sondern hier hat sich wie öfters im festgewurzelten Kult des Volkes der alte Ritus erhalten. Nun werden aber durch die O.-Gesetze der τράπεζα keineswegs wertlose Teile überwiesen; ich begnüge mich mit dem Hinweis auf Leg. sacr. 24 (Attika), wo sechsmal die Bestimmung wiederkehrt ἐπὶ δὲ τὴν τράπεζαν κωλῆν πλευρὸν ἰσχίο, ἡμίκραιραν χορδῆς, Allerdings wurden sie (in der pergamenischen Inschrift Syll.³ 1007, 15 τραπεζώματα genannt) in späterer Zeit wenn nicht alle so doch zum großen Teil dem Priester als γέρη überlassen (so sicher Syll.³ 1007, 12 λαμβάνειν δὲ καὶ γέρα … σκέλος δεξιὸν καὶ τὰ δέρματα καὶ τἆλλα τραπεζώματα, in Andania Syll.³ 736, 86 καὶ ὅσα κα οι θύοντες ποτὶ τὰ κράναι τραπεζῶντι … λαμβανέτω Μνασίστρατος, in Erythrae Abh. Akad. Berl. 1909 S. 37 nr. 11 Z. 23f. ὅσα δὲ ἐπὶ [τὴν] τράπεζαν παρατεθῆι, ταῦτα εἶναι γέρα τῶι ἱερεῖ und wahrscheinlich auch in der eben genannten attischen Lex sacra nr. 24, s. meinen Kommentar p. 79f. und [616] Puttkammer 20). Aber daß sie ursprünglich tatsächlich für den Gott bestimmt waren, muß als absolut sicher gelten. Das ergibt sich aus der Sache selbst, denn der Tisch gehört dem Gott, und in der Sakralsprache heißt es Leg. sacr. 6, 11 τράπεζαν κοσμῆσαι τῷ θεῶι, 49, 20 ἐἂν δὲ τις τράπεζαν πληρῶι τῶι θεῶι. 98, 9 τῆι θεᾶι ἐπὶ τὴν τράπεζαν. Nun aber erheben sich sofort die Fragen: Warum steht davon nichts bei Homer? und wie ist es zu erklären, daß diese beiden Arten von Darbringungen an die Gottheit, das Verbrennen auf dem Altar und das Hinlegen auf den Tisch nebeneinander bestanden? War die letztere Darbringung nicht die ältere und ursprüngliche? und wurde sie erst allmählich durch das O.-Feuer zurückgedrängt, so daß schließlich der Priester der Hauptnutznießer des heiligen Tisches wurde? Das sind Fragen, die noch einer sicheren Lösung harren und überhaupt erst selten in Angriff genommen wurden (eine gute Vorarbeit ist die Dissertation von H. Mischkowski Die heiligen Tische im Götterkultus der Griechen u. Römer, Königsberg 1917; s. auch Puttkammer 19ff.).

Mit der Verbrennung der μηρία ist bei Homer in jenen formelhaften Versen das σπλάγχνα πάσαντο verbunden, leider ohne irgendwelche nähere Bestimmung oder Erklärung. Nun ist es an sich ja ganz natürlich, daß wie von den äußeren Teilen des O.-Tieres, den μέλεα, so auch von den inneren, den σπλάγχνα, die Götter ihren Anteil erhielten (vgl. Dion. Hal. VII 72 ἀπαρχὰς ἐξ ἑκάστου σπλάγχνου καὶ παντὸς ἄλλου μέλους … ἐπὶ τοὺς βωμοὺς ἐπιτιθέντες ὑφῆπτον). Aber es fällt auf, daß man sie über dem Altarfeuer briet (Il. II 426) und sie gesondert von dem übrigen O.-Fleisch noch während oder unmittelbar nach der Darbringung auf dem Altar verzehrte, und das führt, wie Stengel (Opferbr. 75) richtig erkannte, zu der Frage, ob nicht aus dieser besonderen Stellung auch eine besondere Bedeutung zu folgern ist. Eine Bestätigung ist, daß auch der Sprachgebrauch die Erinnerung daran festzuhalten scheint, so wenn Eupolis FCA 108 sagt ἵνα σπλάγχνοισι συγγενώμεθα oder Aristoph. Pax 1115 sogar die Aufforderung zur Teilnahme am O. durch das Wort συσπλαγχνεύετε ausdrückt (vgl. die σπλαγχνεύοντες; in den πάτρια der Eupatriden Athen. IX 410 b), und daß Fälle vorkommen, wo der Höhepunkt der O.-Handlung durch die σπλάγχνα bezeichnet wird: Demarat legt sie, als er seine Mutter beschwört, die Wahrheit zu sagen, ihr in die Hände (Herodot. VI 68), und das Greuelmärchen, das Catilina die Opferung eines Kindes vorwarf (Cass. Dio XXXVII 30), behauptete, daß er den Eid ἐπὶ τῶν σπλάγχνων abgenommen habe, und daß er dann selbst ἐσπλάγχνευσεν αὐτὰ μετὰ τῶν ἄλλων. Nach alledem ist es klar, daß das Verzehren der σπλάγχνα im Ritual eine besondere Bedeutung besaß. Aber nun beginnen die Schwierigkeiten. Schon das ist nicht sicher, welches ihre genaue Stelle war; der bekannte Vers αὐτὰρ ἐπεὶ κατὰ μῆρα κάη καὶ σπλάγχνα πάσαντο und Od. III 9 εὖθ’ οἱ σπλ. πάσαντο, θεῷ δ’ ἐπὶ μηρία καῖον stimmen in der Reihenfolge nicht überein. Wichtiger noch ist die Frage, ob auch die Gottheit σπλάγχνα erhielt. Bei Homer wird darüber wieder nichts gesagt, [617] und Stengel glaubte deshalb, daß ,in den ältesten Zeiten, von denen uns die Überlieferung Kunde gibt‘, nur die Menschen davon aßen (a. O. 75). Nun steht aber, wie er zugeben muß, für die klassische Zeit das Gegenteil durch unzweideutige Zeugnisse fest (Aristoph. Plut. 1130. Menander FCA III 82. Athenion FCA III 370; vgl. auch Dion. Hal. VII 72), und da erregt doch jener Schluß ex silentio, der für Homer gelten soll, starke Bedenken, zumal bei der oben betonten summarischen Art, wie Homer gerade diesen Teil der O.