ADB:Bodenstedt, Friedrich von

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Artikel „Bodenstedt, Friedrich“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 44–67, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bodenstedt,_Friedrich_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 05:26 Uhr UTC)
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Bodenstedt: Friedrich Martin B., Dichter, Uebersetzer und Culturhistoriker, wurde am 22. April 1819 im Städtchen Peine südlich Hannovers geboren. Er war der Sohn eines Kleinstadtbürgers, dessen Horizont trotz mancher Anstöße im Materiellen beschränkt, dessen Gattin eine einfache, gute, arbeitsame Frau blieb. So fand der Knabe ebenso wenig irgendwelche höheren Impulse daheim wie der Jüngling und Mann Anziehung oder gar Halt. Der später durch manche verkettete Zufälle zum Weltmann gewordene B. verleugnete nie einen spießbürgerlichen Zug. Sein ganzes begrenztes Wissen, das er gern breit auszuladen pflegte, erwuchs durch autodidactisches Anknüpfen an den Unterricht der Stadtschule und dreier lutherischer Pfarramtscandidaten. Daß er bei diesen lateinische Vocabeln einpauken mußte, hob später der ob humanistischer Stichfestigkeit mißtrauisch Angesehene hervor. Schon der Knabe zeigte, was für ihn bestimmend geworden ist, Drang und Anlage zu poetischer Improvisation sowie zur Gelegenheitsdichtung, eindringlichen Fleiß wo Interesse mitsprach, unwiderstehlichen Wandertrieb. Eine gefährliche Operation des Vaters führte B. im 13. Jahre nach Braunschweig, in eine größere Sphäre und in der Folge in eine dortige mercantile Privatlehranstalt; die Eltern meinten seine Gaben, namentlich für Sprachen, im kaufmännischen Berufe am besten verwendbar, und B., froh, die Jugend auf dem Lande abzustreifen, sträubte sich nicht, suchte auch des Vaters Verbot wider das Versemachen zu erfüllen. So trat er dann als Lehrling in ein Handelshaus ein. Aber die Lust an Geistesbildung und [45] dichterischer Uebung hieß ihn heimlich sich fortbilden, bis er die Fesseln abwarf und, unter Entbehrungen, in Göttingen – fraglich, ob damals auch zu München und Berlin – eklektische Universitätsstudien begann, besonders in Philosophie, Geschichte, Litteratur, neueren Sprachen. Wann, wo, wie er den Doctorgrad der Philosophie erlangt hat, ist nicht nachweisbar.

Schon in Braunschweig hatte B. zu dem ihm geläufigen Französisch rege Sorgfalt aufs Englische verwendet – im 16. Jahre übersetzte er „Macbeth“ – und durch eines Rittmeisters Küster Familie, wo er ein- und ausging, Verbindungen nach Rußland angeknüpft. Im Spätherbste 1841 trug ein Dampfer B. von Lübeck nach Petersburg, von hier nach kurzer Umschau eine „Diligence“ nach Moskau, wo er bei Küster’s Bruder ein Unterkommen fand, Russisch lernte und Anfang 1841, nach dem verlangten Lehrerexamen an der Universität, Erzieher der beiden Söhne des Fürsten Michail Galizin wurde. Ueber 2½ Jahre hatte B. auf diesem wenig mühsamen Posten beste Gelegenheit, die Aristokratie, die absonderlichen Sitten und Anschauungen, auch die Sprache Rußlands genau kennen zu lernen, bei öfterem Aufenthalte auf des Fürsten Gütern, besonders Nikolsky, dann Archangelske (bei Moskau, seit August 1900 Zaren-Sommerresidenz) auch die harten Naturverschiedenheiten, und es entstanden so eine verdeutschte Auswahl russischer Lyrik und eine kleinrussischer Volkslieder. Im Herbste 1843 endigte die Erzieherfunction, die B. zuletzt nähere Bekanntschaft mit seinem Collegen M. N. Katkow, dem späteren Panslavisten, vermittelt hatte. Mitte October bis Mitte November fuhr er mit einem russischen Dreigespann (Troika) durch das Gebiet der Don-Kosaken über Stawropol und Wladikawkas nach dem Kaukasus: eine theils romantische, theils arg naturalistische Fahrt. Er folgte dabei einem Rufe an das Gymnasium in der Hauptstadt Georgiens, dem herrlich gelegenen Tiflis, ganz gern, da ihm Freund Hake wegen der vielen Festwochen im Winter und der Sommerhitze wenigstens die Hälfte des Jahres als schulfrei in Aussicht stellte und ihn die von Moskau datirenden Beziehungen zum Statthalter des Kaukasus General Alexander v. Neidhart, und dessen Familie lockten. Daß Neidhart ihn berufen, B. ein Erziehungsinstitut geleitet und am Gymnasium Latein und Französisch unterrichtet habe, liest man überall außer in Bodenstedt’s „Erinnerungen“. Im Kaukasus erlebte B. die erregten Zeitläufte mit, während deren die Russen die tapfern Muriden, die Bewohner Daghestans und Lesghistans, trotz der löwenmuthigen Gegenwehr des Imams Schamyl, unterjochten, und fand genug Gelegenheit, die einheimischen Stämme nach Gegenwart und Vergangenheit, nach Sprache, Brauch und Cultur zu studiren. Georgien und Armenien hat er ordentlich kennen gelernt und uns unmittelbar danach wie später farbige Bilder von seinen, mitunter höchst gefahrvollen Ausflügen entworfen. In Tiflis selbst hatten Moskauer Bekannte seinen Eingang durch ein heiteres Festmahl ganz asiatischen Zuschnitts gefeiert, und er fand daselbst überreichlich anregenden internationalen Verkehr in den nach Geburt und Bildung feinsten Kreisen. Bedeutsam erscheinen da für sein Seelenleben die Leidenschaft für eine junge, in der Ehe unbefriedigte Generalin v. R., die theilweise erwidert, aber, zwecklos wie sie war, schwer niedergerungen wurde; für sein sprachliches und völkerkundliches Wissen der Umgang mit dem kenntnißreichen Orientalisten Dr. Georg Rosen (1820–91), dem späteren deutschen Generalconsul; für seine Poesie die Lehrstunden bei Mirza Schaffy, worauf wir weiterhin zurückkommen. Zwei ernste Krankheiten erschütterten den gar nicht übermäßig festen Jüngling, theilweise infolge der Strapazen eines armenischen Streifzugs. Aus diesen Einblicken und Wanderungen erwuchsen die Materialien zu den später im Vaterlande ausgearbeiteten zwei Büchern über seine Beobachtungen im Kaukasus und den Nachbarländern. [46] B., durch den Weggang der Neidharts seines Haupthalts beraubt, wollte sich in Rußland nicht seßhaft machen und seine angegriffene Gesundheit schonen, auch zogen ihn verheißungsvolle litterarische Aussichten, besonders seitens des Verlags Cotta und seiner Zeitschriften (Allgem. Ztg., Morgenblatt, Ausland), und so verließ er schon April 1845 das gastliche Tiflis, wo er die eindrucksvollste Zeit zugebracht, seine Jugend abgeschlossen hatte, das ihm, wie er’s im Alter ausdrückt, der eigentliche Ausgangspunkt seiner schriftstellerischen Wirksamkeit geworden war. Eine schwierige, öfters abenteuerliche Etappenreise führte ihn, anfangs gemeinsam mit dem gleichaltrigen englischen Diplomaten Henry Danby Seymour, mit dem er sich in Tiflis angefreundet hatte, an den Küsten des Schwarzen Meeres und durch die Krim nach Constantinopel, wo er mehrere Monate ehrenvollste Aufnahme bei der europäischen Diplomaten-Gesellschaft und vielfache Anregung für seine orientalistisch-völkerpsychologischen Studien fand. G. Rosen traf er als Dragoman des preußischen Gesandten v. Lecoq, in dessen Sommerresidenz zu Bujukdere er ein paar Wochen, zeitweise so lange er’s bei dem frömmelnden Bureaukraten aushielt, auch als Erzieher, verweilte; seinem Genossen bei Ritten durch die denkwürdige Umgegend, Dr. Gustav Bossart(-Oerden), Erzieher beim russischen Gesandtschaftsmitglied Prinz Handjery, und nachher Redacteur großer deutscher Zeitungen, theilte er Gedichte und litterarische Pläne mit. Im Spätsommer 1845 machte er über die anatolischen Gestade, die ägäischen und ionischen Inseln, Dalmatien die Heimfahrt, landete in Triest und reiste, über Wien, Prag, Dresden, wo er Kunstschätze und historische Denkmäler besichtigte und, wie auch in Leipzig, sich an Theater und Musik erlabte, in den Geburtsort.

Die kleinlichen Verhältnisse daselbst stießen ihn ab. B. wollte noch Wissenslücken ausfüllen und sein Werk über die Kaukasusvölker vollenden. In Göttingen gebrach ihm bald künstlerische Anregung. Nachdem er Cotta’s günstigen Antrag, für die „Allgem. Ztg.“ in die untern Donauländer zu gehen, abgelehnt, aber in Augsburg sowie München List und Fallmerayer, in Stuttgart Baron Cotta, G. Schwab, G. Pfizer, Dingelstedt kennen gelernt hatte, wandte er sich im Mai 1846 nach München. Hier eröffnete sich ihm nicht nur reiches Hülfsmaterial zur Arbeit und reger Verkehr mit bedeutenden Männern von einschlägigem Wissen, sondern auch eine, später verwirklichte Zukunft. Bei Fallmerayer, dem „Fragmentisten“, dem Orientalisten M. J. Müller, dem Philologen Friedr. Thiersch gewann er fachmännische Beihülfe, am Graf Max Bothmer’schen Ehepaar liebe Berather. Schöne Stunden genoß er im Hause des Landschaftsmalers Karl Rottmann, des Naturforschers Martius, des Botanikers K. Fr. v. Ledebour, Frdr. List, der geniale Nationalökonom, damals in München inmitten der letzten Versuche seine Pläne zu consolidiren, nahm B. während vertrautesten Umgangs ganz gefangen, und sein plötzlicher Selbstmord (30. Nov. 1846 zu Kufstein) erschütterte diesen arg. Wol durch List kam B. darauf, volkswirthschaftliche Vorlesungen (bei Hermann) zu hören, wie er auch in die des alten Görres über Kaisergeschichte ging. Druck und Correctur des bis Sommer 1847 fertigen genannten Werkes führten ihn nach Frankfurt a. M. Ein Abstecher über Cassel nach Schloß Escheberg, dem von seinem Bruder, dem Uebersetzer-Romantiker Ernst mit schöner litterarisch-geschichtlicher Bibliothek ererbten Sitze des, vor Jahresfrist zufällig in Hannover getroffenen Karl Otto Freiherrn von der Malsburg, verlängerte sich – wie 1841 E. Geibel’s Besuch – um so mehr, als B. dort eine liebliche sangeskundige Blondine kennen und, was ihre gemeinsame Darstellung von Goethe’s „Geschwistern“ bekräftigte, lieben lernte: seine nachherige Gattin Mathilde, die Tochter des kurhessischen Obersten Osterwald in Fulda. Eine Heirath, auf die er infolge pecuniärer Unsicherheit überhaupt verzichtet hatte, [47] lag vorläufig in weitem Felde. Im October befriedigte er die mächtige Sehnsucht nach Italien, auch wegen eines Halsleidens, einem Angebinde von Münchens unvermitteltem Temperaturwechsel. Ueber die Schweiz, die der Sonderbund-Krieg durchtobte, den Comersee zog er nach Mailand, in dessen damals aufgeregtem Getriebe er etwas länger weilte, weiter über Turin, Genua, Livorno, Florenz, von da mit Vetturino über Terni nach Rom, wo er allerlei „Eindrücke, Bilder und Betrachtungen während des (italienischen) Völkerfrühlings 1848“, des Anhängsels der Pariser Februarrevolution, sammelte. Von deutschen Dichtern waren Wilibald Alexis, schon länger mit ihm vertraut, Gustav zu Putlitz, Levin Schücking mit B. beisammen. Sein autodidactisches Italienisch war so weit schon gebessert, daß er „inmitten der täglich wachsenden politischen Bewegung einen festen Halt zu gewinnen“, sich in Michelangelo’s „Rime“ und die edle Lyrikerin Vittoria Colonna vertiefte, wie seine nach vier Jahrzehnten den Memoiren einverleibten Glossen und Uebertragungen zeigen. Am 21. März 1848 verließ B. Rom, wo der nationale Sturm täglich anschwoll, und schlug sich mühsam über Florenz bis hinter Bologna durch, wurde von Aufständischen als österreichischer Spion über Padua nach Venedig escortirt, dort durch den Dichter Heinrich Stieglitz, ein Haupt des venetianischen Aufruhrs, befreit, herumgeleitet und mit Schiff nach Triest befördert. Eilends reiste er nach Augsburg, um den ihm gewogenen Dr. G. E. Kolb, Chefredacteur der „Allgem. Ztg.“, über die ihm augenblicklich uncontrollirbare Frankfurter Verlagsangelegenheit zu befragen und erfuhr dort, daß der Zusammenbruch des Verlags ihn um den Lohn dreijährigen Fleißes betrog. Kolb empfahl ihn an K. L. Frhrn. v. Bruck, den Gründer (1833) und Präsidenten des „Oesterreichischen Lloyd“ in Triest, für des letzteren „Journal“ als Hauptredacteur, und nach einer Besprechung mit Bruck, der Triester Abgeordneter zum „Deutschen Parlament“ war, in Frankfurt a. M. und Wiedersehen v. d. Malsburg’s, seiner „Nachtigall“ Mathilde u. A. daselbst, begab sich B., über Prag, wo gerade der Slavencongreß zusammentrat, Anfang Juni in die neue Stellung. Energisch hob er, der wenig journalistisch Veranlagte, das „Journal des Oe. L.“, eine handelspolitische, resumirende, in den brennenden österreichischen Fragen centralistische Zeitung großen Stils, mit Nachdruck auf reinem Deutsch, empor, wobei W. Alexis, der Individualist Max Stirner (d. i. Casp. Joh. Schmidt) u. A. ungesucht aus der Ferne mitarbeiteten. Dafür, wie B. seine Aufgabe auffaßte, ist ein (wol ungedruckter) Brief aus Triest 1. September 1848 an Kolb interessant, der unwillkürlich heutige Zustände vergleichen heißt; er sagt da u. a.: „Es handelt sich darum, ganz Oesterreich für Deutschland zu wecken … Einigung aller Nationalitäten zu einem kräftigen Föderativstaat auf der Grundlage der Demokratie und völliger Gleichberechtigung unter der gemeinsamen Dynastie des Habsburgischen Kaiserhauses – hierin liegt das einzige Heilmittel zur Erlösung aus unseren anarchischen Zuständen“. Nach drei Monaten wurde er mit dem, auf ein breiteres Piedestal gestellten Blatte nach Wien versetzt. Die Mord bejubelnde Ausgelassenheit des Wiener Janhagels hieß ihn den Residenzlern eindringlich ins Gewissen reden. In diesen aufgeregten Wochen erlebte er angenehme Zusammenkünfte mit Berthold Auerbach, Karl Beck, Hieronymus Lorm (Heinrich Landesmann, in dessen Elternhause), Betti Paoli, Fr. Hebbel u. A., aber auch die Octoberrevolution mit all ihren Greueln und die Erstürmung der Kaiserstadt durch Windischgrätz. Am 21. November begleitete er Baron Bruck nach Kremsier zum neuen Reichstage, wo dieser Handelsminister wurde, und legte, als das „Journal“, infolge von des letzteren Austritt aus dem Lloyds-Directorium, hinter Bodenstedt’s Rücken Schwarzenbergisch-officiös wurde, seine Stelle nieder.

