Streifzüge eines Feldmalers (Die Gartenlaube 1871)

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Autor: Christian Sell
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Titel: Aus den Streifzügen eines Feldmalers
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 692–693, 696
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[692]

Streifzüge eines Feldmalers.  Nr. 1.  Der Humor vor Metz.
Von Chr. Sell in Düsseldorf.

[693]

Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 2. Vor Metz – im Regen und ohne Humor.
Von Chr. Sell in Düsseldorf.

[696] Aus den Streifzügen eines Feldmalers. I. und II. Sie haben einmal, schreibt uns der Maler Christian Sell – es ist nun bald ein Jahr – in der Gartenlaube von mir drei Zeichnungen gebracht, deren zwei ihre Motive der Umgegend von Metz aus der Zeit der Belagerung entnommen hatten, und haben dem dazu gehörigen Artikel die Ueberschrift gegeben: „Streifzüge eines Feldmalers“. Das ist nun, wie gesagt, ein Jahr, die kriegerischen Bilder und die noch mehr kriegerischen Artikel haben, Gott sei es gedankt, einer friedlicheren Stimmung Platz gemacht, und wie – der Vergleich möge gestattet sein – auf den Feldern, über die im vorigen Jahre der Kriegsgott verheerend hinfuhr, sie mit heißem Blute tränkend, heuer schon wieder die goldene Saat der Garben und das Blättergrün der Reben wogte, so sind auch die Columnen der Journale in diesem Jahre wieder von den anmuthigsten Genre-Darstellungen und Bildern des Friedens erfüllt.

Wie aber andere Maler, so habe auch ich noch gar mancherlei Blätter in meiner Mappe liegen, und gar manche Skizze, die seiner Zeit nur auf das Flüchtigste zu Papier gebracht werden konnte, möchte es doch verdienen, auch heute noch ausgeführt und veröffentlicht zu werden. Ein geordneter Zusammenhang wird sich in den einzelnen Bildern und in den einzelnen Artikeln freilich nur schwer herstellen lassen: es sind auch heute nur „Streifzüge eines Feldmalers“, der, wie Sie und Ihre Leser schon längst ja wissen, sich geraume Zeit vor Metz bei der Cernirungsarmee herumgetrieben und dann auch in den Ardennen und im Juragebirge, gar mancherlei Interessantes gesehen hat.

Darf ich nun aus meiner Kriegsmappe noch das Eine und Andere herausgreifen, so beginne ich heute füglich mit Metz, dem ja schon früher die meisten meiner Zeichnungen und Skizzen gegolten haben. Ich erinnere mich jener Zeit auch noch mit ganz besonderer Genugthuung; denn – die Tage von Orleans und die Kämpfe bei Belfort waren ja viel später – schon hier konnte man die bewundernswerthe Ausdauer des deutschen Soldaten im Ertragen riesenhafter und andauernder Strapazen erkennen. Im Anfange waren die Aufgaben der Cernirung wohl nur leichte und man stand den etwaigen Ausfallgelüsten der eingeschlossenen Armee Bazaine’s mit einem Muthe gegenüber, so heiter, wie der Himmel war, der über uns lachte. Das war zu Anfang September. Als aber später die Herbststürme kamen und der aschgraue Himmel viele Tage und Nächte lang seine unerbittlichen Schleußen geöffnet hielt, als Pferde und Reiter und Fußvolk bis über die Knöchel im unergründlichen Morast wateten, um nur Augenblicke lang auf dem durchweichten Stroh eine elende Lagerstätte zu finden, als der Wind eisigkalt durch die pechschwarzen Nächte über die Stoppeln und Felder und über die verwüsteten Dörfer hinsauste, und als es gerade um jene Zeit galt, die Augen doppelt offen zu halten, in Sturm und Regen nicht mit der Wimper zu zucken und in der halb erstarrten Hand immer noch seines Gewehres sicher zu sein – da kostete es wohl manchem Braven alle Anstrengung, sich von der Last der Beschwerden nicht ducken zu lassen und immer des hohen Zieles eingedenk zu sein, zu dessen Gewinnung er hier auf Posten stand.

Aus jenen so grundverschiedenen Tagen nun sind meine beiden heutigen Bilder entnommen, aus der, wenn ich so sagen darf, heitern und aus der ernsten Zeit der Cernirung – blutige Köpfe gab es freilich auch in jener und gar Mancher hatte trotz des blauen Himmels und trotz des goldenen Sonnenscheins alle Ursache, sich jede Heiterkeit schließlich doch vergehen zu lassen. Dafür sorgten schon die kleineren Ausfälle und die selbst damals ununterbrochenen Scharmützel der Vorposten in ausreichendem Maße.

