ADB:Kolb, Gustav
List herausgegebene freisinnige „Neckarzeitung“ nach Italien zu gehen, wo eben die Revolution in Piemont ausgebrochen war, eben dahin gingen mehrere Freunde, darunter Gräter, ab, um an der Revolution Theil zu nehmen. K. sollte für jenes Blatt Berichte schreiben, langte jedoch in Turin nur wenige Tage vor dem Ausgange der Erhebung an. Gleich den Anderen reiste er bald wieder ab und nahm einen ungünstigen Eindruck von dem „in seiner Gesinnung der Einheit zu sehr ermangelnden“ Volke mit. Auf dem Rückweg verweilte er in Chur bei dem ihm von Tübingen her befreundeten Flüchtling Turnlehrer Völker, bei dem um dieselbe Zeit auch Karl Follenius und E. v. Dittmar, und gleich nach Kolb’s Abreise der jenaische Student v. Sprewitz aus Mecklenburg sich einfanden. Aus den Besprechungen der Genannten ging der Plan eines politischen Geheimbundes hervor, den ins Werk zu setzen Sprewitz, durch Eidschwur mit den beiden Anderen verbunden, nach Deutschland zurückreiste, zunächst nach Tübingen, wohin er einen Empfehlungsbrief an K. mitbrachte. Der rasch ergriffene, idealistische Jüngling ging bereitwillig auf die Aufforderung Sprewitz’ ein, der nach allgemeiner Annahme später den Verräther gemacht hat, und begründete mit seinen nächsten Freunden einen Zweigverein jenes Geheimbundes, des sog. Bundes der Jungen, der eine freiheitliche und einheitliche Gestaltung des Vaterlandes anstrebte und zwar mittelst „Umsturzes der bestehenden Verfassungen“ (laut dem Berichte der Mainzer Centraluntersuchungs-Commission), und der, wie es scheint, „im Nothfall“ auch die Gewalt, eventuell auch die Republik nicht ausschloß. Daneben wirkte K. in dem weiteren Kreise der Burschenschaft eifrig für die Befestigung patriotischen Sinnes und für die Theilnahme am Fechten und Turnen. Februar 1822 verließ er die Hochschule und kehrte zunächst nach Stuttgart zurück, wo er, nach glänzend bestandener Prüfung, nicht gewillt, in den Staatsdienst zu treten, das Amt eines städtischen Steuercommissärs annahm. Indessen war die Mainzer Commission dem Bestehen jenes Geheimbundes auf die Spur gekommen. Schon vor Erstehung der Staatsprüfung hatte K. in dieser Sache mehrmals Verhöre vor dem Stuttgarter Stadtgericht zu bestehen. Im November 1823 fanden in Preußen und dann in anderen deutschen Staaten die ersten Verhaftungen der Mitglieder des auf allen Universitäten verbreiteten Bundes statt. Ende September 1824 folgte Württemberg nach, K. wurde mit 15 Genossen (darunter [458] Mebold, später Kolb’s Amtsgenosse in Augsburg, Gräter, Tafel, Rödinger etc., dazu der damalige Privatdocent in Tübingen Karl Hase) als Mitglieder einer hochverrätherischen Verbindung festgenommen und auf die durch Schubart’s Haft bekannte Feste Hohenasperg abgeführt. Der Proceß führte den Namen: K. und Genossen. Nach achtmonatlicher Untersuchung erfolgte am 26.–27. Mai 1825 der Urtheilsspruch des Eßlinger Gerichtshofes. Die Strafen schwankten zwischen 4 Jahren und 2 Monaten Festungshaft. Jenes höchste Strafmaß erlitten K. und Gräter. Von K. schreibt Hase: „Er hatte alles eingestanden, alles auf sich genommen und doch keinen verrathen“. Der Aufenthalt der Gefangenen auf der Festung war erträglich, es gab viel Besuche: einsilbig und ernst erschien K. unter den oft übermüthig lustigen Genossen. Er war, wie Hase schreibt, „auf ähnliche Weise, wie ich aus dem noch unausgesprochenen Glück einer tiefen Neigung hinweggerissen worden“. Nach kurzer Zeit kamen alle um Verkürzung der Strafzeit ein, sie wurde allen bewilligt. Zuletzt hatte noch K. allein auf der Festung auszuhalten. Ende September 1826 wurde auch er, nach zweijähriger Haft, entlassen und wie die übrigen in den vollen Besitz der bürgerlichen Rechte und Ehren zurückversetzt. Als K. später einmal von Augsburg nach Stuttgart kam, ließ ihn König Wilhelm rufen und