-Handlung darstellt. Aber selbst wenn nun wirklich nach Homer die Götter an dem Genuß der σπλ. nicht teilnahmen, so ist damit keineswegs die Frage für die älteste Zeit entschieden; die Gleichsetzung Homers mit dieser ist hier wie auch sonst nicht richtig, und die größere Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß auch hier der klassische Kult das Ursprüngliche bewahrte. Eine dritte Schwierigkeit betrifft den Ritus des σπλαγχνεύειν selbst. Inschriftlich ist nämlich die Bestimmung erhalten, daß der Priester τὰ σπλ. τὰ εἰς χεῖρας erhalten solle (Leg. sacr. 113. Syll.³ 1013, 3 und 8), und die Frage ist, was mit diesem sonderbaren Ausdruck gemeint ist. Stengel und ich waren uns einst darüber einig, daß er das Quantum der dem Priester zustellenden Portion bedeute, die anderwärts durch den Bruchteil bezeichnet wird (Syll.³ 1015, 11 τεταρτημορίδα σπλάγχνων, ebenso 1016, 3). Nun erscheinen aber in zwei anderen Inschriften von Chios, die uns damals leider entgangen waren (Ἀθηνᾶ XX 220 nr. 19. Bull. hell. XXXVII 1913 p. 195 nr. 20 und p. 224 nr. 31) als Anteil des Priesters auch σπλάγχνα τὰ ἐς γόνατα und zwar in der einen älteren ohne die ἐς χεῖρας, in der anderen aber sogar beide Arten σπλ. τὰ ἐς [χ]εῖρας καὶ γούνατα, und Puttkammer 21f. hat dies scharfsinnig so erklärt: Nur einer der O.-Teilnehmer empfing bald mit den Händen bald mit den Knieen die σπλάγχνα, nämlich der Gott selbst, je nachdem sein Kultbild sitzend oder stehend gebildet war, und bei den archaischen Sitzbildern, bei denen die Hände dicht den Knieen anlagen, empfing er es sowohl mit den Händen wie mit den Knieen. Diese Deutung, zu der auch Aristoph. Ran. 518f. und Eccl. 779ff. gut stimmen, ist bestechend und wurde deshalb auch von Stengel Jahresber. Philol. Verein Berl. 1921, 51 gebilligt. Freilich wenn es schon auffallend ist, daß die Priester die auf die τράπεζα gelegten Portionen bekamen, so ist ein Usus, der ihnen erlaubte, dem Gotte seinen Anteil sogar von seinen Knieen und aus seinen Händen wegzunehmen, mehr als erstaunlich. Doch vermag ich eine bessere Erklärung nicht zu geben, und jedenfalls zeigt auch dieser Ritus, daß den σπλάγχνα in der O.-Handlung eine besondere Wichtigkeit zukam. Es fragt sich nun, warum. Stengel hat die Antwort im Anschluß an Rob. Smith’s und A. Dieterichs bekannte Ausführungen über das sakramentale O.-Mahl und fußend auf G. Blechers Hypothese (RVV II 4, 228ff.), wonach alle Hieroskopie auf dem Glauben beruhe, daß der Gott selbst in das Innere des Tieres, also in die σπλάγχνα, eingehe, zu finden gemeint: ihre besondere Bedeutung sei eben ein Rest des alten Glaubens, daß in [618] ihnen wirklich der ,Gott oder eine heilige Kraft‘ wohne (so Opferbr. 73f.); ,das Essen der σπλ. scheint sakramentale Bedeutung gehabt zu haben‘ (so KA.³ 113). Dieser scharfsinnige und anregende Erklärungsversuch, der ja durchaus auf dem Boden der modernen Religionswissenschaft steht, hat vermutlich viel Zustimmung gefunden. Um so mehr ist es geboten, auf die starken Bedenken hinzuweisen, denen er unterliegt. Zunächst ist jene Hypothese Blechers, soweit es sich um den griechisch-römischen Kult handelt, sehr unsicher. Die beiden einzigen Zeugnisse, in denen tatsächlich eine solche Anschauung ausgesprochen wird, sind Lucan. Phars. I 633 und Stat. Theb. V 176, also sehr späte Zeugnisse, denn Herodot. IX 62. Plut. Arist. 18; Arat. 43. Xen. hell. III 3, 4 u. a. lassen eine einfachere ungezwungene Erklärung zu. Aber ebenso bedenklich ist die sakramentale Deutung an sich. Der Sinn des sakramentalen Mahles ist, daß der Mensch den Gott ißt und dadurch mit ihm eins wird (s. außer Dieterich Mithrasliturgie 100ff. Pfister Art. Kultus § 12, 2 die gute knappe Formulierung bei Ada Thomsen 464). Aber ist damit vereinbar, daß der Gott selbst von den σπλάγχνα, in denen er wohnend gedacht wird, ißt? Allerdings hat Stengel auf Homer gestützt für die älteste Zeit den Anteil der Götter an den σπλ. geleugnet, aber wie oben bemerkt, ohne genügenden Grund. Entscheidend scheint mir folgende Überlegung: Das sakramentale Mahl war und ist – darüber besteht wohl Einigkeit – eine besonders feierliche Form des O., die deshalb, soweit sie überhaupt bei den Griechen nachzuweisen ist, gerade in Mysterien vorkommt (s. Gruppe 731ff.). Aber dazu steht in schärfstem Widerspruch, daß das Verzehren der σπλάγχνα ja bei allen Speise-O. stattfand; denn dann wäre nach Stengel jedes Speise-O. zugleich ein Sakrament gewesen. Demgegenüber möchte ich meinerseits folgende einfachere Erklärung versuchen: Das Speise-O. ist ein Kommunions-O., bei dem der Mensch gemeinsam mit dem Gotte ißt, was das Epos ja Od. I 26 noch ganz realistisch dadurch ausdrückt, daß Poseidon sich mit an den Tisch setzt. Für den tatsächlichen Kult war also die wichtigste und für den Sinn des O. notwendige Bedingung, daß der Genuß des O.