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ADB:Zeisberg, Karl

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Artikel „Zeisberg, Karl“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 402–404, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zeisberg,_Karl&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 16:07 Uhr UTC)
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Zeisberg: Karl (Wilhelm) Z., Bücher- und Kunstsammler, geboren zu Wernigerode am 12. April 1804, † daselbst am 16. November 1850. Sein Großvater, der im J. 1717 zu Oberzauchtel im nördlichen Mähren geborene David Zeisberger, rechter Vetter des gleichnamigen Indianerapostels (siehe A. D. B. XLV, 1–2) war, nebst seinen von den Mährischen Brüdern stammenden Eltern und Geschwistern, um religiösen Druckes willen im J. 1726 nach Herrnhut geflohen, hatte sich aber 20 Jahre später an den pietistischen Grafenhof nach Wernigerode begeben, wo er seit 1746 als Archivregistrator, dann -secretär eine an sich bescheidene, aber durch das große Vertrauen und Wohlwollen der gräflichen Familie gehobene Stellung einnahm. Seinen Familiennamen kürzte er alsbald in Zeisberg. War bereits David durch Verheirathung mit einer Beamtentochter zu einigem Vermögen gelangt, so wurde dieses in ähnlicher Weise durch den Ehebund seines einzigen Sohnes, des gräflichen Kammerraths Christian Ernst, mit einer Amtmannstochter bedeutend gemehrt; und als guter Wirthschafter gedieh der Sohn zu einer vornehmen Stellung und großer Wohlhabenheit. Für Christ. Ernst’s jüngeren Sohn Karl war das zunächst dadurch von Bedeutung, daß die Eltern auf seine Erziehung und Ausbildung die thunlichste Sorgfalt verwenden konnten. So besuchte denn dieser von 1812–1821 die Lateinschule seiner Vaterstadt, dann zwei Jahre das Pädagogium in Ilfeld. Von Ostern 1823 bis Herbst 1825 ist er Hörer auf der Universität Göttingen, endlich bis zum vollendeten elften Semester – October 1828 – Student in Berlin. So ausgiebig nun aber die dem Sohne zu seiner wissenschaftlichen Ausbildung gewährte Zeit und Mittel waren, so ungeschickt und planlos war das dabei befolgte oder aus verkehrter Zärtlichkeit zugelassene Verfahren. Statt den Sohn von Kind auf zur Verfolgung eines festen Lehrgangs anzuhalten, ließ der Vater dem auf die Erwerbung von Büchern gerichteten Willen des Sohnes die Zügel schießen, so daß ein ordentlicher Unterrichtsgang durchaus verhindert wurde. Dieselben Anregungen zur liebenden Pflege deutscher Sprache und Litteratur, die den später seminaristisch weiter gebildeten Mitschülern, einem A. W. Grube (siehe A. D. B. XLIX, 575–577), Gude (ebd. XLIX, 618–621) und M. G. Brandt (ebd. XLVII, 179–182), von eben denselben Lehrern der wernigerödischen Oberschule auf ihren weiteren Entwicklungsgang mitgegeben wurden, übten auf Z. nur eine einseitige Wirkung, indem sie zwar eine warme Liebe zum deutschen Schriftthum, der deutschen Sprachwissenschaft und dessen Pflegern, vor allem zu einem Jacob Grimm in ihm weckten, aber bei seiner Scheu vor jeder ernsten regelmäßigen Arbeit ihn nicht dazu kommen ließen, sich diese Wissenschaft und die Schätze der vaterländischen Litteratur innerlich anzueignen. Ist es daher nicht zu verwundern, daß Z. bei einer Prüfung, die er im October 1825 beim Uebergang von der