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ADB:Thile, Hermann von

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Artikel „Thile, Hermann von“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 687–697, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thile,_Hermann_von&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 19:01 Uhr UTC)
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Thile: Karl Hermann von Th., preußischer Diplomat, geboren am 19. Juli 1812 zu Berlin, † ebenda als Staatssecretär a. D. am 26. December 1889, war ein Sohn des am 24. August 1861 verstorbenen, zuletzt das VIII. (rheinische) Armeecorps befehligenden Generals der Infanterie Adolf Gustav v. Th.[WS 1], eines Bruders des Ministers und Vertrauten König Friedrich Wilhelm’s IV. Ludwig Gustav v. Th. (s. A. D. B. XXXVIII, 28–32), und der Auguste v. Th., geb. v. Schöning. Seine Schulbildung empfing er in Berlin im Hause seiner Eltern durch Privatunterricht. Im October 1829 bezog er die Universität seiner Vaterstadt, um die Rechte zu studiren. Schon damals zeigte er lebhafte Neigung für gelehrte Studien. So fiel es ihm ein, Sanskrit zu lernen und bei Bopp Vorlesungen über Stücke aus dem indischen [688] Epos zu hören. Im Winter 1831 verließ er Berlin zum ersten Mal auf längere Zeit, um seine Studien in München fortzusetzen. Dort schloß er bald innige Freundschaft mit dem ihm gleichaltrigen Studenten der Geschichte Felix Papencordt, dem nachmaligen berühmten Historiker, dessen ungeheurer Fleiß ihn mit Bewunderung erfüllte. Mit ihm verkehrte er im Hause Schelling’s und des Naturphilosophen Schubert. Mit Papencordt ging er auch zur Vollendung seines Studiums nach Berlin zurück. Schon früh durch die Traditionen seines Hauses mit dem Geiste tiefer Frömmigkeit erfüllt, empfand er Papencordt’s katholisches Bekenntniß nicht als Trennungsmoment. Vielmehr förderte wohl gerade der Verkehr mit Papencordt das Bestreben, das ihn stets erfüllte, das Gemeinsame zwischen beiden Confessionen zu betonen. „Wie oft bin ich deshalb des Kryptokatholicismus beschuldigt worden!“ schrieb er 1863. Anfang 1834 folgte er seinem damals als Divisionscommandeur in Magdeburg stehenden Vater ebendorthin, um sich zur ersten juristischen Staatsprüfung vorzubereiten. Hier gewann der Freund der Gebrüder Gerlach, der nachmalige Obertribunalspräsident Goetze auf ihn Einfluß. Als rechtes Glied des Gerlach’schen Kreises gab Goetze seinem jungen Schützling die Schriften des Restaurators der Staatswissenschaften K. L. v. Haller zum Lesen. Damit hatte er aber bei Th. nur theilweise Erfolg. Der positive Theil der Haller’schen Lehren sagte Th. nicht zu. Im Februar 1834 bestand Th. die Staatsprüfung. Er trat darauf als Auscultator beim Land- und Stadtgericht zu Magdeburg ein. In dieser Zeit regte Goetze ihn an, die diplomatische Laufbahn einzuschlagen. Im Sommer 1835 unterzog Th. sich der Referendarsprüfung in Berlin. Da ihm die juristische Laufbahn nicht zusagte, wollte er zur Verwaltung übergehen. Wiederum rieth Goetze zur diplomatischen Laufbahn und setzte sich deswegen, obwohl Th. wenig inneren Beruf für dieses Fach in sich fühlte und obwohl Thile’s Vater vermögenslos war, mit dem späteren Cultusminister, damaligen Ministerialdirector Eichhorn in Verbindung. Er muß also doch wohl, trotz des schüchternen Wesens, das sein junger Schützling zeigte, diplomatische Befähigung bei ihm bemerkt haben. Inzwischen fand Th. Verwendung bei der Potsdamer Regierung, und zwar im Steuerfach. Diese Beschäftigung gefiel ihm. Wohl mehr getrieben, als aus eigenem Entschluß stellte er sich nach einiger Zeit dem Minister des Auswärtigen Ancillon wegen seiner etwaigen Uebernahme in den diplomatischen Dienst vor. Nicht ohne Einfluß scheint sein Studienfreund Papencordt auf seine endgültige Entscheidung in dieser Angelegenheit gewesen zu sein, der in Rom ein reiches Feld der Arbeit gefunden hatte.

