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ADB:Naumann, Christian Nicolaus

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Artikel „Naumann, Christian Nicolaus“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 302–305, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Naumann,_Christian_Nicolaus&oldid=- (Version vom 19. November 2024, 11:25 Uhr UTC)
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Band 23 (1886), S. 302–305 (Quelle).
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Naumann: Christian Nicolaus N. wurde am 6. December 1720 zu Bautzen geboren, wo sein Vater Johann Christian N. Oberamtsadvocat, königl. polnischer kurfürstl. sächsischer Secretär der Landshauptmannschaft des Markgrafthums Oberlausitz und Zollcontrolleur war. Schon auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt scheint er ästhetische Studien mit Vorliebe getrieben zu haben; in seiner Abschiedsrede, die er in deutscher Sprache hielt, stellte er Longin als den vollkommensten Kunstrichter dar. 1739 bezog er als angehender Jurist die Universität Leipzig, wo Gottfried Ludwig Mencke (1712–1762) hauptsächlich sein Lehrer war, und siedelte gegen Ende des Jahres 1741 an die Rostocker Hochschule über. Nach Jahresfrist begab er sich über Lübeck und Hamburg, wo er einige Monate verweilte, auf Verlangen seines Vaters nach Hause zurück: der Tod eines vornehmen Verwandten, des Obersten und Baudirectors v. Naumann, der ihn vielfach unterstützt hatte, schien die Fortsetzung seines akademischen Lebens zu verbieten. Ueberdies hielt ihn eine schwere Krankheit lange Zeit von der Arbeit fern. Nach seiner Genesung reiste er 1743 wieder nach Niedersachsen, nahm dort eine Hofmeisterstelle an und fand so Gelegenheit, die bedeutendsten Städte dieses Kreises zu sehen. Bald aber suchte er aufs neue eine Universität auf, zuerst Halle, dann wieder Leipzig, um seine juristischen Studien zu vollenden. Seine Neigung zog ihn jedoch mehr zur schönen Litteratur. Schon im Herbst 1740 hatte er in einem Sendschreiben an den neuernannten Pastor primarius [303] Johann Christoph Lange in Bautzen den „Begriff von der Vollkommenheit eines geistlichen Redners“ entworfen und im Vereine mit gleichgesinnten Genossen eine Abhandlung geplant über das, was die Deutschen in den schönen Wissenschaften geleistet oder noch zu leisten hätten. Seit seinem zweiten Aufenthalt in Leipzig gab er sich diesen Bestrebungen mit verstärktem Eifer hin und ließ unter anderm 1743 „Scherzhafte Lieder nach dem Muster des Anakreon“, 1746 ein Schäferspiel in Versen: „Die Martinsgans“ (in einem Acte), namentlich aber eine dreimal hinter einander aufgelegte gereimte Ode „Lob der Gottheit“, in schwungvoller, oft an die Psalmen anklingender Sprache, erscheinen. Als er 1745 durch den Tod seines Vaters selbständiger wurde, wandte er sich ganz und gar der Litteratur zu, beteiligte sich an zahlreichen Zeitschriften, welche seine Freunde Christlob Mylius, Abraham Gotthelf Kästner und andere leiteten, an dem „Freigeist“ (1745), den „Ermunterungen zum Vergnügen des Gemüths“ (1747–1748), dem „Naturforscher“ (1747–1748), dem „Schriftsteller nach der Mode“ (1748–1749), dem „Hamburgischen Magazin“ (1748 ff.), dem „Kritischen Sylphen“ (1752), ein Jahrzehnt darnach noch am „Pfälzischen Wochenblatt“ (1762), begründete aber auch selbst verschiedene moralisch-ästhetische Monats- oder Wochenschriften vom gleichen Schlage, 1745 die „Neuen Belustigungen des Gemüths“, 1747 „Demokrit“, 1747–1748 den „Liebhaber der schönen Wissenschaften“ (in zwei Bänden), 1754 den „Vernünftler“ (in drei Theilen). Nach 1779 gab er eine Monatsschrift „Veränderungen“ heraus, die es aber nur auf Einen Band brachte. Im allgemeinen hielt er sich bei diesen journalistischen Versuchen vorwiegend an das Beispiel der englischen Moralisten, wie es damals seit Bodmer’s und