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ADB:Praetorius, Stephan

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Artikel „Praetorius, Stephan“ von l. u. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 534–535, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Praetorius,_Stephan&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:30 Uhr UTC)
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Praetorius: Stephan P., ausgezeichneter Prediger und Seelsorger und bekannter ascetischer Schriftsteller, wurde am 3. Mai 1536 zu Salzwedel geboren. Ob er mit dem gleichfalls aus Salzwedel stammenden Abdias Praetorius verwandt ist (vgl. oben S. 513), ist noch nicht festgestellt. Er besuchte drei Jahre die Johannisschule zu Lüneburg und bezog im J. 1551 die Universität Rostock. Hier schloß er sich besonders den jüngern Docenten aus Melanchthon’s Schule, einem Dan. Chyträus, Simon Pauli, Johannes Posselius an. Im J. 1563 ward er Magister, nachdem er schon seit 1555 als Schullehrer zu St. Marien dort angestellt war. Vom J. 1565 an ist er wieder in seiner Vaterstadt, zuerst als Prediger am Kloster zum heiligen Geist vor Salzwedel, sodann seit 1569 als Pastor in der Neustadt Salzwedel. Im Herbste 1580, als die Pest in Salzwedel heftig auftrat, ward er auch von ihr ergriffen und war dem Tode nahe; kaum genesen, besuchte er wieder die Pestkranken in seiner Gemeinde mit dem größten Eifer; während dieser Zeit (1581) erhielt er eine Berufung als Propst und Superintendent nach Uelzen, die er aus Liebe zu seiner Gemeinde, die ihn nicht ziehen lassen wollte, ausschlug. Ebenso lehnte er im J. 1584 einen Ruf nach Wismar ab und blieb bis zu seinem Tode, der am 4. Mai 1603 (nicht 1610, wie Koch angiebt) erfolgte, in seiner Stellung zu Salzwedel. P. war nicht ein besonders gelehrter Theologe, obschon es ihm nicht an Kenntnissen fehlte; sein eigentliches Arbeitsfeld war die Seelsorge und seine Thätigkeit in ihr erinnert in mancher Hinsicht an die ein Jahrhundert spätere Wirksamkeit von Spener und seinen Freunden. Besonders bekannt wurde P. durch eine größere Anzahl kleiner erbaulicher Schriften, die er etwa seit dem Jahre 1570 herausgab. Er wollte durch sie in weiteren Kreisen christliche Erkenntniß und christliches Leben wecken; und sie fanden, wie wir aus vielen noch vorhandenen Zeugnissen sehen, vielerwärts und namentlich auch in Salzwedel selbst dankbare Aufnahme und blieben nicht ohne Wirkung. P. tadelt in ihnen offen die Gebrechen seiner Zeit, und so haben seine Schriften auch als Schilderungen der damaligen kirchlichen und sittlichen Zustände Werth; er dringt vor allem auf lebendiges Christenthum und spricht sodann von der schon gegenwärtigen Würde und Seligkeit eines gläubigen Christen in begeisterter, oft überschwänglicher Weise. Seine Ausdrucksweise ist dabei oftmals nicht vorsichtig, und es ist zu begreifen, daß er allerlei Angriffe erfuhr. Doch wurde bei einer Kirchenvisitation, die im J. 1600 in Salzwedel statthatte, seiner Wirksamkeit [535] unbedingtes Lob ertheilt und seine Rechtgläubigkeit nicht beanstandet, wie denn auch bei einem Manne, der das Concordienbuch unterschrieben hat und dem von Theologen wie Martin Chemnitz und David Chyträus gerade auch wegen seiner Schriften die größte Anerkennung zu Theil wurde, nicht anders erwartet werden kann. Conrad Dilfeld behauptete später, P. habe vor der Visitationscommission seine Heterodoxie in einigen Artikeln widerrufen müssen; aber diese Angabe ist mit dem Inhalte des Visitationsrecesses vom 28. Juni 1600 nicht in Einklang zu bringen und darf bei dem bekannten Charakter Dilfeld’s (s. A. D. B. V, 223) für unbegründet gehalten werden. Kein Geringerer als Johann Arnd (s. A. D. B. I, 548) hat sodann die kleinen Tractate und Gelegenheitsschriften von P. gesammelt und im J. 1622 zu Goslar herausgegeben. „58 schöne, auserlesene, geist- und trostreiche Tractätlein u. s. f.“. Dann besorgte Martin Statius in Danzig († 1655) einen nach Materien geordneten Auszug aus diesen Schriften des P.; zuerst erschien 1625: „Vortrab der geistlichen Schatzkammer“ und hernach im J. 1636 (Lüneburg bei den Sternen) „Geistliche Schatzkammer der Gläubigen“; dieses letztere Werk ist dann sehr oft wieder gedruckt; noch in unserm Jahrhundert erschienen neue Ausgaben, so z. B. ein als 4. Aufl. (?) bezeichneter Druck Basel 1807, eine 5. Aufl. Elberfeld 1833. Die „Geistliche Schatzkammer“ wurde alsbald nach ihrem Erscheinen von Seiten der lutherischen Orthodoxie hart angegriffen und so wurde auch P. noch lange nach seinem Tode wegen seiner Lehre von den einen verurtheilt und von den andern vertheidigt; wegen dieser Streitigkeiten ist auf die unten angeführten Werke von Arnold, Walch und Cosack zu verweisen. In einigen seiner Tractate tritt P. auch als Dichter geistlicher Lieder auf; besonders bekannt geworden ist sein Passionslied: „Was hat gethan der heilig Christ? sag an, o Herz“ u. s. f., das namentlich durch seine Aufnahme in den ersten Theil des Freylinghausen’schen Gesangbuches Verbreitung gefunden hat.

Jöcher III, Sp. 1751. – Rotermund zum Jöcher VI, Sp. 804 ff. – Wetzel, Hymnopoeographia II, S. 316 f. – Walch, Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der evang.-luth. Kirche, Bd. 4, S. 614 ff. – Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorie, 2. Band, Schaffhausen 1741, S. 89 ff. – Nachrichten von dem Charakter und der Amtsführung rechtschaffener Prediger und Seelsorger, Bd. 5, S. 66 ff. – Koch, Geschichte des Kirchenlieds u. s. f., 3. Aufl., Band 2, S. 322 ff. – Fischer, Kirchenliederlexikon, 2. Hälfte, S. 331 a. – Cosack, Zur Geschichte der evangelischen ascetischen Literatur in Deutschland, Basel und Ludwigsburg 1871, S. 1–96.