-Fleisches wirklich gemeinsam stattfand. Das konnte aber nicht durch das Mahl geschehen, das die Opfernden, sei es die Gemeinde seien es einzelne Bürger, eine halbe oder ganze Stunde nach der O.-Handlung im Heiligtum oder gar zuhause von dem O.-Fleisch bereiteten. Da war ja der Gott, um mich primitiv auszudrücken, schon fort. Die Gemeinsamkeit war vielmehr nur in dem Moment der heiligen Handlung möglich, in dem dem Gott sein Anteil am Mahle auf dem Altar verbrannt wurde, und sie wurde dadurch erreicht, daß die O.-Teilnehmer die σπλάγχνα, die sich am schnellsten braten ließen und dabei als ,Sitz des Leben‘ wichtig waren, sofort während der Darbringung auf dem Altare verzehrten. Daß auch der Gott von ihnen bekam, ist dann fast selbstverständlich. Ich glaube, daß so die für die Verwendung der σπλ. bezeichnende Eigentümlichkeit, von der Stengel ausging, ihr Platz im O.-Ritual, sogar besser [619] als durch die sakramentale Deutung erklärt wird. Ein paar Einzelheiten seien noch kurz erwähnt. Nach Athenion FCA III 370 briet man den Göttern die σπλ. ohne Salz, wählend umgekehrt den οὐλοχύται gerade Salz beigemengt war. Eitrem 342, der daran erinnert, daß auch bei den Indern gesalzene Speisen vom O. ausgeschlossen waren (Oldenberg Rel. des Veda 414), sieht darin ein auf die Götter übertragenes Tabuverbot. Zu den σπλ. bekamen die O.-Teilnehmer die φθοῖς genannten Kuchen (Paus. bei Eustath. Il. p. 1165, 9. Suid. s. ἀνάστατοι), s. Höfler Arch. f. Rel. XV 639. Daß mit den in Kos vorkommenden ἔνδρα (Syll.³ 1026, ἔνδρα ἐνδέρεται, καὶ θύεταθ ἐπὶ τᾶι ἱστίαι ἐν τῶι ναῶι τὰ ἔνδορα κτλ., ähnlich 1025, 47ff.), die wohl dasselbe sind wie die bei Hesych. erwähnten ἔνδρατα · τὰ ἐνδερόμενα σὺν τῇ κεφαλῇ καὶ τοῖς πρσί, mit den ins Fell des Tieres eingehüllten σπλάγχνα identisch seien, hat Stengel 85ff. zu erweisen gesucht, doch s. auch Prott Fasti 23.

5. Die Anteile des Priesters und die Verteilung des übrigen O. -Fleisches. Nachdem die eigentliche O.-Handlung zu Ende war, wurde das geschlachtete Tier zerlegt (Homer: μίστυλλόν τ’ ἄρα τἄλλα), was Sache des μάγειρος war (Athen. XIV 659f., vgl. den O.-Kalender von Mykonos Syll.³ 1024, 14f.) oder eines besonderen δαιτρός wie bei den Attischen Buphonien (vgl. auch Eurip. El. 615ff.), und dann den dazu Berechtigten ihr Anteil überwiesen. An erster Stelle stand da der Priester; denn nicht Geld, sondern sein Anteil am O.-Fleisch bildete den Hauptteil seiner Einkünfte (s. o. Bd. VIII S. 1424), und daher auch die vielen Leges sacrae, die dies genau regeln (ausführliche Nachweisungen und Erklärungen bei Puttkammer 1ff.). Die üblichsten ἱερεώσυνα (so attisch) oder γέρη (so ionisch und dorisch) waren das Fell und ein σκέλος oder eine κωλῆ; sie kehren überall in der griechischen Welt wieder. Nur zwischen öffentlichen und privaten O. wird sehr oft unterschieden. Bei jenen fiel dem Priester sowohl das Fell wie ein σκέλος zu (so in Kos immer wieder γέρη λαμβάνει δέρμα καὶ σκέλος, in Athen von der Priesterin der Athene Nike Leg. sacr. 11, 10 τὰ σκέλε καὶ τὰ δέρματα φέρεν τὸν δεμοσίον), wenn auch bei den großen Festen eine Ausnahme davon gemacht wurde, wie das attische δερεματικόν zeigt. Dagegen erhielt er bei den privaten O. das Fell wenigstens in der Mehrzahl der Fälle nicht. In den Inschriften werden noch andere Stücke hinzugefügt, die sehr wechseln und für die eher der örtliche Brauch bestimmend gewesen zu sein scheint. Statt alle die verschiedenen Einzelheiten aufzuführen, die man bei Puttkammer findet, sei ein Beispiel, das älteste Gesetz über den Verkauf von Priestertümern aus Milet, lieber ganz zitiert (Syll.