Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Die Gleichensche Doppelehe

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Von den drei Gleichen Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
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[303]
425.
Die Gleichensche Doppelehe.

Kaum hat eine thüringische Sage so allgemeine Verbreitung gefunden, als die von dem zweibeweibten Grafen von Gleichen, auch kaum eine so viele gelehrte Streithahnfedern in Bewegung gesetzt, als eben diese, höchstens hat der „Püsterich“ solche überflüssige Schreiberei noch überboten. Die unselige Sucht, eine Sage nicht als Sage gelten lassen zu wollen, sondern einestheils sie mit Gewalt zu einer geschichtlichen Thatsache zu stempeln, anderntheils alles aufzubieten, um zu beweisen, was sich von selbst versteht, daß die Sage keine Geschichte ist, dieß zwecklose [304] Treiben verdirbt alle Poesie, und ist der Welt völlig unnütz.

Die Sage lautet: Ludwig (andere nennen ihn Ernst), Graf von Gleichen, nahm Theil an dem Kreuzzuge, dem sich Ludwig der Heilige, Landgraf von Thüringen, unter dem Banner Kaiser Friedrich II. angeschlossen hatte. Graf Ludwig war am Thüringer Landgrafenhofe ritterlich erzogen worden, und soll mit einer Gräfin von Orlamünde vermählt gewesen sein, die ihm zwei Kinder geboren. Nachdem Landgraf Ludwig seinen frommen Eifer mit dem Tode gebüßt, folgte Graf Ludwig dem Kaiser nach Accon, und blieb zum Schutze der Stadt Ptolemais zurück, nachdem der Kaiser sich bereits zur Rückkehr eingeschifft hatte. Bei einem Ausfalle oder Streifzuge gegen die Ptolemais umlagernden Sarazenen gerieth der deutsche Graf in die Gefangenschaft der Araber, wurde an den Sultan Aegyptens verkauft und nach Alkair gebracht. Dort mußte der Graf harte Sclavenarbeit verrichten, und schmachtete neun Jahre in der Gefangenschaft, bis die Tochter des Sultans, welcher Melech-Sala hieß, das ist König des Heiles oder Friedens, lebhaft von ihm eingenommen wurde, beim ergehen im Garten ihm aufmunternd begegnete, und ihm endlich aus großer Liebe antrug, mit ihm zu entfliehen, wenn er sie zum Weibe nehmen wolle. Graf Ludwig von Gleichen war aufrichtig genug, der schönen Sarazenin seinen Stand und seine Herkunft zu entdecken, und ihr zu sagen, daß er bereits in seiner fernen Heimath eine Frau und zwei Kinder habe. Daran fand nun die sarazenische Jungfrau gar keinen Anstoß, da der muhamedanische Glaube jedem Manne gestattet, so viele Frauen zu nehmen, als er ernähren kann. Und die Liebe der Jungfrau, die Hoffnung [305] auf Befreiung und vielleicht die eigene Neigung bezwangen den Grafen, und er gab endlich der Sultanstochter das Versprechen, sich mit ihr ehelich zu verbinden, wenn sie ihm Freiheit verschaffen und ihm folgen wolle. Die Liebe der Jungfrau wußte alle Schwierigkeiten, die dem Fluchtplane sich entgegen stellten, zu überwinden, und mit ihren besten Schätzen versehen, entflohen sie auf einem Schiffe, und kamen nach sechswöchentlicher Fahrt zu Venedig an. In Venedig fand der Graf seinen liebsten und vertrautesten Diener, der ihn in allen damals bekannten drei Welttheilen gesucht hatte, und erfuhr von ihm, daß daheim noch alles gut stehe, und seine Gemahlin nebst seinem Kinderpaare noch lebe. Auf diese Nachricht reiste Graf Ludwig ohne Verzug nach Rom, allwo Gregor IX., den man den großen nannte, auf dem päpstlichen Stuhle saß, und theilte dem Papst sein ganzes Schicksal und alle seine Erlebnisse mit. Der Papst begnadigte den Grafen mit stattlichen Gaben, heiligte die sarazenische Jungfrau durch das Sakrament der Taufe, und gab dem Grafen kräftige Empfehlungsbriefe an den Kaiser, worauf derselbe mit den Seinen von Rom aus durch Italien zurück und über die Alpen durch Bayern und Franken den nächsten Weg nach Thüringen einschlug, und als er noch zwei Tagereisen vom Schloß Gleichen entfernt war, reiste er der Sarazenin voraus, kam zu Weib und Kindern und wurde auf das freudigste von seiner Gemahlin wiedererkannt und willkommen geheißen. Der Graf theilte nun seiner Hausfrau alles mit, was und wie es sich begeben, und daß er ohne die Hülfe der Sarazenenjungfrau aus königlichem Stamme nimmermehr die Seinen und sein Land würde wiedergesehen haben, und bewegte sein Weib [306] zu Dank und Liebe gegen die Fremde. Wie diese letztere sich nun Burg Gleichen näherte, zog der Graf mit seiner Gemahlin und seinen zahlreichen Freunden, die von allen Seiten herbeigeströmt waren, ihn glückwünschend wieder zu begrüßen, ihr mit großem Festgepränge entgegen, holte sie feierlich ein und führte sie wie in einem Triumphe in die Burg. Die Stätte der ersten Begegnung am Bergesfuße, an welchem beide Frauen einander schwesterlich umarmten und küßten, wurde alsbald „Freudenthal“ genannt, und der längst verwahrloste, jetzt schnell hergestellte Weg zur Burg hinan hieß fortan „der Türkenweg“. Jederzeit hat die Gräfin von Gleichen die Sarazenin als ihres geliebten Herrn Erretterin geehrt und geliebt, und letztere hat diese Liebe durch Demuth und Freundlichkeit vergolten. Niemals ist erhört worden, daß irgend ein Mißverstand oder eine Klage zwischen diesen beiden Gemahlinnen des Grafen entstanden, sondern jede hat ihren Herrn in Einig- und Freundlichkeit allezeit lieb und werth gehabt. Die Sarazenin war mit hoher Schönheit geschmückt, aber es blieben ihr Kinder versagt, um so mehr liebte sie die Kinder der deutschen Gräfin, und trug für deren Wohlergehen die fleißigste Sorge. Sie war ein Muster aller Frömmigkeit, aller Würde, aller Demuth, aller Holdseligkeit und Freundlichkeit. In ziemlich hohen Jahren starb sie und wurde im St. Petri-Stift zu Erfurt feierlich beigesetzt. Zwei Monate nach ihr schied auch die deutsche Gräfin, welche ihrem Gemahl noch drei Kinder geschenkt hatte, aus dem irdischen Leben, und wurde ihrer vorangegangenen schwesterlichen Freundin zugesellt. Der Graf selbst verschied im 60. Lebensjahre, und seine Kinder, zwei Söhne und drei Töchter, ließen ihn zwischen die beiden Frauen bestatten, [307] auch für alle drei einen herrlichen Grabstein künstlich herrichten, darauf ihre Bildnisse zu ersehen sind, denn der selbe Stein ist vom St. Petri-Berge herab gebracht und im Dome zu Erfurt aufgerichtet worden, ein redender Sagenzeuge für alle kommenden Jahrhunderte. –