[48] Der unruhigste Abschnitt seines Lebens lag hinter ihm, als sich B., Bruck’s Aufforderung, eine neue ministerielle Handelszeitung in Wien zu redigiren, ablehnend, nach dem ebenfalls noch revoltirenden Berlin aufmachte. Dahin riefen ihn alte freundschaftliche Beziehungen, jetzt auch der Mitarbeits-Antrag der „Deutschen Reform“ (Redacteur Oldenberg), in der seine Skizzen der derzeitigen österreichischen Situation Aufsehen gemacht hatten. Am Besitzer dieses Tageblattes, Rud. (v.) Decker, fand B. auch einen Verleger seines, seit Beginn der Wiener Tage durch „ruhige Stunden in stürmischen Wochen“ ausgearbeiteten Buches „Tausend und Ein Tag im Orient“ – worin die Basis seines litteratischen Ruhms steckte – zugleich den Mann, der stets opferwillig auf alle späteren Verlagsanträge und Extrahonorarwünsche Bodenstedt’s einging. Trotz eifriger Thätigkeit pflegte er in Berlin Geselligkeit mit alten und neuen Bekannten, in den Häusern Solma, Lipke, Koene, Wolff, Frdr. v. Raumer. In dem von John Prince Smith gegründeten „Volkswirthschaftlichen Verein“ gerieth B. trotz (als List’s Anhänger) Widerstrebens in die von diesem eindringlich betriebene Freihandelsbewegung und wurde im September gegen seinen Willen von den Freihändlervereinen Cobden’scher Richtung aus Berlin und 18 andern preußischen als Bevollmächtigter zum internationalen Freihandelscongreß nach Paris delegirt – neben ihm Prof. Michelet als französisch Sprechender. Dort von Victor Hugo zu einer Rede aufgefordert, antwortete B., daß ihn der Mangel jeglicher deutschen Flagge unter denen aller Länder nicht dazu animire, worauf Hugo erwiderte: „Monsieur, vous êtes le drapeau vivant de l’Allemagne!“ B. nahm dies nur zur Hälfte an, da er nicht mit dem Winde zu flattern pflege. Am 10. Februar 1850 endete auch seine Junggesellenschaft, indem er seine „kleine Nachtigall“ – von ihm in Leben und Dichtung mit Buchstabenumdrehung stets ‚Edlitam‘ geheißen – zu 42jähriger glücklicher Ehe von Fulda nach Berlin heimführte. „Die Einführung des Christenthums in Armenien. Eine Vorlesung, gehalten am 2. März 1850 im wissenschaftlichen Verein zu Berlin“ (1850) zeigt uns B. weiter seine asiatischen Beobachtungen litterarisch ausmünzend. Im Frühlinge sollte er als Sendbote zum Friedenscongreß in Frankfurt a. M. mehrere einflußreiche Personen vom guten Rechte Schleswig-Holsteins überzeugen: ein vergebliches Beginnen, wo soeben die Großmächte beschlossen hatten, die Elbherzogthümer an Dänemark auszuantworten. Obwol ihn die politische Publicistik weder ansprach noch lockte, wo sie ihn gleich jenen zwei Missionen an der gewünschten inneren Sammlung behinderte, übernahm B. doch Ende 1850 von Escheberg aus die Redaction der „Weserzeitung“ in Bremen. Hier, von wo bald die „Lieder des Mirza Schaffy“ ihren Lauf nahmen, lebte er sich trotz der unliebsamen Politik gut ein, trat aber mit dem 1. October 1851 die aufreibende politische verantwortliche Redaction ab und besorgte wesentlich Feuilleton und Sonntagsblatt; daneben entfaltete er, in dem schnell mit zwei Töchtern bereicherten Familienkreise, eine rastlose Thätigkeit als Lyriker und Uebersetzer. Anfang Mai 1852 trat er ganz zurück und übersiedelte nach Kassel zu seinen Schwiegereltern, wo ihn, öfters Wochen lang bei Baron Malsburg im nahen Escheberg, bis in den Juni 1853 Lermóntoff’s litterarischer Nachlaß und seine erste größere Originaldichtung in Versen („Ada“) beschäftigten. Von Hannover, wo er über Neujahr 1853 in „Familienangelegenheiten“ weilte, erwartete er eine „einträgliche Professur“ als Anerkennung für dies Poem, das er dort in höheren Kreisen vorgelesen hatte, und die im April für den Herbst ins Auge gefaßte Uebersiedlung nach Göttingen, wohin er Anfang Februar „infolge einer hohen Verfügung eine unaufschiebbare Reise“ unternommen, hängt sicher damit zusammen. Die Verdeutschung der gesammelten Schriften Puschkin’s, der er sich seit März – wo ihn seine Gattin mit dem einzigen Sohne, wie [49] bald darauf mit dem Kinderbuch „Maria und Elsbeth“, beschenkte – ganz hingab, veranlaßte eine, schon vor Jahresfrist geplante Uebersiedlung nach Thüringen, zunächst im Juli nach Friedrichroda, im November, infolge der von ihm hochangeschlagenen Gönnerschaft des Herzogspaares, die er auf Schloß Reinhardsbrunn erworben, nach Gotha. In unermüdlicher Arbeit und, wie seit Jahren, von Zahn-, Augenschmerz, Erkältung geplagt, brachte er daselbst, dem Hofe nahestehend, den Winter zu. Da sich aber weder da noch in Hannover für ihn etwas Festes ergab, so nahm er im März 1854 in München kurzentschlossen die „huldvolle Einladung“ König Maximilian’s II. an.

Der poesiefreundliche Baiernfürst sicherte B. durch ein Jahrgehalt von 1200 Gulden und wollte den, ihm nach seinen bisherigen Veröffentlichungen (durch General v. d. Tann in einer Jagdhütte an der Vorderriß Sommer 1853) vertrauten und ihn gedruckt stets begleitenden Schriftsteller von Anfang an regelmäßig um sich haben, in einer Art Mittelstellung zwischen der poetischen Tafelrunde in den Kaiserzimmern der Alten Residenz – Otto Frhrn. v. Völderndorff’s „Harmlose Plaudereien eines alten Münchners“ (1892) heben B. neben Geibel, Heyse, Kobell in diesem Cirkel hervor – und den nach München berufenen rein akademischen Gelehrten. B. erhielt am 14. Juli 1854 eine Universitätsprofessur, die sich zunächst auf slavische Sprachen und Litteraturen bezog, seit 1858 aber von B. vorzugsweise für ältere englische Litteratur vertreten wurde. Nebst v. d. Tann, Frz. v. Kobell, W. Riehl u. A. begleitete er vom 20. Juni bis 27. Juli 1858 den fürstlichen Poesie- und Wissenschaftsmäcen auf einer Reise um die Ufer des Bodensees, durch den Bregenzer Wald und das ganze bairische Hochland bis nach seinem geliebten Berchtesgaden. Kobell hat seine Beobachtungen davon in „Wildanger“ niedergelegt. Riehl in „Fußreise mit König Max“ (Kulturgeschichtliche Charakterköpfe), von den Aufzeichnungen des geistvollen Jägers Graf Ricciardelli († Ende Winter 1899/1900) ist nichts gedruckt. B. gab 1879 als 1., redseligen, aber fesselnden Band „Aus meinem Leben“ heraus: „Eine Königsreise. Erinnerungsblätter an König Max“; wir sehen da, wie der König, seit er Bodenstedt’s Buch über die Kaukasusbewohner genau studirt hatte, ihn als seinen Berichterstatter über neue Schilderungen von Entdeckungsfahrten u. dgl. betrachtete. So hatte B. in Isar-Athen ein Milieu erlangt, wie es seiner geschmeidigen wiewol unzuverlässigen Natur vortrefflich lag: weder als Höfling noch in dem berühmten Poetencirkel des „Krokodils“ (meistens Größen des ‚lateinischen Viertels‘ in der Karlsstraße), noch bei den Leuten des ultramontanparticularistischen Lagers hat der jederzeit Conciliante jemals Anstoß erregt. Aufsehen machte es, als Geibel und J. Liebig B. bei seiner ersten Bewerbung um den Maximiliansorden abwiesen. Er fühlte sich im ganzen wohl und endlich in verhältnißmäßiger Sorglosigkeit; trotz aller gesundheitlichen und finanziellen Nöthe, von denen sich der frohveranlagte, aber immer klagebereite Mann nie ganz loswand, war es die Glanzzeit seines äußeren Lebens. So war er auch in der Lage, regelmäßig mit seiner Familie in den nahen herrlichen Gebirgsgegenden Oberbaierns Sommeraufenthalt zu nehmen: 1854 in Egern am Tegernsee, 1856 in Tutzing, 1857 in Kochel u. s. w. Sechs Winter lang, zuerst 1855, betheiligte sich B. an den, noch heute bestehenden populärwissenschaftlichen Abendvorlesungen von Hochschuldocenten im Liebig’schen Hörsaale, seine ließ er 1881 als „Aus Ost und West“ drucken; darin beschäftigt ihn neben den osteuropäischen Zuständen schon das englische Theater lebhaft. Sein Abschwenken zum classischen Drama Albions veranlaßte ihn im Frühlinge 1859 zu einer mehrwöchigen Reise nach London, wo er, mit Alexander Herzen, Freiligrath u. A. in Verkehr und stark gestützt durch seinen genannten Tifliser Freund [50] Seymour, für seine Studien über Shakespeare und dessen Zeitgenossen auf dem British Museum und in Privatbibliotheken von Aristokraten Manuscripte und Hülfswerke durchnahm. Von dem Werke „Shakespeare’s Zeitgenossen“, das, auf 5 Bände veranschlagt, mit dreien schließlich stecken blieb, war schon 1858, von Nic. Delius mitgefördert, der 1. Band erschienen, der 2. und 3. folgten 1860. Zu der großartigen Münchener Feier des Schiller-Säcularjubiläums lieferte B. auf Auftrag des Comités ein Lied zur Vorfeier, ein „Festspiel zur Schillerfeier“ (für sich gedruckt) im Odeon, einen Prolog dazu und einen versificirten Trinkspruch auf das Vaterland für das Festmahl. Obwol Bodenstedt’s litterarische Betriebsamkeit nie ermattete und sein Hauptverleger Decker den ewigen Klagen wegen finanzieller Bedrängnisse fast immer sofort abhalf, kam er, theilweise auch infolge häufiger Krankheit, auch der engsten Familie, materiell nie auf einen grünen Zweig. Wehmüthig schließt 1861 ein Brief, nach einem eingehenden Ueberblicke seiner geschäftlichen Verhältnisse: „Während ich hier um ein paar Hundert Thaler willen schlaflose Nächte hatte, erhielt ich aus London die Nachricht, daß ein dortiger Buchhändler, Trübner, der mich persönlich gar nicht kennt, eine weit höhere Summe ausgegeben hat, und nach einer von mir dort befindlichen Gipsbüste meine Büste von carrarischem Marmor in Lebensgröße hat ausführen lassen, um sie in seinem Geschäftslocale aufzustellen“, und ein Jahr später seufzt er, daß er, der 23 Bände veröffentlicht habe, „von Morgens bis Abends sich abquält“, wie er gleichzeitig Decker vorschlägt, mit 2000 Thlrn. auf dessen Bureau einzutreten, um auch einmal „ein sicheres Einkommen“ kennen zu lernen, Professur und Poesie, „geschäftlich die undankbarste Göttin“, wolle er dafür an den Nagel hängen.

