ADB:Bernhard II. (Herzog von Sachsen-Meiningen)
[410] Ehe war dem Herzog als erstes Kind eine Tochter am 13. August 1792 geboren, Adelheid, die spätere Königin von England, und am 25. August 1794 wieder eine Tochter, Ida, nachmalige Herzogin Bernhard von Sachsen-Weimar. Somit hatte sich seit Jahren dem Lande die immer wachsende ernste Besorgniß aufgedrängt, daß es beim Tode des Herzogs an einem directen Erben fehlen werde und dadurch die Selbständigkeit des Herzogthums Meiningen bedroht sei. Um so größer war jetzt die Freude. Auf den ersten Christtag des Jahrhunderts ward die Taufe angesetzt. Der Thüringer gibt viel auf die Ehre der Pathenschaft. Zu dem gerade anwesenden Fürstbischof von Würzburg mit seinem Domcapitel und dem verwandten reformirten Landgrafen von Hessen-Philippsthal-Barchfeld wurden die lutherischen Agnaten und die Vertreter des ganzen Landes aus Städten und Dörfern geladen, und es kamen 416 als Vertreter der drei Confessionen und des Landes, und der Prinz erhielt den Namen Freund nach des Vaters Wunsch, daß er als Freund seiner Unterthanen sie als Mitmenschen ehre und liebe und von ihnen als Freund geehrt und geliebt werde. Herzog Georg „der Unvergeßliche“ starb unvermuthet an Lungenentzündung am Weihnachtsabend 1803 mit den prophetischen Worten: „Mein Bernhard wird ein guter Mensch werden und fortbauen, wo ich aufhöre.“ Nach den Ehepacten übernahm die Regentschaft bis zu der nach Hausgesetz mit 21 Jahren eintretenden Volljährigkeit die treffliche Wittwe und Mutter Luise Eleonore, eine Frau klaren Verstandes und frommen, menschenfreundlichen Herzens. Der begabte Prinz, ein besonders schönes Kind, erhielt schon kurz vor erreichtem sechsten Lebensjahr als Erzieher den Consistorialassessor Friedrich Mosengeil (s. A. D. B. XXII, 368), der sich auch als beliebter Schriftsteller einen rühmlichen Namen erworben hat. Sein dem jungen Herzog fast gleichalteriger Sohn und Ernst Wagner, Sohn des herzoglichen Privatsecretärs (s. A. D. B. XL, 486), eines geistreichen Schriftstellers, wurden des ohne Brüder allein stehenden fürstlichen Knaben Spielgefährten und Jugendfreunde. Als nach Napoleon’s Sieg bei Jena das ohnehin von den Zeiten Anton Ulrich’s her (s. A. D. B. I, 493) tiefverschuldete Land durch Auflegung schwerer Contributionen unerträglich belastet war und die Herzogin-Regentin, eine echt deutsche Frau, 1807 vor dem Gewaltigen huldigend und Hülfe erflehend in Gotha sich demüthigen mußte, hat es sich unauslöschlich dem siebenjährigen Knaben für sein ganzes Leben eingeprägt, wie alles vor dem Gewaltigen kroch und er selber ihm die Hand auf der Mutter Befehl küssen mußte. Als in den letzten Octobertagen 1813 nach der Leipziger Völkerschlacht in und um Meiningen über 70 000 Mann lagerten und Kaiser Alexander mit Generalität und Gefolge im Schloß weilte, fand derselbe besonderes Wohlgefallen an dem jungen, schönen Fürsten und nahm ihn mit in seine Zimmer. Als Bernhard dann aber auch während der Toilette nicht weichen wollte, sagte der Zar gutmüthig lächelnd zu seinem aus Bauerbach bei Meiningen stammenden Generaladjutanten Baron Wolzogen auf russisch: „Befreien Sie mich von Ihrem Souverän.“ Die Herzogin erbat an jenem 19. October ihre in Rußland gefangenen Mannschaften vom Kaiser los. Eine neugebildete meiningische Compagnie hatte sich unter Major v. Lynker schon am 13. Februar 1813 bei Schwarzhausen und Winterstein zum Schein gefangen nehmen lassen und focht sofort unter Blücher. Am 24. Januar 1814 ordnete die Herzogin allgemeine Landesbewaffnung mit Landwehr und Landsturm an „zur Führung des großen Kampfes für die Freiheit des deutschen Vaterlandes“, zahlreiche Freiwillige traten ein. Als das Contingent im August 1814 zurückkam, empfing die Herzogin mit ihrem Sohne die einziehenden Sieger bei Einhausen, wo sich, eine Stunde von Meiningen, ein Volksfest entwickelte. Beseeligt von dem Gefühl [411] der wiedergewonnenen Unabhängigkeit und des nahenden Friedens ließ der Prinz damals an der steilen Wand des Bonifaciusfelsens bei dem Sommerschloß Altenstein, der Stätte seiner Jugendlust und Spiele, in großen ehernen Lettern die Worte anbringen: „Gott, Vaterland, Freiheit, Friede.“ Am 15. October 1815, nach neugefestigtem Frieden, wurde Bernhard in der Meininger Schloßkirche von demselben Hofgeistlichen Vierling öffentlich confirmirt, der ihn getauft, und von den damals anwesenden Pathen waren gegen 300 zugegen, darunter ein 98jähriger Greis. Die Gelübde des Knaben waren und blieben seines Lebens Leitstern, stets hat er sich zu Gottesdienst und Sacrament gehalten und auch bei seinen Beamten darauf gesehen, wie dies der Enkel jenes Geistlichen, Hofprediger A. Schaubach, am Begräbnißtage anerkennen mußte. Einer der Paladine an jener Tafelrunde Kaiser Alexander’s im Meininger Schlosse, Herzog Bernhard von Weimar vermählte sich am 30. Mai 1816 mit des Herzogs jüngerer Schwester Ida und der bis dahin als einziger männlicher Sproß seines Hauses allein dastehende Fürst gewann in dem Schwager einen Lebensfreund, wenn auch freilich dessen Sinn und Lebensschicksale ihn noch lange in die weite Welt hinaustrieben, sogar nach niederländisch Ostindien als commandirenden General der dortigen holländischen Truppen, bevor er, im Haag lebend, die Sommermonate in Liebenstein bei Altenstein zuzubringen pflegte. Dies Jahr schloß schwer durch die drückende Theuerung, welche das Land heimsuchte. Während die Regentin durch landesmütterliche Sorgfalt, die Tochter Prinzessin Adelheid durch Gründung eines Frauenvereins half und linderte, opferte auch der Prinz seine ganzen Baarmittel zur Hülfe der Nothleidenden. Als die Ernteaussichten sich günstig gestalteten, gingen die Herrschaften im Juni 1817 auf ein halbes Jahr nach Genf. B., der fleißig und lernbegierig sich einen guten Schatz von Kenntnissen gesammelt hatte, war von seinem Erzieher Mosengeil begleitet. Das nächste Frühjahr brachte die Verlobung der älteren Schwester Adelheid mit Herzog Wilhelm von Clarence, von 1830–37 (Matrosen-)König von England. Mitte September 1818 bezog der Herzog die Landesuniversität Jena in Begleitung Mosengeil’s und des zum Oberhofmeister ernannten bisherigen Hildburghäuser Regierungspräsidenten Geheimrath Frhr. v. Baumbach, eines kenntnißreichen geachteten Cavaliers von tüchtigem, rechtlichem Charakter. Ein weiterer Begleiter war der geistreiche und umgängliche junge Ad. v. Fischern, den der Prinz besonders liebgewonnen hatte. Da auch Frau v. Baumbach ihr Domicil in Jena aufschlug, hatte der Prinz eine kleine Hofhaltung. Durch offenes freundliches Wesen gewann er sich bald die Herzen und eine angenehme Stellung, da die Mitstudirenden ihn, der trotz seiner ernsten Jugendzeit mit Fröhlichen fröhlich zu sein liebte, gern hatten. Zur Charakterisirung der Jenenser Zeit diene (nach H. Leo, Aus meiner Jugendzeit) jene von der Burschenschaft inscenirte Geburtstagsfeier Blücher’s am 16. December 1818, mit dem Schlußsouper auf dem Burgkeller, lediglich dazu bestimmt, den bekannten Burschenschaftler Karl Follenius in nähere Beziehung zum Meininger Herzog zu bringen, der mit Baumbach und Mosengeil ebenso wie Erbgroßherzog Paul von Mecklenburg geladen war und Follenius zum Tischnachbar erhalten hatte. Doch Follenius zeigte sich wenig gewandt und der Herzog konnte bald merken, daß er da nicht am Platze