Zum Inhalt springen

ADB:Eisenbart, Johann Andreas

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Eisenbart, Johann Andreas“ von Paul Mitzschke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 301–317, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Eisenbart,_Johann_Andreas&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 15:41 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Eimer, Theodor
Nächster>>>
Eisenhoit, Anton
Band 48 (1904), S. 301–317 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Andreas Eisenbarth in der Wikipedia
Doktor Eisenbarth in Wikidata
GND-Nummer 118529633
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|48|301|317|Eisenbart, Johann Andreas|Paul Mitzschke|ADB:Eisenbart, Johann Andreas}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118529633}}    

Eisenbart: Johann Andreas E. (in den Acten findet sich meist die Schreibweise Eyßenbarth u. ä.), bekannter und zur volksthümlichen Figur gewordener Markt- und Wanderheilkünstler, geboren 1661 in dem niederbairischen Marktflecken Viechtach, † am 11. November 1727 in Hannöversch-Münden. Der Name Eisenbart muß im Anfange des 19. Jahrhunderts den Leuten so merkwürdig und bizarr geklungen haben, daß man ihn gar nicht für Bezeichnung einer wirklichen Person hielt, sondern als freie Phantasieschöpfung betrachtete, etwa wie die älteren Spottnamen „Dr. Hitentit“, „Dr. Sassafras, „Dr. Theriak“ und ähnliche *). Wir haben es aber hier mit einer wirklichen Persönlichkeit zu thun, und der Name Eisenbart ist ein guter deutscher Ausdruck (=Eisenaxt oder Eisenglanz), der zwar selten, aber schon seit den frühesten Zeiten in den von Deutschen besetzten Gebieten vorkommt und auch jetzt noch in manchen Gegenden gebräuchlich ist. Die Sage kennt einen Grafen Isenbard als Halbschwager Karl’s des Großen; ein italienischer Großer Isambart kämpfte 872 auf Seiten der Sarazenen; Isembart von Broyes war 1033–1062 Bischof von Orleans; ein Welfe Eisenbard erscheint in Aventin’s bairischer Chronik; in Rouen tritt 1431 ein Mönch Isambart als Anhänger der Jungfrau von Orleans auf; Hans Isenbart kommt 1436 in thüringischen Urkunden vor; eine bekannte Mailänder Familie führt den Namen Isimbardi u. a. m. In der Zimmerischen Chronik (Ausgabe 9 von Barack II, 465–467) findet sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts auf Falkenstein a. d. Donau ein Burgvogt Wolf Eisenbart erwähnt, der wegen einer Liebschaft mit der Schwester seines Herrn als Gefangener in den Schloßthurm zu Schalzburg bei Balingen gesetzt ward und beim Fluchtversuch ums Leben kam. Das Verließ erhielt davon im Volksmund den [302] Namen „Eisenbartsthurm“. Drei Söhne dieses Burgvogtes weiß die Zimmerische Chronik zu nennen, und es ist wohl möglich, daß Johann Andreas E., geboren 1661 in Viechtach, zur Nachkommenschaft des einen derselben gehörte.

Ueber die erste Jugend von E. sind wir nicht unterrichtet, er muß aber frühzeitig nach Bamberg gekommen sein. Dort machte er bei dem privilegirten Bruch- und Steinschneider Alexander Biller, der einer Bamberger Familie angehörte, seine Lehrzeit durch, um sich dem chirurgischen Berufe zu widmen. Etwa 1684 legte er das übliche „Probierstück“ ab, blieb zunächst als Gehülfe bei seinem bisherigen Lehrmeister und gründete bald darauf einen eigenen Hausstand. Im J. 1685 machte er sich selbständig und wandte sich 1686 aus seiner süddeutschen Heimath nach dem nördlichen Deutschland, seine Kunstfertigkeit dort im Herumziehen auszuüben. Soweit Quellenmaterial vorliegt, ist E. nie wieder nach Süddeutschland gekommen und die Gründe für den Weggang von Viechtach nach Bamberg sowol wie für den späteren dauernden Aufenthalt in Norddeutschland sind wol auf confessionellem Gebiete zu suchen. In allen Beziehungen zur Kirche erscheint E. in Norddeutschland als Protestant und er wird dies wol von Geburt an gewesen sein, da nirgends Andeutungen über einen Confessionswechsel anzutreffen sind. Durch Patent des Kurfürsten Ferdinand Maria von Baiern wurde aber 1660 den Beamten die allmähliche und nicht zu schroffe Ausweisung der Akatholiken aus den bairischen Landen aufgetragen. So werden wol auch Eisenbart’s Eltern bald nach dessen Geburt ihre Heimath haben verlassen müssen, um anderwärts einen Aufenthalt zu suchen. Im Hochstift Bamberg, wo der Protestantismus nach dem westfälischen Frieden noch geduldet blieb, mögen sie für sich eine Zuflucht gefunden haben, aber der Sohn zog es vor, sobald es ihm die Verhältnisse gestatteten, der Unbeliebtheit und geringschätzigen Behandlung der Akatholiken durch Uebersiedlung nach Norddeutschland aus dem Wege zu gehen.

Die Bildung, die sich E. für seinen Beruf erworben hatte, entsprach den Anforderungen jener Zeit. Innere Krankheiten wies man damals dem akademisch gebildeten Arzte zu, äußerlich und operativ zu behandelnde Leiden aber brachte man vor den Wundarzt, der keine Universitätsstudien trieb, sondern als Handwerker seine Lehrzeit durchmachte und meist aus dem Stande der Bader und Barbiere hervorging. Diese Wundärzte nahmen zuweilen eine besondere Stellung ein zwischen den eigentlichen Aerzten und dem Gewerbe der Bader, doch gehörten sie vielfach mit zur Baderzunft. Als unterste Stufe des ärztlichen Standes – denn die gar nicht vorgebildeten Curpfuscher, Quacksalber und Winkelärzte kann man füglich kaum dazu rechnen – betrieben sie gern Specialitäten, namentlich Augenoperationen oder Stein- und Bruchschneiden oder Zahnbrechen. Meist griffen sie zum Verdruß der studirten Aerzte in die innere Medicin, zum Verdruß der Apotheker aber durch Verkauf von Pillen, Salben und Geheimmitteln in das pharmaceutische Gebiet über. Da sie an einem festen Wohnsitze selten genügenden Erwerb fanden, so pflegten sie als Wanderärzte im Lande herumzuziehen und besonders auf Wochen- und Jahrmärkten oder bei Dorffestlichkeiten „auszustehen“, d. h. ihre Fertigkeiten auf einer selbst aufgeschlagenen Phlyakenbühne (bisweilen von mehreren Etagen) anzupreisen und zu bethätigen. Um anerkannt zu sein, bedurften sie für ihr Gewerbe der obrigkeitlichen Genehmigung und galten, sobald sie diese besaßen, beim Volk als „Landärzte“, auch wenn ihnen dieser Titel formell nicht verliehen war. Ihre Tracht bestand gewöhnlich aus einem scharlachrothen Rock mit Ueberhang und einer großen Perrücke nebst Dreimaster; oder sie trugen einen orientalischen Talar und Turban. Zur Heranziehung [303] des Publicums bedienten sie sich des Schreiens und Ausrufens, das sie, wenn ihr Geschäft klein war, selbst übten, bei größerem Betrieb aber durch einen als Hanswurst (Pickelhäring, Jean Potage) gekleideten Gehülfen, den sogenannten „Courtisan“, ausführen ließen. Besonders großartige Wanderärzte, wie E. schließlich einer war, pflegten einen ganzen Troß von Gehülfen mit sich zu führen: einen Secretär zur Erledigung der schriftlichen Arbeiten, mehrere Courtisane, die Späße machten und dramatische Possen aufführten, eine eigne Musikbande mit lauttönenden Instrumenten, mehrere Boten (Heiducken) und eine Anzahl von Handlangern, die beim Aus- und Einladen der Wagen, beim Aufschlagen und Niederreißen der Bühne beschäftigt wurden, sowie unter Trommel- und Trompetenschall Reclamezettel und Bildchen (meistens den Wundermann in Thätigkeit darstellend) an das Publicum zu vertheilen hatten. War durch die Lockungen eine genügende Menge Volkes versammelt, so trat der wandernde Aesculap auf die Bühne und empfahl in mehr oder minder ruhmredigem Wortschwall seine Hülfe für Leiden aller Art.

So hatten sie in allen Mauern
 Endlosen Zulauf von Bürgern und Bauern.
Jegliche Krankheit konnten sie heilen,
 Hatten Mittelchen auszutheilen,
Deren Jedes unfehlbar curirte,
 Ob es stringirte oder purgirte.

In Gellert’s Fabel vom Fuchs und der Elster ist das Auftreten eines solchen Mannes gemeint, wenn es heißt:

„So wie ein weiser Arzt, der auf der Bühne steht
Und seine Künste rühmt, bald vor-, bald rückwärts geht,
Sein seidnes Schnupftuch nimmt, sich räuspert und dann spricht;
So lief die Elster auch den Ast bald auf, bald nieder“ u. s. w.

