Friedrich List und die erste große Eisenbahn Deutschlands

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Autor: Robert Krause
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Titel: Friedrich List und die erste große Eisenbahn Deutschlands
Untertitel: Ein Beitrag zur Eisenbahngeschichte
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Entstehungsdatum: 1887
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Eduard Strauch
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Beschreibung Friedrich Lists Taten und der Leipzig-Dresden-Eisenbahn
Siehe auch Eisenbahn
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[Titel]

Friedrich List
und die
erste große Eisenbahn
Deutschlands.
Ein Beitrag zur Eisenbahngeschichte.


Von
Robert Krause,
Herausgeber der Allgemeinen Deutschen Eisenbahn-Zeitung.

Mit 2 Zinkographien.



Leipzig,
Verlag von Eduard Strauch.
1887.

[1]

Vorwort.

Je seltener von jeher die Männer waren, die das Genie und den Muth besaßen, trotz aller Hindernisse, die ihnen ihre Zeit in den Weg legte, beharrlich und unter Ansetzung ihrer ganzen Kräfte die Hebung ihrer Nation zu einem in sich gefestigten und zu höchster Machtentfaltung fähigen Gesammtkörper zu erstreben, um so mehr ist es unsere Pflicht, uns mit diesen Männern bekannt zu machen und sie als fördernde Freunde des Vaterlandes zu feiern und zu ehren. Einen solchen Mann haben wir in Friedrich List vor uns. Zu einer Zeit, da Deutschland noch in Zerrissenheit und in Abhängigkeit vom Auslande darnieder lag, hat er durch seinen weitschauenden Geist in genialster Weise wirthschaftliche Systeme entworfen, welche die Einheit und Macht des Vaterlandes bedingten, und ist in bewundernswürdiger Weise für deren Ausführung eingetreten. Noch heute gilt List, so wenig er sonst den weiteren Kreisen der Gebildeten bekannt ist, als der größte Volkswirth. Seine Schriften sind die Quelle einer überaus großen Menge erhabener, jedes vaterländisch gesinnte Herz erfreuender und belebender Gedanken, die gerade in unserer Zeit der erreichten nationalen Einigung zur Kräftigung und Ueberzeugung des Volksgeistes wirken und den erbitterten Gegnern nationaler Schutzsysteme als ein Spiegel dienen könnten. Diese Andeutung möge hier genügen, da im Uebrigen nur auf einen Theil von List’s Thätigkeit: auf seinen Entwurf eines deutschen Eisenbahnsystems und auf seine Agitation für dasselbe, eingegangen werden und dieses auch nur in Form eines Vortrages geschehen soll, welchen Verfasser bei [2] Gelegenheit des fünfzigjährigen Jubiläums der am 24. April 1837 stattgefundenen ersten Eisenbahnfahrt in Sachsen im Verein der Kgl. Sächsischen Staats-Eisenbahnbeamten zu halten die Ehre hatte.

Um aber in dem gebotenen engen Rahmen ein möglichst eindrucksvolles Bild zu geben, hat Verfasser neben einer auf die Betriebseröffnung der ersten sächsischen Eisenbahn bezüglichen Mittheilung und bildlichen Darstellung noch eine Reihe anderer Bemerkungen, sowie die Abbildung des List’schen Entwurfes zu einem Deutschen Eisenbahnsystem angefügt und hofft so den Zweck erfüllt, List’s Thätigkeit beim Zustandekommen der Leipzig-Dresdner Eisenbahn als der ersten großen Verkehrsbahn Deutschlands würdig gedacht und damit zugleich einen schätzbaren Beitrag zur Eisenbahngeschichte geliefert zu haben.

     Leipzig, im Juni 1887.

Der Verfasser.

[3]

Wohl traurig ist’s, wenn rühmliches Verdienst
Durch spät’re Ungebühr verdunkelt wird,
Erfreulich aber, wenn, noch unerstickt,
Der bess’re Geist zum Rechten sich ermannt

5
Und allen Ruhm erneut.

               Ludwig Uhland

Der ehemalige sächsiche Cultusminister Dr. von Falkenstein, der sr. Zt. als Kreisdirector von Leipzig in verdienstvoller Weise den Bau der Leipzig-Dresdner Bahn gefördert hat, beklagte sich einmal bitter über die geringe Erkenntlichkeit späterer Geschlechter. Er sagte, man setze sich jetzt ohne weiter daran zu denken, daß es jemals anders gewesen sein könnte, in den Wagen ohne alle Furcht oder sonstige Bedenken und spreche nur allenfalls seinen Unwillen darüber aus, daß die Fahrt nicht rascher vor sich gehe, daß die Wagen nicht bequemer seien, daß durch öfteres Anhalten zu viel Zeit verloren werde und was dergleichen mehr; wer aber der ersten Probefahrt von Leipzig nach Althen auf der Locomotive mit beigewohnt und gesehen habe, wie von den Tausenden von Zuschauern alles von dem neuen und wunderbaren Schauspiele tief ergriffen und selbst bis zu Thränen gerührt gewesen — man habe sich nicht einmal laut zu sprechen getraut, geschweige denn zu rufen; scheu und ängstlich haben die Dorfbewohner auf die unheimliche dampfende Maschine geschaut — der empfinde sicher heute noch die ganze Großartigkeit jener Schöpfung und könne es nur beklagen, daß der Mensch, wenn er einmal im Besitz und im Glücke, auch zu leicht der Personen vergesse, durch deren Genie und Kraft mit unglaublichen Anstrengungen und großen Opfern dieser Besitz und dieses Glück geschaffen worden. Wer spreche jetzt z. B. in Sachsen noch viel von jenen Männern wie List, Harkort, Dufour-Feronce, Seyfferth, Lampe und Kunz!? „O, undankbares Geschlecht!“ ruft von Falkenstein aus, „jetzt wo uns vieljährige Erfahrungen im Eisenbahnwesen zur Seite stehen, ist es freilich keine Kunst mehr, Eisenbahnen zu bauen!“

Heute, nach einem Zeitraume von fünfzig Jahren, muß es sonach um so löblicher erscheinen, wenn wir wieder einmal der Verdienste jener Männer gedenken, welche das Riesenunternehmen [4] der Herstellung der ersten größeren, 115 Kilom. langen Eisenbahn Deutschlands ins Werk setzten.

Aber wie in vielen Dingen, so ist auch hier die Zeit es gewesen, welche uns, den Nachkommen, gebietet, die Gaben unseres Dankes hier und da anders zu vertheilen, als dies die Zeitgenossen vermochten. Es ist nun einmal die Schattenseite aller Gegenwart, daß sie nur selten gestattet, den Werth und das Verdienst der in ihr um die Bessergestaltung der Dinge Ringenden voll zu würdigen. Nur wenigen wird dieses Glück zu Theil; in den meisten Fällen findet, je nach Gunst der Verhältnisse, eine Ueber- oder Unterschätzung des Einzelnen statt. Erst wenn Jahre dahingegangen und die Saaten einstigen hohen und edlen Strebens aufgegangen sind und deren Segen für die Menschheit erkennbar geworden, gebietet der unparteiische Blick der Nachwelt die Feststellung gebührenden Verdienstes und Ruhmes.

Unter den Männern, welche die Leipzig-Dresdner Bahn in’s Leben riefen, nennt uns auch Dr. von Falkenstein an erster Stelle den Namen List. Dieser Name ist stets zuerst genannt worden, wenn es sich um eine Aufzählung der verdienstvollen Begründer jenes Unternehmens gehandelt hat. Daraus aber schließen zu wollen, daß List bereits genügend gewürdigt worden, müßte als ein Irrthum hingestellt werden, der nur aus der Unkenntniß der List’schen Thätigkeit hervorgegangen sein könnte. Zwar haben wir die Genugthuung, daß neuerdings mehr und mehr der Ruhm dieses Mannes als der größte Volkswirth unserer Nation in breitere Schichten der Gebildeten dringt, aber bis auf wenige hocherfreuliche Ausnahmen[1] war bis vor Kurzem im Allgemeinen nur wenig für die Klarstellung seiner Verdienste geschehen, obgleich er verdiente, dem Volke ebenso bekannt zu sein, wie so viele andere großen Männer, die für das Wohl ihres Vaterlandes ihr Bestes und Alles einsetzten und denen die Nation so gern eine dankbare Gesinnung wahrt.

Am allerwenigsten hat sich nach dieser Richtung hin eine Schrift Mühe gegeben, der es zu allererst zukam, wenn auch nicht List’s ganzer Wirksamkeit als Volkswirth, so doch seiner [5] Thätigkeit beim Zustandekommen der Leipzig-Dresdner Bahn als erste große Vollbahn Deutschlands rückhaltloser und freudiger zu gedenken, als dies in der That geschehen. Es ist dies die Schrift, welche die ehemalige Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie im Jahre 1864 zur Feier des 25jährigen Jubiläums der Eröffnung der ganzen Strecke von Leipzig nach Dresden herausgegeben hat. Zwar sieht auch sie sich veranlaßt, List’s als Desjenigen zu gedenken, welcher zuerst den Anstoß zum Baue dieser Bahn gegeben hat, im Uebrigen aber merkt man ihr’s an, daß es ihr schwer gefallen ist, List’s Verdienste anzuerkennen, denn sie beschränkt sich nur auf Abwehrungen, die uns, da wir sie nicht als absichtlich falsch annehmen wollen, heute in Anbetracht der inzwischen vollkommen veränderten Zeitlage recht unzutreffend erscheinen. Anstatt zudem offen anzuerkennen, daß List anfangs nicht nur der Anreger, sondern auch die Seele der ganzen Angelegenheit war, und anstatt — wie das meist bei den übrigen um dieselbe verdienten Männern geschehen — näher anzugeben, worin List’s Thätigkeit bestand, beschränkt sich die Schrift meist darauf, zu sagen, daß List „mit dabei“ war.

