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ADB:Rumford, Benjamin Thompson Graf von

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Artikel „Rumford, Benjamin Thompson Graf von“ von Karl Maximilian von Bauernfeind in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 643–655, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rumford,_Benjamin_Thompson_Graf_von&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:57 Uhr UTC)
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Rumford: Benjamin Thompson Graf v. R., Soldat, Philosoph und Staatsmann, geboren am 26. März 1753, † am 14. August 1814. Die Aufnahme dieses in Amerika geborenen hervorragenden Mannes in die „Deutsche Allgemeine Biographie“ ist dadurch gerechtfertigt, daß er die zweite Hälfte seines thatenreichen Lebens im baierischen Staats- und Militärdienste verbrachte und hierin, sowie als Naturforscher und Menschenfreund so segensreich wirkte, daß er sich bei Mit- und Nachwelt ein unvergängliches Andenken sicherte. R. erblickte am 26. März 1753 in dem großelterlichen Farmerhause zu Woburn im Staate Massachusetts das Licht der Welt. Sein Vater starb schon am 7. Nov. 1754 in einem Alter von nur 26 Jahren und hinterließ Weib und Kind den Großeltern. Die Mutter heirathete nach Umfluß der üblichen Trauerzeit ihren Nachbar, den Farmer Josias Pierce, dem sie den noch nicht dreijährigen Benjamin als Stiefkind zubrachte. Über die leibliche und geistige Pflege dieses Kindes sind noch immer verschiedene Berichte in Umlauf. Nach den einen soll es vom Stiefvater frühzeitig aus dem Hause geschafft und in der Erziehung sehr vernachlässigt worden sein, nach den anderen fand der junge Benjamin unter seinen Verwandten rege Theilnahme, da ein Onkel mütterlicherseits, dann die beiden Großväter und endlich der Stiefvater selbst dem Knaben einen ihrem Gesichtskreise entsprechenden, d. i. Lesen, Schreiben und Rechnen umfassenden Unterricht geben ließen. Für diese letztere Nachricht sprechen namentlich die erst 1874 von George Ellis zu Philadelphia in dessen „Memoir of Sir Benjamin [644] Thompson Count Rumford“ veröffentlichten Briefe Rumford’s an seine Mutter, und es sind hiernach die Klagen gegen den Stiefvater durch nichts gerechtfertigt.

Der Lehrer in den genannten elementaren Fächern war John Fowle, der seine Studien am Harvardcollegium gemacht hatte. Er war tüchtig und seine Methode erweckte in befähigten Schülern den Wunsch, noch mehr zu wissen. R. war aber ein solcher Schüler; er zeigte schon frühe einen erfinderischen Geist und Anlage zur Mathematik, während er sich gegen häusliche und ländliche Arbeiten, die man ihm zumuthete, ablehnend verhielt und die dafür bestimmte Zeit lieber auf mechanische Versuche verwandte, die ihn zu den Principien der Physik führten.

Im Herbste 1766 kam er, dreizehn Jahre alt, zu Mr. John Appleton in Salem, um Kaufmann zu werden. Von seiner auf drei Jahre berechneten Lehrzeit wissen wir nur, daß er sie in der Familie seines Principals verbrachte, alle freien Stunden auf das Lesen guter und nützlicher Bücher verwandte, und schließlich bei der Verfertigung eines Feuerwerks durch dessen Explosion an Kopf, Brust und Händen beträchtlich verwundet wurde. Nach bestandener Lehre trat er 1769 zu Boston in ein anderes Geschäft als Commis ein, und aus dieser haben sich noch einige Notizblätter des Siebenzehnjährigen erhalten, worauf neben Caricaturen und Recepten für Raketen, auch Ausgaben für physikalische Apparate verzeichnet sind. Aus seinen späteren Schriften ist bekannt, daß er schon zu jener Zeit Boerhave’s vortreffliche Abhandlung über das Feuer gelesen hat und durch sie zu seiner angenehmsten Beschäftigung, den Versuchen über die Wärme geführt worden ist.

In Boston lernte R. französisch und besuchte die öffentlichen wissenschaftlichen Vorlesungen am Harvardcollegium, während er gleichzeitig privatim bei Dr. Hay sich mit dem Studium der Medicin befaßte. So gelangte er innerhalb der vier Jahre, die er daselbst blieb, in den Besitz mannichfaltiger Kenntnisse, die ihm in Europa manche Erwerbsquellen öffnen konnten, aber nicht in Neuhampshire, so daß dem Zwanzigjährigen nichts anderes übrig blieb, als in Concord, das früher den Namen Rumford führte, eine Elementarschule zu gründen und an ihr als Lehrer zu wirken.

Glücklicherweise hatte ihm die Natur verliehen, was zu allen Zeiten und in allen Ländern von guter Wirkung ist, eine schöne Gestalt und ein edles bescheidenes Benehmen. Sie verschafften dem jungen Lehrer die Hand der einzigen Tochter Sarah des reichbegüterten Ortspfarrers Walker, in dessen Haus er durch einen Freund eingeführt worden war. Auf der Hochzeitsreise besuchte das neu vermählte junge Paar in Portsmouth den mit der Frau verwandten Gouverneur Wentworth, der, überzeugt von den Fähigkeiten des jungen Mannes, ihm eine eben freigewordene Majorsstelle im zweiten Provinzialregiment von Neuhampshire anbot. R. griff sofort zu, ohne zu bedenken, wie sehr er dadurch den Neid aller unter ihm stehenden gedienten Officiere erregen würde. Dazu kam, daß er als Militär zwei Deserteure, die sich zu ihm nach Concord geflüchtet und bei ihm Arbeit gefunden hatten, an den Gouverneur Gaye[WS 1] in Boston zurückgab, allerdings erst, nachdem er sich zuvor ihre Straflosigkeit hatte zusichern lassen.

Bei dem damals schon unter der Asche glühenden Funken zum Aufstand gegen England, wurden diese Handlungen in seiner Heimath sehr übel gedeutet und sein Torythum verschrieen. Er mußte sich deshalb im Sommer 1774 vor einem Volkscomité in Concord von dem Verdachte, der Sache der Freiheit ungünstig zu sein, reinigen. Die Anklage entschieden zurückweisend, verlangte er kühn Beweise, und da diese nicht geliefert werden konnten, sprach man ihn zwar frei, aber das Volk blieb mißtrauisch. Im November desselben Jahres sammelte [645] sich Nachts Pöbel vor Rumford’s Hause und verlangte sein Erscheinen; jedoch gewarnt, war er kurz zuvor aus Concord entwichen und zu seiner Mutter nach Woburn gegangen. Als ihm auch hier keine Ruhe gelassen wurde, suchte er Schutz bei einem Freunde in Charlestown, und von hier aus schrieb er am Weihnachtsabend 1774 an seinen Schwiegervater in Concord, um sein Verschwinden zu entschuldigen und ihm seine zurückgelassene Familie zu empfehlen. Bald darauf ersuchte er von Boston aus den Vater seiner Frau, diese mit ihrem anderthalbjährigen Töchterchen Sarah nach Woburn reisen zu lassen, da er seiner Sicherheit halber noch nicht nach Concord zurückkehren könne. Dies geschah und die Familie blieb bis zum Mai 1775 beisammen, als R. von einer Schaar Polizeisoldaten festgenommen und in Concord eingekerkert wurde, um über seine feindliche Stimmung gegen die Freiheit seines Vaterlands untersucht zu werden. Am 29. jenes Monats fand die Verhandlung in Woburn statt, er wurde abermals von dem auf ihm lastenden Verdachte freigesprochen, ja sogar dem Schutze aller guten Leute der Stadt und der benachbarten Provinzen empfohlen. Er war nun zwar wieder Herr seiner selbst, aber das Mißtrauen gegen ihn blieb bestehen.