Nachdem er die diplomatische Prüfung bestanden hatte, erfolgte am 19. October 1837 seine Einberufung in den diplomatischen Dienst. Im December desselben Jahres folgte er seinem Freunde nach Rom, um dort als Attaché bei der Gesandtschaft am päpstlichen Stuhle einzutreten. Der damalige preußische Gesandte in Rom, Bunsen, hatte selbst, wohl durch Papencordt beeinflußt, diese Berufung veranlaßt, und in seiner Begleitung unternahm Th. die Romfahrt. Seine Einschulung übernahm Alfred v. Reumont, den Th. in Rom ablöste und mit dem er, trotz einiger anfänglicher Differenzen, in der Folge befreundet wurde. Damals wurde auch der Grund zu einer Freundschaft zwischen Th. und dem ihm wesensverwandten Heinrich Abeken gelegt. In dem noch schwebenden Kölner Erzbischofsstreit empfing Th. den Eindruck, daß die römische Kurie durchaus nicht eine aggressive Stellung einnahm, sondern ihre Erfolge ihr von der preußischen Regierung entgegengetrieben wurden, „wie die Hasen bei einem Treibjagen“, und daß dadurch der Cardinal-Staatssecretär Lambruschini und seine Freunde geradezu körperlich [689] verjüngt worden seien. Das geistliche Leben in Rom erschien ihm in durchaus günstigem Lichte. Schon am 21. September 1839 wurde er unter Ernennung zum Legationssecretär sehr gegen seinen Wunsch, wie es scheint, nicht ohne daß der Einfluß seines Vaters und Oheims dabei im Spiele waren, von Rom an die Gesandtschaft in Bern versetzt, wo er wieder unter Bunsen’s Aegide kam, von dem er durch dessen Abberufung aus Rom im Frühjahr 1838 getrennt worden war. In Bern verlebte er die ersten Jahre der Vorbereitung des Sonderbundkrieges. Unter dem 4. Januar 1842 kam er von dort als erster Legationssecretär an die Gesandtschaft in Wien, darauf im April 1843 abermals als Gehülfe Bunsen’s nach London. Dort erhielt er unter dem 31. December 1844 seine Ernennung zum Legationsrath. Durch den vielfachen Verkehr mit Bunsen trat er diesem und dessen Hause recht nahe. Am 20. September 1846 wurde er dem Bundestagsgesandten Grafen Dönhoff in Frankfurt a. M. beigegeben. Dort verheirathete er sich noch in demselben Jahre mit Ottilie v. Graefe, der Schwester des berühmten Augenarztes. Dort wurde ihm auch ein Sohn geboren. Er durchlebte die bewegte Zeit der Jahre 1848 und 1849 in der alten Kaiserstadt. Im Sommer 1848 fühlte er sich zu dem Versuche bewogen, in einem dringenden Schreiben seinen früheren Vorgesetzten Bunsen zu bestimmen, daß er den Posten eines Reichsministers annähme, um eine Spaltung zwischen Frankfurt und Berlin zu verhindern. Hierin ist offenbar der Einfluß Dönhoff’s zu erkennen. Ungemein charakteristisch für Thile’s schöngeistig-patriotische Richtung ist der von Adolf v. Schack, der zu jener Zeit Vertreter Mecklenburgs am Bundestage war, überlieferte Zug, daß Th. in der Schreckensnacht des 18. September, in der Lichnowsky und Auerswald ermordet wurden, unter dem zu seiner Wohnung hinaufdringenden Waffengetümmel mit seinen Gästen Kleist’s „Prinzen von Homburg“ las. Als man zum Schluß des letzten Actes gelangte, rückten gerade die aus Mainz herbeigerufenen Truppen in die Stadt ein, die dem Aufstand ein Ende machten. Im Jahre darauf kam Th. als Geschäftsträger nach Kassel, also gerade in die wirrenreiche Zeit des kurhessischen Verfassungsconflicts. In dieser heiklen Stellung, die seine erste selbständige war, mußte er bis zum Jahre 1852 ausharren. Im September 1852 wurde er wieder auf classischen Boden geschickt, und zwar als Ministerresident nach Athen. Es war die Zeit, in der sich der orientalische Krieg entspann. Die Wunder der hellenischen Welt begeisterten den frommen Diplomaten zu einem Gedicht „Pentelikon“, einem Hymnus auf die Nächstenliebe, die er in allen jenen Bauten und Kunstwerken lebendig geworden sah. Schon am 28. September 1854 vertauschte er den Athener Posten mit dem des Gesandten beim päpstlichen Stuhle in Rom. Im Palast Caffarelli auf dem Capitol übte er nun einige Jahre eine schöne Gastlichkeit aus. So gewährte er dem in Papencordt’s, des 1841 verstorbenen Freundes Thile’s, Fußstapfen tretenden Ferdinand Gregorovius die liebenswürdigste Aufnahme in seinem Hause. Aus ihrem Verkehre erwuchs ein überaus reiches Freundschaftsleben, das über das Grab hinaus wirkte. Ebenso wurde das Verhältniß zu einem anderen Historiker Roms, dem damals in Florenz als preußischer Vertreter lebenden Alfred v. Reumont, näher. Ferner knüpfte Th. Freundschaft mit dem hochsinnigen Kunstfreund und Dichter Adolf Graf Schack, dem Maler Cornelius, dem Gesandtschaftsarzt und eifrigen Sammler Alertz und anderen geistig hochstehenden Menschen. Sie alle fühlten sich auf das höchste angezogen durch die ungewöhnlich vielseitige und tiefe Bildung, die sie bei ihm entdeckten, und