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BLKÖ:Wesselényi, Nicolaus (Vater) Freiherr

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Wessel, Eduard
Band: 55 (1887), ab Seite: 136. (Quelle)
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Wesselényi, Nicolaus (Vater) Freiherr (Staatsmann, geb. zu Zsibó in Siebenbürgen am 9., n. Anderen 11. December 1751, gest. daselbst am 25. October 1809). Ein Sohn des Freiherrn Stephan, k. k. Huszaren-Rittmeisters, aus dessen Ehe mit Polyxena geborenen Daniel von Vargyas, welche zu ihrer Zeit zu Ungarns gelehrten Frauen zählte, trat er, wie es in den Adelsfamilien des Landes gewöhnlich der Fall war, auch in die kaiserliche Armee und diente zuletzt als Rittmeister im damaligen leichten Dragoner-Regimente Nr. 4, in welchem er während des italienischen Feldzuges 1799 im Treffen bei Verona am 26. März sich so hervorthat, daß in der Relation sein Name unter den Helden des Tages genannt wurde. Aber ein tragikomischer Vorfall schnitt des Rittmeisters soldatische Laufbahn, die sonst unter allen Umständen eine glänzende gewesen wäre, mit einem Male ab. Wesselényi lag in einem galizischen Städtchen stationirt und in der Eintönigkeit des Dienstes gerieth er, [137] um sich zu zerstreuen und im Bewußtsein, dem ungarischen Magnatensohne sei Alles ertaubt, auf den Gedanken, den dortigen Kreishauptmann, der in der Jugend Friseur gewesen sein soll, in dieser Eigenschaft für sich zu verwenden und sich von ihm die Haare in Locken legen und einpudern zu lassen. Da sich der Kreishauptmann zu dieser Blasphemie seiner Würde nicht gutwillig hergeben wollte, griff Wesselényi zu solchen Mitteln, welche das fernere Verbleiben des übermüthigen Rittmeisters in der kaiserlichen Armee unmöglich machten und ihn – dank der Milde der Kaiserin – nöthigten, vom Soldatenleben Abschied zu nehmen. Gewiß war es auch nicht der erste Streich des jungen Freiherrn, der, eine excentrische Natur überhaupt, es verstand, die Bewohner des Ortes, wo ihn überflüssige Langeweile allerlei Huszarenstückchen ersinnen ließ, in Allarm zu versetzen. Denn mit unleugbar glänzenden Vorzügen des Geistes und des Herzens verband er eine halbwilde Natur in seinem äußeren Gebaren, die ihn, wenn er seiner erweckten Leidenschaft die Zügel schießen ließ, in seinen Handlungen geradezu unberechenbar machte und auch das Unheil verschuldete, in das er später wirklich gerieth. Es ließen sich Blätter füllen, wollte man alle die Huszarenstückchen Wesselényi’s erzählen, aber so toll er es trieb, zum Schlusse überwog immer das edle Herz und jener dem Magyaren eigene Hochsinn, den sich der ungarische Aristokrat so gut zu bewahren wußte wie die Unantastbarkeit der Verfassung, deren Verletzung immer wieder auf den Verletzer zurückfiel. Nach Quittirung des Dienstes begab er sich heim auf seine Burg Zsibó in Siebenbürgen, unternahm aber noch auf dem Wege dahin das Wagestück, aus dem in Hermannstadt befindlichen Frauenkloster eine Novize zu entführen, mit der er sich auch bald darauf ganz ordnungsmäßig trauen ließ. Es war Helene von Cserey, dieser Schutzengel, den die Vorsehung an des wilden, von den Leidenschaften hin und her gerüttelten Wesselényi Seite gestellt hatte. Bei der Gastfreundschaft, welche derselbe in alter, dem Magyaren eigener ritterlicher Weise übte, herrschte ein gar wüstes Treiben in Zsibó, und es gab Scenen zwischen den Gästen und dem Hausherrn und der immer wieder vermittelnden Gattin, Scenen, denen ein Hogarth kaum immer hätte eine heitere Seite abgewinnen können; da aber war Helene, die Gattin, dieses, wie es Csengery schreibt, poetische Bild der weiblichen Treue, diese Beute der aufopfernden Liebe und der verheimlichten Sorgen, welche immer mit fröhlichem und ruhigem Antlitze unter diesen stürmischen Auftritten einherschritt, eine Blume, gepflanzt auf das Grab des gestorbenen Glückes, ein geheiligtes Kreuz auf der