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ADB:Jaffé, Philipp

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Artikel „Jaffé, Philipp“ von Alfred Dove in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 636–642, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jaff%C3%A9,_Philipp&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 02:50 Uhr UTC)
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Band 13 (1881), S. 636–642 (Quelle).
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Jaffé: Philipp J., ausgezeichneter Geschichtsforscher, Meister in mittelalterlicher Philologie, geb. am 17. Februar 1819 zu Schwersenz bei Posen, † in Wittenberge am 3. April 1870. – Als begabter Sohn eines jüdischen Hauses im polnischen Osten, ward J., nachdem er das Gymnasium in Posen durchgemacht, vom Vater zum Handelsstande bestimmt und, 19 Jahr alt, Ostern 1838 in einem Bank- und Getreidegeschäft zu Berlin untergebracht. Kaum jedoch hatte er die Lehrzeit angetreten, so empfand er seinen Zustand mit Widerwillen als eine Knechtschaft des Geistes, unerträglich dünkte ihn die Aussicht, seinen Lebenszweck im Gelderwerbe suchen zu müssen. Wie er als Primaner Neigung zur Schriftstellerei verspürt hatte, so gab er sich auch jetzt noch eine Weile der ästhetisch-litterarischen Mode des Tages hin: des Morgens las er und arbeitete an seinen Novellen. Gar bald aber wich dieser Hang dem Triebe zur Wissenschaft, der immer mächtiger und am Ende auch für die Seinen unwiderstehlich in seiner Seele hervorbrach: während der Mittagspause traf man den jungen Commis in den Hörsälen der Universität. Gleich anfangs zog ihn dort am meisten die Geschichte an, für die er als Knabe wenig Theilnahme gezeigt; und zwar interessirten ihn zunächst ihre allgemeinen Resultate, wie sie im Lichte der Zeitbildung sich darstellten: moderne Historie sucht er auf; den Gehalt an Ideen, vornehmlich politischen, rühmt er an Raumer’s Vorträgen; an denen Ranke’s erscheint ihm besonders die philosophische Tiefe der Anschauung merkwürdig. Wie er nun aber Ostern 1840 das leidenschaftlich erstrebte Ziel erreicht sah und, aus dem Contor erlöst, als wirklicher Student die Berliner Hochschule bezog, wandte er sich sofort dem speciellen Unterricht zu, den Ranke in seinen historischen Uebungen ertheilte. Vier Semester lang hat er hier an [637] mittelalterlichen Objecten die Methode kritischer Forschung erlernt und dadurch, wie so mancher unserer Historiker, für seine künftige Richtung den entscheidenden Anstoß empfangen. Der bisher mühsam verhaltene Drang nach freier Uebung seiner intellectuellen Kräfte äußerte sich dabei mit solcher Heftigkeit, daß Ranke den Eindruck behielt, an keinem anderen seiner Schüler habe er einen so brennenden Eifer wahrgenommen. Kein Wunder, daß J. die nächste Preisaufgabe ergriff und löste: im Sommer 1843 erschien als gekrönter Erstling seiner Studien die „Geschichte des Deutschen Reichs unter Lothar dem Sachsen“. Da das Parteiregiment dieses Kaisers bekanntlich hinterher den natürlichen Rückschlag hervorrief, so fühlte sich J. durch die Sache selbst angetrieben, nachdem er 1844 ohne Promotion die Universität verlassen, im Jahr darauf sein an sich schon stattliches Buch noch durch das Gegenstück einer Geschichte Konrads III. zu ergänzen. Beide Schriften stellten sich nach Form und Inhalt bewußt in den Kreis jener Jahrbücher der deutschen Geschichte, welche Ranke vordem durch seine älteren Schüler für die Periode des sächsischen Hauses hatte ausarbeiten lassen. Worauf es bei diesem grundlegenden Unternehmen abgesehen war: vollständige Sammlung des zugänglichen Materials, sorgfältige Prüfung der Quellen im ganzen und einzelnen, genaue Feststellung der Thatsachen und ihres nachweisbaren Zusammenhangs, schlichte Klarheit in der knappen, annalistisch geordneten Erzählung, – alles das hat auch J. in seinen Reichsgeschichten geleistet, freilich auch grundsätzlich um kein Haarbreit mehr. Denn im Trachten nach urkundlich strengster Objectivität, in der Scheu vor dem geringsten falschen Pragmatismus ging er noch weiter als seine Vorläufer, sodaß er