Städtebau (1914)

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Autor: Reinhard Baumeister
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Titel: Die technischen Wissenschaften / Städtebau
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band, Zehntes Buch, S. 375–388
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[1519]
VI. Städtebau
Von R. Baumeister, Dr.-Ing. Dr. med. h. c. Geh. Rat, Professor a. D. in Karlsruhe


Aufgabe.

Die allgemeine Aufgabe des Städtebaues besteht darin, für eine Gesamtheit von Wohn- und Arbeitsstätten nebst zugehörigen öffentlichen Gebäuden die unserem Kulturstand entsprechenden Grundlagen zu schaffen, sowie die gemeinsamen Einrichtungen für den Verkehr, für körperliche und geistige Erholung, für Wasserversorgung und Entfernung der Abfallstoffe vorzusehen. Demnach hängt der Städtebau aufs engste mit der Wohnungsfrage zusammen; aus Straßen und Häusern, aus Grundriß und Aufriß will er die Gesamterscheinung einer Stadt gestalten. Hierbei sind nun mancherlei Rücksichten zu nehmen: technische, ästhetische, gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche. Der Städtebau ist somit ein aus mehreren Wissensgebieten emporwachsendes Gebilde, hier jedoch kurzweg unter die technischen Wissenschaften eingereiht.

Um den Städtebau während der letzten 25 Jahre darzustellen, muß auch die unmittelbar vorhergehende Zeit mit in Betracht kommen, in welcher das gewaltige Wachstum der deutschen Städte einsetzte. Ihre Bevölkerung hat seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis heute um 30 Millionen zugenommen. Den unerwartet großen Bedürfnissen nach neuen Häusern, Straßen und Stadtteilen waren aber die bisherigen Erfahrungen nicht gewachsen; zudem herrschte in der Volkswirtschaft noch die Ansicht, daß mit dem [1520] freien Spiel der Kräfte das Beste erreicht werde. Der Städtebau blieb daher hauptsächlich der privaten Unternehmung überlassen, deren Ziel nicht sowohl die Fürsorge für die künftigen Bewohner als der größtmögliche eigene Gewinn bildet. Indessen wurden im Laufe der Zeit die begangenen Fehler und die richtigen Grundsätze immer klarer erkannt, und mit dem allgemeinen volkswirtschaftlichen Umschwung wuchs auch im Städtebau die Überzeugung, daß es Recht und Pflicht der öffentlichen Gewalt sei, private Interessen zugunsten des Gemeinwohls einzuschränken.

Grundlegende Vorgänge.

Für den Städtebau als Wissenschaft können als Beginn zwei Vorgänge gelten, welche kurz vor unsere Berichtsperiode fallen. Der eine bestand in den Verhandlungen des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieurvereine auf der Versammlung 1874 in Berlin. Die damals großenteils einmütig beschlossenen „Grundzüge für Stadterweiterungen“ besitzen noch heute ihre Bedeutung und sind auch teilweise in gesetzlichen Anordnungen befolgt worden.

Der zweite Vorgang aus jener Zeit war das 1876 erschienene Buch Baumeisters „Stadterweiterungen“. Der Verfasser hat sich bestrebt, den neuzeitlichen Städtebau nach allen vorhin genannten Aufgaben und Richtungen systematisch zu entwickeln. Somit kann dieses Buch füglich als die Grundlage des wissenschaftlichen Städtebaues angesehen werden, wobei übrigens auch das künstlerische Element voll anerkannt und in verschiedenen Beziehungen eingehend erörtert worden ist. Etwas später wurde der Städtebau zuerst als Lehrgegenstand an einer technischen Hochschule eingeführt: Karlsruhe 1887.

Von den folgenden literarischen Erscheinungen ist vor allem Camillos Sittes Werk „Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen“ 1889 zu nennen, 3. Aufl. 1901. An bestehenden Platz- und Stadtanlagen, namentlich aus älterer Zeit, hat Sitte die Ursachen ihrer architektonischen Schönheit in sehr anziehender Weise aufgedeckt und daraus Regeln für neue Entwürfe abgeleitet. Indem das Beweismaterial in weiten Kreisen bekannt und verständlich war, konnte es dem Buch einen bedeutenden Einfluß auf die Entwicklung des Städtebaues verschaffen. Freilich trat damit unter den Nachfolgern Sittes die Gefahr ein, die künstlerische Auffassung als die allein maßgebende anzusehen, unter Geringschätzung von Verkehr, Hygiene usw., und die früheren Leistungen im Städtebau zu vergessen.

Kurz nachher erschien „Der Städtebau“ von Stübben, in 2. Auflage 1907, als ein Teil des Handbuchs der Architektur. In diesem vortrefflichen Buch mit zahlreichen Abbildungen findet sich ein reichhaltiges Material und maßvolles Urteil zum Entwerfen von Stadtplänen. Weniger eingehend sind die Maßregeln zur Ausführung eines Stadtplanes behandelt, die Aufgaben von Staat und Gemeinden in rechtlicher und in wirtschaftlicher Beziehung, in welchen doch der Städtebau fast noch mehr Schwierigkeiten bietet und Meinungsverschiedenheiten hervorruft als bei dem Entwerfen. Diese Seiten wurden jedoch durch Stübben bei anderen Gelegenheiten wiederholt und erfolgreich beleuchtet.

Außer den genannten drei grundlegenden Werken hat natürlich das anhaltende starke Wachstum der deutschen Städte noch viele weitere Forschungen hervorgerufen. Zahlreiche [1521] Männer der Wissenschaft, der Kunst, der Verwaltung haben sich mit dem Städtebau beschäftigt, die früheren Grundsätze weiter ausgebildet und Anregungen aus einzelnen Städten gegeben. Ferner wurde durch Sammelwerke, Kongresse und Wettbewerbe die Bedeutung des Städtebaues als einer technischen Wissenschaft eindringlich dargetan. Insbesondere sei der Versammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieurvereine 1906 zu Mannheim gedacht, für deren Beratungen einer der Berichterstatter des Jahres 1874, Baumeister, wiederum „Grundsätze des Städtebaues“ aufgestellt hatte. Ebenso umfassend wie Schrift und Wort haben die Ausstellungen von Zeichnungen und Modellen gewirkt, welche seit einigen Jahren in großem Umfang gebräuchlich geworden sind: Berlin, Dresden, Düsseldorf, Leipzig.