durch seine opferwillige Liebenswürdigkeit. Gregorovius fand in ihm einen verständnißvollen [690] Anreger und Berather bei seinem großen Werke über Rom im Mittelalter. Th. vornehmlich war es, der Gregorovius eine jährliche Unterstützung zur Herausgabe seines Geschichtswerkes bei der preußischen Regierung erwirkte. Im Palazzo Caffarelli las Gregorovius zuerst Abschnitte aus dem Manuscript des Werkes vor. Im J. 1856 rieth Graf Robert Goltz dem Ministerpräsidenten Otto v. Manteuffel dringend, Th. mit dem Gesandtschaftsposten in Wien zu betrauen. Noch im Mai 1857 dachte Manteuffel diesen Rath zu befolgen. Th. wäre damals nur höchst ungern aus Rom fortgegangen, weil er sich dort zu wohl fühlte. Bald darauf sah er sich doch zu diesem Schritte veranlaßt. Eine Erkrankung seines einzigen Sohnes bewog ihn, um seinen Abschied einzukommen und nach Berlin überzusiedeln. Am 6. April 1859 erfolgte seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. Gregorovius rief ihm und seiner Gattin nach: „Ihre menschlichen und edeln Gestalten bleiben hier, in einem redlichen Herzen tief und fürs Leben eingedrückt. Das Beste, was mir Rom außer dem Studium gab, fand ich einzig in Ihrem Hause.“ „Reine Freuden des Gemüthes sind mir in Ihrem Hause zu Theil geworden.“

In Berlin widmete Th. sich neben der Pflege seines Sohnes schöngeistigen Bestrebungen. So wurde er ein eifriges Mitglied der Graeca, der sein Freund Heinrich Abeken, Ernst Curtius, Georg v. Bunsen, später auch Theodor Mommsen, Herman Grimm, Richard Lepsius, der Archäolog Johannes Brandis u. A. angehörten. Der auf einem ganz anderen politischen Boden stehende Sohn Bunsen’s discutirte häufig mit ihm die Politik und konnte es nicht begreifen, daß ein so geistreicher Mann wie Th. zugleich so hocheonservativ sein könnte. Mit Vergnügen sahen die Freunde zuweilen zu, wenn sich diese beiden politischen Gegner in die Interpretation eines griechischen Dichtwerkes wie etwa der Eumeniden des Aeschylos vertieften. Es wird behauptet, daß Thile’s politische Engherzigkeit etwa im J. 1867 das Eingehen der Graeca verschuldet habe. Als sie aber am 18. Januar 1871 wieder ins Leben gerufen wurde, gehörte auch Th. wieder zu ihr, und man beschloß damals sogar, Aristoteles’ Politik zu lesen. Der schöngeistige Diplomat aus dem Kreise der christlich-germanischen Romantiker inmitten dieser vielfach auf ganz anderer Grundanschauung stehenden Männer, die großentheils zu den erlauchtesten deutschen Geistern jener Zeit gehörten, ist ein anziehendes Bild. In diesem Verkehre spiegelt sich der Einfluß, den der Aufenthalt auf den historischen Stätten der alten Welt auf den frommen Diplomaten gehabt hatte. Eine andere gesellige Vereinigung, zu der u. a. der Schulmann Ludwig Wiese, jahrelang auch fremdländische Diplomaten wie der Amerikaner Bancroft und der Grieche Rhangabé gehörten, waren die in Thile’s Hause stattfindenden Danteabende. Wiese spricht in seinen Erinnerungen ganz begeistert von diesen Zusammenkünften.

Allmählich lastete die Berufslosigkeit schwer auf Th. Er entschloß sich daher, zumal sich der Zustand seines Sohnes zu bessern schien, wieder in den Staatsdienst zu treten. Schon im October 1861 drangen Gerüchte darüber zu Gregorovius. Im Juni 1862 dachte man daran, ihn zum Gesandten in Kassel zu ernennen. Schließlich wählte ihn sich der eben die Staatsgeschäfte übernehmende Bismarck bei Bildung seines Ministeriums als Nachfolger des im Juli verabschiedeten Unterstaatssecretärs im Auswärtigen Amt v. Gruner an Stelle des vorläufig mit diesem Posten betrauten Geheimraths v. Sydow, eines Mannes von ähnlicher vielseitiger Bildung wie Th. Th. sträubte sich, weil er, wie übrigens auch mit Gruner, mit Sydow befreundet war und ihn nicht verdrängen wollte. Doch hielt Bismarck an ihm fest. Am 9. December [691] 1862 erfolgte seine Ernennung. Ein volles Jahrzehnt ist er in der entscheidungsschwersten Zeit einer der nächsten und treuesten Helfer Bismarck’s gewesen, der den großen Staatsmann durch sein feinsinniges irenisches Wesen oft genug wohlthuend zu ergänzen vermochte. Wohl zutreffend hat man an ihm ein großes Talent des Nachschaffens, die Fähigkeit des schnellen Auffassens und einer leichten Anpassung gerühmt. In manchem glich er wohl Abeken, mit dem er sich daher auch befreundete. Vor ihm zeichnete ihn die in die Augen fallende bewußt vornehme Erscheinung und Haltung aus. Was Gregorovius von ihm sagte, als Th. (am 17. Juli 1864) den Charakter als Wirklicher Geheimer Rath empfing, der Titel füge nichts zum Werthe eines Mannes hinzu, signum excellentiae in voltu gerentis de semet ipso, traf bei Th. buchstäblich zu. Th. war auch ein ausgezeichneter Stilist; daher lesen sich seine Depeschen und Briefe vortrefflich.