Diesen Abwehrungen und Verschweigungen List’scher Verdienste haben wir es denn wohl auch besonders zu danken, daß bis heute in Leipzig selbst kein öffentliches Zeichen, weder ein Denkmal, noch ein Straßenname, von ihm spricht. Der einzige Ausnahmefall hiervon ist aber sonderbar und bezeichnend genug:

Als im Jahre 1876 die Leipzig-Dresdner Eisenbahn in Staatsbesitz überging, da beschlossen die dankbaren Actionäre, dem Mitbegründer und verdienstvollen langjährigen Leiter des Unternehmens, Gustav Harkort, ein dauerndes Zeichen ihrer Anerkennung zu widmen, und sie setzten ihm gegenüber dem Dresdner Bahnhofe zu Leipzig in den öffentlichen Anlagen ein Denkmal — eine Colossalbüste auf hohem Syenitsockel. Harkort ist außerdem noch durch ein Medaillonbild unter einem baldachinartigen Aufbau im Treppenhause des Directorialgebäudes verewigt. Mit der Errichtung eines Harkort-Denkmals auf öffentlichem Platze wurde aber in dem mit der Geschichte der Bahn weniger vertrauten Publicum der Glaube erweckt, als sei Harkort allein als Derjenige zu bezeichnen, der das Unternehmen in’s Leben rief. So hoch auch dessen Verdienste um die Leipzig-Dresdner Bahn und namentlich um deren Fortentwicklung anzuschlagen sind, so wird doch Jeder, dem ein tieferer Einblick in die Entstehungsgeschichte vergönnt war, zugestehen, daß die Erregung einer solchen Annahme gleichbedeutend [6] gewesen wäre mit einer Zurücksetzung der Verdienste der übrigen bei dem Werke hervorragend Betheiligten. Um es dahin nicht kommen zu lassen, hat nicht lange nach der Errichtung des Harkort-Denkmals ein Mitbegründer der Bahn, nicht weit von jenem eine hohe, von einem prachtvollen eisernen Gitter umkränzte Porphyrsäule errichten lassen, welche auf ihrer vorderen Seite die Inschrift „Leipzig-Dresdner-Eisenbahn“ trägt und darunter die Worte:

„Erste große Verkehrsbahn Deutschlands, erste Locomotivbahn
     Sachsens — wurde angeregt 1833 durch
          Friedrich List,
     ins Leben gerufen durch Bürger Leipzigs:
Albert Dufour-Feronce, Gustav Harkort, Carl Lampe, Wilhelm Seyfferth.“

Auf der Rückseite wird der Ober-Wasserbau-Inspector Kunz als Erbauer genannt, und erwähnt, daß am 1. März 1836 der erste Spatenstich gethan, am 7. April 1839 die Gesammtlinie eröffnet und am 1. Juli 1876 die Bahn an den Staat übergeben wurde. Auf den beiden Seitenplatten stehen die Namen des ersten und letzten Directoriums der Eisenbahncompagnie. —

Der Name des Mannes, der diese Säule aufstellen ließ, ist öffentlich nicht genannt worden, doch vermuthet man, daß es Bankier Wilhelm Seyfferth war, derselbe, welcher zuerst, durch List angeregt, den weiteren Anlaß zur Bildung eines Eisenbahncomités gegeben hat, und derselbe, von welchem auch schon in einem Berichte[2] über die Feier der Betriebseröffnung [7]

Dampfwagenfahrt von Leipzig nach Althen.
Getreue Nachbildung eines Kupferstiches aus dem Jahre 1837.

[8] auf der Theilstrecke von Leipzig nach dem Dorfe Althen am 24. April 1887 gesagt war, daß er „als ein ehrendes Zeichen für den biederen Sinn der Leipziger Mitbürger“ einen Toast auf den amerikanischen Consul, Herrn List, ausbrachte, als den Ersten, der die Idee von Eisenbahnen in Leipzig angeregt und wesentlich zur Begründung des Unternehmens beigetragen habe. Doppelt ehrend für Wilhelm Seyfferth war es, daß er auch nach Jahrzehnten dieselbe dankbare Gesinnung dem genialen vielverkannten List erhalten hat und dafür sorgte, daß sein Name [9] wenigstens nicht ganz ohne öffentliches Erinnerungszeichen[3] in Leipzig geblieben ist.

Daß aber Friedrich List in der That es verdient, als der erste und verdienstvollste unter den thatkräftigen Männern zu gelten, welche die Leipzig-Dresdner Bahn ins Leben riefen, ergiebt sich aus der Geschichte von selbst. Freilich weniger aus derjenigen, welche die schon genannte Jubiläumsschrift vom Jahre 1864 darstellt. Dieselbe stand eben noch nach den damaligen Zeitverhältnissen auf dem Standpunkte des Privatinteresses, und ihre Verfasser mögen sich durch Rücksichten auf dieses und ähnliche Umstände in der Darstellung von List’s Antheil an der Begründung des Unternehmens beschränkt gesehen haben. Doch an dem sei, was da wolle, uns ist es inzwischen vergönnt gewesen, zu erleben, daß das Privatinteresse dem Staatsinteresse hat weichen müssen; die Privatbahnen sind Staatsbahnen geworden, und unsere Nation steht gekräftigter da als jemals — blühend in Industrie, Handel und Verkehr nach innen und außen und gefestigt durch ein in der Hauptsache nunmehr einheitliches Eisenbahnsystem. Ein solches aber war es, was List in wahrhaft prophetischer Begabung voraussah und worauf er mit allen Kräften loszielte, als er seine Agitation für die Einführung der Eisenbahnen begann.

Bereits als er im Jahre 1824 auf dem Hohen-Asberg saß, wohin er von der Württembergischen Regierung wegen verschiedener uns heute als selbstverständlich erscheinender bürgerlicher Freiheitsbestrebungen gebracht worden war, hatte sich List mit den Eisenbahnen beschäftigt. Zur vollen Erkenntniß vom Werthe und der Bedeutung derselben kam er aber erst, als er in Amerika Gelegenheit fand, selbst den Bau einer Eisenbahn [10] zu unternehmen und sich durch die Einträglichkeit seiner dortigen Unternehmungen wirthschaftlich soweit unabhängig zu machen, daß er fast ausschließlich seinen Ideen über das Wesen der Eisenbahnen nachgehen konnte. Es erwachte in ihm der Gedanke, daß man die Eisenbahnen zur Grundlage eines großen nationalen Transportsystems machen müsse, und der Wunsch in ihm wurde immer größer in seiner deutschen Heimath für ein solches wirken zu können. „Mitten in den Wildnissen der „blauen Berge“ träumte mir von einem deutschen Eisenbahnsystem, es war mir klar, daß nur durch ein solches die Handelsvereinigung in volle Wirksamkeit treten könne.“ Ganz neue ahnungsvolle Gedanken über die Zukunft seines Vaterlandes gingen dem in weite Ferne Gebannten auf. Er fühlte die belebende Kraft eines über ganz Deutschland ausgedehnten Eisenbahnbetriebes voraus, er sah im Geiste die mächtigen Wirkungen derselben sowohl auf die dereinstige Einigung des damals noch in 36 Staaten und Stätchen zerrissenen Vaterlandes, als auf die Stärkung der National-Vertheidigung und die Beförderung aller Cultur und Gesittung. Er erblickte in den Eisenbahnen das Mittel zur beschleunigten und erleichterten Vertheilung aller geistigen, industriellen und gewerblichen Erzeugnisse, sowie die Mehrer aller Bildung und Belehrung jedes Einzelnen; ihm wurde es klar, daß durch die Eisenbahnen aller Theuerung der Lebensmittel und Hungersnoth vorgebeugt werde, daß die Krankheiten vermindert und leichter geheilt werden würden. Ihm erschienen die Eisenbahnen als die besten Vermittler des familiären und freundschaftlichen Verkehrs, da sie schneller die Eltern mit Sohn und Tochter, den Freund mit dem Freunde verbinden. Das Uebel der Kleinstaaterei und des provinziellen Eigendünkels sah er vernichtet und die Glieder der deutschen Nation zu einem streitbaren und kraftvollen Körper verbunden. —

Wie einfach und selbstverständlich kommt uns doch heute das alles vor, und wie weit, weit lag es noch zurück, da List es im Geiste schon erfüllt sah!

Mit vollem Rechte durfte er von sich behaupten, daß er in den Stand gesetzt war, die Bedeutung der Eisenbahnen umfassender abzuhandeln, als irgend ein anderer Volkswirth in England, Frankreich oder Nordamerika, Deutschland gar nicht gerechnet, wo zu jener Zeit überhaupt fast keinerlei wirthschaftliche und industrielle Selbstständigkeit zu finden war, sondern alles [11] bis auf wenige Ausnahmen in schmachvoller Weise vom Auslande abhing. —

Obwohl sich in Amerika List’s äußere Lage immer vortheilhafter gestaltete, so ließ ihm doch der Plan eines großen deutschen Eisenbahnsystems keine Ruhe mehr und machte ihn, wie er selbst sagte, unglücklich mitten im Glück. „Mir geht’s mit meinem Vaterlande, wie den Müttern mit ihren krüppelhaften Kindern, sie lieben sie um so stärker, je krüppelhafter sie sind.“ „Im Hintergrunde aller meiner Pläne liegt Deutschland, die Rückkehr nach dort.“

Ende 1830 landete er denn wieder in Europa. Was er sich durch seinen fünfjährigen erfahrungsreichen Aufenthalt in einem jungen lebenskräftigen Staate, durch fleißige Studien der Staaten- und Völkergeschichte, sowie durch sein Nachdenken über das Verhältniß der wirthschaftlichen Thätigkeit zur politischen Macht und Größe der Völker an Kenntnissen angeeignet, das wollte er dem Vaterlande zu Nutze machen, und insbesondere sollte seine Aufgabe die Anstrebung von Eisenbahnen sein, deren erzeugende Kraft nach seiner Ueberzeugung das Mittel zu Deutschlands Machtentfaltung bilden würde.

