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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Die literarischen Häuser Berlins.

Wenn man sich dem Kirchhofe zu Ottensen naht und fragt einen Vorübergehenden: wo ist Klopstock’s Grab? er wird es wissen, und wäre er einer der Niedrigsten aus dem Volk, jung oder alt; er wird mit einem gewissen Stolze unsere Schritte nach dem Grabe lenken. Und der Hamburger selbst, sonst immer thätig, jede Minute nutzend, denn Zeit ist Geld, gedenkt doch des Sängers der Messiade und vergißt nicht, dem Fremden Klopstock’s Haus in der Königsstraße als bemerkenswerth zu bezeichnen.

Im alten Schloß zu Wandsbeck, wo im Saale die Bildnisse der dänischen Könige hängen – und das gegenwärtig zu einem Gasthause eingerichtet ist, wird des alten Claudius, des Rheinweinliedsängers „Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher“, des Wandsbecker Boten, noch in Ehren gedacht. – –

Wie so anders ist es im großen Berlin! Wie viele Tausende wird man dort vergebens nach dem Grabe Fichte’s, Schleiermacher’s, Chamisso’s, Hoffmann’s oder Gaudy’s fragen können, ehe Einer derselben Bescheid zu sagen weiß! – Und was die Wohnungen betrifft, die der oder jener berühmte oder bekannte Mann während seines Aufenthaltes im intelligenten Berlin inne hatte: so wird man finden, daß selbst die näheren Freunde der Betreffenden sich des Hauses oder der Straße nicht mehr zu entsinnen wissen. Vergessen! heißt es, vergessen! Daß Orion Julius, dieser mattblinkende Irrstern am Berliner Literatenhimmel, einst wochen- und monatelang seine nächtliche Herberge im Leichenwagen der französischen Gemeinde auf dem Gensdarmenmarkt gehalten haben soll, während er bei Tage sein Leben fristete durch die Tassen Kaffee, die er in einzelnen berühmten Conditoreien gratis erhielt, ist, wenn auch zum Theil nur Sage, nicht gänzlich vergessen. Es klebte der ganzen Erscheinung des Genannten bei seinem Leben, wie er im abgeschabten braunen Ueberrocke einherzuschreiten pflegte, etwas Lächerliches an, trotz der Misere seines ganzen Lebens. Und so etwas vergißt der Berliner weniger. Wer beachtet dagegen noch das Haus in der neuen Friedrichsstraße, nahe der Königsstraße, in der einst Henriette Herz lebte, wo die geistreichsten Männer ihrer Zeit aus- und eingingen? Schleiermacher war der intimste Freund der Frau des Hauses, Wilhelm von Humboldt hegte in der Jugend eine innige Neigung für dieselbe, während sein Bruder Alexander der schönen Jüdin Briefe von Tegel sendete, die er in hebräischer Schrift zu schreiben nicht unterließ, damit die Dame seines Herzens sie leichter lesen könne. – Alle diese Männer blieben der schönen geistreichen Frau bis an ihr Lebensende in wahrer Freundschaft zugethan, nachdem der brausende Schaum der Jugend sich gesetzt und geklärt hatte. Sie nahmen aus diesem Umgange Anregung zu neuen Arbeiten, Gedanken und Lebenskenntnisse mit hinweg, während Ludwig Börne in diesem Hause den schönsten Traum seines Lebens, seine erste Jugendliebe, vielleicht seine einzige, zu Grabe trug. Ludwig Börne, oder wie er damals noch als ungetaufter Jude hieß, Louis Baruch, kam als siebenzehnjähriger Jüngling in das Haus des Dr. Marcus Herz. Hier war es, wo ihn die glühendste Liebe zu der Gattin seines Erziehers, zu der noch immer schönen Henriette, erfaßte. Sein Tagebuch, das er damals geführt, soll von einer Fülle der schönsten, glühendsten Gedanken durchfluthet gewesen sein. Henriette Herz verbrannte es, zugleich bestrebt, die Liebe des jungen Mannes, dem sie den Jahren nach eine Mutter hätte sein können, aus seiner Brust zu reißen. Sie tödtete gewissermaßen den Gefühlsmenschen, den Poeten in ihm, um der Welt einen Satiriker, einen Kritiker zu geben, der in ewigem Heimweh nach einem freien Vaterlande sich verzehrte. Börne schied aus dem Hause der Henriette Herz, zugleich von seinem schönsten Glücke Abschied nehmend. Er ist seines Lebens eigentlich nie froh geworden. Und wie er sich zu Paris nach Blumen und einer Hand voll freier deutscher Erde sehnte, so hat er sich Zeit seines Lebens nach Liebe gesehnt. Als er später einmal nach Berlin zurückkehrte, hat er kurze Zeit in Stadt Rom gewohnt. –

