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ADB:Pistoris von Seuselitz, Simon

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Artikel „Pistoris von Seuselitz, Simon“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 186–194, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pistoris_von_Seuselitz,_Simon&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 23:48 Uhr UTC)
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Pistoris: Simon P. (auch Pistorius) von Seuselitz (Seußlitz), sächs. Rechtsgelehrter und herzoglicher Kanzler, geb. zu Leipzig am 28. October 1489, † auf seinem Gute zu Seußlitz am Nachmittag des 3. December 1562. Die Familie hieß ursprünglich „Becker oder Bäcker“; verwandelte in der Humanistenzeit nach dem Vorgange anderer Gelehrten den Namen durch Latinisiren in Pistor, und nannte sich hiernach: Pistoris (sc. filius, seu nepos d. h. Pistor’s Nachkomme). In der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft gebührt der Familie Pistoris ein beachtungswerther Platz. Die sächsischen Juristen des späteren 16. und des 17. Jahrh. haben im Vereine mit der Gesetzgebung (den constitutiones Saxonicae) nicht bloß im eigenen Lande, sondern auch in einem größeren Theile Deutschlands auf Doctrin und Rechtsprechung merklichen Einfluß geübt. Zu den namhaftesten unter diesen Gelehrten gehört Simon P. mit seinen Söhnen Modestinus und Hartmann. Simon entstammt einer geachteten Familie Sachsens. Sein Großvater Nicolaus war Doctor und Professor der Medicin in Leipzig, Bürgermeister daselbst und außerdem kurfürstlicher Leibarzt. Er starb 1471 als ein in allen Kreisen hochgeschätzter Mann, und ist als Begründer des wissenschaftlichen Ruhmes seiner Familie zu betrachten. Dieser wuchs unter seinem Sohne Simon, welcher in die Fußtapfen des Vaters[WS 1] trat. In Leipzig 1453 geboren und gebildet war auch er Doctor und Professor der Medicin, Rathsherr und Syndicus der Stadt und Leibmedicus des Kurfürsten. Sein Tod fällt ins Jahr 1523. Er hat sich in der Fachlitteratur einen Namen gesichert, und durch seine Streitschriften gen Dr. Mart. Pollich[WS 2] und Mollnstad, über die damals in Deutschland unter der Bezeichnung „Franzosen-Krankheit“ bekannt gewordene Syphilis viel Aufsehen erregt.

Dessen gleichnamiger Sohn (Simon) ist unser Gelehrter. Er begann das Rechtsstudium an der Universität seiner Vaterstadt, wurde im 20. Jahre Baccalaureus, und ging 1510 nach Italien und zwar nach Pavia, wo der greise Jason, Maynus, Philipp Decius, die beiden Curtius und Paul Picus seine Lehrer in der Rechtswissenschaft waren. Nach zweijährigem Aufenthalte veranlaßten ihn kriegerische Unruhen zur Rückkehr in die Heimath. Dort vollendete er das Rechtsstudium, wurde im 23. Jahre (1512) Licentiat, im 25. (1514) Doctor beider Rechte und zugleich Professor codicis. Schon nach fünf Jahren, nach dem Tode Johann Lindemann’s (1519) ernannte Herzog Georg auf Vorschlag der Facultät den erst dreißigjährigen Docenten zum Ordinarius (dem zwölften in der Reihe der Leipziger Rechtsordinarien) und zugleich zum gelehrten Beisitzer des Oberhofgerichtes. Das noch erhaltene Gutachten schildert mit beredten Worten die glänzenden Vorzüge des Candidaten, und gipfelt in dem Bekenntnisse, daß die Facultät auf sämmtlichen deutschen Akademien Keinen [187] wisse, der den zu stellenden Ansprüchen besser zu entsprechen vermöchte als P.: denn – fährt der Bericht fort: „natura summas animi et corporis dotes una cum inclyta virtute etc. felicissime cumulavit. – – Tantum in eo sapientia, probitas, ingenium, eruditio atque civilitas emicant“. [Das „Ordinariat“ war damals in Leipzig und wol an allen deutschen Hochschulen ein ständiges Amt und zwar das erste in der Facultät mit bleibender Vorstandsschaft in