nicht nur auf allen Schmuck der Darstellung, sondern auch auf jeglichen Schwung der Auffassung verzichtete. Allerdings fordert jener Abschnitt unserer Geschichte nirgend zur Begeisterung heraus, aber nüchterner läßt er sich gewiß nicht behandeln, als J. gethan; diese Bücher sind offenbar ohne jede Gemüthsbewegung geschrieben, wenn man absieht von der Freude des Verfassers am Proceß seiner eigenen Denkthätigkeit. Und ein für allemal hat er so das ehedem rege Verlangen nach ästhetischem Genuß, nach idealem Gewinn für seine Welt- und Zeitansicht still unterdrückt; mit einseitiger Energie stellt er von nun an seine Phantasie in den Dienst seines kritischen Verstandes; alle Wärme seines Herzens scheint hinfort in das kolossale Feuer seines Fleißes aufzugehen. Der Geschichtschreibung entsagt er ganz und zieht sich auch in der reinen Forschung mehr und mehr von der Ermittelung des Factischen auf dessen materielle Begründung zurück; er sammelt, sichtet, läutert und reproducirt alsdann die Ueberlieferung an sich. Auf diesem Wege gelangte er zu eigenthümlicher Bedeutung; ob er nicht aber seiner menschlichen Natur dabei Gewalt angethan? Wahren Frieden wenigstens hat er so leider nicht für immer gefunden.

Unverzüglich legte er zunächst Hand an eine ebenso schwierige, wie gemeinnützige Arbeit. Ueber seinen Reichsgeschichten, unter deren Beilagen bereits tabellarische Verzeichnisse von Aufenthalten und Acten vorzüglich der deutschen Bischöfe den breitesten Raum einnehmen, war ihm das allgemeine Bedürfniß nach päpstlichen Regesten deutlich geworden; und so faßte er den kühnen Gedanken, für die Geschichte des Papstthums dasselbe zu leisten, was J. F. Böhmer für die des Kaiserthums vollbracht. Nach etwa fünfjähriger Anstrengung, der die politischen Wirren der Zeit höchstens äußere Störung bereiten konnten, trat dann im Sommer 1851 das Riesenwerk seiner „Regesta pontificum Romanorum ab condita ecclesia ad annum p. Chr. n. 1198“ fertig ans Licht. Es sind darin 11000 päpstliche Urkunden, Briefe, Bullen, Decrete, die bisher in 1700 Bänden zerstreut gedruckt, zum Theil auch noch gar nicht veröffentlicht waren, in chronologischer Ordnung aufgereiht, ihr Inhalt in kräftigen Zügen kurz dargelegt, [638] über das Leben der Päpste, ihre Kanzlei, ihre Synoden die wichtigsten Daten eingeflochten. Hinter dem Umfang der Unternehmung aber steht die Art ihrer Durchführung nicht zurück. An kritischer Vorbereitung, sachlicher Fassung, bequemer Einrichtung haben Jaffé’s Regesten ihr Böhmer’sches Vorbild entschieden übertroffen, während sie allen späteren ähnlichen Werken gegenüber ihr mustergültiges Ansehen behaupteten. Mit dem Anfang des Pontificats Innozenz’ III. setzte J. seiner Arbeit deshalb ein Ziel, weil von diesem Zeitpunkt an die früher fast völlig verlorenen Originalregister der Curie noch im Vatican vorhanden, der rücksichtslosen Forschung jedoch unzugänglich sind. Statt einer dauerhaften Neuschöpfung, wie für die ersten 12. Jahrhunderte, wäre ihm also da doch nur ein Nothbau möglich gewesen, welchen überdies die eben aus jenen Registern geschöpften Annalen der Fortsetzer des Baronius einigermaßen entbehrlich gemacht hatten. Mit vollem Recht endlich wählte J. die lateinische Sprache, nicht blos weil sie die eigene Farbe der im Umriß vorgeführten Documente echt bewahrt, sondern auch wegen der internationalen Bestimmung seines Regestenwerks, die sich nicht minder weit auf die Studien aller gebildeten Völker erstreckt, als die Herrschaft der Päpste selbst voreinst über Länder und Staaten. Für die Universalgeschichte des Mittelalters ist in der That wol niemals ein lehrreicherer Band erschienen; daß auch innere Kirchenhistorie, Kirchenrecht und verwandte Disciplinen wesentlich dadurch gefördert wurden, liegt auf der Hand. Am meisten aber kam bei dem innigen Zusammenhang der Entwickelung des Papstthums mit den Schicksalen des Kaiserthums die mühselige Leistung des jungen deutschen Gelehrten am Ende doch wieder der vaterländischen Geschichte zugute, wie seitdem so zahlreiche größere und kleinere Schriften über unsere ältere Kaiserzeit erfreulich dargethan.