Spitze des Vulcans, das in den Stunden der Gefahr die Vorsehung und die offenen Augen des Himmels in Erinnerung bringt, ein Altarbild am Kreuzwege der Leidenschaften, das die Hand des Künstlers aus dem Grunde zu Stande brachte, um mit der Götterkraft der tiefruhigen Züge die wilden Leidenschaften zurückzuscheuchen, oder wenn sie schon ausbrachen, in Thränen auflösen zu können. Und dieser wilde Freiherr betete seine Gattin an, er fürchtete sie, er beugte sich vor ihrem Geiste, folgte aber doch wieder seiner zügellosen Natur, und von den Ausbrüchen seiner blinden Leidenschaftlichkeit blieb auch die Gattin nicht immer verschont, so daß sie ebenso der Gott wie die Märtyrerin seines Lebens war. Es ist [138] ein Oelbild erhalten, das den Freiherrn Nicolaus und dessen Gattin Helene nebeneinander darstellt. Und im Bilde erkennt man den Engel des Mannes, dem aus jedem Gesichtswinkel die Leidenschaft hervorguckt. Wesselényi lebte seit seiner Rückkehr in die Heimat auf seiner Burg Zsibó, welche in einer Gegend lag. die reich an herrlichen Naturreizen, aber auch an Merkmalen grauenhafter Schrecken der Natur wie des menschlichen Verwüstungstriebes, welche beide heute noch sichtbar sind. Während am Fuße der hier sich thürmenden Gebirge die herrlichste Vegetation dem Auge entgegenlacht, treiben heute durch Regengüsse angeschwellte Bergströme oft Kanonenkugeln und versteinertes Seegethier zugleich aus dem Geklüfte der Bergspitzen ins Thal: stumme Zeugen der ersten riesigen Staaten- und Erdrevolutionen. Da hauste der Freiherr, mit dessen Erscheinen die bis dahin herrschende Ruhe aus der Gegend gewichen war. Nun widerhallten die Räume des Schlosses von Waffengeklirr, denn der Freiherr hatte sofort nach seiner Ankunft die Burg armiren und alte rostige Kanonen an den entsprechenden Punkten aufführen lassen; die Hufe ungezähmter Rosse zerstampften die Fluren, die als Eigenthum weit umher das Schloß umgaben, Fanfaren tobender Jägerschaaren scheuchten Wild und Vögel auf in Wald und Hain. Des Freiherrn Gastfreundschaft, seine stets reich besetzte Tafel, sein Marstall und seine Meute wurden bald weit und breit berühmt, und so ward denn Zsibó der Sammelplatz aus Ungarn und Siebenbürgen herbeiströmender Gäste, Jagdfreunde, Pferdeliebhaber und Kenner guter Weine und Speisen. Das tolle Leben im Schlosse zu schildern, müssen wir unterlassen; daß dabei die hippologischen Liebhabereien des Hausherrn manchen Gast geradezu in Lebensgefahr brachten und der Freiherr dabei immer sein Kaltblut bewahrte und sich am Schrecken derjenigen weidete, die ihm, dem Reiter ohne Gleichen, der mit dem Pferde gleichsam verwachsen schien, in die Falle gingen, daß es an den aufregendsten Scenen aller Art nicht fehlte, daß die Gattin zitterte, wenn der Freiherr seine eigenen Kinder Dinge durchmachen ließ, bei denen das Leben derselben an einem Haare hing, das Alles mag bloß nebenbei erwähnt werden. Nur eine seiner Ungeheuerlichkeiten sei in Kürze erzählt, weil, wie die Sage geht, Kaiser Franz selbst, als er Zsibó besuchte, dieselbe erlebt haben soll. So bereitete es dem Schloßherrn ein Vergnügen sondergleichen, einen oder den andern Gast zu einer Spazierfahrt im eigenen Wagen einzuladen. Im Anfange fuhr derselbe ganz gemächlich auf der Fahrstraße. Mit einem Male aber rasten die durch allerlei Kutscherkunstgriffe gereizten Pferde, dieselbe verlassend, über Stock und Stein davon. Da warf Wesselényi die Zügel hin, ließ die Rosse gewähren, und das Viergespann flog wie ein Pfeil über Feld und Gestrüpp immer weiter und weiter, bis es nur wenige Schritte von dem steilen Ufer der Szamos oder eines anderen reißenden Wassers entfernt war. Den Mitfahrenden sträubten sich die Haare zu Berge, sie sahen keine Rettung mehr, nur der Freiherr blieb ruhig und weidete sich an der Todesangst seines Gastes. Da läßt der Freiherr mit einem Male einen schrillen, die Lüfte weithin