derselben. Der Ordinarius (welcher an einigen, besonders französischen Universitäten auch „antecessor“ hieß) war zugleich „consiliarius universitatis“, an dessen Gutachten in Rechts- und Verwaltungssachen sich die Rectoren in der Regel gebunden erachteten. Ueberdieß hatte der Leipziger Ordinarius bis 1866 das Canonicat von Naumburg oder Merseburg.] – Als sich Luther wegen seiner und Karlstadt’s Disputation mit Dr. Eck im Juni 1519 in Leipzig aufhielt, lernte er P. kennen, dessen er in drei Briefen gedenkt. Im ersten berichtet er Spalatin: er sei bei Dr. Lauterbach und dem Ordinarius Pistor d. J. (zum Unterschiede vom gleichnamigen Vater) und gleichzeitig mit diesen bei Herzog Georg selbst geladen gewesen. – Infolge der sehr bedächtigen Haltung Pistoris’ gegen Luther’s Lehre schreibt dieser im zweiten Briefe vom 2. April 1543 dem Anton Lauterbach, Superintendenten von Pirna ziemlich unmuthig: „Pistorium semper esse et fore Pistorium credidi; porro veteratorum illum papistam mutari posse scio, si lupus agnus fiet, et ut Jeremias ait, si Aethiops mutare poterit pellem suam“. Der dritte Brief (vom 3. November 1543) aber enthält aus Anlaß einer von Lauterbach Luthern mitgetheilten Aeußerung Pistoris’ Ausbrüche heftigsten Unwillens gegen Letzteren, den er geringschätzig „istum maletiosissimum Becker“ nennt, als „pessimum hypocritam, perditum Satanae mancipium, diabolorum filium“ und Aehnliches kennzeichnet, und dem gegenüber er Lauterbach zur Festigkeit auffordert. – 1523 trat P. als Kanzler in die unmittelbaren Dienste Herzog Georg’s. So ehrenvoll auch diese Auszeichnung war, hätte es doch P. vorgezogen, auf dem Katheder zu bleiben, denn er folgte nur ungerne: „Non parum invitus“ – wie er in seinen Aufzeichnungen sagt, – aber (fügt er resignirend bei) „favor vicit judicium, doctrinam potentia“. Er begleitete seinen Fürsten im J. 1530 auf den denkwürdigen Reichstag zu Augsburg, den Karl V. zur Beilegung der religiösen Zerwürfnisse auf den 8. April ausgeschrieben hatte. Zu jener Zeit wechselte P. Briefe mit Erasmus von Rotterdam, der sich über ein sehr ungnädiges, eigenhändiges Schreiben des Herzogs Georg beschwerte, dessen Inhalt Erasmus dem Einflusse Dritter zuschrieb, dem indeß P. in seiner Antwort (Dresden Kal. Decembris to XXIV) entschieden widerspricht. Aus letzterer erfahren wir nebenbei, daß damals dem Briefgeheimnisse nicht zu trauen war, und bemerkt P.: es sei unter den Juristen noch nicht ausgemacht, wem in solchem Falle die Diebstahlsklage (furti actio) zustehe! P. blieb bis zu Georg’s Tod als Kanzler in dessen unmittelbaren Diensten, trat aber dann alsbald (etwa Anfang des Jahres 1539) wieder in das Ordinariat zurück, welches er wahrscheinlich nur mit ausdrücklichem Vorbehalte des Rücktrittes aufgegeben hatte; denn sein Nachfolger, Georg v. Breitenbach, scheint nur Stellvertreter im Ordinariate gewesen zu sein und wurde bald nach dessen Wiederübernahme durch Pistoris (1540) Kanzler des zur Reformation übergetretenen Kurfürsten Joachim v. Brandenburg, in welcher Eigenschaft Breitenbach kurz darauf mit Tod abging. P. aber erhielt im Jahre seines Rücktrittes (Ende 1539) einen Ruf nach Ingolstadt an Stelle des am 9. December dieses Jahres verstorbenen Canonisten Dr. Franz Burkhard. Die Verhandlungen leitete Zwichem Viglius ab Ayta, von Geburt ein Friese, damals eine Zierde der Universität Ingolstadt, später Statthalter von Holland und Geldern. Der Brief, worin er P. ebenso herzlich als verbindlich zur Annahme des Rufes einladet, ist vom 20. December 1539[WS 3] [188] aus Rain datirt, wo Burkhard starb, welcher vor der in Ingolstadt wüthenden Pest nach diesem Donaustädtchen geflüchtet war und daselbst binnen wenigen Stunden der verheerenden Seuche zum Opfer fiel. Die