Die Leser der Gartenlaube erinnern sich, wie ich, von Sedan über St. Privat la Montagne, wo ich die zerstörte Kirche zeichnete, nach Marly sur Seille zog, einem kleinen Dorfe südlich von Metz und zwischen diesem und Schloß Corny, dem Hauptquartiere des Prinzen Friedrich Karl, unmittelbar an der Cernirungslinie gelegen. Dort nahm ich ein Bild von der Wache im Dorfe auf, das Sie bald nachher gebracht haben, und marschirte nach einem sehr unruhigen Nachtquartier im Schlosse Montbel – der Leser wird sich meiner Skizze vielleicht noch erinnern – nach Mercy le Haut, das, gleichfalls in der Cernirungslinie gelegen, vielleicht nur achthundert Schritte von den äußersten feindlichen Vorposten entfernt war, Angesichts des Forts St. Quelen, dessen tiefe Kanonenbrummer – die Franzosen schossen ja unaufhörlich, um, wie es schien, bis zur unvermeidlichen Uebergabe ihr Pulver los zu werden – wohl noch Manchem von der Cernirungsarmee im Gedächtnisse sind. Damals sah ich nun bei einem Infanterievorposten den heitern Scherz, welchen das eine meiner Bilder darstellt.

Die Leute hatten versucht, sich die Langeweile durch eine improvisirte Schanze und durch Herstellung eines Geschützes zu vertreiben, dessen Rohr zwar des äußern Glanzes entbehrte, das aber dennoch in gewisser Entfernung einem wirklichen Geschütze auf das Täuschendste glich. Es war aus der Hälfte eines zerbrochenen Karrens und einem Baumstamm zusammengesetzt, während als Protze eine Liebesgabenkiste dienen mußte, die vermuthlich eben erst ihres willkommenen Inhalts entleert worden war. Dahinter lagerten unsere Soldaten und es war hier eines der wenigen Male, daß ich dieselben Karten spielen sah. Warum sie dieses in der heimathlichen Garnison doch geradezu unentbehrliche Spiel im Felde so gänzlich vernachlässigten, weiß ich nicht. Daß ihnen die Karten fehlten, ist doch kaum anzunehmen; oder war ihnen die Situation zu ernst? Vielleicht weiß ein Anderer die Antwort.

Mein zweites Bild kann füglich als Gegenstück zu dem eben geschilderten dienen; es ist der ernsten, ja schauerlichen Zeit der Cernirung entnommen, den letzten Tagen derselben, 21. oder 22. October, als man noch allgemein an eine letzte Anstrengung, an einen verzweifelten Ausfall Bazaine’s glaubte. Unsere braven Soldaten mußten deshalb in allen Positionen bei Tag und Nacht unter strömendem Regen, bis über die Knöchel im Wasser stehend, bei ihren Geschützen oder Gewehren zubringen. Welches Lager ihrer nach der Ablösung harrte, habe ich schon oben gesagt. Die Batterie, welche mir zur Aufnahme meines Bildes diente, war die fünfte von der vierzehnten Division. Ich fror während des Zeichnens ganz erbärmlich und der mir befreundete Hauptmann lud mich ein, mir die steifgewordenen Finger wieder am Feuer zu erwärmen, das man im Wind und Regen mit Noth und Mühe brennend erhielt. Die Soldaten zeigten zwar keinen heitern, aber einen festen, gesetzten und durch keine Unbilden erschütterten Muth. Am 27. October endlich schlug auch für sie die Stunde der Erlösung; an diesem Tage, spät Abends, ward die Capitulation von Metz unterzeichnet.

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Autor: Unbekannt
Titel: Streifzüge eines Feldmalers III.
aus: Die Gartenlaube 1871, Heft 42, S. 708, 712


[708]

Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 3. Jacques Dubois.
Von Chr. Sell in Düsseldorf.

[712] Streifzüge eines Feldmalers. III. (Mit Abbildung.) Die Details des entsetzlichen Rückzuges der Bourbaki’schen Armee sind unseren Lesern noch in guter Erinnerung. Wir haben in Bild und Text eine ausführliche Beschreibung jenes unglückseligen Uebergangs über die Schweizer Grenze gebracht, der, wie wir schon damals äußerten, in seinen Einzelnheiten gewiß ein noch ergreifenderes Bild von dem Elend und den Scheußlichkeiten des Krieges dargeboten hat, als der berüchtigte Uebergang der weiland großen Armee des ersten Napoleon auf ihrem Rückzuge aus Rußland über die Beresina. Aus diesen Tagen des Schreckens und des Entsetzens nun erzählte ein Husar, der jene Kämpfe unter Werder’s und Manteuffel’s siegreicher Leitung mitgemacht hatte, Folgendes, das unserm Feldmaler Christian Sell als Vorwurf zu seinem heutigen Bilde diente:

„Ueberall stießen wir bei unserer Verfolgung auf die entsetzlichen Trümmer dieser in allen ihren Elementen aufgelösten Armee. Oft genug empfingen wir den Eindruck, wie wenn zuletzt den Fliehenden gar nicht mehr daran gelegen sei, die nahe Grenze der neutralen Schweiz zu erreichen; sie waren so stumpf und willenlos geworden, daß sie sich schließlich in jedes Schicksal fügten und sich wiederholt in Trupps von dreißig und vierzig Mann durch Husarenpatrouillen von zwei und drei Mann gefangen nehmen ließen. Sie wollten nur um jeden Preis ein Ende ihres augenblicklichen Jammers herbeigeführt wissen; denn schlimmer konnte es für sie in keinem Falle mehr kommen. Wie bitter kalt es in jenen Tagen des Januar war, ist bekannt; da suchten denn die herrenlosen, todtkranken Pferde zu großen Haufen in den Dörfern oder Gebirgsschluchten Schutz gegen den eisigen Wind und unerträglich scharfen Frost; Menschenleichen, tief im Schnee liegend, bezeichneten den Weg, den die fliehende Armee genommen; Waffen und Armaturstücke jeder Art bedeckten unabsehbar den Boden.