Nachdem er sich verschiedener Geschäfte für die amerikanische Regierung in Frankreich entledigt hatte, jedoch nicht, ohne auch hier für die Einführung der Eisenbahnen eingetreten zu sein, war er fest entschlossen, für die Ausführung seiner Pläne in Deutschland thätig zu sein. Er hatte deshalb seine Familie, die noch drüben in Amerika geblieben war, nach und ließ sich zunächst in Hamburg nieder. Hier fand er aber kein Entgegenkommen für seine großen Ideen und mußte wahrnehmen, daß man einem Engländer, der ein deutsches Eisenbahnsystem für unmöglich hielt, mehr glaubte als ihm. Doch das verdroß ihn nicht. Ihm waren ja die damaligen beengten deutschen Anschauungen nicht fremd. Er überzeugte sich bald, daß von Innern Deutschlands aus nachhaltiger gewirkt werden könne und ersah sich Leipzig, den Mittelpunkt des damaligen Binnenhandels und des wissenschaftlichen Lebens, als zukünftigen Aufenthaltsort aus. Er hoffte, hier den geeigneten Wirkungskreis für seine literarische Thätigkeit und diejenigen Männer zu finden, mit denen er gemeinschaftlich für den Bau einer Eisenbahn thätig sein könnte. In dieser letzteren Hoffnung konnte er sich um so mehr bestärken, als sich in Leipzig in der That das Bedürfniß nach besseren Verkehrswegen und Mitteln dringend geltend machte und als von jeher die Leipziger Handelsherren in [12] rühmlicher Weise verstanden haben, sich in die Erfordernisse der Zeit zu finden und den Ruf Leipzigs als Hauptplatz des Binnenhandels zu wahren. — Daß ihnen aber dieser Zweck der Selbsterhaltung zunächst und am höchsten stehen mußte, darin beruht, wie wir gleich hier bemerken wollen, der Gegensatz zu List’s Bestreben, nicht nur ausschließlich örtliche Interessen zu fördern, sondern vor allem die Hebung der culturellen Verhältnisse des ganzen deutschen Vaterlandes zu bezwecken. ——

Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts hatten die Leipziger Kramermeister und Handelsherren das der Stadt Leipzig im Jahre 1458 vom Kaiser Friedrich III. verliehene Meßprivilegium in seinem vollen Umfange mit großer Zähigkeit aufrecht zu erhalten gewußt. Aber der wachsende Verkehr bedingte mehr und mehr den Verfall der Kraft jenes Vorrechtes, nach welchem in einem Umkreise von 15 Meilen andere Orte weder einen Markt, noch eine Messe, ja nicht einmal eine Waarenniederlage halten sollten, sondern angewiesen waren, ihre Waaren von dem mit sogenanntem Stapelrechte versehenen Leipzig zu beziehen. Durften doch nicht einmal Waaren, ausgenommen Getreide, Holz, Steine und ähnliche Rohproducten durch jenen Kreis gefahren werden, ohne den Weg nach dem Stapelorte genommen zu haben. Kein Wunder also, daß sich dieser Zwang für andere aufstrebende Orte immer lästiger gestaltete und daß auch Leipzig, als die Entkräftung dieses Privilegiums Anfang dieses Jahrhunderts nicht mehr zu hindern war, seinen Handel durch neue nachhaltige Mittel außer Gefahr zu bringen und neu zu beleben suchte. Diese Mittel sah man, im Gegensatz von den bisherigen privilegirten, in der Schaffung freier Verkehrswege. Hatte man früher den ungehinderten Verkehr auf der Elbe im Interesse des Stapelrechtes hartnäckig bekämpft, so glaubte man jetzt, daß der Stadt durch die von Hamburg bezogenen Güter auf der Elbe und auf der Saale wesentlicher Vortheil erwachsen werde, ja, man beschäftigte sich sogar mit dem Gedanken einer Canalverbindung, und hier und da war auch die Rede schon von Eisenbahnen gewesen.

List fand also in Leipzig das Bedürfniß zur Schaffung neuer Verkehrswege vor, und mochte auch zunächst alles, was man hier zur Erleichterung des Verkehrs zu thun gedachte, nur im örtlichen Interesse beabsichtigt sein, so mußte er doch froh sein, in Deutschland überhaupt vorerst einen Punkt gefunden zu haben, wo er den Hebel zur Ausführung seiner Pläne einzusetzen vermochte. Wie vortrefflich er es verstand, das allgemeine Interesse [13] an den Eisenbahnen zu wecken, werden wir nun erleben. Zunächst schrieb er gegen die Canalprojecte und wies immer von neuem auf die Vortheile der Eisenbahnen hin. Als er in Leipzig nach und nach als Vorkämpfer der Eisenbahnen bekannt wurde, trat er offener mit seiner Absicht, die öffentliche Meinung für ein deutsches Eisenbahntransportsystem zu gewinnen, heraus. Mit scharfem Blicke hatte er erforscht, daß der Bau einer Eisenbahn zwischen Leipzig und Dresden den geeignetsten Anfang dazu bilden werde, und er untersuche nun genau die Verkehrsverhältnisse zwischen diesen beiden Städten. Er ermittelte die Höhe des Fremdenverkehrs in Leipzig und berechnete darnach die muthmaßliche Ertragsfähigkeit der zukünftigen Bahn. Er bereiste die Strecke von Leipzig nach Dresden und zog in letzterer Stadt Erkundigungen ein über den Personenverkehr, den Steinkohlen-, Holz- und Salztransport und veröffentlichte dann als Ergebniß seiner umfassenden Forschungen und Vorarbeiten im Jahre 1833 ein Schriftchen „Ueber ein sächsisches Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems und insbesondere über die Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden“.

Zum ersten Male in Deutschland, ja auf dem Continente wurde in diesem Werkchen für die Einführung der Eisenbahnen in einer Weise eingetreten, wie dies klarer und überzeugender nicht geschehen konnte, und es sei hierzu bemerkt, daß dieses nur noch in sehr wenigen Exemplaren[4] vorhandene Buch heute um so interessanter ist, als dasselbe als eisenbahn- und culturgeschichtliche Quelle von höchstem Werthe geworden. Da ist nichts unerwähnt gelassen, was nur irgendwie geeignet war, den Werth und die Bedeutung der Eisenbahnen ins rechte Licht zu stellen. Meisterhaft ist das Für und Wider im allgemeinverständlichem Tone erwogen, und aus jedem Satze leuchtet die edle Begeisterung des Verfassers für sein Eisenbahnsystem von dessen neubelebender Kraft er sich so Großartiges für uns das deutsche Vaterland und im Engeren für Sachsen versprach. List hatte diese Schrift in einer Form verfaßt, in welcher sie zugleich als Eingabe an die sächsische Regierung gelten konnte. Er hatte dem Werkchen auch eine Karte beigegeben, auf welcher von ihm die Linien eines deutschen Eisenbahnsystems, wie er es sich dachte, [14] eingezeichnet waren. Wir finden, wie die Darstellung auf Ste. 24/25 zeigt, daß List, wenngleich er zuerst für eine Eisenbahn von Leipzig nach Dresden agitirte, mit richtigem Blicke in Berlin den Schwerpunkt des Verkehrs von Deutschland erkannte. Nicht weniger als sechs Eisenbahnlinien läßt er schon damals dort einmünden, die dann, wie auch die anderen von ihm entworfenen Linien, in der Hauptsache bereits nach 15 Jahren ausgebaut waren. Dieser Entwurf liefert den ersichtlichen Beweis, von welch’ erhabenem Standpunkte aus er seine ganze Thätigkeit für die Einführung der Eisenbahnen in Deutschland entwickelte. — Auch den Entwurf zu einem Enteignungsgesetze hatte er beigefügt, welcher nicht ohne Einfluß auf das bereits zwei Jahre darauf erschienene Enteignungsgesetz[5] der sächsischen Regierung geblieben ist. Ferner waren darin verzeichnet die Grundzüge zur Gründung einer Actiengesellschaft und zur Ausgabe von Cassenscheinen, beides Dinge, die ebenfalls baldigst zur Ausführung gelangten.

Mit dieser Schrift gelang es aber List nicht ohne weiteres, sich der allgemeinen Zustimmung zu versichern, sondern er wurde im Gegentheil verschiedentlich angegriffen und sogar lächerlich gemacht, und ein Professor für politische Volkswirthschaft, dem er die Schrift zur Begutachtung zugeschickt hatte, gab die „denkwürdige“ Antwort: es könne noch gar nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, inwieweit das von List vorgeschlagene Unternehmen nützlich und nothwendig sei, man könne nicht wissen, welche Richtung in Zukunft der Waarenzug (?) nehmen werde. [15] Diesen Orakelspruch veröffentlichte der Gelehrte auch in der von ihm herausgegeben Zeitschrift. Aber List ließ sich nicht entmuthigen. Er vertheilte nun seine Schrift kostenlos in 500 Exemplaren an sämmtliche sächsische Regierungsbehörden, an den Stadtrath und die Stadtverordneten in Leipzig, an beide Häuser des Landtages, an die Ministerien, den Prinzen und an den König, sowie an die Bankiers und Großhändler in Leipzig und Dresden. Jetzt erst wurde man aufmerksam und mit List’s Bestrebungen bekannt und vertraut. Von verschiedenen Seiten wurde ihm Dank ausgesprochen, und man gestand offen, List habe zuerst den großen Beweis geführt und die öffentliche Meinung darüber belehrt, daß es weniger auf den „Waarenzug“ als auf den Gesammtverkehr im Innern ankomme.

List lebte nun wieder auf und gewann neue Hoffnung für seine Sache. Es setzten sich alsbald junge, reiche und angesehene Bürger Leipzigs mit ihm in Verbindung, die für den Bau einer Eisenbahn mitzuwirken entschlossen waren. Der Erste, der sich erbot, war der schon genannte Bankier Wilhelm Seyfferth. List berieth mit ihm die nächsten Schritte. Später schlossen sich noch an: Albert Dufour-Feronce, Gustav Harkort und Carl Lampe, und man kam auf List’s Vorschlag hin überein, eine Eingabe an die Regierung und den Landtag zu machen.

