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ADB:Freiligrath, Ferdinand

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Artikel „Freiligrath, Ferdinand“ von Moriz Carrière in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 343–347, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Freiligrath,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 09:35 Uhr UTC)
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Freiligrath: Ferdinand F. ward am 17. Juni 1810 als das älteste Kind eines Lehrers zu Detmold geboren. Er besuchte dort das Gymnasium, aber es fehlten die Mittel, um nach Neigung zu studiren, und so trat er bei einem Oheim zu Soest als Kaufmann in die Lehre. Eine alte Bilderbibel und dann viele Reisebeschreibungen lockten seine Phantasie früh in den Orient, und als er isländischen Moosthee trinken mußte, da schrieb er 16jährig das Gedicht, das sogleich seine Eigenart bekundete, ihn neun Jahre später in die Litteratur einführte und mit einem Schlag berühmt machte. Wenn ihm von Island Genesung komme, dann wolle er der vulkanischen Insel im Norden gleichen und [344] die wilden Liederkerzen hinausschleudern in die Herzen des Volkes. Achtzehnjährig war er durch den Tod des Vaters ganz auf sich gestellt, und ging als Handlungsdiener 1831–36 nach Amsterdam. Dort trat das Meer in den Kreis seiner Anschauung und seiner Liebe, dort dichtete er in Stunden der Muße die meisten jener Lieder aus Asien, Afrika, Amerika, aber auch neben den Strandliedern die Geusenwacht und anderes Historische aus der niederländischen Geschichte. 1835 waren im Musenalmanach von Chamisso und Schwab neben dem Moosthee der Löwenritt, Scipio und Anno Domini erschienen; rasch folgten in Zeitschriften nun andere Gedichte, während F. auf dem Comptoir eines Geschäfts in Barmen arbeitete und in freundlichen Verkehr mit der rheinischen Dichterjugend trat. Cotta trug ihm den Verlag der Gedichte an, die 1838 erschienen, neben eigenen auch meisterhafte Uebersetzungen aus dem Englischen und Französischen. F. ist mehr auf Anschauung als auf musikalische Empfindung gestellt, aber er beschreibt nicht äußerlich, es ist die Seele der Dinge, die in den Formen derselben sich ausprägt, sichtbar, greifbar wird, und die packende Gewalt der Darstellung beruht darauf, daß sie von innerem Leben durchglüht ist. F. ist kein naiver reflexionsloser Poet, sondern ein Sohn der Neuzeit weiß er was er will, kennt und wählt die Mittel für seine Zwecke und läßt die Leuchtkraft der Farben zu stimmungsvollem Colorit zusammenwirken. Das exotische Colorit für seine tropischen Gemälde gewinnt er auch dadurch, daß die Namen entlegener Orte, seltener Pflanzen und wilder Thiere in Reimen stehen und damit so ihren Klangcharakter den Versen aufprägen, die in festgeformtem Rhythmus schwungvoll mit gedrungener Kraft sich bewegen. Dabei entfaltet er die Schildereien successiv, er läßt uns die Wüste mit seinem Löwen durchjagen, mit seinem ausgewanderten Dichter in die Waldeinsamkeit Amerikas und unter die Indianer treten. Aber es war noch ein anderes, was besonders die Jugend ergriff: in gedrückter thatloser Zeit die Sehnsucht nach kühner eigenwilliger Lebensentfaltung und Lebensführung, wie sie den Beduinen eignet, die auf ihren Rossen selber phantastische Gedichte sind. F. hatte seine eigenthümliche Form und handhabte sie virtuosenhaft; das Jahrhundert der Dampfschiffe und Eisenbahnen, des Weltverkehrs hatte in ihm einen Sprecher gefunden.