Es ist begreiflich, daß bei einer solchen Thätigkeit das Lärmen mit zum Geschäft gehörte und daß leicht etwas Marktschreierei mit unterlief, selbst wenn der Heilkünstler ein tüchtiger, erfahrener und ehrlicher Mann war. Ebenso versteht es sich, daß unwissende und gewissenlose Personen, die anderwärts Schiffbruch erlitten hatten, sich mit Dreistigkeit und Trug häufig den Anschein geprüfter Wundärzte gaben und in unbefugtem Herumziehen das vertrauensselige Publicum durch die unglaublichsten Schwindeleien betrogen. Wie es in solchen Fällen zuging, kann man in dem Commentar des Matthiolus († 1577) zu Buch VI des griechischen Arztes Pedanios Dioskorides, in Grimmelshausen’s „Simplicissimus“ (Buch IV, Cap. 8 u. 9 und Continuatio I, Cap. 1) oder in Christian Weise’s „Drei ärgsten Erznarren“ (Cap. 17), in J. Kuhnau’s „Musikalischem Quacksalber“ (Cap. 3) und in G. P. Hönn’s Betrugslexikon (2. Aufl., S. 295–301) nachlesen. An und für sich hatte das schon im Mittelalter bekannte Gewerbe eines Wanderheilkünstlers oder Marktarztes nichts Anrüchiges, obschon es seit dem Reformationszeitalter in Schwänken, Volksdramen und Fastnachtsspielen einen beliebten Gegenstand der Spottlust bildete. Die Geschichte der medicinischen Wissenschaft kennt die Namen von manchen ganz löblichen Vertretern dieses Berufs, wie Sebastian Siebenfreund († um 1590), Georg Bartisch aus Königsbrück (1535 bis ca. 1607), Samuel Mylius († 1616) u. A. m. Andrerseits aber darf man sich nicht wundern, wenn Landesfürsten dem besonders nach dem 30jährigen Kriege stark zunehmenden Unfug herumziehender betrügerischer Quacksalber bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts durch strenge Polizei- und Landesordnungen zu steuern suchten, in denen sie Seiltänzer, Riemenstecher, Gaukler, Taschenspieler, Komödianten, Schlangenbanner, Spinnenfresser, Landfahrer, Aerzte, [304] Bruch- und Steinschneider, Zahnbrecher und Theriakskrämer als „loses Gesindel“ in einen Topf zusammenwarfen. Aber gerade das Herumwandern und das öffentliche Auftreten vor Volksmassen bildete die Voraussetzung für die Popularität mancher Marktärzte.

Ueber die Wanderfahrten Eisenbart’s läßt sich ein vollständiges Itinerar zur Zeit noch nicht aufstellen, weil die aufgefundenen Acten nur einzelne Abschnitte seiner Thätigkeit beleuchten und nicht überall eine Verbindung nach vorwärts oder rückwärts gestatten. Schon jetzt jedoch kann gesagt werden, daß es eine unhaltbare Uebertreibung ist zu behaupten, E. habe alle hervorragenden Städte im alten Reich oder auch nur im heutigen Deutschland besucht. In viele Länderstriche, namentlich nach Oesterreich, Süddeutschland, dem Niederrhein, Mecklenburg u. a. m. ist er seit seiner Selbständigkeit (1685) persönlich niemals gekommen; die Rolle, die er in Norddeutschland zu spielen berufen war, fiel im Süden etwa seinem Collegen Johann Christian Hüber zu. Was bisher aus den Quellen bekannt geworden ist, genügt, um ein Bild von dem Wesen und Wirken des Mannes zu erhalten, und etwa auftauchendes neues Material dürfte wohl nur zur Bestätigung der bekannten Züge dienen.

Daß E. in seinem Fach erfahren war, geht gleich aus seinem ersten nachweisbaren Auftreten hervor. Er kam nach einigen unbekannten Zwischenstationen 1686 von Bamberg nach Altenburg und hatte dort in wenigen Monaten so guten Erfolg, daß ihm der Stadtrath ein Zeugniß über glückliche Curen an 30 Personen aus Stadt und Amt Altenburg ausstellte. Auf Grund dieser Bescheinigung bewarb sich E. bei der Regierung um ein Privilegium. Die beiden Aerzte Dr. Klauder und Physicus Ußleben unterzogen auf herzoglichen Befehl den Gesuchsteller einer Prüfung und gaben ihm das Zeugniß, daß er in Augencuren wie als Bein-, Krebs- und Bruchschneider zur Genüge erfahren sei. Daraufhin bekam er vom Herzog Friedrich von Sachsen-Gotha-Altenburg unterm 26. August 1686 ein Privilegium, das ihn berechtigte, in Städten und Flecken des ganzen Herzogthums nicht bloß auf Jahrmärkten, sondern auch auf Wochenmärkten (hier jedoch nur mit Bewilligung der Stadtbehörden) seine Kunstfertigkeit auszuüben und außerdem Wundsalbe, Mithridat und Augenstein feil zu halten. Der Verkauf weiterer Apothekerwaaren, die Anwendung innerer Heilmittel und Uebergriffe in die Rechte der angesessenen Bader und Barbiere wurden ihm ausdrücklich untersagt. Von Erlangung dieses Privilegiums bis zum Frühjahr 1688 prakticirte E. im Altenburgischen und heilte, wie gemeldet wird, über 200 Personen von Blindheit, Bruchschäden, Krebsleiden und Hasenscharten. Im März oder April 1688 zog E., der sich damals „Okulist, Schnitt- und Wundarzt“ nannte, nach Weimar, wohin sein Ruf jedenfalls schon gedrungen war. Er hatte bereits damals eine starke Familie und führte eine größere Anzahl von Leuten als Gehülfen und Dienerschaft mit sich, was auf gewisse Wohlhabenheit und guten Gang der Geschäfte schließen läßt. Nachdem er in Weimar und dem benachbarten Buttstedt mehrere Curen erfolgreich durchgeführt hatte, wandte er sich am 25. April an den Herzog Wilhelm Ernst, der damals auch Vormund über Sachsen-Jena war, mit der Bitte um ein ähnliches Privileg wie das Altenburger und erbot sich dabei zur unentgeltlichen Behandlung der ganz Armen. Die weimarische Regierung verlangte zunächst die Originale des Altenburger Privilegs und der sonstigen Zeugnisse und unterm 10. Mai erhielt E. das gewünschte neue Privilegium. Er durfte danach überall im Weimarischen und Jenaischen seine Praxis mit Ausschluß jedes Concurrenten auf Jahr- und Wochenmärkten ausüben und die oben genannten drei Arzeneien verkaufen; unentgeltliche [305] Curirung der Armen und keine Uebertheuerung der Kranken ward ihm dabei zur Pflicht gemacht. Die Freigabe des Verkaufs von Mithridat widersprach hinsichtlich der Wochenmärkte in der Stadt Weimar einem alten Privilegium (1567) der dortigen Apotheke und wurde ihm erst bewilligt, nachdem er mit Handschlag gelobt hatte, dieses Mittel in der Stadt Weimar nur auf den Jahr-, nicht aber auf den Wochenmärkten zu verkaufen. Weiter mußte er versprechen, sich auf Vorladung jederzeit vor der Behörde in Weimar einzufinden. Für Ausfertigung des Privilegiums ohne Siegelkapsel und Schnur sollte E. eine Gebühr von 241/8 Thlrn. entrichten, er bat jedoch um Ermäßigung auf 20 Thlr. unter Hinweis auf seine starke Familie, die er damals wol mit sich führte, und auf die zahlreiche Dienerschaft. Zur Befestigung seiner Stellung in den weimarischen und jenaischen Landestheilen ging E. alsbald daran, unbequeme Concurrenten möglichst fern zu halten, indem er das Privilegium drucken und öffentlich anschlagen ließ. Die Versendung der Druckexemplare wurde von der Kanzlei in Weimar am 3. Juli 1688 bewerkstelligt, und eine zugehörige amtliche Bekanntmachung circulirte handschriftlich vom 28. August 1688 bis zum 25. Februar 1689 an 28 Orten des Landes, nämlich in den Städten Berka a. J., Buttstedt, Ilmenau, Neumark, Rastenberg, Sulza, Tannroda, Weimar und in 20 Dorfschaften.

