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ADB:Jonas, Ludwig

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Artikel „Jonas, Ludwig“ von Fritz Jonas in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 497–498, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jonas,_Ludwig&oldid=- (Version vom 8. Oktober 2024, 13:30 Uhr UTC)
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Jonas: Ludwig J., Theologe, geb. den 11. December 1797[1] zu Neustadt a. d. Dosse, wo sein Vater, den er schon 1814 durch den Tod verlor, Kaufmann war. Derselbe trat aus dem Judenthum zum Christenthum über. Die Mutter Sophie geb. Stelten war die Tochter eines mecklenburgischen Pächters. Im J. 1804 siedelte die Familie nach Wusterhausen a. d. Dosse über. Hier erhielt der Sohn den ersten Unterricht. Ostern 1812 wurde er als Alumnus in das Joachimsthal’sche Gymnasium zu Berlin aufgenommen, das ihn im Frühjahr 1815 mit dem Zeugniß der Reife zur Universität entließ. Kaum war er bei der theologischen Facultät der Berliner Universität eingeschrieben, als er, dem Ruf des Vaterlandes folgend, als freiwilliger Jäger in das erste pommersche Infanterieregiment eintrat. Er focht bei Ligny und Belle-Alliance mit und war sodann bei den Belagerungen von Maubeuge und Philippeville mit thätig. Nach Beendigung des Krieges studirte er in Berlin bis zum October 1819 und hörte Vorlesungen von Schleiermacher, de Wette, Neander, Böckh, Wolf. Den beiden erstgenannten Lehrern trat er schon während dieser Zeit persönlich nahe. Vom 1. December 1818 bis zum 24. Februar 1820 war er als Erzieher und Repetent im königl. Kadettenhause in Berlin angestellt und vom October 1820 bis in den Sommer 1823 verwaltete er eine Lehrerstelle am Potsdamer Militär-Waisenhause. Am 28. Juni 1822 bestand er in Berlin sein erstes Examen „vorzüglich“, worauf ihm durch das Zeugniß vom 1. Juli das zweite Examen erlassen wurde. Am 24. August 1823 wurde er zur Predigerstelle in Schwerinsburg und Wusseken bei Anclam vocirt, nachdem der kleinliche Argwohn der Behörde wegen seiner einstigen Betheiligung an der Burschenschaft und wegen einer öffentlichen Erklärung zu Gunsten des verhafteten Dr. Ludwig Jahn mit vieler Mühe, ja nur durch die persönliche Vermittlung des Kronprinzen besiegt war. Am 24. April 1829 verheirathete er sich mit der ältesten Tochter seines Patrons, der Gräfin Elisabeth von Schwerin. Aus dieser Ehe entstammten zwölf Kinder, die ihn alle, wie auch seine Gattin, überlebten. Am 3. März 1833 wurde er als dritter Diakonus an der St. Nikolaikirche zu Berlin eingeführt und blieb in dieser Stellung bis an seinen Tod. Im J. 1850 ernannte ihn die Universität Marburg zum Ehrendoctor. Im J. 1848 ward er in die konstituirende Versammlung und 1858 als ein Abgeordneter der Stadt Berlin in das Abgeordnetenhaus gewählt. Er starb am 19. September 1859. Er war der Lieblingsschüler Schleiermacher’s, der ihm auf dem Sterbebette die Herausgabe seines litterarischen Nachlasses anvertraute. J. gab davon selbst die in der Akademie vorgetragenen Reden und Abhandlungen, die Dialektik und die Sittenlehre heraus und bereitete den wissenschaftlichen Briefwechsel Schleiermacher’s zur Veröffentlichung vor, den Dilthey nach Jonas’ Tode unter dem Titel: „Aus Schleiermacher’s Leben“, Thl. III und IV 1861 und 1863 bei G. Reimer herausgab. Eigene wissenschaftliche Werke hat J. nicht geschrieben, wol aber hat er namentlich in den 40er und 50er Jahren, „jener Zeit der Erklärungen, Demonstrationen und Proteste, in welcher die ganze evangelische Kirche Preußens in Proteste und Gegenproteste, in Ausschließende und Austretende zerfallen zu wollen schien“, theils allein, theils im Verein mit Freunden eine Reihe von Erklärungen, Petitionen und Flugschriften veröffentlicht, durch welche die Grundsätze Schleiermacher’s in Bezug auf die praktischen, brennenden Fragen der Zeit, auf Union und selbständige Kirchenverfassung, weiter durchgeführt wurden. Er galt im Kreise der Gesinnungsgenossen, der Anhänger der „antidogmatischen