„Ans Herz der Heimath wirft sich der Poet, ein anderer und immer doch derselbe!“ So sagte er im Widmungsgedicht für das malerische und romantische Westfalen, das er mit Levin Schücking herausgab. Er lebte einige Jahre in freier Muße zu Unkel am Rhein, angesichts von Rolandseck, dessen eingestürzte Bogen er durch einige Gedichte wieder aufbaute, indem er zu einer Geldsammlung dafür berief. Heitere Freunde und das Glück der Liebe verschönten sein Leben. Ida Melos, die Tochter eines Professors in Weimar, die als Kind zu den Lieblingen des greisen Goethe gehört hatte, begeisterte ihn nun zu jenen wundervollen Liebesliedern, die stets zu den Perlen unserer Litteratur gehören werden und eine innige Empfindung voll und rein erklingen lassen. Die Geliebte mochte darin ihre eigene Unsterblichkeit ahnen; sie lohnte dem Sänger mit aushaltender Treue in allen Wechselfällen des Lebens. Er besuchte 1840 die Dichter in Schwaben, verlebte einen Theil des Winters in Weimar, und zog 1841 mit der jungen Frau nach Darmstadt. Mit Hub und Schnetzler hatte er 1836 und 1838 ein Rheinisches Odeon, mit Matzerath und Simrock 1841 das „Rheinische Jahrbuch für Kunst und Poesie“ herausgegeben; 1842 erschienen die „Erinnerungsblätter an Karl Immermann“. In Darmstadt wollte er eine Zeitschrift „Britannia“ leiten, die zwischen Deutschland und England die Vermittlerin sein sollte; leider trat der Verleger zurück. F. zog für einige Jahre nach St. Goar. Eine Elegie auf den Tod des spanischen Generals Diego Leon hatte er mit dem Wort geschlossen: „Der Dichter steht auf einer höhern Warte [345] als auf der Zinne der Partei“. Herwegh richtete dagegen an ihn eine Ode zum Preis der Partei, die ihm den Lorbeer flechten solle; Theodor Creizenach mahnte: „Es kann der Mensch, wer er auch sei und was er auch beginne, auf keiner bessern Warte steh’n als auf der Freiheit Zinne“. Durch Humboldt und Radowitz veranlaßt, ertheilte König Friedrich Wilhelm IV. an F., wie an Emanuel Geibel, einen Ehrengehalt von 300 Thalern. Den Brief, welchen Herwegh dem Könige nach gehabter Audienz schrieb, beantwortete F. mit einigen Versen, die den poetischen Genossen mahnten, den Schwabenstreich durch echte Gedichte wieder gut zu machen. Heinzen erwiderte darauf als „gewesener Freund von F.“, Herwegh mit dem Duett der Besoldeten (Geibel und F.), welche die Pension der Invaliden verzehren. So sah er, der Freund der Freiheit, sich durch den Ehrengehalt in schiefer Stellung, und gab ihn 1844 zurück. „Mit seinem Volke soll der Dichter gehen!“ ward seine Losung. In dem schönen Gedicht: „Am Baum der Menschheit drängt sich Blüth’ an Blüthe“, strich die Censur die Verse: „Der Knospe Deutschland auch, Gott sei’s gepriesen, Regt sich’s im Schoos; dem Bersten scheint sie nah!“ Aber der Dichter hoffte auf den Durchbruch der Bewegung, welche die Gemüther ergriffen, und wo Herwegh mit rhetorischem Pathos allgemeine Forderungen aussprach, Dingelstedt und Hoffmann v. Fallersleben satirisch scherzten, schuf er nach seiner Art jene markig ergreifenden Bilder von der stillen grauen Frühe im Harz, wo der Wilddieb vor den Augen des Sohnes erschossen wird, von dem Weberknaben im Erzgebirg, der vergebens nach dem Rübezahl ruft, von dem Proletariermaschinisten, der den Kessel des Dampfschiffes schürt, auf welchem der König nach Stolzenfels fährt, und gab eine zweite Gedichtsammlung unter dem Titel: „Mein Glaubensbekenntniß“, heraus, die ihn zum gefeiertsten Oppositionsdichter machte, aber auch die Aussicht auf eine sorgenfreie Stellung in Weimar zerschlug, und ihn veranlaßte den Wanderstab für sich und die Familie zuerst nach Belgien, dann in die Schweiz zu setzen, bis er 1846 in London wieder eine kaufmännische Stelle fand. In der Schweiz waren neuere politische Gedichte unter dem Titel: „Ça ira“ erschienen. Nun schrieb er 1848 auf dem Comptoir die freudigen Verse: „Im Hochland fiel der erste Schuß!