durchdringenden Pfiff ertönen und die rasenden Thiere halten wie festgewurzelt plötzlich stille. Solche und ähnliche Stücke gingen im Volksmunde umher. Da nahmen alle diese [139] Tollheiten ein jähes Ende. In Zsibó’s Nähe bewohnte ein Graf, man nennt einen Haller von Hallerkeő, seinen Herrensitz. Nun bestand zwischen den beiden Magnaten, die zwei ganz entgegengesetzte Naturen waren, ohnehin kein freundschaftliches Einvernehmen, so spitzte sich das Verhältniß durch Vorfälle, wie sie bei Nachbarn gar leicht vorkommen, nur noch feindlicher zu. Es kam zuletzt so weit, daß Wesselényi, als zwei seiner Bediensteten, die sich auf dem Besitze des Grafen Ungehörigkeiten zu Schulden kommen ließen, von demselben in Haft genommen wurden, an seinen Nachbar einen Herold mit der Erklärung absandte: Der Freiherr sei es müde, die Neckereien des Grafen ferner zu ertragen, und habe daher beschlossen, dessen Gebiet mit Krieg zu überziehen, das Schloß zu stürmen und der Erde gleich zu machen. Dieser Kriegserklärung folgte die That auf dem Fuße. Wesselényi erschien an der Spitze seines ganzen Hausgesindes, Jäger, Kutscher, Treiber, zahlreiche Bauern, alle bis an die Zähne bewaffnet, mit dem Geschützparke des Wesselényi’schen Schlosses vor dem Herrenhause des Grafen, der, wenn er auch seinen Nachbar kannte, doch sich einer solchen Gewaltthat nicht versah und gar keine Anstalten zur Vertheidigung getroffen hatte. Wesselényi ließ das Geschütz gegen das Gemäuer des Grafenhauses spielen. Als der Graf sah, daß die Sache ernst werde, übergab er seinem Jäger das Commando und verließ das Schloß, um sofort nach Wien zu reisen und Anzeige von dem Vorfalle zu erstatten. Der gräfliche Jäger mußte alsbald capituliren, aber der aus seinem Eigenthum mit Gewalt vertriebene Graf brachte in Wien seine Klage vor den Kaiser JJoseph. Dieser wollte eine solche unerhörte Gewaltthätigkeit entsprechend strafen und erließ an das siebenbürgische Generalcommando sofort den strengen Befehl, sich Wesselényi’s zu bemächtigen und ihn todt oder lebendig nach Wien zu schaffen. Der Freiherr, der von diesem Befehle Kunde erhielt, versuchte sich durch die Flucht zu retten, irrte auch einige Zeit in den Wäldern umher, suchte dann Schutz bei Verwandten, wurde aber doch eines Tages bei denselben gefunden, nach verzweifelter Gegenwehr überwältigt und gefesselt nach Wien gebracht und dort auf Befehl des Kaisers ins Gefängniß gesetzt. Gesetzlich abgeurtheilt, erhielt er zur Verbüßung seiner Haft die Festung Kufstein angewiesen. Auf derselben aber benahm sich der Freiherr wie ein wildes Thier. Er begriff es gar nicht, daß der freie Ungar, dem nach seinen Rechtsbegriffen Alles gestattet war, für Unthaten auch gefangen gehalten werden dürfe. Als dann einmal der Kerkermeister sich eine unbedachte Aeußerung entschlüpfen ließ und Wesselényi, ergrimmt darüber, denselben packte und über die Treppe hinunterwarf, wo der Unglückliche dann vom Hausgesinde später mit zerschlagenen Gliedern gefunden wurde, verbesserte sich die Lage des Freiherren nicht, da das neue Urtheil über diese Gewaltthat eine Verlängerung der Haft aussprach. So hatte Wesselényi vier Jahre in Kufstein verbüßt, als es den Bitten und Thränen seiner Gattin gelang, seine zahlreichen Feinde zu versöhnen und an höchster Stelle seine Entlassung aus der Haft zu bewirken. Sie selbst eilte nach Kufstein und brachte den Gatten aus den dumpfen Kerkermauern in das Schloß seiner Väter zurück. Es begann daselbst das frühere Treiben, bis die politischen Vorgänge [140] dem ruhelosen Magnaten ein anderes Feld zur Arbeit anwiesen, und nun erhält der Name des Freiherrn Nicolaus Wesselényi, des Vaters, auch sein Blatt in der Geschichte. Mit dem Jahre 1791 begann eine bedeutungsvolle Epoche in Ungarns Staatsleben. Ueber sein vergebliches Ringen, einen mächtigen Gesammtstaat zu schaffen, war Kaiser Joseph gebrochenen Herzens gestorben, nachdem