Verhandlungen zwischen Viglius und P. blieben erfolglos, da sich letzterer nicht entschließen konnte, sein Geburtsland zu verlassen. Doch auch nach dem Rücktritt 1539 war P. keine längere Lehrthätigkeit gestattet; denn bereits im Herbst 1541 (nicht 1542) erwählte ihn Herzog Moritz (als er aus Hessen zurückgekehrt war, um bei Herzog Heinrichs Altersschwäche die Zügel der Regierung zu führen) auf Herzog Philipps von Hessen Empfehlung sofort als Kanzler, welche Wahl nach den früheren Vorgängen wohl auch jetzt den Wünschen von P. kaum entsprochen haben dürfte. Im Frühjahre 1542 betheiligte sich Moritz auf des Kaisers dringenden Wunsch am Türkenkriege, und stellte während seiner Abwesenheit zur Verwaltung der öffentlichen Geschäfte zwei Statthalter und zehn Räthe auf, unter letzteren Simon P., dem durch die mit Genauigkeit abgefaßte Instruction vom 18. April 1542 vornehmlich die Religionssachen mit erschöpfenden Vollmachten übertragen wurden. 1543 geleitete er des Herzogs Bruder August, der als kurfürstlicher Lehenträger zum Empfange der böhmischen Lehen nach Prag reiste, dorthin. Im folgenden Jahre (1544) war er abermals Mitglied einer von Moritz eingesetzten Regentschaft, als dieser nach Speyer „zu Römischen Kaisers Majestät außerhalb Landes verrückte“. Durch eine vom Herzog am Sonntage Cantate 1544 erlassene Instruction wurden P. hauptsächlich Kirchenangelegenheiten, Unterthanenstreitigkeiten und allenfalls mit dem Kurfürsten auftauchende Zwiste übertragen. Im October 1546 kam P. wiederholt nach Prag, diesmal im Gefolge des Herzogs Moritz, welchen sein Bruder Herzog August und fünf der vertrautesten Räthe (Carlowitz, Pistoris, Türk, Ebeleben und Fachs) begleiteten, die an den wichtigen geheimen Unterredungen zwischen Ferdinand und ihrem Herrn theilnahmen; doch kam dortselbst kein endliches Ergebniß zu Stande. Als Kanzler mit des Herzogs Vertrauen beehrt wurde P. wiederholt mit diplomatischen Sendungen, namentlich an das kaiserliche Hoflager betraut; letzterem Umstande hat er es zu danken, daß er von Karl V. mit seinen ehelichen Nachkommen in den Reichsritterstand erhoben wurde. 1549 zog er sich auf die um diese Zeit erkauften, unterhalb Meißen an der Elbe gelegenen Güter Seußlitz und Merschwitz (Theile eines im 13. Jahrh. gestifteten später aufgelösten Clarissinenklosters) zurück, blieb jedoch bis zu seinem Tode als „Rath von Haus aus“ im Dienste des Kurfürsten August, unablässig mit Studien beschäftigt, wie er auch Allen, die sich an ihn wandten, bereitwillig Rechtsgutachten ertheilte. Infolge jener Erwerbungen und der Erhebung in den Adelstand nannten sich Simon und dessen Erben von nun an „Pistoris in Suselitz“. Die Liegenschaften blieben bis 1720 im Besitze der Familie. Dort befindliche Inschriften und Denksteine geben rühmend Zeugniß von verdienstvollen Leistungen so manchen Familiengliedes. Simon starb zu Seußlitz im 73. Lebensjahre und wurde dortselbst bestattet; die von Georg Fabricius mitgetheilte Grabschrift lautet im Wesentlichen:

 Simon Pistoris J. U. D.
in erudita familia natus, magnis honoribus functus,
eruditos et honoratos linguens filios superstites,
quem urbs Papia docuit, patria Lipsia ornavit,
aula Saxonica observavit, sub hoc saxo corpore conditur etc. etc.