Gleich bei seinem Wiedereintritt in den diplomatischen Dienst hatte er eine sehr delicate Aufgabe zu lösen, indem er seinem ehrgeizigen und eitlen Freunde Reumont eröffnen mußte, daß sein Wunsch, als Gesandter nach Rom geschickt zu werden, nicht erfüllt werden könnte. Die feine und gewinnende Art, mit der er sich dieser Aufgabe entledigte, kennzeichnet sein Wesen. Die Arbeit, die ihm sonst zufiel, sagte ihm außerordentlich zu. Aber er merkte auch gleich, daß sie „gewaltig mühsam und nervenanstrengend“ war. Schon im Frühjahr 1863 schrieb er an Reumont: „Daß ich lange darin aushalten werde, ist sehr zweifelhaft.“ Ein näheres Verhältniß zu Bismarck gewann er freilich nicht. Th. selbst behagte die junkerliche Art seines Chefs wenig. Bei der Gattin des Ministerpräsidenten hatte er bald einen Stein im Brett, der sein Wesen außerordentlich gefiel. Von besonderer Bedeutung sollte es für Th. werden, daß sein königlicher Herr und dessen Gemahlin großes Vertrauen zu ihm faßten. Er wurde bald in die engere Geselligkeit der Majestäten hineingezogen. Und in der That eignete er sich auch durch das Zarte und Vornehme seiner Natur sehr für diesen Kreis. Einen gewissen bemerkenswerthen Antheil nahm Th. im Herbst 1864 an den Verhandlungen mit Oesterreich wegen des Zolltarifs, wobei er, nach Ausweis einiger uns vorliegender Actenstücke offenbar sehr geschickt und einsichtsvoll, wenn auch ohne den gewünschten Erfolg, im Sinne Bismarck’s gegen Rudolf Delbrück’s theoretisch-unpolitisches Verfahren operirte. Unmuthig schrieb er dem in Biarritz weilenden Bismarck, er hätte nur bestätigt gefunden, daß die Herren Fachmänner bei aller von ihm gern anerkannten Virtuosität in Behandlung der fachlichen Seite die politische arg vernachlässigten und z. B. die Eventualität eines Ministerwechsels in Wien wie eine Bagatelle behandelten. Es gelang ihm wohl wiederholt den Handelsminister Graf Itzenplitz zu einem Geständniß zu veranlassen, daß „uns der Artikel 25 finaliter und realiter zu nichts verpflichte“. „Dann schreckte ihn aber jedesmal ein strafender Blick von Delbrück in seine Fachposition zurück.“ Auch an den Kriegesminister v. Roon schrieb er damals verstimmt über die wenig diplomatische Taktik der Fachminister in der Zollvereinssache, die den für Preußen sehr unbequemen Sturz des österreichischen Ministers Graf Rechberg nach sich zog. Recht glücklich vermittelte er im folgenden Jahre zwischen Edwin Manteuffel und Bismarck. Seine Briefe, in denen er darüber an den Ministerpräsidenten berichtet, sind höchst anziehend zu lesen. „Endlich“, so heißt es darin, „darf ich mir nicht verhehlen, daß Eure Excellenz, wenn Sie Manteuffel stürzen, einen Kampf mit demjenigen unternehmen, was ich den verbohrten Generaladjutantismus nennen möchte. Manteuffel ist Ihnen gegenüber natürlich le pot de terre contre le pot de fer; aber der König wird ihn ungern verlieren, und Leute [692] wie er und Alvensleben werden – in der vollen und ehrlichen Ueberzeugung, daß Eure Excellenz ein crimen laesae Majestatis begangen haben – dafür sorgen, die Wunde in des Königs Empfindung nicht heilen zu lassen.“ Dieser Brief veranlaßte Frau v. Bismarck zu dem Ausruf, sie liebe Thile nun noch um 20 Grad wärmer wie schon bisher. „Was ist’s doch für eine Freude, wenn man unter der Masse gleichgültiger, langweiliger, falscher Kreaturen einem solchen Menschen begegnet mit so kerngesundem Herzen und so aufrichtig treuer Gesinnung.“

Beim Herannahen der Auseinandersetzung zwischen den beiden deutschen Großmächten gerieth Th. in einen schweren Gewissensconflict. Das bisher wohl nicht getrübte Verhältniß zu Bismarck lief schon damals Gefahr, mit einem schrillen Mißklang zu endigen. Noch im Februar 1866 meinte er gelegentlich, daß er sich Glück wünschen müsse, unter einem Manne zu dienen, der einer energischen That fähig sei und energisch in den Gang der Dinge eingreife. Scharfe Beobachter bemerkten aber stetig mehr, daß er nicht die nahe Fühlung mit dem leitenden Staatsmann besaß, die man bei seiner amtlichen Stellung hätte erwarten können. Daran änderte nichts, daß er in einzelnen Punkten Bismarck beeinflußt zu haben scheint. So bemühte er sich, dem jungen Treitschke freie Bahn zu machen, und hat möglicherweise dazu beigetragen, Bismarck zu seiner entgegenkommenden Haltung diesem Historiker gegenüber zu bestimmen. Bald bildete sich ein principieller Gegensatz von großer Tiefe gegen die Politik Bismarck’s in ihm heraus. Im Mai hatte er die Ueberzeugung gewonnen, daß Bismarck planmäßig darauf hinarbeite, den Krieg mit Oesterreich zu entzünden. Das widerstrebte seinem Gewissen, und er hielt es für seine Pflicht, seinen Chef deswegen zu warnen, ja zuweilen sogar Einspruch gegen dessen Maßregeln zu erheben. Darüber kam es zu heftigen Auftritten zwischen ihnen. Auf die drohende Frage Thile’s: „Wollen Sie kein deutsches Land an Frankreich abtreten?“, konnte Bismarck ihm noch antworten: „Keinen Zoll breit.