An der Spitze einer Patrouille passirte ich einen Hohlweg, der voll von Pferdeleichen war. Plötzlich stutzte mein Pferd; schon glaubte ich auf einen Feind gestoßen zu sein, der sich vielleicht in seiner letzten Verzweiflung noch zur Wehr setzen wolle, und machte mein Gewehr fertig, als ich hinter einem Felsblock sich langsam eine Hand emporheben sah. Es war ein ganz erschöpfter französischer Soldat, mit wunden Füßen und halb mit Schnee bedeckt. Der Arme, starr von Kälte, hatte in dieser fürchterlichen Lage schon mehr als vierundzwanzig Stunden zugebracht.

Im Nu war ich aus dem Sattel, meine Feldflasche mit Rothwein in der Hand. Schon ein paar Tropfen, die ich mühsam durch seine Lippen preßte, schienen ihm wohl zu thun. Sprechen konnte er vor Schwäche nicht und so übergab ich die Jammergestalt meinen nachfolgenden Cameraden von der Infanterie, die auch für seine Fortschaffung sorgten. Als ich von meinem Patrouillenritt heimkehrte, vernahm ich, daß man den Kranken an die Aerzte überliefert hatte und daß er in guter Pflege war. Ich ließ mich einen Gang nach der Ambulance nicht verdrießen. Obgleich ich nun schon seit Wochen, ja Monaten so viele französische Kranke und Verwundete um mich gesehen hatte, deren Schicksal mir natürlich durchaus gleichgültig geblieben war, kümmerte mich doch das Loos dieses Einzelnen, dem mich ein glückliches Geschick in dem Augenblick zugeführt hatte, als das Licht seines Lebens gewiß am Verflackern gewesen war. Die Aerzte hofften ihn denn auch zu retten, obschon sein Körper von den überstandenen Strapazen auf’s Aeußerste gelitten hatte. Aber Jacques Dubois – so hieß der Franzose – war noch jung und mit jedem Tage erholte sich seine Gesundheit mehr und mehr. Ich besuchte ihn, so oft es mir der Dienst gestattete, und Dubois erzählte mir von seiner Heimath. Er war der Sohn eines Uhrmachers und in der Nähe von Lyon zu Hause. Er gehörte zu den Vernünftigeren unter den Franzosen, die ich im Laufe des Krieges hatte kennen lernen, und verschloß sich nicht gegen die Erkenntniß der bittern Wahrheit, daß alles dies Unglück sich über Frankreich hatte erfüllen müssen.

‚O,‘ rief er einmal mit blitzendem Auge, ‚wir sind tapfer, wie Ihr, aber wir waren Alle betrogen – von unserer Regierung, von unseren Priestern, von unseren Generälen, von unseren Eltern, von uns selbst.‘

Später ward Jacques Dubois in die Gefangenschaft nach Deutschland gebracht; wir nahmen herzlichen Abschied, und Dubois, so niedergeschlagen ihn der Anlaß machte, der ihn aus Frankreich entführte, schien es doch nicht ungern zu sehen, daß er Gelegenheit erhielt, das von seinen Landsleuten so gründlich geschmähte Deutschland einmal aus eigener Anschauung kennen zu lernen.

Der Eindruck scheint kein ungünstiger gewesen zu sein; denn während der Tage des Friedensschlusses erhielt ich von Jacques Dubois plötzlich und unerwartet einen Brief, in welchem er mir seine Freude aussprach, nun bald wieder in sein schönes Frankreich zurückkehren zu können, und das Bedürfniß, mir für diese Freude, deren Möglichkeit er allein mir, seinem Lebensretter, zuzuschreiben habe, gerade in dem Augenblick, da sich die französische und deutsche Nation wieder versöhnt die Hände reichen wollten, noch einmal herzlich zu danken. ‚Ich habe,‘ schloß sein Brief, ‚Ihr Volk achten und kennen lernen, ich werde das auch zu Hause offen sagen – ach, ich wiederhole es Ihnen, wir waren Alle betrogen.‘

Selbstverständlich ließ ich diese freundlichen Zeilen nicht ohne Erwiderung, weiß aber nicht, ob mein Brief an seine Adresse gekommen ist, denn bis heute habe ich von Jacques Dubois nichts mehr gehört.“

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Autor: Unbekannt
Titel: Streifzüge eines Feldmalers 4.
aus: Die Gartenlaube 1871, Heft 46, S. 769, 776


[769]

Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 4. Quartier in Dorf Puxe bei Metz.
Von F. W. Heine.