sei. Der uneingeweihte Schleswig-Holsteiner Lornsen, wie zu einem Hoch aufstehend, rief: „Allen 30 oder 33 deutschen Fürsten ein – “, und setzte sich, den Satz nicht vollendend, während Professor Luden ein Vivat Hoch rief, in das mit den Professoren ein Zehntel der Studenten einstimmte. Beide Fürsten brachen mit ihren Begleitern fast unmittelbar nachher auf und mit ihnen zugleich fast alle Professoren. Selbstverständlich gab es während dieses Jenenser Jahres [412] viel Verkehr mit dem verwandten Weimarischen Hofe, und Karl August’s freie Denkungsart, die schon 1816 zum Erlaß einer liberalen Verfassung geführt hatte, wie überhaupt die ganze dortige Luft wirkte auf des jungen Fürsten nächste politische und geistige Richtung bestimmend ein. Auf Jena folgte ein zweites Studienjahr in dem schönen Heidelberg. Das letzte Jahr vor dem selbständigen Regierungsantritt mußte zur Einführung in die Regierungsgeschäfte dienen. Mit Ernst und Liebe war er bei der Sache, nutzte aber auch die noch nicht geschmälerte größere Bewegungsfreiheit im Sommer 1821 zum Besuch seiner englischen Verwandten. Die Ausbildung war vollendet. Zu wenig war bei dieser das Militärische berücksichtigt. Nie hatte der junge Herzog in größerem Contingent gedient. Am Tage der Volljährigkeit, die nach dem Hausgesetz mit 21 Jahren eintrat, legte die Herzogin-Mutter die Regentschaft nieder und B. übernahm die Regierung. Als Minister fungirte der noch vom Vater 1802 aus Koburg berufene Geheimrath v. Könitz, der als bedeutender Staatsmann gegolten hatte, sich aber thatsächlich als solcher wenig bewies, doch aber als ritterlicher, rechtlicher und wohlwollender Herr beliebt war. Die Zahl hoher Beamter war für das kleine Gebiet mit nur 57 380 Seelen bei 350000 Gulden Staatseinkünften viel zu groß, dazu die Schuldenmasse enorm, Rechnungswesen und Controle sehr mangelhaft. Oefter mußten zur Zahlung der Gehälter bei Privaten und Juden kleine Anleihen gemacht werden, und dennoch war des Fürsten erste Regentenhandlung ein Steuererlaß, überhaupt ließ er sich von seinem wohlwollenden Herzen anfänglich zu sehr leiten. Nachdem er sich genauer orientirt hatte, begann er aufzuräumen; die Behörden wurden neu organisirt, dabei die Verwaltung vereinfacht und von der Justiz getrennt. Nach Weimarischem Vorbilde war in dem Meiningen benachbarten, noch kleineren Herzogthum Hildburghausen schon 1818 eine Verfassung gegeben, einer der landschaftlichen Deputirten war Dietrich Frhr. v. Stein auf Völkershausen, der nach drei Jahren auch zum Hildburghäuser Landschaftsdirector gewählt wurde und bei der Ordnung der Steuer- und Finanzverhältnisse dort glücklich thätig war. Da diese Stein’sche Familie ihren Winteraufenthalt in Meiningen, der Nachbarstadt ihrer Güter, zu nehmen pflegte und der Herzoglichen Familie sofort näher trat, wurde auch des Herzogs Aufmerksamkeit sofort auf den nur sieben Jahre älteren Hildburghäuser Landstand gerichtet. Auf einer Römhilder Jagd im Herbst 1823 kam der Herzog mit Stein auf das schon mehrmals besprochene Thema einer nothwendigen Reform der landschaftlichen Verfassung und daß er hoffe, Stein in landschaftlichen Angelegenheiten ganz nach Meiningen zu ziehen. Auf diese Anregung hin entwarf Stein ohne Bestellung auf gut Glück ein Grundgesetz für die neue Meininger landschaftliche Verfassung, theilte sie bei einer Frühlingsjagd 1824 dem Fürsten mit, der sie freudig annahm, eifrig studirte, mit den Räthen durchsprach und dem Verfasser endlich den bestimmten Entschluß der Auflösung der alten Landschaft mittheilte und daß das entworfene Grundgesetz mit einigen unwesentlichen Aenderungen erlassen und von Stein als Landtagsmarschall zur Vollziehung gebracht werden sollte. In der bisherigen Landschaft war der Bauernstand gar nicht vertreten und zudem erstreckte sie sich nicht auf das Oberland, den Sonneberg-Schalkauer Bezirk und das Römhildsche. In Meiningen hatte sich, sobald der Herzog ernstlichere Anstalten machte, sofort die Opposition geregt, aber mit den Worten: „Die Bombe soll platzen“ kündigte er am 4. September seinen Räthen die Einsetzung einer Organisationscommission unter Stein’s Vorsitz an und am 25. September, unmittelbar vor Antritt einer Reise nach England, erhielt die Verfassungsurkunde die herzogliche Unterschrift. Am 17. December 1824 trat feierlichst der erste, aus je sieben erwählten Rittergutsbesitzern, Bürgern und Bauern bestehende Landtag zusammen und zum Schluß [413] der Thronrede verkündigte Herzog B. seine Verlobung mit Prinzeß Marie von Hessen, der zweiten Tochter des Kurfürsten Wilhelm II. und der Prinzessin Auguste, Schwester Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Trotz der unglücklichen hessischen Familienverhältnisse wurde die Trauung in Kassel am 23. März 1825 mit höchstem Glanz und vielen Aufmerksamkeiten für den Herzog vollzogen. Im Meiningischen gestaltete sich überall der Einzug zu einem herzlichen Familienfest der ganzen Bevölkerung. Die 21jährige Fürstin, welche am Osterfest glückstrahlend in die kleine Residenz einzog und sich sofort durch hingebende Freundlichkeit, mit der sie die Aufrechthaltung fürstlicher Würde stets zu verbinden wußte, allgemeine Verehrung gewann, war ihrem Gemahl von Herzen zugethan und der Herzensbund ist bis in das höchste Alter der Herrschaften für sie selbst und das ganze Land reich gesegnet geblieben. Die Fürstin fand sich leicht und mit Anmuth in die kleinen Verhältnisse, und doch hieß es, Prinz Wilhelm von Preußen, ihr Vetter, der spätere König und Kaiser, würde ihr gern wie sein Herz, so seine Hand geschenkt haben.
Bernhard Erich Freund, Herzog von Sachsen-Meiningen-Hildburghausen, geboren zu Meiningen am 17. December 1800, † daselbst am 3. December 1882, selbständiger Regent seines Landes seit seiner Volljährigkeit, seit dem 17. December 1821 bis zu seiner Abdankung am 20. September 1866. Bernhard war der einzige Sohn und das dritte Kind Herzog Georg’s I., eines vortrefflichen, überaus populären, patriarchalischen Regenten, und der Herzogin Luise Eleonore geb. Prinzessin von Hohenlohe-Langenburg. Mit ungeheuchelter, urwüchsiger Freude begrüßten Fürst und Unterthanen des damals nur zwanzig Quadratmeilen großen Herzogthums die Geburt des Erbprinzen. Nach zehnjährigerIn Meiningen machte man weder bei dem Gothaer Thronwechsel 1822, noch bei dem Aussterben dieser ältesten Linie der Nachkommen Ernst’s des Frommen am 11. Februar 1825 Theilungspläne, sondern beanspruchte allen Ernstes als nächstälteste Linie das ganze Erbe, während der Herzog von Hildburghausen als Senior der drei Linien die Theilung forderte und der Koburger als Tochtermann des vorletzten Gothaer Herzogs dazu als Erbe des Allodialbesitzes auftrat. Meiningen erließ gleich am Todestage Friedrichs IV. von Gotha-Altenburg ein Besitzergreifungspatent. Es solle zwar von den bisherigen Staatsbehörden zunächst weiter verwaltet werden, ohne daß jedoch einer der drei Herzöge daraus etwas beziehe und „daß durch dies Interimisticum Unsern ausschließlichen Rechten zu der eröffneten Staatssuccession das Mindeste nicht vergeben werden solle“. Infolge dieses Patents pflegten die Gothaer den regierenden interimistischen Minister Lindenau „Herzog Bernhard“ zu nennen, ein scherzender Beiname, der dem verdienten Staatsmann auch noch in den königlich sächsischen Dienst folgte.