P. war ein ungemein fleißiger, arbeitsamer Mann. Er besaß eine reichhaltige, nicht bloß auf Rechtswissenschaft beschränkte Bibliothek, deren Bände er mit vielen Randnoten füllte. Nach dem Vorbilde seines hochverehrten Lehrers Jason und nach dessen Wahlspruche: „der Stift macht den Rechtsgelehrten“ [189] (calamus est, qui facit Jurisconsultum) trug er das Bemerkenswertheste seiner Tageslectüre gewissenhaft in systematisch angelegten Rubriken (suis titulis et locis communibus) ein, und empfahl seinen Zuhörern dasselbe Verfahren, indem er ihnen in die damals üblichen Stammbücher den Rath (ὑπομνήμα) schrieb: sie möchten zur Unterstützung wie zur Uebung des Gedächtnisses die wichtigsten der von ihnen gelesenen Gesetze und Aussprüche Rechtsgelehrter sammt deren Citaten in alphabetisch angelegte Repertorien eintragen. Zu Hause wie auf Reisen hatte P. die Gewohnheit, um Mitternacht aufzustehen und bis 4 Uhr morgens zu arbeiten, dann genoß er ein paar Stunden Ruhe, worauf er um 6 Uhr die ihm liebgewordene Thätigkeit wieder begann. Trotz solch außergewöhnlichen Fleißes ist der Umfang seiner litterarischen Arbeiten nicht erheblich, da er seine Hauptthätigkeit den praktischen Berufsgeschäften zuwenden mußte. Wir besitzen von ihm nur mehrere Consilien, welche der zweibändigen Consiliensammlung seines Sohnes Modestinus beigegeben sind, und von denen sich zwölf im ersten, die übrigen im zweiten Bande finden. Sie sind deutsch geschrieben, und behandeln vorwiegend privatrechtliche Angelegenheiten, häufig unter Berücksichtigung des sächsischen Rechts; daneben werden jedoch auch processuale, straf-, lehen- oder kirchenrechtliche Fragen, selbst Gegenstände des Privatfürstenrechtes (consil. 18, 19, 20) erörtert; von besonderem Belange ist das erste, dem Reichsstaatsrechte entnommene Gutachten von 1519 über die Kaiserwahl Karls V. (Theil I, S. 894–902), da es uns einen Blick in den damaligen Stand der noch jungen Staatsrechtswissenschaft gestattet. P. beklagt zunächst den Mangel gesetzlicher oder wissenschaftlicher Vorarbeiten, da sich weder die römischen Kaiser deutscher Nation noch die welschen Scribenten um die ventilirte Frage viel gekümmert hätten, daher es ihm in der That schwer falle, die vom Kurfürsten vorgelegte Frage so plötzlich zu beantworten. Simon war dreimal verheirathet; von seinen 23 Kindern haben sich zwei Söhne (Modestinus und Hartmann, siehe diese) als Juristen ausgezeichnet. Das Porträt Simon’s ist von de Bry in 8° in Kupfer gestochen.

Modestinus P., der älteste von Simon’s Söhnen, am 9. December 1516 in Leipzig geboren, hat im Wesentlichen den Bildungsgang seines Vaters durchgemacht. Auch er begann das Rechtsstudium in seiner Vaterstadt, wurde frühzeitig im 17. Lebensjahre Baccalaureus und ging gleich seinem Vater nach Italien, um in Pavia den berühmten Andreas Alciati zu hören. Allein der sonst stille Musensitz ertönte von dem Kriegslärm der Truppen Franz I., welche das mailändische Gebiet besetzt hatten. Modestin zog deshalb alsbald nach Padua, wo Palma und der jüngere Marianus Socinus lehrten. Nach fünfjährigem Aufenthalte in Italien kehrte er 1541 zu den Seinen zurück, erlangte noch im Sommer desselben Jahres unter seines Vaters Vorsitz das Licentiat, und wurde hierauf im 25. Lebensjahre von Herzog Heinrich, dem Bruder und Nachfolger Georgs, zum Professor der Rechte ernannt. Im nächsten Jahre promovirte er als Doctor utriusque juris, und heirathete eine Tochter des Ordinarius und Bürgermeisters Dr. Ludwig Fachs, der nicht bloß ein tüchtiger Jurist, sondern auch ein in politischen Dingen wolerfahrener Mann war. Aber auch P. beschränkte seine Thätigkeit nicht auf den Katheder; er vereinte in sich eine Reihe von Stellen. Wir finden ihn als kurfürstlichen Rath, als Beisitzer (1547) am Oberhofgericht, als Mitglied des städtischen Collegiums und als Stadtrichter (seit 1557 als Bürgermeister), auch als Viceordinarius der Juristenfacultät für den 1554 zum kurfürstl. Rath ernannten Ulrich Mordeisen, endlich als vielgesuchten und hochgeschätzten Rechtsconsulenten fürstlicher und anderer Personen. Es ist eine charakteristische Erscheinung des sechszehnten Jahrhunderts, daß dem Ehrgeize namhafterer Professoren das Lehramt nicht genügte, und es [190] kaum einen bedeutenden