Gottsched’s ersten Wochenschriften überall in Deutschland nachgeahmt wurde. Von ihnen und ihren antiken und französischen Vorgängern (Theophrast, La Bruyere) lernte er auch die Kunst, allgemeine sittliche Charakterbilder auszumalen, mit denen er manche Nummer seiner periodischen Blätter füllte. Wissenschaftliche und litterarische Fragen streifte er oft; unter die prosaischen Aufsätze streute er fleißig Gedichte ein. Bei allem moralischen und religiösen Ernst erwies er sich freisinnig und duldsam gegen Andersdenkende und stimmte auch nicht in das unbedingte, thöricht-gehässige Verdammungsurtheil der gläubigen Menge über die Freigeister ein. Auch in dieser Hinsicht blieb die Bekanntschaft mit Mylius und Lessing, die N. schon in Leipzig machte, nicht ohne Einfluß auf ihn, sowie er andrerseits an ihrem Muster namentlich seinen prosaischen und seinen poetischen Stil bildete. Selbständige Einfälle sucht man in seinen Zeitschriften vergebens; ein selbständiges Verdienst läßt sich ihnen so wenig wie einer von seinen übrigen litterarischen Leistungen zusprechen. Nach fünfjährigem Aufenthalt in Leipzig, nachdem er noch eben (1748) eine deutsche Rednergesellschaft daselbst gestiftet hatte, deren Vorsitz Kästner übernahm, zog er im August 1748 nach Jena, erhielt dort im November durch Vermittlung vornehmer Gönner die Stelle des Lectors am fürstlich sächsischen Convictorium, wurde am 7. December als ordentliches Mitglied in die deutsche Gesellschaft aufgenommen und am 1. Februar 1749 zum Magister der Philosophie promovirt. Er eröffnete Vorlesungen an der Universität, ging aber schon 1751 nach Marburg, wo er in derselben Weise thätig war, bis er sich die Hoffnung, daselbst Professor zu werden, aus dem Kopfe schlagen mußte; dann begab er sich (gegen 1753) über Wittenberg nach Berlin, wo er eine Zeit lang Lessing’s Stubengenosse wurde und zum Theil durch Privatunterricht sich sein Brot verdiente. Noch dritthalb Jahrzehnte dauerte sein unruhiges Wanderleben. Er weilte in der Folge abwechselnd zu Hamburg, Leipzig, Frankfurt a. O., Straßburg, Zürich, bald kürzere Frist, bald mehrere Jahre: besonders in Dresden hielt er sich lange auf. Bedeutende [304] Männer aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands lernte er kennen; manchem unter ihnen trat er freundschaftlich näher, so Hagedorn und Dreyer in Hamburg, Bodmer in Zürich, Sulzer in Berlin, dem späteren Karlsruher geheimen Hofrat Ring und andern. Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens verbrachte er in Görlitz, wo ihn am 15. Februar 1797 ein rascher Tod in Folge eines Schlagflusses hinwegnahm. Trotz seiner Armuth, die ihn bis zuletzt auf fremde Unterstützung anwies, bewahrte er sich stets seinen heitern, menschenfreundlichen, zu gutmüthigen Scherzen geneigten Sinn. Seine schriftstellerische Rührigkeit hatte bald nachgelassen, ohne doch je ganz zu erlahmen. Am ergiebigsten war sie während seines Aufenthalts zu Jena und Marburg gewesen. Damals veröffentlichte er Reden zum Preise des Herzogs Karl von Braunschweig-Lüneburg (1749) und des schwedischen Königs Friedrich, Landgrafen von Hessen (1752), steuerte zu den beiden ersten Jahrgängen der Jenaer gelehrten Zeitung verschiedene Artikel über Philosophie, Geschichte und schöne Litteratur bei, verfaßte mehrere Abhandlungen zur Sittenlehre und Aesthetik („Von dem Erhabenen in den Sitten“ 1751, „Gedanken von der Nothwendigkeit, sich sowohl bei dem mündlichen als schriftlichen Vortrage der Richtigkeit und der Zierlichkeit der deutschen Sprache zu befleißigen“ 1751, „Erfahrungsurtheile über den Unterschied des Guten und des Bösen“ 1752, „Anmerkungen über Verstand und Glück“ 1753 etc.), gab Johann Michael v. Loens moralische Gedichte (1751) und Johann Gottlieb Ulbrichs philosophische Abhandlung von der Religion (1753) heraus und ließ mehrere eigne, zum Theil schon