Dieses Vorhaben fand sogleich die lebhafteste Unterstützung durch den allgemein beliebten und geachteten Vertreter der Regierung in Leipzig, den Hof- und Justizrath von Langenn. Dieser begeisterte sich noch mehr für die Eisenbahnen nach verschiedenen Unterredungen mit List über das Technische, Finzanzielle und Volkswirthschaftliche in dieser Frage. In der Eingabe wurde um ein Enteignungsgesetz und die Concessionierung einer Eisenbahn-Compagnie, sowie um die Erlaubniß zur Niedersetzung einer städtischen Commission und die Uebernahme der Vermessungs- und Untersuchungskosten nachgesucht. Die Bürgerschaft Leipzigs war durch Langenn zu einer Versammlung aufgefordert, um die Eingabe zu unterzeichnen. Es fanden sich 316 Unterschriften, und am 20. November 1833 ging die Eingabe an die Regierung nach Dresden ab. Bei dem um diese Zeit tagenden Landtage erfolgten hierauf anerkennende Erklärungen, ohne daß jedoch in der Sache selbst ein Beschluß erfolgen konnte. Der damalige Staatsminister von Carlowitz, der sich dem Projecte ebenfalls sehr günstig erwies, lud nun zur weiteren Besprechung den Herrn von Langenn und einen [16] Ausschuß aus der Mitte der Interessenten, deren Wahl ihm überlassen wurde, zu einer Conferenz nach Dresden ein. Es nahmen an derselben Theil der Minister von Carlowitz, Geh.-Reg.-Rath Dr. Merbach, Herr von Langenn, Harkort, Dufour, Lampe und Seyfferth. Der Minister sprach sich dahin aus, daß die Regierung der für das Unternehmen sich bildenden Gesellschaft für die zunächst zu ergreifenden Maßregeln entgegenkommen wolle. Es seien dabei jedoch die Interessen des Staates bezüglich der Post[6] zu berücksichtigen. Im Uebrigen hielt man die Befragung von Sachverständigen für erforderlich, wobei unter anderen besonders auf List verwiesen wurde. Der Grund, weshalb man List nicht gleich von vornherein mit zur Deputation heranzog, scheint der gewesen zu sein, daß man ihn immer noch als Fremden betrachtete und daß man befürchtete, es werde unangenehm berühren, wenn ein Mann, der mit der Regierung seines Landes einstmals in Zwiespalt gerathen war, mit bei der sächsischen Regierung eingeführt werde. List machte nun aber aus eigenem Anlaß dem Minister seine Aufwartung und wurde gerade von diesem gut aufgenommen, ebenso bei dem Könige und dem Prinzen Johann. Die Regierung hatte bald ihre Zustimmung im Sinne der Eingabe ertheilt, sie war einverstanden, daß von den Unterzeichnern derselben eine Commission zur weiteren Vorbereitung der Angelegenheit gewählt werde. Langenn ward daraufhin zum Regierungscommissar ernannt und der Oberlandfeldmesser von Schlieben zum technischen Beirath.

Am 10. Januar 1834 hielt von Langenn wiederum eine Conferenz zur Einleitung des Weiteren in der Eisenbahnfrage und zwar mit Harkort, Seyffetth, Dufour-Feronce, Lampe und List ab, wobei letzterer vorschlug, aus dem Kreise Derer, welche die Eingabe an die Regierung unterzeichnet hatten und aus dem, Interesse an der Sache nehmenden Publicum ein Comité wählen zu lassen. Auch diesem Vorschlage stimmte man zu.

Doch während der Zeit der bisherigen Verhandlungen im engeren Kreise war namentlich durch die zollpolitischen Vorgänge, welche damals die öffentliche Meinung beherrschten, das Interesse des Publicums von der Eisenbahnfrage weit abgelenkt worden. Es galt daher, dieselbe von Neuem zu beleben. Da war es abermals List, der zu helfen verstand. Er entwarf ein Schriftchen: „Aufruf an unsere Mitbürger in Sachsen, die Anlage einer Eisenbahn zwischen Leipzig und [17] Dresden betreffend“. In diesem Schriftchen, im Umfange eines Druckbogens, zeigte sich wiederum List’s ganze geniale und zuversichtliche Auffassung von der Bedeutung der Eisenbahnen. Nicht nur in vorzüglicher Klarheit alles vorführend, was damals über das Eisenbahnwesen gesagt werden konnte, eröffnete er zugleich mit wahrhaft prophetischer Begabung Ausblicke in eine neue bessere Zeit und wußte, dabei stets die nationale Aufgabe betonend, die allgemeine Begeisterung für die Eisenbahnen auf das nachdrücklichste zu wecken. Unterzeichnet war diese Schrift mit: „Mehrere Unterzeichnete vom 20. November 1833“ (dem Datum der ersten Eingabe an die Regierung.)

„Mitbürger!“ so schreibt List u. A., „wir sind früher zusammengetreten, um in einer Eingabe an die Regierung um Protektion und Unterstützung einer Unternehmung zu bitten, die unser aller Wohl betrifft. Unser Vaterland, das gewerbreiche und -thätige Sachsen, ein Land, das durch seine natürlichen Reichthümer, wie durch die Tüchtigkeit seiner Bewohner und durch seine Fortschritte in Wissenschaft und Kunst und in allen Nahrungszweigen berufen ist, mit den ersten Ländern der Erde zu wetteifern, hat sich uns (den Unterzeichnern der Eingabe) durch seine Repräsentanten zur Seite gestellt. Ganz Deutschland hat mit Beifall diese Stimme von einem Punkte aus vernommen, welcher für die die gesammte deutsche Industrie in allen Beziehungen einer der wichtigsten ist, und von wo aus es billig in dieser National-Angelegenheit ein großes Beispiel erwartet. Jetzt, wo die Regierung uns in jeder Hinsicht entgegenkommt, fordern unsere Ehre, wie unser Interesse, daß wir mit Eifer und Ernst, aber auch mit Besonnenheit und Ueberlegung auf der begonnenen Bahn vorwärts schreiten.“ — „Vorerst handelt es sich blos um eine Vorbereitungsmaßregel. Ein Comité soll erwählt werden, welches von den bisher von der Regierung angeordneten Vorarbeiten Einsicht nehme, und, was noch zu thun übrig bleibt, besorge und ergänze.“ —

An anderer Stelle führt List aus, daß bei „so vorsichtigem Benehmen hoffentlich die Klippen vermieden werden, an welchen Diejenigen so häufig zu scheitern pflegen, die, ohne sich gründlich orientiert zu haben, sich auf die unbekannte See neuer Unternehmungen wagen“. Nach Ansicht der Unterzeichner könne der Bau der projectirten Bahn nur dann Gegenstand der Privatunternehmung werden, wenn derselbe neben dem öffentlichen Wohle auch das Wohl der Unternehmer zu befördern verspreche. — Die Bahn werde also auf jeden Fall die landesüblichen [18] Kosten tragen müssen und dann noch Aussicht auf eine ansehnliche Prämie zu gewähren haben. Im entgegengesetzten Falle möchte die Anlegung von Eisenbahnen wohl eine verdienstliche, eine empfehlenswerthe, eine das öffentliche Wohl sehr fördernde Sache sein, aber ihrer Natur nach gleich den Chausseen sich nur für die Regie der Regierungen eignen. Liege jedoch in den Erfahrungen anderer Länder und in den Localverhältnissen zureichender Beweis, daß die Anforderungen, welche man an diese Art Unternehmungen in der Eigenschaft als Geschäftsmann oder Capitalist machen müsse, befriedigt werden. so sei es zugleich Sache der Ehre und Bürgerpflicht, die Hand mit an’s Werk zu legen. „Sollte Deutschland“, so ruft Lift aus, „dieses Land der Aufklärung und der Cultur, des Fleißes und der Beharrlichkeit, dessen Seestädte einst den Welthandel geführt und dessen Binnenstädte vor allen anderen europäischen Gemeinwesen durch Gewerbfleiß, neue Erfindungen, Kunst und Reichthum sich hervorgethan, ewig den Fremden die Schlappe tragen?“

Wo aber soll der deutsche Unternehmuunsgeist wiedergeboren werden, wenn nicht in Leipzig, wo die Menschen und die Waaren von allen Enden Deutschlands zusammenströmen?“

Wenn man in wenigen Stunden, so sagt List weitet, ohne alle Beschwerde und mit unbedeutenden Kosten von einer Stadt zur anderen gelangen könne, werden beide zugleich in ein Gemeinwesen verschmolzen: Leipzig werde die Vorstadt von Dresden, Dresden die Vorstadt von Leipzig werden. Die Bewohner beider Städte werden alle Vortheile erwerben, ohne ihre Nachtheile in den Kauf zu erhalten. Wissenschaft und Kunst, Handel und Gewerbe, das gesellschaftliche und Familienleben, jedes Verhältniß, jede Thätigkeit und Kraft werde durch diese Verbindung gewinnen und der wohlthätige Einfluß dieser Wechselwirkung mit jedem Tage sichtbarer werden. Die verschiedenen Nahrungsstände von Leipzig und Dresden werden persönlich zusammentreten können, um sich über gemeinsame Interessen zu berathen. Ebenso die Gelehrten und Künstler. Bis auf den gemeinen Arbeiter würde sich diese Wohlthat der leichteren und schnelleren Bewegung erstrecken. Leipzig würde sich wohlfeilere Kohlen verschaffen und damit das unentbehrlichste Mittel für die meisten Gewerbe und eines der unentbehrlichsten Bedürfnisse jeder Familie. Es werde dann von den Leipzigern abhängen, ob sie zugleich eine bedeutende [19] Fabrikstadt werden wollen.[7] Die Gewerbstädte in Sachsen würden sich anschließen und die Städte Deutschlands sich mit Leipzig in Verbindung setzen. Das Einkommen und die Bevölkerung würden sich in kurzer Zeit verdoppeln. Die Bewohner der Residenzstadt Dresden werden an den Folgen dieser Eisenbahnverbindung verspüren, daß Leipzigs Vortheil auch der ihrige sei. Man werde sich wechselseitig besser kennen lernen, sich mehr dienen und nützen, sich zu gemeinschaftlichen Zwecken häufiger vereinigen und einsehen, daß Städte und Individuen durch engeres Anschließen aneinander, durch Vereinigung der Kräfte und durch Austausch ihrer Producte sich gegenseitig bereichern, nicht schwächen“. — „Seitdem Deutschland besitze, was zu seiner gewerblichen Wohlfahrt unerläßlich war, nämlich Freiheit des Verkehrs im Innern durch den Zollverein, bedürfe es nur noch wohlfeiler und schneller Transportmittel, um sich auf die Stufe der gewerbfleißigsten Nationen der Erde emporzuschwingen“.

Solche begeisterte Worte waren es, die List in dem „Aufrufe“ neben einer Menge anregender Mittheilungen über den Stand der Eisenbahnen überhaupt, niedergelegt hatte.