Die eigene Muse ging in all diesen Münchner Jahren neben der Uebersetzerthätigkeit her, die sich meist auf Shakespeare erstreckte. Im März 1864 sprengte König Maxens plötzlicher Tod den Reif, der die verschiedenartigen Individualitäten des Münchner höfischen Litteratenkreises zusammenhielt; zu Ludwig II. schwer zugänglichem Wesen gelang es dem schmiegsamen B. trotz wiederholter Versuche nicht, ein Verhältniß anzubahnen. Die im April 1864 erfolgte Gründung der „Deutschen Shakespeare-Gesellschaft“ trat ebenso unter Bodenstedt’s starker Mitwirkung auf wie deren „Jahrbuch“, dessen erste 2 Bände B. herausgab. Und unter Beihülfe Münchener Freunde oder diesem Cirkel Nahestehender bereitete B. jene großangelegte neue erläuterte Verdeutschung von Shakespeare’s Werken vor, die ihn an ein Jahrzehnt beschäftigt hat, bis sie seit 1867 lieferungsweise hervortrat. Obwol ihn König Georg von Hannover seit ihrem Zusammensein in Norderney Sommer 1864 gedrängt hatte (die probeweise „Lear“-Bearbeitung 1865 ist die Frucht davon), zerschlugen die 1866er Ereignisse ein für alle Mal die langjährigen Hoffnungen Bodenstedt’s auf einen Ruf ins „Heimathland“. So nahm der Münchens Ueberdrüssige, schon seit Herbst 1865 mit dem Titel eines Dramaturgen am Münchner Hoftheater bekleidet und hie und da an der Probe eines Schiller- oder Shakespeare-Stücks betheiligt, der seit langem brannte, dem Theater als Leiter und Dichter näherzutreten, im Frühjahr 1867 den Antrag des neuen Herzogs von Meiningen Georg II. an, die Intendanz des diesem stark am Herzen liegenden Hoftheaters und des Hoforchesters zu besorgen. Dabei wurde B., um etwaige gesellschaftliche Anstöße der kleinen Residenz zu überbrücken, erblich geadelt und von dem kunstsinnigen Fürsten in seine nächste Umgebung gezogen. B. hätte sich da sehr wohl gefühlt, wären nicht zu dem alten Kopf- und Augenleiden nebst Rheumatismus wegen schlimmer Polypen schmerzhafte Operationen hinzugetreten. Im November 1869 wurde B. auf sein Ansuchen des Amtes enthoben und zur Disposition gestellt, weil ihm bei den Geschäften nicht die beanspruchte ungehinderte [51] Beweglichkeit zustand; doch sollte er weiter „seinen geistigen Einfluß auf die Bühne üben“ und den Gehalt fortbeziehen. So kommt ihm für den großartigen Aufschwung der Meininger Hofbühne, deren Leistungen durch ihre Gastspiele seit 1870 mannichfach vorbildlich wurden, mehr ein vorbereitender Antheil zu. Während er so bis 1874 in Meiningen blieb, erlangte er doch bis 1869 die lang erstrebte Vereinigung seiner „Gesammelten Schriften“ in 12 Bänden und dichtete seit 1870 wieder auf lyrischem Gebiete wie auf dem der erzählenden Prosa rührig. Die politischen Ereignisse riefen „Neue Kriegslieder“ und „Zeitgedichte“ (beide 1870) hervor, und vor wie nach dem regte sich wieder die alte orientalisirende Ader. Mancherlei private Umstände freilich verwiesen den fast stets, durch eigene und der Seinen Krankheit, Mangel an Seßhaftigkeit, beinahe eine Art Umzugsfieber, durch Erziehung fünf heranwachsender Kinder in Geldverlegenheiten Befindlichen auf das rentablere Einkommen als Romancier, wie er selbst brieflich wiederholt gesteht; aber der Hauptbeweggrund, diese Saite der Production anzuschlagen, rächte sich bitter in der Ausführung. Schon im Frühling 1873 hielt sich B. bei Altona – daselbst war seine älteste Tochter Henni, die er in nächster Zeit öfters besuchte, an Oberst v. Petersdorff verheirathet – und zwar im nahen Neumühlen auf, auf dem Besitzthum der verwittweten Frau Etatsrath Donner, im Herbst 1874 wegen einer langwierigen Cur in Dresden und im benachbarten Loschwitz, zwischendurch immer wieder in Meiningen, bis er im Herbst 1875, wol wesentlich durch die enge Freundschaft mit dem kunstverständigen Intendanten des dortigen Hoftheaters an Bronsart v. Schellendorf, der dann den nach dem Dramatikerlorbeer ringenden Dichter mehrfach auf die Bühne brachte, und dessen musikalisch hochbegabte Gemahlin Ingeborg veranlaßt, nach Hannover verzog. Dort wurde er in seinen vieljährigen Erwartungen auf besonderes Entgegenkommen im Heimathlande endgültig getäuscht, ja sogar, wie uns sein alter Bekannter G. Bossart als Augenzeuge erzählt, gesellschaftlich mannichfach absichtlich gekränkt. 1876 wohnte B., Ed. Hanslick’s („Aus meinem Leben“, 1894) Angabe zufolge, den ersten Richard Wagner-Festspielen zu Bayreuth bei, mit dem Berichterstatter Paul Lindau und andern Verächtern dieses Geschmacks. Am 8. Januar 1877 ließ er in Hannover den schönen Prolog (sechs achtzeilige Strophen) „Die Welt erdröhnt von Kriegsgeschrei, schon thürmen sich dunkle Wetterwolken allerseiten“ vortragen, der ihn immer noch als aufmerksamen Beobachter der großen Ereignisse am politischen Himmel erweist. Frühjahr 1877 hielt er sich einige Zeit in Berlin auf, und 1878 nahm er für die Dauer Wohnsitz zu Wiesbaden. Diese 14jährige Ansässigkeit unterbrach nur eine längere Tournée nach den Vereinigten Staaten – man vergleiche seine Reiseschilderung „Vom Atlantischen zum Stillen Ocean“ (1882) – Ende October 1879 bis Ende Juli 1880, die durch – erfolgreich ausfallende – Vorlesungen seiner Dichtungen die Geldcalamität ausgleichen und seinen einzigen Sohn Gotthardt wieder auf rechte Wege bringen sollte. Dieser war Anfang 1870 als Seecadett in die preußische Marine getreten, wo er eines Duells halber quittiren mußte, im Französischen Kriege als Freiwilliger mit dem Eisernen Kreuz u. a. decorirt worden, hatte monatelang typhös in Lazarethen gesteckt, dann aber infolge von Liebschaften, Schulden u. s. w. sich nach Amerika gewandt. Dort hat ihn erst des Vaters Anwesenheit emporgebracht. Und er kam als Beamter der Villard’schen Northern-Pacific-Bahn in St. Paul am oberen Mississippi endlich in geordnete Verhältnisse. In Wiesbaden führte B. ein höchst anregendes, dauernd thätiges, aber auch vielfach aufgeregtes Leben. In seinem offenen Hause gingen die unzähligen Freunde, Augenblicksbekannten und Neugierigen ein und aus, ihn selbst, den allerseits nach auswärts Eingeladenen, fesselten wie von jeher der Verkehr der großen Welt und alle Veranstaltungen [52] künstlerischer und geselliger Art. Aber die alten Sorgen um die Mittel für des Alltags Bedürfnisse wichen unter diesen Umständen natürlich erst recht nicht, und mannichfacher Aerger in der Familie, zumal infolge von Krankheiten, und seine eigenen Leiden an Augen, Hals und Ohren verleideten dem Manne, der innig am Leben hing, die Befriedigung über Ruhm, ungewöhnliche Ehren und relativ auskömmliches Dasein. Der mit dem 1. September 1881 in Berlin begründeten „Täglichen Rundschau. Zeitung für unparteiische Politik“, die bald thatsächlich in mittelparteilich-deutschchauvinistischem Sinne wirkte, lieh B. für gutes Geld seinen Namen als – eben nur nomineller – Herausgeber, ohne, getreu seinen seit Jahrzehnten unpolitischen Tendenzen, einen Einfluß auszuüben, und er veröffentlichte darin nur „Erinnerungen“ und Belletristisches; mit dem Jahre 1888, als der prononcirte Feuilleton-Redacteur Frdr. Lange maßgebend wurde, löste B. die Verbindung. Rastlos brachte er erzählende Prosa auf den Markt, unablässig, als ein rührend zärtlicher Gatte und Vater, auf litterarische Fürsorge für seine Angehörigen bedacht, für die schließlich doch nach seinem Tode die Deutsche Schillerstiftung eintreten mußte. So nach allen Richtungen ausgreifend, hauchte B. am 18. April 1892 nach achttägigem Krankenlager sanft seine lebensfreudige Seele in Wiesbaden aus, der Stadt, der sein schnellbeflügelter Pegasus so manches Fest (z. B. „Szegedin. Prolog zur Matinée am 30. März 1879“) verherrlicht hatte und die ihm ein großartiges Leichenbegängniß sowie ein Ehrengrab inmitten von Berg und Wald auf dem Neuen Friedhofe stiftete; ein einfaches Denkmal, Broncebüste, von Berwald nach Photographie und Todtenmaske modellirt, steht darauf. Viele Freunde, Tausende von Lesern betrauerten den Tod des sympathischen Menschen, und ein Jahr lang war eine Fluth von Nekrologen, Brief-Abdrücken u. s. w. entfesselt.

Bodenstedt’s kräftige, bis lange hinaus elastische, von einem mächtigen, kantigen Schädel gekrönte Figur – „ein großer blonder Mann“ war er, gemäß Bossart 1845 – zeigte von dem Erbübel, dessen ihn schon in der Jugend eine Göttinger Operation entäußerte, keine Spur, auch später selten etwas von einem durch Halsleiden, Gesichtspolypen, frühe Kurzsichtigkeit Vielgequälten. R. M. Meyer rechnet ihm spöttisch nach, er „ließ sich (in München) nach Geibel’s Muster einen schönen Dichterkopf mit weißem Knebelbart stehen, sehr geeignet, auf Porträtmedaillons mit einem Kranz aus selbstgezogenem Lorbeer geschmückt zu werden“ (auch: „Geibel zeigte sich am liebsten im Profil, wie Bodenstedt, der ihm die wirksamen Bartformen ablernte“ !); doch nahm, wie er in München als der Liebenswürdigste der dorthin Berufenen galt, noch die Erscheinung des weißhaarigen, in jugendfrischem Rosateint erglänzenden Greises ohne Affectirtheit durch bezaubernde Freundlichkeit jeden für Geselligkeit, für rhapsodische Declamation, die wie aus dem Aermel geschüttelt schien, Empfänglichen, besonders das weibliche Geschlecht, ein. Alle stimmen darin überein, daß es ein Genuß war, ihn aus dem Schutze der Erlebnisse anekdotisch erzählen oder leicht plaudern oder mit seinem Herzen von Gold und dem optimistischen Gemüthe philosophiren zu hören. Dazu wirkte eine starke Dosis von, aller Weltläufigkeit trotzender, Harmlosigkeit mit, eine gewinnende Zier dieses großen Kindes, dem man nie, weder dem Menschen noch dem Dichter, bös sein konnte, den Ungezählte innig gern und lieb gehabt oder begeistert verehrt haben, und dessen unverwüstliche Naivetät uns weder durch die, nie von Arroganz angekränkelte Autor-Eitelkeit noch durch die chronische Geldklemme des lebedurstigen Poeten, des sorgenden Familienhauptes jemals lächerlich dünkt. Bescheidenheit verschmolz sich bei ihm mit dem Selbstbewußtsein der Fähigkeit. Nicht unberechtigt schrieb er nach dem Abschlusse der Sammlung seiner Schriften an Ad. Stern: „Ich bin mir vollkommen [53] klar darüber, daß meine Anlagen meine Leistungen weit überragen, und daß ich nicht den zehnten Theil von dem gethan habe, was ich hätte thun können, ohne die moralischen und physischen Hemmnisse, welche ein feindliches Geschick mir von früh auf in den Weg gewälzt hatte“. Andererseits freilich bestimmte wie so oft in der schönen Litteratur der Zufall den Ursprung, das Hervortreten, das Bekanntwerden von Bodenstedt’s meisten Werken, sogar bei der Haupt- und Ruhmesthat. Denn ohne den Aufenthalt in jenem Mikrokosmus asiatisch-europäischer Civilisation, als den seine beiden Prosadarstellungen das eben an Rußland übergehende Kaukasien vor Augen rücken, hätte B., eigenem Geständnisse zufolge, großentheils niemals die dort wurzelnden Blüthen der Lyrik und Gnomik der Mirza-Schaffy-Poesie gepflückt.