Unter solchen Verhältnissen, und da ihn seine persönlichen Gefühle bestimmten, die Autorität zu unterstützen, war es nur natürlich, daß er jetzt ganz offen und entschieden die ministerielle Partei mit der Wärme seines Alters ergriff und mit ihr auch alle Wechselfälle theilte. Ende October 1775, nachdem er von Frau und Kind zärtlichen Abschied genommen und seinem der republikanischen Partei aufrichtig ergebenen Schwiegervater die bündigste Versicherung gegeben hatte, daß er mit den Gouverneuren Gaye und Wentworth den verrätherischen Briefwechsel nicht gepflogen habe, dessen er beschuldigt wurde, flüchtete R. von Woburn aus in einem Landfuhrwerke an das Ufer der Narragansett-Bay, von wo aus er mittels eines Boots an Bord der englischen Fregatte Scarborough gelangte, die nach Boston segelte. Auf dem Schiffe gut aufgenommen und bald zu einigem Ansehen gelangt, blieb er auf ihm bis zu dem Tage – 24. März 1776 – an welchem Washington die englischen Truppen zwang, Boston zu verlassen.

Ihm wurde der Auftrag zu theil, diese Hiobspost nach London zu bringen. Die Träger solcher Nachrichten werden von denen, an die sie gerichtet sind, meist nicht besonders geehrt; aber das gute Aussehen des jungen Officiers, die feine Art seines Benehmens und die Ausführlichkeit und Gründlichkeit seiner Aufschlüsse verschafften ihm die Gunst des Staatssecretärs für Amerika, des durch seine unglückliche Verwaltung so bekannt gewordenen Lords Georg Germaine[WS 2], welche zur Folge hatte, daß der sachkundige und vertrauenerweckende Abgesandte sofort bei dem amerikanischen Colonialamte Verwendung fand. Nachdem R. dem neuen Chef noch weitere Beweise von seinen Talenten und seiner Treue gegeben hatte, wurde er im J. 1780 mit dem wichtigen Posten eines Unterstaatssecretärs betraut.

Diese Ernennung würde unter einem geschickten Minister als ein großes Glück zu betrachten gewesen sein, aber R. hatte bald das unangenehme Gefühl, welches einen ehrlichen Mann dann beschleicht, wenn er sich täglich mehr von der Unfähigkeit seines Wohlthäters und Chefs überzeugen muß. Die königliche Armee schien zu jeder Art von Unglück verdammt zu sein und zusehends wuchs die Mißstimmung des Landes gegen seine Minister. Zu den Vorwürfen über ihre Ungeschicklichkeit, die sie verdienten, gesellten sich auch Verläumdungen, denen alle Männer ausgesetzt sind, die in ihrer Verwaltung keinen Erfolg haben. Als Unterstaatssecretär hatte R. das ganze praktische Detail der Rekrutirung, der Ausrüstung, des Transports und der Verproviantirung der britischen Streitkräfte [646] unter sich; er bekleidete aber diese Stelle nicht länger als ein Jahr, sodaß sich kein besonderer Erfolg seiner Wirksamkeit nachweisen läßt, wenn man nicht die Einführung des Bajonnetts an den Gewehren der Horse-Guards für das Fußgefecht dafür gelten lassen will. Im Februar 1782 nahm Lord Germaine seine Entlassung und erwirkte noch für seinen Unterstaatssecretär das Patent eines Oberstlieutenants der britischen Armee. Mit seinem Chef trat auch R. aus dem englischen Staatsdienst, dem er sechs Jahre seines Lebens (1776 bis 1782) gewidmet hatte.

In dieser Zeit hat er seine wissenschaftlichen Studien und den Umgang mit hervorragenden Männern nicht vernachlässigt. Er setzte seine schon in Amerika begonnenen Versuche über die Triebkraft des Schießpulvers und die Widerstandsfähigkeit fester Körper fort und nach Mittheilung der Ergebnisse dieser Versuche an den Präsidenten der königlichen Gesellschaft Sir Joseph Banks wurde er in dessen engsten Freundeskreis aufgenommen, und im Sommer 1778 war er der Gast Lord Germaine’s auf dessen Landsitz in Stoveland Lodge. Seit 1779 Mitglied der Royal Society, wohnte er deren Sitzungen immer bei, wenn er in London war.

In dem Gefühle, daß man einer verzweifelten Sache nicht besser dienen kann, als wenn man mit Gefahr seines Lebens für sie eintritt, ging der neuernannte Oberstlieutenant sofort nach Niederlegung des Staatsdienstes über den Ocean, um in Charlestown das Commando eines königlichen Dragonerregiments zu übernehmen, das unterdessen von seinen Freunden und Agenten errichtet worden war. Von dieser Garnison aus überfiel er einige Male mit Erfolg die Amerikaner, und er hatte im Laufe des Jahres 1783 noch mehrmals Gelegenheit sich auszuzeichnen, namentlich auch bei der Vertheidigung von Jamaika, welches durch die vereinigten Flotten von Frankreich und Spanien bedroht, aber durch die Niederlage des französischen Admirals de Graffe von jeder Gefahr befreit worden war. Der bald darauf zu Versailles geschlossene Friede zwischen England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika machte der militärischen Laufbahn Rumford’s, der noch vor einem Monat in Anerkennung seiner Tüchtigkeit zum Oberst ernannt worden war, ein Ende.

Es war das wohl der härteste Schlag, der die politischen und persönlichen Hoffnungen Rumford’s treffen konnte. Dreißig Jahre alt, im Besitz des Oberstengrades, eines bekannten guten Namens und eines lebhaften Standesgefühls, sah er im Krieg die einzige ihm angemessene Beschäftigung. Krieg aber, an welchem er theilnehmen konnte, gab es damals nur zwischen Oesterreich und der Türkei; er beschloß deshalb nach Wien zu reisen und dem Kaiser seine Dienste anzubieten.