Docenten gab, welcher nicht zugleich erhebliche Nebenämter gehabt hätte oder zu wichtigen Gesandtschaften verwendet worden wäre. Es wiederholen sich daher in jener Zeit fortwährend die Klagen, daß die Zeit für die Vorlesungen durch die Last praktischer Arbeiten für das Spruchcollegium, für die Gemeinde oder die Fürstenhöfe ungebührlich gekürzt werde, was zum Nachtheile der Hörer um so fühlbarer war, als nach damaliger Lehrmethode mancher Docent bei einer schwierigen Stelle oft ein paar Wochen verweilte und auf Erklärung der Institutionen bisweilen 3 bis 4 Semester verwendete. P. bearbeitete seine Gutachten mit großer Sorgfalt, – in wichtigeren Fällen setzte er sich regelmäßig mit seinem Vater ins Benehmen – und genoß deshalb auch allgemeines Vertrauen. Nach dem Zeugnisse seines früheren Schülers, des Wittenberger Professors Joachim v. Beust (der 1577 auf seinen hochverehrten Meister eine Denkrede hielt), galt Modestinus’ Haus als juristische Orakelstätte nicht bloß für Dresden, sondern auch für die benachbarten Orte und es verstrich kaum ein Tag, an dem sich nicht Rathsuchende eingefunden hätten. Im Hinblick auf diese vorwiegend praktische Thätigkeit mußte sein Wirkungskreis als Lehrer ein beschränkter sein und konnte von ihm eine erhebliche Förderung der akademischen Studien unmöglich ausgehen; vielmehr litt unter der drückenden Last solch vielfacher Geschäfte seine Gesundheit, und da er auf deren Pflege wenig acht nahm, ist sein verhältnißmäßig früher Tod, – er starb am 15. September 1565 im Alter von 49 Jahren – zum wesentlichen Theile auf Rechnung seiner Lebensweise zu setzen. Den Lehren seines Vaters folgend schrieb Modestinus einen „Index locorum communium totius juris – methodo συνθετιχῇ sive compositiva“, welcher in Reusners Cynosura juris pag. 137–158 abgedruckt ist. Der Verfasser gibt ein sehr gründlich ausgearbeitetes Schema eines vollständigen Rechtssystems, welches die gesammte Rechtswissenschaft in acht Theile zerlegt (allgemeiner Theil, Personen-, Sachen-, Vertrags-, Erbrecht, Klagen und Interdicte, Strafrecht, Proceß), innerhalb deren die einschlägigen Rechtsbegriffe als Schlagworte in systematischer Reihenfolge aufgeführt sind. (Ueber die wechselnde Bedeutung des in der scholastischen Methode vielgebrauchten Ausdruckes „locus“ und „locus communis“ siehe Stintzing, Gesch. d. deutsch. Rechtswissensch. I. 114 u. ff. Note 4). Modestins Consilien veröffentlichte sein jüngerer Sohn, der Kammergerichtsassessor Jacob P., – der ältere Dr. Ludwig, welcher dieselbe Stelle bekleidet hatte, war bereits mit Tod abgegangen und ist hiernach Stintzings Behauptung (a. a. O. S. 508), daß Modestinus neben 11 Töchtern einen einzigen Sohn, Ludwig, gehabt habe, zu berichtigen. Modestinus war zweimal verheirathet; aus erster Ehe gingen 12 Kinder hervor, von denen acht den Vater überlebten, aus der zweiten ein nachgeborenes Töchterchen. Mit den Consilien Modestins’ (122 an der Zahl) erschienen auch die von Simon und Professor Dr. Fachs nebst der Denkrede Joach. v. Beust’s in zwei Foliobänden zu Leipzig. Im ersten 1587 erschienenen Bande finden sich jene 72 Gutachten, welche Modestinus im eigenen Namen erstattete, der zweite Band (1588) enthält die Namens des Leipziger Spruchcollegiums abgegebenen. Von 1596 bis 1599 veranstaltete Jacob eine neue Auflage, welche er seinem Freunde und Amtsgenossen, Reinhard v. Sickingen, Herrn v. Nanstein etc. zueignete. Aus Modestins handschriftlichem Nachlasse wurden später noch drei weitere juristische Werke herausgegeben, deren Titel Stintzing (a. a. O. S. 508, Note 2) näher angeführt hat. Modestin’s Brustbild wurde in Octavformat von de Bry in Kupfer gestochen. Einen mittelmäßigen Holzschnitt enthält eine Quartausgabe der Quaestionen. (Lps. 1612.)

