ADB:Gesner, Johann Matthias
Buddeus ihn 1712 in sein Haus aufnahm und den Unterricht seines Sohnes ihm übertrug. Durch diesen Umgang und durch die Benutzung der Bibliothek seines Gönners wurden seine gelehrten Kenntnisse erweitert; schon 1714 konnte er in einer Schrift über Lukians Philopatris dieses Werk in die Zeit Kaiser Julians verweisen und 1715 ließ er eine Ausgabe dieses Gesprächs mit Uebersetzung und [98] Anmerkungen folgen. Bedeutender noch waren die in demselben Jahre erschienenen „Institutiones rei scholasticae“, in welchem Grundrisse der Pädagogik die Ansichten der Reformer des 17. Jahrhunderts geschickt benutzt und mit eigenem reifen Urtheil von allen Uebertreibungen befreit werden. Das Buch sollte eigentlich den Vorträgen in einem pädagogischen Seminare zu Grunde gelegt werden, dessen Gründung in Jena beabsichtigt wurde, aber es kam nicht dazu, weil G. in den ersten Monaten des J. 1715 als Conrector nach Weimar berufen wurde. Hier heirathete er 1718 die Tochter des Pfarrers Eberhard im Amt Gehren. Als ihm bald zwei Kinder geboren waren, mußte er bei geringem Einkommen streng Haus halten. In rastloser litterarischer Thätigkeit verfaßte er eine Reihe gelehrter Arbeiten und knüpfte Verbindungen auch mit dem Auslande an, wie mit Hemsterhuys, der sich mit ihm zu einer großen Ausgabe Lukians vereinigte. Wenn schon sein eigener Trieb nach allseitigem Wissen ihn vor Einseitigkeit bewahrte, so begünstigte ihn dabei noch das volle Vertrauen des Geheimen Rathes Fr. Gotthilf von Marschall, genannt Greiff, in dessen Umgange er die Feinheit der Formen und die Freiheit der Bewegung gewann, die ihn auch als gewandten Gesellschafter auszeichneten. Diesem Gönner verdankte er auch die Verwaltung der herzoglichen Bibliothek und Münzsammlung, wodurch er in seinen gelehrten Arbeiten sehr unterstützt wurde. Der Nachfolger des 1728 gestorbenen Herzogs Wilhelm Ernst entließ alle Diener desselben und entzog auch G. das Amt des Bibliothekars, weil er dadurch Marschall am tiefsten weh zu thun überzeugt war. Der Aufenthalt in Weimar war ihm dadurch verleidet und er entschloß sich 1729 rasch das Rectorat in Ansbach anzunehmen. Dies neue Amt brachte viel Mühen, weshalb von wissenschaftlichen Arbeiten nur wenig vollendet werden konnte. Darum folgte er im September 1730 gern dem Rufe zu dem Rectorate der Thomasschule in Leipzig, zu dem wohl einflußreiche Buchhändler und der günstige Eindruck, den er bei einem früheren Besuche in dieser Stadt zurückgelassen hatte, ihn dem Rathe empfohlen haben mochten. In den vier Jahren dieser Verwaltung ist es ihm gelungen den Ruf der wissenschaftlichen Tüchtigkeit der Schule herzustellen, die verwilderte Zucht der Alumnen zu verbessern und im Vereine mit seinem jungen Amtsgenossen Ernesti in den Schülern die Lust an den Studien zu wecken. Die Gunst des Rathes als Patrons der Schule machte ihn mißliebig bei der Universität, die sein Verlangen nach einer akademischen Thätigkeit nicht erfüllte, obgleich er bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft die iura magisterii Lipsiensis erworben hatte. Er sehnte sich darum fort von Leipzig und brauchte auch auf die Erfüllung dieses Wunsches nicht lange zu warten. Gleichzeitig erhielt er einen Ruf nach Preußen zur Beaufsichtigung des Unterrichtswesens und nach Göttingen als Professor der Poesie und Beredsamkeit. Im October 1734 trat er diese Stelle an, obgleich die Einweihung der Universität (G. hat die ausführliche Beschreibung aller Festlichkeiten in einem stattlichen Foliohefte geliefert) erst 1737 durch sein Programm und seine Festrede erfolgte. 