Das Auftreten Eisenbart’s in dieser Gegend währte etwa ein Jahr und muß bei der Bevölkerung großen Eindruck gemacht haben, denn die Erinnerung daran hat sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten, und der um 1840 in Tannroda gestorbene Arzt Dr. Rentsch besaß z. B. noch Recepte und Reclamebildchen, die von E. stammten. Trotz mancher Vorsichtsclauseln hinsichtlich des Auftretens läßt das weimarische Privilegium keinen Zweifel an Eisenbart’s Tüchtigkeit und rühmt besonders die geschwinde und wenig schmerzhafte Art seiner Operationen, wie denn auch aus späteren Zeugnissen hervorgeht, daß E. in der Anwendung des Messers sehr geschickt gewesen sein muß. Ungefähr 100 erfolgreiche Curen hat E. während seiner Thätigkeit im Weimarischen ausgeführt, darunter viele Staaroperationen, in denen er auch später nicht minder glücklich gewesen ist. Die Nachbarschaft von Erfurt führte auch zum Auftreten in dieser Stadt, und unterm 8. Februar 1689 ertheilte der Erzbischof Anselm Franz von Mainz an den „Chirurgen und Operator“ E. auf sein Gesuch das Privilegium, in Erfurt und andern erzbischöflichen Landen auf Jahr- und Wochenmärkten unter Ausschluß aller Concurrenten prakticiren zu dürfen; die Vorbehalte waren ähnlich wie in Weimar, auch ward ihm zur Pflicht gemacht, sich unter die Erfurter Bürgerschaft aufnehmen zu lassen. In den Rathsprotokollen von Erfurt ist angemerkt: „Dr. Eisenbart, ein Bruchschneider, ist 2. März/20. Februar (1689) Bürger geworden“. Hier schleicht sich zum ersten Male in einem Document der Doctortitel ein, mit dem sich E. stets gern anreden ließ und mit dem er seit Aufkommen des bekannten Liedes zu Unrecht allgemein belegt wird.

Ueber Eisenbart’s Wirksamkeit im Erfurtischen ist nichts weiter bekannt, er scheint aber längere Zeit dort geblieben zu sein, denn beim Wiederauftauchen seiner Spur Anfang 1691 in dem sächsischen Städtchen Rochlitz nennt sich der titelfreudige Mann u. a. auch „Stadtarzt zu Erfurt“. Unterm 27. Februar 1691 bezeugen Bürgermeister und Rath von Rochlitz „dem edlen und kunstreichen“ E. zwölf verschiedene glückliche Curen in Stadt und Umgegend und erwähnen dabei besonders, daß er die Kranken nicht nur geheilt, sondern sie auch sehr fleißig bei Tag und Nacht besucht und abgewartet habe [306] und behutsam mit ihnen umgegangen sei, „dergleichen Fleiß und Dexterität noch keiner allhier erwiesen“. Ende 1692 erscheint E. in Dresden. Er suchte damals beim Kurfürsten Johann Georg IV. von Sachsen um ein Privilegium für das Kurfürstenthum nach und legte ein Zeugniß bei, das ihm der Rath der Stadt Dresden am 8. November 1692 über sieben glücklich ausgeführte dortige Curen an Blinden, Tauben und Bruchleidenden ausgefertigt hatte. Der Kurfürst ließ den Gesuchsteller vor dem Medicinalcollegium erscheinen und durch seinen Leibarzt Dr. Erndel und den Dr. Schurig einer gründlichen Prüfung unterziehen, wobei er sich als kenntnißreich erwies. Wie wir später hören, daß E. ein besonderes Instrument zur Entfernung von Nasenpolypen hergestellt habe, so wird in dem Bericht über die Dresdener Prüfung eine von E. erfundene eigene Nadel zum Staaroperiren rühmend hervorgehoben (vor Einführung der Interlinearextraction und des Hornhautlappenschnittes wurde der graue Staar wirklich „gestochen“, indem der Operateur mit einer Nadel in den Augapfel stieß und die getrübte Linse durch Niederdrücken – Reclination – bei Seite schob). Nach dem guten Ausfall der Prüfung erhielt E. am 27. Januar 1693 das gewünschte Privilegium für ganz Kursachsen; als Kurfürst August der Starke 1697 zum König von Polen gewählt worden war, dehnte E. in seinen Schriftstücken den Geltungsbereich des kursächsischen Privilegs selbstschaltend auch auf das Königreich Polen aus.

Mit Kursachsen eröffnete sich für ihn ein neues Feld der Thätigkeit, das die bisherigen Gebiete an Umfang weit übertraf. Es ist auch nicht zu bezweifeln, daß E. von seinem Recht ausgedehnten Gebrauch gemacht und viele größere Orte Kursachsens besucht haben wird. Da der Ruf seines Geschicks und seines Glücks schon damals weithin gedrungen war, sodaß er sich für einen berühmten Mann ansehen konnte, wird ihm meist reichlicher Lohn zugeflossen sein, und ein Fall, wie er 1697 vorkam, dürfte zu den seltenen Ausnahmen gehört haben. Wie vermuthlich öfter besuchte E. 1697 die Leipziger Cantatemesse und ließ eine große Bühne aufschlagen, deren Errichtung mit bedeutenden Unkosten verknüpft war. Sein Zuspruch blieb aber, vielleicht wegen anderer Zugstücke der Messe, hinter den allerdings wol hochgespannten Erwartungen zurück und die Einnahmen erreichten nicht die gewünschte Höhe. Er stellte deshalb am 10. Mai 1697 beim Stadtrathe das Gesuch, noch einige Tage länger in Leipzig ausstehen zu dürfen; in seiner Eingabe bezeichnet er sich als „privilegirten Okulisten, Stein- und Bruchschneider“. Wahrscheinlich damals hat E. auch den Abstecher in das Sachsen-Zeitzische Gebiet gemacht, der in eines der drei Jahre 1697, 1698 oder 1699 fallen muß. Mit großer Pracht zog er in der Stadt Zeitz auf und bei jedesmaligem Betreten der Bühne fing er seine Rede mit den bescheidenen Worten an: „Hochgeehrteste Herren, ich bin der berühmte Eisenbart!“

Sein Selbstbewußtsein war also schon hoch entwickelt, und daß er mit den Künsten der Reclame in einer für jene Zeit ungewöhnlichen Weise vertraut war, geht aus allen Nachrichten über sein ferneres Auftreten hervor. Diese Umstände, sein Geschick mit den Menschen umzugehen, und sein Glück brachten ihm aber auch viel Mißgunst, Neid, Feindschaft und Haß sowol von weniger glücklichen Collegen, wie von Aerzten und Apothekern, in deren Rechte er kühnlich übergriff.

In der Zeit seines kursächsischen Wirkens muß E. auch in Helmstedt gewesen sein, mehrere weitere Privilegien vom Kaiser und von einigen Kurfürsten, sowie Zeugnisse über seine Befähigung von medicinischen Facultäten verschiedener Universitäten erlangt haben.

Einen neuen Schauplatz für Eisenbart’s Thätigkeit bildete das Kurfürstenthum [307] Brandenburg. Wir können ihn dort zuerst 1698 in den pommerschen Städten Kolberg und Stargard sowie in dem damals noch schwedischen Stettin nachweisen, aber er wird von Kursachsen schwerlich dorthin gekommen sein, ohne auch in den dazwischen liegenden Landestheilen sein Gewerbe betrieben zu haben. Als sich Kurbrandenburg 1701 in das Königreich Preußen verwandelt hatte, schien E. in diesem neuen aufstrebenden Staatswesen das günstigste Feld für seine Wirksamkeit zu erblicken und beschloß deshalb ganz nach Preußen überzusiedeln. Gegen Ende des Jahres 1703 machte er sich in Magdeburg wohn- und seßhaft, indem er das 1671 erbaute (1895 wieder abgebrochene und völlig neu errichtete *) Wohn- und Brauhaus „Zum güldnen Apfel“ in der früheren Brand-, jetzigen Apfelstraße (jetzige Hausnummer 9) für 3500 Thaler käuflich erwarb. Nach diesem Preis zu schließen, war das Grundstück eines der größten in der Stadt, und Eisenbart’s materielle Lage muß daher recht günstig gewesen sein. Fortan blieb Magdeburg sein fester Standort und der Wohnsitz seiner Familie, von dort aus unternahm er nun seine größeren und kleineren Reisen.

Im Frühjahr 1704 treffen wir E. in Kassel, und vermuthlich damals hat er das hessen-kasselsche Privilegium erhalten, in dessen Besitz er später erscheint. Von Kassel schickte er im Juni zwei Diener voraus nach Wetzlar, um die Bühne für den dortigen Johannisjahrmarkt aufzubauen. Sein Auftreten zu Wetzlar wurde in einen großen Skandal hineingezogen, der das ganze Reich beschäftigte. Es hatte sich nämlich im Reichskammergericht, das wegen der Franzosengefahr kurz vorher von Speier nach Wetzlar verlegt worden war, zwischen dem älteren Präsidenten Freiherrn von Ingelheim und dem jüngeren Präsidenten Grafen zu Solms-Laubach aus kleinen Anlässen eine bittere Fehde erhoben, die erst 1709 ihr Ende erreichte. Die Assessoren spalteten sich in zwei feindliche Parteien, und mit April 1704 kam es dadurch zum völligen Stillstand der Rechtspflege. Als der jüngere Präsident am 28. Juni 1704 von einer Badereise zurückkehrte, fand er Eisenbart’s Bühne auf dem Buttermarkt aufgeschlagen, dicht vor dem alten Rathhaus, in dem das Kammergericht untergebracht war. Am 24. Juni war E. eingetroffen und seine Leute hatten mehrere Tage lang auf der Bühne eine Komödie aufgeführt, die eine böse Verspottung des Gerichtswesens darstellte, nichtsdestoweniger aber von den gelangweilten Honoratioren des Städtchens, d. h. gerade den Juristenfamilien mit Vergnügen aus den benachbarten Fenstern betrachtet worden war. Graf Solms schob die Anstiftung dazu ohne weiteres seinem Gegner Ingelheim in die Schuhe und ließ sogar das Gerücht aussprengen, Ingelheim beschenke die Komödianten und zahle außerdem täglich 1 Gulden an E., damit dieser noch 4 Wochen lang spielen lasse. Dagegen erklärte E., der sich „Kaiserlicher, auch verschiedener Kur- und Fürsten hochprivilegierter Medicus und Operator“ unterschrieb, der Platz für seine Bühne sei ihm vom Magistrat angewiesen worden, da auf dem eigentlichen Marktplatz bereits ein anderer Wanderarzt Namens Fiedler ausstehe; gleichzeitig ließ er seinen Stand auf dem Buttermarkt abbrechen, wenn er auch noch bis in den Juli hinein in Wetzlar blieb. Diese Vorgänge waren damals in aller Mund; gaben zu verschiedenen Beschwerden und Gegenschriften an den Kaiser sowol wie an den Reichstag in Regensburg Veranlassung und machten so Eisenbart’s Namen auch da im Reiche bekannt, wohin er zuvor vielleicht noch nicht gedrungen war.