Die schon erwähnten Jubiläumsschrift der Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie geht auf den Inhalt dieses Aufrufes so gut wie gar nicht ein. Nicht einen einzigen der von List so groß und schön entwickelten Gedanken hat sie aufgenommen, das Wenige aber was sie darüber sagt, ist, allein schon dem durchschlagenden Erfolge gegenüber, den dieser gehabt hat, geradezu kläglich zu nennen.[8]

[20] Als List seinen Aufruf vor Harkort, Seyfferth. Dufour und Lampe vorlas, freuten sich diese sehr und gaben ihrer dankbaren Anerkennung dadurch Ausdruck, daß sie ihm einen prächtigen silbernen Pokal mit reicher Vergoldung überreichten, auf dem ihre Namen nebst der Inschrift eingegraben waren: „Dem Verfasser des Aufrufes an unsere Mitbürger!“ Sie ließen die Schrift auf ihre Kosten drucken und sie in tausend Exemplaren an die Bürger und im Lande vertheilen. Der Erfolg war ein überraschender, die Begeisterung für die Sache wurde allgemein, und als der Stadtrath am 17. März 1834 die Bürgerschaft zu einer Versammlung zur Wahl des gründenden Comités in den Saal der Buchhändlerbörse zu Leipzig berief, da war dieser gedrängt voll. Es war natürlich, daß die meisten Stimmen auf List, Harkort, Dufout, Seyfferth und Lampe fielen.

Am anderen Tage mußte jedoch Lift erfahren, daß seine Wahl in das Comité nicht giltig sei, weil, wie wohl auch in der Versammlung vom Stadtrath angekündigt worden, nur Ansässige von Leipzig zu wählen gewesen seien. Man suchte List aber nun damit zu trösten, daß sein Fall vorgesehen sei, indem man noch die Wahl außerordentlicher Ausschußmitgliedet in [21] Aussicht genommen habe, unter die er dann aufgenommen werden könne.

In List stiegen Bedenken auf. Er mochte sich jetzt wohl sagen, daß Leipzig noch nicht der Ort sein werde, wo er, wie er gehofft und ersehnt, rüstig und nachhaltig für die Verfolgung seiner Lieblingsaufgabe, der Hebung der deutschen Industrie und der Einführung von Eisenbahnen, arbeiten könnte. Wie hätte er das letztere besonders besser vermocht, als wenn er eine Stellung im zukünftigen Directorium der Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie hätte finden können? — Eine oberste Stelle brauchte dies nicht zu sein. Er selbst sagte: „Klugheit und Bescheidenheit verbieten mir, eine leitende Stelle anzunehmen, selbst wenn sie mir angeboten würde. Man hatte ihm wiederholt zugesichert, daß er bei dem Directorium beschäftigt werden solle, da doch schon seine Erfahrung und seine Kenntnisse diese Rücksicht erforderten; durch die Nichtaufnahme in das Comité wurde ihm aber die Aussicht auf Erfüllung dieser Zusage und Hoffnung sehr getrübt, um so mehr, als er zu einer Sitzung, die das neugewählte Comité abhielt, schon nicht mehr mit herzugezogen wurde.

Er überwand aber seine Enttäuschung und nahm die auf ihn gefallene Wahl als Ausschußmitglied an. „Sollte ich“, so schrieb er später, „durch die Nichtannahme beweisen, daß nur persönliche Gründe mich zu meinen Vorschlägen bestimmt hätten? Sollte ich die große Sache aufgeben aus blos persönlichen Rücksichten? Hatte ich ihr nicht schon Jahre geopfert, war ich nicht ihretwegen mit meiner Familie über Land und Meer gekommen, und war denn eine Möglichkeit oder nur eine Wahrscheinlichkeit, daß meine bescheidenen Wünsche und Hoffnungen abgewiesen werden könnten?“ — List stellte nach wie vor mit derselben Spannkraft des Geistes dem Comité seine Kräfte zur Verfügung, und wir erkennen auch hier wieder sogleich sein geniales Wirken und sein meisterliches Geschick, die öffentliche Meinung für die Ausführung des Eisenbahnprojectes zu gewinnen und rege zu erhalten. Von Anfang an hatte er sich gesagt, daß, wenn die einmal im Fluß gekommene Eisenbahnsache frisch vorwärts gehen solle, es nothwendig sei, das Publicum immer über den Stand derselben auf dem Laufenden zu erhalten und daß durch solche Berichte auch über die Grenzen des Unternehmens hinaus weiter für die Eisenbahnen gewirkt werden könne. Der Vorschlag List’s wurde allseitig angenommen. Und so sehen wir denn List mit demselben Eifer und mit derselben [22] Umsicht wie bei seinen früheren Anregungen auch diese neue Aufgabe ausführen. In der That gelang es auch durch die Veröffentlichung von sieben gedruckten Berichten — der erste erschien Mitte Juni 1884 und war mit den Unterschriften der Männer des Comités[9] und des Ausschusses versehen, während die übrigen bis zum 10. Mai des nächsten Jahres erscheinenden nur mit „Eisenbahncomité“ unterzeichnet waren — in Sachsen und in ganz Deutschland ermunternd auf die Bildung von weiteren Eisenbahnunternehmungen einzuwirken. — Der hier gebotene enge Rahmen erlaubt nur ein skizzenhaftes Eingehen auf den vorhandenen reichen Stoff, und es muß daher genügen, zu erwähnen, daß auch diese Berichte,[10] wie das Meiste aus List’s Feder, von größtem Werthe für die Eisenbahngeschichte sind. Aeußerst interessant ist z. B. der dritte Bericht, in welchem List über die Bedeutung der Eisenbahnen für die zukünftige Landesvertheidigung und Kriegführung spricht. — Aus der mehrerwähnten Jubelschrift vom Jahre 1864 ersehen [23] wir, daß dieselbe etwas näher auf den Inhalt der einzelnen Berichte eingeht. Beim eben erwähnten dritten Berichte z. B. bekennt sie, daß derselbe in klarer und überzeugender Weise eine Aufzählung der Vortheile enthält, welche die Herstellung von Eisenbahnen für alle betheiligten Kreise des Volkes mit sich führen würde. Er habe gezeigt, was die Grundbesitzer, was die Industriellen gewinnen würden und wie wenig der etwaige Nachtheil Einzelner dagegen in Betracht kommen könne. Und um auch den militärischen Kreisen gerecht zu werden, seien in einer Anlage zu diesem Berichte die Vortheile der Eisenbahnen in Kriegszeiten hervorgehoben worden. Dies scheine heute, sagt die Schrift, Allen klar und selbstverständlich, damals aber habe es sich darum gehandelt, diesen Ansichten erst Eingang und Geltung zu verschaffen, das Material und die Unterlagen dafür zu erlangen und entsprechend zu verarbeiten.“ In der Art und Weise, wie List sich hier in die Dienste des Comité’s stellt, ersehen wir wiederum sein zielbewußtes Streben in der großen Sache. Bei weniger Bescheidenheit würde List darauf gedrungen haben, daß man ihn Fall für Fall als den Verfasser der Berichte nenne, aber ihm lag ja mehr an der Förderung der großen Sache an sich, als irgend welchem persönlichen Vortheil und an der Befriedigung persönlicher Eitelkeit. Darum hat er stets die Sache und nie sich selbst vorgestellt, und wenn er gleichwohl getrachtet hat, später einigermaßen für seine Mühewaltungen entschädigt zu werden, so verdiente er noch immer nicht, daß man ihm, wie geschehen, Eigennutz vorwerfe. Er war es, abgesehen von seiner Familie, wiederum der Sache schuldig, daß er nicht auch noch mit Unterhaltssorgen zu kämpfen hatte.

Mit der Ausarbeitung von Comitéberichten begnügte sich List jedoch nicht, sondern er trat auch mit allen größeren Plätzen Deutschlands und mit mehreren Regierungen in Verbindung, überall unermüdlich zum Bau der Eisenbahnen anregend. Auch ein Eisenbahnjournal hatte er gegründet, und dieses Unternehmen[11] zeugt ebenfalls von seinem bewundernswerthen Geschick, [24]

Friedrich List’s Entwurf zu einem Deutschen Eisenbahnsystem aus dem Jahre 1833.

[25] [WS: Das Bild wurde gedreht und mit dem Bild der vorherigen Seite zusammengefügt.]

[26] die volkswirthschaftliche Bedeutung der Eisenbahnen ins rechte Licht zu setzen und ihnen Eingang zu verschaffen.

So sehen wir Friedrich List in steter Thätigkeit für die Verwirklichung seiner wahrhaft großartigen Pläne mit einer Beharrlichkeit, und mit einer Schärfe und Spannkraft des Geistes, wie sie nur selten Jemandem gegeben sind, und man kann sich wohl denken, wie sich dieser weitschauende und unermüdlich schaffende Geist in dem engen Kreise, welchen ihm seine Zeitgenossen gezogen, gar manchmal unbehaglich gefühlt haben, wie er Anderen, die ihren Wirkungskreis nur im Engeren auf das gerade vor ihnen Liegende zu richten vermochten, in seinem Drange nach Großem rücksichtslos oder gar anmaßend erschienen sein mag. Mußte er sich doch gefallen lassen, daß man sich von ihm abwendete, wo er Entgegenkommen erwarten durfte, mußte er doch erleben, daß man seine Verdienste todtschwieg und daß man ihn sogar des Eigennutzes beschuldigt hat, als er es unternahm, Rechte für sich in Anspruch zu nehmen, die ihm heute wenigstens ohne Weiteres zugestanden werden müssen.[12]

List fand im Comité, dessen Seele er doch, wie auch die Berichte wiederum beweisen, gewesen, nicht die Anerkennung, die ihm gebührte. Sein unruhig schaffendes Wesen, seine schlagenden und wohl auch manchmal verbitterten Bemerkungen gegen ihm ängstlich und engherzig erscheinende Einwände mögen ihn den Männern des Comités entfremdet haben schon als sie seiner noch bedurften.

Mehr und mehr erkaltete das Verhältniß des Comités zu ihm, obgleich man seine fernere Hilfe noch recht gut hätte brauchen können. List hatte z. B. bezüglich der zu wählenden Baulinie vorgeschlagen, dieselbe durch die volkreichere Gegend über Meißen zu legen, weil diese Linie die ertragsfähigste sein werde. Anstatt aber seinem Rathe noch weiter zu folgen, glaubte man, sich um Rath in’s Ausland wenden zu müssen. Ein Comitémitglied begab sich in Begleitung des Ober-Wasserbauinspectors Kunz, dem nachmaligen Erbauer der Bahn, nach England und suchte nach einem im Eisenbahnsache erfahrenen [27] Ingenieur. Endlich glaubte man, einen solchen in der Person eines gewissen James Walker gefunden zu haben. Derselbe traf im Herbst 1835 in Leipzig ein und beging mit den Comitémitgliedern die beiden in Vorschlag gebrachten Strecken auf dem rechten und linken Elbufer. Walker entschied sich für die Linie über Riesa. Für diese Expedition und einige Correspondenz erhielt derselbe die unerhörte Summe von über 863 Pfund Sterling = 17 260 Mark.