bemerkte im Laufe des Gesprächs über das ganze Verfahren sich gleichsam entschuldigend: die Beziehungen zu Oesterreich und Preußen hätten ihn damals genöthigt, die volle Schärfe des Gesetzes walten zu lassen. Von der Festung weg erfolgte die Berufung nach Augsburg. Es war der Justizminister selbst, der den Frhrn. v. Cotta, den Eigenthümer der Allgemeinen Zeitung, auf das junge Talent aufmerksam machte. Zuerst als Corrector und Uebersetzer angestellt, wurde K. nach wenigen Wochen – auf die Einreichung eines politischen Aufsatzes – zur Redaction gezogen, welcher damals der alte Stegmann und Lebret, der Bewunderer Napoleons, vorstanden. Auch die Gründung des „Ausland“, das am 1. Jan. 1828 erstmals erschien und zwei Jahre später von München nach Augsburg übersiedelte, war zum großen Theile Kolb’s Werk. Im März 1837, nach Stegmann’s Tode, übernahm er die Leitung der Allgemeinen Zeitung, die er thatsächlich, bei Stegmann’s körperlichen Leiden, schon seit Jahren führte und nun bis zu seinem Tode inne hatte. Was die Allgemeine Zeitung in diesem Zeitraume war und bedeutete, die erste und einflußreichste deutsche Zeitung, ein Weltblatt, das in dieser Art doch nur in Deutschland möglich war, weltbürgerlich und deutsch zugleich – das dankte sie vornehmlich dem Talent, dem Takte, der Arbeit Kolb’s, der sich in dem gelehrten Landsmann Mebold und in dem sarkastisch witzigen, philologisch wohlgeschulten Franken Altenhöfer treffliche Mitarbeiter gesellte. Die Allgemeine Zeitung sollte ein vornehmes, zu den Gebildeten redendes unabhängiges Organ sein, jede Einseitigkeit sollte vermieden werden; parteilos und unbeeinflußt von dem Kampf der vergänglichen Meinungen zu bleiben, das erklärte K. nach Stegmann’s Tode als oberste Richtschnur der Redaction. Ein stolzes Programm, das nur in beständigem und aufreibendem Kampfe gegen die Verhältnisse aufrecht erhalten werden konnte. Es war die Zeit, da noch die Regierungen ebenso allmächtig, wie empfindlich waren, und die Allgemeine Zeitung hatte das besondere, daß nicht von einer Regierung, sondern immer zugleich von mehreren ein Einfluß versucht wurde. Heute umworben und morgen bedroht, hat sie manchen Sturm erlebt, der die Unabhängigkeit der Redaction und des Eigenthümers auf die Probe stellte. Noch schwieriger aber wurde es, den festen Curs einzuhalten in Zeiten großer Bewegung, zumal als die Constituirung Deutschlands aus den einstigen Burschenschaftsträumen heraus zu einer politischen Aufgabe wurde. Das in Süddeutschland erscheinende Blatt unterhielt überwiegend süddeutsche Beziehungen, in K. selbst war etwas von der Abneigung und dem Mißtrauen [459] seines Stammes gegen den preußischen Staat und die Zeitung gerieth allmählich in eine Richtung, welche ihre Widerlegung durch die geschichtlichen Thatsachen gefunden hat. Kolb’s ehrlichen, uneigennützigen Patriotismus hat Niemand anzutasten gewagt: warmherzig, sanguinisch, bei jedem Hoffnungsschein jugendlich aufglühend, so war er 1830 wie 1848, bei der „neuen Aera“, wie beim Frankfurter Fürstentage, so war er bis an sein Ende. Mit Vorliebe aber hat er eine andere Seite der Publicistik gepflegt, die nicht jenen aufregenden Wechsel von Erfolgen und Täuschungen brachte. Neben dem politischen Sinn war in ihm die feine künstlerische Empfindung lebendig, der Sinn für das Schöne, für Maß und Klarheit der Form. Die „Beilage“ der Allgemeinen Zeitung hat er erst zu dem gemacht, was sie seitdem geworden ist. Er besaß eine warme Empfänglichkeit für alle neueren Erscheinungen der Litteratur, hervorragende litterarische Größen wußte er dauernd an das Blatt zu fesseln, er erschien als ein wohlwollender Mentor der jüngeren Talente, deren viele ihm dauernd eine freundschaftliche Anhänglichkeit bewahrten. „Es waltete in ihm jene helfende Kritik, welche mitschaffen will und nachschaffen. K. ist