So hatte J. mit 32 Jahren im Schweiße seines Angesichts einen hohen wissenschaftlichen Rang erworben; selbst Pius IX. nahm von dem jüdischen Manne Notiz, der den welthistorischen Spuren der Hierarchie so aufmerksam nachgegangen. Allein leben ließ sich davon nicht, denn das historische Lehramt war damals noch dem mosaischen Bekenntniß verschlossen, und J., wiewol er den väterlichen Glauben innerlich überwunden, hätte nimmermehr öffentlich die Religion gewechselt, um sich eine Laufbahn aufzuthun. Seine geistige Elasticität, sein eiserner Wille halfen ihm jedoch auf andere Weise. Schon seit 1850 war er wieder akademischer Bürger geworden; diesmal aber war es Medicin, was er drei Jahr über theils in Berlin, theils in Wien in der Absicht studirte, durch ein anständiges Nebengewerbe seinen Unterhalt zu verdienen, während er im Herzen natürlich nach wie vor der historischen Forschung treu blieb. Das erhellt selbst aus dem Thema der Dissertation: „De arte medica saeculi XII“, mit der er 1853 in Berlin den medicinischen Doctorgrad erlangte. Indessen kaum begann er ebendort nach bestandenem Staatsexamen seine ärztliche Praxis, als ihn der Antrag, nach Wattenbach’s Abgang an den Arbeiten für die Monumenta Germaniae theilzunehmen, dem Zwang einer immerhin ungern ausgeübten Kunst für allezeit enthob. Fast neun Jahre lang, 1854–63, ist er bei der Herausgabe des großen Nationalwerks und zwar als der tüchtigste der damaligen Mitarbeiter beschäftigt gewesen. Rasch und gewandt, wie immer, eignete er sich alle Kenntnisse an, deren es zur Edition mittelalterlicher Geschichtsquellen nach formeller, wie materieller Seite hin bedarf. Bald leuchteten die von ihm besorgten Stücke in Text, Noten und Vorreden durch sauberen Wortlaut, sachkundigen Commentar und gediegene philologische und litterarhistorische Einführung aus ihrer Umgebung hervor. Man begegnet seiner geschickten Hand im 12., 16., 17., 18., 19. und 20. Bande der Scriptores; besonders anzuerkennen sind unter seinen Ausgaben die der elsässischen, baierischen und oberitalienischen [639] Annalen, um derentwillen er 1858 eine süddeutsche Reise, 1860 eine größere über die Alpen zum Besuch der lombardischen, venetianischen, emilischen und toscanischen Bibliotheken unternahm. In der Bearbeitung jener Elsässer Quellen und des Hermann v. Altaich erblickt man ihn abermals in überlegenem Wetteifer mit dem hochverdienten Böhmer. Von Uebersetzungen wurden ihm nur die Biographien Heinrichs IV. und der Königin Mathilde aufgetragen; auch das Archiv der Gesellschaft enthält von ihm nur eine Abhandlung über die Rosenfelder Annalen, 1858 im 11. Bande, da es gleich darauf für lange Zeit zu erscheinen aufhörte. Seine neue kritische Ausgabe der Annalen von Flavigny und Lausanne verbirgt sich in den Beilagen zu Mommsen’s Cassiodor. Nicht leicht zu hoch aber wird man den förderlichen Einfluß anschlagen, den Jaffé’s frische Kraft außerdem persönlich auf die Sache der Monumenta überhaupt in jenen Jahren ausgeübt, so lange wenigstens, als er sich mit Pertz, dem unumschränkten Leiter des Ganzen, in freundlichem Einvernehmen befand. Allein dieser vielvermögende Mann, dem J. einst seinen Konrad gewidmet, dessen Lob er noch im Vorwort zu seinen Regesten mit überschwänglichem Danke verkündete, verstand es nicht, sich als Vorgesetzter Vertrauen und Zuneigung des lebhaften, in jeder Empfindung eifrigen, bei seinem Zartgefühl auch