Wie geringfügig erscheint im Vergleich zur Belohnung dieses Fremden, welcher, wie aus der mit dem Directorium geführten Correspondenz zu ersehen, mit seinem Spott die Unbeholfenheit desselben ausbeutete, die Entschädigung Friedrich List’s, dem man später zwei „Ehrengeschenke“ von je 2000 Thalern gemacht hat!

Wie wir gesehen haben, hatte List in Leipzig zwar das Bedürfniß nach besseren Verkehrsverbindungen schon vorgefunden, im Uebrigen war man sich aber auch noch nicht im Geringsten klar darüber gewesen, was zu thun sei. Man hatte zwischen Eisenbahn und Canal geschwankt, ohne irgend welchen Anhalt zu einer Entscheidung zu haben. Das war aber anders geworden nach der Ankunft List’s. Er hatte mit dem ihm eigenen Scharfsinn sehr bald das Richtige herausgefunden und war keinen Augenblick verlegen gewesen über den zum Endziele führenden Weg. Er machte die Verkehrsverhältnisse Sachsens und insbesondere Leipzig’s und Dresdens zu seinem besonderen Studium, und als er die Vorzüglichkeit derselben erkannt, ging er mit einer Begeisterung und mit einem Geschick an die Belebung der sächsischen Eisenbahnfrage, wie nur er es vermochte, der in der Einführung der Eisenbahnen zugleich die zukünftige Größe und stolze Unabhängigkeit seines deutschen Vaterlandes sah. Durch seine schwungvollen, allgemeinverständlichen und inhaltsreichen Aufklärungen hat er die breiten Schichten des Volkes für dieselben zu gewinnen verstanden. Es fehlte damals jedweder klare Begriff von dem Wesen der Eisenbahnen und ihrer erzeugenden Kraft. List aber hat seinen Zeitgenossen diesen Begriff beigebracht, er hat sie gelehrt, was sie von den Eisenbahnen zu erwarten haben und hat ihnen den Gesprächsstoff dazu geschaffen.“ Durch diese seine geniale Thätigkeit hat er das Zustandekommen der „ersten großen Verkehrsbahn Deutschlands“ um Jahre beschleunigt und dadurch insbesondere Sachsens und noch mehr Leipzigs wirthschaftlichen Aufschwung in unschätzbarer Weise gefördert.

[28] Auch der erste materielle Erfolg ist in der Hauptsache ihm zu danken, denn als die ersten 15000 Stück Aktien à 100 Thaler, am 14. Mai 1835 zur Beschaffung des Kapitals für das Unternehmen ausgegeben wurden, sind dieselben an diesem Tage bis auf einen kleinen Rest gezeichnet worden, dieser konnte schon am andern Morgen mit zwölf bis fünfzehn Procent Aufschlag versteigert werden, so daß dabei noch ein Gewinn von etwa 15000 Thalern herauskam. List war es gewesen, welcher durch die Presse die öffentliche Meinung für die Aktien so günstig gestimmt hatte.

Trotzdem ist sein Lieblingswunsch, im Directorium der Compagnie eine Stellung zu erhalten, unerfüllt geblieben. Es war bei der Wahl desselben durch den Ausschuß auch nicht seine einzige Stimme auf ihn gefallen. „Wir werden nicht handeln, wie die Yankee’s“ hatte ihm ein Comitémitglied zugesichert, und gleichwohl sah er sich einstimmig ausgeschlossen! Konnte das anders als im Einverständniß des Ausschusses unter sich geschehen sein? Wer hatte ihn dazu veranlaßt, und was war der Grund zu solchem Verhalten? —— Wir brauchen die Antwort darauf nicht, da wir nicht annehmen dürfen, daß man aus Undank so gehandelt. List war eben über seine Zeitgenossen weit hinausgewachsen. Diese lebten meist noch in kleinlichen wirthschaftlichen und politischen Verhältnissen. Sie ließen sich wohl List’s muthiges Eintreten für ihre bessere Zukunft ganz gern gefallen, vermochten aber nicht, sich seiner überlegenen Größe über ihren beengten Anschauungs- und Lebenskreis hinaus anzupassen. Sein unruhig spürender und schaffender Geist und sein rauh und rücksichtslos erscheinendes Wesen, welches er zweifelnden und ihm kleinlich dünkenden Einwänden gegenüber an den Tag legte, schienen ihnen genügender Anlaß, sich von ihm abzuwenden, als sie glaubten seiner nicht mehr zu bedürfen. Dasselbe wäre List damals auch anderswo in Deutschland widerfahren, allwo zu jener Zeit noch dazu der Fremde mehr galt, als der genialste Einheimische. Dem aus dem Auslande herbeigeholten James Walker hatte man für ein müheloses Aussuchen der Eisenbahnstrecke ohne Weiteres eine unerhörte Summe ausgezahlt[13], dem für die [29] Hebung seines Vaterlandes begeisterten Deutschen war man geneigt, Eigennutz vorzuwerfen, als er für sein verdienstvolles Wirken eine Entschädigung verlangte. Nicht, ohne erst dazu aufgefordert zu sein, bewilligte man ihm als „Ehrengeschenk“ die Sume von 2000 Thalern und später, als List sich damit nicht begnügte, nochmals dieselbe Summe „unter ausdrücklicher [30] Anerkennung seiner um das Unternehmen gehabten Verdienste.“[14] List möge das, was er dem Unternehmen geleistet, als dem Directorium persönlich geleistet betrachten. Aus diesem letzteren Wunsche leuchtet die ganze Befangenheit Derer, die ihn äußerten. Was hatte List mit persönlichen Leistungen zu thun? War denn das Unternehmen nicht in jeder Hinsicht ein vaterländisches? und welchen Sinn hatte dann das „Ehrengeschenk“, welches aus der Casse des Unternehmens verwilligt worden? Wenn man ihm gesagt hätte, den Dank bleibe ihm das Vaterland schuldig, so würde List, da man ihn persönlich nicht zu entgelten vermochte, doch wenigstens zu erkennen gegeben worden sein, daß man sein Streben voll würdigen und ihm seinen Ruhm ungeschmälert lassen wollte. Noch nie hat ein für die Größe des Vaterlandes wahrhaft begeisterter Kämpfer um persönliche Angelegenheiten gerungen weder für sich, noch für Andere. Zugegeben aber, daß List wirklich persönliche Leistungen beabsichtigte, durfte er dann nicht um so eher erwarten, daß man auch ihm persönlich entgegenkommen werde? Denn mit welchem Rechte wollte man sonst List’s Dienste beanspruchen? —— Es ist ihm aber auch nicht einmal der von ihm gewünschte Actienantheil an dem Unternehmen, zu dem er das vollste Anrecht hatte, gesichert worden. ——

Doch soll mit alle dem kein Tadel über Diejenigen ausgesprochen werden, die mit List in solcher Weise versuhren. Sie waren von den Zeitumständen eingenommen, in denen ihnen noch [31] der rechte Begriff von den einstmaligen großartigen Wirkungen der Eisenbahnen fehlte. Obgleich sie gern und willig List’s Gedanken zur Unterlage ihrer Bestrebungen machten, so glaubten sie mit dem Urheber selbst nur so lange rechnen zu sollen, als er gerade in ihr kaufmännisches Rechenexempel paßte. Und dieses Exempel war bei ihnen nicht ausschließlich das vaterländische Unternehmen der ersten großen Verkehrsbahn Deutschlands, sondern schlechtweg das Aktienunternehmen einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden. — Von diesem Standpunkte aus haben sie redlich ihre besten Kräfte eingesetzt und haben nach bestem Ermessen gehandelt, als sie von List’s weiterer Theilnahme absahen. Mit außerordentlicher Umsicht und Sorgfalt ist von ihnen unter dem Schutze der Regierung die Herstellung der damals mit Recht als ein Riesenwerk geltenden Bahn bewirkt worden, und es werden auch die Namen Harkort, Seyfferth, Dufour, Crusius und Kunz, für immer einen ehrenvollen Platz in den Blättern der deutschen Eisenbahngeschichte einnehmen.

Wo es sich nun aber darum handelt, die treibende Kraft zu dem herrlichen Werke der ersten großen Verkehrs-Eisenbahn in Deutschland zu ermitteln und gebührend zu würdigen, da wird neben dem damals an und für sich hervorgetretenen Bedürfniß nach besseren Verkehrswegen stets Friedrich List genannt werden müssen. Sein bewunderswerther Scharfblick und sein Geschick in allen wirthschaftlichen Dingen ließen ihn Großes ersinnen und ausführen, und seine unauslöschliche Vaterlandsliebe war die Triebfeder dazu. „Im Hintergrunde aller meiner Pläne liegt Deutschland“, das war sein Losungswort auch in der Fremde gewesen. Sein Vaterland groß und eing zu sehen, es unabhängig zu wissen von fremden Einflüssen, dieser heiße Wunsch gab ihm die Kraft, unentwegt für das von ihm erdachte deutsche Eisenbahnsystem einzutreten. Und uns, die wir heute Deutschland in höchster Machtentfaltung sehen, wie sie bedingt wurde durch ein noch immer dichter werdendes Eisenbahnnetz, wir können List’s prophetischem Denken und Handeln nur rückhaltlose Bewunderung zollen. Uns kommt es zu, an diesen Mann einen anderen Maßstab zu legen, als es zu seiner Zeit geschah; uns kommt es zu, offen und freudig anzuerkennen, was List’s Zeitgenossen in ihrer Befangenheit nicht vermochten.

Darum ist, wenn im Frühjahr 1889 das fünfzigjährige Jubiläum der Betriebseröffnung der Leipzig-Dresdner Bahn gefeiert werden wird, zu erwarten, daß List’s zu diesem Feste [32] eingehender gedacht werde, als die Schrift zum 25jährigen Jubiläum dieser Bahn es gewollt oder gekonnt, und daß man ihn feiere als den begeisterten Vorkämpfer einer neuen schönen Zeit, als das Musterbild glühender Vaterlandsliebe und als den muthvollen Vertreter der von ihm mit Prophetengeist für gut und richtig erkannten Sache eines deutschen Eisenbahnsystems, insbesondere aber als den thatkräftigsten Förderer der ersten großen Verkehrsbahn Deutschlands. —


Druck von G. Reusche in Leipzig.