Die weitere Darstellung der Entwicklung des Städtebaues soll nunmehr nach seinen einzelnen Aufgaben getrennt erfolgen.

Bebauungsplan.

Nach heutiger Anschauung soll ein Bebauungsplan nicht nur dem „Bedürfnis der näheren Zukunft“ entsprechen, wie früher vorgeschrieben wurde, sondern auf große Entfernungen die Grundzüge für Verkehrsmittel aller Art nebst Entwässerung enthalten, genügende Freiflächen und Baustellen für öffentliche Gebäude, nach Umständen auch vorhandene oder beabsichtigte Vororte einschließen. Nur so läßt sich der organische Zusammenhang sichern und Mängeln vorbeugen, deren spätere Verbesserung recht kostspielig ausfallen könnte. Auch in ästhetischer Hinsicht ist eine Stadt möglichst als einheitliches Kunstwerk aufzufassen. Die Feststellung der Einzelheiten folgt in Spezialplänen nach Bedarf, um künftigen Bedürfnissen nicht vorzugreifen und um die Baulust tunlichst zu regeln. Von diesem Standpunkte war z. B. 1908 der Wettbewerb für Großberlin ausgeschrieben, werden jetzt Generalpläne für Köln, Düsseldorf, Leipzig veranstaltet und ist auch in kleineren Orten das Vorgehen zu empfehlen.

Ein weiterer Grundsatz besteht darin, von vornherein gewisse Straßen oder Bezirke vorzugsweise für Wohnhäuser, Geschäftshäuser, ländliche Wohnungen, auch Kleinwohnungen, für Industrie und Handel zu bestimmen. Um diese soziale Gruppierung herbeizuführen, dienen geeignete Lage, zweckmäßige Verkehrsmittel, passende Blockgrößen. Als eigentliche Zwangsmittel kommen baupolizeiliche und gewerbliche Vorschriften in Betracht, durch welche insonderheit in Wohnbezirken nicht bloß eigentliche Schädigungen, sondern schon Belästigungen durch Rauch, Handwerkslärm, Läden und Wirtschaften ferngehalten werden können.

Was die Anordnung des Straßennetzes betrifft, so war vor unserer Berichtsperiode das Rechtecksystem für Stadterweiterungen, selbst bei großem Umfang und auf hügeligem Gelände, fast allgemein üblich. Es ist aber teils aus ästhetischen, teils aus praktischen Gründen (Verlängerung aller Wege) zu verurteilen, außer für kleinere und langgestreckte Aufgaben. Statt dessen gilt jetzt vor allem der Grundsatz, Hauptstraßen und Nebenstraßen klar zu unterscheiden. Von den ersteren kommen gewöhnlich radiale Straßen in die Umgebung in Betracht, sodann Ringstraßen, um den Verkehr zwischen Außenbezirken aufzunehmen und den Stadtkern nicht zu überlasten, endlich Diagonalstraßen zwischen [1522] wichtigen Knotenpunkten. Bei der Unterteilung mittels Nebenstraßen sind rechtwinklige Ecken und geeignete Blocktiefen zu erstreben, in Wohnbezirken tunlichst so, daß Hintergebäude und lange Flügelbauten wegfallen. Um große Blöcke zu verwerten, werden eindringende Sackgassen, Wohnhöfe, gemeinschaftliche oder öffentliche Binnenräume angeordnet. Zu großer Annehmlichkeit können abkürzende Fußwege dienen, namentlich auf stark geneigtem Gelände, unter Umständen mit Treppenanlagen oder Aufzügen, sowie Wirtschaftswege an der Rückseite einer Reihe von Grundstücken.

Von sonstigen Punkten, welche der Städtebau während der letzten Jahrzehnte gereift hat, seien noch folgende angeführt, bei welchen gewisse Meinungsverschiedenheiten zu überwinden sind. Ob eine Straße gerade oder gekrümmt anzulegen sei, wird jetzt „nach Umständen“ beurteilt: gekrümmte Straßen gewähren Übersichtlichkeit ihrer konkaven Seite, das Anschmiegen an hügeliges Gelände, einen ländlichen Eindruck; gerade Straßen können sich auszeichnen durch Stattlichkeit, den Ausblick auf Bauten oder Berge, eine bequeme Einteilung der Grundstücke. An freien Plätzen sind nach Sitte die Wände tunlichst geschlossen zu halten, aber auch das Offenhalten bedeutsamer Seh- oder Verkehrslinien erscheint nicht unberechtigt. Oft wurde mit Recht die malerische Erscheinung mittelalterlicher Städte, der Reiz ihrer intimen Gassen und Winkel gepriesen, aber so gut auch viele Einzelheiten aus jenen Gebilden verwendbar bleiben, so fordern doch die Bedürfnisse raschen Verkehrs und kräftiger Luftbewegung stetige Straßenrichtungen und unsere ästhetischen Anschauungen überhaupt Klarheit des Plans statt gesuchter Unregelmäßigkeit. Die Rücksicht auf vorhandene Wege, Eigentumsgrenzen oder Uferlinien ist wünschenswert, aber nicht mehr so wichtig wie früher, well das Verfahren der Umlegung leicht eine andere und eventuell zweckmäßigere Aufteilung des Geländes ermöglicht. Gebührende Beachtung fordert ferner die Denkmalpflege bei der Führung von Straßenlinien, besonders bei Durchbrüchen und Umleitungen im Innern, ebenso der Heimatschutz bei landschaftlichen Anordnungen in der Umgebung einer Stadt. Indessen müssen doch auch anderweitige Interessen erwogen werden, und es darf füglich eine alte Baracke einer neuen zweckmäßigen Straße zum Opfer fallen.

Erfreulich zugenommen hat das Streben, in einem Bebauungsplan Grünflächen zu erhalten und zu schaffen. Öffentliche Grünflächen verschiedener Größe und Art nehmen von der Gemarkung deutscher Städte jetzt zwischen 10 und 33% ein. Bei neuen Entwürfen ist möglichst auf Dezentralisation zu sehen, deshalb längere durchziehende Promenadenstreifen, bezirksweise verteilte Spielplätze und Erholungsstätten, Wald- und Wiesengürtel um große Städte. Auch gehört hierher die Verwertung eingehender Friedhöfe, die landschaftliche Anlage neuer Friedhöfe, die Einbeziehung von Wasserläufen und Wasserflächen. Von alledem sind viele schöne Beispiele vorgekommen.