27 Jahre ist er trotz eines geringen Einkommens (700 Thaler) der Georgia Augusta treu geblieben, er fand in seiner Thätigkeit eine solche Befriedigung, daß er ohne Bedenken die ehrenvollsten Anträge zu glänzenden Stellungen ausschlug. Ihm verdankt die Universität ihre Richtung auf die historischen Wissenschaften im Gegensatz zu den speculativen, ihm die Begründung der Bibliothek, die unter seiner Verwaltung schon damals eine der bedeutendsten Deutschlands wurde, ihm die Förderung der Wissenschaft in der königlichen Societät, in der er 1751 Secretär der historisch-philologischen Klasse und 1753 alternirender Director wurde, ihm die Errichtung des philologischen Seminars, in welchem die Lehrer der gelehrten Schulen eine geeignete Ausbildung erhielten, ihm 1738 die deutsche Gesellschaft, für deren Gedeihen er sich bis zu seinem Tode eifrigst [99] bemüht hat. Er war der stets bereite Abgesandte, Redner und Schriftsteller der Universität; zahlreiche Programme, Reden, Festgedichte, Denkschriften, darunter auch auf Frauen und junge Leute, eine Menge von Relegationspatenten zeigen, wie vielfach er in Anspruch genommen war. Das Prorectorat hat er nur einmal 1743 verwaltet. Und das waren doch nur Nebenarbeiten neben seinen Vorlesungen, die sich auf die Schriftsteller Homer, Horaz, Plinius, Sueton und Cicero’s Briefe, auf griechische und römische Alterthümer, auf Kunstarchäologie, lateinischen Stil, Rhetorik und allgemeine Encyklopädie bezogen; auch neutestamentliche Schriften hat er philologisch erklärt. Die Inspection über die höheren Schulen der braunschweigisch-lüneburgischen Lande war in ihren Ergebnissen weniger reich als man von seiner Einwirkung hätte erwarten sollen, weil die städtischen Patronatsbehörden und selbst viele der alten Lehrer seinen Erinnerungen mit Widerwillen entgegentraten. Alle diese verschiedenartigen Geschäfte hinderten ihn nicht eine Reihe großer selbständiger Werke zu vollenden. Bei aller seiner Polyhistorie blieb doch das classische Alterthum der Mittelpunkt seiner Arbeiten; dieselben nehmen besonders auf dem Gebiete der römischen Litteratur eine hervorragende Stelle ein. Wenn man genau den Fortschritten folgt, welche er seit der Herausgabe der „Scriptores rei rusticae“ (1735) im „Quintilian“ (1738), Plinius’ „Epistolae et panegyricus“ (1739) und endlich in „Claudian“ (1759) gemacht hat, wird man überall finden, daß er bei der Kritik zaghaft, höchstens mit nachbessernder Hand verfährt, daß aber seine Methode in lichtvollen und verständigen Einleitungen, in der geschmackvollen und klaren Entwickelung der Gedanken und in dem feinen Geschmack des nicht gerade tiefen, um Sprache und Metrik sich wenig kümmernden, aber die dichterischen Schönheiten kurz andeutenden Commentars sich immer mehr entfaltet und in Claudian einen Abschluß gefunden hat. Er hat sich fern gehalten von der massenhaften Gelehrsamkeit und Weitschichtigkeit holländischer Commentare, hat aber für die Kritik eines Bentley kein Verständniß und der Versuch in dem Cicero restitutus steht auf schwachen Füßen. Die Wiederholung der Baxter’schen Ausgabe des Horaz, so oft dieselbe auch seit 1752 gedruckt ist, hat keinen besonderen Werth; der „Livius“ (1735) ist ein incorrecter Abdruck der Ausgabe le Clerc’s und verdient nur wegen der Vorrede Beachtung; der Abdruck einiger lateinischer Rhetoren 1745 ist ohne Selbständigkeit. Der große Plan den Hardouinschen Plinius in einer vermehrten Ausgabe in vier Quartbänden drucken zu lassen, ist nicht über die Ankündigung 1738 hinausgekommen. Bereits 1736 hatte G. die Grundsätze, welche bei der Abfassung eines wissenschaftlichen lateinischen Lexikons maßgebend sein müßten, entwickelt, nicht aus der Theorie heraus, denn bereits 1726 hatte er Faber’s „Thesaurus eruditionis scholasticae“ herausgegeben (wiederholt 