durch diese wohlwollende Eigenschaft höchst segensreich geworden“ (Fröbel). Seitdem er sich (Januar 1839) mit Fanny, Tochter des Landrichters v. Bräuning in Günzburg, vermählt hatte, war das Haus in der Carmelitergasse ein Mittelpunkt feiner und vielseitiger Geselligkeit. Im kleineren, intimen Kreise, in Gegenwart von Frauen zumal, hat K. die anziehendsten Seiten seines Wesens gezeigt. Selten war ein Abend ohne diesen oder jenen Gast, von nahe oder von ferne: Gelehrte und Künstler, Sänger und Schauspieler, Reisende und Politiker fanden sich in bunter Folge ein – ich nenne von Nächststehenden: List, Dingelstedt, Laube, B. Auerbach, L. Schücking, Kaulbach, Bodenstedt, Riehl, Steub, Rugendas, Peschel und die Führer des baierischen Liberalismus, Graf Hegnenberg-Dux und Frhr. v. Lerchenfeld. „Mein treuer, väterlicher Meister und Freund, der mich von meinem ersten Stammeln in den Spalten seines Weltblattes an bis zu seinem letzten Briefe an mich mit rührender Geduld, Fürsorge und Liebe geführt, getragen und ertragen hat – er besaß das beste Herz …“ – so Dingelstedt, der an diese Worte dann einen Seufzer über die unglaublich schlechte Handschrift Kolb’s reiht, die in der That die Verzweiflung der Freunde und der Druckerei war, zumal in den letzten Jahren, als seine Constitution eine schwere Erschütterung erlitten hatte. Er war gewohnt, alljährlich durch eine mehrwöchentliche Erholungsreise die Arbeit zu unterbrechen. Auf einer dieser Reisen, in Deutz, wurde er im Herbst 1855 von einem schweren Schlaganfall getroffen, der die eine Seite lähmte. Ganz hat er nicht wieder hergestellt werden können, namentlich blieb Gehen und Sprechen erschwert. Seinem Beruf ist er aber noch ein Jahrzehnt mit unermüdeter Treue und mit eifriger, ja erregter Theilnahme an den öffentlichen Dingen nachgekommen. Man sah die verwitterte Gestalt mit dem militärischen Schnurrbart und den klugen, forschenden, noch immer glanzvollen Augen vom Morgen bis zum Abend thätig inmitten einer kaum mehr zu bewältigenden Last von Einsendungen, indeß die Leitung unvermerkt in andere Hände glitt. Da gab der Tod der einzigen geliebten Tochter, die in Stuttgart verheirathet, im ersten Wochenbett starb (October 1864), den geschwächten Kräften einen erschütternden Stoß: ein halbes Jahr später ist er nach zweitägiger Krankheit gestorben; nach weiteren sechs Jahren ist ihm die Gattin gefolgt.
Kolb: Gustav Eduard K., Redacteur der Allgemeinen Zeitung, geb. in Stuttgart am 6. März 1798, † in Augsburg am 16. März 1865. Aus einer geachteten Goldschmiedsfamilie in Stuttgart stammend, durchlief K. das Gymnasium seiner Vaterstadt und trat dann in die Schreibstube der städtischen Stiftungsverwaltung, in der Absicht, später sich dem Gemeindedienst zu widmen. Früh zeigte sich sein Interesse für Litteratur, Kunst und Theater, die Jugendjahre in Stuttgart verflossen unter mannigfacher Anregung durch die künstlerischen Kreise. Auch dichterische Versuche fallen in diese und die folgenden Jahre. Die Hochschule Tübingen bezog er 1818 als Studirender der Cameralwissenschaften. Der feine, schmächtige, blonde Jüngling, der immer etwas mädchenhaft Scheues hatte, doch warme Empfänglichkeit für vaterländische Ideen besaß, war bald eifriges Mitglied einer burschenschaftlichen Verbindung mit unbestimmten idealen Zielen. Er galt etwas unter den Genossen; im September 1820 vertrat er mit Gräter Tübingen bei dem Burschentag in Dresden; Ende März 1821 beauftragte ihn die in Stuttgart von- Nekrolog in der Beilage der Allgemeinen Zeitung, 1865, 21./23. April (von Friedrich Notter). Feuilleton im „Wiener Botschafter“, März 1865 (von J. Fröbel). Klüpfel, Gesch. der Universität Tübingen. Ilse, Gesch. der politischen Untersuchungen etc., 1862. Hase, Ideale und Irrthümer, 1872. Dingelstedt, Münchener Bilderbogen, 1879.