Am 2. April 1826 wurde dem herzoglichen Paar der ersehnte Erbe geboren, aber leider unter größter Todesgefahr der Mutter, auf deren Errettung zu sehen die fragenden Aerzte in erster Linie gewiesen waren. Am 1. Mai wurde der Erbprinz auf den Namen Georg getauft. Erst nach mehr als 17 Jahren, am 6. August 1843, folgte eine Tochter Auguste, die nachmalige Prinzessin Moritz von Altenburg.
Im Jahr der Geburt des Erbprinzen gelangten auch jene schwierigen Theilungsverhandlungen durch den allerseits angerufenen Schiedsspruch des Königs Friedrich August von Sachsen zu einem Abschluß. Der von allen Seiten am meisten angestrebte Hauptantheil, nämlich das Herzogthum Gotha, fiel durch den Spruch der jüngsten Linie Koburg zu, und während Hildburghausen, dessen Finanzen sich damals in sehr bedenklichen Umständen befanden, an Meiningen kam, erhielt die dort bis dahin regierende Linie das reiche Altenburger Land. Meiningen aber, für welches Ministerialrath v. Fischern, des Herzogs Jugend- und Universitätsgefährte, hauptsächlich die Verhandlungen leitete, kam am schlimmsten fort, indem es noch dazu durch die Verbindung der neu hinzukommenden mit den alten Bestandtheilen eine so schmale und langgestreckte Gestalt über den Thüringer Wald hinüber bekam, daß daraus der Verwaltung und rationellen Staatswirthschaft erhebliche Schwierigkeiten entstehen mußten. Herzog B. hatte den Bitten seiner armen Unterländer und seinem Herzen folgend die Abtretung auch nur eines Dorfes verweigert. Zu dem armen unterländischen Landstrich waren außer dem reichen [414] gesegneten Kamburg ärmere und von der Natur weniger begünstigte Waldbezirke hinzugekommen, wie Hildburghausen, Gräfenthal, Saalfeld, doch das Unterland hatte Verbindung mit dem Oberland erhalten, an Flächengehalt war es von 20 aus 43 Quadratmeilen gewachsen, doch wegen Mangels größerer Städte mit nur 143 000 Seelen. Bei der Besitzergreifung am 18. November 1826 sprach der Herzog die ihm persönlich zur höchsten Ehre gereichenden Beweggründe aus: „Geleitet von der Ueberzeugung, daß eine gütliche Uebereinkunft über die streitig gewordene Erbfolge in vieler Hinsicht vortheilhaft und die Verfolgung der Ansprüche im Wege des Processes wenigstens dann vorzuziehen sei, wenn dieselbe nicht das Opfer erheischte, irgend eine Abtretung eines Theils Unsrer bisherigen treuen Unterthanen, die Uns schon so viele Beweise ihrer Liebe und Ergebenheit bezeugt …“ Gegenwärtig, nach strenger unablässiger Arbeit treuer und geschickter Verwaltung bei den durch die industrielle Hebung der Waldbezirke und den gewaltigen Werth rationell bewirthschafteter Wälder und durch die modernen Verkehrsmittel gänzlich geänderten Verhältnissen, wird Niemand mehr des Herzogs damalige Entscheidung kurzsichtig und unstaatsmännisch schelten. Er hat in der That das beste Loos gezogen.
Auf die kurzen, aber grundlegenden ersten Regierungsjahre folgten weitere vierzig Jahre des Ausbaues in Gesetzgebung und Verwaltung. Ein Domänenstreit zieht sich wie ein rother Faden hindurch. Handel und Wandel nöthigten zum Anschluß an die preußische Zollvereinspolitik.
Es war ein Glück, daß Meiningen schon eine wirksame Verfassung hatte, als der Länderanfall die, wie das Beispiel Koburgs und Gothas zeigt, gerade bei kleineren Verhältnissen so schwierige Aufgabe der Assimilirung stellte, ein Glück auch, daß Stein als Meininger Landtagsmarschall und sodann als Ministerialmitglied, in Finanz- und Steuersachen auf richtigen Wegen, die Schäden der Meininger Finanzverwaltung aufgedeckt, aber auch schon gebessert hatte, wenn er auch klagen mußte, daß gerade der gothaische Anfall, auf den er die Hoffnung völliger Heilung der finanziellen Wunde setzte, zunächst mancherlei kostspielige, von ihm deshalb nicht gebilligte Projecte zeitigte und momentane Geldbedrängnisse die angefangene Verbesserung der Finanzverhältnisse störten. Bei der besonderen Schwierigkeit der Angliederung des eines eigenen Hofes höchst ungern beraubten Hildburghausen war Stein’s frühere dortige Dienststellung von gutem Nutzen, doch bei den neuen gesetzgeberischen Aufgaben trat nun, zu Stein’s lebhaftem Verdruß, ganz in den Vordergrund Geheimrath Dr. Schmidt in Jena, den der Herzog während seiner Jenaer Studienzeit kennen und schätzen gelernt hatte und mit dem er seitdem lebhaft correspondirte, ihn schließlich aber ins Land rief, wie Stein klagt: „Im Sommer 1829 verreiste der Herzog und ließ mich allein mit einer provisorischen Ständeversammlung und einem vom Herzog berufenen, im Lande verhaßten Gesetzfabrikanten, einem Geheimrath S.“ Stein, der an Schmidt’s Charakter kein gutes Haar läßt, schätzt doch dessen früheres Wirken als klug und gediegen, und nach den allerdings zahlreichen Gesetzen und Edicten jener Jahre in Meiningen läßt sich ein allgemeiner Haß im Lande nicht wohl verstehen. Nach der am 23. August 1829 veröffentlichten Verfassung wählten die 3 Stände je 8 Abgeordnete auf 6 Jahre. Das Wahlrecht hatten alle 30 Jahre alten ortsansässigen, directe Steuern zahlenden Christen. Beamte bedurften Genehmigung der Vorgesetzten. Den Landtagsmarschall wählten die Stände. Anklagen gegen Staatsdiener gingen an das Oberappellationsgericht in Jena. Der erste ordentliche Gesammtlandtag wurde am 30. October 1830 eröffnet und tagte bis 21. Februar 1831. Von 1830–48 erscheinen an 260 Edicte. Nach Stein’s und Baumbach’s Rücktritt wurde 1831 die Landesregierung in Verwaltungs-, Finanz- und Forstsenate eingetheilt und [415] eine Schuldentilgungscommission eingesetzt. Der in Hessen gemaßregelte und durch Vermittelung der Herzogin in die Meininger Regierung als Präsident aufgenommene Friedrich Krafft, später geadelt, zeichnet vom 25. April 1831 an als Minister (neben ihm v. Fischern), obwol er erst, nachdem der fast ganz erblindete Minister v. Könitz im Januar 1832 gestorben war, voll dessen Functionen mit dem Prädicat „Excellenz“ zugetheilt erhielt.
Die Wellen der Pariser Julirevolution 1830 hatten das Herzogthum nur wenig berührt, nur in Eisfeld war es bei einem Waldbußgerichtstag zu offenen Widersetzlichkeiten gekommen, doch die Verführten wurden belehrt und die Rädelsführer auf Ersuchen begnadigt. Eine patriarchalische Ansprache des Herzogs an seine getreuen Unterthanen vom 12. October 1830 genügte: „Haltet Euch zu mir, damit wir, durch Eintracht stark, Aufruhr und Zuchtlosigkeit mit ihren verwüstenden Folgen von uns entfernt halten … Vertraut mir unbedingt, so wie ich Euch vertraue.“ Im nächsten Jahre jedoch, am 13. August, wurde die Ständeversammlung aufgelöst, weil sie sich außer Stand erklärt hatte, einen auf Grund von Bundestagsentschließungen entworfenen und vorgelegten Gesetzentwurf über Bestimmungen in polizeilichen und gerichtlichen Strafsachen seinem ganzen Umfang nach zu prüfen. Am 12. September 1832 erschien dann eine Verordnung „mehrere Bestimmungen über die Zuständigkeit und Besetzung der Gerichte in Untersuchungssachen betr.“. Es war ja eine Bundescommission zur Ueberwachung der Landtage eingesetzt und die Frankfurter Beschlüsse, als Antwort auf das Hambacher Maifest, mußten veröffentlicht werden, mochte auch der Herzog gleichzeitig versichern, daß die Landesverfassung dadurch nicht abgeändert werde. Unter den vom Bunde verbotenen Zeitungen befand sich auch der in Hildburghausen erscheinende Meyer’sche Volksfreund.