Verkehrsmittel.

Das städtische Straßenwesen ist zu einer technischen Wissenschaft geworden. Zuerst soll die Breite jeder Straße, sowie ihre Querteilung in ein- oder mehrteilige Fahrwege, Fußwege, Grünstreifen, entsprechend der Bedeutung des Verkehrs gewählt werden. Im allgemeinen gibt man Haupt- und Geschäftsstraßen, in welchen der Verkehr künftig noch zunehmen kann, eine ansehnliche [1523] Breite, deren Aufwand durch höheren Ertragswert der Häuser gedeckt wird, Neben- und Wohnstraßen dagegen werden schmal angelegt, um Kosten und Staub zu vermindern. Behufs der erforderlichen Belichtung können Vorgärten, sei es im privaten oder öffentlichen Besitz, hinzugefügt und eventuell bei zunehmendem Verkehr zur Straßenfläche einbezogen werden.

Hinsichtlich der Befestigung von Straßen gilt jetzt der Grundsatz, unter den so mannigfaltigen Befestigungsarten und Materialien die zweckmäßigsten darnach zu bestimmen, daß die Summe der Bauzinsen und der Unterhaltungskosten möglichst klein wird. Dabei müssen als Unterhaltungsaufwand nicht bloß die alljährlichen kleinen Flickereien, sondern auch die periodisch wiederkehrenden Umbauten in Rechnung treten, beides abhängig von der Verkehrsmenge. Diese Berechnung kann verwickelt und vielleicht nicht ganz sicher ausfallen, aber für das städtische Budget von großer Wichtigkeit werden. Es ist daraus in manchen Städten ein weitausschauender Plan entstanden, nach welchem alle Straßen im Lauf der Zeit auf die individuell zweckmäßigste Befestigungsart gebracht werden.

Außer dem wirtschaftlichen Vergleich können die Befestigungsarten klassifiziert werden hinsichtlich des Aufwandes an Zugkraft, der Sicherheit der Zugtiere, des Zeitaufwandes für Reparaturen u. dgl. Ferner gibt es noch Rangfolgen für Gesundheit und Annehmlichkeit, nämlich in Betreff von Geräusch, Staub, Nässe und Abtrocknung. Dabei spielt insonderheit das neuerdings viel eingeführte Teeren der Straßen eine wichtige Rolle. Alle diese Rücksichten zusammenzufassen, ist um so schwieriger, als manche sich nicht in bestimmten Zahlen ausdrücken, sondern nur nach Gefühl abschätzen lassen. Indessen wurde bereits eine wissenschaftliche Untersuchung versucht und bildet jedenfalls das Ziel.

Wachsende Aufmerksamkeit wird aus Sicherheitsgründen der Absonderung gewisser, namentlich schnellfahrender Verkehrsmittel gewidmet. Dahin gehören Streifen für Reiter, für Fahrräder, für Automobile, für die Straßenbahngleise auf Linien von starker Frequenz. Mit dem Wachstum der Städte wuchs auch das Bedürfnis nach Verkehrsmitteln, welche in regelmäßiger Zeitfolge auf bestimmten Linien befördern, billiger als es durch Privatfuhrwerk geschehen kann. So entstanden die Omnibusse, welche noch jetzt auf glatten Asphaltstraßen vielfach beibehalten sind, indem sie keine Anlagekosten erfordern. Dagegen wurden sie auf rauher Straßenbefestigung bald durch Wagen auf Gleisen ersetzt. Die gewaltige Zunahme von Straßenbahnen zeigt sich in der Gesamtlänge, welche in den deutschen Städten einschließlich ihrer Vororte vor 25 Jahren rund 500 Kilometer betrug, jetzt aber auf über 4600 gewachsen ist, vorwiegend zweigleisig gebaut. Ferner in der Anzahl der Fahrten pro Jahr und pro Kopf der Bevölkerung, welche damals ein Maximum von ca. 80 erreichte, im Jahre 1905 schon 150–160 betrug (Hamburg, Köln, Frankfurt, Leipzig, Dresden). In dem Entwurf eines Bebauungsplanes ist daher vorzusehen, daß die Hauptstraßen sich nach Lage und Breite zu einem künftigen Bahnnetz eignen. Für die Konstruktion der Gleise scheint nach vielerlei Versuchen und Erfahrungen jetzt ein normaler Typus gewonnen zu sein. Als Betriebskraft dienten anfänglich Pferde, später teilweise Lokomotiven und Dampfomnibus, jetzt fast ausschließlich elektrische Leitungen.

Aber auch die Straßenbahnen genügen nicht mehr überall, denn mit Zunahme des Verkehrs folgen sich die Wagen auf gewissen Strecken, welche von mehreren Linien zugleich [1524] befahren werden, schon in so kurzen Intervallen (20–30 Sek.), daß leicht Hemmungen entstehen. Auch reicht die Fahrgeschwindigkeit auf Straßenbahnen schließlich nicht mehr aus, um in einer sich erweiternden Stadt die Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsort in einer angemessenen Zeit zurückzulegen. Es wäre dann ein rascheres Verkehrsmittel einzuführen, nämlich Schnellbahnen auf selbständigem Planum. Dies ist nunmehr in den zwei größten deutschen Städten, Berlin und Hamburg-Altona, geschehen mittels diametraler und Ringlinien.

Von großer Bedeutung für einen Bebauungsplan sind natürlich die schon bestehenden Eisenbahnen und dabei die in jüngster Zeit oft vorgekommenen Fragen über die Erweiterung, Hochlegung oder Verlegung von Personenbahnhöfen. Es wäre zu wünschen, daß derartige Aufgaben nicht einseitig zum Vorteil des Eisenbahnbetriebes entschieden werden, sondern daß die städtischen Interessen ausgiebig mit zur Geltung kommen. Letztere fordern aus örtlichen Gründen trotz etwaiger Schwierigkeiten die tunlichste Erhaltung eines Bahnhofs im Innern der Stadt (Köln, Hannover), gestatten vielleicht ein gewisses Vorschieben (Frankfurt, Stuttgart), aber nicht eine Verlegung weit hinaus vor das Baugebiet (Karlsruhe, Darmstadt); unter Umständen kann die Verteilung des Verkehrs auf mehrere Einzelbahnhöfe zweckmäßig sein (Berlin, Hamburg-Altona).