Union“, wie Karl Schwarz ihren Standpunkt in der Theologie treffend benannt hat, als der Führer. Mit Freunden, [498] wie Hoßbach, Sydow, Pischon, Schweder, Eyssenhardt, Eltester[WS 1], Bellermann, Krause, Thomas, Müller, Liscow und anderen ist er in Berlin während der damaligen Reaction unter der Losung „Union und Selbständigkeit der Kirche“ allezeit für die Freiheit der Gewissen der einzelnen evangelischen Christen muthig eingetreten und durch seinen scharfen dialektischen Verstand, seine Besonnenheit und seinen lauteren und festen Charakter ist er als ein Hüter des freien Schleiermacher’schen Geistes in der Kirche für viele der eigentliche Vertrauensmann und Hort während der wirren Kampfeszeit geworden. Auch der Inhalt und die Form seiner Predigten ließen das Vorbild Schleiermacher’s nicht verkennen. Nicht Dogmatik oder gar Metaphysik, sondern Religion war ihr Inhalt. Die Form war vorherrschend die lehrhafte. Es fehlte ihnen oratorische Construction und jeder künstliche Redeschmuck, aber sie fesselten den Hörer durch den sittlichen Affect des Predigers, dem es heiliger Ernst war, die Wahrheit zu suchen, und wo er sie gefunden zu haben glaubte, von ihr zu zeugen, um sie dann allein durch sich selbst auf den Hörer wirken zu lassen. Die Fähigkeit mit Schnelligkeit und Schärfe seine Gedanken zu ordnen und ohne schriftliche Aufzeichnung und lange Vorbereitung die Rede erst im Augenblick des Sprechens nach vorher nur kurz überlegter Disposition entstehen zu lassen, gewährte ihm die Möglichkeit gerade durch die sogenannte Gelegenheitsrede in hervorragender Weise einzuwirken. Er hatte in der großen Stadt keine nur örtliche Gemeinde, sondern in seine Predigten und in seinen Unterricht kamen aus der ganzen Stadt diejenigen, welche durch die von ihm vertretene Richtung und durch seine Persönlichkeit und seinen entschiedenen Charakter angezogen wurden. Und bei diesen genoß er eines Vertrauens, wie es nur wenigen Menschen zu Theil wird, und er war im wahren Sinne des Worts Seelsorger und Berather seiner Gemeinde. So war es ihm ermöglicht auch in den Gelegenheitsreden in den meisten Fällen aus inniger persönlicher Theilnahme sprechen zu können und Trost und Ermahnung nicht in Gemeinsprüchen oder äußerlich aneinandergereihten Bibelsprüchen zu geben, sondern in einer den einzelnen nach ihrer Gemüthsverfassung besonders angepaßten Form, wie sie nur aus dem innigen Verständniß der Bedürfnisse der Zuhörer und aus persönlichen Beziehungen zu ihnen hervorgehen kann. Mit besonderer Liebe arbeitete er an dem Werke des Gustav-Adolf-Vereins und begrüßte von Anfang an auf das Freudigste die Erweiterung desselben aus dem sächsischen Localverein zu einem großen, die evangelische Kirche von ganz Deutschland umfassenden Verein. Seit der Begründung des Berliner Ortsvereins, am 12. December 1843, und des brandenburgischen Hauptvereins, am 7. August 1844, hat er als Vorstandsmitglied in beiden bis zu seinem Tode unausgesetzt an den Arbeiten dieses Vereins theilgenommen und namentlich eine Reihe von Frauenvereinen durch seine Anregung ins Leben gerufen. Er widmete gerade diesem Verein seine Kräfte um so lieber, weil er – ganz abgesehen von den guten Zwecken des Vereins selbst – in ihm und seiner Organisation ein Vorbild und eine Vorbedeutung für die zukünftige Organisation der evangelischen Kirche nach seinen Wünschen sah. Innerhalb des Gustav-Adolf-Vereins ist nach seinem Tode zu seinem Andenken eine Jonasstiftung zur Unterstützung bedürftiger evangelischer Geistlicher und Lehrer in der Diaspora gegründet worden.

Krause, Ludwig Jonas, Protestantische Kirchenzeitung 1859 Nr. 52. – Karl Schwarz, Neueste Theologie, 3. Aufl. S. 463 ff. – Zur Erinnerung an unseren Vater Ludwig Jonas. Für die Familie gedruckt. Weihnachten 1880.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 497. Z. 4. v. o. l.: 11. Februar 1797. [Bd. 15, S. 796]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heinrich Eltester (1812–1869), Prediger an der Heiligengeistkirche in Potsdam.