Wesentliche Aenderungen in der Regierung erfolgten 1836 durch die Versetzung des Regierungspräsidenten Ministerialrath v. Fischern als Oberlandesgerichtspräsidenten in Hildburghausen und die Berufung des Preuß. Geh. Oberfinanzraths und Vicepräsidenten der Regierung in Münster Albert Vahlkampf zum Chefpräsidenten der drei Verwaltungssenate. Er war ein klarer geistvoller Mann und eine bedeutende Arbeitskraft, voll Energie und Strenge, der dem hergebrachten Schlendrian scharf entgegentrat, hochstehend in der Gunst des Herzogs, der ihn und darnach auch den Assistenzrath Debertshäuser an die Seite Krafft’s ins Ministerium berief, auch im Lande und bei der Bürgerschaft trotz seines katholischen Bekenntnisses beliebt. Noch am Schluß des namentlich durch die vom Abgeordneten V. Trinks beantragte und von Vahlkampf gebilligte Zinsreduction der ganzen Staatsschuld wichtigen Landtags von 1837/38 wurde er vom Herzog durch Verleihung des Comthurkreuzes ausgezeichnet, kurz darauf brachte das Regierungsblatt zu allgemeiner Ueberraschung die erbetene Entlassung. Er war wegen eines vom Herzog dem Hofjägermeister v. Gemmingen persönlich ertheilten und von diesem nicht an Vahlkampf als Ressortchef mitgetheilten Urlaubes dem leicht verletzbaren Regenten persönlich, wie freilich einst auch v. Stein, zu schroff gegenübergetreten im Bewußtsein seines Rechtes. Da auf Anregung von V. Trinks und Bürgermeister Döbner, denen es der Herzog lange als Demonstration verdachte, die Residenz dem Entlassenen das Ehrenbürgerdiplom votirte und überreichte, erregte der Vorfall weithin und lange unliebsames Aufsehen. Im Herbst 1840 nahm auch Minister v. Krafft seine Entlassung und zog nach Kassel. Man sagte, mancherlei Differenzen mit dem Herzog, namentlich weil dieser in kritischen Fällen seinen Jugendfreund v. Fischern zu befragen liebte, mit dem aber Krafft in steter Spannung lebte, hätten den Bruch herbeigeführt. Die Stelle wurde aber nur interimistisch besetzt, zunächst durch Debertshäuser und vom 3. Mai 1841 durch v. Fischern, jedoch unter Beibehaltung seiner Gerichtspräsidentenstellung, [416] bis am 1. December 1843 Geheimrath v. Krafft aus Kassel zurückberufen wurde und am 21. December die Bestallung als Wirkl. Geheimrath und Minister empfing, während v. Fischern unter Rückverlegung seines Wohnsitzes nach Hildburghausen die gleiche Rangerhöhung als Wirkl. Geheimrath und Mitglied des Landesministeriums am gleichen 1. December empfangen hatte. Krafft blieb bis zum 1. November 1847 auf seinem Platze und wurde dann mit der Bemerkung seines Ministerpostens enthoben, daß sich bei vorkommenden wichtigeren Fällen der Herzog auch ferner seines einsichtigen und bewährten Raths bedienen werde.
Im Juni 1847 ward der Landtag wegen Weigerung, die reproponirten Etats anzunehmen, aufgelöst. Bei der Neuwahl wurde wieder der Advocat Trinks wie im Vorjahr gewählt, nachdem ihm seit der Vahlkampf’schen Affaire wie bei seiner Wahl zum Meininger Bürgermeister die Bestätigung, so zum Eintritt als Abgeordneter der Urlaub versagt war. Man stand jetzt schon im Vorgefühl der großen Erschütterungen von 1848, und der Urlaub konnte nicht mehr verweigert werden. An Krafft’s Stelle war Geheimrath Frhr. v. Werthern beauftragt worden, ein Ministerium zu bilden. Schon im August 1845 war dieser, bis dahin preußischer Regierungsrath, in die Regierung als Geh. Staatsrath und Mitglied des Hausministeriums berufen. Es stand in ihm in der bewegten Zeit der rechte Mann an der rechten Stelle, nur daß er leider schon am 4. September 1848 infolge einer unbedachten Demonstration des Janhagels vor seinem Hause, obwol Abg. Trinks durch muthiges Dazwischentreten das Aeußerste verhindert hatte, seine Entlassung erbat und erhielt, da auch seine Meinung mit der des Herzogs mannichfach differirt hatte. Gegen Alle gerecht und wohlwollend, so wohlthätig, daß er fast sein ganzes Gehalt für Unterstützungen auszugeben pflegte, wie er auch beim Rücktritt auf jede Pension verzichtete, genoß er die allgemeinste Achtung und das festeste Vertrauen. Alle Kreise waren über das Vorkommniß tief empört, Werthern zog sich zuerst auf seine Güter zurück, trat dann wieder in preußischen Staatsdienst und ist erst kürzlich in Pommern gestorben, bei welchem Anlaß auch Thüringer Blätter seiner dankbar und ehrenvoll gedachten.
Am 17. December 1846 ward das 25jährige Regierungsjubiläum mit Dank gegen Gott gefeiert. „Wenn bei uns auch nicht Alles vollkommen ist, so ist doch Manches besser geworden. Daran haltet fest, daß mich bis an mein Lebensende der redlichste Wille für Euer Wohl beseelen wird und daß die Liebe zu Euch noch die alte, das Vertrauen noch dasselbe ist wie vor Jahren.“ Das herzliche patriarchalische Vertrauen dieser Ansprache wurde jedoch im Lande nicht mehr ungetheilt mit gleichem Vertrauen erwidert. Der Gesetzgebung fehlte doch bei den rasch wechselnden Systemen der einheitliche Organismus und bei dem steten Beamtenwechsel die gleichheitliche consequente Durchführung. Weder Unterthanen, noch Beamte waren darin und mit einander warm geworden. Wie im Hofstaat waren in der Regierung der Stellungen zu viele. Zu leicht wurde versetzt, pensionirt, zur Disposition gestellt, oben wie unten. Die neuen und die alten Landestheile waren einander, nach Brückner’s Landeskunde, mehr oder weniger fremd, theilweise auf einander gespannt und eifersüchtig. Die Behandlung der deutschen Dinge am Bundestag hatte die Entwicklung nach außen und innen gelähmt, in 30 Friedensjahren kein Fortschritt der Volkswohlfahrt, vielmehr Verarmung, von 1828–1849 wuchs die Residenz und größte Stadt des Herzogthums nur von 5426 auf 6451 Seelen. Und doch war Meiningen, noch rechtzeitig einlenkend, in Zoll- und Handelssachen auf rechter und echt nationaler Seite, wie wir jetzt wissen, d. h. mit Preußen gegangen.
