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ADB:Merkel, Johannes

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Artikel „Merkel, Paul Johannes“ von Hugo Böhlau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 439–444, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Merkel,_Johannes&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 02:10 Uhr UTC)
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Merkel: Paul Johannes M., geb. am 1. Aug. 1819 in Nürnberg, † zu Halle a. S. am 19. Dec. 1861. Um die Kritik der Quellen des germanischen Rechts insbesondere hochverdienter Rechtslehrer. Sein Vater, der Kaufherr Johannes M. war zweiter Bürgermeister, sein Großvater Paul Wolfgang M. Marktvorsteher in Nürnberg und Abgeordneter dieser Stadt zum ersten baierischen Landtag vom Jahre 1819. Mütterlicherseits war M. der rechte Neffe des Ober-Consistorial-Präsidenten v. Roth zu München und des k. Studien-Rectors Roth zu Nürnberg. Unter Letzterem absolvirte er im J. 1836 das Gymnasium und [440] bezog dann die Universität München, wo er im Hause des erstgenannten Oheims Aufnahme fand und sein Verhältniß zu dem Sohne des Hauses, dem jetzigen Professor Dr. Paul v. Roth in München begründete. Von dem Präsidenten Roth rühmt er in einem handschriftlichen Lebenslauf: huius viri studio et amore ductus historiae praesertim interiora adire licebat. Unter den philosophischen Fächern, welche der angehende Student nach baierischer Studienordnung unter andern in den ersten Jahren seines Studiums treiben mußte, beschäftigte M. seiner Neigung und seinen Anlagen nach besonders die Mathematik. Nach dem im J. 1838 erfolgten Tode seines Vaters siedelte M. auf die Universität Erlangen über, die er nach abermals zwei Jahren zufolge des unglücklichen Ausganges eines Duells verließ. Es folgen nun vier Jahre praktischer Thätigkeit beim k. Landgericht Nürnberg (October 1840 bis Ende November 1842) und (von da ab bis Herbst 1844) beim k. Advocaten Dr. Kreitmair daselbst. M. schlug den Werth derselben für seine allgemeine juristische Ausbildung später sehr hoch an. Die theoretischen Studien vernachlässigte er aber über den praktischen Arbeiten keineswegs. Savigny’s Geschichte des römischen Rechts im M. A. führte ihn „in dieser entscheidenden Periode seiner Bildung“ dem Studium mittelalterlicher Rechtsgeschichte zu, und in diesem fand er „den Beruf seines Lebens“. Wenn Savigny’s unsterbliches Werk für ihn so zu einem, „seine Seele belebenden Hauch“ wurde, so stand fortan auch sein Entschluß fest, den erwählten Beruf nach Savigny’s Methode und auf Savigny’s Wegen in selbständiger Forschung zu begründen. Das Programm seines Lebens war festgestellt. Einen nicht unwesentlichen Antheil an dieser Feststellung scheint nach einer handschriftlichen Aeußerung Merkel’s Briegleb, damals noch in Erlangen, gehabt zu haben: M. nennt ihn in dieser Hinsicht „auctor confirmatorque consilii mei“. Im Januar 1845 brach M. nach Italien auf. Bis Anfang Mai 1847 hat er dann – mehrmaliger Unterbrechung durch Krankheit und längere Reconvalescenz ungeachtet – Archive und Bibliotheken in Rom (Vaticana, Cistercienser in S. Croce di Gierusalemma), Neapel (Brancacciana zu S. Angelo in Nilo, Philippiner), Monte Casino, dann wieder in Rom (Vaticana), Pisa (bischöfliches Seminar. Karthäuser in S. Maria degli Scalzi), Lucca (öffentliche Bibliothek, Nonnen in S. Giustina), Florenz („wo die Laurentiana