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ADB:Sattler, Michael

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Artikel „Sattler, Michael“ von Ludwig Keller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 410–413, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sattler,_Michael&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 17:04 Uhr UTC)
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Band 30 (1890), S. 410–413 (Quelle).
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Sattler: Michael S. ist als Wortführer und später als Märtyrer der Täufer in der Reformationszeit bekannt geworden. Er war zu Staufen im Breisgau geboren, trat in das Kloster St. Peter im Schwarzwald, wo er bis zum Ausbruch der großen religiösen Bewegung lebte. Um diese Zeit (wir kennen das Jahr nicht) trat er aus und schloß sich den Gemeinden an, welche seit dem Jahre 1524 in der Schweiz und im Reiche den Scheltnamen Täufer oder Wiedertäufer erhielten. Zu Zürich oder in dem Gebiet von Zürich empfing er die Spättaufe und scheint bei dem Religionsgespräch, welches am 6. bis 8. Nov. zwischen den Zwinglianern und seinen (Sattler’s) Glaubensgenossen in Zürich stattfand, zugegen gewesen zu sein. Als nach diesem Gespräch Grebel, Manz und Blaurock ins Gefängniß gelegt wurden, kam es unter deren Anhängern zu unruhigen Bewegungen, welche den Magistrat bestimmten, weitere Verhaftungen und Ausweisungen vorzunehmen. [411] Unter denen, welche von dem Ausweisungsbefehl des 18. November 1525 betroffen wurden, war auch S. Er ging in seine Heimath, wo es ihm gelang, in Horb, Rottenburg und vielleicht auch an andern Orten Täufergemeinden zu gründen. Durch seinen Einfluß scheint die Versammlung der Täufer, welche am 24. Februar 1527 zu Schleitheim (Schlatten) am Randen stattfand, zu Stande gekommen zu sein; die sieben Artikel, die hier vereinbart wurden, rühren von S. her und haben für die Geschichte der strengeren Richtung des sogenannten Anabaptismus eine gewisse Wichtigkeit gewonnen; denn obwohl sie niemals unter den Täufern als Symbol oder Bekenntnißschrift gegolten haben und eine Verpflichtung der Prediger darauf nie stattgefunden hat, so waren und blieben sie doch ein wichtiges Zeugniß des Glaubens der Väter für viele spätere Taufgesinnte und standen als solches in manchen Gemeinden in hohem Ansehen.

Wenige Wochen nach dieser Versammlung brach über die Täufer der Grafschaft Hohenberg von Seiten der österreichischen Regierung eine heftige Verfolgung herein und zu Horb wurden sechszehn Männer und elf Weiber verhaftet und zu Binsdorf in den Thurm gelegt; darunter befand sich auch S. mit seiner Frau. Am 17. Mai wurden die Unglücklichen vor ein in Rothenburg[1][2] am Neckar versammeltes Blutgericht gestellt und am 21. Mai ward S., nachdem man ihm die Zunge ausgeschnitten und ihn mit glühenden Zangen gemartert hatte, auf Grund der bestehenden Ketzergesetze zum Scheiterhaufen geführt und verbrannt. Seine Mitgefangenen wurden zum Schwert begnadigt und seine Frau, nachdem man vergeblich versucht hatte, sie zum Widerruf zu bewegen, nebst den anderen Weibern ertränkt.