außerpreußischen Universität Göttingen nach Berlin vor einer wissenschaftlichen Commission zu bestehen hatte, eine bodenlose Unwissenheit auf den nöthigsten Wissensgebieten offenbar werden ließ, so muß es wohl zunächst verwunderlich erscheinen, daß er durch die Früchte seines Strebens dennoch eine nicht geringe Bedeutung für das deutsche Schriftthum gewann. Denn trotz jener Scheu vor plan- und pflichtmäßiger Arbeit war er von einem unverwüstlichen, unentwegt verfolgten Streben beseelt, nämlich dem nach der Ausmittelung und Erwerbung aller werthvollen, in Schrift, Druck, auch in Bild und Geräth überlieferten Werke deutscher Litteratur, Kunst und deutschen Alterthums. Schon als Zögling der wernigerödischen Oberschule beschäftigte er sich mit Panzer’s und Maittaire’s Annales typographici, und die besonders dem Beamtensohn leicht zugängliche herrschaftliche Bibliothek bot ihm willkommene Gelegenheit, eine große Zahl Bücher [403] kennen zu lernen. In Ilfeld wurden die in Wernigerode begonnenen Bücheranschaffungen bereits in größerem Maßstabe fortgesetzt, hier wie dort unterstützten die Lehrer vielfach die Leidenschaft des Schülers; zu Ilfeld gewährte ihm der Director sogar Urlaub zum Besuche einer öffentlichen Bücherversteigerung. Im Vergleich zu den Erwerbungen, die Z. als Student in Göttingen und Berlin machte, waren nun aber die bis dahin gesammelten Bücher erst schwache Anfänge, wenn es auch merkwürdig genug ist, daß der Ilfelder Pädagogist bereits Ihre’s Abschrift der Ulfilashandschrift von Upsala erwarb. Aber die hervorragendsten Werthstücke, wie die schöne vollständigste Handschrift von Rudolf’s von Ems Weltchronik, ein trefflich erhaltenes Exemplar des Parzivaldrucks vom Jahre 1477, das Locheimer Liederbuch und verschiedene alte, besonders mittelniederdeutsche Handschriften verleibte Z. als Student seiner stetig wachsenden Bücherei ein. Der leidende Theil war dabei der Vater, dem der geliebte Sohn durch alle möglichen Listen das Geld aus der Tasche lockte, sich auch wenig dadurch beirren ließ, wenn der Vater, der trotz seiner Wohlhabenheit gelegentlich in Geldverlegenheit gerieth und Aufnahmen machen mußte, ihn immer wieder bat, er möge seine kostspieligen Anschaffungen einstellen. Der Sohn pflegte zu erwidern, er bedürfe jener Werke dringend für die von ihm eifrigst betriebenen Wissenschaften. Und dabei wollte der Vater von einem germanistischen Studium des Sohnes gar nichts wissen. Dieser war nämlich bis ans Ende seiner elf Semester als Student der Rechtswissenschaft eingetragen – lediglich um des vom Vater für vornehmer gehaltenen Charakters dieser Facultät willen. Als die glücklichste Zeit seines Lebens erschienen dem jungen Z. die drei Jahre von 1826 bis October 1828, die er in Berlin in fortwährendem regsten Verkehr mit dem Bibliographen Freiherrn Karl Hartwig Gregor v. Meusebach verlebte, bei dem er durch Jacob Grimm und Karl Lachmann eingeführt war. Kann er auch mit diesem gründlich vorgebildeten, planmäßig arbeitenden Forscher nicht verglichen werden, so beseelte doch Beide dieselbe begeisterte Liebe zum deutschen Schriftthum und Z. wurde im Zusammenarbeiten mit Meusebach, dem er manche willige Dienste leistete, nicht so sehr der kläglichen Lücken in seinem Wissen bewußt, die ihn sonst oft schwermüthig machten.