“ Als Th. dann aber fortfuhr: „Wollen Sie keine französische Allianz gegen den deutschen Bund oder gegen Oesterreich?“, brauste der Gefragte auf: „Herr, wie können Sie mich so ad articulos ausfragen!“ Schon früher hatte Th. die Cavour’sche Politik scharf verurtheilt. Jetzt wollte es ihm nicht in den Sinn, daß sich Preußen mit diesem durch eine nach seiner Ansicht verwerfliche Politik discreditirten italienischen Königthum verbinde, und er dachte deswegen bereits an Abschiednehmen. Das kam Bismarck ungelegen, weil er fürchtete, dadurch könne der König kopfscheu werden. Als Th. von diesen Dingen dem Freunde seiner Familie, dem Präsidenten Ludwig Gerlach erzählte, suchte ihn dieser für die Organisation einer Friedensaction zu gewinnen. Darauf hatte Th. die den Präsidenten arg verdrießende Antwort: „Er könne doch nicht gegen seinen Chef conspiriren.“ Im letzten Augenblicke fand er noch den Entschluß, sich ganz auf den Boden Bismarck’s zu stellen. Davon gibt ein ergreifender Brief von ihm an Ludwig Gerlach oder an den Freund seiner Eltern, den Präsidenten Goetze, vom 30. Mai Kunde, in dem sich die Gewissenskämpfe spiegeln, die er in jener kritischen Zeit durchmachte. Darin schrieb er, daß nun fast jede Aussicht auf Erhaltung des Friedens verschwunden sei, „und zwar diesmal ohne Preußens Verschulden. Wir stehen also nunmehr vor der traurigen Alternative zwischen einem gefährlichen Kriege und einem Ergeben ohne Schwertstreich. Der letzte Ausweg wäre nicht allein unehrenhaft, sondern meines Erachtens geradezu vernichtend für das Vaterland. Der Rückschlag nach Innen wäre noch viel heilloser als die äußere Niederlage. Ich werde daher auf meinem Posten aushalten, bis die Krisis vorüber ist oder man mich fortschickt. Auf die Zustimmung meines [693] Vaters und Onkels, an die Sie mich erinnern, würde ich, wenn sie noch lebten, wohl rechnen können.“ Er erinnert dann an die Lage von 1812, die ihm ähnlich schien, wo viele Officiere falscherweise in russische Dienste traten, um nicht im Bunde mit dem Erbfeind fechten zu müssen, und fuhr fort: „Noch zum Schluß die Bitte: urtheilen Sie nicht zu hart über Bismarck. Ich erkenne ja mit Ihnen alle seine Fehler und Mißgriffe. Aber er ist doch eine edle und großartige Natur, die weder Selbstsucht kennt noch Furcht. Wer könnte ihn ersetzen!!“

So zog sich das gespannt werdende Verhältniß zwischen Th. und Bismarck wieder zusammen. Die ihm in den folgenden Jahren vornehmlich zugewiesene Rolle war die des Empfangens unliebsamer und dringlicher Besucher, deren sich der leitende Staatsmann erwehren wollte. Zuweilen hatte Th. lange Monate hindurch den abwesenden oder erkrankten Bismarck ständig zu vertreten oder die Diplomatenbesuche von diesem ganz fernzuhalten. Das war oft eine höchst undankbare Aufgabe. Aber Th. eignete sich dafür vermuthlich recht gut wegen der Versöhnlichkeit und der Milde seines Wesens. Nach dem Kriege gegen Oesterreich empfand er die Entfremdung zwischen Bismarck und Savigny, auf den er große Stücke hielt, mit Bedauern, schon wegen der Rückwirkung auf „gut gesinnte katholische Kreise“. Ihm selbst fiel die peinliche Aufgabe zu, die Verhandlungen zu führen, in deren Folge Savigny seinen Abschied nahm. Bei der Regelung der Verhältnisse mit den Kleinstaaten war er von besonderer Zuvorkommenheit. Davon wußte z. B. der anhaltische Staatsminister Sintenis zu erzählen. Von einer gewissen Bedeutung wurde die Unterredung, die er am 31. März 1869 als Vertreter des nicht in Berlin weilenden Bundeskanzlers mit Benedetti wegen der spanischen Thronfolgerfrage hatte. Er konnte dem französischen Botschafter auf Ehrenwort versichern, daß er von einer hohenzollernschen Candidatur nichts wisse. Diese Thatsache ist nicht auffällig, schon wegen der geringen Fühlung, die Bismarck mit Th. unterhielt. Seine Bewunderung und Verehrung für den Kanzler blieb, obwohl er stetig mehr unter dessen Reizbarkeit zu leiden hatte, bestehen. In sein Verhältniß zu jenem lassen einige Zeilen Thile’s an Keudell aus dem Jahre 1869 einen Einblick thun: „Die hiesige Tretmühle war in letzter Zeit ziemlich unerfreulich; nur armseliges Zeug, mit dem zwischen Varzin, Berlin und Ems Federball gespielt wurde. Dabei wenig Hülfe; und der Chef more solito eigensinnig, quänglich, bald in minima ohne Actenkenntniß hineintapsend, bald auf erhebliche Dinge jedes Eingehen störrisch abweisend. Aber was thut’s? Wenn seine Gesundheit gehörig wieder hergestellt wird, dann können wir dreist fragen: Was kostet Europa?“ Auch Bismarck wird die Treue und Verehrung Thile’s für ihn oft wohlthuend empfunden haben. Als Th. seinen einzigen als junger Lieutenant bei den Perleberger Ulanen stehenden Sohn, dessen Kränklichkeit ihn seiner Zeit zum Weggang von Rom bestimmte, am 13. December 1869 durch den Tod verlor, da schrieb der Kanzler ihm ein ergreifendes Beileidsschreiben, welches wohl als ein Document dafür dienen kann, daß Th. ihm werth war.