leicht verletzbaren Untergebenen zu erhalten. In der schmerzlichen Ueberzeugung, Unbill und Kränkung erlitten zu haben, löste J. endlich entschlossen ein Verhältniß, dessen sachliche Pflichten ihm desto größere Befriedigung gewährt hatten, je mehr sein specifisches Talent sich in ihnen hatte entwickeln und ergehen dürfen. Der peinliche Schritt ward ihm äußerlich dadurch erleichtert, daß ihm kurz zuvor ein ebenso würdiger Beruf nach langem Zögern glücklich eröffnet war. Daß er eine Anstellung bei der Direction der Florentiner Archive ausschlug, diente nämlich seinen Gönnern, vor allem Ranke, zur Handhabe, um die bei seiner eigenthümlichen Richtung völlig unangebrachten confessionellen Bedenken zu beseitigen, welche seiner Zulassung zum Lehrfach bisher im Wege gestanden. Als der erste Jude in Preußen ward er 1862 zum außerordentlichen Professor der Geschichte an der Berliner Universität ernannt.

Die vierte und letzte Periode seines wissenschaftlichen Lebens, in die er nun eintrat, wird daher zuvörderst durch seine Thätigkeit als Docent charakterisirt. Vom Herbst 1862 bis an seinen Tod hat er in seinen Vorlesungen 15 Semester über ununterbrochen denselben engen Kreis historischer Hülfswissenschaften durchmessen. Winter und Sommer wechselte lateinische Paläographie mit römischer und mittelalterlicher Chronologie; in den praktischen Uebungen, für die er vortreffliche Schrifttafeln, Urkundendrucke und anderen Apparat anfertigte, wurden außer jenen Disciplinen auch Textkritik, Diplomatik, Quellenkunde u. dgl. m. vorgenommen. Auch für die reizlosesten, wie die wunderlichsten Seiten dieser Studien wußte J. die höchste Theilnahme seiner Schüler zu erregen durch die Schärfe seiner Auffassung und die Lebendigkeit seines Vortrags. Er selbst aber steigerte so durch beständige theoretische Vergegenwärtigung natürlich auch die eigene Virtuosität, die ihm mehr und mehr den Ruf des vornehmsten Sachverständigen in allen Fragen der äußeren Kritik verschaffte. In solchem Sinne genügte bald sein paläographischer Wahrspruch, um der überklug verdächtigten Hrotsuit das verdiente Ansehen der Echtheit wiederzugeben oder äffende Fälschungen, wie das Wiener Schlummerlied (1867 in Haupt’s Zeitschrift) und die Pergamente von Arboréa (in den Berliner Monatsberichten von 1870) dem Abscheu oder dem Gelächter zu überantworten. Zumeist indeß beruhte diese seine Autorität doch wiederum auf der großartigen litterarischen Thätigkeit, die er, von seinem akademischen Amte wenig gehemmt, in jenen letzten Jahren rastlos entfaltete. Auch nach seinem Abschied von den Monumenten mochte er der [640] Quellenedition, die ihm während seiner dortigen Dienstzeit fest ans Herz gewachsen war, keineswegs entsagen. Nun erst begann er vielmehr dies Lieblingsgeschäft in voller Freiheit und Selbständigkeit und mit wahrhaft wunderbarer Productivität in eigenem Namen zu betreiben. Schon im Frühjahr 1864 lag der erste Band seiner „Bibliotheca rerum Germanicarum“ vollendet vor, dem in einjährigen oder anderthalbjährigen Abständen vier weitere folgten, während ein sechster bei seinem jähen Hingange mit ähnlicher Geschwindigkeit dem Abschluß entgegengeführt war. Er hatte den edlen Ehrgeiz, durch diese höchst individuelle Privatarbeit das monumentale Werk einer durch Generationen fortgepflanzten gelehrten Genossenschaft nach außen zu ergänzen und nach innen zu überholen; in ersterer Hinsicht, wenn