Um dieses Vorhaben auszuführen kehrte er nach England zurück, woselbst er vom König Georg III. weiteren Urlaub zur Bereisung des Continents und vom baierischen Gesandten Grafen v. Haslang, der seine wissenschaftliche und praktische Befähigung erkannt hatte, Empfehlungen nach München erhielt. So ausgerüstet verließ er im September 1783 England. Bei der Überfahrt des Canals befand er sich auf einem Schiffe mit dem berühmten Historiker Gibbon, der zwar von dem Getrampel der feinen englischen Pferde, die R. mit sich führte, nicht erbaut worden zu sein scheint, aber doch in einem Briefe an Lord Sheffield gesteht, daß „der Soldat, Philosoph und Staatsmann Rumford“ großen Eindruck auf ihn gemacht habe.

Auf seiner Reise nach Wien durch Straßburg kommend, wo der Herzog Maximilian Joseph von Zweibrücken ein Regiment commandirte, fand sich der junge Oberst bei der Parade zu Pferd und in Uniform ein; und da sich in jener Zeit alle militärische Unterhaltung um den amerikanischen Krieg drehte, so war es nur natürlich, daß man darüber einen englischen Officier sprechen hören [647] wollte. Man führte ihn also zu dem Prinzen, bei dem zufällig einige Franzosen sich befanden, die R. in Amerika feindlich gegenüber gestanden hatten. Die Art, wie er von den Gefechten erzählte, die er mitgemacht oder wenigstens mit angesehen hatte, die Zeichnungen die er entwarf und die Gedanken, die er an das Geschehene knüpfte, ließen erkennen, daß er kein gewöhnlicher Officier sei, und der Herzog Maximilian Joseph, der wußte, daß er durch München kommen werde, gab ihm daher gute Empfehlungen an seinen Onkel, den regierenden Kurfürsten von Baiern mit.

Karl Theodor erkannte in ihm sogleich seinen Mann und lud ihn für immer an seinen Hof. Der also Geehrte hielt sich daher nur ganz kurz in Wien auf und eilte nach London zurück, um dort persönlich die Erlaubniß zu erbitten, den kurfürstlichen Antrag annehmen zu dürfen. Der König gewährte ihm nicht bloß dieses, sondern erhob ihn auch noch in den englischen Ritterstand. Als Sir Benjamin Thompson und mit dem Bezug des Halbsoldes eines britischen Obersten, trat er nach seiner Rückkehr im Frühjahr 1784 in den Dienst des Kurfürsten, und zwar zunächst als Oberst eines Cavallierieregiments und als Flügeladjutant. In seiner neuen Stellung, worin er in kurzer Zeit die deutsche wie die französische Sprache sich angeeignet hatte, beschäftigten ihn die mannichfaltigsten Arbeiten, die er nach seinem Ausspruche dem Kurfürsten aus Dankbarkeit dafür widmete, daß er ihn als Werkzeug Gutes zu thun erwählt habe.

Das nächstgelegene Feld seiner Thätigkeit war die Abstellung von Mißbräuchen aller Art und die Entwicklung der Hülfsquellen des Kurfürstenthums, das unter dem Joch der Priesterherrschaft träge sich fortschleppte. Dabei widmete er sich eifrig der Fortsetzung seiner in Amerika und England begonnenen wissenschaftlichen Arbeiten, welche nicht bloß die schon erwähnte Anerkennung der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften in London fanden, sondern auch der Münchener kurfürstlichen Akademie, die ihn 1785 zum Ehrenmitglied ernannt, und es ihm zu danken hatte, daß ihre vom Kurfürsten gewünschte Vereinigung mit der von Mannheim unterblieb.

Karl Theodor ehrte die Verdienste seines Schützlings zunächst dadurch, daß er ihn 1785 zum Kammerherrn, 1787 zum Geheimen Rath ernannte und, da es nicht anging, den einfachen englischen Ritter mit einem der damals bestehenden Hausorden vom heiligen Hubertus oder vom heiligen Georg zu decoriren, den König von Polen bewog, ihm nacheinander zwei seiner Orden, zuerst den vom heiligen Stanislaus, dann den vom Weißen Adler zu verleihen.

Unter dem damaligen Chef des Kriegsministeriums, Grafen von Belderbusch, der mehr auf Verminderung der Ausgaben für das Heer als auf dessen Hebung bedacht war, hatten sich im baierischen Heerwesen viele Mißstände eingeschlichen, welche dem Kurfürsten Anlaß gaben, seinen Geheimen Rath und Oberst zu beauftragen, dieselben zu untersuchen und Vorschläge zu ihrer Beseitigung zu machen. Dieser legte seine Ansichten in einer vom 7. Februar 1788 datirten Denkschrift nieder, die den vollen Beifall aller Sachverständigen erhielt und den Kurfürsten bewog, ihn in demselben Jahre noch zum Generalmajor, Staatsrath und Kriegsminister zu ernennen.

Ehe R. an die Ausführung seiner Reformen ging, hatte er sich volle vier Jahre dafür vorbereitet. Sein erstes Unternehmen war die Militärwerkstätte in Mannheim, der die neuerrichtete und mit den besten Maschinen ausgestattete Kanonengießerei in München folgte. Dann galt es Ordnung, Disciplin und Sparsamkeit bei der Armee einzuführen, um den Soldaten zum Bürger und den Bürger zum Soldaten zu erziehen. Der Soldat sollte besser bezahlt, gut gekleidet, mit aller zur Unterordnung stimmenden Freiheit ausgestattet, von allem nutzlosen Zopf befreit und einfach militärisch unterrichtet werden. Letzteres [648] geschah in Militärschulen, wo nicht bloß die Soldaten und ihre Kinder, sondern auch die Kinder der benachbarten Bauern auf Kosten des Landesherrn im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet und mit den hiefür nöthigen Büchern und Schreibmaterialien versehen wurden. Weiter vertheilte der neue Kriegsminister gesunde und kräftige Militärpferde unter das Landvolk zur Pferdezucht, errichtete die noch bestehende Münchener Veterinäranstalt, betrieb die Gewehr- und Säbelfabrikation, begründete das Militärfuhrwesen und den Generalstab, verwendete die Cavallerie als Besatzung der Landesgrenzen und führte Militärgärten und Arbeitshäuser ein. Der auf Wunsch des Kurfürsten von R. in den sumpfigen und verwahrlosten Isarauen bei München angelegte Militärgarten, in welchem die Zöglinge der Militärakademie im Festungsbau unterrichtet wurden, erhielt außer einer Schweizerei und einer Militärmühle verschiedene andere dem öffentlichen Vergnügen gewidmete Gebäude und verwandelte sich so in den allen Einwohnern München wol bekannten und nie dankbar genug anzuerkennenden weit ausgedehnten englischen Garten. Zugleich leitete R. den Abbruch der München umgebenden Festungswerke am Neuhauser-, Sendlinger- und Schwabingerthor, wodurch an die Stelle des Neuhauserthors das Karlsthor mit dem an dasselbe stoßenden Häuserrondell trat.