Das Jahr 1870, zu dessen Beginn Th. unter dem 4. Januar auf Allerhöchsten Befehl die Charakterisirung als Staatssecretär erhielt, wurde für ihn wieder besonders aufreibend durch die delicate Stellung, die er als von Bismarck wenig Eingeweihter in den großen Krisen des Jahres hatte. Im März erfuhr er endlich durch seinen königlichen Herrn von der hohenzollernschen Throncandidatur. Er gehörte zu jenem intimen Kreise, den Wilhelm I. auf dem Diner beim Fürsten Karl Anton von Hohenzollern am 15. März über diese Angelegenheit zu Rathe zog. Mit den übrigen hat er zur Annahme der [694] Krone gerathen, weil das patriotischs Pflicht wäre. Wenige Wochen darauf finden wir ihn in Verhandlungen mit badischen Diplomaten begriffen wegen des Hohenlohe-Völderndorff’schen Südbundprojectes. Als dann die hohenzollernsche Throncandidatur öffentlich bekannt wurde, hatte er natürlich strikte den Standpunkt zu vertreten, daß die preußische Regierung der Sache ganz fremd sei. Bei der ungemein strengen Aufrichtigkeit seines Wesens wäre es nicht verwunderlich, wenn er bei der am 4. Juli wegen dieser Angelegenheit an ihn gerichteten Frage des französischen Geschäftsträgers Le Sourd, wie dieser nach Hause berichtete, einige Verlegenheit bekundet hätte. Da Bismarck in den kritischen Tagen, in denen sich das Gewitter zusammenzog, in Varzin weilte, fiel Th. die Aufgabe zu, den aufregenden Depeschenverkehr zwischen dem König, dem Kanzler, den Sigmaringern und den Mächten zu vermitteln. Schon im Juni erregte er den Unwillen des Kanzlers durch Zuschriften, mit denen er in seiner Verlegenheit diesen behelligte. So mußte er im Auftrage des Königs dessen Verstimmung darüber melden, daß Bismarck „hinter dem Rücken“ des Herrschers durch Bucher Unterhandlungen in Spanien führen lasse. Der Kanzler sprach grimmig von Tinte und Wermuth, die sein Staatssecretär ihm in seinen Karlsbader gösse. Th. mag selbst über die Verwendung gerade Bucher’s nicht erbaut gewesen sein. Hatte ihn doch seiner Zeit Bucher’s, des ehemaligen Demokraten, Eintritt in Bismarck’s Dienste mit gemischten Gefühlen erfüllt. Immerhin hatte er die außerordentliche Arbeitskraft des Mannes im Laufe der Zeit schätzen gelernt. Den tiefernsten Eindruck, den der preußische Thronfolger von Thile’s Wesen in den Julitagen empfing, hat dessen Tagebuch festgehalten. Als der König, von Ems zurückkehrend, am 15. Juli auf dem Potsdamer Bahnhof erwartet wurde, erregte Thile’s Erscheinen mit den entscheidungsschweren Depeschen unter den versammelten Würdenträgern die allgemeine Aufmerksamkeit. Erschreckt vernahm der eintreffende Monarch von ihm die Nachrichten, die ihm die Gewißheit gaben, daß der Krieg nicht mehr zu vermeiden sei. In den Tagen von Wörth führte Th mit dem bairischen Gesandten v. Perglas – ob im Einverständniß mit Bismarck oder nicht, muß jetzt noch dahingestellt bleiben – Gespräche, in denen er bei diesem Herrn Besorgnisse, daß Preußen Baierns oder Süddeutschlands Selbständigkeit zu schwächen beabsichtigte, zu zerstreuen suchte. König Wilhelm bediente sich seiner, um während des Feldzuges auf seine Gemahlin zur Wahrung des deutschen Standpunktes Rußland gegenüber einzuwirken. Ueberhaupt scheint der in Berlin zurückgebliebene Th. mit den königlichen Damen daheim in enger Fühlung gestanden zu haben. Diese suchten ihn im Sinne der „Neutralen“, besonders Englands, zu beeinflussen. Doch scheint er sich einigermaßen kühl dagegen verhalten zu haben. Nach Abschluß des Friedens hatte er noch eine Menge unerledigt gebliebener kleinerer Fragen in schwierigen diplomatischen Verhandlungen zu regeln.