man will, noch einmal dem originellen Vorgange Böhmer’s getreu, in letzterer mehr als jemals dessen Leistung in Schatten stellend. Denn in dieser Bibliothek erscheinen Jaffé’s Gaben wirklich auf ihrer Höhe; hier besonders zeigt er sich nach Dümmler’s Ausdruck, der mit Wattenbach zusammen 1873 den posthumen Schlußband herausgab, als größter Künstler in der lichtvollen Behandlung mittelalterlicher Autoren. Die Anlage selbst verräth historischen Geist; der Inhalt jedes Bandes gruppirt sich um eine hervorragende geschichtliche Gestalt, wie Gregor VII., Karl den Großen, Alkuin, oder um eine Hauptstätte kirchlicher, politischer, litterarischer Cultur, wie Corvey, Mainz und Bamberg. Den Kern bilden allemal Briefsammlungen, deren dringend ersehnte kritische Ausgabe durch die Redaction der Monumenta längst versprochen, aber noch nicht angerührt worden war. Daran schließen sich erzählende und berichtende Quellen mannichfacher Art, wie es dem Stoffe angemessen schien, ohne Rücksicht auf frühere Editionen, denn fast überall gab es aus den Handschriften nachzubessern oder durch kritische Operation zu heilen. Einleitungen und Anmerkungen vermitteln eine Fülle real- und litterarhistorischer Erörterung und Aufklärung. Die Pflege des Textes aber läßt den unvollkommenen, oft genug gar unbeholfenen Sätzen und Versen einer barbarischen Latinität dieselbe liebevolle Sorgfalt angedeihen, die man sonst nur classischen, durch Kunst- und Sprachform denkwürdigen Geisteserzeugnissen zuwandte. Man fühlt sich an die Vorzüge etwa der Lachmann’schen Philologie erinnert, mit deren Anhängern, den Haupt, Mommsen, Müllenhoff in der That J. vertrauten Umgang pflog. Auch wo er irrt, geschieht es in ähnlicher Richtung: von Nachlässigkeit oder Gedankenlosigkeit kann nirgends die Rede sein, dagegen, obwol selten, von Ueberspannung der Principien, Uebertreibung der Intelligenz; in Vermuthung und Auslegung entspringt bisweilen dem eigenen geistigen Bedürfniß das Bestreben, das Wirkliche der Ueberlieferung seinem Sträuben zutrotz zum Vernünftigen emporzuheben. Die äußere Ausstattung verbindet Zweckmäßigkeit mit Eleganz; selbst das behende Format bezeichnet einen großen Fortschritt gegen die ungeschlachte Riesengarde der Monumenta. Mit gerechter Liberalität liehen übrigens fremde Bibliotheken und Archive J. ihre handschriftlichen Schätze dar; nur dadurch vermochte er so rasch und zugleich so genau zu arbeiten. In den Ferien aber begab er sich von 1863–69 alljährlich auf eigene Studienreisen, die ihn wiederholt nach Süd- und Westdeutschland, Oesterreich und der Schweiz, Belgien, Frankreich und England führten. Ein Besuch jenseits des Kanals trug ihm 1868 unter anderem die Nebenfrucht der Cambridger Lieder ein, die er im 14. Bande der Haupt’schen Zeitschrift gesondert edirte. Sonst wären außer den erwähnten paläographischen Gutachten an losen Einzelarbeiten aus dieser Periode nur noch zu nennen eine Notiz zur älteren Lebensbeschreibung der Mathilde im 9. und eine Abhandlung zur Chronologie der Bonifazischen Briefe und Synoden im 10. Bande der Forschungen zur deutschen Geschichte; die letztere ein Meisterstück der Polemik, nicht ohne Anflug [641] von einer freilich schon bitteren Ironie, während J. früher in seinen schlagenden gelehrten Ausführungen ab und zu eine schalkhafte Ader hatte durchblicken lassen, die nur leider zu schwach war, um ihn dem Trübsinn zu entreißen.