Anmerkungen der Vorlage

  1. Vor allen ist hier zu nennen: Prof. Ludw. Häußer’s Ausgabe von Friedrich List’s gesammelten Schriften. 3 Theile. Stuttgart und Tübingen. Cotta’s Verlag. 1850. — Niedermüllers Vertheidigung List’s in seiner Beziehung zum Comité der Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie (in den „Grenzboten“, Jahrgang 1879).
  2. Dieser Bericht bietet auch insofern besonderes Interesse, als er uns mitten hinein versetzt in die damalige festliche Stimmung des Publicums und der Theilnehmer an der Betriebseröffnung und als wir zugleich Aufschluß erhalten über die ersten Betriebseinrichtungen. „Endlich erschienen“, so heißt es da u. A., „die langersehnten und besprochenen Bekanntmachungen, welche die Eröffnungsfeierlichkeiten der Bahnstrecke von Leipzig bis zum Dorfe Althen auf den 24. April (1837) ansetzten. Die erste (S. das Bild), oder die Probefahrt, hatte das Directorium des Eisenbahn-Comité’s selbst zu machen beschlossen, um durch seinen Muth und eine futchtlose Zuversicht die Solidität und Gefahrlosigleit des Werkes zu besiegeln. Es waren aber auch zu derselben Fahrt die höchsten Behörden und einige andere, die das Directorium zu ehren und auszuzeichnen hatte, dazu eingeladen worden. — Der Tag kam. Die ganze Bahnstrecke atmete auf einmal die schönste Ordnung und Einheit. Die Wärter der Bahn erblickte man in schwarzgrauen Röcken mit blauen Aufschlägen, bedeckt mit einem breitgekrämpten Hute mit gelbem Schilde. Die Schaffner der Wagen trugen dieselbe Kleidung und nur anstatt der Hüte leichtere Mützen von schwarzem Tuche mit blauen Streifen. Längs der Bahnstrecke hatte sich eine ungeheure Menschenmasse aufgestellt, und aus Leipzig [8] wogte es noch unaufhörlich, so daß die volkreiche Stadt trotz der Messe und der ungeheuren Anzahl Fremder wie verödet schien. Um 9 Uhr sollte die erste Fahrt beginnen. Sechs Wagen standen bereit, die Zahl der Geladenen aufzunehmen. Der erste war ein offener Wagen, gefüllt mit dem Musikchore des in Leipzig garnisonirenden Schützenbataillions, das seine freudigen rufenden Hörnerklänge weit hin in die Lüfte sendete und alle Herzen jauchzen machte. Die übrigen fünf verdeckten Wagen waren von der äußersten Eleganz, im Innern bequem wie Sopha’s. Schon schnaufte der prächtige „Blitz“, der die Wagen führen sollte, wie ein ungeduldiges Roß aus seinen Nüstern und harrte voll innerer Unruhe des ersten Glockenschlages der 9. Stunde als des Zeichens der Abfahrt, da hörte man auf einmal, es war 3 Minuten vor 9 Uhr, den jauchzenden Jubelruf det dichtgedrängten Menschenmenge: „Prinz Johann kommt!“ Und wirklich langte der edle allverehrte Prinz mit seinem ältesten Sohne Albrecht und dessen Erzieher, dem Geheimen Rath von Langenn direct von Dresden an. Der vortreffliche Fürst war zwar erhofft und ersehnt worden, aber man hatte doch nicht mit Bestimmtheit seiner Ankunft entgegengesehen. Um so größer war die Freude. Se. kgl. Hoheit war die ganze Nacht über gefahren, um an der Eröffnungsfeierlichkeit Theil zu nehmen. Und es muß gesagt werden, wo irgend Etwas die Interessen des Vaterlandes vereinigte, fehlte gewiß nie Einer aus dem alten, treuen Fürstenstamme des Hauses Wettin! Schnell bereitete man d1e Plätze für die erhabenen Gäste vor. — Punkt 9 Uhr setzte sich der mit Kränzen und Fahnen geschmückte „Blitz“ in Bewegung. Der Donner der Böller und der Jubelruf der Mitfahrenden und der Zuschauer begleiteten die Wagen aus dem mit Wimpeln geschmückten Bahnhofe. Manche Wagen und Reiter versuchten den brausenden Stürmer aus der nahen fast parallel laufenden Chaussee zu begleiten, um an seine Kräfte und Schnelligkeit den richtigen Maßstab zu legen. Anfangs langsam rollend, brauste der Dampfwagen immer schneller und schneller dahin. Bald war er aus dem Gesichtskreise der ersten Zuschauer. Ueberall salutirten die aufgestellten Militärpickets und Wachen, jeder Bahnwärter stand gravitätisch auf seinem Posten und gab mit der vorgestreckten Hand das Zeichen, wie alles in Ordnung sei. Man flog über die zwei Chausseen, die Dörfer rechts und links liefen im Nu an dem Blicke vorüber. Sellerhausen, Paunsdorf, Engelsdorf, Sommerfeld — da lag Althen, und der Willkommen des hier vereinigten Musikchors aus Leipzig löste die Militärmusik ab, welche den lärmenden Wagen auf der Fahrt zu übertönen gesucht hatte. Man war 20 Minuten gefahren, denn nicht allein, daß der Wagenmeister (Locomotivführer) auf dieser kurzen Strecke nicht die [9] volle Kraft des Dampfes in Anspruch nahm, so steigt noch dazu die Bahn bis zu dem gegenwärtigen Ziele, wenn auch sanft, so doch stetig an, so daß die Fahrt rückwärts mit derselben Kraft stets 5 Minuten früher beendet ist. — Die Ankommenden wurden von Denen, die vorausgeeilt waren, mit Zuruf empfangen, und Se. Kgl. Hoheit war mitten in dem Volke der Sachsen ein Zeuge der hohen Freude, mit welcher Alle den Tag dieser vaterländischen Unternehmung begrüßten. — Das Directorium hatte für die Eingeladenen und Fremden ein reiches Frühstück bereit gehalten. An der Tafel herrschte Frohsinn, Unbefangenheit und herzliche Innigkeit, die sich in den verschiedenen und zahlreichen Toasts aussprachen.“ Darunter war auch der oben erwähnte von Seyfferth auf List.
  3. Es dürfte in Deutschland überhaupt nur ein würdiges Denkmal List’s zu finden sein. Das ist dasjenige, welches ihm seine dankbare Vaterstadt, die ehemalige freie Reichsstadt Reutlingen, errichtet hat.
  4. Dem Verfasser dieses sind nur zwei bekannt geworden: das eine im Verein für Geschichte Leipzigs, das andere in der Leipziger Stadtbibliothek. Von ersterem Vereine wurde es dem Verfasser in dankenswerther Weise zur Verfügung gestellt.
  5. Dieses Gesetz erschien am 3. Juli 1835. So geräuschlos dasselbe seiner Zeit in Wirksamkeit getreten, so ist doch gerade seine Schaffung von höchster grundsätzlicher Bedeutung nicht nur für das beschleunigte Zustandekommen der Leipzig-Dresdner Eisenbahn selbst, sondern auch für dasjenige aller späteren sächsischen und vieler deutschen Eisenbahnen, bei deren Durchführung dasselbe als Muster gedient hat. Die sächsische Regierung war sofort auf das Bereitwilligste darauf eingegangen, ein solches Gesetz zu schaffen und hat damit von vornherein die bestimmte Absicht zu erkennen gegeben, der Einführung der Eisenbahnen die Wege zu ebnen und ihnen staatlichen Schutz und Fürsorge angedeihen zu lassen. — Hätte man sonach das Erscheinen dieses Gesetzes als Anlaß zu einer Jubiläumsfeier betrachten wollen, so wäre nicht der Tag der Betriebseröffnung auf der Theilstrecke Leipzig-Althen (24. April 1837), sondern bereits der genannte 3. Juli 1835 als der geeignetste Ausgangspunkt einer solchen zu bezeichnen gewesen, denn zweifellos ist erst durch das Enteignungsgesetz dem Zustandekommen der Eisenbahnen und insbesondere dem der Leipzig-Dresdner Bahn die erste sichere Grundlage gegeben worden. — Sachsen hätte darnach Anlaß gehabt, am 3. Juli 1885 das erste Eisenbahnjubiläum in Deutschland zu feiern.
  6. Ein Gesetz, welches das Verhältniß der Post zur Eisenbahn feststellte, erschien nicht lange darauf.
  7. In vollem Umfange hat sich diese Voraussage bewährt. Die Bedeutung Leipzigs als Industriestadt dürfte diejenige als Meß- und Handelsstadt bereits übertreffen, durch welchen Umstand jetzt auch namentlich der in Aussicht stehende Anschluß der industriereichen Vororte Leipzigs an die Stadt bedingt ist.               D. Vers.
  8. Es heißt auf Ste. 8 u. 9: „„In dieser Schrift (List’s), unterschrieben „Mehrere Unterzeichnete der Petition vom 20. November 1838“, wurde das Publicum auf das Interesse an einer Eisenbahn in Sachsen hingewiesen und namentlich hervorgehoben, daß es sich nicht um die Speculation Einzelner, sondern um ein das allgemeine Wohl bezweckendes Unternehmen handele, das auch durch die Allgemeinheit getragen werden solle. Es wurden die bisherigen Fortschritte und Resultate der Eisenbahnen erwähnt und die Vortheile einer solchen zwischen Leipzig und Dresden insbesondere entwickelt, wobei sich allenthalben im Wesentlichen an die oben angegeben List’sche Schrift (nur der Titel ist angeführt) über ein sächsisches Eisenbahnsystem angelehnt wurde. Namentlich galt es hierbei, [20] bei, auch die Vorurtheile wegen Benachtheiligung einzelner Gewerbe durch die Eisenbahnen zu beseitigen. Wenn in dieser Schrift unter anderm auf die durch die Eisenbahnen zwischen Leipzig und Dresden zu verwerthenden Reichthümer der Dresdner Gegend an Steinen mit dem Bemerken hingewiesen wird, daß der Transport schon aus dem Grunde, um Leipzig mit Trottoirs zu versehen, von Interesse sei, so hat sich diese Bemerkung in der Folge als durchaus richtig erwiesen, denn schwerlich würde Leipzig ohne die Eisenbahn sobald Trottoirs erlangt haben. — List konnte damals allerdings nur den Pirnaer Sandstein im Auge haben und schwerlich daran denken, daß durch den Lausitzer Granit der Stadt die Trottoirs verschafft werden würden.““ Das ist alles, was die Jubiläumsschrift vom Jahre 1864 über List’s beide auf die erste große Verkehrsbahn Deutschlands bezüglichen Schriften zu sagen weiß! Die Hälfte davon bezieht sich auf einen nebensächlichen Gegenstand und schließt mit einer Bemerkung, nach welcher List, wenn er für die Herstellung der Leipziger Trottoirs vielleicht Pirnaischen Sandstein, statt Lausitzer Granit im Auge gehabt hat, zu entschuldigen wäre, denn er habe daran nicht denken können! —— Es bedarf aber dieser sonderbaren Entschuldigung gar nicht, denn List konnte es vorerst gleichgültig sein, woher die Trottoirplatten für Leipzig bezogen wurden, ihm mußte es vor allem gelten, auf die baldige durch die Eisenbahn herbeizuführende Befriedigung des für Leipzig dringend gewordenen Bedürfnisses von Trottoirs hinzuweisen und dadurch einen Punkt mehr für die Begründung der Nothwendigkeit des Eisenbahnbaues vorzuführen. —— Von der nationalen Bedeutung, welche List auch in diesem Aufrufe wieder mit Nachdruck betont, ist kein Wort gesagt.