Außerdem ist der Güterverkehr zu beachten. Gewöhnlich reicht ja ein Güterbahnhof außerhalb der Stadt aus, aber öfter wäre auch eine Dezentralisation erwünscht, teils um verschiedene Stadtteile mittels Lokalgüterstationen zu bedienen, teils um Hafenanlagen und Fabrikbezirke anzuschließen. Es kommt dann entweder zu einzelnen Fabrikgleisen oder zu ausgedehnten Gleisgruppen, wie in den meisten Hafenstädten, oder selbst zu einem eigenen Güterbahnnetz (Mülhausen).

Bei selbständigen Eisenbahnen ist jetzt als Hauptgrundsatz der Linienführung durchgedrungen, daß Straßen in Städten und in deren Erweiterungsgebiet nicht in Schienenhöhe gekreuzt werden dürfen. Die Bahnen müssen daher in der Regel über oder unter dem Gelände liegen. Hieraus haben sich vielfach schwierige und kostspielige Konstruktionen ergeben, namentlich soweit Bahn und Straße ein und derselben Linie folgen. Es gibt dann entweder Unterpflasterbahnen oder Hochbahnen über der Straße, bei welchen namentlich das Lichtbedürfnis der Häuser und das gute Aussehen zu beachten ist. So sind zweistöckige Anlagen entstanden und haben zu interessanten bautechnischen Fortschritten Gelegenheit gegeben (Stadtbahnstrecken in Berlin und Hamburg). Schließlich kommt man auf Schwebebahnen (Elberfeld-Barmen). An dieser Stelle ist auch der Elbtunnel in Hamburg anzuführen, eines der eigenartigsten Bauwerke für städtischen Straßenverkehr und ein Zeugnis für die Leistungsfähigkeit der technischen Wissenschaften. Die Bauzeit währte von 1907 bis 1911. Vorläufer dazu war der Spreetunnel in Treptow bei Berlin für die städtische Hoch- und Untergrundbahn, eröffnet 1899, später folgend der Spreetunnel bei der Inselbrücke für die Straßenbahn 1913.

Bauordnung.

Zu jedem Bebauungsplan gehört eine Bauordnung, um ein vollständiges Bild der Zukunft zu erhalten. Hierin kommt als wichtigster Punkt die Bau- und Wohndichtigkeit in Betracht. Welche Folgen aus dem [1525] Zusammendrängen der Menschen neben- und übereinander auf die Sterblichkeit im allgemeinen, auf bestimmte einzelne Krankheiten, auf die Schulunfähigkeit, Militäruntauglichkeit usw. entstehen, ist in letzter Zeit immer genauer, teils statistisch, teils medizinisch nachgewiesen worden. Die baupolizeilichen Vorschriften über Baudichtigkeit bestehen nun aus vier Gruppen von Regeln, nämlich: die Flächenregel über den zur Bebauung gestatteten Bruchteil eines Grundstücks, die Höhenregel über die Größthöhe von Häusern und über die zulässige Anzahl der Geschosse, die Abstandsregel über das Verhältnis von Höhe zu Abstand zwischen zwei einander gegenüberstehenden Gebäuden, endlich die Raumregel, betreffend die Mindestabmessungen von Zimmerhöhe, Zimmergrundriß, Fensterfläche, eine dem Familienstand entsprechende Mindestzahl der Räume, die zulässige Anzahl der Wohnungen pro Haus, die Möglichkeit der Durchlüftung. Zu diesen Regeln hat man noch mehrere Varianten ersonnen, so über das zulässige Kubikmaß aller Bauten auf einem Grundstück, über die Mindestgröße eines in den Hofraum einzuschreibenden Kreises, über die zu belichtende Bodenfläche von Zimmern, über rückwärtige Baulinien. Sodann müssen noch Bestimmungen über Feuersicherheit, konstruktive Festigkeit, Nachbarverhältnisse, hinsichtlich der Lage zur Straße u. a. hinzutreten, um eine vollständige Bauordnung zusammenzusetzen. Auch ist das sog. wilde Bauen durch Vorschriften über provisorische Zugänglichkeit und Entwässerung zu regeln.

Das ganze, außerordentlich umfangreiche und verschiedenartige Material aus ganz Deutschland wurde auf Veranlassung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieurvereine durch den Verfasser gesammelt, kritisch beleuchtet und als Normale Bauordnung 1880 herausgegeben. In der Tat erschienen bei dieser Bearbeitung die vielerlei Verschiedenheiten unter den in Deutschland bestehenden Bauordnungen wissenschaftlich unberechtigt, vielmehr einheitliche Hauptgrundsätze durchaus zulässig, vorbehaltlich von Abweichungen in gewissen Punkten aus örtlichen Gründen, wie Klima, Sitte, Baumaterial. Jenes Buch sollte somit bei der Verbesserung von örtlichen, von Bezirks- und Landesbauordnungen dienen, welche erfreulicherweise neuerdings vielfach vorgenommen ist. Mustergültig sind besonders die neuen Landesbauordnungen von Sachsen und Baden ausgefallen, weniger befriedigend diejenigen von Bayern und Württemberg, am dürftigsten der diesjährige preußische Gesetzentwurf, in welchem das meiste den Gemeinden überlassen bleibt. Namentlich wurde aber schon bei jener Arbeit an eine Reichsbauordnung gedacht. Die Vorteile einer solchen leuchten ein: es ließen sich die Einwirkungen der Trägheit, der Unwissenheit, der Privatinteressen von vornherein zurückweisen, welche jetzt in jedem Lande, an jedem Ort einzeln mit Mühe bekämpft werden müssen; Schwierigkeiten liegen nicht auf technischem, sondern auf politischem Gebiet. Denn eine Reichsbauordnung würde einen wichtigen Bestandteil der im vorigen Jahr beschlossenen Reichswohnungsreform bilden, welcher sich jedoch bekanntlich alsbald Bedenken wegen Kompetenz der Landesgesetzgebungen entgegengestellt haben. Hoffentlich wird der erfreuliche Aufschwung zu einheitlichem Vorgehen nicht durch Sonderströmungen ohne sachliche Gründe eingeschränkt, sondern ganze Arbeit machen, wie sie ja in anderen Ländern längst besteht.