³ 1002): [ἃ χρὴ πᾶσι οἳ] ἐπρία[ντο τὰς ἱερε[ω]σύνασ γίνε[σ]θ[α]ι· τὰδέρματα πάντα [ὅ]σ’ ἂν ἡ πόλις ἔρδηι, σπ[λά]γχαμα καὶ νεφρὸν κα[ὶ σ]κολιὸν καὶ [ἱ]ερμὴν μοί[ρη]ν καὶ τὰς γλάσσας πάσας ἀπὸ λόχο ἢ σκέλη καὶ κρέας καῖ γασ[τρ]ίον κ[αὶ] χορδίον· ἢν δὲ [β]ὸν ἔρδηι. δύο κρέα καὶ χόλικα καὶ αἱμάτιον καὶ πορυ[φαῖ]α· ἀπὸ δὲ τῶν ἰδίως [σύμ]παντα γίνεθαι πλ[ὴν τῶ]ν [620] δερμάτων. Viel wichtiger, weil den Kultus selbst angehend, ist die schon oben berührte Tatsache, daß der Priester auch von dem für den Gott bestimmten O.-Stücken seinen Teil bekam und zwar keineswegs etwa bloß mit stillschweigender Duldung der Bürger, sondern auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (vgl. Artemidor. On. III p. 170, 18 ἱεροσυλεῖν δὲ καὶ θεῶν ἀναθήματα κλέπτειν πᾶσι πονηρόν, μόνοις δὲ τοῖς ἱερευσι καὶ μάντεσι συμφέρει. καὶ γὰρ τὰς τῶν θεῶν ἀπαρχὰς τὸ ἔθος ἐπιτρέπει αὐτοῖς λαμβάνειν), womit auch die doppelte Erklärung der Worte ἱερώσυνα und θεομοιρία durch die Lexikographen zusammenhängt. Und zwar finden wir nicht nur, daß sie, wie bereits oben erwähnt, die auf die τράπεζα gelegten Stücke erhielten, sondern sogar von dem Altar selbst sich etwas nehmen durften. Ganz klar ist es gesagt Inschr. v. Priene 174, 9: λήψεται δὲ ὧν πόλις θύοι, σκέλος γλῶσσαν δέρμα παρὰ βωμοῦ μοίρας, aber auch die ἱερὴ μοῖρα, die den Priestern in der oben wörtlich zitierten milesischen Inschrift zugewiesen wird (ebenso Abh. Akad. Berl. 1906, S. 259 Z. 33), kann kaum etwas anders bedeuten als ein eigentlich dem Gotte selbst zukommendes Stück Fleisch, und Syll.² 554, 10 ist Dittenbergers Ergänzung λήωεται δ[ὲ τῶν τεθυμένων ἐ]ν τῶι τεμένει ἀφ’ ἑκάσατου ἱερείου σκέλος κα[ὶ τῶν καιουμένων τ]ῶι θεῶι τὰ τρίτα μέρη wenigstens dem Sinne nach wahrscheinlich. Um diese höchst auffallende Sitte zu erklären, könnte man die Annahme zu Hilfe nehmen, daß ursprünglich der Priester selbst als Inkarnation des Gottes galt (s. Pfister Art. Kultus § 5, 14) und er in dieser Eigenschaft die O.-Gaben empfing (Puttkammer 17). Wenn jener Brauch schon für die älteste Zeit nachgewiesen werden könnte, wäre diese Erklärung offenbar fast notwendig. Aber man darf nicht vergessen, daß die O.-Gesetze, in denen er uns entgegentritt, doch verhältnismäßig jung sind und jedenfalls einer Zeit angehören, in der jener Glaube kaum mehr lebendig war. Man muß also doch wohl umgekehrt von der religiösen Entwicklung der späteren Zeit ausgehen, die nicht mehr ernsthaft daran glauben konnte, daß die Gottheit sich von O.-Fleisch oder Fettdampf nähre (Puttkammer 23). Besonders die Vorstellung, daß der Gott oder die Göttin zum Tisch komme, um dort die ausgelegte Speise zu verzehren, mußte immer mehr Anstoß erregen und absurd erscheinen. Andrerseits war es bei der konservativen Haltung in kultischen Dingen nicht gut möglich, daß man einfach die bisher durch den ἱεερὸς νόμος geforderten Abgaben wegließ, und so war es eine ganz willkommene Lösung und eine Art Kompromiß, wenn der Priester die τραπεζώματα sich nahm. Die bekannte Stelle Aristoph. Plut. 676 ὁρῶ τὸν ἱερεά τοὺς φθοῖς ἀφαρπάζοντα κτλ., die doch Puttkammer etwas zu harmlos auffaßt, ist vielleicht ein Zeugnis für die Zeit des Überganges. In der späteren Zeit war jedenfalls der ökonomische Vorteil des Priesters maßgebend ebenso wie bei dem ein paarmal ausdrucklich in das Gesetz aufgenommenen Verbot, ohne den Priester zu opfern (Leg. sacr. 36, 6 u. 41, 9). Hier lag der ursprüngliche Grund des Verbotes in der allein dem Priesters zukommenden sakralen Eignung [621] (daher auch Plat. leg. 909 D τοῖς ἱερεῦσί τε καὶ ἱερείαις ἐγχειριζέτω τὰ θύματα, οἵς ἁγνεία τούτων ἐμιμελής; vgl. auch das Gesetz über den Isiskult Inschr. v. Priene 195 μὴ έξέστω δὲ μηθενὶ ἄλλωι ἀπείρως τὴ[ν θυσίαν ποεῖν τῆι]θεᾶι ἢ ὑπὸ τοῦ ἱερέως , aber dem Priester selbst lag vor allem an seinen materiellen Ansprüchen [s. o. Bd. VIII S. 1421]).

In den wenigen Fällen, in denen nicht ein Priester, sondern der βασιλεύς oder ein anderer Vertreter der Gemeinde das O. selbst vollzog (s. o.), erhielt natürlich dieser die sonst dem Priester zufallenden Anteile, so die spartanischen Könige (Herodot. VI 56) oder in Eos der γερεαφόρος βασιλέων (Syll.³ 1025, 20f.). Aber auch andere Beamte, die bei der Besorgung des O. mitgewirkt hatten wie die ἱεροποιοί oder die ἱερομνάμονες erhielten ihren Anteil und ebenso natürlich die unter dem Priester stehenden Kultgehilfen wie der μάγειρος, der αὐλητής oder die αὐλητρίς, die ὀλολύκτρια usw. (s. die genauen und vollständigen Nachweisungen bei Puttkammer 31ff.).