1735). Aber er ging in seinen Anforderungen zu weit, wenn er alles, was für die Kenntniß des antiken Lebens nach allen Seiten hin von Wichtigkeit ist, aufgenommen wissen wollte. Eher wird man es gelten lassen, daß er eine geschichtliche Behandlung der einzelnen Wörter verlangte, daß er die Bedeutungen aus einer Grundbedeutung entwickelte, daß er die phraseologische Verwendung nachwies. Das deutet der Titel seines Hauptwerks an „Linguae et eruditionis latinae thesaurus“ (1749 in vier Folianten); daß G. sein Ideal nicht erreicht hat, wird ihm Niemand zum Vorwurfe machen, zumal auch heute noch ein solcher Thesaurus unter die Wünsche gehört. Jedenfalls behauptet das Werk noch jetzt seinen Platz und sichert dem Verfasser eine ehrenvolle Stelle in der Geschichte der lateinischen Lexikographie. – Spärlicher sind seine Arbeiten auf dem Gebiete der griechischen Litteratur. Von Schriftstellern erschienen die lateinische Uebersetzung des Lukian und kritische Bemerkungen in der großen Ausgabe von Reitz (1743) und die Orphischen Gedichte [100] und Bruchstücke, deren Sammlung und Bearbeitung von ihm in seinen letzten Tagen vollendet, aber erst nach seinem Tode von Hamberger 1764 veröffentlicht wurde. Seltsamer Weise hat er gerade dieses Werk am höchsten geschätzt, obgleich man darin am meisten Schärfe der Kritik vermißt. Zu den Schriften der Societät hat er meist antiquarische Abhandlungen geliefert, zu den 1747 begonnenen Gelehrten Anzeigen viele philologische Artikel, ebenso zu den Acta societatis latinae Jenensis mehrere lexikalische Beiträge. Eine Sammlung kleiner Arbeiten geben die „Opuscula minora“ in 8 Bändchen (1734), in denen auch die Gedichte nicht fehlen; die Denkschriften hat Eyring unter dem Titel „Gesneri biographia academica“ (seit 1768) in drei Bändchen vereinigt. Die kleinen deutschen Schriften hat G. selbst 1756 herausgegeben. Für seine encyklopädischen Vorlesungen an der Universität hatte er zuerst 1756 einen Leitfaden drucken lassen „Primae lineae isagoges in eruditionem universalem“; wie er in lateinischer Sprache nach diesen trockenen Paragraphen gelesen hat, wie harmlos und liebenswürdig er sie commentirt, davon haben wir ein treues Bild in der Nachschrift, welche sein Schüler J. N. Niclas in zwei Bänden wiederholt herausgegeben hat (1774 und 1784). Der „Thesaurus epistolicus Gesnerianus“ von Klotz (1768) hat mit dem ersten Bändchen sein Ende gehabt; der auf die Ausgabe des Lukian bezügliche Briefwechsel steht in der Biographia academica T. III. p. 365. – Nicht minder verdienstlich ist seine Wirksamkeit für die Schulen; mit vollem Rechte hat man ihm in der Geschichte der Pädagogik einen Platz unter den reformatorischen Philologen angewiesen. Es war ein Vortheil, daß er erst nach längerer Arbeit in der Schule zu einem academischen Lehramte überging und auch in diesem der Schule und ihren Bedürfnissen seine Aufmerksamkeit zuzuwenden vielfach Veranlassung hatte. Mit den „Institutiones rei scholasticae“ war er bereits 1715 hervorgetreten, als er nur seine historischen Kenntnisse von der Didactik zusammenstellen und die Leistungen Anderer beurtheilen konnte, weil ihm die eigene Erfahrung noch ganz abging. Dazu gelangte er erst später. Die Ansichten aus dieser Zeit liegen zerstreut in den Vorreden verschiedener Bücher, in den Vorlesungen über die Isagoge und in der fünften Abtheilung der kleinen deutschen Schriften (1756); daß er selbst nicht zu einer systematischen Zusammenstellung gekommen ist, müssen wir beklagen. Für seine Schulpraxis besonders in Leipzig fließen uns reiche Quellen. In Betreff der Organisation haben wir die 1738 erschienene „Schulordnung vor die braunschweigisch-lüneburgischen Lande“, in