Zum Inhalt springen

ADB:Stößel, Johann

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Stößel, Johann“ von Georg Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 471–473, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:St%C3%B6%C3%9Fel,_Johann&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 13:38 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Stoß, Veit
Nächster>>>
Stoever, Johannes
Band 36 (1893), S. 471–473 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Stössel in der Wikipedia
Johann Stössel in Wikidata
GND-Nummer 128586702
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|36|471|473|Stößel, Johann|Georg Müller|ADB:Stößel, Johann}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=128586702}}    

Stößel: Johann St., sächsischer Geistlicher, bekannt durch seinen Antheil an den kirchlichen, namentlich den kryptocalvinistischen Streitigkeiten, war am 23. Juni 1524 zu Kitzingen in Franken geboren, studirte vom Jahre 1546 an in Wittenberg und wurde hier 1549 Magister. Er trieb dann an der kurz vorher gegründeten Universität Jena theologische Studien und wurde hier für das reine Lutherthum gewonnen, als dessen energischer, gewandter und beredter Vertreter er bald als Superintendent von Heldburg bei verschiedenen Gelegenheiten erscheint, so bei der Einführung der Reformation in dem markgräflich Baden-Durlachschen Gebiete, so bei den zahlreichen Versammlungen, die die Feststellung der reinen Lehre zum Gegenstande hatten. 1556 nahm er an der Synode zu Eisenach theil, auf der mit Justus Menius wegen der Lehre von den guten Werken verhandelt wurde. Im Jahre darauf erschien er als Abgesandter Herzog Johann Friedrich des Mittleren von Sachsen auf dem Colloquium zu Worms, wo er mit seinen Genossen den flacianischen Standpunkt vertrat, später aber durch Lukas Tangel ersetzt wurde. Dann arbeitete er an der 1559 erschienenen Consutation, die er in einer „Apologie und wahrhaftigen Verantwortung des fürstlichen Ausschreibens“ vertheidigte. Im Frühling des Jahres 1560 begleitete er den Herzog Johann Friedrich auf seiner, in kirchlichem Interesse nach Heidelberg unternommenen Reise, wo er die streng lutherischen Anschauungen in einer Disputation gegen Peter Boquinus mit großer Gewandtheit und Schärfe vertheidigte. Im Sommer nahm er an dem Colloquium zu Weimar theil. Auf dem Naumburger Fürstentage 1561 vertrat er das strenge Lutherthum gegenüber dem Melanchthonismus und wirkte in dieser Richtung kräftig auf den Herzog ein, dessen plötzliche Abreise von ihm mit veranlaßt war. So wurde er noch in demselben Jahre Assessor des zur Schlichtung der theologischen Streitigkeiten eben errichteten Consistoriums zu Weimar. Seine Berufung in das Amt eines Superintendenten und theologischen Professors in Jena, die ursprünglich nicht dauernd hatte sein sollen, führte ihn mitten hinein in die Streitigkeiten zwischen Flacius und Strigel. Er vertrat den Standpunkt des Letzteren und wurde daher in einer 10 Bogen langen, 45 Beschwerden enthaltenden Anklageschrift von Flacius, Wigand und Judex hart angegriffen. Da sich auch die Universität beleidigt fühlte, wurde an den Hof berichtet. Eine von dem Kanzler, D. Christian Brück, geführte Commission hielt eine Untersuchung in Jena, bei der Flacius und Wigand abgesetzt wurden. In den folgenden Verhandlungen mit den Flacianern vertrat St. einen milden Standpunkt, suchte auch den Geistlichen die Unterschrift durch eine vermittelnde Formel (Superdeclaratio, Cothurnus Stoesselii) zu erleichtern. Sein Ansehen an der Universität beweist sein dreimaliges Rectorat in den folgenden Jahren (1563 Januar bis Juni, 1565 Juni bis December, 1567 Juni bis zum Ende des Jahres). Auch wurde er als erster am 13. bis 15. Juli 