Diese Zufälligkeit seines Schaffens, wenigstens für die erste Hälfte, verdeutlicht ein synchronistischer Ueberblick seiner Schriftstellerei. Bodenstedt’s litterarische Bedeutung beruht nicht so sehr in absolut hohem Range als in der Originalität und Zeitangemessenheit seiner Erzeugnisse. Zwar lassen sich letztere auch unschwer zu sachlichen Gruppen zusammenfassen, die sich zugleich theilweise zeitlich einander ablösen oder wenigstens abwechselnd vorwiegen, wie ethnographische Studien über Rußland und Kaukasien, Gedichte die dieser Sphäre Stoff und Gedanken entnehmen, Uebertragungen russischer Dichter, unabhängige Lyrik und Dramatik, Uebertragungen englischer Dramen, Prosaerzählungen. Daß ihn der nüchterne Heimathsort, da „der Kunst verloren“ und nicht „durch Schönheit der Natur verklärt“, nicht angeregt hat, erzählt uns sein, biographisch wichtiges, ihn in I. v. Bronsart’s Composition tief ergreifendes Confessionspoem „Mein Lebenslauf“, wo uns B. belehrt: „Es ging kein Führer mir zur Seite, Der fördernd klugen Rath mir gab, Mir ward kein schützendes Geleite, Früh war ich selbst mein Rath und Stab; Drum schweift’ ich irrend oft ins Weite In Kunst und Wissen auf und ab“. Im übrigen erklärt er dort, außer „alten Liedern“, die die Mutter ihm vorgesungen, hätten ihn das Mühlrad, die Erle am Bach, Sturmes-, Quell- und Waldesrauschen zum melodischen Wiederklange seiner Gefühle erweckt. Trotzdem begann er erst, nach dem osteuropäischen Halbasien und Tiflis verschlagen ernstlich mit der Feder zu schaffen. Er beschäftigte sich gründlich mit russischer Sprache und Bildung, mit den Idiomen und Culturen des Kaukasus. Ein aufgeklärter Tatar, Mirza (= der Schriftkundige) Schaffý, Flüchtling eines muhamedanischen Priesterseminars in Gjândsâh in Nordpersien und an der Tifliser Garnisonschule Lehrer seiner Muttersprache, unterrichtete B. in dieser und im Persischen. Diese Studien und Lehrstunden wurden der Hauptfactor für Bodenstedt’s genannte beiden Beschreibungen sowie seine orientalisirende Poesie. Schon 1843 hatte er von Moskau aus in Jena in Druck gegeben: „Kaslow, Puschkin, Lermontow. Eine Sammlung aus ihren Gedichten“, mit einem Anhange eigener, aber trotz Beifalls der Zeitungen und Leser als übereilt vernichtet. 1845 erschienen bei Cotta, der gleichzeitig sein „Morgenblatt“ für einige auf Wanderungen im Kaukasus entstandene längere eigene Gedichte Bodenstedt’s, und die „Allg. Zeitung“ für ethnographische Artikel und Reiseberichte eröffnete, seine innig und melodisch nachfühlende Uebertragung selbstgesammelter kleinrussischer Volkslieder: „Die poetische Ukraine“. In Tiflis selbst scheint B. allerlei Materialien alten und neuen Datums, authentischen und anecdotischen Werths, Gedrucktes, Schriftliches, Mündliches-Geschichtliches, Culturhistorisches, Poetisches gesammelt zu haben, um das farbige Panorama, in das er dort und in der Runde hineingeschaut hatte, möglichst vielseitig abzuspiegeln. Nur 1½jährigem Aufenthalte im Kaukasus und seinen Grenzgebieten entsprangen die beiden Werke, die B. in weiteren Kreisen Ruf verschafften; er hat durch sie zur näheren Kenntniß des russischen Morgenlandes [54] aus Autopsie und gerade während des interessanten Studiums der Besitznahme, gegen die Held Schamyl mit seinen Scharen sich vergebens wehrten, viel beigetragen. Das 1848, nach manchen Fährlichkeiten des Verfassers und des Drucks, erschienene zweibändige Werk „Die Völker des Kaukasus und ihre Freiheitskämpfe gegen die Russen. Ein Beitrag zur neuesten Geschichte des Orients“ kam 1855 als „zweite, gänzlich umgearbeitete und durch eine Abhandlung über die [damals im Krimkriege brennende] orientalische Frage vermehrte Auflage“ wieder, worauf „Les peuples du Caucase et leur guerre d’indépendance contre la Russie pour servir à l’histoire la plus récente de l’orient par Fréderic Bodenstedt. Traduit par le prince E. de Salm-Kyrburg“ (Paris 1859) beruht. Hier stehen die Bewohner, ihre meist seltsamen Sitten und urwüchsigen Leidenschaften, voran ihre ungebändigte Freiheits-, Heimaths-, Religionstreue im Vordergrunde, und des Darstellers bewegte Anschaulichkeit verleugnet seine Sympathie nicht. In „Tausend und Ein Tag im Orient“ (2 Bde., 1850, 5. Aufl. 1891), seinem gelungensten Prosawerke, schildert B. mit Dichterpinsel, was er mit Dichterauge gesehen, ohne allzuviel die Autopsie zu betonen; das ethno- und geographische sowie das historische Element treten vielfach hinter Natur und Landschaft zurück, die beide B. allerdings überaus malerisch festgehalten hat. Trotzdem wäre das schlecht angeordnete Buch längst vergessen, wenn nicht eine Fülle anmuthigster leichtfaßlicher Lyrik zwischen die sonne- und farbeübergossenen Gemälde gesprengt wäre und dabei die romantische Person Mirza Schaffy als ihr Träger aufträte. Auf Antrieb Wilh. Schultze’s, Generalvertreters seines Verlegers Decker, erschienen im Sommer 1851 die im „Orient“ – so Bodenstedt’s übliche Abkürzung für das Buch – eingestreuten lyrischen Gedichte als „Lieder des Mirza Schaffy“ in einer Sonderausgabe und errangen bald immer zunehmende Beliebtheit.

Wie so oft in der schönen Litteratur, bestimmte hier der Zufall den Ursprung, das Hervortreten, das Bekanntwerden. Wir bemerkten oben, ohne seinen Aufenthalt in jenem Mikrokosmus asiatisch-europäischer Civilisation, als den seine beiden darstellenden Prosawerke das eben an Rußland übergehende Kaukasien hinstellen, hätte B., eigenem Zugeständnisse zufolge, großentheils niemals die geistig dort wurzelnden Blüthen der Lyrik und Gnomik der Mirza Schaffy-Poesie gepflückt. Treu, zierlich, anmuthig spiegelt B. das wider, was er dort in verhältnißmäßig kurzer Frist erschaut und in sich aufgenommen hat, und zwar war sein Blut so mit den Anschauungen, Gedanken, Trieben dieser fremdartigen Welt gesättigt, daß der in ihm aufgespeicherte Vorrath noch Jahre lang vorhielt, um ihn immer wieder, wenn auch mit stetig abnehmender Kraft, zu Tönen im Mirza Schaffy-Stile zu befähigen. Thatsächlich sind durch die überaus geschickte Wiedergabe der Scenerie und Stimmung, der Ideenmanier und des sprachlich-metrischen Gewandes auch Kenner beim Erscheinen der „Lieder des Mirza Schaffy“ getäuscht worden, sie für echt, d. h. für Uebersetzung zu halten, und dies um so eher als in dem Reiseberichte, wo sie der Erzählung eingeflochten waren, für jedes der betreffende Anlaß mitgetheilt war. Diese Dupirung – die litterarhistorisch urtheilsberufene Männer wie Rob. Prutz und Ad. Stern nicht hätten ableugnen sollen – spricht um so mehr für Bodenstedt’s Anpassungsvermögen, als durch Goethe’s „Westöstlichen Divan“, Rückert’s Uebertragungen und Nachahmungen, Leop. Schefer’s im Orient fußende pantheistische Schwärmereien, Daumer’s Nach- und Neubildungen die kundigen Leute ordentlich dafür geschult waren. Obwol nun eigentlich schon der „an Edlitam“, die kürzlich gewonnene Lebensgefährtin gerichtete Widmungsprolog Bodenstedt’s zur ersten Sonderausgabe die Wahrheit durchblicken ließ, indem er den Weisen von Gjândshâ nur als den Träger der versificirten Erinnerungen und Lebenserfahrungen des deutschen [55] Dichters hinstellte, waltete bei den meisten der Irrthum doch so lange vor, bis endlich 1874 der Anhang zu der Nachlese „Aus dem Nachlaß Mirza Schaffys“ den Schleier officiell lüftete, nachdem nach H. Brugsch’s, der (s. dessen „Mein Leben und mein Wandern“, S. 70) mit B. seit der Studienzeit gut bekannt war, negativen Erweisen (s. Brugsch, Reise der Preuß. Gesandtschaft nach Persien, 1860, I, 104) schon 1870 der russische Staatsrath Bergé in der „Zeitschr. d. dtsch. morgenländ. Gesellsch.“ (S. 425) Mirza Schaffy’s äußern Lebensgang bis zum Tode verfolgt hatte. Danach starb Mirza Schaffy, seit 1840 Lehrer des Tatarischen an Kreisschule und Gymnasium zu Tiflis, in der Nacht vom 16. auf den 17. November 1852, etwa 60 Jahre alt, war aber (S. 429) kein Dichter. Mit Ausnahme der übersetzten Nummer „Mullah, rein ist der Wein“ sind alle Gedichte der Sammlung von B. selbst gedichtet, wenn auch sein Gemüth mannichfach dafür durch Auslassungen des geliebten Lehrers, dem er sie in den Mund legt, befruchtet war. Am deutlichsten stellt B. diesen Sachverhalt dar, wo er in seinen „Erinnerungen“ (II, 319) über die erste öffentliche Mittheilung seiner kaukasischen Erlebnisse – Herbst 1848 zu Wien in Hieronymus Lorm’s (Hnr. Landesmann’s) Elternhause – angibt: „An dem, was ich ihn, Mirza Schaffy, durch meinen Mund reden ließ, war er auch wirklich unschuldig, indem ich ihn zum Vertreter morgenländischer Weisheit in bewußtem Gegensatz zu abendländischer Philosophie machte, wie sie damals noch in Hegel’schen Phrasen die wunderlichsten Blasen trieb. Er mußte Sprüche der Weisheit sprudeln, die mir als Nachklänge aus dem Orient im Gedächtniß hängen geblieben waren, zum Theil auch frisch in das Leben eingreifend erst im Augenblick des Erzählens entstanden“. Ebenda sagt B. überdies auch direct, Berthold Auerbach’s und eines kenntnißreichen Philologen aus Königsberg Ed. Wessel’s ernste Mahnungen hätten erst die Niederschrift dieser Erzählungen aus dem Orient, also doch wol auch das litterarische Auftreten der Mirza Schaffy-Poeme veranlaßt. Es läuft also auf dasselbe hinaus, wie wenn Goethe im „Westöstlichen Divan“ als Hatem spricht und er dessen Suleika ein Lied Marianne Willemer’s unterschiebt. Bodenstedt’s Lyrik, Dialektik und größtentheils auch die Epik ist, chronologisch genommen, zwar nicht „ein spätgebornes Kind ethnographischer Studien“, wie Gottschall gesagt hat, aber sicherlich nur aus der Vorbedingung seiner russisch-kaukasischen Reise mit ihren Seitenstreifereien und den dortigen Studien erklärbar. Diese, bei deutschen Dichtern seltene Specialisirung würde B. selbst nie einräumen. B. besaß unverkennbar entschiedenen Sinn für die Eigenthümlichkeit fremden Volkslebens und verfeinerte ihn in Kaukasien noch durch regen Verkehr mit zugänglichen Einheimischen und lernbegierige Umschau in Natur und Menschenthum. Er hat freilich von der gewaltigen geschichtlichen Tragödie, die sich eben damals innerhalb der breiten Landenge zwischen Kaspi- und Schwarzem Meere abspielte, litterarisch nur als Historiker Notiz genommen, aber in seiner Poesie nur die heitere Lebensweisheit, die er dort einsog, und die zonengemischte Natur – halb Lenzesparadies, halb Steppen- oder Alpenwildniß – die er dort durchwanderte, wieder erstehen lassen und seines Lehrers Mirza Schaffy „an Hafis anklingende Weisheitslehren mit vieler Grazie offenbart“ (Gottschall). Stofflich berührt uns, sobald man sich mit dem Milieu abgefunden hat, kaum ein Thema fremdartig; denn, abgesehen von öfters augenscheinlichen Einflüssen Heine’s – dessen „Romanzero“ B. übrigens gerade beim gleichzeitigen Erscheinen des Mirza Schaffy-Bändchens „sehr schlecht“ nennt –, auf hafisische Variationen des Pseudo-Lutherspruchs von Wein, Weib, Gesang führt der Inhalt fast stets zurück, und man kann letzterem weder Gediegenheit noch Tiefe nachrühmen. Ein gutmüthiges und gemüthliches Epicuräerthum harmlosen Schlags breitet sich da in einschmeichelndster Form vor uns aus, das im ganzen Habitus an Horaz [56] gemahnt, ja, diesen in der völligen Abkehr von ernsten Tagesfragen noch übertrifft. Ad. Bartels wirft den Gedichten sogar lyrische (was höchst ungerecht ist) und geistige Armseligkeit vor, ihren großen Leserkreis aber dankten sie neben ihrer Munterkeit und Frische „der Polemik gegen das Pfaffenthum“. Schon weil letztere höchstens die heuchlerische Ascese des muhamedanischen Clerus jener Sphäre aufs Korn nimmt, schlägt dieser Grund nicht durch, und R. M. Meyer (s. unten) wies richtig Fritz Mauthner’s („Nach berühmten Mustern“) Epigramm „Ein arger Feind der persischen Priester ist er, … Zu Hause nur ein trister Philister ist er“, zurück, soweit es etwa von B. Kampf gegen die deutsche Geistlichkeit erwarte. So ist auch das schwere Geschütz unverständlich, mit dem der gelehrte Eifer des Jesuiten Kreiten nach Bodenstedt’s Tode Mirza Schaffy’s Ethik vom katholisch-dogmatischen Standpunkte zusammenschoß, wo die weitestverbreiteten strengkatholischen Handbücher der deutschen Litteratur, Lindemann (dieser sagt freilich auch „die anmuthig einschmeichelnden, aber oft fast sündhaften Klänge“) und Brugier, längst und bis heute ihm vollstes Lob gereicht haben. Ebensowenig dürfen aus Mirza Schaffy’s abfälligen Worten über bestechliche Veziere und dergleichen irgendwelche maskirte Anwürfe wider deutsche Beamte oder überhaupt heimathliche politische Zustände herausgelesen werden. Im Gegentheil! Schicksalbewegende Probleme haben B. nie das Dichterhirn bedrückt, und so war auch der Ton, auf den seine Mirza Schaffy-Lieder gestimmt sind, eben wie geschaffen für die politiksatte deutsche Bourgeoisie während der Periode ihres Auftretens. Eben darum braucht das allmähliche Zurücktreten der einst so allgelobten und im einzelnen bis heute noch vielcitirten Gedichte aus dem allgemeinen Gesichtskreise seit dem Neuerstarken unseres politischen Volksbewußtseins, das auch eine kräftigere, deutschen Gehalts und Gedankens vollere Kost verlangt, nicht wunder zu nehmen. Die unablässigen Auflagen (die 1. 1851, die 10. 1861, die 38. 1871, die 102. 1881, die 137. 1891, die 159. 1901) strafen diese Behauptung nicht Lügen, die „L. d. M. S.“ sind eben längst ein allgemeines, auch vortrefflich passendes Geschenk für den Salon, auch für den Nipptisch der „Herzensflamme“ geworden. Freilich solche unvergleichliche Erfolge müssen greifbare Ursachen haben, und deren geben die Betrachtungen aufmerksamer Litterarhistoriker wie R. Prutz, Hnr. Kurz, R. Gottschall, Ad. Stern, Ludw. Salomon, E. Ziel, R. M. Meyer u. A. genug an die Hand. Eine Nebeneinanderstellung z. B. des Prutz’schen Votums von 1858 und des Meyer’schen von 1899 liefert helle Schlaglichter für die Verschiedenheit der Gesichtspunkte, von denen aus gleichzeitige und heutige Kritiker mit der überraschenden Erscheinung sich abzufinden bemüht waren. Rob. Prutz führte u. a. unter dem unmittelbaren Eindrucke des beginnenden Triumphzugs Mirza Schaffy’s aus: „Er lehrt auch das Evangelium der Freude, aber er lehrt es eben als ein Evangelium, nämlich nicht bloß für sich, sondern für alle, die ganze Menschheit will er froh und glücklich wissen, weil Glück und Freude gut machen und weil nur die Bösen verdrießlich sind … Ist M. Sch. erhaben in seiner bacchischen Heiterkeit und seinem unzerstörbaren Gleichmuth, der darum doch nichts weniger als Gleichgültigkeit gegen das Gemeine und Niedrige ist, so ist er nicht minder erhaben, wo er den Heuchlern die Larve vom Gesicht reißt …; berauscht uns der süße Duft der Rosenblätter, die er seiner Geliebten in den Busen streut, so entzücken uns nicht minder die Pfeile, die er gegen die Feinde der Wahrheit und der Schönheit sendet, und auch diese Pfeile sind noch mit Rosen umwunden … Dazu kommt dann noch die außerordentliche Virtuosität, mit welcher B. in diesen Gedichten die Sprache zu behandeln weiß und die, weit entfernt von jenen Künsteleien und geflissentlichen Verrenkungen, in welche der Altmeister dieser Richtung, Rückert, nicht selten verfallen ist, jederzeit ebenso [57] einfach und natürlich, wie klar und verständlich bleibt“. In demselben Gleise wie Prutz’, des Liberalen der 48er Epoche, Charakteristik eines Zeitgenossen aus den Jahren, da man von B. noch Hervorragendes hoffte, ergeht sich bezüglich Mirza Schaffy’s Ad. Stern’s warmherziger, milder Nekrolog, der die glückliche Mischung von Stimmung und Verständigkeit, auch das Maaß in orientalischer Lebensanschauung und Rhythmik hervorhebt. Der moderner urtheilende Salomon und besonders die derb kritischen R. M. Meyer und A. Bartels legen eine schärfere Sonde an, ja, streifen stellenweise schon an den Spott, mit dem die Jüngstdeutschen die Generation Bodenstedt’s übergossen haben und von dem B. selbst am herbsten sein Theil abbekommt in dem von Irrthum und Beleidigung strotzenden Gedichte auf den dazumal noch Lebenden („F. v. B.“) bei Arno Holz („Buch der Zeit“, 1886), worin es z. B. heißt: „Kein Mensch ist mehr zuleikatoll, Dein Bülbülschwindel ist verkracht … Dein Witz ist ledern zum Krepiren“, worauf sich ein Schwall von Unflath ergießt. Daneben nehmen sich freilich Parodien wie Mauthner’s oben angezogene, noch mehr stofflich angelehnte Travestien, denen jeder Ulk wider B. und sein Dichten fernliegt, die von C. v. St. (in Nagel’s Witzblatt „Fisimatenten“, s. bei Schenck, „B.’s Briefe“), die in der matten Broschüre „Mirza Schaffy im Deutschen Reichstag“ (s. ebd.) oder C. Crome-Schwiening’s (Pseudonym: Abdullah-Aga) Humoreske „Mirza Schaffy im Waffenrock. Ein lustiges Vademecum für den Einjährig-Freiwilligen“ (1884), die drei Bändchen Herm. Cl. Kosel’s (Wien) „Lieder des Mirza-Schaffy, satir. Gedichte“ (1897), „Neue Lieder des Mirza-Schaffy, polit. Satire“ (1898), „Mirza-Schaffy bei den Sezessionisten, satir. Gedicht“ (1898), harmlos aus. Es ist dabei der Thatsache zu gedenken, daß Componisten vom Range Spohr’s, Marschner’s, Rubinsteins, mit besonders liebevoller Hingabe und ständigem Contacte mit dem Dichter seine genannte Freundin Ingeborg von Bronsart (mit deren Gatten zusammen B. für sie den Operntext „Hiarne“ schrieb) viele seiner Lieder in Musik gesetzt haben und daß die ganze Sammlung in fast alle europäischen Sprachen (z. B. holländisch von A. Th. van Krieken 1875, englisch von E. d’Esterre 1880, italienisch von G. Rossi 1884, polnisch von Dzialoszye 1888, serbisch als eins der Hauptwerke des Nationaldichters Z. J. Jovanovic), ja, ins Hebräische (von J. Choczner, 1868) und Tatarische übersetzt wurde. Als Emil Pohl 1886 für den bekannten Millöcker ein Operettenlibretto „Die Lieder des Mirza-Schaffy“ (Première 5. Nov. 1887 in Berlin) mit winziger Anlehnung an B., aber frei erfundener Handlung schrieb, gabs einen kleinen Conflict mit dem eitlen Namensvater.