[308] Vom Januar bis zum März 1707 weilte E. in Berlin und hatte auch dort so viel Zulauf und Erfolg, daß z. B. in der Petrikirche zu Cölln a. Spr. für die von ihm bewirkte Heilung einer seit 10 Jahren vollständig gehörlosen Frau eine öffentliche Danksagung gehalten wurde. Am 28. Januar richtete E. an den König Friedrich I. das Gesuch als königlicher Landarzt auftreten zu dürfen; er unterzeichnete sich dabei „Operator und Medicinae Practicus“. Seine Bewerbung hatte, wenn auch nicht formell so doch substantiell Erfolg, denn durch Privileg vom 25. März 1707 (erneuert am 25. März 1708) erhielt er vom König die Befugniß, ungehindert in allen preußischen Landen seine Wissenschaft auszuüben, wobei gleichzeitig alle nichtprivilegirten oder nicht zunftmäßigen Operateure und „herumoperirenden Winkelärzte“ unter Strafandrohung ausgeschlossen wurden. Dies waren die thatsächlichen Rechte eines Landarztes; den Titel selbst erlangte E. zwar nicht, aber das Ansehen, dessen er sich erfreute, geht aus der anerkennenden Form des Privilegs hervor, in dem er vom König z. B. als „Unser lieber Getreuer“ bezeichnet wird. Inhaltlich ging das neue Privilegium über die früheren insofern hinaus, als es E. berechtigte, in Preußen auch alle seine selbstbereiteten Arzeneien und Geheimmittel frei zu verkaufen und innerlich wie äußerlich anzuwenden. Aus dem Wortlaute des Privilegs erfahren wir beiläufig, daß E. damals seine Reisen mit einem ganzen Troß von Wagen, Pferden, Leuten und Mobilien ausführte.

Wenige Jahre später, im Herbst 1710, treffen wir E. in Hannover. Es wurden ihm dort nach eigener Angabe 200 Thlr. Jahresgehalt versprochen, wenn er sich dauernd in Hannover niederlassen wollte. Obgleich er auf dieses Anerbieten nicht einging, erfüllte man ihm dort auf sein Ansuchen doch einen Herzenswunsch. Kurfürst Georg I. Ludwig zu Braunschweig-Lüneburg verlieh ihm unterm 24. September 1710 nicht nur wie andere Fürsten eine Berechtigung, an allen Orten des Landes seine medicinische und chirurgische Wissenschaft nebst Verordnung und Anwendung von Arzeneien frei auszuüben und sich an beliebigen Orten niederzulassen, sondern auch Titel und Prädicat „Landarzt“. Dieses Privilegium dehnte E., gerade wie beim kursächsischen, selbstherrlich auf Großbritannien aus, als Georg I. Ludwig 1714 britischer König geworden war. Von Hannover kehrte E. nach seinem Wohnorte Magdeburg zurück. Am 1. October 1711 beschwerte er sich beim dortigen Magistrat über unbefugte Operateure und Winkelärzte, worauf ihn die Stadtbehörde ihres Schutzes versicherte und durch öffentlich angeschlagene Bekanntmachung den Fremden das Curiren untersagte. Mit ähnlicher Strenge sah E. auf Wahrung seiner Rechte, als im J. 1712 der privilegirte Zahn- und Wundarzt Heinrich Bünde über die gestattete Zeit hinaus in Magdeburg ausstehen blieb: er ließ durch seinen Secretär Kühnreich beim Magistrat kurzer Hand das Abreißen der Bude seines Concurrenten beantragen.

Während des folgenden Frühjahrs kam E. wieder nach Thüringen; im Mai und Juni 1713 prakticirte er in Saalfeld, vollführte dort verschiedene glückliche Curen und erwirkte sich vom Herzog Johann Ernst von Sachsen-Saalfeld ein weiteres Privilegium. Gegen Mitte Juni zog er über den Thüringer Wald in das Coburg’sche Ländchen, das seit dem unbeerbten Tode des Herzogs Albrecht (1699) Streitobject zwischen drei benachbarten Regierungen war. Das Auftreten in der Stadt Coburg ward ihm von der Saalfelder Regierung unter der Bedingung gestattet, daß er keine Musik dabei machen lasse, aber die Eifersucht der beiden andern Regierungen verursachte noch mancherlei Störungen. In den Acten hierüber ist E. „der bekannte Arzt“ genannt, und es wird dabei berichtet, daß er auch ein Sachsen-Meiningisches [309] Privileg besessen habe. Während seines etwa vierwöchigen Aufenthaltes in Coburg erregte E. den ganz besonderen Unwillen des dortigen Apothekers Herzog, weil er entgegen den coburgischen Apothekenordnungen und Privilegien (1607, 1652 und 1697) mit den verschiedensten Apothekerwaaren handelte, Arzeneien bereitete und verkaufte, auch innerliche wie äußerliche Curen ausführte. Die Beschwerde Herzog’s vom 19. Juli 1713 wider „den sogenannten Arzt E.“ hatte aber keine Wirkung mehr, denn E. war inzwischen abgereist, nachdem ihm das Mißgeschick widerfahren war, daß der Adjunct Joachim Hildebrand aus dem benachbarten Sonnefeld unter seiner Cur das Zeitliche gesegnet hatte.

Nachdem König Friedrich I. von Preußen im Februar 1713 gestorben war, benutzte E. die Gelegenheit, um von dessen Nachfolger eine Bestätigung seines Privilegs zu erlangen. Von Salzwedel aus reichte er am 17. Januar 1714 ein dahingehendes Gesuch an Friedrich Wilhelm I. ein und hatte den Erfolg, sein früheres Privilegium am 29. Juni 1714 mit einigen Abänderungen erneuert zu sehen. Gleichzeitig beklagte sich E. darüber, daß er an jedem Orte des Königreichs, wohin er von Magdeburg komme, 3 Groschen Accise für den Tag entrichten müsse, gleichviel ob er öffentlich ausstehe oder nicht. Dieser Umstand deutet darauf hin, daß E. damals nicht bloß auf öffentlichen Plätzen ausstand, sondern auch in verschlossenen Gebäuden Sprechstunden abhielt, was in den letzten Jahren seines Lebens, als er sich zu alt und zu vornehm für den Markt dünkte, wol regelmäßig geschah. Ob ihm durch königliche Gunst eine Ermäßigung der Accise zugebilligt wurde, ist nicht nachzuweisen; daß er aber auch bei Friedrich Wilhelm I. in hohem Ansehen stand, zeigte sich zwei Jahre später. Auf besondern Befehl des Königs nämlich wurde E. im Februar 1716 nach Stargard in Pommern berufen zur Behandlung des Oberstlieutenants v. Grävenitz, der seit dem spanischen Erbfolgekriege an den Folgen eines Schusses in das Auge litt. Als der Ruf des Königs an die Regierung in Magdeburg kam, befand sich E. gerade auf einer Reise zu Münster in Westfalen und mußte von dort zurückgerufen werden. Wir wissen nichts weiteres über den Verlauf dieser Angelegenheit, aber die Vermuthung spricht dafür, daß die Wiederherstellung des Herrn v. Grävenitz es war, die den König veranlaßte, dem glücklichen Heilkünstler nach jener Zeit das Prädicat „Königlich preußischer Hofokulist und Rath“ zu verleihen, das E. später führte.