Mit der an Zucht und Ordnung gewöhnten Armee hoffte der auch mit der Leitung der Polizeiverwaltung der Haupt- und Residenzstadt betraute Kriegsminister dem so fürchterlichen Übel des damaligen Bettelwesens in Baiern abzuhelfen. Das Land und hauptsächlich die Städte waren von Stromern und Bettlern, die gelegentlich auch Dieberei trieben, durchschwärmt und zwar nicht etwa Krüppeln und Bresthaften, sondern kräftigen Leuten, welche das Faullenzen der Arbeit vorzogen. Das Kurfürstenthum besaß damals vier Reiterregimenter: sie wurden über das Land so vertheilt, daß jedes Dorf eine Streifwache von drei bis fünf Mann hatte, die täglich von einer Station zur anderen reiten mußten, vom Bauern aber außer einfachem Quartier weder Lebensmittel noch Pferdefutter verlangen durften.

Es war dies eine Maßregel, welcher die allgemeine Festnahme aller Bettler, zuerst derjenigen der Hauptstadt, folgen sollte. An die Ausführung beschloß R. zu gehen, noch bevor er sich von den Bürgern Geldunterstützung dafür erbat; eine Armenpolizei aber hatte er bereits eingerichtet, um für die hülfsbedürftigen Beistand und für die gesunden Bettler Erwerb zu schaffen. Sein Comité zählte die Präsidenten und je ein Mitglied des Kriegsraths, des Staatsraths, des geistlichen Raths und der Finanzkammer, einen Secretär und einen Zahlmeister. Für Räumlichkeiten zu Zusammenkünften war gesorgt. Alle Mitglieder waren unbezahlt und, um den einem Bankier anvertrauten Armenfonds zu schonen, wurden alle Bediensteten vom Schatzamt entlohnt.

Die Stadt war in sechzehn wol abgezählte Districte geteilt, wovon jeder ein Wohlthätigkeitscomité besaß mit einem angesehenen Bürger als Vorstand und einem Geistlichen, einem Arzt, einem Chirurgen und einem Apotheker als Mitgliedern. Diese Comités, welche auf die würdigen Armen ihres Bezirks zu sehen hatten, standen mit dem Centralcomité in Verbindung, und für beide Arten von Organen beschaffte R. die erforderlichen Geldmittel theils vom Kurfürsten, theils durch Sammlungen und Vermächtnisse, theils aus anderen kleinen Einnahmsquellen. Zur Besserung der Bettler und Armen, rechnete er, werde Reinlichkeit im Aeußeren, in Kleidung und Wohnung am ehesten und meisten beitragen. Ein verfallenes Manufacturgebäude in der Vorstadt Au, das jetzige Zuchthaus, wurde also für Rumford’s neue Zwecke umgebaut und vergrößert: es erhielt Küche, Speisesaal, Backhaus und Werkstätten für Zimmerleute, Schmiede, Drechsler und andere Handwerker mit allen erforderlichen Einrichtungen zur [649] Ausübung dieser Gewerbe. Eine andere Reihe von Räumen wurde für Weber aller Art, Tuchmacher, Tuchscherer, Färber, Sattler, Wollsortirer, auch für Wohnungen und Magazine beschafft und der Auer Mühlbach zum Betrieb einer Walkmühle, einer Färberei und eines Waschhauses benützt. Das umfangreiche Gebäude erhielt den Namen „Militärisches Arbeitshaus“ und außen in großen Buchstaben die Aufschrift: „Hier wird kein Almosen gegeben.“

Als alles fertig war, ließ R. am Neujahrstage 1790 die Officiere der drei in München liegenden Infanterieregimenter an bestimmten Posten in den Straßen sich aufstellen, um weitere Befehle zu erwarten. Er selbst versammelte in seiner Wohnung die Feldofficiere und die städtischen Behörden und ersuchte sie um ihre volle Beihülfe zu dem heutigen Werke, nämlich jeden Bettler in der Stadt festzunehmen, dem kräftigen zur Arbeit, und dem hülflosen zur Unterstützung zu verhelfen. Alle sagten ihren Beistand zu. Er selbst ging dann mit dem Bürgermeister und jeder Feldofficier mit einem Magistratsrath weg. Dem ersten Bettler, der Rumford um ein Almosen ansprach, legte er die Hand auf die Schulter und sagte ihm, daß von jetzt ab der Bettel in München nicht mehr gestattet sei. Der also Angeredete wurde einem Sergeanten überwiesen, der ihn in die Stadthalle führte, wo weitere Weisung abzuwarten war. Ebenso verfuhren die Feldofficiere. Die Eingeführten wurden aufgeschrieben und mit dem Auftrage nach Hause entlassen, sich am anderen Tage im Arbeitshause in der Au zu stellen, wo ihnen warme Räume, warmes Mittagessen und auch Lohn versprochen wurde, wenn sie arbeiten wollten. Das Unternehmen Rumford’s dem ein vom Studienrector der Militärakademie Babo verfaßter wirksamer Aufruf zur Seite ging, gelang vollkommen: er hatte nicht umsonst auf die Ordnung, Rumford’s fast vergöttertes Princip, gebaut.

Sein Armenhaus lieferte nicht bloß die Bekleidung der baierischen Armee, sondern auch einen Jahresertrag, der sich in einer gewissen Periode auf 10 000 Gulden belief. Seiner Kücheneinrichtungen, die nur einen Aufwand von zwölf Kreuzern für Brennmaterial erforderten, um das Mittagessen für tausend Personen zu kochen, durfte sich Rumford besonders rühmen, und er verbreitete sich darüber auch mit großer Ausführlichkeit in seinen „Kleinen Schriften“, wie die deutsche Übersetzung seiner 1795 in London erschienenen „Essays“ benannt ist.

Ohne näher auf die lehrreichen Abhandlunen Rumford’s einzugehen, wollen wir nur bemerken, daß seine zahlreichen Verbesserungen im Baue von holzersparenden Oefen, Kochherden und Sudwerken, sowie seine Ideen über Heizung Beleuchtung und Ventilation von Gebäuden außer in Baiern auch in England und Irland mehrfach ausgeführt und lange – manche sogar bis heutigen Tags – erhalten worden sind und daß die von ihm aufgestellten Principien zur Bereitung wohlfeiler nahrhafter und schmackhafter Speisen, namentlich Suppen, allmählich ihren Weg in die Praxis gefunden und ihm ein dankbares Andenken in den unteren Volkskreisen der genannten Länder, namentlich Baierns, verschafft haben.