Bedeutsame wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Bauordnungen wurden [1526] ferner nach der üblichen Methode von Referaten, Leitsätzen und Verhandlungen in dem deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege hervorgerufen. Davon sind besonders folgende Gegenstände fruchtbar geworden und mögen sowohl die Wichtigkeit als die Vielseitigkeit des Gegenstandes bekunden:

1889. Referenten Miquel und Baumeister: „Reichsgesetzliche Vorschriften zum Schutze des gesunden Wohnens“, in 4 Abschnitten: Straßen und Bauplätze, Neuherstellung von Gebäuden, Neuherstellung der zu längerem Aufenthalt von Menschen dienenden Räume, Benutzung von dergleichen Räumen. Dabei wurde es abermals für möglich und zweckmäßig gehalten, im ganzen Reich gleichlautende Mindestanforderungen bei Neu- und Umbauten aufzustellen, weiterzugehen solle den örtlichen und Landesbehörden freistehen. Wo ganze Häusergruppen oder Ortsbezirke für unbenutzbar erklärt werden müssen, wäre der Gemeinde die Zwangsenteignung aller in dem betreffenden Bezirk befindlichen Grundstücke zu übertragen.

1893. Referenten Adickes und Baumeister: „Die unterschiedliche Behandlung der Bauordnungen für das Innere, die Außenbezirke und die Umgebung von Städten“. Es bestehen bekanntlich starke Einflüsse einer Bauordnung auf die Bodenpreise und auf die Bauherstellungskosten, aus beiden Ursachen zugleich demnach auf die Mieten. Angesichts der großen Unterschiede in den schon vorhandenen Wertverhältnissen und in dem künftigen sozialen Charakter verschiedener Stadteile ist es untunlich, eine ganze Stadt samt ihrer Umgebung in dieselbe baupolizeiliche Schablone zu zwängen, wie es bis dahin mit geringfügigen Ausnahmen gewöhnlich geschehen war. Die Übertragung der den altstädtischen Verhältnissen angepaßten Bauordnung auf das ganze Stadterweiterungsgelände hat dort das Wohnen zugleich verschlechtert und verteuert. Es ist deshalb grundsätzlich eine Abstufung durchzuführen. Gegenwärtig gibt es denn auch, mit infolge jener Verhandlung, wohl keine bedeutende deutsche Stadt mehr ohne Bauklasseneinteilung. Die Zahl der Klassen (Staffeln, Zonen) wechselt je nach der Größe der Stadt und nach der Sorgfalt der Behandlung zwischen 2 und 16. Im allgemeinen muß darnach in den äußeren Stadtteilen weniger eng und weniger hoch gebaut werden als im Innern; ferner können zweckmäßig Unterschiede angeordnet werden zwischen Hauptstraßen und Nebenstraßen, zwischen Geschäftsbezirken und Wohnbezirken, zwischen dem Außenrand und dem Innennetz eines großen Blocks usw.

1895. Referenten Stubben und Küchler: „Herbeiführung eines gesundheitlich zweckmäßigen Ausbaus der Städte“. Zu diesem Zweck wurden gefordert: Reinheit des Untergrundes und der Wasserläufe, geeignete Straßenbreiten und Baublöcke für die verschiedenen Häusergattungen, Schutz gegen nachteilige Gewerbebetriebe, amtliche Maßregeln zur Umlegung unbebauten Geländes in baugerechte Formen, um den geordneten, zusammenhängenden Ausbau der Stadt erforderlichenfalls zwangsweise durchzuführen. Ferner wurde eine Ausdehnung des Enteignungsrechtes der Gemeinde empfohlen, nicht bloß für Straßen und Plätze mit allem Zubehör, sondern auch für solche Grundstücke und Gruppen in älteren Stadtteilen, welche aus gesundheitlichen oder Verkehrsgründen umzugestalten sind (Zonenenteignung).

1903. Referenten Rumpelt und Stübben: „Die Bauordnung im Dienste der öffentlichen [1527] Gesundheitspflege“. In dieser Verhandlung wurde namentlich der Grundsatz der Abstufung, welcher im allgemeinen schon 1893 aufgestellt war, näher ausgeführt. Es seien Bestimmungen festzusetzen, und zwar nach Ortsteilen veränderlich, über das Verhältnis zwischen Gebäudehöhe und Gebäudeabständen, über die Gewinnung ausreichender und möglichst zusammenhängender Freiflächen im Blockinnern, über die Fernhaltung schädlicher und belästigender Gewerbebetriebe von den Wohnstätten, über die Anwendung der geschlossenen, halboffenen oder offenen Bauweise, über die Höchstzahl der Wohngeschosse und diejenige der Wohnungen in den einzelnen Geschossen. Sodann wurde eine Abstufung nach Gebäudegattungen – große Miethäuser, kleine Miethäuser, Einfamilienhäuser – behandelt, und die Begünstigung der beiden letzteren Gattungen empfohlen, ferner die Abstufung nach Raumgattungen zum dauernden oder zum vorübergehenden Aufenthalt, das Minimum der Räumlichkeit von Familienwohnungen, die Fürsorge für Dach- und Kellerräume erörtert.

Reinigung und Entwässerung.

Auf das Gebiet der Reinigung und Entwässerung wurde in der Berichtsperiode erheblich wissenschaftlich gefördert, dank den umfassenden Erfahrungen aus der Praxis, aber auch auf Grund von Fortschritten in der Hydraulik, Chemie und Bakteriologie. Zum Beleg seien angeführt: neue Methoden zur Abfuhr und Beseitigung des Kehrichts (Verbrennen des Mülls), Untersuchungen über den landwirtschaftlichen Wert oder Unwert der Fäkalien im Vergleich zu künstlichem Dünger, Forschungen über Menge und Ablauf des Kanalwassers, über die zweckmäßigsten Querschnittsformen und Spüleinrichtungen der Kanäle, wirtschaftliche Berechnungen über Rückhaltebecken, Trennsystem und provisorische Kanalisation. Eifrig ist das Ziel der Reinheit von Luft, Wasser und Boden im Bereich menschlicher Ansiedelungen verfolgt worden. Mancherlei neue Erfindungen zur Reinigung von Kanalwasser sind aufgekommen oder vervollständigt worden, so Rechenkonstruktionen mit festem Stand oder mit stetiger Bewegung, Klärbecken und Klärtürme, das Faulverfahren in den Emscher Brunnen, die biologische Reinigung in Füllkörpern oder Tropfkörpern, Rieselfelder und Fischteiche. Namentlich sind die beiden letztgenannten Methoden sorgfältig ausgebildet und dürften in Zukunft nicht bloß die Beseitigung, sondern auch die Verwertung der Abfälle bewerkstelligen: das Ideal für den Hygieniker und für den Volkswirt.