Vor dem Gothaer Erbanfall war es, nirgend über die alte Grenzscheide [417] zwischen Franken und Thüringen nach Norden reichend, ein rein süddeutsches Land. Seit der Einverleibung von Gräfenthal, Saalfeld, Pößneck, Kamburg und Kranichfeld hatte es auch einen nicht mehr in die Mainländer Baierns, sondern nördlich nach Erfurt und Naumburg gravitirenden Kreis. Als Stein 1824 den Plan zu einer Zollvereinigung Meiningens mit Baiern vorgelegt hatte und er auf seinen Vortrag vom Herzog zum König von Baiern entsandt wurde, worauf der bairische Gesandte Graf Luxburg in Meiningen erschien, war dies der Lage entsprechend, aber daß nach Zustandekommen des Bairisch-Württembergischen Zollvereins und noch mehr des Preußisch-Darmstädter, Carlowitz von Koburg und Stein sich in Meiningen dahin vereinigten, mit allen sächsischen Häusern und womöglich mit Kurhessen eine besondere Vereinigung zu schließen, das war nicht wohlgethan. Auf einem Congreß der mitteldeutschen Staaten im Sommer 1828 in Kassel, auf dem Stein als Meininger Abgesandter thätig war, bekam er krasse Eindrücke von der Erbärmlichkeit der Kleinstaaterei, wie die meisten Regierungen aus Souveränitätsängsten weitergreifende Einigungen stören wollten. „Ich war mit einer der Ersten, der unverholen erklärte, daß allgemeine Zollvereinigung, namentlich Verein mit Baiern und Preußen das Ziel unseres Strebens sein müsse und im Widerstreit gelang es wenigstenss eine hierauf hinzielende Stelle in die Verfassungsurkunde zu bringen.“ Später schloß Stein in München auf eignes Risico einen Vertrag ab, fand aber in Meiningen keinen Anklang. Krafft vollzog dann die Schwenkung nach Preußen hin. Schon am 15. März 1828 hatte er nach Berlin angedeutet, daß Meiningens Lage wegen der sein Gebiet durchziehenden frequentesten Straßen es über seinen geographischen Umfang hinaus werthvoll mache und daß es bei Würdigung dieser Stellung geneigt sein möchte Darmstadts Beispiel zu folgen. Motz, der hochverdiente Urheber des Zollvereins, hatte dort zunächst nur Spott, die geographische Bedeutung des Herzogthums sei ihm ganz neu, es sei betrübend, wenn solche überspannte Diener dazu beitrügen, daß dem Souveränitätsdünkel ihrer Fürsten auch noch ein Straßendünkel hinzugefügt werde. Am 3. Juli aber wurde mit Meiningen, Tags darauf mit Gotha ein Vertrag geschlossen, „um die Hindernisse zu beseitigen, die vorzüglich durch örtliche Verhältnisse dem Handel und Verkehr entgegenstehen.“ Von Langensalza sollte über Gotha nach Zella St. Blasii, von da über Meiningen an die bairische Grenze nach Würzburg zu und über Suhl, Hildburghausen, Lichtenfels nach Bamberg zu gebaut werden mit preußischem Vorschuß. Dazu wurde völlige Freiheit des Durchfuhrhandels auf dem neuen Straßenzug vereinbart und freier Nachbarverkehr mit dem preußischen Henneberg, auf dessen Umtausch gegen das Koburger Fürstenthum Lichtenberg Preußen daher auch in vollem Bewußtsein von der handelspolitischen Bedeutung dieses Besitzes einzugehen verweigert hatte. Treitschke weist mit Recht darauf hin, daß dieser Straßenzug in der Eisenbahnpolitik des deutschen Reiches eine bedeutsame Rolle gespielt hat, also kann doch von einem Straßendünkel Meiningens keine Rede sein. Treitschke fügt hinzu: „Diese beiden unscheinbaren Verträge haben in Wahrheit den mitteldeutschen Verein vernichtet. Denn erst jetzt erhielt der preußisch-bairische Vertrag praktischen Werth. Motz eilte selbst nach Thüringen, um den raschen Ausbau der Straßen zu fördern. Graf Münster in Hannover bot alle kleinen Künste auf, um den Meininger Herzog durch seine Schwester, die Herzogin von Clarence, von Preußen abzuziehen.“ Dann wird weiter erzählt von dem Junicongreß 1829 der Mitteldeutschen in Kassel, wie Alles gegen die Verräther Meiningen und Gotha getobt habe und Commissäre geschickt wären, die Herzöge zu verwarnen. „Meiningen und Gotha drohten, ihres eigenen Weges zu gehen, wenn der Verein nicht mit Preußen sich verständige.“ Beide [418] versagten dem neuen mitteldeutschen Vertrage ihre Zustimmung. Der Herzog wußte wol, was er zu thun hatte, thun durfte und thun mußte, weil er wie sein Rathgeber Krafft wol die Bedeutung der Straßenzüge erkannt hatte. Keinerlei Einflüsse vermochten ihn von seiner bewußt eingenommenen Stellung zurückzubringen. Krafft’s endlicher Ersatz durch den Preußen v. Werthern, der Eintritt des am 2. April 1847, nach in Leipzig, Bonn und Heidelberg vollendeten Studien, mündig gewordenen Erbprinzen Georg in preußischen Militärdienst und endlich dessen Verheirathung mit der preußischen Prinzessin Charlotte, Tochter des Prinzen Albrecht von Preußen und der Prinzessin Marianne der Niederlande, am 25. Mai 1850, dies alles ist mit antipreußischer Gesinnung nicht vereinbar. Bei der Verheirathung nahm das junge erbprinzliche Paar im Meininger Residenzschlosse Wohnung, anfänglich war nicht einmal eine besondere Hofhaltung vorgesehen, worin aber rechtzeitig Wandel geschafft wurde. Am 1. April Abends gegen 11 Uhr, kurz vor Anbruch des Geburtstags des Vaters, wurde im Schloß dem Erbprinzen ein Sohn geboren und am 1. Mai vom Großvater über die Taufe gehalten und Bernhard genannt. Oft weilte aber Erbprinz Georg mit seiner Gemahlin in Berlin und Potsdam und that dann stets entsprechend seinem Grade – er war inzwischen zum Major avancirt – militärischen Dienst bei der Garde. In Potsdam ward ihm am 23. September 1853 eine Tochter, Prinzessin Marie, geboren.
Des Erbprinzen Hochzeizstermin bezeichnet zugleich den völligen Abschluß der Meininger revolutionären Periode, denn wenn es auch in Vergleich zu andern Ländern nicht zum Aeußersten gekommen war, hatte es sich doch zeitweise stürmisch angelassen. Der Landtag war gerade versammelt und berieth den Etat, als am 27. Februar 1848 Abends die Pariser Nachrichten bekannt wurden. Sofort erfolgte ein Umschlag der Stimmung. Man forderte Vereinfachung des Staatshaushalts und berührte etwas empfindlich die Domänenfrage. Am 8. März kam eine herzogl. Proposition mit mancherlei Regierungsconcessionen und dazu wurden noch mancherlei Besserungen in Aussicht gestellt. Die Vorlagen und Vorschläge genügten schon nicht mehr. Am Abend des Tages beschloß eine Volksversammlung eine Adresse an den Landtag mit 18 Nummern, ein Märzverein ward gegründet, Bürgerwehr eingerichtet, am zweiten Tage empfing der Herzog eine Deputation und gab die befriedigendsten Zusicherungen, Volksbewaffnung sollte sofort eintreten, das Gesetz vom 26. März 1846 über die Domänen wurde zurückgenommen, so daß der frühere Zustand wieder eintrat. Am ärgsten ging es in Salzungen zu, wo das Proletariat wie eine Räuberbande hauste, so daß durch sofortige Entsendung eines Militärcommandos dem Unfug gesteuert werden mußte. Die Oberländer und namentlich die Sonneberger, auf deren Loyalität der Herzog ganz besonders gebaut hatte, kamen mit den maßloßesten Forderungen und eingeschüchtert durch die Berliner Vorgänge gewährte der Herzog in einer Proclamation vom 20. März: Umgestaltung des Bundes, Preßfreiheit, Schwurgerichte, öffentliches Gerichtsverfahren, Volksbewaffnung, Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, Ueberlassung der Domänen, Revision des Wahlgesetzes, Linderung der Forststrafgesetze, Holzabgabe und Waldnutzungen, Ermäßigung des Wildstandes, Aufhebung des privilegirten Gerichtsstandes, besseres Ablösungsgesetz, Salzsteuererlaß. Endlich begannen die Unterländer sich gegen die unersättlichen Oberländer zu regen. Dem Minister, dem der Herzog zu nachgiebig erschien, wurden Hochs gebracht. Des Erbprinzen Geburtstag wurde begeistert gefeiert, Militär und Bürgerwehr paradirten gemeinsam. Da wurde in der Nacht vom 4. auf den 5. April der allerdings schon aus gerichtlicher Veranlassung zur Disposition gestellte Hofmarschall v. Minutoli beim Eintritt in seine Amtswohnung im herzogl. englischen Garten erschossen. Bald ergab [419] sich, daß der eigene jugendliche Diener einen gleichaltrigen Freund in persönlicher Rache und Habsucht dazu bestimmt hatte. Es wurde als Vorläufer des Classenkampfes in Mord und Todtschlag aufgefaßt und machte auf den Herzog, der mit seinem Sohn ans Sterbelager geeilt war, tiefsten Eindruck. Da wegen des neuen Wahlgesetzes am 1. Juni der Landtag aufgelöst wurde, wuchs die Erregung wieder. Der Herzog eilte selbst, von einem Adjutanten begleitet, ins Oberland, aber sein Empfang in Sonneberg war mehr als kühl, die aufgestellte Bürgerwehr stand bei seinem Erscheinen still, Gewehr bei Fuß. Einlagerung von Meininger Militär stellte die nach des Herzogs sofortigem Aufbruch durch den Uebermuth der bewaffneten Turner gestörte Ruhe wieder her; lange währte es, bis der Herrscher die undankbare Stadt wieder betreten mochte. Am 9. September wurde der Oberst und Generaladjutant v. Speßhardt mit Bildung eines Ministeriums beauftragt, dessen fünf Abtheilungen, unter Aufhebung der Mittelbehörden, mit tüchtigen, meist gemäßigt-liberalen Männern besetzt wurden. Als es auch in Hildburghausen und Saalfeld zu bedeutenden Excessen und Befreiung von Gefangenen kam, wurde endlich der größte Theil des Contingents einberufen und zunächst nach Saalfeld dirigirt. In Hildburghausen sorgte ein Bataillon Baiern energisch für Ruhe, in Meiningen quartierte sich im December ein sächsisches Schützenbataillon ein. Da der Landtag dem Anschluß der Regierung an das Dreikönigsbündniß widersprach und aufgelöst wurde, fiel im weiteren Verfolg am 23. October 1849 auch das Ministerium des populären Speßhardt, und v. Wechmar bekam nun die Aufgabe, die Ueberstürzung in der Gesetzgebung wieder gut zu machen, namentlich in der Domänenfrage, auf welche, da sie erst unter dem Regierungsnachfolger befriedigende Lösung fand, nachdem eine ganze Litteratur darüber entstanden, hier nicht eingegangen zu werden braucht. Wechmar’s Entlassung, Ende 1855, geschah wegen Krankheit.