Im Spätherbst 1828 erreichte Zeisberg’s Lehrzeit ihr Ende, und er kehrte in die Vaterstadt zurück. Sein Verlangen, bei einer größeren Bibliothek angestellt zu werden, mußte unerfüllt bleiben, da er den Ausweis einer hierzu erforderlichen Vorbildung zu erbringen nicht in der Lage war. Durch das Wohlwollen des Grafen Henrich zu Stolberg-Wernigerode fand er eine Beschäftigung bei der herrschaftlichen Bibliothek, der er vom 4. December 1826 an acht Wochen lang bei ihrer Aufstellung in den Räumen des früheren Orangeriehauses gute Dienste geleistet hatte. Im Juni 1830 erfolgte seine Anstellung als Bibliotheksecretär, zugleich als Archivregistrator, 1846, im siebenten Jahre nach dem Tode des vorherigen Bibliothekars, bei Gelegenheit einer Bibliothekfeier, die Ernennung zu dessen Nachfolger. Nicht in seiner amtlichen, noch weniger in irgend einer schriftstellerischen Thätigkeit liegt Zeisberg’s nicht zu verkennende nachhaltige Bedeutung, sondern in seinem mit großem bibliographischen Verständniß und bis an sein Ende dauernder hingebender Begeisterung gesammelten, gegen 16 000 Bände zählenden Bücherschatze, durch dessen erst acht Jahre nach Zeisberg’s Tode erfolgte Erwerbung durch den Grafen Botho oder dessen Mündel Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode die bereits nach verschiedenen Richtungen hin merkwürdige Sammlung eine ganz andere erhöhte Bedeutung erhielt. Dieser Gewinn kam aber der Oeffentlichkeit, besonders der deutschen Sprach- und Alterthumswissenschaft [404] zu gute, da die nunmehr Fürstliche Bibliothek der wissenschaftlichen Forschung schon seit anderthalb Jahrhunderten offen steht und nun seit fünfzig Jahren auch die durch die Zeisberg’schen Schätze bereicherte. Innerhalb der letzteren Zeit hat sie besonders der deutschen Sprach- und Alterthumswissenschaft zumeist durch ihre Handschriften dienen können. Erst jüngst hat sie bei der unter Roethe’s Leitung veranstalteten Herausgabe älterer deutscher Texte für die Veröffentlichung des mnd. „Großen Alexander“ einen solchen Dienst geleistet und die Herausgabe der mhd. Reimchronik des Rudolf von Ems besonders nach der Wernigeröder Handschrift befindet sich in der Vorbereitung. Das Locheimer Liederbuch wurde seinem gesammten Inhalt nach schon früher, von Arnold sorgfältig bearbeitet, veröffentlicht, die Haydn’sche Symphonie in Es-dur wird soeben für die neue Gesammtausgabe von Joseph Haydn’s Werken verglichen; andere Werthstücke harren noch der Benutzung.

Z. war aber nicht bloß litterarischer, sondern auch Kunstsammler. Seine Sammlung alter Gemälde und Zeichnungen, zumeist aus dem 15.–17. Jahrhundert, war besonders an Meisterwerken der alten deutschen und italienischen Schule, von einem Maler E. S. 1466, Bocholt, Veit Stoß, Zwott, Bosche, Moretto, Baldini, Mantegna, ausgezeichnet. Der im Jahre 1867 von der Kunsthandlung von H. G. Gutekunst in Stuttgart gedruckte Katalog enthält 465 Nummern. Außer den theilweise mit je 1000 Mk. verzeichneten Stücken enthält derselbe auf sechs Druckseiten Zeichnungen und Pergamente von Altdorfer, Jost Amman, Lucas Cranach, Albrecht Dürer, W. Bemmel, Hans Dammen, bei denen, als beinahe nie in den Handel kommenden Gegenständen, keine Preise verzeichnet sind, weil dem Verkäufer die nöthigen Anhaltspunkte fehlten. Eine werthvolle Stolbergische Münzsammlung wurde vom Fürsten Otto zu Stolberg erworben, Schrift- und Porträtmedaillen aus Zeisberg’s Besitz 1873 bei H. L. Hamburger in Frankfurt a. Main versteigert. Bei Zeisberg’s Lebzeiten wurden von Forschern wie L. Uhland – für seine Sammlung deutscher Volkslieder –, Freiherr v. Tucher in Nürnberg – für sein hymnologisches Werk –, Geheimrath Pertz in Berlin – für seine geschichtlichen Quellenstudien – die herrschaftliche und die Zeisbergsche Bibliothek nebeneinander benutzt, wobei Z. in gastfreundlichster Weise den Wirth machte. Seit 1904 ist sein litterarisches und künstlerisches Schatzhaus vom Erdboden verschwunden.

Noch nicht ganz abgeschlossene Nachrichten über Karl Zeisberg in den Jahrgängen 1904–1908 der Wernigeröder Zeitung, auch in Sonderabdrücken vertheilt. – C. Wendeler, Briefwechsel des Frhrn. K. H. Gr. von Meusebach mit Jacob und Wilh. Grimm. – Derselbe, Fischart-Studien, S. 142. – Fürstl. Stolberg-Wernigerödisches Archiv und Bibliothek und Zeisberg’sche Familienpapiere, alles in Wernigerode.