früher entstandene Gedichte drucken, zuerst einzeln eine Ode „Die Freuden“ (1749) und ein physikalisches Poem „Von der Majestät des Schöpfers in den Werken der Natur“ (1750). Andere derartige Versuche, eine gereimte Ode, zwei poetische Briefe und ein Pastorell in zwei Aufzügen „Der Apfel“, im herkömmlichen Stil, nach Inhalt und Form unbedeutend, theilte er 1750 in den „Nacheiferungen in den zierlichen Wissenschaften“ mit, einem Sammelbande, den er und noch einige Mitglieder der deutschen Gesellschaft zu Jena, darunter Johann Wilhelm Schaubert, Florens Arnold Consbruch und Johann Paul Heinrich, aus ihren prosaischen und gereimten Arbeiten zusammenstellten. 1752 (richtiger im Sommer 1751) folgten unter dem Titel „Empfindungen für die Tugend in satirischen Gedichten“ zwei bereits 1745 und 1748 in Leipzig verfaßte heftige und im Ausdruck rohe Satiren gegen weichliche Wollust und Sittenverderbniß, denen selbst Lessing einen gewissen Beifall nicht versagte. Ebenfalls 1752 veröffentlichte N. „Sittliche Schilderungen nach dem Leben gezeichnet“, „Satirische und moralische Versuche“, namentlich aber „Nimrod, ein Heldengedichte in 24 Büchern von einem Ehrenmitgliede der königlich großbritannisch-deutschen Gesellschaft in Göttingen“, sein berüchtigtstes Werk. Als absolut unfähiger Nachfolger Klopstock’s und Bodmer’s füllte er hier nahezu 8000 über allen Begriff elende Hexameter, von denen nicht der zehnte Theil auch nur äußerlich richtig gebaut war, mit plumpen Absurditäten aller Art, die er meist in lächerlich-unsinniger Weise zu der Person Nimrod’s in Bezug brachte. Mit der Armuth und Abgeschmacktheit des Inhalts wetteiferte die prosaisch niedrige und dennoch überaus schwülstige Sprache. Dem Machwerk fehlte es nicht ganz an Lobrednern; aber für alle Urtheilsfähigen war von nun an Naumann’s poetisches Unvermögen eine ausgemachte Sache. Selbst seine besseren, gereimten philosophisch-moralischen Gedichte im „Vernünftler“, deren Diction mitunter an Lessing’s „Fragmente“ erinnerte, vermochten ihn in der Achtung der Zeitgenossen kaum wiederherzustellen. Er gab noch 1763 „Satiren“ und gelegentlich einzelne Gedichte heraus („An Deutschland“ 1782). Daran schlossen sich unter anderm 1772 „Schriften aus dem Gebiete des eigenen Nachdenkens, mit Geschmack und [305] Empfindung“ (in zwei Theilen, 1774 mit neuem Titel versehen, „Allerlei aus dem Reiche des Verstandes und Witzes“), eine Sammlung von kleinen, zu verschiednen Zeiten entstandenen, meist moralphilosophischen oder litterarischen Aufsätzen, halb noch im Stil der alten moralischen Wochenschriften, halb schon in dem der Stürmer und Dränger abgefaßt; ferner 1792 „Friandisen des Lebens und der Freude, wodurch der Edle liebenswürdiger wird und der Liebenswürdige edel“. Gegen das Ende seines Lebens beschäftigte er sich auch mit topographischen Untersuchungen seiner engeren Heimath und seines damaligen Aufenthaltsortes; so gab er 1789 in zwei Heften eine „Industrial- und Commercialtopographie von Kursachsen“ und 1794 „Nachrichten von dem Bergbaue in Görlitz“ heraus. Nachdem ihn die Führer unserer Litteratur schon früher nur vorübergehend beachtet hatten, kümmerte sich in seinen letzten vierzig Jahren vollends keiner von ihnen mehr um ihn und seine Arbeiten.

Fr. Dom. Ring, Nähere Nachricht über den M. Naumann (Litterarische Blätter, Nürnberg 1802, Nr. 23 vom 20. November). – Hirsching, Historisch-litterarisches Handbuch, Bd. VI, Abtheil. 1, S. 42 f. (Leipzig 1804), auf Grund der „Zusätze zu dem im Jahr 1743 und 1744 blühenden Jena auf die Jahre 1745–1749“ von Johann Christoph Mylius. – Otto, Lexikon der oberlausitzischen Schriftsteller und Künstler, Bd. II, Abtheil. 2, S. 682 ff. der zweiten Auflage (Görlitz 1806). – Meusel, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen deutschen Schriftsteller, Bd. II, S. 21–24 (Leipzig 1810).