1564 zum Doctor der Theologie ernannt in einer feierlichen Promotion, bei der D. Max Mörlin als Prokanzellar und Paul Eber als Promotor auftrat. In demselben Jahr war er auch Decan der theologischen Facultät. Ende Januar 1566 war er zugleich mit Nicolaus Selnecker bemüht, zu Weimar auf Herzog Johann Friedrich in einer Audienz (am 27.), sowie in einem freimüthigen [472] Schreiben (vom 28., beantwortet vom Fürsten am 29.) einzuwirken. Die beiden Jenaer Professoren erklärten sich sogar bereit, zu Ostern ihre Stellungen aufzugeben. Als aber nach dem Sturze des Herzogs der streng lutherische Herzog Johann Wilhelm die Regierung übernommen hatte, mußte die melanchthonische Richtung weichen. Die früher vertriebenen Prediger wurden wieder eingesetzt. Auch nach Jena kam eine Commission. Da St. seine Absetzung voraussah, soll er heimlich am 16. Juni 1568 Jena verlassen haben. Er wurde jetzt auf Kurfürst August’s Vermittelung hin Superintendent in Mühlhausen. Aber bereits im Jahre darauf wurde ihm das gleiche Amt in Pirna übertragen. Der Dresdner Superintendent, Daniel Greiser, wies ihn ein. St. war jetzt im Sinne des Kryptocalvinismus eifrig thätig. Namentlich stand er zu dem Dresdner Hofprediger, Christian Schütz (s. A. D. B., B. XXXIII S. 109), in näheren Beziehungen. Er war Mitarbeiter, Verbreiter und Vertheidiger des geplanten Katechismus, der Fragestücke und des Consensus Dresdensis. Auch am Hofe nahm er als Kirchenrath und als Beichtvater des Kurfürsten August eine angesehene Stellung ein. Er ermahnte diesen z. B., nach dem Beispiele des Kaisers Constantinus allen Anfeindungen gegenüber an dem Consensus Dresdensis festzuhalten. Wer in Verdacht komme, solle nicht ungehört verdammt, sondern auf Grund des lutherischen Katechismus, des Corpus Doctrinae und des Consensus Dresdensis examinirt werden. Er entwarf für den Kurfürsten eine knappe Gegenüberstellung der lutherischen und calvinischen Lehre in Tabellenform, „die Antithesis oder Gegenlehre der kurfürstlich sächsischen Theologen und des Heidelberger Katechismus vom heiligen Abendmahl“. Von Gutachten sei das über Peter Dathe erwähnt (1572). 1573 wurde er auf Antrag der Universität Jena vom Kurfürsten auf drei Monate zur Visitation in Thüringen beurlaubt. Aber mehr und mehr trat der Gegensatz zu dem streng lutherischen Hofprediger, M. Georg Lysthenius, hervor: Dieser berichtete an die Kurfürstin Anna über ein Gespräch mit St. über das heilige Abendmahl. Am 12. März 1574 forderte der Kurfürst von ihm ein kurzes Gutachten über den Gegensatz lutherischer und calvinischer Anschauung. Als St. in einem längeren Schreiben ablehnend antwortete, schrieb ihm der Kurfürst am 27. März in schroffem Tone. Zwei Tage später, am Sonnabend vor Ostern, befahl dieser, ihn in Verstrickung zu nehmen, ließ ihn aber zunächst noch gegen eine „Obligation“ im Pfarrhause zu Pirna, „seiner Kreuzesschule“, schickte auch noch im Anfange des Monats Juli seinen Kammerschreiber, Hans Jenitz, zu ihm, mit der Aufforderung, eine kurze Erklärung vom Abendmahl zu unterschreiben. Unterdeß berieth der Torgauer Landtag über die Behandlung der wichtigsten Persönlichkeiten, namentlich auch Stößel’s. Die Anklage gegen diesen lautete neben den theologischen Gründen auf unehrerbietige Aeußerungen gegen die fürstlichen Personen. Auch Beziehungen zu dem Grafen von Schönburg, namentlich Rathschläge wegen des Flacianismus, wurden St. zur Last gelegt. Vielleicht hatte auch dessen Briefwechsel mit Herzog Johann Friedrich verstimmt. Zwischen der harten Auffassung des aufs heftigste ergrimmten Kurfürsten und der milderen Beurtheilung des Ausschusses kam es zum Vergleiche. Nach diesem erhielt St., nachdem ein Gesuch um Begnadigung abschlägig beschieden worden war, im