6. Das O.-Mahl. Nachdem die O.-Handlung beendet und die dem Priester und sonst berechtigten Personen zukommenden Anteile am O.-Fleisch ausgesucht und beiseitegelegt waren, konnte das O.-Mahl beginnen. Dieses fand ursprünglich sicher sofort noch im Heiligtum selbst statt. Das folgt zunächst aus dem Charakter des Speise-O. als Kommunions-O. Denn das O.-Tier, das das Fleisch zu diesem Gott und Mensch gemeinsamen Mahle lieferte, war durch die kultische Handlung geheiligt, und sein Fleisch durfte deshalb nicht außerhalb des Heiligtums zu ,profanen‘ Zwecken benutzt werden. Bestätigt wird dieser Schluß durch das sich noch in historischer Zeit hier und da findende Verbot, von dem O.-Fleisch aus dem Heiligtum hinaus, also nach Hause mitzunehmen. In der Literatur kommt es selten vor: bei dem Asklepioskult in Epidauros Paus. II 27, 1. beim O. an Apollon Parrhasios auf dem Lykaion VIII 38, 8 (dagegen gehört das O. an die Θεοὶ Μειλίχιοι in Lokris X 38, 8 nicht hierher, da es ein σφάγιον ist) und als allgemeine Vorschrift für den Kult der Hestia (Diog. II 40 οἱ γὰρ Ἑστίᾳ θύοντες οὐδὲν ἐξέφερον τῆς θυσίας, ebenso Hesych. s. Ἑστίᾳ θυόμεναι. Über die schwierige Frage der O. an Hestia vgl. v. Wilamowitz Glauben I 155. Schwenn 120ff.). Etwas öfter begegnen uns entsprechende Vorschriften in den Sakralinschriften, so Syll.³ 1004, 31 (Oropos. Amphiaraoskult) τῶν δὲ κρεῶν μὴ εἶναι ἐκφορὴν ἔξω τοῦ τεμένεος, in den Koischen Fasti wiederholt nach Angabe des darzubringenden O. die Bestimmung τπύτων οὐκ ἀποφορά, in Magnesia Syll.³ 554. 7 und in einem attischen ländlichen Asklepioskult (Syll.³ 1041, 10). Denselben Sinn hat in positiver Fassung das δαινύσθων αὐτοῦ in Mykonos (Syll.³ 1024) und das θοινῆται in Rhodos Syll.³ 1030 (was Prott und ihm folgend Dittenberger irrtümlich als θύεται verstanden; berichtigt in meinen Leg. sacr. p. 148). Frühere Vermutungen, daß praktisch materielle Rücksichten dafür maßgebend waren wie Knappheit des Fleisches, sind abwegig. Der Grund muß ein sakraler sein und kann dann kaum ein anderer sein als eben die [622] ursprüngliche Bedeutung des Speise-O.s (Jevons Introduction 1451. A. Thomsen Arch. f. Rel. XII 467. Puttkammer 60ff.). Ob man aber deshalb auf dies O. den Begriff tabu anwenden kann (Thomsen 466. Pfister o. Bd. XI S. 2182), bezweifle ich. Tabu war das dem ἐναγισμός verfallene σφάγιον bei apotropäischen oder kathartischen und ähnlichen O. und mußte deshalb durch vollständige Verbrennung oder Vergrabung beseitigt werden (vgl. den Unterschied zwischen ἱερεύειν und ἐναγίζειν). Sonst wäre es auch kaum verständlich, daß das Verbot im Laufe der Zeit so sehr in Vergessenheit geriet, wie es tatsächlich geschah. Schon in der klassischen Zeit war es offenbar durchaus üblich, das O.-Fleisch nach Hause mitzunehmen. Bezeichnend dafür ist, daß die Spartaner, die sonst an den Syssitien teilnehmen mußten, nach einem O. zuhause speisen durften (Plut. Lyk. 12). In der späteren Zeit war dies sogar offenbar die Regel, sonst würde nicht Paus. II 27, 1 zu der in Epidauros bestehenden Sitte, das O.-Fleisch ἔντος τῶν ὅρων zu verzehren, hinzufügen τὸ δὲ αὐτὸ γινόμενον οἶδα καὶ ἐν Τιτάνῃ. Die Wandlung wird schon genügend dadurch erklärt, daß im religiösen Bewußtsein die Auffassung des Speise-O. als eines Gott und dem Menschen gemeinsamen Mahles allmählich zurücktrat – das schien eine Eigentümlichkeit der mythischen Zeit (Hesiod. frg. 218 ξυναὶ γὰρ τότε δαῖτες ἔσαν, ξυνοὶ δὲ θόωκοι ἀθανάτοισι θεοῖσι καταθνήτοις τ’ ἀνθρώποις) – und durch die einfachere und nüchterne Auffassung verdrängt wurde, die im gewöhnlichen O. ein Geschenk an die Gottheit, eine ἀπαρχή der zur eigenen Nahrung dienenden Speise sah. Noch leichter aber wird diese Wandlung verständlich, wenn ich oben mit Recht annahm, daß nach griechischem Glauben jene Gemeinschaft zwischen Gott und Menschen beim O. in dem Augenblick zustande kam, in dem gleichzeitig das Altarfeuer die für den Gott bestimmten Teile verzehrte und die Menschen die σπλάγχνα aßen, und die eigentliche Kommunion nur so lange dauerte, als dies geschah. Auffallend ist jedoch, daß nicht nur zur selben Zeit und am selben Ort, sondern auch in demselben O.-Gesetz, ja bei derselben Kulthandlung beides, das Verbot und die ausdrückliche Erlaubnis, das Fleisch mitzunehmen, vorkommt, s. Syll.³ 1026, 4 (Kos) τούτων οὐκ ἀποφορά, dagegen Z. 8 ταύτας (d. h. von der geopferten δάμαλις) ἀποφορά, Z. 24 wieder τούτων οὐκ ἀποφορά, 1025. 57 sogar bei derselben Kulthandlung: Διονύσωι Σκυλλίται χοῖρος [καὶ ἔρ]ιφος· τοῦ χοίρου οὐκ ἀποφορά, wo das Verbot also nur das Ferkel-, nicht das Bock-O. betraf. Die Erklärung hier darin zu suchen, daß jenes zu den alt überkommenen O. gehörte. dieses eine θυσία ἐπίθετος war, liegt nahe. Bei dem O. der δάμαλις 1026, 5ff. heißt es zwar ταύτας ἀποφορά, doch von den ἔνδορα, die mit einem Kuchen zusammen auf dem Herd im Tempel geopfert werden sollen, wiederum τούτων οὐκ ἐκφορὰ ἐκ τοῦ ναοῦ. Nach Stengel sind unter den ἔνδορα die σπλάγχνα zu verstehen (s. o.), was zu dieser Bestimmung hier und auch zu meiner Erklärung der Bedeutung der σπλάγχνα im O.-Ritus gut stimmt. – Für das Mahl wurde das O.-Fleisch in der Regel gebraten. Das steht nicht [623] nur für Homer fest, sondern es geht, abgesehen von bildlichen Darstellungen (s. Stengel KA.³ 115, 1), auch daraus klar hervor, daß das Kochen im Kult der Horen in Athen als eine besondere Ausnahme erwähnt und begründet wird (Philochoros bei Athen. XIV 656 a; vgl. dazu Puttkammer 64, 2). Inschriftlich finden wir es einmal in Aigiale IG XII 7, 515 Z. 77 angeordnet.