“ und begrüßte die endlich frei entfaltete deutsche Fahne, aber mit der Deutung ihrer Farben: Pulver ist schwarz, Blut ist roth, golden flackert die Flamme! Er wollte die Republik für sein Vaterland, antwortete aber der Aufforderung, wie Herwegh eine Freischaar dafür zu bilden: „Ich bin nicht zum General geboren, ich will nur ein Trompeter der Revolution sein“. Er kehrte in die Heimath zurück und ward ein Sprecher der rheinischen Demokratie. Hinter den liberalen Parlamentsmitgliedern, welche die Zeit der That verplauderten, sah er die lauernde Reaction und schrieb die furchtbar ergreifende Mahnrede: „Die Todten an die Lebendigen“. Das Gedicht veranlaßte am 29. August seine Verhaftung, aber am 3. October ward er unter dem Jubel des aufgeregten Volks in Düsseldorf von den Geschworenen freigesprochen. Er trat zu Köln in die Redaction der „Neuen Rheinischen Zeitung“ neben Karl Marx; als das Blatt im Mai 1849 unterdrückt wurde, erschien auf der ersten Seite roth gedruckt Freiligrath’s trotziges Abschiedswort. Die wilden Gedichte jener Tage enthalten oft die Stichworte des Parteifanatismus mit volksverständlicher Derbheit mehr um zu schrecken oder zu reizen, als um zu erleuchten oder zu versöhnen; doch glänzen auch im Sturm und Gewölk wie sichere Sterne die ewigen Ideale eines schönen freien Menschenthums, denen F. „trotz alledem und alledem“ sein Lebenlang die Treue bewährt hat. Ebenso zeigt sich die alte Kraft anschaulicher Gestaltung in steter Frische. Die Veröffentlichung in einer Sammlung „Neuer politischer und socialer Gedichte – ein Heft erschien 1849 in Köln, ein zweites 1850 in Braunschweig – nöthigte den Dichter, sich der [346] Verhaftung durch die Abreise nach England zu entziehen; Steckbriefe folgten ihm. Ohne Dünkel auf politisches Märtyrerthum oder Dichterruhm kehrte er zur einfachen ehrlichen Arbeit zurück, erst in einem jüdischen Handlungshause, dann seit 1857 im Directorium der schweizer Bankcommandite in London. Abends führte ihn die Eisenbahn aus der City nach dem ländlichen Stadtviertel von Hackney, wo seine Familie ein Gartenhaus bewohnte und Sonntags Freunde sich zusammenfanden. Zwei Töchter, Käthe und Louise, wuchsen heran und haben in England durch spätere Verheirathung eine bleibende Heimath gefunden; die erstere hat des Vaters Gedichte ins Englische übersetzt. Drei Söhne: Wolfgang, Otto, Percy, hörten wol mit Staunen in der heitern deutschen Gesellschaft davon reden, welch gefährlicher Mensch ihr patriarchalisch milder Vater dem reactionären Festlande sei. Von Zeit zu Zeit grüßte ein Gelegenheitsgedicht von ihm die Heimath, sei es, daß Ereignisse einer befreundeten Familie, sei es, daß Angelegenheiten von öffentlichem Interesse den Verfasser anregten, das Wort zu ergreifen, das oft mit gemüthlichem Humor erquickte. Er war ein echter Lyriker, er wartete der Stimmung und des Anlasses, und verstand dann das Besondere zum allgemein Menschlichen zu weihen. So zündeten dann solche Lieder wol wie ein Manifest an die Nation; ich erinnere an das Begräbniß von Johanna Kinkel, an die Schillerfeier, an den Aufruf für Julius Mosen. Daneben gingen Uebersetzungen englischer und amerikanischer Poesie. Wie früher Felicia Hemans, so ward Longfellow’s Sang von Hiawatha in Deutschland von F. eingeführt, und hier vergleicht sich der Dichter mit Herder in der Weise, wie er den Ton und Stil der verschiedenen Autoren, den Hauch und Duft der Dichtungen nachempfindet und wiedergibt. Alfred de Musset und Victor Hugo, Robert Burns und Thomas Moore hat er uns mit vollendeter Meisterschaft angeeignet, wie wenn sie deutsch geschrieben hätten. In ergreifendster Weise erklingen die Lieder, welche die Noth der Armen, das Leid der Arbeiter in schwerer Zeit darstellen. Zuletzt hat er so noch die Amerikaner Whitman und Bret Harte bei uns eingeführt. Eine Anthologie englischer Gedichte erschien unter dem Titel: „The Rose, Thistle and Shamrock“.