Außer dem naturwissenschaftlichen Gesichtspunkt hat sich aber auch der wirtschaftliche mehr und mehr Geltung verschafft, so daß gegenwärtig von seiten der Aufsichtsbehörden in der Regel nicht mehr als nötig verlangt wird, um die öffentlichen Gewässer trotz der Einleitung städtischen Kanalwassers in erträglichem Zustand zu erhalten. Absolute Reinheit ist als unerreichbar erkannt. Wo immer möglich, wird eine mechanische Reinigung bis zu einer Korngröße von 2–3 mm oder von 20–30% der Schwebestoffe als ausreichend angesehen und die kostspielige biologische Reinigung nur bei einem besonders schlechten Verhältnis zwischen Schmutzwasser und Flußwasser verlangt, sowie für eine etwaige Verschlimmerung der Umstände in Zukunft vorbehalten. Deshalb können auch kleinere Orte sich jetzt eher der hygienischen Wohltat einer Kanalisation erfreuen. [1528] Gegenwärtig dürfte es in Deutschland wenige Orte geben, welche derartige Einrichtungen nicht wenigstens notdürftig begonnen haben. Im Jahre 1911 haben 388 Städte nicht mehr unmittelbar in Flüsse entwässert, sondern zuvor gereinigt.

Die hygienische Bedeutung der Städtereinigung und Entwässerung und die große Zahl gelöster Aufgaben in den letzten Jahrzehnten ersieht man in dem Sammelwerk von Salomon: „Städtische Abwasserbeseitigung in Deutschland“, 1907 und seither fortgeführt. Als Dokumente der umfassenden technisch-wissenschaftlichen Arbeit sind hervorzuheben: Büsing, „Die Städtereinigung“, 1897–1901. Frühling, „Die Entwässerung der Städte“ im Handbuch der Ingenieurwissenschaften, 4. Aufl. 1910.

Die Kanalisation eines Geländes bildet in der Regel eine Grundbedingung für dessen Bebauungsfähigkeit. Nur bei weiträumiger Bebauung mit reichlicher Acker- oder Gartenfläche läßt sich etwa das Brauchwasser durch unmittelbare landwirtschaftliche Verwendung beseitigen. Ferner wird durch die technischen Anforderungen an ein Kanalnetz die Anordnung des Straßennetzes wesentlich beeinflußt. Für flachliegende Baugebiete ist die Bestimmung der allgemeinen Höhenlage der künftigen Straßen besonders wichtig, denn von ihr sind einerseits die Kosten der Entwässerung, andererseits die Kosten der Aufhöhung von Straßen und Grundstücken abhängig. Gewisse Gebiete können überhaupt erst mit den heutigen Hilfsmitteln der Kanalisation, wie Ausgleichbehälter, Pumpen, Transportkanäle entwässert werden. Insbesondere zeigt sich dies, wo eine Stadt unerwartet auf eine entlegene Gegend hinauswachsen möchte und das bestehende Kanalnetz sich nicht mehr einfach verlängern läßt. Nicht selten sieht man jedoch Bebauungspläne, in welchen durch „schöne“, aber ungeschickte Linienführung oder verkehrte Höhenlage der Kanalisation große Schwierigkeiten oder Kosten erwachsen. Es sind deshalb Straßennetz und Kanalnetz gemeinsam zu bearbeiten, um vollständig zu befriedigen.

Wohnungswesen.

Seit langem und besonders in den letzten Jahrzehnten wird viel Mühe darauf verwendet, die Tatsachen und Ursachen der vielbeklagten Übelstände im Wohnungswesen zu untersuchen und Gegenmaßregeln vorzuschlagen. Wohnungsmißstände geben sich nach vier Richtungen kund: in quantitativer Beziehung, insofern die Herstellung von Wohnungen dem Bedarf nicht regelmäßig folgt, in finanzieller durch die allgemeine Steigerung der Wohnungsausgaben einer Familie (Mieten), welche von den Einnahmen (Löhne) bis zu ⅓ verschlingen, ferner in gesundheitlicher Hinsicht vermöge der schon oben besprochenen Wohndichtigkeit, endlich auf sittlichem Gebiet durch Familienzerfall und Heimatentfremdung, durch Alkoholismus und Verbrechertum, kurz in der Gewöhnung an ein äußerlich und innerlich menschenunwürdiges Dasein. Zahllose Belege zu alledem begründen leider noch vielfach das Motto: Teuer und schlecht, aber auch das gesteigerte Bestreben zur Verbesserung der Wohnungszustände, als der wichtigsten äußeren Grundlage aller sozialen und sittlichen Reformen.

Der Aufwand für eine Wohnung entsteht aus Bauplatz und Baukosten (im engeren Sinn). Auf beide Teile ist die Baudichtigkeit, vor allem die Geschoßzahl des Hauses, von Einfluß. Erhält ein Haus mehr Geschosse, so nehmen die Mauerdicken, Baugerüste, [1529] Arbeitsmengen u. a. zu, aber es vermindern sich die auf sämtliche Geschosse zu verteilenden Aufwände von Dach, Keller und Straße, daher die Baukosten im ganzen per qm Nutzraum abnehmen. Was den Bauplatz betrifft, so ist der Aufwand dafür das Produkt aus Fläche und Einheitspreis. Auf beide Faktoren wirkt der Grad der Baudichtigkeit ein, aber in entgegengesetztem Sinn. Durch enge Höfe und zahlreiche Geschosse kann an Fläche gespart werden, aber der Einheitspreis stellt sich um so höher, denn derselbe hängt ab, außer von der allgemeinen Bedeutung der Stadt und der Lage des Grundstücks, von der geschäftsmäßigen Ertragsfähigkeit durch möglichst viele Räume, also von dem baupolizeilich zulässigen Höchstgrad der Baudichtigkeit.

Wie nun die beiden Teile, Baukosten und Bauplatz, unter verschiedenen Voraussetzungen hinsichtlich Geschoßzahl und Bodenpreis zusammenwirken, und welcher Wohnungsaufwand oder Mietwert daraus entsteht, darüber sind in jüngster Zeit mehrere Untersuchungen gepflogen. Aus diesem Material lassen sich dann sicherer, als es bislang oft nur nach dem Gefühl oder gar mit tendenziöser Färbung geschehen, Urteile in der Wohnungsfrage gewinnen, von welchen die wichtigeren nunmehr angeführt werden mögen.