Hartmann P. von Seuselitz und Hirschstein, auch ein Sohn des Simon P. aus dessen dritter Ehe und Stiefbruder des um volle 26 Jahre [191] älteren, vorgenannten Modestinus; 1543 zu Leipzig geboren, widmete sich (wie oben bemerkt) gleichfalls der Rechtswissenschaft, und besuchte zu diesem Zwecke unter Leitung seines Vaters und Bruders die Universität seiner Geburtsstadt, dann italienische Hochschulen und wurde bald nach seiner Heimkehr zum Assessor des Oberhofgerichts und 1574 zum Beisitzer des Schöppenstuhles in Leipzig ernannt. Von da kam er unter Kurfürst August in das Hofrathscollegium und wurde rasch zum geheimen Rath befördert; dieses Amt bekleidete er ungefähr zehn Jahre, innerhalb welcher Zeit er zu diplomatischen Sendungen verwendet wurde. Nach des Kurfürsten Tod legte er die Stelle nieder und zog sich auf das väterliche Erbe nach Seußlitz zurück, das er durch Verträge mit seinem Bruder Eugen in seiner Hand vollständig vereinigte und durch Ankauf des benachbarten Schlosses und Gutes Hirschstein wesentlich vermehrte. Von seinem Landsitze aus besorgte er für das sächsische Kurhaus unter drei Regierungen etwa 18 Jahre lang eine Reihe der wichtigsten Geschäfte, welche seiner besonderen Obsorge und Verwaltung anvertraut waren und trat periodisch als Appellationsgerichtsrath in Function. Nebenbei ertheilte er fremden Fürsten wie Privaten bereitwillig in juristischen Angelegenheiten Rath. Da er wegen seiner Kenntnisse und strengen Rechtlichkeit großen Ruf genoß, fanden sich sehr häufig Rechtsuchende auf seinem Gute ein; sei es, daß sie Hartmann um seine Meinung baten, sei es, daß sie von seinen Observationes juris Einsicht nahmen (einer von Hartmann bearbeiteten Sammlung interessanter Rechtsfälle und Streitfragen), welche der Verfasser damals handschriftlich in Seußlitz verwahrte, die aber wegen ihrer ausgedehnten Benutzung in weiteren Kreisen bekannt war. Das Hauptwerk unseres Gelehrten sind die „Quaestiones juris tam Romani quam Saxonici“, welche bei den Gerichten in hohem Ansehen standen, vielfach gebraucht, daher auch wiederholt aufgelegt wurden und dem Verfasser den Ehrennamen eines „sächsischen Papinian“ erwarben. Das erste Buch dieses geschätzten Werkes (50 Quaestiones) veröffentlichte er selbst zu Leipzig 1579, und widmete es seinem erlauchten Herrn, dem Kurfürsten August. In der epistola dedicatoria (Dresdae Idib. Octob. 1578) (einem umfassenden Schriftstücke von mehreren Folioseiten) hebt er hervor, daß die Rechtsprechung hoch über dem Lehren stehe, weshalb er auch jene als Lebensberuf gewählt habe, und führt zur Unterstützung seiner Ansicht die Worte des italienischen Juristen Baldus an: „ea, quae theoretice dicuntur, quasi sub nubi dici“ und „in scholis leges deglutinantur, in palatiis vero – digeruntur!“[WS 4] (Im Hörsaale werden die Gesetze aufgeweicht, im Gerichtshofe aber aufgelöst.) Das in zwei Theile (partes) zerfallende zweite Buch (liber secundus Quaestionum) erschien allmählich von 1582 bis 1593, und zwar der zweite Theil (L. II. P. II.) mit einer undatirten Vorrede des Wittenberger Professors Matthäus Wesenbeck. Diese beiden libri wurden 1596, 1597, 1598 neu aufgelegt. Auch Hartmann’s Sohn, Simon Ulrich (siehe diesen), besorgte nach des Vaters Tod neue Ausgaben und Auflagen (Lips. 1609 4°). Endlich sind beide Hauptwerke Hartmann’s, die Quaestiones und Observationes, zusammen unter dem Titel: „Dr. Hartmanni Pistoris In Seuselitz et Hirstein Icti Opera omnia (Simonis Ulrici f. studio et additionibus editioni praeparata)“ bei Henning Gros in Leipzig 1629 fol. erschienen (2. Aufl. Francof. et Lips. 1679). – Aus Haubold’s Programma: Legis judiciariae utriusque etc. origin. (Lips. 1809 4°) und Schletter’s „Beiträgen zur sächsischen Justizpflege“ etc. (S. 13–16) erfahren wir, daß Hartmann P., um 1586 (vielleicht etwas später) als Privatarbeit, oder – was bei seiner Vertrauensstellung zum sächsischen Kurhause wahrscheinlicher, im besonderen Auftrage der Regierung unter Benutzung der braunschweigischen Gerichtsordnung des Kammergerichtsassessors Mynsinger v. Frundeck in 72 Titeln den Entwurf einer vollständigen Proceßordnung mit Anmerkungen abfaßte, deren erste 26 Titel [192] den Inhalt der „Appellationsordnung des Herrn Hertzogen Christiani des Anderen vom 10. Aprilis anno 1605“[WS 5] (gedruckt: Dresden 1607, 1625, 1638 und 1649) ausmachen, während die übrigen 46 Titel des Entwurfes mit den Titeln 5 bis 52 der (aus 52 Titeln bestehenden) „Proceß- und Gerichtsordnung“ des Herzogs Johann Georg vom 28. Juli 1622 (Dresden 1622, 1623, 1624 u. s. f.) fast vollständig übereinstimmen. P. starb nach langwieriger Krankheit, – jedoch nicht wie in der Regel – (auch von Stintzing) angegeben wird, zu Dresden 1601. Nach der auf dem Leichensteine in der Familiengruft angebrachten Inschrift ist „der Gestrenge etc. H. Hartmann P. auf Seußelitz und Hirschstein, Churf. Säx. Vornehmer Rath zu Seußelitz den 1. Martii 1603 seines Alters 60 Jahre und 5 Wochen selig verschieden.“ Er war verheirathet mit Barbara, einer Tochter Ulrich Mordeisens (Ordinarius der Leipziger Juristenfacultät und seit 1554 kurs. Kammerrathes). Von den vier überlebenden Kindern verdient Simon Ulrich nähere Besprechung (siehe diesen). Der Verstorbene, ein Jurist ersten Ranges, war nicht bloß der bedeutendste und einflußreichste seines ganzen Geschlechts, sondern übertraf wohl die meisten Praktiker seiner Zeit an Kritik, Scharfsinn und Gelehrsamkeit. Seine lehenrechtlichen Arbeiten (Quaestiones l. II. Qu. 1 u. ff.) sind das Gediegenste, was wir über diese Materie aus jener Zeit besitzen, und hat kein anderer damaliger Schriftsteller eine so vollständige und kritische Uebersicht der älteren und neueren Lehenslitteratur geliefert als er.

