BLKÖ:Spitzer, Daniel
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
---|---|---|---|
korrigiert | |||
<<<Vorheriger
Spitzer, Benjamin Salomon |
Nächster>>>
Spitzer, Emanuel | ||
Band: 36 (1878), ab Seite: 181. (Quelle) | |||
Daniel Spitzer bei Wikisource | |||
Daniel Spitzer in der Wikipedia | |||
Daniel Spitzer in Wikidata | |||
GND-Eintrag: 119145162, SeeAlso | |||
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
| |||
|
Lichtenberg und Rabener, Falk und Kästner, Heine und Kossak, ebenbürtig anreiht, durch seine eigenen Worte am entsprechendsten eingeführt. Danîel S. besuchte das akademische Gymnasium in Wien, widmete sich alsdann dem Studium der Rechte, nach dessen Beendigung er sich den Staatsprüfungen und zur Erlangung der juridischen Doctorwürde drei Rigorosen mit bestem Erfolg unterzog; das vierte zu machen, unterließ er. Nun wurde er Concipist bei der niederösterreichischen Handelskammer und versah diese Stelle durch acht Jahre. Während dieser Zeit beschäftigte er sich eifrigst mit Volkswirthschaft und schrieb viele nationalökonomische Artikel für das politische Blatt: „Der Wanderer“. Unter der Chiffre D. S. erschien auch eine Broschüre: „Schafft uns billige Kohlen“ – die erste Schrift in Oesterreich, durch welche die Herabsetzung der Kohlentarife auf den Eisenbahnen angeregt wurde. Auch schrieb er in dieser Zeit für das damals im besten Aufschwung begriffene Witzblatt: „Der Figaro“. In der Folge begann er seine berühmten, in vielen Kreisen mit Sehnsucht, in vielen anderen mit Bangen erwarteten Feuilletons mit der einfachen Ueberschrift: „Wiener Spaziergänge“, [182] welche zuerst in der „Presse“, und zwar im Juli 1865 im Local-Anzeiger dieses Blattes, dann in der „Deutschen Zeitung“ und endlich in der „Neuen freien Presse“ erschienen. Diese Spaziergänge waren nicht allein das Ereigniß des Tages. an welchem sie erschienen, sondern blieben nicht selten das Ereigniß der Woche, in welchem sie trotz Politik und anderem culturhistorischen Jammer der Gegenwart den eigentlichen und interessantesten Gesprächsstoff bildeten. ]Die Charakteristik dieser originellen Feuilletons siehe S. 184.] Wenn der bekannte Pamphletist Don Spavento in seinem Libell: „Wiener Schriftsteller und Journalisten. Typen und Silhouetten“, von Spitzer’s Silhouette meint: „Für die Literatur hätte der als Schriftsteller verkleidete Börsianer Spitzer gar keine Bedeutung“, so ist er darob in einem gründlichen Irrthum. Linguistisch und culturhistorisch werden die Schriften Spitzer’s neben Schlögl’s „Wiener Blut“ und Kürnberger’s[WS 1] „Literarische Herzenssachen“ ihre bleibende Stelle behaupten. Spitzer’s Feuilletons sind auch gesammelt in Buchform erschienen und zwar unter folgenden Titeln: „Wiener Spaziergänge“ (Wien 1869, R. v. Waldheim, 12°., 1 Blatt Vorwort, 246 Seiten und 1 Blatt Register); – „Wiener Spaziergänge. Neue Sammlung.“ (Wien 1873, L. Rosner, 8°., VIII und 256 Seiten); – „Wiener Spaziergänge. Dritte Sammlung“ (Wien 1877, L. Rosner, 8°., XI und 367 Seiten). Außer den genannten drei Sammlungen erschien in neuester Zeit: „Das Herrenrecht. Eine Novelle in Briefen“ (Wien, 6 Auflagen innerhalb des Jahres, 1877/78, L. Rosner, kl. 8.). Diese Novelle behandelt das berüchtigte Jus primae noctis und führt anläßlich desselben den Nachweis, daß, abgesehen von der Frage – ob dieses niederträchtige Recht des Gutsherrn wirklich je bestanden – es doch bei weitem schöner sei, den Erfolg, den jenes Herrenrecht gewährleistete, dadurch zu erringen, daß wir gefallen und geliebt werden. Es ist eine in geistvollen Briefen pikant durchgeführte Geschichte; ein amüsanter, jedoch bei aller Schlüpfrigkeit des Stoffes ganz anständig gehaltener Beitrag zu der von H. Nay jüngst herausgegebenen, nach den zuverlässigsten Quellen bearbeiteten „Bibliotheca Germanorum erotica“ (Leipzig 1875, Druck von E. Rupfer in Stuttgart, gr. 8°., 1 Blatt Vorwort und 151 Seiten). Spitzer’s Spaziergänge haben ihre Anerkennung in der Kritik – ohne Reclame – in einer Weise gefunden, wie wenige Bücher unserer Zeit. Paul Lindau, Franz Hirsch, Alfred Meißner und Julius Stettenheim und viele andere genannte und ungenannte