Bei den großen Festen folgte dem O. die δημοθοινία, bei der jeder Bürger seine Portion bekam (einmal, in Keos, sogar das Gewicht derselben festgesetzt: Syll.³ 958, 7ff.). Daß und wie dabei die Beamten besonders berücksichtigt wurden, zeigt das Dekret über die kleinen Panathenaeen Syll.³ 271, 10ff. νείμαντ[ας τοῖς πρυτάν]εσιν πέντε μερίδας καὶ τοῖς ἐννέα ἀρ[χουσιν τρεῖς] καὶ ταμίαις θεοῦ μίαν καὶ τοῖς ἱερ[οποιοῖς μίαν] καὶ τοῖς στρατηγοῖς καὶ τοῖς ταξιάρ[χοις τρεῖς ? καὶ τ]οῖς πομπ[εῦσι]ν τοῖς Ἀθηναίοις καὶ τα[ῖς κανηφόροι]ς κατὰ τὰ εἰω[θότα· τ]ὰ δὲ ἄλλα κρέα Ἀθηναίο[ις μερίζειν]. Die verschiedene Zahl der μερίδες kann nicht etwa bedeuten, daß jeder einzelne Prytane 5, jeder Archont 3 Portionen bekam usw., sondern es handelt sich um die Zahl der Schüsseln, die jedes der genannten Collegien erhielt, bei der also die Zahl ihrer Mitglieder zu berücksichtigen ist. Dabei ergibt sich, daß nicht die Prytanen, sondern, wie zu erwarten, die Archonten bevorzugt waren. Für alle Collegien aber bestand der Vorteil und das Vorrecht darin, daß sie ihren Anteil vorweg bekamen und dann erst die Verteilung unter die übrigen Bürger folgte. Übrigens wurden nicht immer alle Bürger gespeist. So bestimmt das Gesetz über den Kult des Zeus Sosipolis in Magnesia (Syll.³ 589), daß das Fleisch des geopferten Stieres unter die συμπομπεύσαντες verteilt wird, wozu aber nicht alle Bürger gehörten, sondern außer allen Beamten und Priestern nur noch die Gerusie, die Epheben, die νέοι, die Kinder und die Sieger der Wettkämpfe. Diese Beispiele müssen hier genügen. Die Entwicklung der späteren Zeit, in der die Freigebigkeit von Fürsten oder reichen Privatleuten die Mittel für immer reichere und umfassendere Bewirtung des Volkes lieferte (vgl. auch Puttkammer 50ff.), hat nichts mehr mit Religion und Kult zu tun.

Dagegen verdient endlich noch besondere Erwähnung das Gesetz der athenischen Skamboniden Leg. sacr. 9 wegen der Bestimmung C 16ff., bei gewissen Festen das Fleisch des O.-Tieres roh zu verkaufen. Die Inschrift, die vor 450 v. Chr. fällt, bietet trotz der relativ kleinen Lücken der Ergänzung wie dem Verständnis die allergrößten Schwierigkeiten, aber gerade an dieser Stelle kann über Ergänzung und Sinn des Textes kein Zweifel sein (Χσυνοι[κίοις] ἐμ πό[λ]λει τέ[λεον τ]ὰ [δ]ὲ κρέα: ἀπο[δόσ]θαι ὀμά : Ἐπιζε… σι : ἐμ Πυθίο[ι κρι]όν : τὰ δὲ κρέ[α ἂπο]δόσθαι : ὀμά). Eine solche Bestimmung ist für jene frühe Zeit außerordentlich auffallend und steht, soviel ich sehe, bis jetzt allein da. Jedenfalls aber ist sie nicht zu übergehen und daraus zu entnehmen, daß ihre Urheber sich eines Tabu-Charakters des O.-Fleisches auch nicht im geringsten bewußt sein konnten.

IV. Sakramentales O. Nachdem Robertson Smith diese Art O., bei der der [624] Gott von seinen Verehrern verzehrt wird, aus der semitischen Religion erschlossen hatte und ähnliche Riten bei primitiven Völkern aufgedeckt waren, war die Frage notwendig, ob sich auch bei den Griechen entsprechendes finden lasse. Aber die Riten, die Gruppe 731ff. als Zeugnisse dafür zusammenstellte und auf die A. Dieterich 102 verwies, betreffen, wie betont werden muß, nur den bekannten Mythos von der Zerreißung und Verspeisung des Dionysos in seinen verschiedenen Gestaltungen, und es ist doch sehr die Frage, ob wir es hier mit dem Niederschlag echt griechischen Glaubens und Kultes zu tun haben. Gruppe glaubt dies offenbar, aber die griechische Überlieferung selbst, die in der Sage von dem Kampfe gegen den ekstatischen Dionysoskult zu erzählen weiß, führt zu dem gegenteiligen Schlusse. Freilich sieht Gruppe in dieser Legende eine spätere Umdeutung und hält Pentheus für eine Hypostase des Dionysos. Aber diese Hypothese bildet doch eine zu schwache Grundlage für die gewichtigen Folgerungen, die sich daran knüpfen. Auch daß die alten attischen Dionysoskulte keinen ekstatischen Charakter tragen, fällt ins Gewicht. Jedenfalls aber reichen die von Gruppe beigebrachten Zeugnisse für die Annahme sakramentaler O. im echt griechischen Kult nicht aus.