Die meisten Litterarhistoriker constatiren in Bodenstedt’s gesammtem ferneren poetischen Schaffen einen starken Rückgang, selbst da, wo ihn die orientalisirende Manier neu in ihren Bann zog. Will man gerecht sein, so räume man ein, daß B. zwar, trotzdem er sich redlich abplagte, aus andern Dichtgefilden keine reife und volle Ernte in den Schoß fiel, er aber andererseits in der Lyrik noch eine Fülle bleibender Früchte einheimsen durfte, außerdem als Versepiker und Uebersetzer höchst anerkennenswerthe Leistungen hervorgebracht hat, wenn diese auch weder den großen, theilweise langjährigen Mühen, den vielen darum gemachten Worten und seiner damit verbundenen hohen Selbsteinschätzung gleichkommen. Die drei Sammlungen „Gedichte“ (1851), „Aus der Heimath und Fremde“ (1856), „Altes und Neues“ (1859) zeigen, im Gegensatze zu dem jugendlich unklaren Ueberschwang oder antireactionären Groll der meisten Altersgenossen Reflexionen im Goethe’schen Gleise, durchweg einen ethisch gehaltvollen, zur Beschaulichkeit neigenden Grundzug, können sich von Anklängen ans Morgenland, an Byron, Puschkin und deren Manier nicht freimachen. Sie enthalten, wie Gottschall sagt, einzelne prächtige Naturbilder und vortreffliche Schilderungen, auch Didaktisches [58] von Werth, aber im ganzen überwiegt die formale Seite, die Fertigkeit der Aneignung, die Sicherheit technischer Begabung. Aehnliches gilt für „Einkehr und Umschau. Neueste Dichtungen“ (1876), „Aus Morgenland und Abendland. Neue Gedichte und Sprüche“ (1882) und „Neues Leben. Gedichte und Sprüche“ (1886). Ganz und gar im Fahrwasser des lyrischen Debuts bewegt sich B. in der Sammlung von 154 Gedichten in der 2. Auflage von 1874 „Aus dem Nachlasse des Mirza Schaffy“ (1874; 17. Aufl. 1891). Gottschall, der da auf „allerlei funkelnde Edelsteine und manche werthvolle Gedankenperlen, wenn auch M. S. etwas älter geworden ist, statt der dithyrambischen Feier von Wein und Liebe das Gnomische, die Sprüche der Weisheit vorzieht“, stößt, und Salomon, dem die Liebeslieder und die Sprüche der Weisheit sehr gefallen, vermerken hier sogar in gewissem Grade einen Fortschritt. Jedenfalls huldigt der Dichter hier, wo er im „Nachwort“ officiell den Schleier der Verfasserschaft lüftet, reiferer, mehr beschaulicher Lebensweisheit. „Der Sänger von Schiras. Hafisische Lieder verdeutscht“ (1877, 3. Aufl. 1884) und „Die Lieder und Sprüche des Omar Chajjâm verdeutscht“ (1881, 4. Aufl. 1889), welch letzteres Unternehmen mit A. F. Graf Schack’s, eines Münchner guten Bekannten Bodenstedt’s (schwermüthige Elegie auf Bodenstedt’s Tod in Schack’s „Episteln und Elegien“, 1893) „Strophen des Omar Chajjâm“ (1878) in Concurrenz trat, geben sich als „durchaus sinngetreue Verdeutschung“ („Erinnerungen“ I, 419) mittelalterlicher Gefühls- und Spruchpoesie des muhamedanischen Westasien, freilich gewiß mit mancher Modelung, weil doch jene durch Bodenstedt’s Brille gesehen sind. „Der Sänger von Schiras“ schloß sich enger an Hafis an als G. F. Daumer, der doch dem Persischen nicht in dem Grade näher getreten war wie B. Durchaus anmuthig und leichtbeflügelt sind die Verse und haben graziösen Schwung; keine Verrenkungen künden die mühselige Arbeit des Uebersetzens, kein Ballast schwerfälliger Worte und Wendungen überlastet den munteren Gang der lebensfreudigen Vierzeilen.

Seine epischen Dichtungen hat B. mit ganz besondern Erwartungen hinausgeschickt; vor allen „Ada, die Lesghierin“ (1852), die den Verzweiflungskampf der Tscherkessen gegen das russische Joch verherrlicht. Die farbige Schilderung des kühnen Berg- und Reiterstamms innerhalb der imposanten wilden Gegenden und mit den altererbten Sitten hält sich auf dem Niveau der beiden Prosadarstellungen seiner asiatischen Ausbeute, nur daß der Griffel des Poeten noch breiter und wärmer in Bildern aus jener exotischen Sphäre schwelgt, die schließlich wie Schlingpflanzen Handlung und Charakteristik nicht vorwärts kommen, ja verkümmern lassen. Geschlossenere Composition, eine erfreuliche epische Schlicht- und Knappheit, dabei eine, ihm öfters glückende, leise Laune weisen Bodenstedt’s kleinere „Epische Dichtungen“ (1862) auf, die er Jahre lang in Aussicht gestellt hatte, bis er, an ihnen endlich seinen Wünschen einigermaßen genügend, zu viel gebosselt hatte. „Harun und Habakuk“, „Nino“ und „Der Edelfalk“ sind erfreuliche Beispiele dieser Kleinkunst, wie sie das romanische Mittelalter glänzend übte. In „Andreas und Marfa“ dagegen disharmoniren die tragische Schwere des Stoffes, Nowgorod’s Fall und des Großfürsten Iwan des Schrecklichen Wüthen, mit der glatten, klingenden Spenserstanze. Unter Bodenstedt’s epische Versuche in gebundener Rede rechnen aus späterer Zeit ferner „Theodora. Ein Sang aus dem Harzwald“ (1891), gleichsam sein, nicht eben ruhmvoller Schwanengesang, und, an kunstvoller Beschreibung mit bunten Einzelscenen „Ada“ vergleichbar, „Sakuntala. Eine Dichtung in fünf Gesängen“ (1887); sie lehnt sich freilich eng an Kalidasa’s herrliches altindisches Drama an, das B. in einer der zahlreichen Verdeutschungen, vielleicht in der des ihm mannichfach verwandten Rückert, vorgelegen haben muß. Seit 1863 war B., der Noth gehorchend, wie [59] er öfters hervorhebt, nicht dem eigenen Trieb, in der Prosaerzählung sehr thätig. Hierher gehören: „Kleinere Erzählungen“ (1863), die eigene Erlebnisse verwerthen wollen, und eine lange Reihe von Romanen und Novellen: „Ernst Bleibtreu“ (1863), „Aus deutschen Gauen“ (2 Bde., 1871; 4. Titel-Aufl. 1882), „Vom Hofe Elisabeths und Jakobs“ (2 Bde., 1871; 4. Titel-Aufl. 1882), an sein Interesse am classisch-englischen Drama anknüpfend, rein geschichtliche, wenn auch freigestaltete Bilder, „Kleine Geschichten aus fernem Land“ (1872), „Das Herrenhaus im Eschenwalde“ (3 Bde., 1872; 3. Titel-Aufl. 1878), „Gräfin Helene“ (1880), „Die letzten Falkenburger“ (1887), „Eine Mönchsliebe. Das Mädchen von Liebenstein“ (1887), „Feona. Ein Mißverständniß“ (1887), „Die Zigeunerherberge. Die feindlichen Nachbarn“ (1889), „Thamar und ihr Kind. Die geheimnißvolle Sängerin. Oheim und Neffe“ (1889), „Priuthina. Hugo und Hulda“ (1889); eine Sammlung vereinigte mehrere davon unter dem Titel „Erzählungen und Romane“ (1871–72; 2. bezw. 3. Titel-Aufl. 1874–78). In gewandtem, wenn auch oft wesentlich referirend, Deutsch geschrieben und sinnvoll sind sie ja fast alle, jedoch ohne hervorstechende Eigenthümlichkeit und in der Erfindung oft recht arm, die längeren daher viel zu weit ausgesponnen. B., einer der liebenswürdigsten und von Geschichtchen und Einzelscenen übersprudelndsten mündlichen Erzähler, entbehrte der Technik des Romanciers sowol formell nach Gliederung und Gruppirung der Vorgänge wie auch betreffs der innerlichen Zeichnung und Verwebung, er behandelt seine Gestalten meist wie ein Biograph. Längst ist man über die Mehrzahl dieser, zum Theil aus dem Aermel geschüttelten Arbeiten zur Tagesordnung übergegangen.