und Riccardiana, die Handschriften, welche in S. Marco und bei den Augustinern in S. Spirito zurückgeblieben sind“, untersucht wurden.), Bologna (Colleg. Hisp., Bibliotheken der Commune und der Canonici von S. Salvatore), Modena (Domarchiv, Benedictiner zu S. Pietro, Communalarchiv, herzogliches Archiv), Parma (herzogliche Bibliothek. Alle Archive mit der zufälligen Ausnahme desjenigen, was die Benedictiner in S. Giovanni besitzen), Mantua (Handschriften der ehemaligen Benedictiner-Abtei Polirone), Venedig (k. k. Bibliothek-Centralarchiv. „Emmanuele Cicogna’s … reiche Handschriften-Sammlung und seine Bücher konnte ich“, berichtet M., „in den wenigen, mir freigelassenen Stunden leider nicht zur Genüge benutzen, und die zahlreichen Archive, welche Privatpersonen besitzen, etliche vierzig, zu sehen, war die Zeit meines Aufenthalts nicht hinreichend“) und Padua (bischöfliches Seminar und Mönche des heil. Antonius) mit Finderglück durchforscht und kehrte mit litterarischen Schätzen beladen zurück. In einer handschriftlichen Aufzeichnung rühmt M. neben der entgegenkommenden Hülfe der von ihm namentlich aufgeführten Vorstände der Bibliotheken und Archive auch die „wirksamen Empfehlungen“ des k. preußischen Instituts für archäologische Correspondenz in Rom, sowie diejenigen von Pietro Vieusseux in Florenz; andererseits erwähnt er der „unfreundlichen Worte“, mit denen er auf der Borbonica in Neapel unter Verweigerung der Kataloge abgewiesen worden sei. – Den Mittelpunkt von Merkel’s italischen Forschungen hatte das langobardische [441] Recht gebildet. Aber die gehobenen Schätze waren darauf keineswegs beschränkt. Die Verwerthung derselben hätte noch ein langes Leben ausfüllen können. Ein solches war dem Heimgekehrten aber leider nicht beschieden. – – Nach seiner Rückkehr promovirte M. mit einer ungedruckt gebliebenen Dissertation „de libris legum Langobardorum commentatio critica“ (vgl. Gengler, Grundriß der deutschen Rechtsgeschichte I 186 Note 124) in Erlangen. Im September 1847 aber begab er sich, nunmehr von Pertz aufgefordert, an der Herausgabe der Volksrechte für die Monumenta Germaniae theilzunehmen, nach Berlin. Er habilitirte sich hier am 19. Januar 1850 (Datum des Diploms) und hielt Vorlesungen über deutsche Rechtsgeschichte, Quellen des deutschen Rechts, lex Salica, lex Angliorum et Werinorum. Ostern 1851 wurde er als außerordentlicher Professor nach Königsberg, Michaelis 1852 als ordentlicher Professor an J. F. Budde’s Stelle nach Halle a. Saale berufen. Amtlich wurde er hier sowohl durch eine ausgedehnte Katheder-Thätigkeit (er las deutsche Rechtsgeschichte, deutsches Gerichtswesen, deutsches Privatrecht, preußisches Landrecht, Kirchenrecht, Encyklopädie, Methodologie und Philosophie des Rechts), als durch das damals außerordentlich beschäftigte Spruch-Collegium der Juristen-Facultät sehr in Anspruch genommen. Eine nur zu kurze, kaum einjährige Ehe mit Anna Pinder, Tochter des Geheimen Ober-Regierungsrathes Dr. Pinder zu Berlin, schmückte diese Halle’sche Zeit. Dieser Ehe entsproß ein Sohn, der nachmalige Consistorialrath und Professor des römischen Rechts, Dr. Joh. Merkel zu Rostock, gegenwärtig in Göttingen, welcher der Mittelpunkt der sorgenden Liebe des Vaters blieb. In der Halle’schen Facultät hat sich M. mit Ludewig Pernice, Henke, Karl Witte, Otto Göschen, Georg Bruns, dann Otto Hartmann als Collegen und mit E. J. Bekker, Th. Muther und