Kritiker sind einig über die Bedeutsamkeit dieser Spaziergänge. Glasbrenner in seiner Berliner „Montagszeitung“ spricht es einfach aus: „Man braucht nicht Wiener zu sein, ja Wien’s Genußlust nicht eingeathmet zu haben, um in Spitzer’s Feuilletons zu schwelgen; sie sind, falls unsere Philologen diesen Ausdruck gestatten, classisch. Etwas zugeknöpft gegen Idealismus und Sentimentalität, ist S. doch ein Ritter der Freiheit und des Rechtes, kämpft mit Muth und Geschick, trifft mit seinem Federdegen immer den Nagel auf den Kopf, und dabei manchen Kopf auf dessen Nagel, und tödtet das ihm Feindliche mit einnehmender Grazie und Eleganz. Seit Ernst Kossak nicht mehr schreibt, hat Berlin Wien um solche Feuilletonisten wie: D. Spitzer und Friedrich Schlögl zu beneiden.“ Im Vorstehenden ist der Ausspruch eines [183] Berliners, welche doch immer in Sachen des Geschmacks erste und letzte Instanz zu sein beanspruchen, mitgetheilt worden. Es folgt nun der Ausspruch eines Wiener Schriftstellers, dessen Competenz wohl auch feststeht. Der Autor der trefflichen „Wiener Briefe“ in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, v. V., schreibt: „Auf meinem Tische liegt die dritte Sammlung satyrischer Feuilletons des „Wiener Spaziergängers“. Er führt nicht Schwert und Morgenstern, sondern das elegante Rappier mit der tödtlichen Spitze. Alles, was die drei Jahre. vom verhängnißvollen Mai 1873 bis zum Beginn des Türkenkrieges, an socialem explodiblen Witz und Bitterstoff enthalten, ist in dem Büchlein des Spitzer concentrirt. Bisweilen ists wie ein fein geschliffenes Glas mit dem Schaumweine der launig prickelnden Tagesfeuilletons, öfter noch eine Phiole mit ätzendem Vitriol der Zeitsatyre gefüllt. Noch lange, nachdem es in dieser Phiole ausgegohren, fürchtet man eine Explosion. Ich stelle mit vor, daß ein friedfertiger Philister, der einmal in ferner, allerdings sehr unwahrscheinlicher socialer Friedenszeit diese Phiole entkorken oder beziehungsweise dieses Büchlein aufschlagen wird, betäubt zurücksinken muß. Mancher Historiograph wird wohl einen Tropfen „Wiener Bitter“ aus dieser Flasche brauchen können, um ein gewisses Pensum pikant zu machen; aber die Dosis muß mit Vorsicht bemessen werden, denn die Arznei – und wer leugnete, daß hier der Witz mitunter zur heilsamen Arznei wird? – ist stark. Wenn ich dem in vieler Hinsicht unvergleichlichen satyrischen Zeitspiegel Spitzer’s in fester bibliothekförmiger Buchform mindestens ebensoviele Leser wünsche, als die Feuilletons vom Tage gefunden, so geschieht das zunächst aus Dankbarkeit. Der Wiener Hogarth hat an dem Tage, wo auch ich ihm verfallen war, Milde für mich gezeigt, und alle meine literarischen Sünden, außer die Haschisch-Träume, wofür man doch füglich Niemanden geistig verantwortlich machen kann, verschwiegen, dafür bin ich ihm herzlich dankbar, mag er es nun mit oder – einem Anderen zu Liebe gethan haben. Uebrigens wäre ich selbst auch von unserem Satyriker in übelster Weise behandelt worden, ich müßte sein Buch dennoch empfehlen, wie ich jedes Buch empfehlen werde, welches so viel Talent und Unerschrockenheit, so viel sittlichen Ernst, so viel gesunden Humor und erstaunliche Beobachtungsgabe enthielte, wie die „Wiener Spaziergänge“. Leider sind solche Bücher selten genug.“ – Aber nicht blos ein feiner Satyriker ist Daniel Spitzer; lange zuvor, als er die unvergleichlichen „Wiener Spaziergänge“ unternahm, begegnete man seinen lyrischen Gedichten im illustrirten Familienbuche des Oesterreichischen Lloyd, und die in den Jahrgängen 1858 (S. 67 u. f.) und 1859 (S. 176) enthaltenen lyrischen Gedichte: „Denkst du daran“ – „Muth“ – „Der alte Wein“ – „Am Schiffe“ – „Lachen“ – „Es klingt aus alten Tagen“ – „Der zerbrochene Krug“ – „Vorbei!“ zeigen uns, wie unser schonungslose Satyriker tief und warm zu empfinden und es in sinnigster und correctest metrischer Weise auszusprechen verstehe. Um nun freilich nur annäherungsweise einen Begriff der eigenthümlichen Schreibweise Spitzer’s, seiner Gedankensprünge und köstlichen Ideen-Combinationen zu geben, lassen wir hier zur Charakteristik seines Styles eine Auslese seiner Sentenzen folgen.