Die Ernennung des Schleswig-Holsteiners v. Harbou, der nach Wechmar 6-7 Jahre hindurch das Ministerium leitete, führt auf des Herzogs Stellung zur schleswig-holsteinschen Frage, die ihm ja schließlich als die eigentliche Veranlassung zu der sich verschärfenden Opposition gegen Preußen persönlich verhängnißvoll werden sollte. Harbou war von 1848–51 Mitglied der Regierung der Elbherzogthümer gewesen und hatte schon im März 1852 als Märtyrer des „bedrängten Bruderstammes“, dem Land und seinem Fürsten gleichwillkommen, als Meininger Staatsrath Anstellung gefunden; mit ihm und durch ihn kam Schlaikier an das Hildburghäuser Seminar und schließlich an die Spitze des Schulwesens; auch andere Schleswig-Holsteiner fanden auf seine Empfehlung Anstellung. Zum Cabinetsrath des Herzogs wurde ebenfalls ein Schleswig-Holsteiner, Frhr. v. Liliencron berufen, der in Jena die Professur der deutschen Philologie bekleidete. Herzog Friedrich von Augustenburg ward durch seine Vermählung mit einer Prinzessin von Hohenlohe-Langenburg im September 1856 dem Herzog durch dessen Mutter verwandt, und als der am 1. März 1855 Wittwer gewordene Erbprinz in zweiter Ehe am 28. October 1858 Prinzessin Feodora aus Langenburg, jüngere Schwester der Herzogin von Augustenburg heimführte, waren die verwandtschaftlichen Bande noch enger geworden. Das Meininger Contingent, dem der Erbprinz als Major aggregirt war, war schon 1849 in Schleswig-Holstein gewesen, und das Interesse wuchs nur, als diese Volkssache nach dem Berliner Frieden preisgegeben ward und die Schleswig-Holsteiner den Befreiungskampf allein fortsetzten. Es eilten auch aus Meiningen ausgediente Mannschaften, namentlich Unterofficiere nach Norden. Als damals im ganzen Lande Gelder und Lazarethgegenstände gesammelt wurden, hatte der Herzog seine Sympathien durch Beiträge zu erkennen gegeben. Es dauerte lange, bis durch König Friedrich’s VII. Tod die schleswig-holsteinische Angelegenheit [420] wieder in Fluß kam. Harbou war inzwischen durch Patent vom 16. August 1861 plötzlich und überraschend nach einem der ominösen v. Fischern’schen Besuche im Meininger Schlosse entlassen und am 29. October 1861 durch den preußischen Landrath des Mansfelder Kreises v. Krosigk ersetzt. Der nicht in die Oeffentlichkeit gedrungene Grund lag in geheimen Verhandlungen, die Harbou im Landtag über einen Compromiß in der leidigen Domänensache angebahnt hatte. v. Fischern benutzte diesen Anlaß, um seine Gesinnung beim Herzog zu verdächtigen, leider mit einem Erfolg, den später niemand tiefer beklagte, als der Herzog selbst.
Daß bei Harbou’s Entlassung schon eine antipreußische Gesinnung des Herzogs mitgewirkt hätte, ist ein um so handgreiflicherer Irrthum, da ja sein Nachfolger v. Krosigk aus preußischem Dienst herübergerufen ward. Doch trat in der That in dieser Periode in des Herzogss politischen Anschauungen eine Wendung ein, die sich allmählich gegen die in Berlin betriebene Politik richtete. Während des österreichischen Krieges gegen Piemont-Frankreich vertrat der Herzog in warmer Sympathie für Oesterreich eifrig das Eintreten des deutschen Bundes für Oesterreich und Preußens Haltung in dieser Sache verstimmte ihn tief. In dem Verhalten Preußens gegen die kleineren Staaten, in den Militärconventionen und Aehnlichem glaubte er mehr und mehr ein Aufsaugungssystem zu sehen, durch welches sich Preußen vergrößere und zugleich der nöthigen Bundesreform nur vorgreife und schade. Eben dies machte ihn gegen das Auftreten des deutschen Nationalvereins so mißtrauisch und ablehnend. Der gewaltige Geist Bismarck’s wurde in der Führung Preußens sichtbar, aber der Herzog verstand ihn damals und weiterhin nicht. Getäuscht von dem geschichtlichen ruhmvollen Glanz der Trägerin der alten deutschen Krone, wandten sich seine Blicke immer mehr Oesterreich zu im Gegensatz zu einem Theil seiner Unterthanen. Eine Pößnecker Adresse hatte engsten Anschluß an Preußen für jetzt und für alle Zukunft gefordert, die principielle Antwort des Herzogs vom 31. Juli 1859 sollte keinen Zweifel übrig lassen, daß er über das, was Deutschland fromme, ganz andere Ansichten hege. Infolge einer in Würzburg im November 1859 gehaltenen Ministerialconferenz beantragten Baiern, Sachsen, beide Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Nassau, Altenburg und Meiningen beim Bunde: Veröffentlichung der Bundestagsverhandlungen, Regelung der Heimathsverhältnisse, ein Bundesgericht, gemeinsames Civil- und Criminalrecht. Von der Fürstenzusammenkunft des Prinzregenten mit Napoleon hielt der Herzog sich zwar fern, verfolgte aber diese Vorgänge mit größter Aufmerksamkeit. Am 12. October 1862, kurz vor der Hochzeit der Prinzessin Auguste mit dem Prinzen Moritz von Altenburg, traf König Wilhelm von Preußen zu kurzem Besuch in Meiningen ein. Wenige Monate später empfing der Erbprinz ein preußisches Generallieutenantspatent und begab sich deshalb im Februar zur Meldung und Danksagung nach Berlin, der Herzog hingegen hielt wiederum wenige Monate danach die Zeit für gekommen, den beiden deutschen Großmächten ein Memoire über eine Bundesreform vorzulegen, an der alle Bundesfürsten sich betheiligen sollten. Die Grundidee war Einführung einer Executive (Centralgewalt) und einheitliche Leitung der deutschen Politik nach außen. Drei Mitglieder, Oesterreich, Preußen und eins der übrigen Königreiche bildeten die Executive, zur Seite ein Fürstenrath mit berathender Stimme. Oder es würde eine Executive von 17 Stimmen nach Kategorien: Oesterreich und Preußen je 5, die vier Königreiche 3, Großherzoge 2, Herzoge 1, Fürsten und freie Städte 1. Der Centralgewalt stände zu Beschlußfassung über Krieg und Frieden und Disposition über die Bundesarmee im Kriegsfall, alles andere verbleibe der Bundesversammlung. Die an den Kaiser von Oesterreich und an den König von Preußen [421] gerichteten Vorschläge waren von einem weitern Motivirungsschreiben begleitet, es solle ein fürstlich persönliches Element zur Geltung kommen. Es wäre sehr wünschenswerth, daß die Fürsten im patriotischen Sinn und etwaige Opfer minder ängstlich wägend ein solches Werk der Einigung vollbrächten. In Gemeinschaft mit Sr. Majestät dem König von Preußen möchte der Kaiser eine Berathung der deutschen Regierungen, sei es auf einer Fürstenversammlung, durch die beauftragten Minister oder am Bundestag einleiten. Offenbar hing mit diesem Memoire die glanzvolle Aufnahme zusammen, welche der Herzog in Wien am 23. April 1863 und folgenden Tagen fand. Vertraulich wurden ihm hier schon die Entwürfe zu dem im August desselben Jahres nachfolgenden Frankfurter Fürstencongreß mitgetheilt. Auch bei dieser fürstlichen Conferenz trat er besonders eifrig und warm für die Reformsache auf, unterzeichnete auch schließlich am 1. September das nochmalige Collectiversuchen mehrerer Souveräne an Preußen, der Sache zuzutreten. Der Minister v. Krosigk, dem erst zu spät durch einen Verwandten über die antipreußische Tendenz des ganzen Fürstentags die Augen geöffnet sein sollen, erbat sich inmitten der Tagung Urlaub zu einer Rheinreise. Der Herzog übertrug seine Geschäfte Herrn v. Uttenhoven, der dann auch nach Krosigk’s Zurdispositionsstellung ihm 1865 als Minister folgte.
