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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

wo er einen rothseidenen Schlafrock und eine turbanartige rothe Mütze trug. Er besaß einen vollendet feinen Anstand, den der wahren Bildung, nie kam ein heftiges Wort über seine Lippen, sein Charakter wie sein ganzes Leben waren fleckenlos.

Er bildete Henrietten fast zu einer Gelehrten, namentlich was Sprachen anbelangt; sie lernte Lateinisch, Französisch, Englisch und Hebräisch, letzteres freilich wohl mehr aus Rücksicht auf den Religionsunterricht, der damals von den orthodoxen Juden in hebräischer Sprache ertheilt wurde. Mit der Mutter harmonirte Henriette viel weniger, es war eine heftige, launenhafte und kränkliche Frau, die Mann und Kinder zu quälen verstand; doch hat Henriette ihr bis in's späte Alter die größte Rücksicht und Liebe bewiesen.

Schon mit zwölf Jahren erhielt die kleine Henriette zwei Heirathsanträge; der erste ging von einem abenteuernden Juden aus, der wahrscheinlich die erblühende Schönheit des Kindes zu bösen Zwecken benutzen wollte. Nachdem er den Eltern von seinen Reichtümern vorgeprahlt hatte, namentlich von Mohren und wilden Thieren, die er in fernen Weltteilen besäße, verschwand er plötzlich und stahl dem Vater seiner kleinen Auserwählten eine goldene Schnupftabakdose.

Wenige Monate später hielt ein sehr geachteter Arzt, der Hofrath Marcus Herz, um Henriette an; ohne sie lange zu fragen, gaben die Eltern, die noch viele Kinder zu versorgen hatten, ihre Einwilligung, und die Kleine war ebenfalls stolz und zufrieden, so früh schon Braut zu werden. Der Bräutigam wartete indessen noch beinahe drei Jahren ehe er sie heimführte; Henriette erzählte immer, daß ihr Brautstand sehr langweilig gewesen wäre. Jeden Abend mußte sie am Spieltisch sitzen und zusehen, wie ihr Verlobter mit den Eltern Karten spielte. Er beachtete sie kaum und nannte sie nur „das Kind“. Dadurch erschien er ihr viel älter als er war; sie zählte fünfzehn, er doppelt so viel Jahre, also dreißig, was für einen Mann doch keineswegs alt zu nennen ist; freilich erschien er auch sonst nicht in günstiger körperlicher Beschaffenheit neben ihr; er hatte eine hohe Schulter, auch war er klein und häßlich. Trotzdem ist sie ihm aber immer eine liebevolle und treue Gattin gewesen; wenn sie auch zuweilen die Klage nicht unterdrückte, daß ihrer Ehe die Romantik der Liebe gefehlt hat. Für ein Frauenherz ist diese Romantik der Sternenglanz an dem Himmel des Lebens, für die es nur einen Ersatz giebt: die Liebe eines Kindes. Die schöne Henriette Herz sollte aber auch diesen Ersatz nicht kennen lernen, ihre Ehe blieb kinderlos. Sie empfand darüber einen lebhaften Schmerz, indessen wurde er durch ihre reine und kräftige Seele bald überwunden und sie gewann die Einsicht, daß ihr noch manche Glücksmöglichkeit zu Gebote stand, namentlich aber, daß freundschaftlicher Umgang mit liebenswerten Menschen und geistige Beschäftigung mit Literatur und Kunst reiche Fundgruben von Lebensgenuß für sie waren.

Das Haus des Hofrath Herz, dem er die Zierde einer jungen schönen Frau gegeben hatte, wurde bald der Sammelplatz der besten Gesellschaft Berlins. Nicht nur Künstler und Schriftsteller, wie Schadow, Reichhardt, Zelter, Moritz, Engel, Graf Christian Bernstorff, Gentz, v. Brinckmann, Dohm, Leuchsenring, die beiden Schlegel, die Humboldts, auch politische und theologische Namen bildeten ihren Kreise der preußische Minister Graf Dohna-Schlobitten und Schleiermacher müssen hier besonders hervorgehoben werden, weil sie am meisten Einfluß auf Henriettens Leben ausgeübt haben.

Der Graf und Minister war der leidenschaftlichste Verehrer und der protestantische Theologe der treueste Freund der schönen Jüdin. Der Ehegatte derselben, Marcus Herz, verließ sich so sicher auf ihr starkes Pflichtgefühl und ihr reines Gemüth, daß er alle Huldigungen, die ihr dargebracht wurden, ruhig lächelnd gewähren ließ. Der heitere Kreis talentvoller und vornehmer junger Männer, der sich übrigens auch im Verein mit eben solchen Frauen in seinem Hause zusammen fand, gereichte ihm selbst zu großem Vergnügen. Es wurde vorgelesen philosophirt, gedichtet, gesungen und auch mitunter getanzt. Ja, in den Erinnerungsblättern von Henriette Herz findet sich auch die Erwähnung eines Abends, an welchem Alexander von Humboldt sie im Tanzen einer neuen Menuette unterrichtete! Sie hatte ihn dagegen im Hebräischen unterrichtet„ und er datirte seine Briefe in dieser Sprache von seinem einsamen Gute Tegel, das er „Schloß Langeweile“ nannte, weil er sich so lebhaft nach den geistreichen Kreisen des jüdischen Salons sehnte. Die beiden Humboldts waren übrigens damals kaum zwanzigjährige Jünglinge, ihre fast kindliche Zufriedenheit mit der höchst einfachen Geselligkeit der Berliner Schöngeister ist dadurch hinreichend erklärt.