Spitzer, Daniel (humoristischer und satyrischer Schriftsteller, geb. in Wien am 3. Juli 1835). Sein Geburtstag, meint Spitzer selbst, da es jener Tag sei, an welchem einige Jahre später die Schlacht von Königgrätz geschlagen worden, sei als ein Unglückstag zu betrachten. So denken wir, wäre dieser Satyriker, der sich den besten der Gegenwart und wohl auch der Vergangenheit, einem- Zur Charakteristik des Humors und der Satyre Spitzer’s. Wie in der Biographie bemerkt [184] worden, ist Spitzer’s Schreibweise in seinen Spaziergängen eine durchaus eigenartige. Er schreibt Paradoxa nieder, die, wenn man sie in ihrer ganzen Bedeutung erfaßt, uns ein homerisches Gelächter entlocken; er spielt mit der Sprache wie ein Jongleur, er wirft die Worte wie Ballen, Messer, Teller unter einander, fängt sie alle und in der Luft gibt es immer ein schillerndes Bild. Man muß seine Artikel lesen, um zu erkennen, wie er die homogensten Dinge zu einander in Beziehungen setzt und dadurch eine komische Wirkung ohne Gleichen erzielt. Im Folgenden soll nur eine Blumenlese auf’s Gerathewohl eine Charakteristik seines Styls geben. So meint der Spaziergänger, als er bei Gelegenheit der Enthüllung des Eugen-Monuments (October 1865) die Frage aufwirft, was denn alles geschehen wäre, wenn Prinz Eugen die Türken nicht geschlagen hätte, „daß wir dann wohl unseren Schwerpunkt in Temesvár gefunden hätten, auch ohne den Vorschlag der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, welche vielleicht in türkischer Sprache erschiene, während Herr von Bismarck nicht Graf, sondern Pascha von drei Roßschweifen geworden wäre, und die arme Lucca möglicherweise versunken im Bosporus bei der Ferdinandsbrücke läge, über die man dann direct in die Leopoldstadt nach Kleinasien komme“. – Ein anderes Mal ist er der Ansicht, „daß das Ministerium Bismarck vorderhand nicht zu den Körpern zu gehören scheint, welche „fallen“. – Als er bei Eröffnung des Reichenauer Rudolphbades gehört, daß Toaste beabsichtigt wurden, „setzte er sich zwischen zwei Ohrenärzte, und sah so mit Beruhigung der Zukunft entgegen“. – Als er eines lyrischen Poeten gedenkt, nennt er „dessen neue Gedichte eine lyrische Störung der öffentlichen Ruhe“. – Als Professor Bacher aus Turin das lebende Bild: „Putiphar und Joseph“ darstellen ließ, schildert S.: „wie ergreifend es sei, da Joseph ungeachtet der schlechten Zeiten seinen Mantel opfert, und auf die Protection bei der ägyptischen Statthalterei verzichtet, um sich lieber mühsam durchs Traumdeuten fortzuhelfen“; wie packend wirkt es, da Frau Putiphar, welche auf diese Abrüstung nicht gefaßt war, dem Jüngling mimisch plastisch nachruft: was nützt mir der Mantel, wenn er nicht gerollt ist!“ [Es ist das der zum geflügelten Worte gewordene Ausspruch eines Generals, als dieser die im Regenwetter ausgerückte Mannschaft mit über die Schultern geworfenen Mänteln stehen sah.] – Als S. die Extravaganzen eines volkswirthschaftlichen Damenvereines geißelt, ruft er aus: ,.welchen Gegensatz wird die verwirthschaftende Frau der Gegenwart zu den volkswirthschaftlichen Damen der Zukunft bilden, einen Gegensatz wie dolce farniente und doppelte Buchhaltung, wie Liebesbriefe und Postrecepisse, wie Boudoir und Comptoir, wie Küsse und Siegellack, wie ein Stündchen bei der Geliebten und eine protokollirte Firma, wie die Gedichte Emanuel Geibels und die Theorie des Adam Smith“. – Ein anderes Mal, wenn er die Feuilleton-Blüthezeit