Obgleich Rumford’s Handlungen weniger vom Herzen als vom Kopfe dictirt wurden, so konnte er doch eine tiefe Gemüthsbewegung nicht unterdrücken, als er die Wirkung seiner Armenanstalt an ihren Bewohnern wahrnahm: die Gesichter, welche vorher die Merkmale des Unglücks und des Lasters trugen, zeigten jetzt Zufriedenheit und nicht selten Thränen der Wehmuth und Dankbarkeit. Während einer gefährlichen Krankheit hörte er unter seinem Fenster einen Lärm, dessen Grund er wissen wollte: es waren Arme, welche sich in Procession zur Münchener Frauenkirche begaben, um vom Himmel die Genesung ihres Wohlthäters zu erflehen. Auch als R. vier Jahre später in Neapel sehr krank darnieder lag, widmeten ihm die Bewohner des Militärarbeitshauses jeden Tag [650] eine Stunde Gebet. Diese freiwilligen religiösen Acte freuten ihn umsomehr, als sie zu Gunsten eines Andersgläubigen vollzogen wurden, und er erblickte darin die schönste Art der Anerkennung seiner Bemühungen.

Noch im J. 1790, an dessen erstem Tage der Bettelei in München ein Ende gemacht und das Militärarbeitshaus in der Au eröffnet wurde, hat der Kurfürst Karl Theodor seinen Kriegsminister zum Generallieutenant und Oberstinhaber des Artillerieregiments ernannt und zwei Jahre darauf, während er nach Kaiser Joseph’s Tode das Deutsche Reich verweste, zum Reichsgrafen mit dem Beinamen Rumford erhoben. Diesen Namen wählte R. in freundlicher Erinnerung an das kleine Dorf Rumford, jetzt Concord, in dem er bei seiner Ansässigmachung als Lehrer und Inhaber eines Erziehungsinstituts für Knaben, und bei seiner Verheirathung mit der Tochter des reichen Ortspfarrers nach seinem eigenen Ausspruche die erste Gunst des Glücks erfahren hatte. Im Frühjahr 1793 begab sich der Reichsgraf mit Erlaubniß des Kurfürsten zur Stärkung seiner angegriffenen Gesundheit nach Italien, und hier warf ihn, wie erwähnt, Krankheit vier Monate lang in Neapel nieder. Eine so ernste Mahnung, daß es Zeit sei, die bisher verfaßten Abhandlungen zu veröffentlichen und dem großen Publicum auch seine in Baiern durchgeführten Maßregeln bekannt zu geben, bestimmte ihn im September 1795 zur Reise nach London, wo er in der Nähe von St. Pauls Churchyard in seinem Postwagen angehalten und eines Koffers beraubt wurde, der alle seine Privatpapiere, Originalnoten und Bemerkungen über philosophische Gegenstände enthielt. R. beklagt sich bitter über den grausamen Verlust, der ihn um die Frucht der Arbeit seines Lebens bringe und, was noch weit schmerzlicher sei, einen unaufklärbaren Verdacht in ihm erweckt habe. Glücklicherweise waren in dem gestohlenen Koffer die Manuscripte der „Essays“ nicht enthalten, sie konnten also gedruckt und in England und Amerika ebenso verbreitet werden, wie es in Deutschland unter dem Titel „Kleine Schriften“ geschah.

Während seines Aufenthalts in England und Irland, wo er sich hauptsächlich mit der Ueberwachung des Drucks seiner Abhandlungen und der Fortsetzung seiner schon in München begonnenen Versuche über Herstellung wohlfeiler Nahrungsmittel und mit Verbesserungen in den Spitälern und Arbeitshäusern von Dublin beschäftigte, ließ er seine aus Amerika herübergekommene Tochter Sarah, die unterdessen ihre Mutter verloren hatte, in London von der emigrirten Marquise Chabanne in der französischen Sprache ausbilden, um sie bei seiner Rückkehr nach München am kurfürstlichen Hofe vorstellen zu können. Im October 1796, elf Tage vor der Flucht des Kurfürsten nach Sachsen, welche durch das gegen Baiern vorrückende französische Heer unter General Moreau nöthig geworden war, traf R. in München ein und blieb mit aller Vollmacht ausgestattet, den Ereignissen entsprechend zu handeln, hier zurück.

Die Schlacht bei Friedberg hatte die Österreicher auf München zurück getrieben, und als sie hier geschlossene Thore fanden, zur Stellungnahme am hohen Isarufer gegen die heranrückenden Franzosen veranlaßt. Der österreichische General Latour faßte einige in der Stadt geschehene Schritte als Beleidigung auf und drohte mit Beschießung, wenn nur Ein Franzose eingelassen würde. Da übernahm R. kraft seiner Vollmacht und mit Zustimmung des Kriegsministers Morawizky das Commando über die 14 000 Mann betragenden neutralen baierischen Streitkräfte und brachte es durch Festigkeit und Geistesgegenwart bald dahin, daß München den ihm drohenden Gefahren entging. Der Kurfürst drückte nach seiner Rückkehr dem Grafen R. die wärmste Anerkennung für seine Leistungen aus und bewilligte die Hälfte einer Pension, die er ihm vor einigen Jahren in Anerkennung seiner öffentlichen Dienste verliehen hatte, seiner am Hofe als Reichsgräfin eingeführten Tochter auf Lebenszeit.

[651] Als im J. 1798 der am britischen Hofe bevollmächtigte baierische Minister Graf Haslang von seinem Posten zurücktrat und die Stellung Rumford’s in München namentlich dadurch eine sehr mißliche geworden war, daß ihm 1797 ein kurfürstlicher Befehl auch die Generalpolizei in ganz Baiern übertrug, ernannte ihn sein Monarch am 17. August 1798 zum baierischen Gesandten in Großbritannien. Um die von ihm lang ersehnte hohe diplomatische Stellung anzutreten, reiste R. bald nach der Ernennung mit seiner Tochter nach London ab. Aber schon vor der Ankunft der Reisenden hatte der englische Minister Lord Grenville an den britischen Gesandten in München eine Depesche gerichtet, worin um Ernennung eines andern Nachfolgers für den Grafen Haslang gebeten wird, da Seine britische Majestät durchaus nicht gesonnen sei, den englischen Unterthan R. in diplomatischer Eigenschaft zu empfangen. Bei dieser Willensmeinung des Königs blieb es auch dann noch, als dem Grafen auf dringendes Bitten eine Privataudienz bewilligt worden war.