dem Unterzeichneten als Privatdocenten resp. Extraordinarien berührt. Aus dem weiteren Collegenkreise stand ihm vor Allen Heinrich Leo nahe. M. starb an Phthisis. Seine schriftstellerische Thätigkeit fällt in die Zeit seit dem Jahre 1846. In diesen nur sechszehn Jahren hat er durch eine Reihe der saubersten Editionen und kritischen Arbeiten den volksrechtlichen Quellenbestand der germanistischen Jurisprudenz mehr und nachhaltiger gefördert, als es wohl bisher vor oder nach ihm irgend einem Juristen beschieden war. Die hierher gehörigen Publicationen sind:

1846: Sopra un documento dell anno 994 risguardante la littà di fondi im Saggiatore Giornale Romano. Ann. III, vol. V, p. 281–292. – Edita regum Langobardorum ex editione Bandii a Vesme, eine Besprechung dieser berühmten Ausgabe im Archivio storico Italiano, Append. III, p. 692–729 (vgl. Gersdorf’s Repertorium 1847, Heft 36, S. 369 ff.). – 1847: Documenta aliquot, quae ad Romani pontificis notarios et curiales pertinent, ebend. Append. V, no. 18, p. 129–153. – 1848: Reccared’s I. Sammlung des westgothischen Volksrechts und deren Beziehung zum Volksrecht der Baiern in der Zeitschrift für deutsches Recht XII, S. 281–294, veranlaßt durch Bluhme’s zur Lübecker Germanistenversammlung 1847 veranstaltete Ausgabe der westgothischen Antiqua.– 1849: De republica Alamannorum, eine schwäbische Rechts- und Verfassungsgeschichte, deren eigenthümliche Form sich aus ihrer ursprünglichen Bestimmung zu einer Einleitung in die Monumenten-Ausgabe der lex Alamannorum erklärt.– 1850: Die Geschichte des Langobardenrechts. Als Beitrag zu Savigny’s Geschichte des römischen Rechts im M. A.; Festgabe zu Savigny’s 50jährigem Jubiläum. Unter Merkel’s Theilnahme besorgte hiervon eine italienische Uebersetzung der Advokat Bollati in Turin: Appunti per la Storia del diritto Longobardo in den Memorie e documenti inediti spettanti alla storia del diritto Italiano nel medio aevo. Fasc. I, p. 1–49. – Lex Salica. Mit einer Vorrede von Jakob Grimm. –- 1851: Lex Angliorum et Werinorum h. e. Thuringorum.Lex Alamannorum als Band III Fasc. I der Mon. Germ. Leg. – 1850/51 fallen noch die „Zusätze von Merkel“ in der zweiten Auflage der Bände IV–VII von Savigny’s Geschichte des römischen Rechts im M. A. (vgl. die Vorrede zu Band IV S. VIII). – 1853: Lex Saxonum. – 1856: Commentatio, qua iurus Siculi sive assisarum regum regni Siciliae fragmenta ex codicibus manuscriptis proponuntur, Halle’sche akademische Festschrift zu Henke’s 50jährigem Jubiläum. – 1858: Das baierische Volksrecht im Archive der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde XI, 533–687. – 1861: Ludovico Wilhelmo Antonio Pernice gratulatur [442] P. J. Merkel Norimbergensis enthält zwei die Rechte der Pfalzgrafen betreffende Urkunden von resp. 1274 und 1278/1282. – 1861: Der judex im baierischen Volksrecht in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte I, 131–167. – Ein westfränkisches Formelbuch ebend. 194–233. – Am Morgen nach seinem Tode trafen die Editorexemplare der Lex Baiuwariorum edente J. M. in Merkel’s Wohnung ein, welche den fasciculus 2 des dritten Bandes der M. G. Leges bildet. – Aus dem Nachlaß hat der Unterzeichnete den Aufsatz „Die Adelsgeschlechter im baierischen Volksrecht“ in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte I, 255–272 und Paul v. Roth ebend. II, 101–174 „Das Firmare des baierischen Volksrechts“ zum Druck befördert.