Von Bodenstedt’s Wirksamkeit für die Bühne zu sprechen, erheischt eigentlich nur die Vollständigkeit. Für das Drama war B. nicht beanlagt, und es zeugt drastisch von seiner geringen Selbstkenntniß, daß er gerade hier nach Lorbeeren geizte. Trotz einiger Originalität und dichterischer Schönheiten ermangeln die fünf einschlägigen Schöpfungen des dramatischen Rückgrats und des bühnenmäßigen Zuschnitts. Die Tragödie „Demetrius“, 1856 König Max II. gewidmet, mit manchem lebendigen Genrebild, aber ohne dramatische Gedrungenheit, vervollständigt zwar nicht Schiller’s Torso durch einfachen Ansatz, erhält aber, trotz der Absicht einen Neubau zu errichten, sich wie Hebbel und H. Grimm an Schiller’s Plan lehnend, des Meisters Annahme aufrecht, daß der Prätendent auch nach der Enthüllung der Unechtheit bei seinen Ansprüchen verharrt. Das Lustspiel „König Authari’s Brautfahrt“ (1860) vermag das komische Motiv in dieser altgermanischen Mär des Paulus Diakonus von der Werbung des Langobardenkönigs Authari um die bairische Prinzessin Theudelinde nicht durch Straffheit in Aufbau und Charakteristik herauszuholen. Als B. 1875 auf Antrieb des ihm eng befreundeten Bronsart von Schellendorf’schen Ehepaares in Hannover Wohnsitz nahm, zog er diese „alte Komödie“ auf 2 Acte zusammen, und der Intendant brachte sie mit leidlichem Erfolge zur Aufführung wie auch Bodenstedt’s Lustspiel „Wandlungen“, dessen selbsterlebten Stoff ihm sein Verleger Decker über ein Jahrzehnt früher als Roman „Deutsche Wandlungen“ – der nie erschien – honorirt hatte. „Kaiser Paul“, mit „Wandlungen“ zusammen 1876 als „Theater“ gedruckt, wol das einzige Werk Bodenstedt’s, in dem eine bedeutende theatralische Spannung zum Ausdruck kommt, durfte aber aus politischen Gründen in Hannover nicht über die Bretter gehen, obwol B. sich deshalb mit einem vertheidigenden Gutachten Bronsart’s selbst an den Zar Alexander II. – ohne Antwort – wandte. Das poetisch gehaltvolle hellenische Culturbild „Alexander [d. Gr.] in Korinth“ (1876, dann neu bearbeitet 1881, als Manuscript und 1883 wiedergedruckt) errang in Hannover wiederholt, dann auch in Berlin und Wiesbaden, mit H. v. Bronsart’s Musik zu etlichen Scenen [60] herzlichen Beifall. Das von H. v. Bronsart zuerst 1857 entworfene altskandinavische Libretto „Hiarne“, für dessen Gattin Ingeborg zu componiren, arbeitete auf beider Wunsch B. theilweise um, so wie es dann in seiner Sammlung „Einkehr und Umschau“, erschien; der Text der Gesänge „Hiarne. Große Oper in 3 Acten und 1 Vorspiel von H. v. B. und Fr. B. Musik von I. v. B. Weimar 1894“ ist nicht im Buchhandel, die Oper wurde vorgeführt in Berlin, Weimar, Leipzig, Hamburg, München. Den richtigen Ton traf B. im Gelegenheitsstück („Festspiel zur Jubelfeier des hundertjährigen Geburtstages Friedrich Schiller’s in München“, 1859, u. a.); kein Wunder! lag doch seine beste Kraft im ersten Wurfe, wies ihn doch sein Talent stofflich am meisten auf die Gelegenheitsdichtung, und trägt er doch viel vom Improvisator – als solcher brillirte er öfters – an sich.

Eine überaus ausgedehnte Betriebsamkeit hat B. als Uebersetzer bekundet. Seinen hohen Rang in dieser Function übertreibt man nicht mit dem Einverständnisse zu folgender Notiz des Nachrufs der Wiener „Neuen Freien Presse“ auf den, 26. September 1900 verstorbenen Chirurgen und Uebersetzer (aus dem Czechischen) Eduard Albert: „Albert hat nach den großen Vorbildern Herder, Goethe, Platen, Rückert, Freiligrath, Bodenstedt, eine fremde Litteratur für die deutsche und für die Weltlitteratur erobert“. Und zwar hat B. hier außer dem besprochenen vielfältigen, bald mehr, bald minder freien Umgusse orientalischer Vorlage die beiden Sprachgebiete in Angriff genommen, die er auf dem Universitätskatheder und litterarhistorisch behandelt hat: Russisch und Englisch. Aus den Revieren des ersteren schlossen sich an die selbstunterdrückte Auswahl aus Kaslow, Puschkin, Lermontow von 1843 und die ukrainischen Volkslieder von 1845 an: „Michaïl Lermontoff’s Poetischer Nachlaß, zum Erstenmal in den Versmaßen der Urschrift aus dem Russischen übersetzt, mit Einleitung und erläuterndem Anhange versehen“ (2 Bde., 1852), „Alexander Puschkin’s Poetische Werke, aus dem Russischen übersetzt“ (I. Bd.: Gedichte, 1854; II. Bd.: Eugen Onägin, 1854; III. Bd.: Dramatische Werke, 1855), zwei längst anerkannte wohlgelungene Leistungen, endlich Iwan Turgénieff’s, mit dem er damals in lebhaft freundschaftlichem Briefwechsel stand, „Erzählungen“, (2 Bde., 1864–65), worüber der Uebersetzte schrieb: „Alles ist vortrefflich und kann gar nicht besser sein“ und bezüglich der Vorrede, sie enthalte „viel zu viel Schmeichelhaftes“; der Briefwechsel Bodenstedt’s mit dem völlig westeuropäisch gebildeten russischen Dichter ist sehr lehrreich. Außerdem brachte der 7. Band der „Gesammelten Schriften“ 1866 neben Lermontoff’s „Ismaïl-Bey, eine morgenländische Sage“ von Kolzoff, Feth, Puschkin je mehrere, von vielen andern Russen einzelne lyrische Gedichte. Treffliche Verdeutschungen brachte die Auslese „Shakespeares Zeitgenossen und ihre Werke“ (3 Bde., 1858–60), deren mißverständliche Anlage und Ausführung eine Auseinandersetzung mit Fr. Hebbel nach sich zog; dieser stellte Bodenstedt’s Vorrede-Notiz von der Vorbildlichkeit solcher Talente neben dem Genie die These entgegen: das Genie spreche das allgemeine Gesetz in der Kunst aus, das man aufnehmen könne, die Inspiration freilich nicht. Diese Sammlung war nicht bloß darin eine Auswahl, daß sie von John Webster, John Ford (diesen zweien war je ein Band zugetheilt), John Lilly, Robert Greene, Christoph Marlowe nur einige Dramen vollständig gab, andere auszog, sondern in der Heraushebung einzelner Auftritte, die durch etwas äußerlichen verbindenden Text nicht soweit zusammengehalten waren, um das dramatische Gefüge unentstellt zu lassen. Außerdem taxirte B. diese Bühnendichter sowie seine That, sie in Proben fürs große Publicum zu erwecken, viel zu hoch. „William Shakespeare’s Sonette in deutscher Nachbildung“ (1862, in Pracht- und Volksausgabe; 5. Aufl. 1892), knapp in Einleitung, Anmerkungen und Erörterung [61] der ästhetischen und litterarhistorischen Fragen war eine musterhafte, dazu hochverdienstliche That, da sie diese merkwürdige wundervolle Lyrik, nun seit mehreren Jahrzehnten ein Zankapfel der biographischen Forschung, der deutschen Lesewelt mit Erfolg erobert haben dürfte. Ein großes Unternehmen, lange geplant und vorbereitet, schließlich ohne all die beabsichtigten Beigaben durchgeführt, ist: „Shakespeare. Dramatische Werke übersetzt von Fr. Bodenstedt, N. Delius, O. Gildemeister, G. Herwegh, P. Heyse, Herm. Kurz, A. Wilbrandt“, von B. herausgegeben (1866–72; 8., illustr. Aufl. 1897), in 38 Lieferungen erschienen, wovon je eine 1 Stück enthält, darunter von B. selbst: Der Sommernachtstraum, Sturm, Maß für Maß, Kaufmann von Venedig, Hamlet, Othello, Romeo und Julia, Macbeth, mit kurzen, nirgends das Nächstliegende überschreitenden Einleitungen und Anmerkungen, die an Ausführlichkeit und Akribie hinter anderen Theilnehmern, z. B. Gildemeister zurückstehen, die 38. von ihm: „William Shakespeare. Ein Rückblick auf sein Leben und Schaffen“. Außer seinen Beiträgen zum „Jahrbuch der deutschen Shakespeare-Gesellschaft“ nahm er noch eigens „Shakespeares Frauencharaktere“ (1874; 4. Aufl. 1887) vor: 23 Abschnitte, mit einem begeisterten Vorwort (S. VII–XIII) gegen den ungenannten G. Rümelin für Shakespeare, seine weiblichen Figuren, Menschenkenntniß und Bühnenklarheit eintretend. „Aus dem Nachlaß Bodenstedt’s“ trat in Westermanns Illustr. Dtsch. Monatsheften Bd. 78, S. 123–124 eine flotte Uebersetzung des Remerciment au roi aus Molière’s wenig bekannten Poésies diverses, eines Spotts auf die Antichambre, ans Licht. Ferner veröffentlichte B. 1861 „Aus Ost und West. Sieben Vorlesungen“, die neben seinen morgenländischen Studien die beginnenden englischen lebendig werden lassen: 1. Ueber slavische Volkspoesie. 2. Der Kreml in Moskau als Träger und Mittelpunkt der russischen Geschichte. 3. Peter der Große. 4. Die Stellung der Frauen im Orient und Occident. 5. u. 6. Ueber Shakespeare und die altenglische Bühne. 7. Das russische Theater in seiner socialen Bedeutung. Sodann 1862: „Russische Fragmente. Beiträge zur Kenntniß des Staats- und Volkslebens in seiner historischen Entwickelung. Eingeleitet und herausgegeben von Fr. Bodenstedt“ (2 Bde., 1862). Von B. sind darin nur I S. V–XXVII das Vorwort und I S. 1–37 die Einleitung geschrieben; beide bringen, meist nach Autopsie, eingehende Mittheilungen über das neuere Rußland in innerpolitischer und socialer Hinsicht, wobei stets der Gegensatz und Unterschied des Deutschthums deutlich hervorgehoben wird. Die zehn eingehenden Abhandlungen selbst sind von Russen, geschichtlichen, staats- oder volkswirthschaftlichen Inhalts und größtentheils von Oberlieutenant Chrn. Schmitt, früherem Zuhörer Bodenstedt’s, übersetzt. Schließlich gab B., von verschiedensten Dichtern und Malern unterstützt, Anthologien heraus: „Album deutscher Kunst und Dichtung“ (1867; 8. Aufl. 1892), „Kunst und Leben. Ein neuer Almanach für das deutsche Haus“ (1877–79; III. von J. Kürschner redigirt), „Verschollenes und Neues. Ein Dichterbuch aus Deutschland und Oesterreich“ (1.-3. Aufl., 1877–78), „Liebe und Leben. Eine Sammlung deutscher Lyrik“ (1892; 3. Aufl., vermehrt von Frida Schanz 1895, Neubearbeitung von Carl Coutelle’s bekannter ‚Anthologie für Geist und Herz‘ „Pharus am Meere des Lebens“ (2 Thle., 21. u. 11. Aufl. 1890/92, 25. u. 14. Aufl. 1901), „Erinnerungen aus meinem Leben“ (I. 1. u. 2. Aufl. 1888; II. 1888, 2. Aufl. 1890), gewähren der Knabenzeit dürftigen Raum und brechen 1850 ab; zum angekündigten dritten Bande fehlen, wie die Wittwe Frühjahr 1900 auf Anfrage mittheilte, im Nachlasse die Materialien. Im ganzen gilt von diesem ungleichmäßigen, oft arg selbstberäuchernden Memoirenwerke Stern’s („Studien“, s. u.) mild gefaßtes, biobibliographisch richtiges Urtheil: „Hätte B. seine Erinnerungen in zusammenhängender, gedrängter Folge geschrieben, so würden [62] wir um ein interessantes, farbenvolles Buch reicher sein. Da er jedoch in den verschiedenen Erinnerungsblättern ‚Aus meinem Leben‘ nur einzelne Episoden seines früheren Daseins mit einer gewissen Breite dargestellt hat, so bleiben wir für die wichtigsten Entwickelungsjahre … auf äußere Thatsachen und kurze dunkle Andeutungen über innere Erlebnisse und Stimmungen verwiesen, die sich in den verschiedenen Ansätzen zu einer Selbstbiographie wie in Vers und Prosa Bodenstedt’s da und dort zerstreut finden“. Bodenstedt’s jederzeit flüssige Erzählergabe machte ihn oft zum Plauderer. Als ob es keine Falschheit und Arglist auf Erden gäbe, theilte er unbedacht den vielen, die sich an ihn drängten oder in deren Aufrichtigkeit er sich zumeist, am drastischsten bei seinen häufigen Verlegenheiten, trog, die vertraulichsten Einzelheiten seiner eigenen oder damit zusammenhängender Verhältnisse mit. So trugen genug Leute Geschichtchen von ihm herum, und noch heute circuliren Dutzende von Anekdoten aus allen Abschnitten seines Lebens, wie sie insbesondere anläßlich seines Todes ausgepackt wurden, so die oberflächlichen „Bodenstedt-Erinnerungen“ des Lustspiel-Fabrikanten Robert Misch (Berlin. Tagebl. 1892, Nr. 201, 1. Beibl.). Wie konnte es schließlich aber auch anders sein, da in Bodenstedt’s ganzem Dasein sich eigentlich Episoden aneinander ketteten und demgemäß sein autobiographisches Werk wesentlich abgerissene Begebenheiten zusammenfügte.