R. empfand freilich tief die ihm zu theil gewordene Zurückweisung, er hatte aber auch keine Lust nach Baiern zurückzukehren, da bald darauf, am 1. Februar 1799, sein mächtiger Protector, der Kurfürst Karl Theodor vom Schlage getroffen, verschied und die Regierung an den Herzog von Zweibrücken Max Joseph überging. Entschlossen, zunächst in England zu bleiben, kaufte er ein Landhaus bei London und lebte dort ein Jahr lang glücklich in regem Verkehr mit den hervorragendsten Persönlichkeiten in und um London, während seine Tochter die freundlichste Aufnahme im Hause des Lord Palmerston fand. Einer im September jenes Jahrs an ihn ergangenen Einladung, in Amerika die von ihm einst vorgeschlagene Militärakademie einzurichten und zu leiten und die Generalinspection der Artillerie zu übernehmen, lehnte R. dankend ab, weil er in London noch zu sehr mit der Durchführung seiner Royal Institution beschäftigt sei. Es war dies eine auf Actien gegründete öffentliche Anstalt, welche durch Vorlesungen und Experimente Unterricht in der Anwendung der exacten Wissenschaft auf Zwecke des öffentlichen Lebens ertheilen und die Einführung nützlicher Erfindungen und Verbesserungen fördern sollte; Wissenschaft und Kunst in die engste Verbindung zu bringen, die Vorurtheile gegen Neuerungen zu beseitigen, und den Denker mit dem ausübenden Arbeiter in hülfereichen Verkehr zu setzen, war ihr Ziel.

R. hatte sich verpflichtet, drei Jahre lang an der Spitze dieser mit dem 13. Januar 1800 ins Leben getretenen Royal Institution zu bleiben, welche als Physiker den berühmten Begründer der Interferenz des Lichts Dr. Thomas Young[WS 3] und als Chemiker den noch höher geschätzten Entdecker der Alkalimetalle Sir Humphry Davy[WS 4] zählte. Er vertauschte aber (wahrscheinlich infolge von Spannungen mit Davy) schon am 7. Mai 1802 London mit Paris, von wo er im Juli nach München kam und sowol beim Kurfürsten Maximilian Joseph als auch beim Publicum gute Aufnahme fand. Sein englischer Garten war inzwischen hübsch herangewachsen, sein Armenhaus aber im Niedergange begriffen. Von einem mehrwöchentlichen Besuch in Mannheim kehrte er im Januar 1803 wieder nach München zurück, um hier noch längere Zeit ohne amtliche Stellung zu verweilen.

In diese Zeit fällt Rumford’s Bekanntschaft mit der in München weilenden hübschen und geistreichen Wittwe des in der französischen Schreckenszeit guillotinirten Chemikers Lavoisier, mit der er über die Schweiz nach Paris zurückkehrte. Am 30. November 1803 gab er von dort seiner Tochter in Amerika die Absicht kund, mit der ebenso liebenswürdigen als reichen Madame Lavoisier eine zweite Ehe einzugehen. Um bei solchem Anlaß seinem Generallieutenant R. etwas mehr Relief zu geben, erhöhte Kurfürst Max Joseph dessen baierische Pension auf [652] 14 000 Gulden, die in Frankreich zu verzehren Kaiser Napoleon I. unter der Bedingung erlaubte, daß R. aller politischen Thätigkeit sich enthalte.

Hiernach fand im J. 1805 die Heirath statt, mit der R. anfangs recht zufrieden war. Aber gar bald klagte er seiner Tochter, daß ihn seine Frau gezwungen, seine von München mitgebrachte Bedienung heimzuschicken, und vom Jahre 1806 an gab die gesellschaftliebende Madame Lavoisier ihrem Gemahl immer mehr Grund zur Unzufriedenheit. Denn im October jenes Jahres erzählt er seiner Tochter einen Vorfall, der seine Frau bis zum Begießen seiner Lieblingsblumen mit heißem Wasser gereizt habe, und spricht von der Unmöglichkeit weiteren Zusammenlebens. In der That wurde auch am 30. Juni 1809 in der Villa Auteuil, die R. ein Jahr vorher gekauft hatte, seine zweite Ehe friedlich gelöst.

Sein Wunsch, die seit zehn Jahren wieder in Amerika lebende Tochter bei sich zu sehen, konnte der Kriegsläufe wegen erst mit Schluß des Jahres 1811 in Erfüllung gehen. Inzwischen, im Spätsommer 1810, war R. auf Einladung des Königs Max Joseph nach München gereist, und daselbst schrieb er unter anderem auch an den damaligen Kronprinzen Ludwig einen 33 Seiten langen Brief als Antwort auf die an ihn gestellten Fragen. Der Inhalt dieses Briefs, zur Zeit noch unbekannt, wird vielleicht in vier Jahren mit dem ersten Theile des schriftlichen Nachlasses Königs Ludwig I. veröffentlicht werden.

Nach Auteuil zurückgekehrt schloß sich R. unter der Pflege seiner Tochter von der Welt ziemlich ab und lebte nur seinen wissenschaftlichen Studien. Er fing auch an ein Werk „Über die Natur und die Wirkungen der Ordnung“ zu schreiben, das jedoch nicht zum Abschluß gelangte. Seit 1804 schon auswärtiges Mitglied des französischen Nationalinstituts hatte er während seines Pariser Aufenthalts mehrere Abhandlungen dortselbst vorgelesen, die sich auf die Wärme und deren Anwendung, sowie auf die Adhäsion der Moleküle in Flüssigkeiten bezogen. Unter denselben ragt besonders das am 25. Juni 1804 vorgetragene Mémoire sur la chaleur hervor, worin er noch einmal seine Ansicht über das Wesen der Wärme zusammenfaßt und auf die Wichtigkeit dieses Agens und seines Studiums für das menschliche Geschlecht hinweist. Und da er sich auch viel mit der Theorie der Fuhrwerke beschäftigte, so las er im April 1811 vor dem Institut über den Vortheil der breiten Radfelgen, die vierzig Jahre später allgemein eingeführt wurden.

R. hat über das Licht fast ebenso viele Untersuchungen gemacht als über die Wärme, und er construirte auf Grund zweier Forschungsergebnisse: daß nämlich die Flamme stets vollkommen durchdringbar ist für das Licht einer anderen Flamme, und daß ihre Lichtmenge nicht in demselben Maße wie die Wärmemenge von dem Gewichte des verbrannten Stoffs abhängt, eine nach ihm benannte Lampe mit parallelen Dochten, welche nicht weniger verbreitet und populär wurde als seine Feuerungen und Suppen.

Mittelst physikalischer Experimente hat er die Regeln bestimmt, nach welchen gewisse Farben einen angenehmen Eindruck machen: es sind die Complementärfarben wie Roth und Grün, Orange und Blau, Gelb und Violett u. s. w., welche durch ihre Vereinigung stets eine dem Auge wohlthätige Harmonie erzeugen. R., welcher alles methodisch betrieb, bestimmte hienach die Farben seiner Möbeln und Tapeten, und es war hievon jedermann, der seine Wohnung besuchte, aufs angenehmste berührt.