Die fachwissenschaftliche Würdigung dieser Arbeiten betreffend, so kann im Ganzen auf Anschütz (s. unten) verwiesen werden, dem aber nicht bekannt gewesen ist, daß auch die im J. 1856 erschienenen „Fragmenta assisarum regum regni Siciliae“ im Archivio storico (nuova serie IV 2 pp. 198 ss.) im J. 1857 durch Capei eine Besprechung erfahren haben. Die litterarische Thätigkeit Merkel’s hat sich inzwischen ebensowenig, als seine wissenschaftliche und amtliche auf das deutsche Recht und seine Geschichte beschränkt. In Halle trat M. energisch in die kirchliche Bewegung der fünfziger Jahre ein. An der kirchlichen, sogenannten Monbijou-Conferenz war er betheiligt; im October 1854 wurde er zum Präses des lutherisch-kirchlichen Vereins der Provinz Sachsen (sogenannte Gnadauer Conferenzen) erwählt. Dieser Betheiligung und seiner kirchenrechtlichen Katheder-Thätigkeit sind eine Reihe von Aufsätzen entsprungen, von welchen folgende hier angeführt sein mögen:

In Herzog’s Real-Encyklopädie für protestant. Theologie u. Kirche (1. Aufl.) die Artikel Ansegis I. 360–362, Anso 370 f., Ballerini 672 f., Benedikt Levita II. 44–47, Capitel 544–561, Cummean III. 202, Curatus 203; – in den Actenstücken aus der Verwaltung des evangelischen Oberkirchenraths zu Berlin III, 41–62: Gutachten, Berufung einer Landessynode betreffend, und 445 ff.: Gutachten, die Einsegnung geschiedener Ehegatten betreffend; – selbständig: Der lutherisch-kirchliche Verein der k. preußischen Provinz Sachsen. Eine für die Vereinsglieder entworfene und anstatt handschriftlicher Mittheilung gedruckte Denkschrift. Halle 1856 (Druck von Hendel), hier auch S. 42 f. in acht klaren Thesen Merkel’s Stellung zur preußischen Union; – in Hengstenberg’s Evangel. Kirchenzeitung 1858 S. 991–1007: über den Grund der Zerwürfnisse im evangelischen Ehescheidungsrecht: eine Kritik von Richter’s Beiträgen zur Geschichte des Ehescheidungsrechts; – in der Zeitschrift für lutherische Theologie und Kirche XXI, 1860, S. 1–51: Das protestantische Kirchenrecht des 18. Jahrhunderts. Praktische Arbeiten und Gutachten kirchenrechtlichen Inhalts finden sich noch in der Monatsschrift für die evangelisch-lutherische Kirche Preußens S. 429–432; 1855 S. 337–355, 445–455; 1856 S. 332–356. Endlich hat M. noch eine Eingabe des Domcapitels zu Naumburg um Feststellung lutherischer Communion vom 12. Februar 1855 zum Druck befördert in Hengstenberg’s Evangelischer Kirchenzeitung 1855, Nr. 54.

Ein Bild von Merkel’s rechtsgeschichtlicher und politisch-kirchlicher Gesammtanschauung gewährt sein, gleichfalls um das Ehescheidungsrecht der evangelischen, insbesondere preußischen Landeskirche sich bewegender Aufsatz: „Evangelische Kirchenordnung und Naturrecht. Eine rechtsgeschichtliche Betrachtung zum Verständniß unserer Zeit“ in Hengstenberg’s evangelischer Kirchenzeitung 1859 S. 412–417–424, 433–440, 441–452, 457–463, 465–469, 513–523, 640–642. Für seine religiöse Stellung charakteristisch ist der von ihm bereits am 7. April 1856 im Evangelischen Vereine zu Berlin gehaltene Vortrag „Gregorius Heimburger und Lazarus Spengler“. Von seinen, der Sitte dieses Blattes gemäß anonym erschienenen Recensionen in Zarncke’s literarischem Centralblatt (Jahrgänge 1852 bis 1856) mag hier nur so viel erwähnt werden, daß dieselben seine volle Hingabe an die Quellen und seine entschiedene Antipathie gegen eine, nicht Schritt für Schritt auf Quellenstudium und Geschichte aufgebaute Dogmatik durchweg bezeugen. Bei Merkel’s litterarischer Thätigkeit muß endlich noch seiner Stellung zu den Monumenta Gemaniae und zu der Zeitschrift für Rechtsgeschichte gedacht werden. Was er für die Monumenta gearbeitet, geht aus der obigen Zusammenstellung seiner Schriften hervor. Eine Aeußerung Savigny’s (Geschichte des römischen Rechts im M. A. (2) Vorrede S. VIII) aber könnte die Annahme hervorrufen, daß M. seine italienische Reise [443] als förmlich engagirter Mitarbeiter der Monumenta unternommen und durchgeführt hätte. Diese