welcher wir die Erfahrungen seines Lehrerlebens und die Früchte ernsten Nachdenkens über die beste Einrichtung der gelehrten Schulen finden; für die Thomasschule hatte er 1733 Gesetze in lateinischer und deutscher Sprache aufgestellt. Was man nicht willig und gern lerne, pflegte er zu sagen, das lerne man nicht recht. Darum erklärte er sich gegen das Buchstabiren und empfahl die Lautirmethode, darum gegen das unverständige Auswendiglernen der lateinischen Grammatik. Sein Aufsatz, ob man aus der Grammatik die lateinische Sprache zu lernen anfangen müsse, schoß leider über das Ziel hinaus, was bei den damals allgemein herrschenden Mißbräuchen leichter zu entschuldigen ist. Die Genossenschaft der Nützlichkeitsapostel des Philanthropinismus, die sich auf seine Autorität stützen wollten, würde er niemals anerkannt haben. Für die Uebungen im Lateinschreiben hat er die sogenannten Extemporalien eingeführt und das Sprechen frühzeitig begonnen in Verbindung mit den Schreibübungen. Für die freien Aufsätze begnügte er sich mit progymnasmatischen Uebungen, ließ daneben höchstens Reden zu und lieferte in den „Primae artis oratoriae lineae“ (1730. 1745. 1753) ein gedrängtes Lehrbuch. In Bezug auf die Wahl der Lectüre trat er denen entgegen, welche im Interesse der lateinischen Darstellung Neu-Lateiner an die Stelle der Classiker [101] gesetzt hatten; bei dieser bekämpfte er die damals allgemein übliche Unsitte sehr langsam in der Erklärung vorwärts zu gehen und bei der Erklärung der einzelnen Wörter allerlei Gelehrsamkeit auszukramen. Er hat entschieden hervorgehoben, daß man auf den Sinn und Zusammenhang der Gedanken eingehe, des behandelten Gegenstandes sich bewußt werden und Rechenschaft davon geben müsse. Daher stammt der von ihm zuerst aufgestellte Gegensatz zwischen cursorischer und statarischer Lectüre, der zu jener Zeit seine volle Berechtigung hatte und der auch jetzt aus den Schulgesetzen noch nicht verschwunden ist. Zur Ausführung solcher Grundsätze sorgte er durch seine Schriften: für die Grammatik durch seine Bearbeitung der „Cellarianischen Grammatik“ (zuerst 1740, zuletzt 1786), die sich durch ihre Kürze und Klarheit allgemein empfahl und an vielen Orten Eingang fand. Für den Wortschatz sorgte er durch Happach in dem „Index etymologicus latinitatis“ (1749), in welchem außer der deutschen auch eine französische Uebersetzung der Phraseologie gegeben ist. Andere lexicalische Hülfsmittel, wie Apin’s Grammatikalisches Lexikon (1727), das Theatrum latinitatis (1733) und Matthiä’s Lexikon (1748) hat er durch seine Vorreden empfohlen. Für die Stilistik sorgte er durch eine neue Ausgabe von „Vorstius de latinitate selecta“ (1738) und noch mehr durch die wiederholten Bearbeitungen von Heineke’s „Fundamenta stili cultioris“ (seit 1748 oft wiederholt, zuletzt 1790), die nur durch Gesner’s Anmerkungen einigen Werth erhalten haben. Bei der Seltenheit brauchbarer Schulausgaben war es damals ein Verdienst, daß er in der „Chrestomathia Ciceroniana“ (1717–1775) und in der „Chrestomathia Pliniana“ (1723–1776) geeigneten Lesestoff verbreitete; obschon die Aengstlichkeit, Schülern ganze Reden des Cicero in die Hände zu geben, doch zu weit geht und bei Plinius der allein zulässige realistische Standpunkt in der Erklärung nicht genügende Berücksichtigung findet. Heinze’s Chrestomathia poetica (1755) hat er mit einer Vorrede versehen. – Das Verdienst, das Studium des Griechischen in den deutschen Schulen wieder erweckt zu haben, nimmt er selbst für sich in Anspruch. Er hat sich von dem Vorurtheil frei gemacht, daß der Anfang in dieser Sprache mit dem neuen Testamente gemacht werden müsse; eher ist er für die Homerischen Gedichte, wenn es möglich