Da S. ein gelehrter Mann war, der vielerlei persönliche Beziehungen besaß, so erregte seine Hinrichtung großes Aufsehen. W. Capito schrieb am 31. Mai an den Rath zu Rothenburg[1][2] – es war vor der Hinrichtung von Sattler’s Leidensgenossen – folgendes: „Dieser Michael ist uns in Straßburg wohl bekannt und hat wohl etwas Irrung im Wort gehabt, die wir ihm getreulich durch Schrift haben angezeigt; aber weil er in unser und anderer Prediger wahrhaftiger Lehre vielleicht etwas Mangels, und im Volk, das Christen sein will, ärgerlich Leben befunden, hat ihn meiner Achtung nach soviel weniger beherzigt, was wir zu Bericht der Wahrheit gründlich fürbrachten. Doch hat er allemal bewiesen einen trefflichen Eifer zur Ehre Gottes und der Gemein Christi“. Auch in der „Getreuen Warnung der Prediger des Evangelii zu Straßburg“ (vom 2. Juli 1527) wird S. ein sehr gutes Zeugniß ausgestellt. „Wir achten aber doch, daß Gott auch aus den Seinen in solch Irrthum kommen laß; als wir nicht zweifeln, M. S., der zu Rothenburg verbrannt ist, sei ein lieber Freund Gottes, wiewohl er ein Fürnehmer im Tauforden gewesen ist, doch viel geschickter und ehrbarlicher denn etliche andere. Auch hat er vom Tauf geantwortet, daß man sieht, daß er allein den Kindertauf verworfen hat, durch den man vermeint selig zu werden.“ Der Schlußsatz deutet einen der Gründe an, welche die Straßburger Prediger bestimmten, den S. unter die Märtyrer der evangelischen Kirche aufzunehmen. Indessen ist es nicht richtig, daß S. irgend eine Form der Kindertaufe gut geheißen habe; vielmehr gehört er zu derjenigen Richtung der Täufer, welche Bullinger als die „apostolischen“ bezeichnet und welche die strengste Richtung des sogenannten Anabaptismus, namentlich auch in Bezug auf die Tauffrage, vertreten.