[776] Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 4. (Mit Abbildung) Unsere Leser werden die vortrefflichen Bilder und Berichte unseres Feldmalers W. Heine noch in gutem Gedächtnisse haben.[WS 1] Heute bringen wir auch aus seinen „Streifzügen“ noch einen Nachtrag, den der Maler selbst mit folgenden wenigen Worten der Erklärung begleitet hat:

„Es war nach den blutigen Tagen von Metz; Bazaine’s Armee war nach dreitägigem Ringen in die Festung zurückgeworfen, eingeschlossen von dem ehernen Ring der deutschen Armee, und unsere nach so heißem Tagewerk nunmehr hier entbehrlich gewordene vierundzwanzigste Division hatte den Befehl zum Aufbruch nach Paris erhalten, wo sie sich wiederum als wackeres Glied in der unzerreißbaren Kette der deutschen Cernirungsarmee einzufügen hatte und wo ihrer für den November und December so ehrenvolle, aber auch so blut- und opferreiche Kämpfe harrten, aus denen gar mancher wackere Sachsensohn nicht mehr zurückkehren sollte. Daran dachte heute natürlich Niemand, und froh und heiter, St. Privat und St. Marie aux Chênes glücklich bestanden zu haben, marschirte die vierundzwanzigste Division dem neuen Ziele zu – freilich langsam und unter tausend Hindernissen; denn oft wälzten sich wohl drei Colonnen auf der gegen Paris führenden Heerstraße nebeneinander her, wobei es denn häufig genug kommen mußte, daß sich unter den Massen Verwicklungen und Wirrnisse ergaben, die im Marsche wiederholt einen Aufschub von ein und mehr Stunden veranlaßten – ein Aufschub, der von den ermatteten, in den letzten Tagen Unglaubliches geleistet habenden Soldaten sofort zum Schlafen im nächsten Chausseegraben benutzt wurde.

Am 21. August kamen wir in Puxe, einem kleinen, unscheinbaren, ärmlichen Dorfe an, wo das Bataillon, bei welchem ich mich befand, einquartiert wurde, um drei Tage Rast zu halten. War schon der Anblick, den die niedrigen Dorfhütten von außen boten, kein erfreulicher, so war dies noch weniger im Innern der Fall. Man lag ungeheuer gedrängt: in der Stube, welche meine Zeichnung darstellt, hatten allein zehn Jäger Quartier genommen, denen anschließen zu dürfen ich mich noch glücklich pries. Als Schlafgemach diente der Heu- und Strohboden, zu welchem eine alte, schmale, steile Treppe führte und durch dessen zerlöchertes, baufälliges Dach der Wind kalt und abscheulich blies.

Eigenthümlich bleibt so eine arme französische Bauernwohnung immer. Wohnzimmer, Schlafgemach und Küche sind in einem einzigen Raume vereint. Ein hoher schwarzer Kamin steht an der Wand, auf seinem Gesimse Flaschen, Töpfe und anderes Hausgeschirr tragend, zwischen welchem auch in keiner Stube das überall sichtbare Crucifix vergessen ist. Auf der Seite des verhältnißmäßig geräumigen Gemachs steht, immer mit großen, faltigen Gardinen versehen, ein ebenso breites als langes Bett, auf dem fast während der ganzen Dauer unserer unfreiwilligen Anwesenheit die arme, in Lumpen gehüllte Bauernfrau kauerte, voll Angst und voll Hunger – denn sie hatte schon lange keinen kräftigen Bissen mehr zu sehen bekommen, und das kleine Kind in ihren Armen zeigte ein gar trauriges hohläugiges Aussehen. Schließlich war es eben wieder der verhaßte ‚Prussien‘, der auch hier aushelfen mußte und der auch gerne aushalf, sobald sich nur das ältere der Kinder barfuß und im Hemde, zutraulich und neugierig zugleich näher geschlichen hatte, dem bärtigen Landwehrmanne zuzuschauen, der so eifrig die Kaffeemühle drehte. Hühner und Katzen liefen allüberall ungenirt in den Stuben herum; die letzteren ließ man laufen, von den ersteren kann ich nur sagen, daß sie kurze Zeit nach ihrem Auftreten immer rasch genug wieder verschwunden waren. Glücklicherweise dauerte unser Aufenthalt in dem gottverlassenen Neste nicht lange und nach drei Tagen, die theils zum Monturausbessern, theils zum Exerciren auf’s Eifrigste benutzt worden waren, nahmen wir unsern Marsch nach Paris wieder auf, der freilich durch die Tage von Beaumont und Sedan noch eine gewaltige Unterbrechung erfahren sollte.“

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Autor: Unbekannt
Titel: Streifzüge eines Feldmalers 5.
aus: Die Gartenlaube 1871, Heft 52, S. 873, 878


[873]

Streifzüge eines Feldmalers.0 Nr. 5. Adjutantenritt in den Ardennen.
Von Chr. Sell.

[878] Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 5. (Mit Abbildung.) Unser fleißiger Mitarbeiter, Herr Christian Sell, hat heute abermals in seine Kriegsmappe gegriffen und aus derselben die Darstellung eines „Adjutantenrittes in den Ardennen“ hervorgeholt, den ihm der befreundete Officier, der ihn bestanden, mit folgenden Worten geschildert hat:

Bekanntlich hatte die Beschießung und der Fall von Mezières in den letzten Decembertagen des vorigen Jahres darum besondere Wichtigkeit, weil die genannte Festung einen nicht zu unterschätzenden Stützpunkt für die Franctireurs bot, die sich in hellen Haufen in den Ardennen herumtrieben und von hier aus die deutschen Truppen beunruhigten. Ich selbst gerieth auf eine nicht ungefährliche Weise mit ihnen zusammen, und zwar war dies der Fall, als die Landwehrdivision Senden nach der Einnahme von Mezières gegen die nördlich davon gelegene Festung Rocroy vorging. Um nämlich dieses Unternehmen zu decken, wurde ein kleines Detachement, wozu auch mein Bataillon gehörte, gegen die noch weiter nach Norden gelegene Grenzfestung Givet vorgeschoben. Dieser Marsch bot aber, da er ununterbrochen durch gebirgiges und schluchtenreiches Terrain führte, der Mühseligkeiten gerade genug und war auch sonst nicht ohne Gefahr, da sich die Franctireursbanden ziemlich nahe heranwagten, uns neckend, nie Stich haltend und doch stets beunruhigend. Wir hatten endlich unsern Bestimmungsort erreicht und mit den Anderen freute ich mich eben, mich einer relativen Ruhe hingeben zu können, als mir der Auftrag wurde, nach dem etwa drei Meilen entfernten Stabsquartier zu reiten und weitere Befehle einzuholen. Als Bedeckung wurden mir drei Husaren mitgegeben.

Der Weg führte uns durch schneebedeckte Schluchten und Wälder, an steilen, felsigen Abhängen vorbei, über eisglatte Wege, an rauschenden oder halb im Frost erstarrten Wasserfällen vorüber, und selbst Verhaue und andere Hindernisse blieben uns nicht erspart, die der Feind mit gefälliger Hand aufgethürmt hatte, uns wenn nicht ab-, doch wenigstens aufzuhalten. Aber vermöge meiner vorzüglichen Karte erreichte ich dennoch glücklich das Hauptquartier, wo ich leider ziemlich lange auf die zu empfangenden Befehle warten mußte. Was mich aber noch peinlicher berührte, war, daß man mir, als ich meinen Rückweg durch die inzwischen hereingebrochene stockfinstere Nacht antrat, auf höheren Befehl zwei Husaren abnahm, so daß ich meinen Weg in Begleitung nur eines Husaren fortsetzen mußte, obwohl, wie schon gesagt, die ganze Gegend voll Franctireurs steckte. Es war schneidend kalt geworden. Um mein Detachement möglichst bald zu erreichen, ritt ich, wo es nur irgend ging, Carrière, selbst über Gatter und Verhaue hinweg, meinen wackern Husaren immer treu zur Seite. Ich verfolgte meinen Weg auf gut Glück, denn von meiner Karte konnte ich der vollständigen Finsterniß wegen keinen Gebrauch machen. Eben hatten wir einen ziemlich großen Wald passirt, vor uns eine weite glatte Schneefläche, jenseits wieder von Wald begrenzt; da, indem ich den Weg zu erspähen suchte, gewahrte ich an der gegenüberliegenden Waldlisière dunkle Gestalten sich hin- und herbewegen. Das konnten nur Franctireurs sein! Der Mond, inzwischen aufgegangen, beschien uns hell, unsere Gestalten hoben sich nur allzu deutlich von der lichten Schneedecke ab, wir durften nicht säumen.

Mein Entschluß war im Nu gefaßt. Schnell riß ich den dictirten Befehl aus meinem Notizbuch und wickelte ihn in der Hand zusammen, um ihn, sollte ich verwundet oder gefangen werden, sofort verschlucken zu können; denn in die Hände des Feindes durfte der Befehl in keinem Falle gerathen. Nun aber, den Säbel los und die Schußwaffe hoch, die Köpfe hinter die Pferdehälse geduckt, ging es fort in sausendem Carrière und der Richtung zu, wo ich ungefähr den Waldweg vermuthete. Paff! Paff! knallte es sofort die ganze Linie der Waldlisière hin und vom Echo gegenüber hundertfach wiederholt; ich vernahm das Pfeifen einer Kugel über meinem Kopfe hin; aber wir Alle, Roß und Reiter, blieben unverwundet und wie wir den Franctireurs näher kamen, kniffen die feigen Kerle sogar aus. Zu unserem Glück erreichten wir denn auch den richtigen Waldweg und auf ihm ging es nun über Steine, Baumstämme und selbst bergan in gestrecktem Galopp vorwärts, bis unsere Pferde vor Erschöpfung zusammenzubrechen drohten. Ich gönnte ihnen eine kurze Weile Rast, deren auch wir dringend bedurften. Denn trotz der strengen Kälte lief uns der Schweiß stromweise herunter. Dafür waren wir einer fast sichern Todesgefahr oder doch der Gefangennehmung entgangen, erreichten spät Abends glücklich unser Detachement und erfuhren zwei Tage später zu unserer Befriedigung die geglückte Einnahme von Rocroy.

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Autor: Unbekannt
Titel: Aus den Streifzügen eines Feldmalers
Nr. 6. Per Stellwagen zur Eisenbahn
aus: Die Gartenlaube 1872, Heft 7, S. 105–107


[105]

Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 6. Wegnahme der Eisenbahn bei Stenay.
Von F. W. Heine.

[106]

Aus den Streifzügen eines Feldmalers.

Nr. 6.0 Per Stellwagen zur Eisenbahn.