schildert und von einem Freunde erzählt, „der ihm zur freiem Benützung für das nächste Sonntags-Feuilleton Anekdoten ohne Pointen; Wortspiele, die bereits in den Gemischtwaaren-Handlungen der Pfahlbautenzeit häufig vernommen wurden; Scandale, welche in jeder Mädchenschule anstandslos als Gegenstand des Dictando gewählt werden könnten, und Witze erzählt, nach deren Consumtion die in einem Menschen etwa ruhenden Keime zu tödtlichen Krankheiten, zur vollen Reife gelangen würden, stellt dieser Freund an ihn die Frage: Wissen sie schon, weßhalb man jetzt den Soldaten rothe Hosen statt den blauen gegeben hat? Weil die rothen Hosen schneller – schießen“. – Anläßlich der ethnographischen Ausstellung in Moskau macht er den menschenfreundlichen Vorschlag: „einfach ein Paar Unaussprechliche auf gemeinschaftliche Kosten nach Moskau zu schicken, wobei er jedoch hinzufügt, daß er hier „Unaussprechliche“ nicht in der übertragenen Beinkleiderbedeutung gebrauche, sondern nur Beziehung auf solche Personennamen der (čechischen) Delegirten, die sich einer großen Ueppigkeit unarticulirter Laute erfreuen“. – An einer Stelle spricht er von einem „Zeitgeist mit solchen Rücksichten nach Oben, daß er augenblicklich in jedes Ministerium als Concepts-Adjunct eintreten könnte“; – nennt er „die Unvorsichtigkeit die Mutter der Polizei, diese entdeckt die Verbrecher und der Pitaval ist um ein „Extrablatt der Morgenpost“ reicher“ – berichtet er, „daß die Mannschaft vom Feldwebel abwärts eine grammatikalische Gratislöhnung erhalten habe, indem der Gemeine künftighin nicht mehr mit „Er“, sondern nur mehr mit „Sie“ angesprochen werden soll“. – Ein anderes Mal erzählt er, „wie ihm ein armes kleines Mädchen nachlief [185] und eine Nelke anbot: ein Salem, der Sehnsucht nach Kupfermünze bedeutet“; – wie „Café-Daummüde mit gelangweilten Beinen an den Tischen saßen, und den letzten Rest von Kraft benützten, um ein Glas ins Auge zu schieben“. – Von zwei im Wartesaal Platz nehmenden Damen bemerkte er. „wie die Tochter sich daran machte, ein kleines Stillleben von Pfirsichen und Marillen, das sie in einem Tüchlein mit sich führte, zu lichten; während die erfahrene Mutter „all ihr Fühlen, all ihr Denken“ in einen Kalbsschlägel versenkte“. – Dem Wanderer durch reizende Gefilde, wo alles Kunde von des Volkes fleißiger Arbeit gibt, ruft er zu: „sei getrost, das Auge des Steueramtes wacht über sie“. – „Die Verlassenheit der Thäler des Mangart schildert er als so groß, daß – auch nicht einmal Steuereinnehmer hier wohnen“. – Von einer Dame, deren Alter offenbar zu gering angesetzt war. bemerkt er „daß sie unter Brüdern mehr als das Doppelte werth, und, gelinde gerechnet, in jenem Alter war, in welchem das weibliche Geschlecht ohne Zaudern sich in das Rauchcoupé des Stellwagens setzt“. – Bei einem Festessen „sah er plötzlich vor sich den Teller gefüllt, ein rauher Septemberwind hatte herbstlich dürres Laub in seine Suppe gestreut – in der Menusprache würde das Juliennesuppe genannt“. – Bei eben diesem Festessen erscheint ihm die Sprache des Menu wahrhaftig dazu da, um die Speisen zu verbergen. „Noch nie habe er einen Ochsen mit so unzureichenden Fleischmitteln ein Roastbeef spielen gesehen.“ – Bei einem längeren Urlaub, den er antritt, „bittet er, nicht daraus zu schließen, daß er gestern Minister oder Statthalter geworden sei“, und wenn im Burgtheater die Aufführung neuer Stücke bevorsteht“, fragt er, „ob das nicht Grund genug sei, ein gesunderes Klima aufzusuchen?