wäre dafür geschickte Lehrer zu finden, ebenso für ganze Bücher des Xenophon und Herodot, wenn die Exemplare davon vorhanden wären. So mußte er sich mit einer Auswahl in der „Chrestomathia graeca“ (seit 1731) begnügen, in der er von den Vorurtheilen, die damals noch in Betreff der prosaischen Lectüre herrschten, nicht frei ist. Aber die lateinische Uebersetzung, ohne welche man damals kein griechisches Buch herausgab, hat er mit richtiger Einsicht verbannt. Auch die Lectüre der Tragiker hat er nicht gemißbilligt; das zeigt die nach seiner Anweisung von Eyring veranstaltete „Chrestomathia tragica“ (1762), in welcher je eine Tragödie von jedem der Tragiker gedruckt ist. Schon 1724 hatte er Müller’s[WS 1] „Medulla graecae linguae sacra“ verbessert und mit einem guten „Catalogus anomalorum“ vermehrt, der in die damals gangbarsten Grammatiken aufgenommen ist. – Das Betreiben der Muttersprache auch in den Schulen lag ihm sehr am Herzen. Der Ausbildung in derselben durch grammatischen Unterricht (natürlich nach Gottsched) ist er nicht abgeneigt, aber für förderlicher erachtet er die Lectüre classischer Schriften und die Uebersetzungen aus den alten Schriftstellern. Sein Ideal ist das gute Muster der deutschen Gesellschaft in Leipzig, seine Classiker Rabener, Gellert, Gottsched, Mosheim und Bünau; Klopstock ist ihm schon um des Hexameters willen und noch mehr in den Oden ein Gräuel. Um seinen Satz „doctorem de schola debere patriae linguae paene magis peritum esse quam latinae“ zur Geltung zu bringen, hat er für die Ausbildung künftiger Lehrer nicht blos [102] im Seminar gesorgt, sondern auch in der von ihm geleiteten deutschen Gesellschaft. – Nach seinem Grundsatze „verborum disciplina a rerum cognitione numquam separanda“ war es erklärlich, daß er auf den Unterricht in den sogenannten Realien größeres Gewicht legte. Er empfiehlt eifrigst die Geographie, gibt beachtenswerthe Winke für den geschichtlichen Unterricht, hebt die Geometrie hervor, redet den Naturwissenschaften das Wort, verkennt die Wichtigkeit des Zeichnens nicht. Auch die Kräftigung und Uebung des Körpers hat er nicht vernachlässigt. So ist er in vielen Fragen weit über seine Zeit hinaus, namentlich auch, wenn er in dem Plane für ein Gymnasium in einer fürstlichen Residenzstadt durch drei Arten von Lectionen für die verschiedenen Classen von Schülern Sorge tragen will. In einem Punkte beschließt er eine frühere Zeit, in der Beachtung des äußeren Betragens der Schüler, zu der den feingebildeten Weltmann zunächst wol die Leipziger Verhältnisse veranlaßt haben mögen. Darauf gehen fünf prolusiones scholasticae de venusta apud antiquos humanitate, quam civilitatem vulgo appellant, z. B. über das Entblößen des Kopfes, die Verneigungen, das aus dem Wege Gehen u. a.; auch noch in Göttingen hat er 1745 „De prensatione, osculo, fascium et signorum in navibus submissione“ geschrieben. Nur für akademische Vorlesungen war das „Enchiridion seu prudentia privata ac civilis“ (1745) bestimmt, auch eine Art Chrestomathie, denn er gibt für das Privatleben den Atticus des Nepos, für das öffentliche Quintus Cicero „De consulatu“ und aus Marcus Stellen über das Proconsulat und in Bezug auf Krieg den Agricola des Tacitus, für das Kaiserthum den Panegyricus des Plinius – alles dies sollte eine praktische Anleitung zur Lebensweisheit und politischen Einsicht geben. – Nach dieser gedrängten Uebersicht wissenschaftlicher Thätigkeit kehren wir zurück zu seinem Leben. 1756 war G. zum Hofrath ernannt worden. Sein einziger Sohn wurde als Leibarzt nach Warschau berufen, die einzige Tochter zog 1742 mit ihrem Gatten, dem Leibarzt Huber, nach Cassel. 