Im Hause des Hofrath Herz ging es für damalige Zeit sehr elegant her, seine reiche Praxis gewährte ihm die Mittel dazu. Leider war er jedoch viel zu freigebig und vergaß, daß er ohne Vermögen das kostbare Leben in Berlin begonnen hatte. Als er unerwartet im besten Mannesalter starb, hinterließ er seine schöne Frau beinah mittellos; nur eine kleine Wittwenpension und einige kleine Capitalien besaß sie, um sich selbst, ihre alte Mutter und eine unverheirathete Schwester zu ernähren. So ward sie abermals im Schicksal der Recamier ähnlich, die auch den Wechsel von Reichthum und Armuth durchkosten mußte.

Um ihre geringe Einnahme zu vermehren, behielt sie den Pflegebefohlenen ihres verstorbenen Mannes, Ludwig Baruch, im Hause; derselbe wurde später als Ludwig Börne eine deutsche Celebrität. Damals war er noch ein verhülltes Geisteslicht und galt für einen egoistischen, eitlen, kleinen Faullenzer. Er hielt sich Studirens halber in Berlin auf, that aber nichts und blieb oft tagelang auf seinem Zimmer eingeschlossen. Zu Henriettens Schrecken enthüllte sich eines Tages sein seltsames Benehmen er versuchte einen Selbstmord durch Arsenik und entdeckte ihr vorher seine Liebe. Sie war über zwanzig Jahre älter als er und bemühte sich, ihn zur Vernunft zurückzubringen, aber er war unzugänglich dafür, beharrte bei seiner Leidenschaft und machte einen zweiten Mordversuch auf sich selbst. Die kluge Frau verhinderte auch diesen wie den ersten und ließ heimlich seinen Vater kommen, der ihn gewaltsam mitnahm und in einer befreundeten Familie in Halle unterbrachte. Ludwig Börne erkannte bald, wie richtig und würdig Henriette sich gegen ihn benommen hatte, und blieb ihr zeitlebens mit achtungsvoller Freundschaft ergeben.

Als Wittwe erhielt sie auch noch einen andern Beweis, wie mächtig und dauernd die Empfindungen der Bewunderung waren, die sie einzuflößen vermochte. Der Graf Dohna-Schlobitten machte ihr einen ehrenvollen Heirathsantrag, nachdem er während der Lebenszeit ihres Mannes seine Liebe für sie stets in den Schranken des Zartgefühls und der Wohlanständigkeit gehalten hatte. Sie lehnte jedoch seine Hand ab, weil sie damals sich noch nicht entschließen konnte, Christin zu werden; ihre alte strenggläubige Mutter würde dadurch unzweifelhaft den Todesstoß empfangen haben. Aus gleichem Grunde verzichtete sie auch auf die Aussicht, Erzieherin bei der Prinzessin Charlotte, nachherigen Kaiserin von Rußland, zu werden, eine glänzende Stelle, die ihr Freund Delbrück für sie erwirken wollte.

Um die Einschränkungen , die sie sich als Wittwe auferlegen mußte, zu erleichtern, wetteiferten ihre zahlreichen Bekannten mit Einladungen. Namentlich war die Herzogin Dorothea von Curland, diese wahrhafte Beschützerin der Intelligenz, eifrig bemüht, sie in ihr Haus zu ziehen. Sie mußte der jüngsten Tochter, der nachherigen berühmten schönen Herzogin von Sagan, Unterricht im Englischen geben und genoß dafür alle Annehmlichkeiten der feinsten und geistreichsten Geselligkeit, welche die hohe Dame in Berlin eingeführt hatte. Namentlich bestrebte sich dieselbe, den peinlich fühlbaren Unterschied der Stände zu verwischen in ihrem Salon, sie gab oft der Lehrerin ihrer Tochter einen vielbeneideten Ehrenplatz neben der allerdings eben so humanen wie interesanten Prinzessin Louise von Radziwil und lud Schauspieler, Schriftsteller, Künstler und Beamte mit bürgerlichen Namen zu der hoffähigen Gesellschaft.

Die abhängige und sorgenvolle Lage, in welche Henriette Herz als Wittwe versetzt wurde, gab auch ihrem langjährigen treuen Freunde Schleiermacher Veranlassung, ihr noch näher zu treten als bisher. Er half ihr bei einigen Uebersetzungen aus dem Englischen, die sie zur Vermehrung ihrer Einnahme unternommen hatte, und suchte sie auf jede Weise zu fördern. Sie lehrte ihm dagegen italienische und französische Conversation. Schleiermacher war schon im Jahr 1796 mit ihr und ihrem Mann innig befreundet; er wohnte damals an der Oranienburger Chaussee und war noch Prediger an der Charité. Das Herz'sche Ehepaar wohnte in der neuen Friedrichsstraße und sah des Abends mit Besorgniß den schwächlichen kleinen Mann den weiten Heimweg antreten.

Um ihn einigermaßen vor den Gefahren desselben zu schützen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_518.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)