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ADB:Reinhold, Johann Gotthard

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Artikel „Reinhold, Johann Gotthard“ von Otto Beneke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 80–82, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reinhold,_Johann_Gotthard&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 16:29 Uhr UTC)
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Reinhold: Johann Gotthard R. – Dieser holländische Diplomat und deutsche Dichter war geboren in Aachen am 8. März 1771. Sein Vater, ein Kaufmann, übersiedelte bald darauf nach Amsterdam, ließ aber seinen Sohn in Deutschland erziehen, zuerst in dem Bahrdt’schen Philanthropin in Heidesheim, dann seit 1779 in der vom Herzog Karl von Württemberg patronisirten Militärakademie zu Stuttgart, wo er nach des Vaters Wunsch zu keinem bestimmten Beruf ausgebildet und schon früh in den altclassischen Sprachen unterwiesen wurde. Bereits nach 2 Jahren erhielt er das Zeugniß, daß bei seinen großen Fortschritten mit der Zeit „Alles aus ihm werden könne“. Hier wurde er mit Friedr. Schiller bekannt, dessen begeisterter Verehrer er lebenslang blieb, wie denn auch seine eigenen Dichtungen eine Anlehnung an Schiller’s Dichtweise zeigten. – Noch bedeutsamer für ihn, auch für sein äußeres Leben, wurde seine hier geschlossene Herzensfreundschaft mit Johann Georg Kerner (dem feurigen Republikaner, nachmaligen französischen Gesandtschaftssecretär, dann Arzt in Hamburg [s. A. D. B. XV, 640]). 1783 verließ er die hohe Karlsschule, um sich in Frankfurt a. M. für den Kaufmannsstand vorzubereiten, der jedoch seiner Geistes- und Gemüthsrichtung so wenig zusagte, daß er ihn bald wieder aufgab, um in den niederländischen Kriegsdienst zu treten, in welchem er 1793 zum Lieutenant befördert wurde. Wenn er dann auch diese Laufbahn wieder verließ, so ist das dem Einfluß seines Freundes Kerner zuzuschreiben, der 1795 seinem Landsmann Reinhardt (damals französischem Gesandten bei den Hansestädten) nach Hamburg gefolgt war, und nun R. zu überzeugen suchte, daß er eine richtigere Verwendung seiner Talente und Kenntnisse in der diplomatischen Carriere finden werde. Es gelang dem Freunde, den damaligen Gesandten der batavischen Republik in Hamburg Citoyen Abbéma, für R. zu interessiren und ihn zu veranlassen, R. zu seinem Legationssecretär zu erbitten. Er wurde vom Militärdienst beurlaubt und trat anfangs 1796 seinen neuen Dienst an. Hier erwies er sich so thätig und geschickt, daß er wiederholt seinen Gesandten vertreten durfte, und nach dessen Abberufung (1800) als Geschäftsträger der batavischen Republik förmlich accreditirt wurde, in welcher Stellung er, auch nachdem das Königreich Holland die Republik abgelöst hatte, verblieb, bis er 1809 als bevollmächtigter Minister nach Berlin versetzt wurde. – Während seines Aufenthaltes in Hamburg hatte er sich in amtlicher wie in gesellschaftlicher Hinsicht durch sein liebenswürdiges Wesen, seinen Geist und geschickte Geschäftsführung, warme Freunde erworben, die auch seine vielseitige Bildung und seine dichterische Gemüthsrichtung zu schätzen wußten. Er genoß Klopstock’s Umgang und verkehrte [81] fleißig mit den hervorragendsten Notabilitäten der Stadt, namentlich im Reimarus-Sieveking’schen Hause sowie in der Familie des Senators Westphalen, an dessen dichterische Gattin, Engel Christina geb. v. Axen, manche seiner Gedichte „an Angelica“ gerichtet sind; nicht minder in dem verschwägerten Hause des Kaufmanns Schuchmacher (genannt, wie Westphalen, in J. G. Rist’s Lebenserinnerungen, Bd. I), an dessen von geistreichen kraftgenialen Männern (Kerner, Veit Weber, Gries, u. A.) vielbesuchter Tafelrunde auch R. kein seltener Gast war. In der jungen Pflegetochter dieses Hauses fand er auch 1808 seine Gattin. – Allgemein anerkannt war, außer den schon erwähnten Eigenschaften