Dieses Ereigniß bezeichnet den Höhepunkt in Eisenbart’s Laufbahn. Die Berufung durch den König scheint aber auch sein Selbstbewußtsein auf das äußerste gesteigert zu haben, so daß er alle Zurückhaltung glaubte ablegen zu dürfen. Hatte er sich schon früher mancherlei Ueberschreitungen seiner Befugnisse durch Uebergreifen auf die Gebiete der Apotheker und der studirten Aerzte herausgenommen und war er durch Annahme der Bezeichnung „Medicinae Practicus“ in den voraufgehenden Jahren ziemlich herangekommen an die Grenzen unerlaubter Titulirung, die freilich damals weniger streng geahndet wurde – „Doctor“ ließ er sich unwidersprochen und gern schon längst anreden –, so hatte er doch in seinen hochtrabenden und prahlerischen Kundgebungen nicht geradezu falsche und unmögliche Behauptungen aufgestellt. Nunmehr aber begann er seine Reclame, in der er selbst heutzutage von Geheimmittelerfindern kaum übertroffen wird, kühnlich auf das Gebiet der Täuschung des Publicums hinüberzuleiten. Er rühmte sich gelungener Curen, die ihm Niemand glauben wird; er pries an seinen selbstgefertigten Arzeneien und Wundermitteln Eigenschaften, die sie nie besessen haben können; er nannte sich in selbstverfaßten Zeitungsnotizen „Doctor“; er legte sich in edler Bescheidenheit [310] das Epitheton „hochberühmter Medicus“ öffentlich mehr und mehr bei und posaunte schließlich in der Presse emphatisch das Selbstlob aus, daß „nur ein Eisenbart ist, solange ihm Gott sein Leben gönnen wird“. Kurzum E. war der Stufe und dem Gebahren der „liederlichen Landläufer“, denen gleichgeachtet zu werden er mit Entrüstung von sich zu weisen pflegte, doch recht bedenklich nahegerückt, und die Verordnung, die von Friedrich Wilhelm I. am 28. Januar 1716 wider den Unfug der herumziehenden Marktschreier und Quacksalber erlassen worden war, hätte in mehr als einem Stück auch recht wohl gegen ihn angewendet werden können.

Infolge der Cur an Herrn v. Grävenitz muß Eisenbart’s Weizen in Stargard kräftig geblüht haben, denn er sah sich bewogen, die Stadt nicht so bald zu verlassen und dann bereits im Juni 1716 abermals nach Stargard zu reisen. Von Anfang Juni bis Anfang November hielt er dort in Oldehoff’s Hause Sprechstunden, curirte Nasenpolypen und Darmbrüche, Brustkrebs und Blindheit und verkaufte daneben einen „balsamischen Haupt-, Augen- und Gedächtnißspiritus (das Loth zu 12 Groschen), der gegen Augenleiden, Flüsse, Ohrensausen, Schwindel, Kopfschmerzen u. s. w. helfen sollte, sowie eine Tinctur gegen Steinschmerzen und Gliederreißen (das Loth zu 8 Groschen). Von Stargard aus schickte E. großartige Reclamen in die „Stettiner Ordinäre Postzeitung“, um die Einwohnerschaft Stettins auf seine bevorstehende Ankunft vorzubereiten. Am 4. November 1716 traf er in Stettin ein und stieg im Rathsweinkeller am Kohlenmarkt ab. Die „Ordinäre Postzeitung“ nahm von diesem Ereigniß gebührend Notiz, und E. begnügte sich nicht mit einfachen Anzeigen in diesem Blatte, sondern ließ große Extrabeilagen dazu drucken, in denen er seine Leistungen in das hellste Licht stellte und seine selbstgefertigten Heilmittel ruhmredig anpries. Wir erfahren daraus, daß E. etwa 350 Blasensteine bis zum Gewichte von 14 Loth geschnitten habe, deren umfänglichste er in natürlicher Größe bildlich beifügen ließ; Bruchschnittoperationen rühmt er sich über 2000 gemacht zu haben, ungerechnet die auf unblutigem Wege geheilten Brüche; viele hundert Male will er durch eine unbekannte Arzenei Frauen von der Unfruchtbarkeit befreit haben. Er gedenkt ferner zahlloser Heilungen von Blindheit, Melancholie, Schlagfluß, Schwindel, Wahnsinn, Schwindsucht, Blutstürzen, Wassersucht, Brustkrebs, fressenden Schäden, Hasenscharten, Gewächsen, Muttermalen, Kröpfen u. s. w. Er kann Runzeln, Finnen, Sommersprossen und Leberflecke vertreiben, setzt künstliche emaillirte Augen sowie neue Zähne ein, vertreibt Scharbock und Mundfäule, bewahrt die Zähne vorm Faulen, er bereitet ein gutes Zahnpulver, den trefflichen balsamischen Spiritus, die Steintinctur und ein Pflaster gegen Wunden, Brandschäden u. dergl. Wie lange E. in Stettin geblieben ist, läßt sich nicht nachweisen; am 21. November 1716 war er noch dort und beabsichtigte laut Zeitungsanzeige seinen Aufenthalt noch über geraume Zeit auszudehnen.

Für die vielen Neider und Feinde Eisenbart’s wird sein fortschreitendes Hinübertreten auf das Gebiet des Trügerischen, Unerlaubten und Unwürdigen willkommenen Anlaß geboten haben, dem glücksbegünstigten und berühmt gewordenen Manne zu schaden. Auch läßt sich wohl denken, daß das, was E. mit Kenntnissen und Erfahrungen ausgerüstet sich herausnahm, immermehr auch von unfähigen und unwissenden Stümpern nachgemacht wurde, und daß damit eine berechtigte Abneigung gegen das ganze Wesen der herumziehenden Marktärzte emporwuchs. Zum Theil waren aber gewiß auch litterarische Belehrungen dabei im Spiele, die sich ebenfalls gegen die Wanderärzte richteten, wie einst schon Moscherosch in den „Gesichten des Philander von Sittewald“ medicinische Schwindeleien nachsichtslos gegeißelt hatte. Johann Christian [311] Ettner aus Eutritzsch bei Leipzig, ein ausgesprochner Gegner der Alchymisterei und der marktschreierischen Winkelärzte, ließ zuerst 1694 und dann abermals in erweiterter Form 1719 zu Frankfurt und Leipzig anonym ein Buch erscheinen unter dem Titel „Des getreuen Eckarths Medicinischer Maul-Affe oder der Entlarvte Marckt-Schreyer“. Der Verfasser gibt in der damals beliebten Form des Reiseromans oder Reisegesprächs eine große Menge gesundheitlicher und diätetischer Vorschriften, Anweisungen für das Verhalten bei Curen und in Bädern u. dergl. und läßt keine Gelegenheit vorübergehen, vor medicinischen Maulaffen, d. h. unkundigen und betrügerischen Nachahmern wirklicher Aerzte zu warnen. Von den verschiedenen Wanderheilkünstlern, die in dem Buch auftreten, nennt Ettner keinen mit Namen, aber es ist augenscheinlich, daß ihm wirkliche Persönlichkeiten seiner Zeit als Modelle gedient haben, wie er sich denn hierüber in der Vorrede folgendermaßen ausläßt: „Habe ich auch einen oder den andern Medicinischen Maul-Affen allzukenntlich vorgestellet, der wisse, daß mein Amt und Gewissen es erfordert, und ist gewiß bey dieser Zeit höchst-nöthig, denen Leuthen zu weisen, was ein von Gott erwehlter Medicus und hergegen ein Pöfels-Doctor, der andern als ein Affe nachahmet und Schaden verursachet, sey.“ In einem der hervorragendsten dieser Männer haben wir jedenfalls Eisenbart’s Conterfei zu erblicken, und auf ihn ist wol auch das Gedicht gemünzt, das als Erklärung eines beigegebenen Kupferstiches in beiden Auflagen unmittelbar hinter dem Titelblatte folgt und also beginnt:

„Hier steht der Wundermann, Apollo unser’r Zeiten,
 Bey dem Hygaea muß noch in die Schule geh’n.
Der kan Machaons-Ruhm durch seine Kunst ausbreiten,
 Vor ihm muß Lachesis in vollen Früchten steh’n.
Sein Lob ist ungemein durch Ost, Süd, West und Norden,
 Und seiner Curen Glantz erfüllt die gantze Welt.
Wie aber ist er denn so bald zum Affen worden?
 Schaut wie er sich anjetzt verzagt und albern stellt!
Nachdem ihm Eckarth hat die Larve abgezogen
 Und sein gefälschtes Haar vom Haupte abgebracht,
Zeigt er hier jedermann, daß alles sey erlogen,
 Was dieser Lügen-Artzt den’n Leuthen weiß gemacht.“

Auch eine Spottmünze soll auf E. geprägt worden sein, doch ließ sich nichts genaueres darüber in Erfahrung bringen.