V. Θυσίαι ἄγευστοι.: s. den Art. Σφάγια u. Bd. III A S. 1669ff.

VI. Über die allgemeinen das O. betreffenden Fragen wie Entstehung und ursprüngliche Bedeutung des O. hat F. Pfister im Art. Kultus ausführlich gehandelt und sich dabei durchaus auf den Boden der ethnologischen Forschungsergebnisse und Theorien gestellt. Ich verweise auf seine tiefgreifenden und die Probleme mutig anfassenden Darlegungen, ohne freilich damit mein Einverständnis mit allen seinen Ansichten auszudrücken. So wie es heute steht, sind ja noch alle Versuche, das griechische O.-Ritual religionsgeschichtlich zu erklären, starken Einwänden und Zweifeln unterworfen. Denn sie sind zum größten Teil doch nur mehr oder weniger gut fundierte Hypothesen, die stark durch die Forschungen über Religion und Kultus der Primitiven beeinflußt worden sind. Aber gerade in den letzten Jahren erschienene wertvolle Aufsätze und Werke dieser Richtung zeigen, wie mir scheint, wie sehr noch über grundlegende Dinge die Ansichten schwanken und voneinander abweichen, s. z. B. F. R. Lehmann Arch. f. Rel. XXXIV 323ff. K. Th. Preuß ebd. 351ff. Pfister ebd. XXXIII 362ff. Hauer 152ff. oder vgl. etwa Soederbloems bekanntes Werk ,Das Werden des Gottesglaubens‘ (² 1926) mit K. Beth Religion und Magie (² 1927). Ich kann nicht einmal finden, daß die eine so große Rolle spielenden Begriffe Orenda, Mana, Wakanda, Manitu ganz einheitlich aufgefaßt und völlig klar definiert werden. Auch die Bedenken, die Preuß gegen eine gewisse Art kulturhistorischer Forschung, gegen ihr Schwelgen im Denken über historische Zusammenhänge und ihrer Scheu vor zeitraubender Vertiefung ausspricht, sollten zur Vorsicht mahnen. Die Schwierigkeiten, die einst einer der Wegbahner der anthropologischen Methode, Andrew Lang, im Anhang seines großen [625] Werkes Myth, Ritual and Religion II 325ff. als Gründe für die Einwände gegen seine Methode selbst zusammenstellte, sind sicher nicht unüberwindbar, aber sind sie wirklich schon überwunden? Eine solche Zurückhaltung bedeutet keineswegs etwa eine grundsätzliche Ablehnung, und es ist wohl keine Frage, daß v. Wilamowitz mit seiner scharfen Verurteilung der modernen Methode (Glaube der Hellenen I 287) viel zu weit ging und deshalb mit Recht Widerspruch erfuhr. Denn es läßt sich eben nicht die griechische Religion und vor allem nicht der Kultus aus der griechischen Überlieferung allein erklären, die es ja zum Teil mit schon erstarrten und den Griechen selbst nicht mehr in ihrer Wurzel verständlichen Riten zu tun hatte. Aber es ist doch auch begreiflich, wie v. Wilamowitz zu seinem scharfen Urteil kam. Es ist an sich sicher richtig, daß ,wer den griechischen Kult genetisch-historisch verstehen will, seine Blicke schweifen lassen muß über weites Vorland des Hellenentums, in dem sich nur wenige Linien undeutlich vom Grunde abheben als die Wege, welche die werdende Kultur einschlagen mußte‘ (Schwenn 131), aber die große Gefahr besteht, daß wer so die Blicke schweifen läßt, voll Erwartung, wie es menschlich ist, seine Gedanken über Entstehung der Riten bestätigt zu finden, nun die undeutlichen Linien danach ergänzt und manchmal sogar Linien zu erblicken glaubt, die ihm seine wissenschaftliehe Begeisterung nur vortäuscht. Dann wird leicht etwas als griechisch verkündet, was nie griechisch war, und es ist begreiflich, daß der große Kenner des Griechentums das besonders scharf empfand. Deswegen können solche Arbeiten doch recht wertvoll sein, da sie neue Gesichtspunkte bringen und oft auch neue wichtige Beobachtungen enthalten. Dies trifft sicher auf die Schrift zu, die nach Pfister das Problem der Entstehung des griechischen O.-rituals wieder neu behandelt, Schwenns schon wiederholt zitiertes Werk ,Gebet und Opfer‘. Offenbar von Pfister stark beeinflußt geht er in der Erklärung der griechischen Riten durch die Religion der Primitiven noch wesentlich weiter als dieser: Das O. sei Bindung von tierischer ,Kraft‘ (mana) an den Altar; dieser, d. h. der Gott, der im Altare wohnte, sei der eigentliche Empfänger des O., die Trennung von Gott und Altar sei erst später erfolgt. Der Buphonienstier sei Träger magischer Kraft und, wenn man ihn von den Gerstenkörnern auf dem Altar fressen ließ, so sollte das diese Kraft verstärken, ebenso wie die über das O.-Tier ausgestreuten οὐλοχύται eine Verstärkung der ,Kraft‘ bezweckten – alles anregende und scharfsinnig durchgeführte Gedanken, die aber doch völlig in der Luft schweben und sich nicht widerlegen, aber auch nicht beweisen lassen oder wenigstens noch nicht bewiesen sind.