Reinhold’s, auch die zarte Sinnigkeit seines poetischen Gemüths, sein edler Charakter, seine seltene Anspruchslosigkeit, und einzig ein französischer Minister urtheilte, daß R. zwar Esprit besitze, jedoch suffisant und manierirt sei. Da aber Herr v. Bourienne es war, der dies gesagt, so beirrte dessen Kritik die allgemeine Stimmung nicht im geringsten. – Während R. als Gesandter die althistorischen Handelsbeziehungen zwischen Holland und Hamburg und Bremen nach Vermögen pflegte und die Interessen beider Theile zu fördern strebte, bewies er sich in politischer Hinsicht zwar als Anhänger der republikanisch-weltbürgerlichen Richtung, jedoch stets in maßvoller Ausdrucksweise, und blieb Deutschland und deutschem Geistesleben von Herzen zugethan. Mit seinem excentrischen Freunde Kerner hatte er 1797 eine philanthrophische Gesellschaft in Hamburg gegründet, deren ursprüngliche Tendenz, nach Reinhold’s Zeugniß nur die war: Asyl und Pflanzschule der wahren Freiheit zu sein. Vielleicht geschah es durch beigetretene Mitglieder extremerer Richtung, daß diese Tendenz verkannt und mißdeutet, und die Gesellschaft, als revolutionäres Organ des französischen Directoriums betrachtet, auch bald aufgehoben wurde. – In Berlin bekleidete er den holländischen Gesandtschaftsposten nicht lange, da derselbe infolge der Einverleibung Hollands in Frankreich (1810) einging. – In französischen Staatsdienst zu treten, war ihm bei seiner Abneigung gegen die Napoleonische Weltherrschaft, unmöglich, er trat daher in den Privatstand, und lebte von 1810–1814 in Paris, wo er neben den reichen Litteraturschätzen damals auch die größten Meisterwerke der Kunst beisammen sah. Diese studirend und überhaupt den Wissenschaften lebend, vollendete er hier auch seine längst begonnene Verdeutschung der Sonette und Canzonen Petrarca’s. – Nach Napoleon’s Sturz sah er sich 1814 reactivirt, indem der König der Niederlande ihm den Gesandtschaftsposten in Rom und Florenz anvertraute, wie 1827 den in Bern. Als er aber 1832 Gesandter in Kopenhagen werden sollte, erbat und erhielt er seinen Abschied in der ehrenvollsten Weise. – Von seinem Monarchen wie von andern Fürsten durch hohe Orden ausgezeichnet, legte der Commandeur und Chevalier de Reinhold denselben doch keinen Werth bei. Er zog sich aus dem öffentlichen Leben völlig zurück und wählte die ihm aus seiner Jungendzeit lieb und werth gewordene Stadt Hamburg zu seinem letzten Aufenthalte. In dieser seiner zweiten Heimath, aus welcher freilich die meisten seiner alten Freunde bereits geschieden waren, lebte er noch einige Jahre in stiller Muße im Verkehr mit den wenigen ihm gebliebenen alten Genossen in einem bescheidenen Hause der damals noch stillen sog. Langenreihe in der damaligen Vorstadt St. Georg, übrigens bis zu seinem Lebensende lebhaft beschäftigt mit Litteratur, Kunst und Wissenschaft. Ein schneller, sanfter Tod beschloß sein reiches schönes Erdenleben am 6. August 1838; auf dem ländlichen Kirchhofe zu Ham wurde, seinem Wunsche gemäß, die Leiche ohne Gepränge bestattet. Ein handschriftlicher Nachruf sagt von ihm: „er war mehr Gelehrter als Militär, mehr Weltmann als Gelehrter, eigentlich aber mehr Dichter als Weltmann und Gelehrter“.

[82] Ein Freund, der vormalige Bischof von Constanz, v. Wessenberg, schrieb Reinhold’s Nekrolog für die Augsb. Allg. Zeitung, der auch wieder abgedruckt ist im Vorworte des von Varnhagen v. Ense herausgegebenen dichterischen Nachlasses Reinhold’s. Sonst ist weniges von seinen poetischen Werken gedruckt, da R. solchen Veröffentlichungen seines inneren Lebens durchaus abgeneigt war. Ungedruckt ist z. B. seine Uebersetzung der griechischen Anthologie, welche im Manuscript vollendet ist.

S. d. Hamburger Schriftsteller-Lexikon Bd. VI, S. 225, 226 und Ad. Wohlwill, zur Biographie J. G. Reinhold’s, in der Zeitschrift des Vereins für Hamburg. Geschichte, Neue Folge, Bd. V, S. 183 ff.