Während des letzten Jahrzehnts von Eisenbart’s Leben muß der Stern seines Ruhmes zusehends in Niedergang gekommen sein; es ist aus dieser Zeit fast nichts mehr über seine Thätigkeit bekannt. Auch scheint Eisenbart’s Gesundheit durch das unstete Wander- und Reiseleben nach und nach so gelitten zu haben, daß er daran dachte, sich eine geeignete Person zum Nachfolger und Erben der Praxis heranzubilden. Die Wahl fiel auf seinen jüngsten Sohn Adam Gottfried (geboren 1706), der jedenfalls besonderes Geschick und Interesse für das Gewerbe des Vaters an den Tag legte und ihn wahrscheinlich in den letzten Lebensjahren auf den meisten Wanderfahrten begleiten mußte. Daß diese Anwartschaft des Sohnes auf die väterliche Praxis der Oeffentlichkeit nicht unbekannt blieb, wird durch ein Gedicht Gottsched’s bezeugt, das im April 1727, etwa 7 Monate vor Eisenbart’s Tod entstanden ist, und in dem Eisenbart’s Grundsätze richtig wiedergegeben sind, wenn es also heißt:

„Mein Kind! gehorche mir, so hat vor wenig Wochen
Herr Eisenbart, ein Arzt, zu seinem Sohn gesprochen.
Willst du einmal so reich, berühmt und glücklich seyn,
Als ich, dein Vater, bin, so bilde dir nicht ein,
[312] Du werdest mit Geduld, Gelehrsamkeit und Wachen
Die leeren Kisten voll, dich selbst zum Wunder machen.
O nein, der Irrthum trügt! Verwirf die Blödigkeit:
Wer gar zu furchtsam ist, verdirbt zu dieser Zeit.
Du mußt von Stadt zu Stadt auf alle Messen reisen,
Auf hohen Bühnen stehn und deine Curen preisen
Und schreyen: Eilt herzu! Hier steht der Wundermann,
Dem keiner in der Welt das Wasser reichen kann!
Dann wird der Pöbel sich nach deinen Pillen dringen,
Die Kranken werden dir mehr Gold und Silber bringen,
Als du dir wünschen wirst. Das Beyspiel nimm von mir;
Denn so hab ich’s gemacht: ein gleiches rath’ ich dir.
Die Tauben pflegen uns nicht selbst ins Maul zu fliegen,
Und wer nicht wacker pralt, der bleibt im Staube liegen.
So klingt, gelehrter Freund, der Väter Unterricht“ u. s. w.

Im Spätherbst 1727 unternahm E. noch eine Reise in das westliche Deutschland und kam dabei nach dem Städtchen Hannöversch-Münden. Dort nahm er im „Wilden Mann“ beim Bäckermeister und Gastwirth Schepeler in der sogenannten „Kleinen Stube“ Quartier und trieb sein Gewerbe noch eine Zeitlang. Da befiel ihn am 6. November eine Krankheit, von der er am 11. November, 66 Jahre alt, dahingerafft wurde. Das Gasthaus führt jetzt den Namen „Deutscher Hof“, der alte Bau ist aber 1900 eingerissen worden, und in einem größeren Neubau wieder erstanden. Eisenbart’s Sterbezimmer war im alten Gebäude bis zuletzt erhalten und wurde den Fremden als eine Sehenswürdigkeit gezeigt. Eine neuere Inschrift im Hausflur wies auf Eisenbart’s Aufenthalt hin und feierte den Wanderaesculap, wol ohne besondere historische Grundlage, als einen Freund des Bieres. Die Beerdigung Eisenbart’s geschah am Sterbeort auf dem Aegidienkirchhofe, die Eintragung des Todesfalles im Kirchenbuch der Blasienkirche. Der Grabstein, den ihm die Hinterbliebenen setzen ließen, war am Erdboden während eines Jahrhunderts ganz von Gestrüpp überwuchert. Um 1825 entdeckte man ihn wieder; seitdem steht er aufgerichtet an der nördlichen Außenseite der Aegidienkirche und gilt als größte Merkwürdigkeit Mündens. Der Stein ist vielfach abgebildet, neuerdings auch in der beliebten Form der Ansichtspostkarte. Ein Gipsabguß befindet sich im Germanischen Museum zu Nürnberg. Die Inschrift bewegt sich auf hohem Kothurn und unter ihren vielen Buchstabenligaturen ist der Artikel „DER“ einmal so geschickt zusammengezogen, daß man die Abkürzung „Dr.“ vor sich zu haben meint. Sie bezeichnet den Verstorbenen als den „weiland hochedlen, hocherfahrnen, weltberühmten Herrn, Herrn Johann Andreas Eisenbart“ und nennt dann die beiden Titel „Königl. Grosbritannischer und Churfürstl. Braunschw.-Lüneb. brivilegirter Landartzt wie auch Königl. Breüssischer Raht und Hofoculiste“. Zwei Engel halten auf dem oberen Theile des Grabsteins einen Schild mit dem Wappen, das E. sich zugelegt hatte und auch in seinem Siegel führte. Es ist ein redendes Wappen, das die Etymologie des Namens wiedergeben will, wie sie sich der Laie zurechtlegt. Die Schildfigur stellt nämlich einen Vogel Strauß dar mit einem Hufeisen im Schnabel, das bartähnlich zu beiden Seiten herabhängt; aus dem eisernen Schildhelm wächst ein bärtiges Männchen heraus.

Die männliche Nachkommenschaft Eisenbart’s scheint ausgestorben zu sein trotz des reichen Kindersegens, den er besaß. Schon bei seinem Auftreten in Weimar 1688 spricht er, wie oben erwähnt, von seiner starken Familie, und es ist anzunehmen, daß die Kopfzahl derselben im Laufe der Jahre zu einer stattlichen Menge angewachsen ist, da nach Ausweis des Kirchenbuchs der „Medicus und Operator“ Johann Andreas Eisenbart noch am 13. Januar [313] 1706 in der Johanneskirche zu Magdeburg, zu deren Bezirk die Apfelstraße gehört, den vorhin erwähnten Sohn Adam Gottfried taufen ließ. Dieser Jüngstgeborne war als Gehülfe des Vaters mit auf der letzten Reise in Münden und konnte ihm dort die Augen zudrücken. Er bemühte sich, unter Berufung auf sein Assistentenamt, nach des Vaters Tod um Einrücken in das väterliche Privilegium als hannöverscher Landarzt, aber anscheinend erfolglos. Ein anderer Sohn, Johann Michael, widmete sich dem akademischen Studium der Arzneiwissenschaft und wurde als Licentiat der Medicin im Mai 1713 in der Magdeburger Johanneskirche getraut; ein dritter Sohn soll in Wittenberg begraben liegen. Eine Tochter war mit dem Advocaten Friedrich Müller in Magdeburg verheirathet, der ein vermögender Mann war und sechs Häuser besaß.

Als unbestreitbare Thatsache muß anerkannt werden, daß E. nicht bloß ein unternehmungslustiger, praktischer und rühriger Mann von natürlichem Verstand gewesen ist, sondern auch ein kundiger, geschickter und tüchtiger Operateur mit sicherer Hand, der die Collegen seiner Zeit in mehr als einem Stück hinter sich ließ und durch Verbesserung der Instrumente auf den Fortschritt seiner Fachwissenschaft bedacht war. Mit den Uebergriffen in die innere Heilkunde begab er sich zum Schaden seines Rufes auf ein verbotenes Gebiet, wo er anstoßen und straucheln mußte, während er andrerseits das Eingreifen von Collegen in seine eigenen Rechte unnachsichtig verfolgte. In der Reclame, die er von Anfang an ausgiebig benutzte, ward er, allmählich immer aufdringlicher, ruhmrediger und unaufrichtiger und scheute schließlich auch wirkliche Schwindelhaftigkeiten nicht mehr, wenn er Vortheile damit erreichen konnte. Finanziell ist er dabei gut gefahren, ein reicher Mann geworden und mit besseren Gesellschaftskreisen in Verschwägerung gekommen, aber seinem Charakter und seiner Ehre hat er durch die bedenklichen Praktiken und Eigenschaften einen unlöblichen Makel angeheftet, der nur durch die Erwägung ein wenig gemildert wird, daß er als guter Hausvater für seine große Familie treulich damit gesorgt hat. War der Name „Eisenbart“ in seiner Blüthezeit durch das ganze Reich bekannt, so gerieth er bereits in den letzten Jahren seines Trägers in Abnehmen und verblaßte nach dessen Tode ziemlich rasch. Zunächst zwar wird E. in der schönen Litteratur noch mehrmals genannt, wenn auch nicht immer zu bestem Lobe. So singt G. B. Hancke 1731:

„Kaum hat ein Eisenbart, der alle Kranken heilt,
Durch offnen Drommel-Schlag die Zettul ausgetheilt,
So kommen alsobald die Kranken angezogen,
Und doch ist seine Kunst erstunken und erlogen.“

und in einem 1734 verfaßten Gedichte beschreibt der kauderwelsche Deutschfranzose J. Ch. Trömer (Toucement) seine und seiner Geliebten Fähigkeiten selbstironisirend u. a. mit den Worten:

„Ick bin die Doctor Nicks, sie Doctor Eise-Barth“.

