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ADB:Reißner, Adam

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Artikel „Reißner, Adam“ von Carl Bertheau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 150–152, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rei%C3%9Fner,_Adam&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 14:41 Uhr UTC)
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Reißner: Adam R., auch Reisner und Reusner genannt, bekannt als Dichter geistlicher Lieder und als Geschichtschreiber, wurde um das Jahr 1500 zu Mindelheim (Mündelheim) in der damals der Familie von Frundsberg gehörigen Herrschaft gleichen Namens (vgl. A. D. B. VIII, 155) geboren. Genauer läßt sich das Jahr seiner Geburt nicht angeben; namentlich aber ist die verbreitete Nachricht, er sei schon im J. 1471 geboren, sicher falsch, ebenso die manchmal hinzugefügte Behauptung, sein Geburtsort sei Frankfurt am Main. Zu den Frundsbergern scheint er von früh an, vielleicht schon durch seinen Vater, Beziehungen gehabt zu haben. Er erhielt eine gelehrte Erziehung, über welche uns das Nähere unbekannt ist; nur daß er bei Reuchlin (gestorben 1522) das Griechische und Hebräische gelernt hat, steht nach seinem eigenen Zeugnisse fest. Die erste völlig sichere Zeitangabe aus seinem Leben ist die, daß er im J. 1523, und zwar im August oder September, zu Wittenberg inscribirt ward zusammen mit Melchior von Frundsberg, dem zweiten, im J. 1507 (oder 1508?) geborenen Sohne Georg’s; dieser hatte ihn mit seinem Sohne dorthin geschickt, wahrscheinlich um denselben zu beaufsichtigen und seine Studien zu leiten. Beide haben sich mehrere Jahre in Wittenberg aufgehalten; R. lernte Luther und die anderen Häupter der Reformation persönlich kennen und bekannte sich damals völlig zu Luther’s Lehre. Wir finden ihn dann bei den Landsknechten, welche unter Georg v. Frundsberg im November 1526 nach Italien zogen, um für Karl V. gegen Clemens VII. zu kriegen. Er hatte in dem Heere gleich seinem Freunde Jacob Ziegler die Stelle eines Geheimschreibers, mußte aber wie alle Beamten, wenn es zum Kampfe kam, in den Reihen der Landsknechte mit fechten. Als [151] dann Georg von Frundsberg durch den bekannten Unfall verhindert ward, den Zug weiter mitzumachen (vgl. a. a. O., S. 158), zog R. doch mit dem Heere, bei welchem auch zwei Söhne Georg’s, Kaspar und Melchior, waren, weiter; er war bei der Erstürmung Roms am 6. Mai 1527 zugegen und hat die Plünderung Roms mit erlebt, blieb dann noch längere Zeit in Rom und hat wahrscheinlich auch an dem Zuge nach Neapel im Frühjahr 1528 theil genommen. Nach Deutschland zurückgekehrt zog er sich vom öffentlichen Leben zurück und lebte mehr in der Stille gelehrten Studien; wenigstens ist nicht bekannt, daß er sich hernach wieder in irgend einer amtlichen Stellung befunden habe. Er lebte wol meistens in Mindelheim, doch zeitweilig auch an anderen Orten, wie z. B. in Straßburg; im J. 1563 finden wir ihn in Frankfurt a. M., wo er sich wol längere Zeit aufgehalten hat, um die Drucklegung seines „Jerusalem“ zu besorgen; seinen Lebensabend verbrachte er in Mindelheim. In Straßburg war er um 1530 bei dem schon genannten Jacob Ziegler; nach ziemlich allgemeiner Annahme lernte er hier auch Caspar Schwenkfeldt kennen, der sich von 1529 bis 1535 in Straßburg aufhielt. Jedenfalls kam R. um diese Zeit (vor 1537) mit Schwenkfeldt zusammen und fühlte sich mächtig von ihm angezogen; er trat in nähere Beziehung zu ihm und seinen Anhängern und ist hernach ein völliger Schwenkfeldtianer geworden, wie er selbst sagt; und so rechnet ihn auch Daniel Tossanus (vgl. unten) später unter die „Mitbekenner Schwenkfeldt’s“. Manche Eigenthümlichkeiten in seinen Schriften erklären sich hieraus, wie u. A. seine mystische Richtung und seine Neigung zu allegorischen Deutungen. Ob die mehrfache Veränderung seines Wohnsitzes etwa auch hiermit zusammenhängt, muß dahingestellt bleiben. Unter seinen Schriften sind vor Allen zwei zu nennen, sein Jerusalem und seine Geschichte der Frundsberger. „Jerusalem, die alte Hauptstadt der Juden, wie sie vor der Zerstörung auf hohem Gebirg mitten in der Welt als das irdische Paradies ein Vorbild der ewigen Stadt Gottes war“, erschien zu Frankfurt a. M. 1563 in zwei Bänden Folio; der erste Band enthält eine Beschreibung der alten Stadt, der zweite eine Geschichte von Jerusalem. Eine „Form und Contrafactur“ des alten Jerusalems und des salomonischen Tempels hatte er schon im J. 1559 während des Reichstags zu Augsburg dem Kaiser Ferdinand überreicht; es ist nicht deutlich, ob das eine Zeichnung oder plastische Nachbildung war. Sein gedrucktes Werk beruht auf umfassenden und gründlichen topographischen und historischen Studien, aber die gewonnenen Resultate sind ihm