Das Lob, welches die Straßburger dem S. zollten, verdient er in vollem Maße; er war eine durchaus reine und edle Natur, voll Opfermuths und Standhaftigkeit für die christliche Wahrheit, wie er sie faßte. Es gereicht Capito (der übrigens den Täufern so nahe stand, daß viele seiner Bekannten glaubten, er werde nach Denck’s und Hubmeier’s Tod die Führung der Partei [412] übernehmen) zur Ehre, daß er die Tugend Sattler’s so aufrichtig anerkannt hat. Für das Lob, welches dem S. in der wider Denck gerichteten „Getreuen Warnung“ gleichsam von amtlicher Stelle aus zu Theil ward, scheinen freilich noch andere Erwägungen maßgebend gewesen zu sein. Diejenige Richtung des sog. Anabaptismus, welche S. vertrat, stand bei aller Schroffheit, mit welcher sie gewisse Sonderlehren von der Taufe, dem Eid, dem Staat und dem Krieg verfocht, der hergebrachten und in den protestantischen Bekenntnissen festgehaltenen Theologie weit näher, als die sog. gemeinen oder freien Täufer und gerade jene Schroffheit schloß die Möglichkeit aus, daß diese „apostolischen Täufer“ den herrschenden Confessionen je ernstlich gefährlich werden konnten, wie denn auch Seb. Franck bezeugt, daß die Partei Sattler’s damals nur eine kleine gewesen sei. Indem Bucer, der an der „Getreuen Warnung“ den vornehmsten Antheil hatte, mit der ihm eignen klugen Berechnung den S. gegenüber Denck, Kautz u. A. als einen „lieben Freund Gottes und einen „Märtyrer Christi“ bezeichnete, zog er nicht nur Sattler’s Anhänger näher an sich heran, sondern es verschärften sich auch die Meinungsverschiedenheiten, welche ohnedies zwischen den „gemeinen“ und den „apostolischen“ Täufern bestanden. In mehr als einer Schrift ward Sattler’s Schicksal beschrieben. Noch im J. 1527 erschien: „Claus v. Grassneck, Ain neues wunderbarlichtes geschicht von Michel S.“ u. s. w. o. O. 4°, 7 Bl.; ferner ward sein Ende von Joh. Schlegel aus Ravensburg beschrieben und eine kleine Flugschrift ward unter dem Titel: „Artikel und Handlung so M. S. zu Rothenburg am Neckar mit seinem Blut bezeugt hat“ alsbald nach dem Ereigniß ausgegeben. Außer den oben erwähnten sieben Artikeln ist S., wie es scheint, der Verfasser von: „Wie die Gschrift verstendiglich soll unterschieden und erklärt werden“ u. s. w. o. O. u. J. 2¾ Bogen, 4°. Bestimmt rührt von ihm her: „Ein Sendtbrieff M. Sattler’s an eyn Gemein Christi“ u. s. w. o. O. 1527, sowie das bei Wackernagel, K. Lied III, 405 abgedruckte Lied: „Als Christus mit seiner waren Leer“ u. s. w. Dies Lied erschien zuerst unter den im J. 1531 zu Jungbunzlau gedruckten Liedern der böhmischen Brüder, tritt dann aber auch in den gedruckten Liederbüchern der Täufer (s. Ausbund Nr. 7) auf. Das Lied Nr. 520 bei Wackernagel ist dagegen nicht von ihm, sondern von M.(ichael) S.(chneider). S. wird ferner genannt als Verfasser mehrerer kleiner Druckschriften „über die Genugthuung Christi, über die Ehescheidung, über das Anhören falscher Propheten“ u. s. w., welche gemeinsam mit der Brüderlichen Vereinigung und dem Sendbrief in den Jahren 1560 und 1567 in holländischer Sprache erschienen sein sollen. Der Sendbrief und die Artikel finden sich auch in dem Märtyrerspiegel von Brachts und sind noch im J. 1702 als selbständige kleine Schrift von neuem gedruckt und verbreitet worden. In der oben erwähnten „Getreuen Warnung“ vom 2. Juli 1527 (Bl. C 6) erwähnen die Straßburger Prediger eine „Histori Michel Sattler’s“, an dessen Schluß sich die Worte finden „das hab ich L. alles selber gehört und gesehen, verjehe auch von ihm ritterlich zu zeugen“. Aus einer Bemerkung, welche die Prediger daran knüpfen, geht hervor, daß sie den Ludwig Hätzer (dessen Namen sie ausdrücklich als möglichen Autor nennen) in erster Linie für diese Schrift verantwortlich machten. Ich habe nicht feststellen können, ob Hätzer wirklich der Verfasser ist; indessen wirft der Umstand, daß die Prediger die Verfasserschaft Hätzer’s für wahrscheinlich hielten, ein wichtiges Licht auf seine Beziehungen zu S., die von anderer Seite offenbar absichtlich verdunkelt worden sind.

Eine gute Zusammenstellung der bis zum J. 1883 erschienenen bezw. bekannt gewordenen Quellen gibt J. Beck in den Geschichtsbüchern der Wiedertäufer in Oesterreich-Ungarn (Fontes Rer. Austr. Dipl. et Acta XLIII. Bd.) [413] Wien 1883 S. 27. Ich füge noch hinzu: Baum, Capito und. Butzer S. 375 ff. – Reusch, Der Index u. s. w. S. 278. – Vater, Kirchenhist. Aichiv s. 1826 S. 476 ff. (von Veesenmeyer). – Thesaur. Baumianus II, 33 ff. (Straßb. Bibl.) – Sepp, Verboden Lectuur. Leiden 1889 S. 220 f.[3][4]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. a b S. 411. Z. 17 u. 26 v. o. l.: Rottenburg. [Bd. 33, S. 799]
  2. a b S. 411. Z. 17 und 26 v. o. l.: Rottenburg. [Bd. 45, S. 671]
  3. S. 413. Z. 4 v. o. hinzuzufügen: G. Bossert, Blätter für Württembergische Kirchengesch. 1889 S. 10 ff., 1890 S. 1 ff. – Christliche Welt 1891 S. 22 ff. [Bd. 33, S. 799]
  4. S. 413. Z. 4 v. o. hinzuzufügen: G. Bossert, Blätter f. Württ. Kirchengesch. 1889, S. 10 ff. 1890. [Bd. 45, S. 671]