  9. Die Namen lauteten Harkort, Dufour, Frege, Hoffmann, Lampe, List, Olearius, Preußer, Schmidt, Schönkopf, Seyfferth, Tenner, Vollfack.
  10. Verfasser verdankt den Einblick in diese Berichte der freundlichen Vermittlung des Herrn Magazinverwalter Möbius, einem früheren Leipzig-Dresdner Eisenbahnbeamten, der dieselben in seinen Privatakten aufbewahrt. — Aus dem Schluß des ersten Berichtes geht zum Theil das Programm für die nachfolgenden hervor, es heißt da: „Während nun die (von der Regierung) erbetenen Vorarbeiten gefertigt werden, gedenken wir dem geehrten Publicum eine Reihe von Mittheilungen zu machen, nämlich: Ueber die Zahl der Reisenden und die Größe der Transporte, wie sie gegenwärtig stehen, und wie sie nach der Erfahrung anderer Länder durch den Einfluß der Eisenbahn sich muthmaßlicher Weise stellen dürften. — Ueber die Kosten des Oberbaues der Eisenbahnen nach den bisherigen Erfahrungen in Oesterreich, England, Nordamerika und Frankreich und nach ihren verschiedenen Arten. — Ueber die in dem Unternehmen selbst liegenden Deckungsmittel gegen jeden möglichen Verlust bei gegründeten Aussichten auf einen zwar unbestimmten, aber jährlich steigenden Gewinn. — Ueber die Ursachen, weswegen bie Linz-Budweiler und die Prag-Pilsener Bahn bisher den Erwartungen ihrer Unternehmer nicht entsprochen haben, wobei wir nachweisen zu können glauben, daß alles, was wir von den dortigen Unternehmungen theils durch hohe Mittheilung erfahren, theils aber auch unmittelbar erkundigt haben, eher dazu dient, die Vorteilhaftigkeit unseres Unternehmens in ein günstigeres Licht zu stellen, als davon abzuschrecken. — Ueber die Dampfwagen auf gewöhnlichen Chausseen und die sogenannten Granitbahnen, sowie über die Gründe dusür, daß Vervollkommnungen dieser Transportmittel — wie anwendbar sie auch unter manchen Verhältnissen sein mögen — nie und unter keinen Umständen Anlagen wie der Leipzig-Dresdner Eisenbahn gefährden werden. — Ueber Sachsens Interesse, daß die Eisenbahnen auf den großen Routen im Lande selbst sowie in ganz Deutschland zum [23] ordinären Transportmittel werden, und über den sichersten Weg sie allgemein einzuführen. — Ueber die in den Handels- und Transport-Verhältnissen liegenden Aussichten auf die Herstellung eines Eisenbahnsystems, welches die Haupt-Handels- und Productionspunkte von Deutschland unter sich verbände“. – Schon aus dieser Aufstellung ist unschwer zu erkennen, daß List der Verfasser der oben erwähnten Berichte war, da damals nur er den Stoff so umfassend beherrscht hat.               D. Verf.
  11. Das Eisenbahn-Journal ging leider wieder ein, weil es unbegreiflicherweise von der österreichischen Censur verboten worden war.
  12. [WS: Fußnote fehlt im Text] Dr. von Falkenstein z. B. fällt über List folgendes harte Urtheil: „List war gewiß ein genialer Mensch, aber ein grober und im Umgange anmaßend auftretender und eigenwilliger Herr, mit dem sich schwer auskommen ließ, zumal sich von seiner Seite Eigennutz geltend machte —“. Was den persönlichen Umgang betrifft, so mag List hier und da „unverdaulich“ erschienen sein, obwohl von ihm gesagt wird, daß er der zärtlichste Familienvater und der zuverlässigste Freund gewesen, vor dem Vorwurfe dez Eigennutzes schützt ihn aber sein ganzes geniales Wirken.
  13. Ueber diesen Vorgang, der so recht die damalige Ueberschätzung des Fremden bekundet, finden wir in Dr. Hagen’s Schrift über die Nürnberg-Fürther Bahn ein satirisches Schreiben aus London, welches als Beigabe des Leipziger Morgenblattes Nr. 273 vom 13. November 1835 erschien und den Titel trägt: „Die Leipziger Eisenbahn und der englische [29] Ingenieur. Ein Wort zur Beherzigung für Deutsche". Es heißt da mit Bezug auf eine auf eine Mittheilung in der „Times" vom 21. October 1835, „daß nach langem Verzuge endlich der englische Ingenieur in Leipzig angekommen sei, welcher die Aufsicht über den Bau der Eisenbahn führen solle, und man glaube allgemein, daß er sich der Arbeit angelegentlich unterziehen werde, um den durch seine verspätete Ankunft verursachten Zeitverlust auszugleichen“ u. A. wie folgt: „Jetzt lachten die englischen Kaufherren wieder einmal, daß man in Deutschland so einfältig sei, ohne Hilfe eines englischen Ingenieurs keine Eisenbahn bauen zu können, und zweitens, daß man zur Erlangung eines solchen Helfers 6 kostbare Sommermonate verschwendet habe. Die englischen Kaufherren lachten, aber dem Deutschen (dem Berichterstatter) that das Herz weh keine Nation in der Welt vermochte sich mit den Deutschen zu messen, wenn sie wäre, was sie sein sollte, eine Nation“. „Es war ein Aufzucken des Selbstgefühls (durch List geweckt), was den Gedanken an jenes Unternehmen hervorrief, es war ein schönes Zeichen volksthümlicher Belebung, daß wenige Stunden hinreichten, den Geldbedarf überflüssig zu decken. Alle Schwierigkeiten schienen gehoben, da entstand zwischen den beiden, dem Rufe nach sehr tüchtigen, mit Ausführung des Baues beauftragten deutschen Architekten eine Verschiedenheit der Meinung, und während in solchem Falle englische oder französische Bauverständige die Entscheidung einem geschickten Landsmanne überlassen und den etwa gebotenen Rath, einen Ausländer zum Schiedsrichter zu machen, mit Hohn zurückgewiesen haben würden, erklärten die deutschen Architekten, daß sie nur dem Ausspruche eines englischen Kunstgenossen weichen und seiner Oberleitung sich unterwerfen wollten. Die Direction sah sich demgemäß nach einem britischen Vermittler um, und ihre Wahl fiel auf einen gewissen James Walker, dessen Name in England allerdings gekannt, aber keineswegs berühmt ist“. „Wäre nun Walker Deutscher gewesen und hätte nächst Ersatz mäßiger Reisekosten vielleicht ein Tageshonorar von einem Friedrichsd’or begehrt, so würde ihm die deutsche Gesellschaft einen Ducaten geboten und den Vertrag mit allen Schnurrpfeifereien der ängstlichen Klausularjurisprudenz ausgestattet haben. Weil aber James Walker ein Engländer war, dessen nur ein exemplarischer Eifer hatte habhaft werden können (er mußte erst in ganz England umher gesucht werden), so gestaltete sich das alles natürlich ganz anders „„Ich kann nur versprechen““, sagte Walker, „„im Laufe des Monats September nach Leipzig zu kommen und sollte es selbst einige Tage später sein““. — „„Wir werden Sie von Mitte September erwarten“, versetzte der Bevollmächtigte“; und in diesem Geiste kam zwischen beiden ein Vertrag zustande, laut welchem Walker die oberste Leitung des betreffenden Baues in allen seinen Theilen übernahm (thatsächlich übernahm er nur die oben erwähnte Entscheidung. D. B.) und die Leipziger Gesellschaft ihm dafür zusicherte: erstens den Ersatz aller Reisekosten, zweitens ein Tageshonorar von 7 Guennen oder 9 goldenen [30] denen Friedrichen.“ Dazu bemerkt noch der eben citirte Berichterstatter: „Ich wünsche dem Unternehmen den glücklichsten Fortgang und dem betreffenden Comité infolge des mit Walker abgeschlossenen Vertrages keine Art von Unannehmlichkeiten; sollte aber wider meinen Wunsch letzteres der Fall sein, Walkers Hilfe zu theuer erkauft und das Resultat ein allseitig unangenehmes sein, sollte Deutschland aus diesem Beispiel nochmals lernen, daß es am besten thut, seiner eignen Kraft und seinem eignen Wissen zu vertrauen, so würde ich mich eben nicht sehr grämen.“
  14. List wendete hiergegen ein: „Der Beschluß des verehrlichen Ausschusses und die Gesinmungen, welche in der Zuschrift des verehrlichen Directoriums gegen mich ausgesprochen sind, verdienen meine ganze Erkenntlichkeit, insofern dadurch der Werth meiner Leistungen in dieser Sache von zwei Collegien anerkannt wird, welche die würdigsten Männer der Stadt unter ihre Mitglieder zählen. Indessen kann ich das Geständniß nicht zurückhalten, nicht sowohl auf ein Ehrengeschenk, als vielmehr auf Entschädigung für das, was ich dieser Sache geopfert und Belohnung für das, was ich ihr nützte, gerechnet zu haben.“