Wer Jaffé’s Bibliothek las, die uns anmuthet, wie ein Codex aus dem 12. Jahrhundert mit seinen bestimmten, ebenmäßigen, geschmackvollen Schriftzügen, der durfte glauben, eine Leistung von solcher Klarheit und Sicherheit entstamme nothwendig einem reingestimmten Gemüthe. Mit welchem Entsetzen vernahm man da die Kunde, daß J. in den Osterferien 1870, mitten von der Arbeit an seinem Alkuin hinweg, Berlin verlassen und sich im Gasthof zu Wittenberge erschossen habe! Der freiwillige Sturz vom Gipfel seiner Erfolge war so unbegreiflich, daß selbst die erbärmlichsten Erdichtungen des Gerüchtes Glauben fanden, von denen nur eine einzige, welche sich auch in der Presse breit gemacht, wenigstens Abweisung erheischt. Danach sollte sich J. in Reue über seine Taufe verzehrt haben, durch die er 1868, nachdem er von Familienrücksichten entbunden war, zum evangelischen Christenthum übertrat; eine israelitischen Kreisen, in denen sie auftauchte, naheliegende, allein völlig unbegründete Hypothese. Denn J., stockjüdischem Wesen durchaus fremd, war nie gesonnen, wider den Stachel der Geschichte zu löcken, von der er alle seine Gedanken antreiben ließ. Nur soviel ist richtig, daß er, schwermüthig und argwöhnisch, wie er aus anderen Gründen geworden, wol auch eine Mißdeutung jenes Schrittes durch die schnöde Welt für möglich hielt. Obschon er sich längst zuvor als Jude wacker seine Lebensstellung erobert, bat er nun wiederholt um Rücknahme der Gehaltserhöhung, die ihm zufällig gleichzeitig mit jenem Bekenntnißwechsel zutheil geworden, weil er eben einen zweiten ehrenvollen Ruf nach Florenz, auf den paläographischen Lehrstuhl Milanesi’s, abgelehnt hatte. Doch schuf ihm diese Sache wenig Unruhe; peinvollere Bilder suchten seine Seele bedrückend heim, wenn sie in ihrer Abgeschiedenheit ausruhte von der Ueberanstrengung ihrer Kräfte. J. stand allein; unvermählt, ohne Behagen füllte er mit seiner einsamen und am Ende doch einförmigen Arbeit im öden Zimmer den Tag aus. Den wohlwollenden Verkehr mit Freunden und Schülern beschränkte er absichtlich fast ganz auf wissenschaftliche Fragen. Furchtsame Einbildungen waren ihm auch früher manchmal aufgestiegen; auf Spaziergängen vor den Thoren italienischer Städte floh er wol die erste beste malerische Figur als vermeinten Banditen. Jetzt versank er, ohne Zweifel auch von physischen Beschwerden geplagt, in den Wahn einer geistigen und moralischen Verfolgung. Nie hatte er das alte Zerwürfniß mit Pertz vergessen. In diesem Manne, mit dem eine Aussöhnung um so unwahrscheinlicher ward, je schneidiger und sieghafter ihm J. in seiner deutschen Bibliothek nun auch auf gelehrtem Felde begegnete, sah er den Feind seines Glücks, den Anfechter seiner Ehre. In krankhaft erhitzter Aufwallung erhob er sich schon im Frühling 1869 gegen ihn zur Abwehr eines albernen Verdachts, dessen Widerlegung jeder, der J. kannte, für unter seiner Würde erachten mochte. Bessere Jahreszeit und zerstreuende Reisen, neue Aufgaben und freundlicher Zuspruch gewannen ihm noch einmal einen Waffenstillstand mit seinen düsteren Vorstellungen ab. Als der Kampf in seinem Inneren dennoch wieder ausbrach, erlag er; ohne zu ermessen – denn wie stark hätte ihn das nicht aufrichten müssen! – welcher Zierde, welcher Hoffnungen sein Untergang die deutsche Geschichtsforschung beraubte.

Nachruf vom Unterzeichneten in der Nationalzeitung, 1870, Nr. 171; vgl. dazu Berichtigung von E. Dümmler, ebenda Nr. 177, sowie ein paar Notizen in der italienischen Uebersetzung jenes Nachrufs von E. Piccolomini, Rivista Europea, III, fasc. 1. – Größerer Nekrolog von O. Lorenz, Zeitschrift [642] für die österr. Gymnasien, 1870, Heft 4. – Jugendbriefe von Jaffé, mitgetheilt von S. Löwenfeld, Im neuen Reich 1880, I. S. 451 ff.; dazu die Vorreden seiner Schriften.