Übereinstimmung dagegen besteht, um das noch einmal herauszustellen, darüber, daß das Speise-O. ursprünglich ein Kommunionsritus ist. Auch v. Wilamowitz hat anerkannt, daß ,die Tischgemeinschaft des Gottes mit den opfernden Menschen die entscheidende Grundvorstellung war‘ (Glauben I 287). Hier weist die griechische Überlieferung selbst so deutliche Spuren [626] auf, daß parallele Gebräuche und Vorstellungen anderer Völker nur als Bestätigung in Betracht kommen. Wenn meine oben versuchte Erklärung der besonderen Bedeutung der σπλάγχνα richtig ist, liegt darin eine neue willkommene Bestätigung. Zum Schluß sei erwähnt, daß auch noch eine andere wichtige Einzelheit des O.-Rituals, das Streuen der οὐλοχύται, wenn auch noch nicht eine völlig sichere Erklärung gefunden hat, so doch dem Verständnis wesentlich näher gebracht ist, und zwar auch hier von dem sicheren Boden der griechischen Religion selbst. Daß die antike Begründung, die Opfernden hätten die Gerste gestreut μνήμην ποιούμενοι τῆς ἀρχαίας βρώσεως (Schol. Hom. Il. I 449. Etym. M. s. οὐλοχύται), verfehlt ist, bedarf keines weiteren Wortes. Aber ebenso kann eine neuere Erklärung, man habe den Göttern damit auch vom Brot einen Anteil zukommen lassen wollen (v. Fritze Herm. XXXII 235ff.), nicht befriedigen; diese Gabe, ob Brot ob Körner oder πελανός, wurde ihnen wie jedes andere O. dargebracht. Demgegenüber suchte ich Herm. XXXVII 1902, 391ff. die kathartische Bedeutung des Ritus zu erweisen, und diese Erklärung war auch wohl insofern ein Fortschritt, als sie wenigstens die Auffassung, die die Griechen selbst in der klassischen und der folgenden Zeit hatten, richtig ausdrückte (s. bes. Eurip. Iph. A. 1565), aber sie genügte nicht, da der Ausdruck ,kathartisch‘ hier wie in anderen Fällen zu unbestimmt ist und selbst wieder einer Erklärung bedarf. So schlug Stengel (Opferbr. 31ff.) einen anderen Weg ein, indem er dabei von der antiken Behauptung, daß die οὐλοχύται ein πρόθυμα seien, ausging: er sah in ihnen ebenso wie in der Blutspende ein Voropfer an die Erde, deren Kult einst eine primäre Bedeutung gehabt habe; später sei der Brauch erstarrt und gedankenlos weitergeübt worden. Für diese Ansicht, die offenbar unter dem Eindruck von A. Dieterichs ,Mutter Erde‘ entstand, fand er noch eine Stütze in dem homerischen προβάλοντο, aus dem er (aber mit Unrecht, s. o.) schloß, die Opfernden hätten die Körner auf die Erde geworfen. Die Schwächen dieser Erklärung hat Eitrem (Opferritus 2f. 261 ff.) richtig erkannt und seinerseits eine Lösung der Frage im Zusammenhang mit der Grundidee gefunden, die sein großes Werk beherrscht, wonach aller Kult aus dem Totenkult hervorgegangen sei, alle O. zunächst O. an die Totengeister gewesen und dann erst und zwar in Verbindung mit dem Aufkommen des O.-Feuers die Olympier an ihre Stelle getreten seien, woraus im Laufe der Entwicklung ein zum Ornament erstarrter ,rite de sacralisation‘ geworden sei. Die Schwäche dieser Erklärung, die die Kritik seinerzeit fast allgemein hervorhob, lag in der einseitigen Berücksichtigung des Totenkultes. Aber deshalb bleibt, wie ich überzeugt bin, doch ein richtiger und äußerst wertvoller Kern der auf ein großes Material gestützten Beweisführung bestehen. Wir brauchen bloß statt der Toten die Daemonen oder Keren einzusetzen, die sich vielleicht aus den Totenseelen einst entwickelten, aber dann doch eine viel umfassendere selbständige Bedeutung erlangten. Eitrem hat ein paar Mal (S. 468. 470) selbst, von einem richtigen Gefühl geleitet, diesen allgemeineren [627] Begriff gebraucht. Daß aber im religiösen Leben der Griechen diese Δαίμονες und Κῆρες eine große Rolle spielten, das ist nicht nur Hypothese, sondern ist durch bildliche und literarische Überlieferung bezeugt. Ich habe das schon o. Bd. XVII S. 101f. (Art. Νηστεία) betont, wo die wichtigsten Zeugnisse nebst Literatur angeführt sind. Ich glaube also, daß man mit den auf das O.-Tier, den Altar und auch auf die Erde gestreuten οὐλαί die am Orte haftenden Dämonen, von denen man Schädigung oder Störung der O.-Handlung befürchtete, zu befriedigen und gewissermaßen abzulenken suchte, und füge zum Schluß als Erläuterung eine von Eitrem angeführte Stelle an, die zwar nicht griechisch, aber indisch, also indogermanisch ist, das Wort des Veda: ,Weggeschlagen sind die Teufel und Dämonen, die auf dem Altare sitzen‘ (Oldenberg Rel. des Veda 493f.).

  1. Anders freilich Stengel Opferbr. 47, der das κατεύχεσθαι des Steines als eine Verschreibung für κατάρχεσθαι angesehen wissen will. Aber diese gewaltsame Änderung ist in diesem Falle durchaus unwahrscheinlich. Denn wohl wird dadurch der in den folgenden Worten θυσίει αὐτὸν ἑαυτοῖ κατεύχεθαι ἕκαστον liegende Anstoß behoben, aber ein stärkerer Anstoß geschaffen, da danach der Priester sich zwar das κατάρχεσθαι vorbehalten, aber das doch viel wichtigere κατεύχεθαι dem Privatmann überlassen würde. An dem Genetiv κ. ἱερῶν nimmt Stengel ohne Grund Anstoß, vgl. FCA I p. 593 nr. 913 εὔξασθαι κατὰ χρυσοκέρω λιβανωτοῦ.
  2. Deshalb kann auch das Chorlied Aischyl. Sept. 270ff. nicht etwa der ὀλολυγμὸς ἱερός sein, den Eteokles v. 250 den Frauen anzustimmen gebietet, obwohl freilich v. Wilamowitz in seinen Interpretationen 72 dies so zu verstehen scheint (ähnlich Schwenn 39, dagegen richtig Deubner 386). Die Frauen sollen ja auch den ὀ. erst dann anstimmen, wenn sie die εὔγματα des Eteokles gehört haben, und das Chorlied ist auch kein νόμισμα θυστάδος βοῆς (v. 251).