Simon Ulrich P. auf Seuselitz und Hirschstein, brandenburgischer Geheimrath, geb. zu Leipzig am 3. December 1570, † in Berlin am 24. Juni 1615, ein Sohn des vorgenannten Hartmann P., machte seine humanistischen und akademischen Studien in seiner Vaterstadt, wo er auf dortiger Hochschule philosophische, juristische und theologische Vorlesungen besuchte und dann als Doctor beider Rechte promovirte. Er betrat die juristische Laufbahn und wurde bereits 1600 unter Kurfürst Joachim Friedrich zum kurbrandenburgischen Hofrath in Berlin ernannt, welcher Ernennung die Beförderung zum Geheimrath rasch folgte. In dieser Eigenschaft wurde er öfters zu politischen Sendungen, namentlich ins Clevische verwendet, das zu jener Zeit unter brandenburgischer Landeshoheit stand. Ulrich Simon erfreute sich gründlicher und vielseitiger Bildung; er galt nicht bloß als tüchtiger Jurist, sondern auch als gewiegter Kenner der Patristik und der theologischen Tageslitteratur, welche wegen der Streitigkeiten zwischen Protestanten und Reformirten damals einen vorwiegend polemischen Charakter an sich trug. P. hatte das reformirte Bekenntniß angenommen und zählte zu den angesehensten und eifrigsten Mitgliedern der jungen Berliner Gemeinde. Diese gewann durch den am 25. December 1613 in dortiger Domkirche erfolgten Uebertritt des Kurfürsten Johann Sigismund (welchem Akte P. als Urkundsperson anwohnte), erhöhtes Ansehen und großen Aufschwung; P. aber wurde infolge seiner lebhaften Antheilnahme an allen kirchlichen Vorgängen in die erwähnten Streitigkeiten persönlich verwickelt. Während der Michaelismesse 1613 wurde ein zu Düsseldorf gedrucktes Buch (in 4°) feil geboten, welches sehr viel Aufsehens machte und den Titel trug: „Zwölf vornehme, wohlbegründete Hauptursachen, warum die reformirte evangelische Kirche mit Dr. Luthers und seiner Nachfolger Auslegung der Worte Christi im heiligen Abendmahl – nichts eins sein könne – von einer vornehmen Standesperson zusammengetragen. Nun aber der Wahrheit zur Steuer – durch etliche Diener Göttliches Worts zum Druck befördert.“ – Die „vornehme Standesperson“, welche der Titel als Verfasser bezeichnet, war S. Ulr. P. Entbehrte auch die damals viel verbreitete Ansicht, diese Abhandlung habe den Kurfürsten zum Religionswechsel bestimmt, der Richtigkeit, so wurde doch das Buch von Letzterem sehr geschätzt und gewürdigt; zugleich war es der Anstoß zu einer [193] langwierigen, erbitterten Fehde, an der sich P. kurz vor seinem Tode wiederholt durch „Rettung und gründlicher Salvation der XII Hauptursachen wider die Schriften Balduini und eines ungenannten Studiosi theologiae“ (Frankfurt a/O. 1615. 4°) betheiligte. Aber erst nach Pistoris’ Tod 1620 endigte der unerquicksame Streit durch eine in dessen Sinne verfaßte dissertatio des Theophilus Mosanus „de visibilitate corporis Christi“ (Frankfurt a/O. 1620. 4°). Zu den theologischen Schriften unseres Gelehrten zählt noch eine deutsche Erläuterung der Psalmen David’s, deren Drucklegung auf besonderen kurfürstlichen Befehl durch Hofprediger Füssel 1608 zu Frankfurt a/O. in Fol. erfolgte. Der Vater, Hartmann. hatte über diesen Gegenstand einen lateinischen Commentar geschrieben, der dem Sohne bei seiner Arbeit trefflich zu statten kam. Die observationes miscellaneae liefern in Tom. III, S. 85–91 einen größeren Auszug aus diesem nicht im Drucke erschienenen Commentar. Auch als juristischer Schriftsteller entfaltete P. eine höchst anerkennenswerthe Thätigkeit. Er gab aus seines Vaters Papieren noch zwei libri Quaestionum heraus und versah diese nebst den zwei früher veröffentlichten mit Zusätzen (additiones) (Lips. 1609. 