“ – Auf seiner Reise fand er „im Mailänder Dom ein Dutzend blonde Insulaner unter der rauhen Hülle wallender Locken ihre warmen abgetragenen deutschen Beinkleider bergend, welche das schöne einfallende Licht zu malerischen Zwecken mißbrauchten, und die sorgfältig gearbeitete vaterländische Leinwand muthwillig mit dem Pinsel zerstörten“. – Von der im Dom befindlichen Statue des lebendig geschundenen h. Bartholomäus, meint er: „weiter als hier könne die Darstellung des Nackten wohl nicht getrieben melden“. – Und bei dem Auszischen eines Sängers im Theater findet er, „daß eine solche Lynchjustiz wie sie von dem italienischen Theater-Publikum geübt wird, den Deutschen, der nur an das langsame schriftliche Verfahren eines journalistischen Richter-Collegiums gewohnt, sehr peinlich berühren würde“. – Als er (1868) eines Morgens auf einer Fahrt, die Sonne in Rom aufgehen sah,. „bittet er, ihn nicht zu verrathen, daß er dieser polizeiwidrigen Scene beigewohnt, er könnte sonst leicht einen Anstand in Rom haben“. – Bezüglich der römischen Juden, von denen man erzählt, daß sie, wenn sie am Triumphbogen des Titus vorüber gehen, ausspeien. meint er: „sie thun daran Unrecht und sollten im Gegentheile Halleluja singen, daß sie noch immer leben, und daran denken, daß es bei weitem besser ist, auf der Oberwelt mit alten Kleidern zu handeln, als in der Unterwelt in einer neuen Toga spazieren zu gehen“. – Bei einer Fahrt, auf welcher Cypressen und Pinien ihn freundlich grüßten, „erschien es ihm wie ein Frevel, im Vorbeifahren eine Aehnlichkeit zwischen Cypressen und zugemachten, und zwischen Pinien und aufgemachten Regenschirmen zu finden“. – Ueber das italienische Straßenleben bemerkt er, „es ist ein Volksauflauf der von Stunde zu Stunde an Ausdehnung gewinnt. Um eine Feige entsteht ein Feilschen das lärmender ist, als eine Panique auf unserer Börse, und ein Brezelnverkäufer entwickelt größeres Pathos als ein Burgtheaterheld, der mit umgehender Post ins Gewühl der Schlacht stürzt“. – Von einem Wiener Parvenu, der vor kurzem geadelt ward, sagt er, „daß ihm vor wenigen Monaten von der competenten Behörde die Erlaubniß zur öffentlichen Ausübung der Aristokratie ertheilt worden ist“. – Vom Rindvieh, das geschlachtet wird, sagt er: „es erliegt seinen Berufspflichten“. – Bei dem Tode Tegetthoff’s schreibt er: „es steht uns jetzt, nachdem Tegetthoff gestorben ist. kein Hinderniß im Wege, auch zur See tüchtig geschlagen zu werden“. – Auch an flachem Wortwitz, sogenannten Kalauern, fehlt es nicht in Spitzer’s Spaziergängen, doch kommen sie selten vor – so spricht er unter Anderem von einer „Oratio pro Sodoma“ und als von einer Vorstellung im Hofburgtheater die Rede ist, in welcher Hofschauspieler Gabillon mitwirkte, „von einer Gabillonischen’ Verwirrung“. – Wenn er stellenweise literarische und artistische Persönlichkeiten unter seine Feder bringt, so ist er wirksamer in wenigen [186] Zeilen, als Andere mit daumenbreiten Büchern. Ein von ihm besonders Begnadeter ist Richard Wagner. „Er hat uns“, sagt S. an einer Stelle über Wagner, „in seinem Vortrage über nordische Mythologie mit Orchesterbegleitung gezeigt, wohin die Reinigung der Oper von der Musik endlich führt“. – Die Wagner’schen Principien charakterisirt er folgendermaßen: „Der kühne Reformator verlangt, daß der Zopf, den man bisher hinten getragen, von nun an vorn getragen werde“. – „Sowie die Damen, welche