Annahme würde jedoch irrig sein. Erst in Rom trat M. mit Bethmann, der auf Kosten der Monumenta sich dort aufhielt, in persönliche und wissenschaftliche Beziehungen. Mit Pertz knüpften sich zur gleichen Zeit durch Bluhme Correspondenzen an (Anschütz 198). Die geschäftliche Stellung Merkel’s aber zu dem nationalen Unternehmen beginnt erst 1847 mit dem oben referirten Pertz’schen Antrage. Die heute noch in neuer Folge (Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte) erscheinende Zeitschrift für Rechtsgeschichte hat M. im Verein mit Rudorff, Bruns, Paul Roth und dem Unterzeichneten begründet. Das dem ersten Bande (S. 1–6) vorangestellte redactionelle Programm ist wesentlich ganz aus seiner Feder. Das Erscheinen des ersten Doppelheftes begrüßte er in seinen letzten Lebenstagen mit großer Freude und trug für die dasselbe beschließende Anzeige von Savigny’s Tod noch persönlich Fürsorge. Das nächste Heft mußte bereits mit der Anzeige von Merkel’s Tode beginnen! – Schon nach den bis hierher zusammengestellten Thatsachen erscheint M. als eine in hohem Grade eigenartige und ausgeprägte Individualität, und diesen Eindruck hat er sicherlich auf jeden gemacht, der ihm im Leben näher getreten ist. Der Schlüssel zum Verständniß dieser Individualität ist eine, durch Anlage von den Vorfahren her, wie durch Erziehung in einem alt- und festbegründeten reichsstädtischen Bürgerhause, dann durch Lebensführung, insbesondere vielleicht auch durch die Nürnberger Gymnasial-Ausbildung bedingte Neigung zum Positiven, welche hie und da bis zu einer Verachtung aprioristischen, ja philosophischen Denkens sich steigerte. Charakteristisch ist Merkel’s Vorliebe für Mathematik schon in den ersten Universitäts-Semestern. Aber auch für seine spätere Lebenszeit verdient dieser Zug zum Positiven und Exacten volle Beachtung. Religiös stand ihm das peccatum originale nach seinen eignen Beobachtungen und Erfahrungen als positive Thatsache unumstößlich fest. Und da er es mit dieser Erkenntniß nicht leicht nahm, so war er bald zu dem geschichtlichen Christus als dem einzigen und nothwendigen Erlöser hingeführt. Sein Glaube war, wie sich besonders auch in seinen letzten, schweren Lebenstagen erwies, ein voller, rückhaltsloser, ein kindlicher Glaube. Seine kirchliche Stellung hatte er unter den Confessionellen der preußischen Landeskirche, oder vielmehr: er hörte in der letzteren der Gesinnung nach nie auf, baierischer Lutheraner zu sein. Den separirten Lutheranern stand er freundlich gegenüber; insbesondere sprach er von Huschke und Lasius stets in aufrichtiger Hochachtung. Er war sonach ein entschiedener Gegner der Union, die er sich praktisch nur als eine Bekenntniß-Union denken konnte; über den formellen Rechtsbestand derselben gab er sich indessen weniger Täuschungen hin, als es damals manche confessionelle Pastoren thaten. Er war sich aber nicht nur des Gegensatzes gegen Zwingli und Calvin, sondern vor Allem auch des größeren Gegensatzes gegen Rom voll bewußt. So sehr er auch den Katholicismus als geschichtliche Erscheinung zu würdigen wußte, und so unbefangen er auch persönlich mit Katholiken, wie z. B. mit den Benedictinern in Monte Casino, in nahem und langdauerndem Verkehr sich vertraut machen konnte: die in den fünfziger Jahren unter den preußischen Confessionellen hie und da hervortretenden katholisirenden Velleitäten verwarf er als romantische Unklarheiten mit nüchterner Entschiedenheit. – Zu jeder kirchlichen Angelegenheit seinerseits klare Stellung zu nehmen, hielt er für juristische Berufspflicht: die Theologen, das war seine oft ausgesprochene Ansicht, haben im Allgemeinen zu wenig juristische Anlagen, als daß ihnen kirchliche Verfassungs- und Rechtsfragen nebst ihren Consequenzen allein überlassen werden könnten. Aber auch über das Gebiet der Verfassung hinaus, auf die man kein „schwärmerisches und symbolwidriges Gewicht legen“ dürfe, lagen ihm kirchliche, ganz besonders Cultus-Fragen am Herzen, und er war