August 1574 eine Wohnung in der Festung Senftenberg angewiesen, mußte aber eine neue Obligation unterschreiben. Mit Rücksicht auf sein Privatvermögen wurde die Pension auf 100 Gulden festgesetzt. Die Fürbitte des Pirnaischen Rathes, wie der Universität Jena, auch Stößel’s erneute Gnadengesuche und Bekenntnisse konnten dem Gefangenen die Freiheit nicht erwirken, noch weniger die Wiederanstellung oder den erbetenen Urlaub in auswärtige Dienste. Ueber seinen Zustand mußten Geistliche und Beamte, auch eigens gesandte Commissare berichten. Sein tägliches Gebet war: Ut mens ad mortem [473] sit duce laeta deo. Sein Gemüthszustand wurde immer düsterer und seine Gegner ergingen sich wohl in den Berichten in Uebertreibungen bezüglich seiner Gewissensbisse und Selbstanklagen. Während er früher Sicherheit und Selbstbewußtsein zur Schau trug, „sich seiner guten Sache und seines guten Gewissens tröstete“, wurden später seine Bitten immer demüthiger und unterwürfiger. Als dem Kurfürsten im Anfange des Jahres 1576 berichtet wurde, daß St. zu einem offenen Bekenntnisse geneigt zu sein scheine, wurde nochmals D. Eulenbeck als Commissar gesandt, um ihn über den Grund und den Vorgang seiner Schwenkung vom strengen Lutherthum zu den calvinisirenden Anschauungen, ein auch heute noch nicht gelöstes Problem, eingehend zu befragen, namentlich auch darüber auszuforschen, ob vielleicht die Zusammenkünfte auf dem Rittersitze Schönfeld bei D. Cracau, oder die zu Dittersbach (bei Stolpen), bei dem um diese Zeit aus dem Amte geschiedenen Kanzler Hieronymus v. Kiesenwetter, auf ihn von Einfluß gewesen seien (vgl. die interessante Instruction Cop. 415, Bl. 117 im Dresdner Hauptstaatsarchive). St. starb am 18. (nicht 21.) März 1576 nach längerer Krankheit, einem viertägigen Fieber. Seine treue, oft und schwer leidende Lebensgefährtin, eine Tochter Anton Musa’s, folgte ihm unmittelbar darauf im Tode nach und wurde mit ihm in der Nähe der Kirche beerdigt. Der Kurfürst sicherte sich den handschriftlichen Nachlaß, der von seiner Beschäftigung mit Luther und Melanchthon, wie mit den hebräischen Psalmen zeugt. Magister Brendel zu Quedlinburg mußte ihn ausliefern. Die übrige Verlassenschaft fiel den Erben zu.

Ueber Stößel’s Leben finden sich in den Archiven zu Dresden, Weimar, Coburg reiche Nachrichten. Letztere beiden sind bei A. Beck, Johann Friedrich d. M., Weimar 1858, 2 Bände, ersteres in R. Calinich, Kampf und Untergang des Melanchthonismus. Leipzig 1866, auch von dem Unterzeichneten benutzt. – Außerdem: A. H. Kreyßig, Album d. evang.-luth. Geistl. Dresden 1883. S. 398. – J. Wagenmann, J. St. in Herzog-Plitt-Hauck, Real-Encyklopädie XIV2, 750–752. XVIII2, 998 – H. Heppe, Gesch. d. Protestantismus. Marburg 1852 ff., I. u. II. Band. – G. Frank, Gesch. d. prot. Theol. 1. Theil. Leipzig 1862. – A. Kluckhohn, Briefe Friedrich des Frommen. Braunschweig 1868. I, 159. 164. – Conr. Schlüsselburg, Theol. Calvinist. liber tertius. Francof. 1582. Prooemium Bl. 3. – K. G. Dietmann, die Priesterschaft in dem Churfürstenthum Sachsen I, 1023 bis 1029. – R. Hofmann, Gesch. d. Kirche St. Marien in Pirna. Pirna 1890. S. 38–40. – H. G. Hasse, Abriß der meißnisch-albertinisch-sächsischen Kirchengeschichte. Leipzig 1847. II, 55. – J. A. Gleich, Annales ecclesiastici. Dresden und Leipzig 1730. I, 49. – Adr. Beyerus, Syllab. Rect. et Prof. Jenae 1682, p. 86, 461. 505. – Simon Gediccus, Pelargus Apostata. Lips. 1617. p. 147. – Leonh. Hutter, Concordia concors. Francof. et Lips. 1690. p. 298–301. – J. W. Krauß, Sachsen-Hildburghaus. Kirchen-, Schul- und Landeshistorie. Greitz 1740. I, 136. – Unschuldige Nachrichten, 1712, 582 ff. 1735, 276. – Neues Archiv f. d. sächs. Gesch. und Alterthumskunde. III (1882), S. 188.