Aber schon im Januar 1742 konnte der Theolog Heumann von Göttingen an den Consistorialrath Hauber in Bückeburg schreiben, er habe das Ende von Eisenbart’s Ruhm erlebt und sei überzeugt, daß nach 100 Jahren Niemand mehr von E. etwas wissen werde. Fünf Jahre später (1747) taucht Eisenbart’s Name noch einmal auf in dem bekannten Crambambuli-Liede des Danzigers Wedekind (Koromandel), in dem eine Strophe lautet:

„Schlüg’ Eisenbart, der Krankheitsstürmer
Noch jetzo seine Bühne auf
[314] Du wärst sein mächtigster Beschirmer,
Halb Teutschland brächtest du in Lauf.
 Ich wett’, er rief cum emphasi:
 Ihr Leute, kauft Crambambuli!“

Und zum letzten Male begegnen wir ihm dann 1751 bei Heinrici (Picander), der in einem Gedichte zweifellos, wenn auch nur andeutungsweise, sagt:

„Cupido schrieb an seine Thüre:
Allhier wohnt Doctor E[isenbart],
Er sticht den Star, er heilt Geschwüre
Nach einer ganz besondern Art.“

Hiermit würde E. wol im großen und ganzen der Vergessenheit anheimgefallen und also die Göttinger Prophezeiung in Erfüllung gegangen sein, wenn er nicht auf unerwartete Weise nach einem halben Jahrhundert eine fröhliche Auferstehung gefeiert hätte, um unsterblich in einem Gesange fortzuleben, der vermuthlich gerade in Göttingen entstanden ist und den Göttingen zuerst hat drucken lassen. Das burschikose Lied: „Ich bin der Doctor Eisenbart“, das mit wenig Witz und viel Behagen eine Reihe ersonnener Parforcecuren verspottet, ist in die weitesten Kreise des Volkes eingedrungen, mehrfach componirt worden und hat den für die Allgemeinheit schon Todten zu neuem Leben erweckt. Nach dem unverdächtigen Zeugniß eines ehemaligen Marburger Studenten (Boclo) ist dieses Lied schon zwischen 1801 und 1805 in Marburg gesungen worden. Gedruckt erschien es zum ersten Male 1818 in einem Göttinger Commersbuche, und zwar in folgender Form:

„Ich bin der Doctor Eisenbart, Es hatt’ ein Mann in Langensalz’
Kurier’ die Leut’ nach meiner Art, Ein’n centnerschweren Kropf am Hals,
Kann machen, daß die Blinden gehn Den schnürt’ ich mit dem Hemmseil zu,
Und daß die Lahmen wieder sehn. Probatum est, er hat jetzt Ruh’.

Zu Wimpfen accouchierte ich

Der Schulmeister von Itzehöh
Ein Kind zur Welt gar meisterlich. Litt dreißig Jahr’ an Diarrhoe,
Dem Kind zerbrach ich sanft das G’nick,             Ich gab ihm Cremor Tart’ri ein;
Die Mutter starb zum großen Glück. Er ging zu seinen Vätern ein.

In Potsdam trepanierte ich

Es litt ein Mann am schwarzen Staar,
Den Koch des großen Friederich. Das Ding, das ward ich gleich gewahr;
Ich schlug ihm mit dem Beil vorm Kopf, Ich stach ihm beide Augen aus
Gestorben ist der arme Tropf. Und so bracht ich den Staar heraus.

Zu Ulm kuriert ich einen Mann,

Der schönen Mamsell Pimpernell
Daß ihm das Blut am Beine rann, Zersprang einmal das Trommelfell;
Er wollte gern gekuhpockt seyn, Ich spannt’ ihr Pergament vors Ohr,
Ich impft’s ihm mit dem Bratspieß ein. Drauf hörte sie grad’ wie zuvor.

Des Küsters Sohn in Dideldum

Zu Prag da nahm ich einem Weib
Dem gab ich zehn Pfund Opium. Zehn Fuder Steine aus dem Leib.
Drauf schlief er Jahre, Tag und Nacht, Der letzte war ihr Leichenstein.
Und ist bis jetzt noch nicht erwacht. Die wird wohl jetzt kurieret seyn.

Sodann dem Hauptmann von der Lust

Das ist die Art, wie ich kurier’,
Nahm ich drei Bomben aus der Brust; Sie ist probat, ich bürg’ dafür.
Die Schmerzen waren ihm zu groß. Daß jedes Mittel Wirkung thut,
Wohl ihm! Er ist die Juden los. Schwör’ ich bei meinem Doctorhut.“

Noch in demselben Jahre 1818 finden wir das Lied ein wenig abweichend in einer Hamburger Liedersammlung. In den zahlreichen späteren Drucken ist der Text vielfach verändert worden durch Umstellungen, Abschwächungen und Auslassungen, besonders aber durch Zudichtungen, zu denen er leicht verführen kann. Die bisweilen ausgesprochene Annahme, das Lied enthalte bereits im [315] ältesten Druck Interpolationen mit Anachronismen (Koch des großen Friederich, Kuhpocken) und sei in kürzerer Fassung schon zu Eisenbart’s Lebzeiten entstanden, läßt sich nicht halten; es ist eben nicht früher als um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts verfaßt worden, und zwar gleich in der Form, die der älteste Druck darbietet. Noch abgeschmackter ist der ebenfalls verlautbarte Gedanke, daß das Lied, wie es 1818 gedruckt erschien, auf einen Sohn Eisenbart’s gedichtet worden sei! Auch die Vermuthung ist entschieden abzuweisen, als ob wir in dem Liede nur die Umdichtung eines viel älteren und ursprünglich auf eine andere Person gedichteten Volksliedes zu erblicken hätten.

Den unbekannten Verfasser dürfen wir etwa in einem Göttinger Studenten der Medicin suchen, der sich in feucht-fröhlicher Stimmung durch den Besuch von Eisenbart’s Sterbezimmer in Münden zu seinen Versen begeistern ließ; war doch das Städtchen Münden von jeher ein beliebtes Ziel für Ausflüge der Göttinger Musensöhne, die an Eisenbart’s Sterbezimmer als dem Wahrzeichen des Ortes – der Grabstein ist, wie gesagt, erst später aufgefunden worden – nicht vorüberzugehen pflegten. Vielleicht besaß der Dichter schon vorher vom Hörensagen die Erinnerung an einen herumziehenden Arzt des Namens Eisenbart, vielleicht kannte er auch die Dichtungen Heinrici’s, an dessen oben citirte Wendung „ganz besondre Art“ die Worte des Liedes „nach meiner Art“ anzuklingen scheinen *). Etwas Thatsächliches von Eisenbart’s Leben wußte der Dichter aber nicht. Gleichermaßen fehlgegangen wie diejenigen, die sogar Eisenbart’s Figur für eine freie Erfindung gehalten haben, sind die Andern, die das Lied als eine Art historische Quelle glaubten betrachten zu sollen. Der ganze Wortlaut des Textes verbietet doch, etwas Anderes darin zu erblicken, als das Erzeugniß ausgelassenen Spiels und heiterer Trinkerlaune, die sich in satirischer Verspottung der niedrigsten Stufe des ärztlichen Standes gefiel. Daß nicht einmal die wirklich existirenden Orte, die das Gedicht nennt, einen historischen Hintergrund bilden, zeigt die gegebene Darstellung von Eisenbart’s Wanderfahrten. Der Dichter hat die Ortsnamen in freier Willkür gesetzt, möglicherweise in Erinnerung an vorangegangene Beschäftigung mit der Geschichte des 30jährigen Krieges. Einige Anklänge führen auf „Wallenstein’s Lager“; verrätherisch in diesem Punkt erscheint die Erwähnung des stillverborgenen Städtchens Itzehoe, das erst durch Schiller’s „langen Peter“ in weiten Kreisen bekannt wurde, und zwar mit der von Schiller gebrauchten falschen Aussprache Itze. Da „Wallensteins Lager“ im October 1798 zum ersten Mal über die Bretter ging, und da auch Jenner’s Schutzpockenimpfung, die der Eisenbartpoet erwähnt, kaum vor 1797 in Deutschland eindrang, so kommen wir auf die allerletzten Jahre des 18. Jahrhunderts als frühesten Zeitpunkt der Entstehung des Eisenbart-Liedes.

Schwerlich hat der Dichter geahnt, zu welcher Volksthümlichkeit es sein harmloses Poem bringen würde. Es wird nicht nur durch ganz Deutschland und in dialektischer Umdichtung („I bin der Tokter Eisahuet“) in der Schweiz gesungen, sondern hat sich in Uebersetzung

Je suis le docteur Isembart,
Je connais tous les secrets de mon art,
Je guéris tous les tempéraments,
Pourvu qu’on m’en donne de l’argent etc.