vorzüglich wichtig, um an sie allerlei geistliche Nutzanwendungen und Hinweise auf die Vollendung des Reiches Gottes anzuknüpfen. Noch in demselben Jahre ließ Johannes Heydenus Eyflandrus Dunensis (Johann Heyden aus Daun in der Eifel), der sich einen Schüler Reißner’s im Hebräischen nennt, eine lateinische Uebersetzung dieser beiden Theile (Frankfurt 1563 in Folio) drucken. R. fügte dem Werke im J. 1569 einen dritten Theil hinzu, der eine Auslegung einiger Psalmen enthält. Von den beiden ersten Theilen des Werkes erschien im J. 1574 eine zweite Auflage. Sein zweites Hauptwerk ist viel bekannter; es ist die „Historia Herrn Georgen und Herrn Caspar v. Frundsberg“, Frankfurt a. M. 1568 in Folio, in zweiter Auflage ebenda 1572 und in dritter 1599 erschienen, ein Werk, das bleibenden Werth hat. Namentlich sind diejenigen Theile, in welchen R. von ihm selbst Erlebtes erzählt, vor Allem die Beschreibung des Zuges gegen Rom und die Eroberung der Stadt durch die Landsknechte, anschaulich und lebendig und beweisen eine gute Darstellungsgabe. Für diesen Theil seiner Arbeit standen ihm auch Mittheilungen seines Freundes Ziegler, wie er selbst angibt (in der Vorrede zur zweiten Auflage), zu Gebote; auch andere Darstellungen, wie die Historien von Paul Jovius, hat er benutzt und mitunter zurechtgestellt. Minder bedeutende Werke [152] sind seine „Miracula, Wunderwerk Jesu Christi,“ Frankfurt a. M. 1565, und sein „Messias“, ebenda 1566. Eigenthümlich ist seine deutsche Uebersetzung der Psalmen (Frankfurt a. M. 1568, in zweiter abgeänderter Ausgabe ebenda 1683 herausgeben). Besonders ist aber noch auf seine Dichtung geistlicher Lieder hinzuweisen. Sein bekanntestes und vielleicht ältestes Lied ist: „In dich hab ich gehoffet, Herr, hilf, daß ich nicht zu Schanden wer,“ zuerst, soweit bekannt, gedruckt Augsburg 1533 in „Form und Ordnung geistlicher Geseng und Psalmen“, hernach allgemein verbreitet; der Beginn der siebenten Strophe „Glori, Lob, Ehr und Herrlichkeit“ enthält in seinem ersten Worte einen Lieblingsausdruck der Schwenkfeldtianer. Eine Anzahl seiner Lieder erschienen auf Einzeldrucken und in seinen schon genannten Werken, andere sind handschriftlich vorhanden. In letzterer Hinsicht kommen besonders zwei Manuscripte in Betracht, von denen das eine sich zu Ansbach in Privatbesitz (die Sudermann’sche Handschrift von 1596), das andere sich auf der Bibliothek zu Wolfenbüttel (die Reißner’sche Handschrift von 1596) befindet; sie enthalten namentlich eine dichterische Uebersetzung des Enchiridion von Prudentius unter dem Titel „tägliches Gesangbuch“ von Adam R., aber auch andere Lieder von ihm und anderen. Wackernagel hat in seinem großen Werke aus allen diesen Quellen eine Auswahl von 25 Liedern Reißner’s abdrucken lassen. Wann R. gestorben, wissen wir nicht. Am 31. Januar 1572 unterschrieb er zu Mindelheim die Vorrede zur zweiten Ausgabe seiner Frundsberge; viel länger wird er nicht gelebt haben.

Wetzel, Hymnopoeographia, 2. Theil, S. 328 f. – Jöcher III, Spalte 2000 f. – Rotermund zum Jöcher VI, Sp. 1753. – Schelhorn, Ergötzlichkeiten, 3. Band, S. 814 bis 832. – Mohnike, hymnologische Forschungen, 2. Theil, Stralsund 1832, S. 263. – A. F. H. Schneider, Zur Litteratur der Schwenkfeldtischen Liederdichter, Berlin 1857, S. 6 ff. – Förstemann, Album, S. 119b.Koch, Geschichte des Kirchenliedes u. s. f., 3. Auflage, Band 2, S. 156 ff. – Daniel Tossanus, Gründlicher nothwendiger Beweis u. s. f., Heidelberg 1575, S. 33. – Leopold Ranke, zur Kritik neuerer Geschichtsschreiber. Eine Beilage zu desselben romanischen und germanischen Geschichten. Leipzig und Berlin 1824, S. 145 ff. – Goedeke, Grundriß, 2. Aufl., II, S. 187, No. 52. – Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied, I, S. 476, 590, 594, 779 f., III, S. 133 ff. – Die verkehrten Angaben über Reißner’s Geburts- und Todesjahr (1471 und 1563) hat schon der alte Schamelius in seiner kurzgefaßten Historia der Hymnopoeorum S. 63, die er dem 1. Theile seines Liedercommentarius, Leipzig 1724, hinzufügte, bestritten; der zur Feststellung des Geburtsjahres verwandte Ausdruck „im 59. Jahre“ bezieht sich ohne Frage auf das laufende Jahr des Jahrhunderts (1559), nicht auf Reißner’s Lebensalter, und mit dem Augsburger Reichstage kann nur der von 1559, nicht der von 1530, auch nicht der von 1555 gemeint sein. Auch daß R. 1496 geboren sei, wie Schneider a. a. O. nachzuweisen glaubt, ist nicht sicher; daß die Federzeichnung von ihm, die sich in einem Exemplar seiner Psalmenübersetzung eingebunden befindet, auch im J. 1568 verfertigt sei, geht wenigstens aus Schneider’s Angaben über sie nicht hervor.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 152. Z. 8 v. u. hinzuzufügen: Ranke, S. Werke II, 362 ff., XXXIII/IV, 125 ff. [Bd. 33, S. 797]