häßliche Füße hatten, die Schleppkleider, und die angehenden Mütter die Crinolinen ersonnen, so haben auch die Farbenblinden in der Malerei die Schule begründet, welcher die Farbe als Zopf gilt, und die Melodielahmen jene Schule, welcher die Melodielosigkeit der Fortschritt bedeutet. Man spricht zwar von einer „unendlichen Melodie“, das klingt aber geradeso, als wenn man ein großes stehendes Wasser eine unendliche Thauperle nennen wollte“. – Gelegentlich der Aufführung der „Meistersinger“ bemerkt Spitzer vom Publikum: „Man kam während der Vorstellung über die Verbal-Injurien nicht hinaus, wobei freilich die Wagnerianer oft jedes Maß verpassen, und so einem sehr anständigen Zischer das Schmähwort „Mendelssohn-Bartholdy! einem Anderen den groben Schimpfnamen: Meyerbeer! ins Gesicht schleuderten, der confessionelle Charakter des musikalischen Krieges trat aber zurück, und so konnte man christlich musikalische Germanen zischen hören, während man andererseits die Besitzer von Nasen, welche die Wucht des Semitenthums schwer gebeugt hatte, applaudiren sah“. – Eine Textstelle nennt S. „den Schwanengesang des gesunden Menschenverstandes“. Diese Blumenlese aus Spitzer’s „Spaziergängen“ möchte genügen, wenigstens ein annäherndes Bild seiner ganz eigenartigen, wir möchten fast sagen, von ihm erfundenen Schreibweise zu geben. Die ergötzlichsten Tropen wechseln mit burlesken Anwendungen landläufiger Redensarten auf ungewohnte Begriffe. Eben in diesen letzteren ist er Meister. Im Vorstehenden wurden absichtlich Persönlichkeiten, die in nicht geringem Maße den Reiz seiner Artikel steigern, möglichst vermieden. Und was einen besonderen Vorzug dieser Spitzer’schen Arbeiten bildet, ist, man kann sie vorwärts und rückwärts lesen, und sie bleiben immer interessant, denn wie immer auch der geistsprühende Inhalt an uns vorüberziehen mag. Eins überstrahlt nicht das Andere, Jedes glänzt und schimmert vollständig auch für sich allein, und reizt den Leser nur, sich noch länger damit zu beschäftigen, und das Eine bleibt unter allen Umständen wahr – Vincenti’s Ausspruch: „Leider sind solche Bücher selten genug.“
- Die Gegenwart. Von Paul Lindau' (4°.), 1873, Nr. 42, S. 248. – Figaro (Wiener Spott- und Witzblatt) 1869, Nr. 28, S. 296. – Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 1877, Beilage Nr. 102, im LXXIII. Wiener Briefe von v. V(incenti). –
- Porträte. 1) Eine im Umriß ausgeführte, doch sehr ähnliche Charge in dem Buche: Ein Ritt durch Wien auf dramatischem Felde. Gedíchtet von Conimor. Illustrirt von Laci v. F(recsai) (Leipzig 1876, E. J. Günther, 8°.), Bild 5, S. 11. [Conimor gibt dem wohlgetroffenen Bilde folgende Zeile mit: ....Wart’ ein wenig | will dir einen Ritter zeigen | dessen Federschwert so schneidig | Daß sich alle vor ihm beugen | Weh dir, wenn er dich ertappet! | Bei dem allerkleinsten Schnitzer | Zieht graziös er dir die Haut ab | Du scheinst spitz, doch er ist Sp–r | Seine Feder scheinbar ritzet | Wie ein schwacher, feiner Meißel | Später merkt man, daß der Meißel | War die allerschärfste Geißel. – 2) Charge von Laci v. F(recsai) in der Bombe von 14. October 1877, Nr. 41. – Auch glauben wir nicht zu irren, wenn wir in Klič „Humoristischen Blättern“ 1874, Nr. 56, in der „Zum Grenzwalderstreit“ überschriebenen Charge, die einen eine Zeitung lesenden bärtigen Mann vorstellt, Spitzer’s Conterfei vermuthen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Künberger’s.