Müde von dem angestrengten Marsche – wir waren zur Abwechselung wieder einmal seit früh fünf Uhr unterwegs und gründlich vom Regen eingeweicht worden – erreichten wir in später Nachmittagsstunde Stenay. Wir, das dreizehnte Jäger-Bataillon, gehörten schon damals zu der bekannten achtundvierzigsten Brigade und sollten mit derselben, wie ich nachträglich erfahren, hier ein Ueberschreiten der Maas feindlicherseits verhindern. Nur mit knapper Noth und Mühe entgingen wir für diesen Tag dem Vorpostendienst und wurden in Alarmquartiere untergebracht. Getreu meinem Grundsatz, jede sich darbietende Gelegenheit zur Ruhe gewissenhaft auszunutzen, suchte ich, nachdem ich nebst einigen dreißig meiner Cameraden unser Hôtel, die Hausflur eines von den Bewohnern verlassenen Hauses, erreicht, sofort mein Nachtlager auf, welches wie gewöhnlich aus Stroh par requisition als Unterlage, dem Tornister als Kopfkisten und dem Dache als Bettdecke bestand, und schlief sehr bald unter dem eintönigen Geräusch des herabströmenden Regens ein.

Erst zwei wohlgemeinte Rippenstöße meines Nachbars, dem mein leiser Schlaf schon längst kein Geheimniß mehr war, und der Ruf: „Vorwärts, die erste Compagnie muß sofort ausrücken,“ brachten mich am andern Morgen wieder zum Bewußtsein. Die Toilette war schnell beendet, ein Schluck Kaffee aus dem Feldkessel meines mitleidigen Nachbars bildete das Frühstück, und fort ging es nach dem Stellplatz. Hier hielt auch schon unser Hauptmann Walde zu Pferde und eröffnete uns, daß er, einem erhaltenen Auftrag gemäß, mit uns und unter dem Schutze einer Schwadron die Eisenbahn bei dem zwei Stunden weiter vorwärts am Dorfe Chauvancy gelegenen Bahnhof zerstören solle und daß wir zur schnelleren Ausführung dieses Unternehmens auf acht gestellten vierspännigen Wagen zur Bahn befördert werden würden. Eine Schwadron vom zweiten Reiterregiment traf bald darauf ein, nicht so schnell die acht französischen Fuhrwerke, so daß sich unsre Abfahrt, die um sieben Uhr stattfinden sollte, um eine Stunde verzögerte. Die einzeln ankommenden Wagen, große Rüstwagen, jeder mit vier schwerfälligen Rossen bespannt, wurden von uns mit Sturm genommen, denn ein flüchtiger Blick genügte, um Jeden zu überzeugen, daß acht Geschirre nicht ausreichen würden, um die ganze Compagnie fortzubringen, freiwillig aber wollte Keiner zurückbleiben. Nachdem mit ungefähr hundertdreißig Mann sämmtliche Wagen gefüllt waren und die Kutscher sich auf ihre Pferde geschwungen, ging es unter Hurrah in flottem Trabe zum Städtchen heraus. Die originelle Art der Beförderung, die Aufregung in der Erwartung kommender Dinge und die stille Hoffnung, den Rothhosen eine sächsische Jägerlection geben zu können, versetzte uns in die heiterste Stimmung, die selbst der herabströmende Regen, der uns auch während der ganzen Expedition nicht verlassen sollte, nicht zu beeinträchtigen vermochte. Weniger vergnügte Gesichter machten Kutscher und Pferde, denen weder das Wetter, noch das von uns angedeutete Tempo behagte. Sehr häufig bedurfte es der eindringlichsten Aufmunterung des neben jedem Wagen trabenden Reiters, um Erstere für unsere Wünsche geneigt zu stimmen.

Nachdem wir zwei an der Straße gelegene Ortschaften ohne Hinderniß passirt und die Höhe des dahinter liegenden Berges erreicht hatten, zeigte sich unseren Blicken vor uns ein längeres Thal, an dessen linkem steileren Rande sich die Straße, aus der wir weiter fuhren, herabschlängelte und welches an seinem jenseitigen Ende durch einen ziemlich hohen Eisenbahndamm gesperrt schien, auf dem wenige Minuten später zwei in kurzen Zwischenräumen sich folgende starke Züge angedampft kamen und hinter welchem ein Dorf mit seinem Kirchthurm und höchsten Giebeln hervorragte. Unstreitig hatten wir hier unser Ziel vor Augen.

Es mochte wohl kaum eine Viertelstunde seit jener ersten Beobachtung vergangen sein, als vor uns ein Schuß fiel und gleich darauf die Spitze der Avantgarde in Carrière zurückgejagt kam und die Meldung überbrachte, daß die Eisenbahn von den Franzosen besetzt sei. Was wir schon beim Anblick der Züge vermuthet hatten, ward hier zur Gewißheit; kein Zweifel, daß es nun erst recht darauf losgehen würde. Halten, absteigen und, unter Zurücklassung der Wagen, geschlossen noch ein Stück weiter vorwärts traben bis zu einer gedeckten Stellung, von wo aus wir zum directen Angriff übergingen, war das Ergebniß weniger Minuten. Kaum hatten die Plänkler sich nach rechts und links entwickelt, in Folge dessen längs des ganzen Bahndammes ein heftiges Feuer eröffnet wurde, so brach der Hauptmann an der Spitze der noch zurückbehaltenen Abtheilung auf der Straße gegen den Damm vor. Mit ununterbrochenem Hurrah, ohne Aufenthalt und mit nur zwei Mann Verlust – Dank dem schlechten Schießen der Franzosen, denn die meisten Kugeln gingen hoch über uns weg – gelangte der Damm in unsern Besitz. Ein nach links entsendeter Zug war bei seinem Vorgehen auf das Bahnhofsgebäude gestoßen und hatte dessen Besatzung nach mehreren wohlgezielten Schüssen daraus vertrieben. Zwanzig Mann davon fielen unverwundet in unsere Hände, weil zwischen Bahn und Dorf ein breiter Bach sich hinzog, der nur auf der an der Straße gelegenen Brücke passirt werden konnte; diese aber war nach Einnahme des Dammes von uns besetzt worden. Aus der Zahl der hinter dem Dorfe sturmschnell sich zurückziehenden Trupps, dann der Todten, Verwundeten und der Gefangenen zu schließen, mußte der Feind uns an Zahl überlegen gewesen sein.