Das in erster Linie stehende Einfamilienhaus, „mein Haus, meine Burg“, ist nur bei niedrigen Bodenpreisen erreichbar. Deshalb bleibt auch das sogenannte Bürgerhaus mit 2–4, höchstens 6 Wohnungen Bedürfnis. Vom 3stöckigen Hause zum 4- und 5stöckigen nehmen die Wohnungskosten bei niedrigen und mittleren Bodenwerten nur wenig ab. Diese Verbilligung dürfte unwichtig sein gegenüber den gesundheitlichen und sittlichen Vorzügen eines niedrigeren und weniger bevölkerten Hauses. Deshalb erscheint es zulässig, in äußeren Stadtteilen und in mittleren Orten die Höchstzahl der Geschosse auf 2 oder 3 anzusetzen und Mietkasernen auszuschließen. Wo der Bodenpreis aber schon auf etwa 30 M. und darüber steht und zu starker Ausnutzung zwingt, muß man allerdings höher aufsteigende Sammelwohnstätten zulassen und nur Übertreibungen und Schädlichkeiten durch Einschränkung der Zahl der Wohnungen pro Haus und durch Vorschriften für das Innere möglichst fernhalten.

Sehr rasch wachsen die Wohnungskosten mit den Bodenpreisen. Die Wohnungsfrage ist hauptsächlich eine Bodenfrage. Sie ist dies um so mehr, als die Bodenpreise im Umkreis einer Stadt nicht bloß der natürlichen Ertragszunahme von Ackerland zu Bauland folgen, sondern gewöhnlich den Gegenstand des Handels und der Spekulation bilden. Nun bringt ja dies Bodengeschäft Nutzen für die Stadterweiterung durch frühzeitige geordnete Einteilung von Bauplätzen und hat deshalb Anspruch auf einen gewissen Gewinn. Aber solche Gewinne sind den Besitzern und Zwischenhändlern oft mühelos und in ganz übertriebenem Grade zugefallen, sie werden durch Zurückhaltung des Landes und andere Kunstgriffe in gemeinschädlicher Weise zu steigern versucht, und sie verteuern die Wohnungen bis zum Doppelten und Dreifachen. Dementgegen lassen sich durch einschränkende Bestimmungen über die Geschoßzahl, über Baudichtigkeit überhaupt die Bodenpreise an weiterem übermäßigem Steigen hemmen, während die Rückwirkung auf bereits bestehende Verhältnisse allerdings nur eine beschränkte sein kann. Eine zweckmäßige Bauordnung vermag daher sowohl hygienische, als auch wirtschaftliche Vorteile für die künftigen Bewohner zu erzielen.

[1530] Immer mehr haben sich im Wohnungswesen die zwei entgegengesetzten Richtungen ausgebildet und organisiert: Baudichtigkeit und Weiträumigkeit, das Streben nach möglichst hohen und der Wunsch nach niedrigen Bodenpreisen, Grundbesitzer- und Mietervereine. Die dritte Gruppe, nämlich die Hausbesitzer, haben sich bisher unter dem gemeinsamen Titel „Haus- und Grundbesitzervereine“ ins Schlepptau nehmen lassen, erkennen und erklären jedoch neuerdings vielfach, daß ihre Interessen mit denjenigen der Bodenspekulanten und Terraingesellschaften keineswegs übereinstimmen. Von den Einwohnern unserer großen Städte leben 90% und mehr in Mietwohnungen. Es dient daher der großen Mehrheit der Bevölkerung, wenn die Bodenpreise möglichst niedrig gehalten werden, überdies aber der ganzen Gemeinde, um Land für öffentliche Zwecke billig erwerben zu können, um Baulustige anzuziehen, welche die Ausnützung nicht bis zu den äußerst zulässigen Grenzen treiben wollen, um dadurch den Städtebau mannigfaltig und erfreulich zu gestalten.

Seitdem die Wohnungsverhältnisse für die unbemittelten Klassen und bis in den Mittelstand hinauf so schlimm geworden sind, ist viel Liebe und Arbeit auf Abhilfsmittel verwendet und hierdurch der Periode dieses Berichtes auch ein erfreuliches Merkmal aufgedrückt worden. Von den beiden oben angeführten Bestandteilen, Bauplatz und Baukosten, sind die letzteren durch sorgfältige Verteilung der Räume und geschickte Konstruktion hinunterzudrücken gesucht, und hat sich jüngst vielfach die nutzbare Wohnfläche in Einfamilienhäusern nicht kostspieliger herausgestellt als in mehrgeschossigen Miethäusern. Leider sind die Arbeitslöhne und Materialpreise innerhalb unserer Berichtsperiode wohl um ⅓ gestiegen. Was hilft aber die Kenntnis über diese Preisbewegung, da es doch kein Mittel dagegen gibt, vielmehr die Baukosten einfach durch die Konkurrenz reguliert werden? Entschiedene Einwirkung vonseiten der öffentlichen Gewalt kann und soll jedoch bei den Preisen der Bauplätze stattfinden, und da fehlt es außer dem schon besprochenen Hauptmittel einer guten Bauordnung ebenfalls nicht an Bemühungen und Vorschlägen, welche nunmehr aufgezählt werden sollen. Sie beziehen sich zumeist auf die Tätigkeit der Gemeinde, welcher naturgemäß zunächst die Fürsorge für ihre Angehörigen und eine entsprechende Bodenpolitik obliegt.

Hierzu gehört vor allem frühzeitige Aufschließung neuer Baugebiete durch Straßen und sonstige Verkehrsmittel, um die Konkurrenz in Bauland zu erweitern. Ferner, um vonseiten der Gemeinde direkt einwirken zu können, die Vergrößerung ihres Besitzes mittels Eingemeindung, Erwerb von Grundstücken und nötigenfalls mittels Zwangsenteignung. Die Fläche des Gemeindeeigentums übertrifft in einigen Städten schon die Hälfte des Weichbildes (Frankfurt, Freiburg, Augsburg, Ulm). Wo eine Eingemeindung nicht zustande gekommen, bildet ein „Zweckverband“ unter den wohnlich zusammengehörigen Gemeinden einen Notbehelf – ob mit Erfolg, wird die Zukunft von Großberlin lehren.