[316] und mit neuer Melodie auch bei den Franzosen eingebürgert. In den bekannten Bilderbogen von Gustav Kühn in Neuruppin (Nr. 9618) ist es mit neun schauerlichen grell colorirten Darstellungen, in den künstlerischen Münchener Bilderbogen (Nr. 186) von Braun & Schneider mit acht drastischen Illustrationen des Zeichners M. Heil (zuerst 1856, in neunter Auflage 1886) erschienen und allein dadurch in vielen tausenden von Exemplaren verbreitet worden. Freilich stellt uns das Lied eine andere Figur vor Augen, als E. wirklich gewesen ist, und der Wanderaesculap wird dadurch zu einem Januskopf mit zwei verschiedenen Gesichtern. Auf Grund des Liedes braucht man den Namen „Eisenbart“ jetzt fast als Appellativum zur Bezeichnung eines unwissenden und rauh eingreifenden Arztes. Von solcher Art war indessen der historische E., wie wir gesehen haben, bei all seinen Schwächen nicht. Es soll auch eine dramatische Posse existiren „Der Doctor Eisenbart“, die von herumziehenden Schauspielern früher aufgeführt wurde; sie dürfte wol erst unter Zugrundelegung des Liedes entstanden sein. Auch gibt es ein Gesellschaftsspiel „Dr. Eisenbart“, bestehend aus drastisch illustrirten Karten, deren jede die Hälfte einer Strophe des Liedes enthält, sodaß also immer zwei ein Ganzes bilden. Diese Karten werden unter die Gesellschaft vertheilt und dann geht das Spiel mit Ziehen und Ablegen genau wie „der schwarze Peter“ vor sich. „Das neue Lied vom Dr. Eisenbart“ von H. Ellissen (zuerst 1883 in Leipzig gedruckt, jetzt in 4. Ausgabe vorliegend) behandelt in 16 Strophen „die Kunst, gesund und froh zu leben“, und hat nichts als die ersten zwei Zeilen mit dem alten Eisenbartliede gemeinsam. Ob die „Eisenbartbirne“, die in Thüringen und auch anderwärts auf den Obstmärkten verkauft wird, ihren Namen von dem Wanderarzt erhalten hat, läßt sich schwerlich noch entscheiden. Ein in Dresden seit 1868 erscheinender humoristischer Kalender „Doctor Eisenbart“ und die ebenda in den Jahren 1872 und 1873 unter Redaction des Caricaturenzeichners K. Reinhardt herausgekommene humoristische Zeitschrift gleichen Namens zeigen auf ihren Titelblättern den Wundermann bildlich dargestellt; diese Porträts sind ebenso Phantasieerzeugnisse wie die des Neuruppiners und des Münchener Bilderbogens. Das neidische Geschick hat nicht gewollt, daß authentische Porträts von E., deren es jedenfalls mehrere gegeben hat, bis auf unsere Tage kommen sollten. Dieser Verlust bleibt zu beklagen, denn da Eisenbart’s äußere Gestalt gewiß mit zu seinen Erfolgen beigetragen hat, so möchte man wol wünschen, auch Antlitz und Figur des merkwürdigen Mannes kennen zu lernen.

Acten der Staatsarchive zu Coburg, Magdeburg, Wetzlar, der Stadtarchive zu Altenburg, Dresden, Erfurt, Leipzig, Magdeburg, Münden, Rochlitz, des Pfarrarchivs zu Münden. – Memoriale an die Reichsversammlung zu Regensburg vom Grafen von Solms (1704). – Gegenmemoriale an die Reichsversammlung zu Regensburg von Seiten des älteren Herrn Präsidenten zu Wetzlar (1704). – Aufferlegte Finalhandlung von Seiten des älteren Präsidenten Freiherrn von Ingelheim (1704). – Stettiner Ordinäre Postzeitung 1716, Juni bis November, Nr. 45, 46, 57, 58, 68, 69, 87, 92. – Hauber, Bibliotheca magica III. Bd., 27. Stck. (Lemgo 1742), S. 203–204. – v. Ulmenstein, Geschichte d. Stadt Wetzlar II (1806), 433 und III (1820) im Register unter „Eisenbart“. – Neues Kommersbuch (Göttingen 1818), S. 368–370. – Boclo, Der Begleiter auf dem Weser-Dampfschiffe (Göttingen 1844), S. 2 f. – Geißler, Eisenbart’s Grabstein, in der Leipz. Illustr. Ztg., Nr. 967 v. 11. Jan. 1862, S. 30. – Hoffmann von Fallersleben, Unsere volksthümlichen Lieder, 4. Auflage, bearb. v. Prahl, S. 126, Nr. 590. – M. B., Silhouetten [317] aus der guten alten Zeit. I: Dr. Eisenbart, in der „Gartenlaube“ 1866 , S. 390–393. – Thelemann, Zwei Doktoren des deutschen Volkes, im „Daheim“, 6. Jahrg., Nr. 18 vom 29. Jan. 1870, S. 288. – v. Mülverstedt, Dr. Eysenbarth, in den „Geschichtsblättern f. Stadt u. Land Magdeburg“, 5. Jahrg. (1870), Heft 1, S. 124–141. – Janicke, Zu Dr. Eisenbart, ebenda 6. Jahrg. (1871), S. 155 f. – Kretzschmar u. Zuccalmaglio, Deutsche Volkslieder (1838–1840) II, Nr. 350. – Tobler, Appenzeller Sprachschatz, S. 177. – Koser, Dr. Eisenbart in Wetzlar, in der „Gartenlaube“ 1875, Nr. 4, S. 65–68. – Lotze, Geschichte der Stadt Münden (1878), S. 123–126. – „Deutsche Illustrirte Zeitung“, Berlin 1885, Nr. 40, S. 292. – Richter, Verwaltunggeschichte d. Stadt Dresden II, 1, S. 165 – Oettinger, Moniteur des dates II, 47, Spalte 3. – Münchner Neueste Nachrichten 1891, Nr. 305 (Morgenblatt v. 10. Juli), S. 3. – Fränkel, Dr. Eisenbart, in Meyer’s „Zeitschrift f. dtsche. Kulturgeschichte“, N. F. II, S. 492–494. – Burkhardt, Dr. Eisenbart in Weimar, in der Zeitung „Deutschland“ 1892, Nr. 233 u. 234; – Derselbe, Dr. Eisenbart, in Meyer’s „Zeitschrift f. dtsche. Kulturgeschichte“, N. F. III, S. 133–135. – Peters, Aus pharmazeutischer Vorzeit II, 2. Aufl., S. 263 ff. – Bösch, Dr. Eisenbart, in der „Gartenlaube“, 1894, Nr. 36, S. 612. – Eisenbart’s Wappen, im „Deutschen Herold“, Berlin 1894, Nr. 12, S. 150. – Böhme, Volksthümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert (Leipzig 1895), S. 506–508, Nr. 681. – Wustmann, Als der Großvater die Großmutter nahm, 3. Aufl. 1895, S. 435 f. und 620. – Scipio, Mittheilungen aus der ältesten Stettiner Zeitung, in der „Neuen Stettiner Zeitung“ 1896. – Weimarisches Privilegium für Eisenbart, in der Zeitschrift „Am häuslichen Herd“, Sonntagsblatt zur „Altenburger Zeitung“, 1896, Nr. 18. – „Wiener Medizinische Blätter“, 21. Jahrgang (1898), S. 322. – Buschan, Medizinisches aus d. Anfange d. 18. Jahrhunderts, in der „Münchener Medizinischen Wochenschrift“, 45. Jahrg. (1898), Nr. 34, S. 1090 ff. – Köhler, Dr. Eisenbart (Magdeburg 1898), Sonderabdruck aus den „Blättern für Handel, Gewerbe u. soziales Leben“ (Beiblatt z. Magdeburg. Zeitung) 1898, Nr. 42 u. 43, S. 334 ff. u. 337 ff. – Mitzschke, Eisenbart in Coburg 1713, im „Coburger Tageblatt“ 1900, Nr. 148 vom 27. Juni, Beilage. – Henze, Dr. Eisenbarts Sterbehaus und Grabstein zu Münden, im „Daheim“, 36. Jahrg., Nr. 35 v. 2. Juni 1900, S. 15; vgl. ebenda Nr. 39 v. 30. Juni 1900, S. 27 im „Briefkasten“ und ebenda 39. Jahrg., Nr. 2 vom 11. Oct. 1902, S. 24, Sp. 3. – Kopp, Eisenbart im Leben und im Liede (Berlin 1900). – Peters, Der Arzt und die Heilkunst in der deutschen Vergangenheit (1900), S. 127. – Wustmann, Quellen z. Gesch. Leipzigs I, 462. – Pfau, Attestat des Rochlitzer Rathes, in den „Mittheilungen des Vereins f. sächs. Volkskunde“, II. Bd. 1901, Heft 6, S. 183–184. – Tille, Die Faustsplitter in der Litteratur des 16.–18. Jahrh. (1900), S. 591–592; – Derselbe, Dr. Eisenbart, in der „Leipz. Zeitung“ 1901, Nr. 149 v. 29. Juni, 1. Beil., S. 2649. – Schauenburg’s Allg. deutsches Kommersbuch, 59.–62. Aufl., S. 627 f., Nr. 698 und dessen Kommersabende IV, 70. – Dorfzeitung 1902, Nr. 275 v. 23. Nov., S. 4957. – Jahrbücher d. Kgl. Akademie zu Erfurt N. F. XXIX, S. 254–257. – Hampe, Die fahrenden Leute (1902), S. 108.

[301] *) Vgl. auch die köstliche neugeschaffene Figur des „Magnus Bombastus Vomitivus“ in Philander’s „Medicinischen Märchen“ (S. 92–112), Stuttgart 1892.

[307] *) Nur das alte Wahrzeichen, ein Zweig mit goldenem Apfel und der Jahreszahl 1671, ist wieder in den Neubau eingemauert worden.

[315] *) In einem Fastnachtsspiel des 15. Jahrhunderts wird von einem marktschreierischen Wanderarzt spottend gesagt: „Er kann mit meisterlichen Sachen die Blinden reden machen“. Der Anfang des Eisenbartliedes klingt hieran an.