4°). Außerdem unternahm er, die „Observationes“ seines verstorbenen Vaters zu ordnen, mit Zusätzen zu versehen und sie dann sammt den Quästionen in Druck zu geben. Ein vorzeitiger Tod (er starb schon im 45. Jahre) hinderte ihn jedoch an Vollendung der Vorarbeiten, worauf Dr. Jakob Schultes, Advokat in Leipzig, die Herausgabe übernahm. Er widmete die Observationes dem Kurfürsten Johann Georg von Sachsen. Die epistola dedicatoria (Lipsiae Kalend. Septembr. 1620), welche Hartmann P. als „nobilium juris consultissimum et juris consultorum nobilissimum“ feiert, erzählt, daß nach Ulrich’s Tod dessen einziger überlebender Bruder (Hartmann) Dr. Schultes die Herausgabe der väterlichen Observationes übertragen und Letzterer im Interesse der Rechtswissenschaft diese Aufgabe übernommen und gelöst habe. Unser vielseitiger Gelehrte ist auch als lateinischer Dichter bekannt und geschätzt; dessen Freund Janus Gruterus hat in den 5. Band der „Delitiae Poetarum Germanorum“ etc. (S. 94–104) einige seiner Gelegenheitsgedichte aufgenommen. Simon Ulrich blieb unverehelicht; er erlag nach fünfzehnjährigen Collegialdiensten am 24. Juni 1615 einer hartnäckigen Krankheit und ruht gleich seinen Ahnen in der Familiengruft zu Seußlitz; das wortreiche Epitaphium schildert sehr ausführlich die Verdienste und Leistungen des Dahingeschiedenen. Ein kleines Aquatintablatt von L. Wolf gezeichnet und von Fügel gestochen, zeigt das Brustbild unseres Gelehrten.

Ein Neffe desselben, Hans Ernst v. P. auf Seußlitz, war kursächsischer Geheim- und Appellationsrath und zugleich Gesandter bei den westfälischen Friedensverhandlungen. Als solcher wurde er 1648 von A. v. Hulle gemalt und von Petrus de Jode, auch von Brusekom im nämlichen Jahre gestochen. In der Umrahmung erblicken wir das sächsische und das Familienwappen. Nach einem Gemälde von Terbourg hat P. Holsteyn einen Stich in Folio hergestellt. Einen solchen enthält auch das theatr. Europ. (T. 6 pag. 564).

Ueber sämmtliche P.’s einschließlich Nikolaus und Simon Dr. med.: Jöcher-Rotermund, bez. der Porträte Drugulin’s Porträtkatalog. – Ueber Simon P., Dr. jur.: Horn, nützl. Sammlung zu einer historischen Handbibliothek von Sachsen 612 u. ff. – v. Langenn, Moritz, Herzog u. Kurfürst v. Sachsen (1841) B. I, S. 103, 148, 278. – Stintzing, Gesch. d. dtschn. Rechtswissensch. I 256. – Gerber, die Ordinarien der Leipz. Juristenfacultät, S. 24, N. XII. – Ueber Modestinus P.: Stintzing a. a. O. 258 u. Joach. v. Beust, Vita Modest. Pist. Witeb. 1558. – Gerber a. a. O. 29. N. XV. – Ueber Hartmann P.: Stintzing a. a. O. 258 u. 289. – Fortges. Samml. v. [194] alten u. neuen theol. Sachen. Jahrg. 1725. S. 357–59. – Schletter, Beitr., Heft I, S. 13. – Ueber Simon Ulrich P.: D. H. Hering, histor. Nachr. von der evang. reform. Kirche in Brandenburg, S. 52 u. f., 87 u. f., 174 u. f. – Fortges. Samml. v. alten u. neuen theolog. Sachen. Jahrg, 1725. S. 355–57. – Witte, Diar. biogr.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vates
  2. Vorlage: Mart. Pollin
  3. Vorlage: 1519
  4. Vorlage: Schließendes Anführungszeichen fehlt.
  5. Vorlage: Öffnendes Anführungszeichen fehlt.