F. v. Uttenhoven, Sohn des früheren Consistorialpräsidenten, war bis Ende 1855, als Wechmar wegen Kränklichkeit definitiv entlassen und Harbou auch formell Minister geworden war, Rechtsanwalt und Landmarschall gewesen, damals trat er an Harbou’s Stelle als Staatsrath in die Regierung und übernahm dessen Abtheilung für Kirchen- und Schulensachen. Uttenhoven war erprobter treuer Beamter, das personificirte Wohlwollen, aber von Natur schüchternen Wesens und, zumal in bewegter Zeit, an leitender Staatsstelle nicht an seinem Platze. Gerade nach dem Fürstentag aber begannen die wichtigsten Ereignisse sich zu überstürzen. Im September hielt der österreichische Feldmarschalllieutenant v. Paumgartner die übliche Bundesinspection des Meininger Contingents, vom Hofe aufs liebenswürdigste aufgenommen und im Schlosse logirt. Kaum war der Oesterreicher fort, so überreichte der preußische Gesandte Graf Rantzau seine Accreditive; v. Savigny, sein Vorgänger, hatte schon seine Stelle in Brüssel angetreten, seiner Meinung nach persönlich vom Herzog brüskirt, während umgekehrt der Herzog sich gekränkt fühlen zu müssen glaubte. Am 15. October 1863 wurde urplötzlich die schleswig-holsteinsche Frage durch König Friedrich’s VII. Tod wieder aufgeworfen. Herzog Friedrich’s Anerkennung als Thronerbe von Schleswig-Holstein wurde auch von Meiningen am Bunde und überall nachdrücklichst vertreten. Viele Petitionen aus dem Lande sprachen sich für den Augustenburger aus, die Salzunger und sonstigen Unterländer petitionirten um Verwilligung einer verhältnißentsprechenden Summe auf Staatscredit und für Dispositionsstellung des Contingents. Am 14. December kam Herzog Friedrich zu längerer Besprechung mit Herzog B. nach Meiningen, lebhafte Ovationen wurden ihm bei der Abreise bereitet. Alles wirkte zusammen, da nun der Gang der schleswig-holsteinischen Frage zu der Mißstimmung über die vereitelten Pläne des Fürstentags und der folgenden Ministerconferenzen hinzukam, den Herzog gegen die Politik der Großmächte immer mehr zu erbittern. In Berlin war mißliebig bemerkt, daß der Herzog als Agnat förmlich gegen die Coburger Militärconvention protestirt hatte und daß von allen Thüringer Contingenten allein das Meininger sich nicht den großen preußischen Truppenübungen anschloß; der Landtag hatte wiederholt die Mittel versagt. Die Verdrängung der sächsischen Truppen aus den Elbherzogthümern reizte den Herzog zu zornigen, bei ihm ungewohnten Reden. Alles aber, auch alle Zeitungsstimmen, wurden schon geheim controllirt und in Berlin ins persönliche [422] Schuldbuch des Herzogs geschrieben. Es folgte das Zerwürfniß der beiden Großmächte. Beide bewarben sich durch Gesandtenreisen um die Einzelhöfe; König Wilhelm schrieb selbst an den Herzog. Aber dieser neigte sich sofort wieder Oesterreich zu, durch das er den durch Preußen gefährdeten Bund gesichert glaubte. Der Augustenburger mit Staatsrath Samwer weilte vom 13.–15. Juni 1866 im Meininger Schloß. Am 14. Juni war die verhängnißvolle Abstimmung des Bundestages, 9 gegen 7 Stimmen. In der 12. Curie wurde Meiningen von Weimar, Gotha und Altenburg überstimmt, seine Stimme galt also thatsächlich für Preußen. Am gleichen Tage ging mit Rücklassung einer Ersatzcompagnie das Meininger Contingent, welches eine der braunschweigischen nachgebildete Uniform erhalten hatte, zufolge des einstimmigen Bundesbeschlusses vom 6. Juni nach dem neutralen Mainz ab und konnte der Herzog nicht mehr darüber verfügen. Preußen hatte erklärt, Meiningen zunächst nicht schützen zu können, es stand den Baiern offen. Von Preußen erging keine Sommation, keine Kriegserklärung, auch kein Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Es war versäumt worden, den Herzog persönlich durch rechtzeitige Berufung und Befragung des Landtags zu decken, auch hatte Oberst v. Buch nicht die nothwendige Instruction erhalten, strict der günstigen Lage entsprechend in Mainz sich mit dem Contingent neutral zu verhalten. Hoffourier Hohlweg brachte den Silberschatz und die Kassenbestände in abenteuerlichen Fahrten nach Baiern, dann zu Rothschild in Frankfurt, endlich in Mainzer Keller. Der Kurfürst von Hessen, den im Vorjahr die Herzogin in Kassel nach langer Trennung besucht hatte, weilte als Gefangener in Wilhelmshöhe und Stettin. Der Herzog mußte gleiches Geschick erwarten, daher mehrfach eilige Entfernung nach Baiern, das erste Mal durch die Werra nach dem leeren Völkershausen zu dem treuen Stein, der nach längerer Gothaer Ministerthätigkeit wieder auch in Meiningen gelebt hatte; das zweite Mal nach Bamberg mit Regierungsbeamten. Bald Baiern, bald wieder Preußen in Meiningen, auch beim Herzog im Schloß, doch nur die auf dem Roßdorfer Schlachtfelde nach dem Treffen vom 4. Juli herrenlos gefundenen Podewilsgewehre der Baiern wurden beschlagnahmt Die Entscheidung war bei Königgrätz damals schon gefallen. Nach Nikolsburg brachte am 22. Juli Flügeladjutant v. Egloffstein ein würdiges Unterwerfungsschreiben des Herzogs. Die mit Versicherung persönlichen Wohlwollens schließende königliche Antwort vom 27. Juli enthielt den Passus: „Wenn Ich den Nachrichten, die zu Mir gelangt sind, trauen darf, so würden Eure Hoheit beabsichtigen die Regierung des Herzogthums dem Erbprinzen zu übertragen und Ich würde dieß unter den obwaltenden Umständen begreiflich finden, da es dem Prinzen vermöge der Sympathieen für Preußen, welche er noch bei Ausbruch des Krieges bethätigt hat, leichter werden wird jenes Verhältniß auf eine fruchtbringende Weise zu entwickeln“.