jeder Zeit bereit, an der [444] Lösung derselben mit seinem Beruf und seinen Gaben thätig mitzuarbeiten. So war er stets der Ansicht, daß die Predigt in unserm evangelischen Gottesdienste zu sehr überwiege; dem ihm nahe befreundeten Pastor zu St. Laurentii, Dr. Heinrich Hoffmann in Halle, half er daher bei Einrichtung von liturgischen Vesper-Gottesdiensten mit Rath und That, und sein klassisches Orgelspiel in diesen „Neumarkts-Vespern“ wird jedem, der es gehört, unvergeßlich sein. –- Eine vom Pastor Schubring in Alsleben a. Saale zusammengestellte Agende besorgte er aus dessen Nachlaß zum Druck. Demselben Zug zum Positiven begegnen wir in Merkel’s wissenschaftlich-juristischer Stellung. Gegen Vielschreiberei, unsichere Kenntnisse und ungründliche Arbeit hatte er eine fast nervöse Abneigung. Der constructiven Richtung in der Rechtswissenschaft, wie sie damals eben von Ihering inaugurirt worden war, kam er allermindestens nicht sympathisch entgegen. Man kann vielleicht auch sagen, daß er zufolge seines Strebens nach positiver Quellenmäßigkeit die Litteratur überhaupt zu sehr zurückstellte und deren Producte zu scharf kritisirte. Seine stete Beschäftigung mit den Quellen setzte ihn eben in den Stand, viele Tagesmeinungen als unrichtig und als Verirrungen zu erkennen und vorerst durch Intuition eine höchst individuelle Meinung sich zu bilden und dann mit Ueberlegung festzuhalten, welche von allen verbreiteten Meinungen ebenso weit abwich, als diese Merkel’s Meinung nach von den Quellen abwichen; mit den Abweichungen von den Quellen aber nahm es M. peinlich genau. Daß ein so gerichteter Jurist in seinen Vorlesungen, namentlich in denen über deutsches Privatrecht mit dem Stoff zu ringen hatte, begreift sich unschwer. Bei dem Durchschnitt seiner Zuhörer hat M. kaum rechtes Verständniß gefunden. Seine Schüler Otto Stobbe und Alfred Boretius haben aber dafür gesorgt, daß seine docentische Bedeutung in richtigerem Lichte erscheint. Als Stobbe’s Abhandlung über die Gewere erschien, sagte M.: „Der hat mich verstanden!“ Gegen sich selbst war M. wissenschaftlich nicht nachsichtiger, als gegen Andere. Seine Arbeiten sind durchweg exact, sauber ausgefeilt und bis in die kleinsten und formalsten Einzelnheiten hinein durchdacht. M. war in seltenem Maaße musikalisch. Obwohl er auch die Musik wissenschaftlich betrieb, ist er inzwischen über eine vorzügliche Ausübung derselben nicht hinausgekommen. Von seinem Orgelspiel ist schon die Rede gewesen. Auch in der Musik war er aber positiver Historiker. Die klassischen Meister der Kirchenmusik, wie Palestrina, Bach, Händel, von den übrigen Componisten Beethoven und Mozart waren seine Lieblinge. Dagegen stand er feindlich gegen die damals aufkommende „Zukunftsmusik“. Das Urtheil einer musikalischen Autorität in Halle, welche in Leipzig der Aufführung des „Tannhäuser“ beigewohnt hatte: Das sei ja gerade, als „wenn man mit Wasserstiefeln in der Harmonie herumpatsche“, hat ihn sehr erheitert. Der Gesammteindruck Merkel’s war der eines aus dem Kampf der Schwermuth mit der Pflicht geborenen tiefen Ernstes. Doch fehlte ihm der Humor, namentlich im Verkehr mit uns Jüngeren keineswegs, und ebensowenig fehlte ihm ein aufrichtiges Wohlwollen gegen Jedermann. Allem Scheine war er abhold. Die große Geselligkeit vermied er, obschon er für des Hauses Ehre stets in der Art guter, alter Sitte besorgt war. Im Hause war er schweigsam, streng und peinlich ordentlich. Ein glücklicher, fröhlicher Mensch, der den Frieden gefunden hat, war M. kaum. „Sein ganzes Leben war ein Weg seinem Heiland entgegen.“ Es galt von ihm eben auch: „Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott!“

A. Anschütz, zur Erinnerung an Johannes Merkel in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte III 1864, S. 193–209. J. Merkel, Geschichte des Langobardischen Rechts, Widmung an Savigny. Gütige handschriftl. Mittheilungen des Herrn Consist.-R. Prof. Dr. J. Merkel in Rostock, jetzt in Göttingen.