Im J. 1867 brach die Genfer Bank zusammen, und F., an der Schwelle des Greisenalters, stand wieder der Lebenssorge gegenüber. Da kam ihm der Dank der Nation zu Hülfe. Der erste große Schlag zur Einigung Deutschlands war geschehen, der norddeutsche Bund war gegründet, seine Erweiterung auch über den Süden nur dadurch möglich, daß Preußen sich der Sache der Freiheit nicht fürder versagte. Von Haus aus conservative Staatsmänner und Heerführer rüsteten sich und arbeiteten die Ideen des Liberalismus auszuführen. F. konnte in die Heimath zurückkehren, als sie ihn rief, als die von seinen Freunden im Wupperthal eröffneten Sammlungen eine Volksdotation an den Dichter den Dotationen an die siegreichen Generale zur Seite stellten. Dem Dichter und Kaufmann Emil Rittershaus gebührt die Ehre der Urheberschaft dieses glücklichen Gedankens. Ignaz Hub und Karl Schad einten zugleich die deutschen Dichter, um den Genossen in einem Freiligrath-Album zu begrüßen, dessen Ertrag gleichfalls der Sammlung zu gute kam, die ein Vermögen von 60000 Thlrn. bildete; auch Amerika hat reichlich beigesteuert. Festlich ward der Dichter am Rhein und in Westfalen empfangen, als er 1868 heimkehrte. Er ließ sich in Stuttgart, dann in Cannstatt nieder. Sein „Hurrah Germania!“ antwortete auf die französische Kriegserklärung im J. 1870. Germania wirft die Sichel ins Korn und greift zum Schwert, der Sänger weissagt den Sieg. „Die Trompete von Gravelotte“ klagt um die Todten. Den Sohn Wolfgang im Felde unter dem Zeichen des rothen Kreuzes mahnt der Vater, „daß Wunden heilen besser als Wunden schlagen sei“. Nun sammelte F. in 6 Bändchen seine Gedichte und [347] Uebersetzungen (Stuttgart 1870) und widmete sie dem Vaterland als Zoll seines Dankes. Hat er doch reichlich Liebe erfahren, und den Weltsturm mit erlebt, der ein freieiniges Deutschland gebracht, das nun des Rechtes, der Sitte, des Lichtes in Frieden walten mag! Er blieb auch jetzt seinen Idealen treu, aber er freute sich des großen Schrittes, der zu ihrer Verwirklichung geschehen war, ohne sich darob zu erbittern, daß es so ganz anders gegangen, als er im Revolutionsjahr gedacht.

Seit F. im Frühjahr 1873 den Sohn Otto durch den Tod verloren, lag ein Schleier wehmüthigen Ernstes über seinem Gemüth; seine frische freudige Kraft war gebrochen. Die Vergrößerung und Verfettung des Herzens hatte eine Wassersucht im Gefolge; in der Nacht zum 18. März 1876 ist er entschlafen. Er war ein Mann im vollen Sinne des Wortes. Ein mildes Auge leuchtete im löwenmäßigen lockenumwallten Antlitz, starke Schultern trugen das Haupt und die Last des Lebens. Er setzte seine Ehre in die Arbeit, das ernste Tagewerk war die Voraussetzung für die Feierstunde, in welcher die Muse ihn begrüßte. Seines Lebens Liederbuch, wie er die Sammlung der Gedichte nannte, bringt nicht Vieles, aber Glänzendes, Unvergängliches, und gibt ein Spiegelbild der Kämpfe unseres Jahrhunderts in der Seele einer mächtigen Persönlichkeit. Viele Kräfte mußten von verschiedenen Seiten zusammenwirken, daß unser deutsches Reich erstand; unter den Dichtern, welche redlich und muthig hierfür das Ihrige gethan seit Schiller und Körner, Arndt und Uhland, steht Ferdinand F. ruhmvoll da; seine Poesie war vom Adel und der Größe eines liebenswürdigen Menschen getragen.