B., in dreifacher litterarischer Wirksamkeit bemerkenswerth, als Dichter, Uebersetzer und Culturhistoriker, rechnet zu den vielseitigsten, rührigsten und auch bekanntesten Männern der Feder zwischen dem Sturm und Drang des „Vormärzes“ und den zwiespältigen Strömungen der Gegenwart, die ihn ja vergessen will, obwol Lieder und Spruchverse von ihm wie anonym Tausenden geläufig sind und seine Aneignungen russischer und englischer Meister vorläufig unentbehrliche Leistungen bleiben. Aber man muß diesem Schriftsteller eine genauere Rücksicht nicht etwa deshalb angedeihen lassen, weil er eine innerlich bedeutsame, beherrschende Erscheinung gewesen wäre, die unserer poetischen Litteratur irgendwo Regel und Richtschnur dictirt oder sonstwie auf geistigem Felde größere Kreise gezogen hatte. Vielmehr dient als Hauptursache für die Gründlichkeit, die sein Lebensbild fordern darf, die auffällige Existenz dieser keineswegs genialen Persönlichkeit: diese verleugnet in den Begebenheiten des äußeren Lebens ein gewisses Schmetterlingswesen ebensowenig wie beim litterarischen Schaffen. Nie ist der unstete B. als Mensch oder als Schriftsteller auf völlig sichern Boden gerathen, der seine flackernde Unruhe gezähmt, seinem Wanderfuße wirklichen Halt gewährt hätte; ja, die scheinbar am meisten gefestete Periode seines Daseins, das Dutzend Münchener Jahre, entbehrt der inneren Harmonie ganz besonders und überhob den Dichter durchaus nicht der Nothwendigkeit geschäftsmäßigen litterarischen Kleinerwerbs. In keiner Weise zum Herrschen geboren, ermangelt er auch damals im äußerlichen Glanze jedes Ansatzes zur Energie, Mitstrebende oder Nachwuchs unter seine Art zu beugen. Trotzdem gebührt ihm eindringliche Aufmerksamkeit; denn er ist ein Typus der unpolitischen Litteratur der Reactionsepoche nach 1848, mit der er zuerst vor ein weiteres Publicum trat, auch darin, daß er, wie Redwitz, Roquette u. A., eben damals mit einem dichterischen Erstling außerordentlichen Ruf errang und seitdem wissentlich als Vater dieses Sprossen gilt. Mit eben diesem, dem Mirza Schaffy, ist B. aber ferner nicht nur neben Scheffel der „aufgelegteste“ deutsche Dichter geworden, der damit sogar Geibel’s „Gedichte“, den prägnantesten Niederschlag deutscher Hauspoesie in der Epigonenära, übertraf, sondern vermöge der Besonderheit dieser ersten und gelungensten Concentration seiner Muse und der Umstände bei der Geburt dieses Geisteskindes in alle Cultursprachen eingedrungen, ein litterarischer Weltbürger – B. ist einer der wenigen neueren deutschen Dichter, die des kundigen J. Parmentier [63] französischer Abriß der deutschen Literatur (361 S., 1894) nannte – wie er sein Lebtag ein Reisender war, und hat, lange Zeit, theilweise bis heute, unter dem Namen des genannten orientalischen Titelträgers, sein Stück deutscher Dichtkunst international werden sehen. In dieser doppelten Hinsicht eine wichtige Strecke lang mit diese zu repräsentiren, darf er sich rühmen, wie er es auch, ungeachtet ihm der universelle historische Blick fehlte, gethan hat. Außerdem verkörpert B. die Gattung deutscher Hofdichter des 19. Jahrhunderts am entschiedensten: in der Intensität seiner Abhängigkeit von fürstlichen Patronen zunächst, aber auch in der Ausdehnung dieser Protection, die nicht bei den drei merklichsten neueren Dichtergönnern auf deutschen Thronen, Ernst II. von Coburg-Gotha, Max II. von Baiern, Georg II. von Meiningen, stehen blieb. Mit dieser Thatsache und Bodenstedt’s Zug zum Interessanten, Persönlich-Pikanten hängt es zusammen, wenn man unter seinen Erlebnissen auf allerlei merkwürdige Dinge stößt und seine Gestalt dadurch größere Anziehungskraft ausübt.

Hauptquelle für den älteren Theil der Biographie die „Erinnerungen aus meinem Leben“, im Alter theilweise mit Benutzung einzelner alter Notizen niedergeschrieben, mit Vorsicht zu gebrauchen, zumal bei der arg lückenhaften Chronologie. Sehr wichtig und für viele Einzelheiten einzige Grundlage ist der, zeitlich genau an die Memoiren anschließende Band „Friedrich von Bodenstedt. Ein Dichterleben in seinen Briefen 1850–1892. Herausgegeben von Gustav Schenck“ (1892). Schenck ist seit Jahren Inhaber des Hauptverlags der Werke Bodenstedt’s, auch des der 12 Bände „Gesammelte Schriften“ (1867–69), und theilt hier den größten Theil der Geschäfts- und Privatcorrespondenz des ihm gut bekannten B. an die Firma Decker (s. o.) mit, mit vielen Erläuterungen (meist über Personalien), Beigaben und einer Gesammt-Bibliographie; Urtheile darüber s. Jahresber. f. neuere dtsch. Litteraturgesch. IV. Bd. IV 1c 88 u. 2b 70, K. Jentsch Frkf. Ztg. 1894 Nr. 9, 1. Morgenbl., Konserv. Monatsschr. 1894 S. 663, R. George i. Der Bär, Bd. 20 S. 279. Authentische Angaben scheinen geflossen zu sein für den Artikel über B. im J. 1867 beendigten Stereotyp-Abdruck der 2. Auflage von Meyer’s Konversationslexikon III (1869) S. 658 f. und Register-Text s. v. Mit Benutzung eines von B. corrigirten Ausschnitts ist des Unterzeichneten Artikel in Brockhaus’ Konversationslexikon“ 14 III, 197 f. geschrieben, ähnlich scheints bei Brümmer, Lex. d. dtsch. Dicht. u. Pros. d. 19. Jhs.4 u. 5 I, 144–146. Kürschner’s Dtsch. Litteraturkalender XIV (1892) s. v. die letzte von B. revidirte Bibliographie (nicht ganz genau). Solche nebst von B. unterstützten Lebensabrissen bei Lüben u. Nacke, Einführung i. d. dtsch. Lit.9 III, 620–623, und K. L. Leimbach, Dtsch. Dicht. d. Neuzeit u. Gegenwart I (1884) s. v. Mit Bodenstedt’s Hülfe zusammengestellt ist die in den darstellenden Abschnitten leider russisch abgefaßte, also den meisten Freunden Bodenstedt’s und Litterarhistorikern fast unzugängliche Monographie „Poet i Professor Fridrich Bodenstedt 1819–1887“, deren 4 Capitel (aus dem russischen Journale „Russkaia Starina“ (Petersburg 1887) abgedruckt sind (mir zugänglich von der Frhr. C. v. Rothschild’schen Oeffentl. Bibliothek Frankf. a. M.): I. Skizze einer Lebensbeschreibung; II. Erinnerungen aus dem Aufenthalte desselben in Rußland 1841–1845. III. Briefwechsel I. S. Turgenjews mit Fr. B. 1861–65 (alle Briefe auch französ. od. deutsch); IV. der Dichter Ssemjon Jakowlewitsch Nadson [1862–86; „in Wiesbaden, wo kurzer Aufenthalt genommen wurde, machte der Dichter (Ende 1884) Bodenstedt’s Bekanntschaft“ Gedichte von S. J. Nadson, Verdeutschung von Frid. Fiedler, 1898, S. 7] und Fr. B. 1885–87; als Nr. V S. 97 unvollständige B.-Bibliographie 1874–87. Sorgsam: A. Bossert, Hist. de la litt. all. (1901), S. 714–16.

[64] Von litterarhistorischen Darstellungen und Beurtheilungen Bodenstedt’s sind erwähnenswerth: R. Prutz, Die dtsch. Lit. d. Gegenwart. 1848–1858² I, 220–226 (genau gleichzeitig damit W. Menzel, Gesch. d. dtsch. Dichtung III, 419); Hnr. Kurz, Gesch. d. dtsch. Lit. IV, 275–280 (m. Jugendbildniß und lyrischen Proben), 444–446 (stellt B. als Epiker hoch), 503 f. (s. ferner 4, 10, 11, 13, 14, 15, 867), ein warmer Lobredner B.s, dessen Schriften er genau gelesen hat; Adolf Stern, Lex. d. dtsch. Nationallit. S. 34; Vilmar-Stern, Gesch. d. dtsch. Nationallit.25 S. 613 f.; Stern in Westermann’s Dtsch. Monatsheften, 73. Bd., S. 220–233, ein sorgfältiger liebevoller Nekrolog, revidirt und mit B.s Altersbildniß – durchaus Gelehrtenphysiognomie mit Brille und Kinnbart – wiederholt in Stern’s Studien z. Lit. d. Gegenw.² S. 71–88; A. Bartels, D. dtsch. Dichtg. d. Gegenw. S. 96, 115, 89; Lindemann, Gesch. d. dtsch. Lit.7 S. 997; Kirchner, D. dtsch. Nationallit. d. 19. Jhs. S. 560 f. Eingehende, aber arg einseitige, theilweise hämische Behandlung (kleine Belege in obiger Darstellung) bei R. M. Meyer, D. dtsch. Lit. d. 19. Jhs.² (1900) S. 501–507 (242, 360 u. s. w., s. Reg.), selbständig und sorgfältige bei Salomon, Gesch. d. dtsch. Nationallit. d. 19. Jhs.² S. 220–223, recht günstig, aber mit meist falschen Jahresziffern bei K. J. Schröer, D. dtsch. Nationallit. d. 19. Jhs. S. 300 f., als Zeit- und Zunftgenosse mit gutem Nachfühlen bei Gottschall, D. dtsch. Nationallit. d. 19. Jhs.5 III, 66 ff. u. 217 (I, 421, II, 210). – Aus der langen Zahl der Nekrologe (ohne besondere Band-Angabe im Folgenden stets 1892) verzeichnet und bespricht J. Elias, Jahresbericht f. neuere dtsch. Literaturgesch. IV. Bd. IV, 2b, 48 ff. die meisten. Zu nennen sind davon: Alex. Meyer, Jahrb. d. dtsch. Shakespeare-Ges. 28. Bd., S. 337 bis 341; J. Herzfelder, Münchn. Neuest. Nachr. Nr. 188; E. Ziel, Frtf. Ztg. (in dieser 20. April Abendbl. und 22. April 2. Mrgbl. seitens der Redaction genaue Angaben über Tod und betreffende Verhältnisse) Nr. 113 1. Mrgbl., warm und persönlich wiederholt in E. Ziel’s Litterar. Reliefs. Dichterportraits 4. Reihe (1895); Th. Wolff, Berl. Tagebl. Nr. 198; E. Brenning, Weserztg. Nr. 16 305; R. v. G.[ottschall], Schles. Ztg. Nr. 283; O. Neumann-Hofer, Magaz. f. Lit. 61. Bd., S. 281–285; O. Svendson, (Barth’s) Die Nation 9. Bd., S. 458 f.; L. Salomon, Illustr. Ztg. S. 476 (m. Altersporträt); Freie Bühne f. mod. Leben III, 554 f.; Die Post (Berlin) 20. April; Schwäb. Merkur 19. u. 22. April; Rud. Lothar (Spitzer) in s. Krit. Studien z. Psychologie d. Lit. (1895); Revue polit. et litt. 1892, 1, S. 607; Bibliothèque Universelle et Revue Suisse 54. Bd., S. 631–634 (schwungvolle Anerkennung, Streiflichter auf Schlegel, Goethe, Rückert, Platen, Daumer, Freiligrath als B.s Vorgänger, son orient n’est pas saupoudré de la poussière des bibliothèques; ebd. 62. Bd., 1894, S. 180–187: „Des mémoires: Bodenstedt“); Nederlandsch Spectator 1892 Nr. 18; Echo muzyczne, teatralne i artystyczne 1892, S. 199–200 (mit Porträt u. Autograph, aber nur kurzer Biographie, weil ebd. 3 Jahre früher ein längerer Aufsatz über B. gestanden); Tygodnik illustrowany 1892 S. 286. Erinnerungen: A. K.(laar), i. d. Bohemia Nr. 110 Beil.; Olga Morgenstern i. „Zeitgeist“ d. Berl. Tagebl. Nr. 20; A. Friedmann, ebd. Nr. 18; ders. im Dtsch. Dichterheim XII, 322–24 und 342–44; R. Misch, Berl. Tagebl. Nr. 201; v. L., Hamb. Nachr. Nr. 26 Beil.; E. Gantter i. d. Didaskalia (z. Frkf. Journal) Nr. 94; bedeutsam (für B.s Aufenthalt in Constantinopel und Hannover) G. B[ossart]-Oe[rden], i. Hamb. Corresp. 1900 Nr. 166 u. 170, Morgen-A.