Den Zusammenbruch des Kirchenstaates hatte er, von Savigny beeinflußt, mit Kopfschütteln verfolgt. Noch tiefer beklagte er den Beginn des kirchenpolitischen Streites in Preußen. Er sah das Gespenst eines neuen dreißigjährigen Krieges heraufsteigen, wenn der Kampf nicht eingestellt würde. In Rom war er zu der Ueberzeugung gelangt, daß das Papstthum eine ungeheure Widerstandskraft besäße. Schon früher war diese Ansicht nicht ohne Eindruck auf Gregorovius geblieben. Auch war er nicht von dem zwischen Graf Arnim und Bismarck heraufziehenden Zwist erbaut. Er hatte viel für Arnim übrig und schätzte ihn als den besten Depeschenschreiber, den die preußische Diplomatie zu jener Zeit besaß. Es war wieder eine eigenthümliche Complication, daß er den publicistischen Kampf Bismarck’s gegen den ihm befreundeten Arnim [695] im September 1872 einzuleiten hatte. Seine Verehrung für Bismarck nahm seit dem Kriege gegen Frankreich einigermaßen ab. Er fand, daß der Kanzler innerlich verwandelt, daß sein Christenthum nicht mehr das alte war, daß die gewaltigen Erfolge den großen Mann nicht günstig beeinflußt hätten. Widerspruch schien er ihm überhaupt nicht mehr zu dulden. Immerhin war der neue Staatssecretär auch jetzt nicht für Intriguen gegen seinen Chef zu haben, zu denen ihn wieder Ludwig Gerlach aufstachelte, auch nicht, als der Präsident es ihm eingeben wollte, sich selbst als eventuellen Nachfolger Bismarck’s anzusehen. Er wies diesen Gedanken weit ab und nannte, schon im J. 1870, nicht wie Gerlach gewünscht hätte, den General Edwin v. Manteuffel, sondern den General v. Moltke als den, der für die Nachfolge Bismarck’s vornehmlich in Betracht käme. Bei den vielfachen sachlichen und persönlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bismarck und Th. war es nicht wunderbar, daß schließlich zwischen den beiden eine Explosion erfolgte. Bei Gelegenheit der Anwesenheit der Kaiser Franz Joseph und Alexander II. in Berlin im September 1872 sandte Th. auf ausdrücklichen Befehl Kaiser Wilhelm’s ohne Vorwissen Bismarck’s, da er diesen gerade nicht benachrichtigen konnte und der Monarch sofortige Erledigung seiner Weisung verlangte, den Botschaftern der beiden kaiserlichen Gäste Karolyi und Oubril, den Schwarzen Adlerorden, während Bismarck jenen Diplomaten nur Vasen als Geschenk zugedacht hatte. Der Kanzler gerieth über diese anscheinend nebensächliche Angelegenheit derart in Zorn, daß er Th. in der brüskesten Form mittheilen ließ, er könne nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten. Mag es krankhafte Reizbarkeit bei ihm gewesen sein oder nicht, was diesen Ausbruch veranlaßte, das möge dahin gestellt bleiben. Offenbar hat Bismarck aber schon lange das Bedürfniß gehabt, sich Thile’s zu entledigen, da er ihm wegen seiner ganzen Haltung und seiner stetig enger werdenden Beziehungen zur Kaiserin Augusta unbequem geworden war. Es spricht manches dafür, daß der ganze Zornesausbruch nur erkünstelt war, um Thile’s Rücktritt herbeizuführen. Möglicherweise spielte die Arnim’sche Sache eine Rolle dabei. Gerade in jenen Wochen hatte Th. wichtige Depeschen wegen der Pariser Mission des Grafen Arnim zu schreiben. Er hielt diesem auch noch die Stange, als das Gericht sich mit Arnim zu beschäftigen begann. Jedenfalls verstand er den Kanzler, als er ihm an jenem Tage Keudell schickte. Er hatte schon viel zu leiden gehabt unter den Ausbrüchen seines Chefs. Zu Moritz Busch, der ihn sehr verehrte, ähnlich wie auch Lothar Bucher, der im Gegensatz zu unmuthigen Aeußerungen Bismarck’s hartnäckig Thile’s Geschicklichkeit betonte, äußerte er gelegentlich: „Ich fürchte mich allemal, wenn ich zu ihm [Bismarck] hinauf muß.“ Nun war das Faß übergelaufen. Er kam sofort um seinen Abschied ein. Zwar sträubte sich sein kaiserlicher Herr dagegen, den bewährten Diener gehen zu lassen. Aber Th. bestand auf seinem Gesuch. So trat er am 30. September 1872 in den einstweiligen, am 25. August 1873 endgültig in den Ruhestand. Von dem gewaltigen Manne aber, dessen Gehülfe er ein Jahrzehnt hindurch gewesen war, nahm er das Urtheil mit: Er sei maximus in maximis, minimus in minimis.

