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ADB:Rötscher, Heinrich Theodor

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Artikel „Rötscher, Heinrich Theodor“ von Emilie Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 380–381, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:R%C3%B6tscher,_Heinrich_Theodor&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 01:34 Uhr UTC)
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Rötscher: Heinrich Theodor R., Dramaturg und Aesthetiker, geboren am 20. September 1803 zu Mittenwalde, † am Ostermorgen (9. April) 1871 zu Berlin in der Maison de santé, Marienstraße 26, einziger Sohn eines Predigers, erhielt, nachdem sein Vater an das Friedrichs-Waisenhaus nach Berlin versetzt worden, seine Bildung auf dem dortigen Gymnasium zum grauen Kloster, wo bereits die Beschäftigung mit den griechischen Dramatikern, er las mit Michelet, Fournier, Tollin und Jordan den Aristophanes und Sophokles, sowie der Umgang mit dem Schauspieler Lemm seine Liebe zur dramatischen Kunst erweckte. R. erzählte mit Vergnügen, wie er von seiner Mutter einmal als Möros, den Dolch im Gewande, vor dem Spiegel gestikulirend ertappt worden sei. Er widmete sich in Berlin unter Boeckh und Hegel, dann in Leipzig unter Hermann philologischen und philosophischen Studien, nach deren Beendigung er zu Berlin promovirte und sich an der dortigen Universität habilitirte. Seine erste größere wissenschaftliche Arbeit war „Aristophanes und sein Zeitalter“, auf deren Bedeutung Hegel die Studenten aufmerksam machte. Nachdem R. sich mit Auguste Friedel († zu Dorpat am 9. November 1866) verheirathet hatte, aus welcher Ehe drei Söhne entsprossen, folgte er einem Rufe als Gymnasiallehrer nach Bromberg, wo er das Professor-Prädicat erhielt. Hier schrieb er seine „Abhandlungen zur Philosophie der Kunst“ und sein Hauptwerk „Die Kunst der dramatischen Darstellung“ (2. Aufl. 1864), das erste und einzige Lehrbuch der Schauspielkunst, von Seydelmann die „Bibel“ der Schauspieler genannt. Um diese Zeit machte sein Vater, ihn über den Tod der Mutter zu trösten, eine Reise mit ihm nach Paris, wo das Théâtre Français mit der Mars ihn mit neuen Anschauungen erfüllte. Die Aussicht, der Bühne persönlich näher [381] zu treten und nützlich zu werden, eröffnete sich ihm, als Dr. Spiker ihn 1845 als Nachfolger des verstorbenen Kritikers Schulz an die Spener’sche Zeitung berief. R. siedelte nach Berlin über. Bald darauf ward er von dem Minister Eichhorn, auf Lud. Tieck’s Anregung, zur Entwerfung eines Planes für eine vom Staate zu unterhaltende Theaterschule für darstellende Künstler aufgefordert. Der Plan, in den „Jahrbüchern für dramatische Kunst und Litteratur“ 1847 veröffentlicht, fand bei Tieck und dem Ministerium die vollste Zustimmung. Auch der Intendant der königl. Schauspiele, v. Küstner, wünschte seine Verwirklichung. Das Jahr 1848 kam dazwischen und dieser Plan harrt heute noch der Ausführung. Wie Alex. v. Humboldt sich äußerte; sollte Tieck dagegen intriguirt haben, dem alter wie neuer Ruhm zuwider gewesen sei.

R. war als Kritiker nach Lessing die erste Autorität. Die Koryphäen der Schauspiel- und Gesangskunst, eine Lind, Roger, die Rachel, die berühmtesten Dichter, Schriftsteller und Componisten, unter letzteren Meyerbeer, bewarben sich um ein Urtheil von ihm. Einen Theil seiner kritischen Berichte, die er über das Berliner Schauspiel schrieb, vereinigte er zu einer Sammlung „Dramaturgische Skizzen und Kritiken“, auf welche 1859 „Dramaturgische Abhandlungen und Kritiken“ folgten. Das Virtuosenthum in der Schauspielkunst fand in ihm einen Feind. So Dawison, die Seebach. Durch einen Schlaganfall verfiel er 1860 einem fast zehnjährigen Siechthume, doch die alles besiegende Arbeit erhielt seinen Geist frisch. So erschien 1864 „Shakespeare in seinen höchsten Charaktergebilden“ und 1865 seine Zeitschrift „Dramaturgische Probleme“. Zu seinen Freunden zählte er Ludw. Dessoir, der ihm seine Stellung verdankte, Friedr. Förster, Dr. Boumann, den Leibarzt des Prinzen Albrecht Dr. Bicking. In dem Hause der Birch-Pfeiffer verkehrte er gern und oft. Mit v. Goldner in Darmstadt, dem Freunde Seydelmann’s, unterhielt er einen lebhaften Briefwechsel, der jedoch mit allen übrigen Briefen, die er von bedeutenden Persönlichkeiten besaß, bei einem Brande seines Cylinderbureaus, den er am heiligen Abend 1862 selbst veranlaßt hatte, ein Raub der Flammen ward, bis auf einen Brief von Clara Hoppe, geb. Stich, die Rolle der Lady Macbeth betreffend. Er war Mitglied der von Michelet gegründeten Philosophischen Gesellschaft. Die Sorge ist ihm nicht nahe getreten; seine Professor-Pension, das Gehalt der Spener’schen Zeitung, später eine lebenslängliche Ehrengabe aus der Schillerstiftung und eine reiche, fortlaufende Gnadenspende Kaiser Wilhelm’s schützten ihn davor. R. war ein Gelehrter mit dem Naturell eines Künstlers, durch lebhafte Bewegungen eine auffallende Erscheinung, von Gestalt gedrungen, nicht groß; die hohe Stirn verrieth den Denker, der Gesichtsausdruck Ueberlegenheit. Er hatte eine starke, biegsame Stimme, war ein ausgezeichneter Vorleser. Kurz vor seinem Verscheiden flackerte sein Lebenslicht noch einmal auf: „Was macht Molière?“ waren seine letzten Worte. Ludw. Dessoir, die Brüder Dr. Solly und Dr. Moritz Gumbinner und die Schriftstellerin Frl. E. Schröder geleiteten ihn still zu Grabe. Er ruht auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhofe. Was R. in seinem der Kunst und Wissenschaft gewidmeten Leben als Dramaturg und Aesthetiker geleistet, das lebt in der Litteratur fort. Er hat sich durch seine Werke ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

Spener’sche Zeitung v. 11. April 1871. – Mündliche Mittheilungen Rötscher’s.