Ueber Einzelnes vergleiche: Ueber den Ort für Bodenstedt’s Landaufenthalt bei Fürst Galizin (s. oben S. 45), das bei Moskau gelegene berühmte Schloß Archangelske, berichtet ein Telegramm der Frankfurter Zeitung, 3. Aug. 1900, [65] Nr. 212 Abendbl., daß es Prinz Yussupow-Elston für 12 Millionen Rubel an den Zaren als Sommerresidenz verkauft habe. Ueber Bodenstedt’s mächtigen und kantigen Schädel W. Wolters, Praktische Kraniometrie, Zeitschr. Zur guten Stunde XII (1900), 6, 183 (Abbild. S. 189). Haushofer (Velh. u. Kl. Mtshefte XVI 6, 673). B. als Redacteur der Weserzeitung: M. Lindemann, Weserztg. Nr. 16 913 u. 16 914 (1893). B. in München: R. Artaria i. d. Gartenlaube 1900, Nr. 10, S. 667. Für Drama: R. Prölß, Gesch. d. neuer. Dramas III 2, 349 f.; über „Demetrius“ und die Parallelstücke Gottschall, Studien z. neuer. dtsch. Litt. (1892) S. 124–26; betreffs „Tägl. Rundschau“: G. Dahms, Das litterar. Berlin (1895), S. 69 und Leitartikel d. Augsburg. Postztg. Nr. 122 v. 31. Mai 1900. B. als Uebersetzer Puschkin’s: Alexis Lupus, Einige Worte über A. S. Puschkin, seine deutschen Uebersetzer und Kritiker (1899; tadelt auch an B. viel) und dazu Mendheim i. d. International. Litteraturberichten VII, Nr. 5, S. 67 f., desgl. H. Tardel i. d. Zeitschr. f. verglchd. Litteraturgesch. N. F. XIII, 133. A. W. Ernst, F. B. und sein letztes Werk, Gegenwart 42. Bd., S. 25 f. (B. werde nur als Spruchdichter fortleben). Insbesondere über Mirza Schaffy: J. Prölß, Das Urbild des Mirza Schaffy, i. Vom Fels zum Meer 1892, H. 11, S. 265–71 (fixirt theils nach Bodenstedt’s directen Mittheilungen, theils nach „1001 Tag im Orient“ Bodenstedt’s Originalität und Mirza Schaffy’s Persönlichkeit); B. gab eigene Aufklärungen über den Ursprung der Mirza Schaffy-Gedichte i. d. Zeitschr. „Daheim“ laut R. König, Dtsch. Literaturgesch.¹ (1879), S. 641 f. W. Kreiten, Die Lieder des Mirza Schaffy, i. d. Stimmen aus Maria Laach 45. Bd., S. 496–507 (s. oben S. 56); S. Mehring, Die Reimkunst des Mirza Schaffy, i. d. Didaskalia 1892, Nr. 114 (stellt nach einem Ueberblicke über das deutsche Ghasel B. für diese Form und den Reim auf oberste Höhe); R. M. Werner, Lyrik und Lyriker, S. 492, stellt, als einfachste Maske eines Dichters fremde Namen bezeichnend, Mirza Schaffy neben Barden- und Schäferkostüm in der Litteratur sowie im „Westöstl. Divan“, und bemerkt S. 603: „Ein Lustspiel von [O. F.] Gensichen ‚Minnewerben‘ [1871] ist ganz auf einem Gedichte Bodenstedt’s aufgebaut.“

Briefe. Die wichtigsten in G. Schenck’s erwähntem Buche. Gegen den Vorwurf, die Philosophie zu verachten, vertheidigt sich B. in einem Briefe vom 10. October 1876: „2 ungedruckte Briefe von Bodenstedt und Dingelstedt“ bei G. A. Müller in: Aus deutscher Brust, 1894, S. 82–84. Uebertrieben huldigender Brief B.s an Graf Schack (s. oben S. 58) veröffentlicht durch B. Stern i. Zeitgeist, Beil. z. Berl. Tagebl. 1894, Nr. 22. Litterarisch belanglose selbstbewußte Nachlaßbriefe B.s von 1859 an seine Gattin i. Westermann’s Illustr. Dtsch. Monatsheften 75. Bd., S. 115-137. Unbedeutende Briefe Fr. Liszt’s an B. in La Mara’s Sammlung derer Liszt’s I u. II (1893). Originalbriefe, auch Gedichtmanuscripte und sonstige Autographen des schreibseligen B. trifft man in allen neueren Autographenkatalogen, insbesondere denen der Firma J. A. Stargardt in Berlin, einige (darunter den oben S. 47 verwertheten Triester Brief v. 1848 und den Hannoveraner Prolog v. 1877, s. oben S. 51) neuerdings (1900) in Fr. Cohen’s (Bonn) Katalog (99) über Alexander Posonyi’s (Wien) Autographen-Sammlung III, Nr. 144–149. – Ueber das Wiesbadener Bodenstedt-Denkmal s. K. Stelter (Redner der Litteraten am Orte beim Begräbnisse) i. Ueber Land u. Meer 72. Bd., S. 594, und Illustr. Ztg. 102. Bd., S. 472. Auch im Geburtsorte wird eins geplant: s. Litterar. Echo II (1900), S. 1243.

Bodenstedt’s letzte poetische (2 vierzeilige Strophen, „Wie eine umgestülpte [66] Schale“) und prosaische (kurzer Artikel über Naturwissenschaft und Moral) Gaben, zwei Monate vor dem Tode in Druck gegeben, aber erst posthum erschienen, in: „An der Wende des XX. Jahrhunderts. Stimmen der Zeit hsg. von Ed. Löwenthal. Neue Aufl. des International. Säkularalbums“ (1900), S. 103 bezw S. 49 (vgl. S. V). B. gab 1864 „Ausgewählte Dichtungen“ (Lyrik) und 1865–79 eine 12bändige unvollständige Ausgabe „Gesammelte Schriften“ heraus, worin I. Bd. S. VII–XVI, ein sehr wichtiges Vorwort über diese Gesammtausgabe steht (thatsächlich nur eine Auswahl, jedoch alle hervorragenderen Werke, ausgenommen die Uebersetzungen und Abhandlungen, die das englische Drama betreffen, enthaltend); vor der 5. Auflage des Bd. I von „Tausend und Ein Tag im Orient“ (1891), S. III ff. ist das Hauptstück dieses Vorworts mit einem neuen längern S. VIII ff. erneuert. Gleichsam cum grano salis wiederholen wir hier am Ende Ad. Stern’s (Studien u. s. w., s. o.) Schlußwort: „Möge dem Dichter neben dem erzenen Mal das bessere einer guten Sammlung seiner Schriften nicht fehlen. Sie muß, wenn sie recht wirken, sein Gedächtniß und jeden bedeutsamen Zug seines Wesens und seines Strebens rein bewahren soll, eine knappe Auswahl aus den zahlreichen Bänden sein, die er geschrieben hat, aber sie sollte dem kommenden Geschlecht, das ihn nicht persönlich gekannt und geliebt hat, in keinem Falle fehlen“.

Bodenstedt’s ungewöhnliche und rastlose litterarische Geschäftigkeit zeigt sich auch in seiner Betheiligung an vielen Anthologien neuer Lyrik und Epik; wie er beispielsweise 1864 an dem „Deutschen Dichterbuch aus Schwaben“, das Ludwig Seeger herausgab, neben Uhland, Mörike, Lingg u. A. mit Beiträgen trat, so steuerte er zu „Für den Spessart. Ein Dichterbuch. Herausgegeben von W. Müller und M. Beilhack“ (1880) u. a. bei. Und auf demselben Wege ist der Verfasser des, wie oben gezeigt, so viel übersetzten „Mirza Schaffy“, auch ins Ausland durch fremdsprachliche Anthologien gelangt: ins Englische z. B. durch F. W. Ricord, „English songs from foreign tongues“ (New-York 1879) neben – Voltaire, Uhland u. A., in J. D. B. Gribble, „Borrowed plumes translated from German poets“ (Dresden 1888) neben Goethe, Heine, Geibel u. A., ins Spanische durch Fr. Sellen, „Ecos del Rin. Colleccion de Poesias alemanas“ (New-York 1881) neben Goethe, Heine, Grillparzer, Geibel, Freiligrath, ins Italienische in „Fiori d’Oltralpe, saggio di traduzioni poetiche“ (Messina 1882) neben Catull, Goethe, Victor Hugo und andern Koryphäen der Weltlitteratur, u. s. w.

Die höchst interessanten und als Auslassungen eines Augen- und Ohrenzeugen wichtigen Mittheilungen Paul Heyse’s über Bodenstedt’s erste Münchner Jahre zerstören manche selbstbeweihräuchernde Angaben Bodenstedt’s selbst: man sehe in Paul Heyse, Jugenderinnerungen und Bekenntnisse (1901) den Abschnitt über König Max’ II. Symposien und Dichterkreis (vorher abgedruckt sind die besonders hierher gehörigen Stellen „Deutsche Rundschau“ Bd. 101, S. 300 u. 473). Hier bei Heyse kommt B. recht ungünstig weg, spielt z. B. weder bei des Fürsten Dichterabenden noch im „Krokodil“ eine bemerkliche Rolle (Haushofer a. a. O. 674 f.), günstig bei einem andern damaligen „Münchner“ (wenn auch nicht Mitgliede des Hofcirkels) Julius Wald. Grosse (Ursachen und Wirkungen. Lebenserinnerungen; 1896, S. 269 f., 277). – Nach d. „Allg. Modenztg.“ Nr. 6 v. 3. Febr. 1901, S. 91, ging O. F. Gensichen’s Märchenspiel „Der Jungbrunnen“, das auf B. beruht, kurz vorher erstmalig im königl. Theater zu Wiesbaden in Scene. – Der „357. Lager-Catalog von Joseph Baer u. Co., Frankfurt a. M.“ (1895), mit dem Titelvermerk „enthaltend den fünften Theil der Bibliothek Friedrich von Bodenstedts“ bringt 1165 Nummern „Deutsche Literatur im 19. Jahrhundert“, darunter Nr. 171–175 Anthologien neudeutscher [67] Lyrik und englische, spanische, italienische Uebersetzungen solcher, in denen Bodenstedt’sche Gedichte Aufnahme fanden, sodann Nr. 1166–1242 „Autographen“, worin (1172–1177) acht Gedichte bezw. ein Brief Bodenstedt’s. Im übrigen sind Bodenstedt’sche Briefe, Gedichtcopien, auch theilweise ungedruckte Original-Improvisationen – diese beleuchten seinen Charakter nach der bezüglichen Seite – vielfach im Umlaufe und tauchen in Auctionen wie Katalogen regelmäßig auf; Bedeutsames bieten sie kaum einmal, tragen aber als Ganzes wie in pikanten kleinen Zügen zum Gesammtbilde dieser merkwürdigen vielgenannten Persönlichkeit bei.

Einzelne freundliche Mittheilungen seitens des Herrn Hofbuchhändlers G. Schenck (Berlin), Dr. Gust. Bossart-Oerden (Strelitz), Prof. Dr. H. Holland (München), Baron Hans und Baronin Ingeborg Bronsart v. Schellendorf (München). Dr. Cajus Möller (Berlin). Die Familie Bodenstedt war zu irgendwelcher Förderung, Auskunftertheilung oder nur Controle nicht zu bestimmen, lehnte solche vielmehr ab.