1761 verlor er seine treue Lebensgefährtin, deren Biographie er selbst verfaßt hat. Die Unruhen des siebenjährigen Krieges brachten ihn wegen seiner Bekanntschaft mit der französischen Sprache vielfach in Berührung mit den fremden Feldherrn und veranlaßten seine Abordnung in Deputationen. So schickte man ihn an den Prinzen Xaver von Kursachsen, der in der Nähe von Göttingen ein Lager bezogen hatte; hierbei hatte er sich eine Erkältung zugezogen, in Folge deren sein Körper immer schwächer wurde. Wohl vorbereitet ging er seinem Tode entgegen, der am 3. August 1761 erfolgte. Sein Leichnam wurde in der Universitätskirche beigesetzt. G. ist einer von den Philologen, deren Arbeit auch für die Schule unmittelbar segensreich geworden ist; er hat zuerst richtige Grundsätze für die Erklärung der alten Schriftsteller aufgestellt und das Verdienst, dieselbe geschmackvoll behandelt zu haben, gebührt ihm bereits vor Heyne. Diesen besseren Geschmack brachte er auch in die lateinische Darstellung durch Lehre und Beispiel, wenn man auch seinen Schriften größere Strenge in der Wahl des Ausdrucks wünschen könnte. Da er ohne große Vorbereitung das, was er scharf durchdacht hatte, niederschrieb, so war die Leichtigkeit, Gewandtheit und Klarheit der Darstellung nicht zu verwundern. Sein deutscher Stil ist steif geblieben. Sein Wahlspruch war „τὸ παϱὸν εὒ ποιεῖν“; ihm ist er im Leben gefolgt. Gesellig und heiter, freundlich und liebenswürdig zeigte er sich überall; seine würdige Gestalt und die feinen Formen ließen in ihm nicht den Stubengelehrten vermuthen. Ernesti charakterisirt ihn als einen religiösen und darum in guten und bösen Tagen gleich heitern Mann, nachgibig gegen Andere, bereit zu helfen, bescheiden und voller Anerkennung für jede fremde Leistung. Es gibt von ihm viele Bildnisse; der Kupferstich vor dem Thesaurus ist am bekanntesten.
Gesner: Johann Matthias G., Schulmann und Philolog, geb. am 9. April 1691 in dem kleinen Städtchen Roth an der Rednitz, damals Ansbach’schen Gebiets, † am 3. Aug. 1761 in Göttingen. Sein Vater war Prediger in jenem Städtchen, starb aber, ehe dieser jüngste von seinen drei Söhnen das zwölfte Lebensjahr erreicht hatte. Sein Stiefvater, der Pfarrer Zuckermantel, sorgte für die Ausbildung des talentvollen Knaben und brachte ihn auf das Gymnasium in Ansbach. Bei einer zahlreichen Familie konnten ihn seine Eltern wenig unterstützen; er mußte als Currentschüler vor den Häusern singend sein Brot suchen, fand aber bei dem Rector Köhler die eifrigste Förderung seiner wissenschaftlichen Ausbildung. 1710 bezog er die Universität Jena. Auch hier hatte er mit den größten Entbehrungen zu kämpfen, bis der Theolog- [103] J. Dav. Michaelis, Memoria J. M. G., Gotting. 1761 (abgedruckt in der Biographia acad. Gotting. I. p. 245–276, und bei Frotscher II. p. 340). Fr. Chr. Baumeister, Oratio panegyrica G. memoriae sacra, Gorlic. 1762. 4. J. A. Ernesti, Narratio de J. M. G. ad Davidem Ruhnkenium, Lisp. 1762. 4 (abgedr. in den Opuscula orat. p. 305, in der Biographia acad. I. p. 277 bis 338 und in der Frotscher’schen Sammlung der Narrationes Vol. II. p. 1–78). J. N. Niclasii Epistola familiaris de J. M. G. ad Eyringium in der Biogr. acad. III. p. 1–180 (abgedr. bei Frotscher II. p. 81). Jer. N. Eyringii Descriptio operum Gesneri in der Biogr. acad. III. p. 289–496. H. Sauppe, Vortrag über J. M. G., Schulprogramm von Weimar, 1856. 4 (abgedr. in den Weimarischen Schulreden S. 37). Eckstein in der Encykl. von Ersch u. Gruber, Bd. 64 S. 271, in Schmid’s Encykl. II. S. 850, und die Rede über Gesner’s Wirksamkeit für die Verbesserung der höheren Schulen in dem Programm der Thomasschule, 1869. 4.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Matthias Friedrich Müller