Unter dem Schutze ausgestellter Posten ging es nun nach dem Bahnhofe, um daselbst die Zerstörungsarbeiten vorzunehmen. Mit Spaten und Schaufeln, dem Handwerkszeug unsrer Zimmerleute, war hier jedoch nichts auszurichten. Indessen war bald Rath geschafft. Ein verschlossener Güterschuppen, der nach Ansicht Sachverständiger das Gesuchte bergen konnte, ward erbrochen und in demselben das Gewünschte gefunden. Und nun ging es an ein Demoliren, so systematisch und gründlich, als wenn ein Ingenieur das Ganze geleitet hätte. Es war eine wirkliche Lust, das Hämmern und Pochen, das Winden und Wuchten mit anzusehen. Schuster und Schneider führten das Brecheisen so geschickt wie daheim ihre Nadel, Kaufmann und Schreiber den Schraubstock wie zu Hause im Comptoir ihre Feder. Innerhalb einer Stunde waren die Schienen aufgerissen, waren die Weichen, Drehscheibe, Wasserbehälter und Telegraphenapparat zerstört.

Es schien aber auch die höchste Zeit; denn noch ehe wir unsere Arbeit beendet, verbreitete sich die Nachricht, daß wieder ein neuer Eisenbahnzug eine Viertelstunde vom Bahnhof entfernt halte und Truppen aus demselben ausstiegen. Mit doppeltem Eifer ward nun das begonnene Werk beendet und dann ungesäumt, in etwas beschleunigtem Schritt, mit unseren Gefangenen, zu denen sich noch drei neue gefunden, der Rückmarsch nach den Wagen angetreten.

Nachdem wir diese erreicht und, die Höflichkeit wie immer auch hierin nicht außer Acht lassend, nach unseren Gästen aufgestiegen waren, ging es in demselben Tempo wie bei der Herfahrt nach Stenay zurück. Unterwegs stieß auch wieder die Schwadron zu uns, die kurz vor der Einleitung des Gefechts uns verlassen und auf dem Eingangs erwähnten Höhenrücken zur Beobachtung und Sicherung unserer Arbeiten Stellung genommen hatte.

Ich vermag nicht den tollen Jubel zu schildern, der sich unser mach solch einem Coup auf der ganzen Heimfahrt bemächtigte und der sich in Hurrahs auf unsern Hauptmann gipfelte, wenn derselbe sich den Wagen näherte. Mit Ausnahme des Capitäns schienen sich auch unsere Gefangenen, sämmtlich dem 66. Linien-Infanterieregiment angehörend, sehr bald mit ihrem [107] Loos ausgesöhnt zu haben. Mit sichtlichem Wohlbehagen ließen sie sich die ihnen von uns angebotenen Cigarren schmecken. Jubelnd von den uns entgegenkommenden Cameraden empfangen, fuhren wir gegen zwei Uhr wieder in Stenay ein. Unserm Sergeant Engelmann, der noch an demselben Tage die Gefangenen nach dem Hauptquartier transportiren mußte, ward die Ehre zu Theil, dem Prinz Georg persönlich über die Expedition Bericht zu erstatten.



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Autor: Unbekannt
Titel: Streifzüge eines Feldmalers.
Nr. 7
aus: Die Gartenlaube 1872, Heft 31, S. 499, 514


[499]

Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 7. Husaren des 11. Corps im Doppelregen bei Sedan.
Von Chr. Sell.

[514] Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 7. (Mit Illustration, S. 499). Von unserm Feldmaler Chr. Sell erhalten wir über den Gegenstand seines Feldzugerinnerungsbildes folgende Mittheilung:

Am Morgen des ersten September 1870 ertheilte der Kronprinz Fritz dem 11. Armeecorps den Befehl, über Vrigne-aux-Bois auf St. Monges, nördlich von Sedan gelegen, vorzurücken. Das 5. Armeecorps und die 4. Cavalleriedivision folgten dieser Bewegung. Die Vertheidigungslinie der Franzosen war auf der ganzen Ostseite von Sedan, von Bazeilles im Süden bis nach Illy im Norden derselben, wegen steiler Hügel, Wälder und des davor entlangfließenden und unweit Bazeilles in die Maas mündenden Baches eine ganz vortreffliche; im Norden, wo die Dörfer St. Monges und Floing als Stützpunkte dienen mußten, hatte General Douay starke Geschützemplacements anlegen und die Gehölze vor seiner Front vom Geniecorps zur Vertheidigung einrichten lassen.