An eine Abdankung war bisher in Meiningen nicht im entferntesten gedacht. Oberst v. Buch, am 6. August mit Handschreiben des Herzogs, ob nicht für seine vielleicht noch kurze Lebenszeit ihm eingeräumt werden könne, was für den Erbprinzen in Aussicht genommen sei, wurde zwar vom König wohlwollend empfangen, aber an Bismarck gewiesen, der sich aufs schroffste aussprach und die Verhandlungen an Savigny übertragen erklärte, der jedoch nur mit einem höheren Bevollmächtigen verhandeln wollte. Uttenhoven, der schon Anfang August zur Abdankung gerathen hatte, erhielt am 18. August die erbetene Entlassung und v. Buch wurde zum Minister ernannt, Herzog Bernhard’s letzter und kürzester Minister. Es wurde der Wechsel in der Person des Unterhändlers dadurch vermieden. Doch vergebens. Savigny erklärte am 25. August, der Herzog könne bleiben, doch ein gewisses Gebiet – es war die reiche Grafschaft Kamburg [423] und die schlesische Herrschaft Wangern gemeint – sei abzutreten und 3 Thaler auf den Kopf Contribution zu geben. Für den Herzog, der einst beim Gothaer Erbanfall kein Dorf abtreten wollte, war fernere Ueberlegung unnöthig. Am 7. September erhielt Buch weitere Instructionen und gab an Savigny die Erklärung ab, daß der Herzog, um dem Lande keine weiteren Opfer aufzubürden, zu Gunsten seines Sohnes abdanken wolle. Dabei wurde kurze Frist zur Auseinandersetzung erbeten. Der Erbprinz war zur Unterstützung der Buch’schen Mission nach Berlin gereist und lehnte in kindlicher Liebe die Uebertragung der Regierung ab. Plötzlich rückte am 15. September das 13. westfälische Regiment ein, befehligt, Meiningen bis auf weiteres zu besetzen. Am selben Tage wurde Liliencron mit einer Reclamation des Ministeriums und Handschreiben nach Berlin abgesandt. Auch der Erbprinz schrieb unter Entsendung seines Adjutanten Engel um Contreordre an den König. Liliencron empfing in einer Audienz bei Savigny die Erklärung, daß die Verhandlungen über die Abdankung möglichst beschleunigt werden sollten. Auf das Gesuch um Uebernahme der Vermittlung bei der Auseinandersetzung hatte der König am 18. September telegraphirt: „Fürst Hohenzollern kommt morgen nach Berlin. Ich übertrage ihm Vermittlung. Bis dahin kein übereilter Abschluß. Truppenkosten könnten an Contribution abgerechnet werden und dann keine Abdankung.“ Die Truppen, zwei Bataillone, rückten in die Residenz selbst am 19. September Mittags ein und – am 20. September wurde der Abdankungserlaß publicirt: „An meine getreuen Meininger. Ich trete heute von der Regierung des Landes zurück, das ich 45 Jahre mit Treue und Liebe regiert habe. Ich thue es schmerzlich und tief bewegt. Ich hatte gehofft bis ans Ende meiner Tage Euer Herzog zu bleiben, und nur um Euch vor schwereren Opfern zu bewahren, die ich auf andere Weise von Euch und dem Lande nicht abwenden konnte, entschloß ich mich dazu“. Auf die telegraphische Meldung telegraphirte der König zurück: „Ich bedaure, daß Hoheit meiner Aufforderung nicht nachgekommen sind jenen entscheidenden Schritt aufzuschieben, bis meine Vermittlung eintraf. Ein Vermittler wird bald eintreffen, während ich Euer Hoheit Abdication nunmehr acceptiren muß“. Darauf schrieb der König noch in wohlwollendster Weise und auch an die Herzogin einen langen Brief innigsten Bedauerns. Vieles mußte hier übergangen werden. Es ruht über den Vorgängen noch ein Schleier, der vielleicht bei einer Säcularfeier von Bernhard’s Geburt gelöst werden dürfte. Eine gedruckte Darstellung der Abdication, doch ohne Angabe von Verfasser, Verleger und Druckort hatte Eelking vom Herzog in Händen. Sie zerfiel in 2 Theile: Die Abdication und deren Vorgeschichte.
Das Regentenleben „eines der trefflichsten Fürsten Deutschlands, eines wahren Fürsten, dem das Wohl seines Landes Lebensaufgabe gewesen“, nach König Wilhelm’s Urtheil, war jäh abgebrochen. Er blieb im Lande, in Meiningen und Sommers in Altenstein. Sorgsam vermieden die Herrschaften alles, was als Demonstration oder Aversion gegen Preußen hätte gedeutet werden können. Die preußischen Officiere wurden auf das freundlichste und zuvorkommendste behandelt und eingeladen. Vor dem Palais in der Bernhardstraße, das er im September 1868 bezog, standen preußische Posten. Um seinem Lande Opfer zu ersparen, die dessen Wohlfahrt auf lange gestört hätten, hatte er sich selbst das schwerste Opfer des Rücktritts auferlegt. Er trug die Zurückgezogenheit in würdiger Ruhe und Haltung. Im großen Kriege 1870/71 nahm er sich theilnehmend der Verwundeten an und am 18. Januar 1871, dem Tage der Kaiserproclamation, sandte er den Soldaten einen festlichen Trunk. Er erlebte auch noch die Vermählung des Prinzen Wilhelm von Preußen mit Augusta Victoria von Schleswig-Holstein am 27. Februar 1881. Vertrauensmann der [424] Augustenburger Familie bei Abfassung der Ehepacten hatte Liliencron sein dürfen. Am 8. December 1882 ward B. in die Fürstengruft der von ihm zur Aufnahme der Gebeine seiner Eltern erbauten Capelle beigesetzt. Noch einmal offenbarte sich bei diesem Anlaß die tiefe Verehrung und allgemeine Liebe, die nach der Abdankung, beim 50jährigen Gedenken seines Regierungsantrittes und bei der goldenen Hochzeit hervorgetreten war. Von seinem trefflichen Leibarzt Domrich berathen, hat er seines Lebens tiefsten Kummer um sechzehn Jahre überleben dürfen. Seine hochverehrte Wittwe, Meiningens Segen, folgte dem Gatten am 1. Januar 1888.
- Eine Biographie Bernhard Erich Freund’s existirt noch nicht, Vieles, wie das reiche künstlerische, besonders musikalische Leben und Streben am Hofe, auch seine Bauten, selbst sein Wirken für Kirche und Schulen mußten hier übergangen werden, um für die politischen Vorgänge Raum zu behalten. Benutzt ist dankbarst in erster Linie die bloß handschriftliche „Vorarbeit zu einer Biographie des Herzogs Bernhard II. von Meiningen“ des Oberstlieutenants Max v. Eelking. – Erinnerungen an Moritz Seebeck von Kuno Fischer. Heidelberg 1886. – Aus dem Leben m. Vaters Dietrich Frhrn. v. Stein von Caroline v. Stein (als Mscr. gebr.). Frankfurt a. M. 1871. – Blätter d. Erinnerung an V. Trinks, Herz. Sachsen-Meining. Appellationsgerichtsrath. Den Freunden des Entschlafenen gewidmet vom Verfasser [C. Trinks]. Hildburghausen 1868. – Familienbuch von Dr. Johannes Schmidt. (Als Mscr. gedr.) Weimar 1897. – Geschichte des Herzoglich Sachsen-Meiningischen Contingents von Max von Eelking, Hauptmann im H. S. Mein. Infanterie-Regiment. Meiningen 1863. – Brückner, Landeskunde des Herzogth. Meiningen I. II. Meiningen 1852 u. 53. – Beiträge z. Geschichte d. Hzgth. S.-Meiningen-Hildburghausen von Ferdinand Trinks, weiland H. S.- M. Geh. Regierungsrath. Meiningen 1893. 14. Heft d. Schriften d. Vereins f. Meiningische Geschichte u. Landeskunde. – Theater u. Musik, Wissenschaft u. Kunst in Meiningen. XVII Artikel von S. [Oberhofmarschall Frhrn. v. Stein in Meiningen] i. d. Meininger Werrazeitung, Oct. u. Nov. 1893. Höchst interessant und wohlunterrichtet. – Worte christlichen Gedächtnisses bei d. Trauerandacht im Hzgl. Palais gesprochen am 8. Dec. 1882 von Hofpred. Karl Schaubach. – Meininger Gesetzsammlung und Regierungsblatt. – Zum Domänenstreit. Uebersicht in Tübinger Zeitschr. f. d. gesammte Staatswiss. 1863, S. 212–304: Die Domänenfrage im Hzgth. S.-Meiningen von Staatsanwalt Heinze in Dresden. – [Vahlkampf] Ueber die Domänenfrage im Hzgth. S.-Meiningen. Darmstadt 1847. – Zachariä, Das rechtliche Verhältniß des fürstl. Kammerguts, insbesondere im Hzgth. S.-Meiningen. Göttingen 1861. (Verf. empfing den Titel als Meininger Staatsrath.) – Geh. Reg.-R. K. Luther, Ueber die rechtliche Natur der Domäne in dem Hzgth. S.-Meiningen. Denkschrift z. Wahrung d. Volksrechte an d. Domänen. I. Meiningen 1857. (Schrift d. Oppositionsführers.) – Dr. E. Oberländer, Die Domänenfrage im Hzgth. S.-Meiningen. Gutachten üb. d. Bericht d. Domänen-Ausschusses. Meiningen 1861. (Ist Regierungsschrift.) – Exceptionsschrift in d. Compromißsache d. Landtags d. Hzgth. S.-Meiningen Klägers gegen S. H. den Herzog von S.-Meiningen, Beklagten betr. die Eigenthumsansprüche des Landes auf einzelne Theile des bisher als Domänengut behandelten Complexes, 6. Nov. 1862. Hildburghausen. 6 Hefte.