Besondere Vorsicht erfordert sodann die Hergabe von Gemeindeland an Baulustige. Dieselbe sollte stets unter Bedingungen erfolgen, welche sich teils auf die Beschaffenheit der beabsichtigten Häuser beziehen, teils auf die Verhinderung der Spekulation, etwa durch Beschränkung des Gewinns des Unternehmers auf ortsübliche Höhe, so daß ein [1531] Überschuß der Verringerung der Mieten oder der Herstellung von allgemeinen Wohlfahrtseinrichtungen zugute kommt. Es haben sich auch noch andere Rechtsformen ausgebildet, um mit Gemeindeland die Wohnungsfrage zu fördern, nämlich Verkauf mit Wiederkaufsrecht, Abgabe als Rentengut, Verpachtung besonders bei sog. Schreber- oder Familiengärten, Bestellung von Erbbaurecht.

Zu den vorstehenden Maßregeln der Bodenpolitik haben sich die Staatsverwaltungen bisher selten verstanden, sondern in der Regel den fiskalischen und spekulativen Standpunkt eingehalten, z. B. Waldungen bei Berlin, Tempelhofer Feld, Hardtwald bei Karlsruhe. Schöner hat sich der Staat auf einem anderen Wege der Wohnungsreform beteiligt, nämlich durch den ausgedehnten Bau von Dienstwohnungen für Arbeiter und niedere Beamte, beim Reich hauptsächlich im Bereich der Post, bei den Einzelstaaten im Eisenbahnbetrieb und Bergbau, bei den Gemeinden in allerlei Dienstzweigen. Ferner haben viele Gemeinden, um der Wohnungsnot abzuhelfen, Wohnungen zum allgemeinen Gebrauch gebaut. Die Hergabe an einzelne ist dann zuweilen durch Verkauf zu freiem Eigentum erfolgt, hat sich aber nicht bewährt (Mülhausen), oder es wurde mit Wiederkaufsrecht verkauft (Ulmer System), oder endlich die Häuser wurden vermietet unter angemessener Sicherheit gegen Mietsteigerung und Kündigung (Freiburg).

Ein weiteres Mittel zur Beschaffung von Wohnungen besteht in der Unterstützung von Baugesellschaften. Derartige Unternehmungen haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreich aufgetan, jetzt bestehen über 1200 mit einer Leistung von ca. 15 000 Häusern. Es sind hierbei die Pflichten der Genossen gegen die von der Gemeinde gewährten Vorteile sorgfältig abzuwägen. Erstere können sich beziehen auf die Beschaffenheit der Häuser und auf die Formen der Vermietung, letztere auf billige Hergabe von Gemeindeland, Verminderung der Gebühren für Straßenbau, Wasser, Elektrizität, auf die Herleihung von Baugeldern zu günstigen Bedingungen, auf die Übernahme von Geschäftsanteilen.

An dieser Stelle sei auch den Gartenstädten ein kurzes Wort gewidmet. Diese planmäßigen Ansiedlungen auf billigem Gelände, welches im Obereigentum der Gesellschaft bleibt, in Kleinhäusern mit Gärten, welche die außerberufliche Arbeitskraft einer Familie verwerten, schaffen billige Wohnungen und gesunde Daseinsbedingungen. Es ist das Verdienst der 1902 gegründeten deutschen Gartenstadtgesellschaft, dazu vielerorts auf zweckmäßiger wirtschaftlicher Grundlage angeregt zu haben. Die Gartenstädte ergeben nicht nur ein gutes Stück Wohnungsreform, sondern auch ein erfreuliches soziales Gebilde, ein Gemeinschaftsleben zwischen verschiedenen Klassen, wie es durch die Zusammendrängung in Mietkasernen niemals entsteht.

Bis jetzt hat die Tätigkeit von Baugenossenschaften und Gartenstadtgesellschaften nur für etwa 1½ % des Wohnungsbedarfs der wachsenden Bevölkerung ausgereicht. Wertvoll aber bleibt die Rückwirkung auf die sonstigen, vom privaten Baugewerbe hergestellten Wohnungen in Güte und Preis. In diesem Sinne ist auch die öfter getadelte Schädigung des Baugewerbes durch Konkurrenz der gemeinnützigen Bautätigkeit nicht zu fürchten. Solange im Wohnungswesen noch so furchtbare Notstände bestehen, ist nach der heute vorherrschenden Überzeugung das Eingreifen von Reich, Staat und Gemeinde [1532] kein unlauterer Wettbewerb, sondern berechtigter und pflichtmäßiger Sozialismus. Zudem kommt die wirtschaftliche Stellung unseres Vaterlandes auf dem Weltmarkt, gegenüber anderen Ländern mit günstigerer Entwicklung des Arbeiterwohnungswesens (England, Amerika usw.) in Frage.

Aus der umfangreichen Literatur des Wohnungswesens seien schließlich noch drei bedeutsame Werke angeführt, welche füglich das Gegenstück zu den drei eingangs genannten grundlegenden Büchern bilden.

Eberstadt, „Handbuch des Wohnungswesens“, 1909, 2. Aufl. 1910. Ein zusammenfassendes und weiterführendes Werk nach zahlreichen vorhergegangenen Arbeiten desselben Verfassers.

v. Mangoldt, „Die Städtische Bodenfrage“, 1907. Hauptsächlich begründet der Verfasser die Stadterweiterung als eine öffentlich-rechtliche, d. h. eine in erster Linie von öffentlichen Körperschaften durchzuführende und vom öffentlichen Recht beherrschte Aufgabe.

Damaschke, „Die Bodenreform“, 1902, 8. Aufl. 1913. Seit dem ersten Erscheinen des Buches hat die ihm zugrunde liegende Bewegung eine ungeahnte Verbreitung gefunden, aber zahlreich sind auch noch die Gegner, welche den Boden für private Interessen beanspruchen. Indem an der Verwirklichung des Grundgedankens ein Stück Zukunft unseres Volkes hängt, möge hier der Wahlspruch der Bodenreformer angeführt werden: „Der Bund deutscher Bodenreformer tritt dafür ein, daß der Boden, diese Grundlage aller nationalen Existenz, unter ein Recht gestellt werde, das seinen Gebrauch als Werk- und Wohnstätte befördert, das jeden Mißbrauch mit ihm ausschließt, und das die Wertsteigerung, welche er ohne die Arbeit des einzelnen erhält, möglichst dem Volksganzen nutzbar macht.“