Das 11. Armeecorps dirigirte gegen halbacht Uhr seine Avantgarde auf St. Monges, erkannte aber, daß es seinen Auftrag nur erfüllen konnte, wenn es sich in Besitz der vorliegenden Höhen setzte; es fuhr sogleich die an der Tête befindlichen zwei Batterien auf, die nun hier die feindliche Artillerie von St. Monges und Floing sich gegenüber hatten. Um elf Uhr standen diese Batterien im heftigsten Geschützfeuer, und hier kam es zu der Kampfscene, welche meine Illustration darstellt.

Während nämlich die Kugeln unserer Batterien in dichte Massen von Franzosen hineinschlugen, traf das auf das Heftigste erwidernde Feuer derselben nicht unsere Artillerie, sondern die Bedeckung derselben, eine Husarenescadron vom 11. Corps. Auf einem vom Regen überschwemmten Acker ohne die geringste Möglichkeit irgendwelchen Schutzes dastehend, mußten die braven Husaren ruhig aushalten, mußten die Cameraden um sich herum stürzen sehen, und sie thaten’s ohne Zucken und Wanken. Mir schilderte kurz nach der Schlacht diese Scene ein Officier, der selbst dabei schwer verwundet wurde und der des Lobes voll war über die Standhaftigkeit und den heiteren Muth, den seine Escadron in diesem Augenblick bewährt habe, wo sie, die nur eine Angriffswaffe ist, ruhig dem fürchterlichen Angriff, gegen den sie keine Abwehr hatte, Trotz bieten mußte. Und weil nun dies einer der Momente ist, in welchem die moralische Kraft und Ueberlegenheit unserer Truppen sich auf’s Glänzendste zeigte, so hielt ich es für Pflicht, ihm in der Gartenlaube ein dauerndes Andenken zu stiften.



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Autor: Unbekannt
Titel: Auf Vorposten vor Metz
aus: Die Gartenlaube 1872, Heft 46, S. 753, 764


[753]

Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 8. Auf der Feldwache vor Metz.
Von Chr. Sell in Düsseldorf.

[764] Auf Vorposten vor Metz. (Mit Abbildung S. 753.) Einer der interessantesten Beobachtungspunkte vor Metz war eine so ziemlich gleichweit von zwei wichtigen Forts, dem St. Quentin und Queulen, südwestlich und in der Nähe der Nancyer Eisenbahn zwischen Tournebride und Frescaty gelegene Anhöhe. Hier lag gerade vor uns die große, durch ihre zahlreichen Thürme so malerische Stadt, deren mächtiger Dom sich so prachtvoll über die Häusermasse emporhob. Im schönsten Wechsel durchziehen die Pappelreihen der Chausseen und die Windungen der Mosel das Thal, das ebenso viel Segen der Fruchtbarkeit wie Anmuth landschaftlicher Natur zeigt. Deshalb wurde diese Stätte auch nicht leer theils von harmlosen Beschauern, theils von dienstlichen Beobachtern, denn hier verzeichnen unsere Kriegskarten einen der äußersten „Beobachtungsposten“.

Für die Vorposten war hier eine besonders beschwerliche Stelle: der Doppelposten Nr. 1 auf der Höhe eines Vorhügels, auf welchem man den feindlichen Vorposten auf etwa vierhundert Schritt nahe stand und den freiesten Ausblick nach Metz hinab hatte. Hier war ein kleiner Wall aufgeworfen und in denselben ein paar Schutzbretter gesteckt. Die Vorposten lagen, die Gewehre auf den Wall gelegt, ausgestreckt dahinter auf dem Boden und mußten jede von außen bemerkbare Bewegung vermeiden, wenn sie nicht sofort die feindlichen Kugeln herbeilocken wollten. Bei der Ablösung kroch erst der eine Mann zurück, und nachdem dessen Platz der Nachfolger eingenommen hatte, geschah der Wechsel auf dem andern Platz. Trotz der außerordentlichen Vorsicht bei dieser Art Ablösung versäumten die Franzosen nie die Gelegenheit, ein paar Dutzend ihrer blauen Bohnen zu verpuffen. – Auf diesem schweren Posten hatte der Mann zwei Stunden auszuhalten, und zwar mit dem Gefühl, daß er nicht blos vom Feinde von vorn, sondern auch von seinen Officieren von hinten mit gleicher Aufmerksamkeit beobachtet werde. Unser Bild zeigt uns im Hintergrund die liegenden Vorposten im Augenblick, wo die Ablösung hinzuschleicht.

Von den beiden auf unserem Bilde sichtbaren Forts ist das zur Linken St. Quentin, das zur Rechten Queulen. Ersteres spielte hier die Rolle des Pariser „Bullrian“, indem es am häufigsten seine Geschütze brummen ließ. – Die sehr ursprüngliche Hütte zur Linken stellt das Wachtlocal der Mannschaft vor. Die Gruppen von Officieren und Soldaten sind aus dem Griffel unseres Künstlers so lebendig hervorgegangen, daß sie sich selbst erklären.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe Meine erste Schleichpatrouille (Heft 6) und In den Batterien vor Paris (Heft 7), beide Band 1871 der Gartenlaube