Mit seinem kaiserlichen Herrn und dessen schöngeistiger Gemahlin blieb er in nahen Beziehungen. Der Kaiser verlieh ihm nach seinem Rücktritt einen hohen Orden, allerdings nachdem er erst ein Vierteljahr hatte verstreichen lassen, weil er „Rücksichten so vielerlei Art zu nehmen habe, um reizbare Nerven nicht zu überspannen“, und versicherte noch einmal, daß er sich der Dienste Thile’s „nur mit Kummer entschlagen habe“. Später (1879) dachte er daran, Th. zum Generaldirector der Museen zu ernennen, was Th. jedoch [696] standhaft ablehnte, weil dazu ein Fachmann gehöre. An seiner Stelle wurde Schöne ernannt. Inständig bat der Kaiser ihn ein ander Mal (1881), seine Berufung in die Provinzialsynode anzunehmen. Bis zu ihrem Lebensende sahen die Majestäten Th. häufig als Gast bei sich auf den intimen Palaisabenden (im Theebüchsencirkel). Die Kaiserin unterhielt mit ihm einen regen Briefwechsel. Das Vertrauen, das die hohe Frau ihm erwies, beglückte Th. Er meinte, sie sei in weiteren Kreisen lange nicht genug erkannt und gewürdigt. Manches sinnige Geschenk von ihrer Hand empfing er im Laufe der Jahre. In ständigem Briefwechsel blieb Th. auch mit seinen alten Freunden Gregorovius und Reumont, dem „kleinen Macchiavell von Aachen“, wie er ihn mit Gregorovius nannte, dessen Werk über Friedrich Wilhelm IV. er in der Correctur las. Reumont wurde ihm allmählich zu ultramontan. Ein Brief von Gregorovius aber erschien ihm jedesmal wie ein Geschenk. Daneben ging er seinen wissenschaftlichen Neigungen nach. Ein äußeres Kennzeichen dieser Neigungen war die stattliche Bibliothek, die er sich im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Mit Freude las er in den alten Classikern. „Ich kann nicht sagen, wie ich in der Ilias schwelge“, schrieb er einmal an Gregorovius. Der in der antiken Welt lebende Mann verrieth sich, wenn ihm Wilhelm II. als eine Art jugendlicher Hadrian erschien. Aber auch in der germanistischen Litteratur des Mittelalters war Th. zu Hause, und zuweilen kam es vor, daß sich Männer wie Gregorovius für ihre Fachstudien von ihm Rath erholten. Doch gilt auch wohl von ihm ein Wort von Lepsius zu Bunsen: die römische Zeit erschien ihm in der Erinnerung wie ein großer Feiertag des Lebens ernst und heiter, lehrreich und erhebend. Am 26. December 1889 ist er in Frieden entschlafen. Seine Gattin überlebte ihn.

H. v. Petersdorff, Briefe von Ferdinand Gregorovius an den Staatssecretär Hermann v. Thile. Berlin 1894. – H. Hüffer, Alfred v. Reumont. Köln 1904. – Busch, Tagebuchblätter. – G. v. Diest, Aus dem Leben eines Glücklichen. – Braunschweiger Tageblatt, 28. Decbr. 1889. – Einige Personalangaben des Auswärtigen Amtes. – Einige Aufzeichnungen Thile’s sowie einige seiner Briefe; die staatsmännischen Erinnerungen, die er aufgezeichnet hatte (vgl. Briefe von Gregorovius an Th., S. 230 Anm.) haben sich nicht mehr ermitteln lassen. – Abeken, Ein schlichtes Leben in bewegter Zeit, 3. Aufl. – Nagler’s Briefe an Kelchner. – Nippold, Bunsen II, 446. – Leopold Gerlach’s Denkwürdigkeiten II, 501. 575. – Ludwig Gerlach, Aufzeichnungen. – Natzmer, Unter den Hohenzollern IV, 206. – Ernst Curtius. Ein Lebensbild. Berlin 1903. – F. Althaus, Römische Tagebücher von Gregorovius. – Adolf Graf von Schack, Erinnerungen. – Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, und Anhang dazu. – Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck. – Roons Denkwürdigkeiten II. – Bismarckjahrbuch III, 209; V, 149. 191. 201. – Bernhardi, Tagebuchblätter V–VIII. – Poschinger, Bismarck und der Bundesrath. – Marie v. Bunsen, Georg v. Bunsen. – L. Wiese, Lebenserinnerungen II, 125. Berlin 1886. – Deutsche Revue, Sept. 1904, Correspondenz Freydorfs. – Aus dem Leben König Karls von Rumänien II, 72 u. a. – Aegidi u. Klauhold, Staatsarchiv XIX, Nr. 4066. 4067; XXI, Nr. 4570. – Tagebuch Kaiser Friedrichs 1870. – Ottokar Lorenz, Kaiser Wilhelm I. und die Begründung des Reichs. – Deutsche Revue, Jahrg. 25, Bd. 3. Aus dem Leben des Grafen v. Bray-Steinburg. – Oncken, Heldenkaiser, S. 185 ff. – Darstellung der in der Untersuchungssache wider den Grafen v. Arnim vor dem Stadtgericht zu Berlin stattgehabten Verhandlungen. Berlin 1875. – Ludwig Pastor, A. Reichensperger II. – Duc de Broglie, [697] La mission de Gontaut-Biron à Berlin. Paris 1896. – Gontaut-Biron, Meine Botschafterzeit am Berliner Hofe. Uebersetzt von v. Pfaff. Berlin 1909.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist Adolf Eduard von Thile.