Es ist unwillkürlich, daß man, sobald man Börne’s gedenkt, auch Heinrich Heine’s gedenken muß. Und wunderbar! wie dieselben später fast immer zusammen genannt wurden, obgleich sie wie Tag und Nacht verschieden waren: so mußten auch Beide in Berlin in mannigfacher Hinsicht etwas Gemeinsames haben. Während in die neue Friedrichsstraße ein Schleiermacher fast täglich wanderte, die kleine Blechlaterne, ein Geschenk der Freundin, des Abends vorn im Knopfloche befestigt, um hier sein innerstes Sein, sein Hoffen, Denken und Träumen, seine kühnsten Ideen einer Henriette Herz mitzutheilen, aus ihrem Umgange Anregung zu neuem Schaffen schöpfend: war der weltberühmte Salon der Rahel, der Gattin Varnhagen von Ense’s in der Mauerstraße, wie vordem in der Jägerstraße, ein Sammelplatz der vornehmsten Welt des geistreichen Berlin, das Stelldichein der hervorragendsten Männer von fern und nah. – Und während dort Börne zu den Füßen der Frau des Hauses saß, drängte hier Heinrich Heine sich schüchtern durch die Räume einer Rahel (es war im Jahre 1821–22). Rahel, der, wie Wilhelm von Humboldt in den Briefen an eine Freundin sagt, ein Talent angeboren war, auch dem unbedeutend Scheinenden eine bessere und anziehende Seite abzugewinnen, und von der Niemand ging, ohne etwas gehört und mit hinweggenommen zu haben, das Stoff zu weiterem, ernsterem Nachdenken gegeben, oder das Gefühl lebendig angeregt hätte, ist auch auf Heinrich Heine nicht ohne Einfluß geblieben. Der damals unbekannte Verfasser der nun vergessenen Trauerspiele Almansor und Radcliff soll sich meist schüchtern, schweigsam verhalten haben; und der geistreiche Professor Eduard Gans, dieser Napoleonskopf, soll ihn oftmals zur Zielscheibe seines Witzes erkoren haben. Es läßt sich glauben! Gans hatte eine geistreiche, muthige Beredsamkeit, die mit ihrer freimüthigen Kühnheit erquickende Wärme verband. Seine Vorlesung „Ueber die französische Revolution“, die überaus besucht war, that dies später den weitesten Kreisen kund – und machte seinen Tod allgemein fühlbar. Selbst ein Alexander von Humboldt verschmähte nicht, auf der Bank seiner Schüler und Zuhörer zu sitzen. Gans starb am Todestage Napoleons, mit dem überhaupt seine Todtenmaske eine auffallende Ähnlichkeit zeigte, den 5. Mai 1839. Seine Wohnung war in der Behrenstraße. Gans hat in Heine, der damals ziemlich linkisch und unbeholfen gewesen sein soll, wenig den nachmaligen Verfasser der Reisebilder, den Dichter der Wallfahrt nach Kevlaar geahnt; mit Rahel ist es anders gewesen. Leugnen läßt es sich wohl nicht, daß Heine hier den Grund zu seinem nachmaligen Verhalten im Keim gefunden hat. Ob er daheim in seiner bescheidenen Wohnung, die er dazumal Kanonier- und Behrenstraßen Ecke Nr. 13 inne hatte, redseliger gewesen, als in der Nähe der geistreichen Rahel, ist nicht bekannt. Fama will behaupten, daß er auch hier oft von dem kleinen A. v. Maltitz überschrieen worden sei, der, um besser verstanden zu werden, es nicht verschmäht habe, auf den Tisch zu steigen, von dort ab seine „Pfefferkörner“ auf den sich zusammenziehenden Heine herabsprudelnd, während Grabbe sich kannibalisch freuend einen Käse verzehrt, den er leidenschaftlich gern als Zeichen höchster, innerer Freude zu essen pflegte.

Heine’s Leben, Dichten und Denken ist bekannt. Er liegt zu Paris auf dem Montmartre begraben. Seiner Leiche folgten kaum fünfzig Personen. Er war und blieb das verzogene Kind der Poesie, ohne festen ausgeprägten Charakter, vielleicht weil er keinen haben wollte, weil er, ein echtes Kind seiner Zeit, sich des Gefühls schämte – und jede Thräne im Auge durch eine Grimasse zu zerdrücken strebte. Rahel’s Devise des Lebens war: „Wahrheit heraus! solch’ Jagdgeschrei möchte ich hören,“ während Heine die Unnatur als Richtschnur seinen Lebens genommen hatte. Es ist bekannt, das Ungleichartige zieht sich an – und Heine war einst gern in Rahel’s Nähe. –

Vorüber doch! vorüber! –

Jetzt aber horch! welch hübsches Lied erschallt! alle Lust fröhlich durchmessener Stunden tauchet auf. Wer kennt es nicht, wer hat es nicht gesungen:

„An der Saale hellem Strande
Stehen Burgen stolz und kühn.“

Franz Kugler hat es gedichtet. Dort in der großen Friedrichsstraße Nr. 242 wohnte er und ist er gestorben, im Hause seines Schwiegervaters, des Criminal-Director Dr. Hitzig, des Vaters Ede, wie Chamisso ihn nannte, der ja auch aus demselben Hause die Lebensgefährtin sich geholt hatte. Kugler bat das genannte Lied in seinem achtzehnten Jahre gedichtet; es ist unter der Fülle seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_011.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)