Er hat auch zwei besonders einfache und sinnreiche physikalische Instrumente erfunden: eines zur Messung der durch Verbrennung erzeugten Wärmemengen (Calorimeter), das andere (Thermoskop) zur Bestimmung kleiner Unterschiede [653] in der Temperatur oder der Wärmeleitungsfähigkeit der Körper. Obwohl in München entstanden und daselbst von R. mit großer experimenteller Geschicklichkeit zu Versuchen, namentlich zur Ermittelung der wärmehaltenden Kraft der Kleidungsstoffe benützt, wurden sie von ihm doch erst nach mehr als zwanzig Jahren in seiner letzten am 30. November 1812 im französischen Institut gehaltenen Vorlesung beschrieben, worin er auch alle damit gewonnenen Versuchsergebnisse zusammenstellte. Von diesen Instrumenten bildet das Calorimeter bis heute einen Bestandtheil physikalischer Sammlungen, während das Thermoskop, auf das R. große Stücke hielt, niemals recht in Gebrauch gekommen zu sein scheint.

Bei der Natur seiner Arbeiten mußte R. nach und nach zur Aufstellung einer allgemeinen Wärmetheorie geführt werden. Er war auch einer der ersten, der in der Wärme lediglich die Wirkung einer den Molekülen der Körper innewohnenden schwingenden Bewegung sah und den Beweis dafür in der beständigen Wärmeerzeugung durch Reibung suchte –, eine Erfahrung, die er im Winter 1797/98 während seiner Beschäftigung im Münchener Zeughause bei dem Bohren metallener Kanonen beobachtet, untersucht und gründlich studirt hatte. Durch diese mechanische Arbeit wurde nämlich in kurzer Zeit Wasser zum Sieden gebracht und während der ganzen Dauer des Bohrens siedend erhalten. Diese Münchener Beobachtungen in gehöriger Verbindung mit seinen vor zwanzig Jahren in England gemachten Versuchen über die Stärke des Schießpulvers und die Geschwindigkeit abgeschossener Kugeln führten R. zu der berühmten Abhandlung „Untersuchung über den Quell der durch Reibung erzeugten Wärme“, die er am 25. Januar 1798 der Royal Society vorlas. Die Gewichtslosigkeit oder die Unkörperlichkeit der Wärme war seitdem erwiesen.

R. hatte mit seiner Vorlesung namentlich in England das größte Aufsehen erregt und es fanden sich zahlreiche Gegner, welche seine Folgerungen bestritten. Doch fehlte es auch nicht an Geistern ersten Rangs, welche dafür eintraten. So bestätigte Sir Humphrey Davy bereits im J. 1799 die Ansichten Rumford’s durch einen neuen Fundamentalversuch mit zwei Eisstücken, welche aufeinander gerieben, in Wasser verwandelt wurden, obschon die Wärmecapacität des Eises viel geringer ist als die des Wassers. Und weiter führte Dr. Thomas Young aus, daß, wenn die bei der Reibung erzeugte Wärme weder von den umgebenden Körpern selbst herrühren, noch von der in ihnen angehäuften Wärmemenge abgeleitet werden kann, es keine andre Alternative gebe als anzuerkennen, daß Wärme wirklich durch Reibung erzeugt wird und keine Substanz ist. Wenn sie aber das Letztere nicht ist, so müsse sie eine Qualität, d. h. bloß Bewegung sein.

Legt auf solche Weise Young überzeugend und bündig dar, daß nach den Rumford’schen Versuchen die Wärme nur eine Molecularbewegung der Körper ist, so hat doch erst Joule[WS 5] im J. 1850 den Kernpunkt dieser Versuche aufgedeckt, indem er zeigte, daß schon R. die Menge mechanischer Arbeit zu berechnen im Stande war, welche zur Erzeugung einer bestimmten Wärmemenge erforderlich ist.

So hat denn schon R. durch seine Münchener Reibungsversuche das Aequivalenzverhältniß zwischen Wärme und mechanischer Arbeit thatsächlich festgestellt, freilich ohne die ganze Tragweite seiner Entdeckung zu erkennen. Wäre ihm noch die Verwandlung der Wärme in Arbeit in den Sinn gekommen – wir würden sicher in ihm den Begründer der mechanischen Wärmetheorie feiern, welche in unserer Zeit von maßgebendstem Einflusse auf die theoretische Naturwissenschaft und auf die gesammte Weltanschauung geworden ist.

Ich habe nun die hauptsächlichsten wissenschaftlichen Principien und die darauf gestützten Arbeiten Rumford’s bezeichnet, aber damit nicht alle Verdienste [654] dieses Mannes um die Wissenschaft und Technik erschöpft. Um zur Aufklärung und Forschung dauernd beizutragen, stiftete er auch zwei Preise, welche alljährlich durch die Royal Society in London und die Societé philosophique in Philadelphia für die wichtigsten Untersuchungen über Licht und Wärme ertheilt werden. Diese Stiftungen beweisen, daß R. über dem Adoptivvaterland sein Amerika nicht vergaß.

Auch verdient noch sein unablässiges Streben, jüngere und ältere Talente in ihrer Ausbildung zu fördern, rühmlicher Erwähnung. Es sei nur an den von mir im 27. Bande dieses Werks (S. 656–667) besprochenen Ingenieur Georg v. Reichenbach erinnert, den sein Landsherr Kurfürst Karl Theodor auf Empfehlung Rumford’s in den Jahren 1791 und 1792 mit ausreichenden Mitteln zu einer Studienreise nach England versah, sowie an den im 5. Bande der Allgemeinen Deutschen Biographie (S. 229–237) von Marggraff geschilderten Maler und Galleriedirector Johann Georg v. Dillis, der mit persönlicher Unterstützung Rumford’s die Gallerie zu Dresden und Wien besuchte und die Kunstschätze Roms studirte, ehe er dem Rufe des britischen Vicekönigs von Corsika folgte, um dort Kostüme und Ansichten zu zeichnen.

R. hat 16 Jahre in Deutschland und 12 Jahre in Frankreich gelebt. Wie rasch er sich in unsere Verhältnisse fand, beweist am besten die kurze Zeit, in der er die deutsche Sprache zu beherrschen lernte und die unteren Volksschichten für sich zu gewinnen wußte. Ein Urtheil über ihn aus deutschen akademischen Kreisen besitzen wir von Hofrath von Martius, welcher in seiner bei der Säcularfeier der K. B. Akademie der Wissenschaften den frequentirenden Mitgliedern der mathematisch-physikalischen Classe gewidmeten „Erinnerung“ sich also ausspricht: „Ein thätiger Menschenfreund in rauhem Gewande, wirkte R. für das Wohlsein aller, nicht nach Antrieb des Herzens, sondern um der Helligkeit staatlicher Ordnung und materiellen Behagens willen. Bei solcher Gemüthsart, fährt er fort, erklärt sich, wie gerade während seines Primats in Baiern über Verfinsterung geklagt werden konnte: er belächelte ebenso Illuminaten als Jesuiten und beider Bemühen, überzeugt daß die geistige und sittliche Entwicklung eines Volks nach dessen welthistorischen Verhältnissen fortschreite, trotz vorübergehender Hemmnisse und ohne unzeitige Förderung.“

Über Rumford’s Aufenthalt in Frankreich äußert sich der berühmte Naturforscher Baron Cuvier, ein Studiengenosse Friedrich Schiller’s an der Hohen Karlsschule und ein akademischer College von R., in seiner am 9. Januar 1815 zu Paris gehaltenen Lobrede wie folgt: „Wir haben es zehn Jahre lang gesehen, wie er, geehrt von Franzosen und Fremden, geschätzt von Freunden der Wissenschaften, deren Arbeiten er theilte, die Handwerker mit Rath förderte und wie er für das Publicum, das er mit Achtung behandelte, jeden Tag etwas nützliches erfand. Nichts würde der Annehmlichkeit seines Lebens gemangelt haben, wenn die Anmuth seines Umgangs seinem Eifer für das öffentliche Wohl gleichgekommen wäre. Aber man muß gestehen, daß seine Unterhaltung und sein ganzes Wesen eine Empfindung durchdrang, welche als ganz ungewöhnlich erscheinen mußte bei einem Manne, der von anderen beständig höflich behandelt wurde und der ihnen so viel Gutes erwiesen hatte: es kam dieses wahrscheinlich davon, daß er seine Dienste Allen in gleicherweise gewidmet hatte, ohne sie besonders zu achten, und daß ihn die niedrigen Leidenschaften, die er an den seiner Obhut anvertraut gewesenen Armen beobachtet hatte, oder die nicht minder schlechten Eigenschaften seiner Rivalen so gegen die menschliche Natur verbittert hatten. Er selbst war wie kein Anderer in allen Punkten und in allen Verhältnissen das Vorbild der Ordnung: seine häuslichen Angelegenheiten, seine Vergnügungen, seine Arbeiten waren berechnet wie seine Versuche. Er trank [655] nichts als Wasser und aß nur geröstetes oder gebratenes Fleisch, weil das gekochte etwas weniger Nahrungsstoff enthält. Er erlaubte sich keinen Ueberfluß, selbst keinen an Worten, und er nahm es damit strenge. Alles das waren keine Mittel, um sich der Gesellschaft Gleichgestellter angenehm zu machen: die Welt will ein wenig Ueberfluß und sie ist so beschaffen, daß sie eine gewisse Höhe der Vollkommenheit als einen Fehler betrachtet, wenn man sich nicht ebenso bemüht sie zu verbergen, als man sich vorher Mühe gegeben hat sie zu erlangen.“

Wie auch Rumford’s Gefühle gegen die Menschen beschaffen gewesen sein mögen, so beeinflußten sie doch nicht seine tiefe Gottesverehrung. In keinem seiner Werke hat er es versäumt, seine Religiosität zu bekennen und Andere zu gleicher Demuth gegen die Vorsehung aufzufordern. Solche strenge Ordnungsliebe, welche wahrscheinlich sein Leben weniger angenehm machte, hat nicht vermocht es zu verlängern; denn ein heftiges Nervenfieber hat es plötzlich im 62. Lebensjahre geendigt. Er starb am 21. August 1814 in seinem Landhause zu Auteuil, wo er die schöne Jahreszeit zuzubringen pflegte. Die Anzeige seines Leichenbegängnisses traf fast gleichzeitig mit der Nachricht von seiner Krankheit bei den Mitgliedern des Instituts ein und es hat ihnen daher die Kürze der Zwischenzeit nicht erlaubt, ihm am Grabe die üblichen akademischen Ehren zu erweisen. Aber wenn solche Ehren, sagt Cuvier, wenn irgend welche Bemühungen des Verlebten Ruhm zu vermehren oder dauerhafter zu machen, jemals überflüssig waren, so waren sie es für den Mann, welcher durch die glückliche Wahl der Gegenstände seiner Arbeiten es verstanden hat, sich die Achtung der Gelehrten und die Dankbarkeit der Armen für immer zu sichern.

Das Andenken Rumford’s wird unseres Wissens äußerlich durch drei Denkmäler erhalten. Das erste wurde ihm schon 1795 zu München während seiner Abwesenheit in England für die Schöpfung des Englischen Gartens und für seine Verdienste um das Armenwesen und die Volksbildung errichtet. Es befindet sich an der östlichen Hauptstraße des genannten Gartens und besteht aus Mauerwerk, das auf einem Sockel von Kalktuff ruht und ein Porträt Rumford’s nebst zwei Marmortafeln mit Inschriften im Stile jener Zeit trägt.

Das Andere steht auf seinem Grabe in Auteuil und ist von der französischen Akademie der Wissenschaften errichtet. Zwei Marmorplatten tragen die Aufschriften: 1) „A la Mémoire de Benjamin Thompson, Comte de Rumford, né en 1753 à Concord près Boston en Amerique, mort le 21. Aout 1814 à Auteuil, Physicien célèbre, Philanthrope éclairé, ses découvertes sur la lumière et la chaleur ont illustré son nom. Ses travaux pour améliorer le sort des pauvres le feront toujours chérir des amis de l’humanité.“ 2) „En Bavière Lieutenant-Général, Chef de l’Etat-Major-Général, Conseiller d’Etat, Ministre de la Guerre. En France Membre de l’Institut, Académie des Sciences.“

Das dritte Denkmal, ein ehernes, von C. Zumbusch modellirtes und von F. Miller gegossenes Standbild, ließ König Maximilian II. 1867 in der nach ihm benannten Münchener Straße neben den Standbildern des Generals Deroy, des Philosophen Schelling und des Optikers Fraunhofer errichten. Es trägt die Inschrift: „Benjamin Thompson Graf von Rumford. Errichtet von Maximilian II., König von Bayern.“

Vergl. „Memoir of Sir Benjamin Thompson, Count Rumford, with notices of his daughter.“ By George Ellis. Philadelphia 1874. Ferner: „G. Cuvier, Recueil des éloges historiques“ etc. Vol. II. Paris 1861, Éloge de Rumford, lu le 9. Janvier 1815. Endlich die von dem Unterzeichneten am 27. Juli 1889 bei der Schlußfeier der technischen Hochschule zu München gehaltene Festrede über Benjamin Thompson Grafen v. Rumford.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist Thomas Gage (1719–1787); britischer General und Oberbefehlshaber der Nordamerikastreitkräfte von 1763 bis 1778 während des beginnenden Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges
  2. George Germain, 1. Viscount Sackville (1716–1785); britischer Soldat und Politiker
  3. Thomas Young (1773–1829); englischer Augenarzt und Physiker
  4. Sir Humphry Davy, 1. Baronet (1778–1829); englischer Chemiker und unter anderem bekannt für die Entdeckung der schmerzlindernden Wirkung von Lachgas
  5. James Prescott Joule (1818–1889); britischer Brauer, der als Physiker zu größten Ehren kam