er kurz vor seinem Tode, da infolge seiner Neuerungen die Unruhen in Ungarn ausbrachen, die von ihm getroffenen Verfügungen zurückgenommen hatte. Es kamen nun politisch sehr bewegte Zeiten. Besonders in Ungarn gab sich dieser Umschwung in bedrohender Weise kund. Ein Theil der amtlichen Documente, die Vorarbeiten zum Cataster, die Conscription, die Daten zur Landesausmessung wurden in stürmischen Comitatssitzungen und außerhalb derselben mit bakchantischer Feierlichkeit verbrannt. Nach des Kaisers Leopold II. Krönung gestaltete sich Alles wie zuvor. Nach Jahrzehnten ward auch in Siebenbürgen der erste Landtag eröffnet. Wesselényi erschien gleichfalls als Mitglied auf dem Landtag 1791, und schon in den ersten Tagen richtete sich die Aufmerksamkeit des Parlamentes auf ihn. Als nämlich dasselbe feierlich eröffnet worden, erschien auch ein zwanzigjähriger Kanzlist, mit einem Actenbündel unter dem Arme, im Berathungssaale, wohnte den Verhandlungen mit großer Aufmerksamkeit bei und notirte sich das .Wichtigste derselben. Bald wurden die Versammelten, denen es schien, als gehöre der junge Mann gar nicht hieher, auf ihn aufmerksam, herausfordernde Stimmen erhoben sich, die Anwesenheit eines Regierungsbeamten ward beanständet, und von Minute zu Minute wuchs der Tumult, da der junge Beamte unbeirrt noch immer seinen Platz behauptete und fleißig fort notirte und schrieb. Das brachte den Ausbruch des Sturmes hervor. Was soll der Spion in unserer Versammlung?“ „Wer wagt es, unsere Reden niederzuschreiben und das Wort aus dem Hause zu tragen?“ Solche und ähnliche erregte Aeußerungen wurden laut, und endlich packte der sich bedroht sehende Kanzlist – der spätere Hofkanzler Alexius Nopcsa – seine Papiere zusammen und schickte sich an, den Berathungssaal zu verlassen. In diesem Augenblicke erhob sich Freiherr von Wesselényi, und der bis dahin nur aus seinen excentrischen Handlungen Bekannte hielt seine Jungfernrede zum Schutze der Oeffentlichkeit der Rede. Man horchte, man horchte immer gespannter; seine beredten Gründe siegten, und das tosende Gewitter, das vor wenigen Minuten noch über das Haupt des jugendlichen Berichterstatters sich zu entladen drohte, verwandelte sich in einen anhaltenden Beifallssturm für den beredten Anwalt der Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen. Nopcsa verblieb im Saale, notirte ruhig weiter, und eben seinen Notizen verdankt man eine ergiebige Quelle zum Studium der Geschichte des denkwürdigen Landtages vom Jahre 1791, den Csengery unter allen späteren bis zu 1834 gehaltenen als den glänzendsten bezeichnet. Denn derselbe bestimmte über das öffentliche Recht Siebenbürgens. Die historische alte Constitution war infolge der vorangegangenen politischen Gleichgiltigkeit, veranlaßt ebenso durch die Regierung, die keine Ursache hatte, daran zu erinnern, als durch die Bevölkerung, die sich unter dem milden Scepter Maria Theresiens und Josephs ganz wohl [141] fühlte, völlig vergessen, und erst die Eingriffe Josephs in die alte Verfassung weckten wieder die Erinnerung an dieselbe. Der Landtag 1791 begann daher gemeinrechtliche Gesetze zu verfassen und nahm die alten Privilegien des Landes zur neuen Revision vor. Die Constituirung wurde en gros betrieben. In kurzer Zeit reorganisirte der Landtag das Comitatswesen, die Jurisdictionen und das Gubernium auf Grundlage der geschichtlichen Rechte und des Vertrages mit Leopold. Dabei kämpften die Parteien leidenschaftlich genug über die vorkommenden Gegenstände, aber immer noch mit Zurückhaltung; nur die Aeußerungen Wesselényi’s besaßen die Schärfe parlamentarischer Debatten, wie sie heutzutage vorzukommen pflegen; er war der entschiedene Gegner aller Regierenden und durch seine Rücksichtslosigkeit, die aber immer den Nagel auf den Kopf traf, die Geißel der sogenannten Hofpartei, die aber auch immer nur in ihrem und nicht im eigentlichen Interesse des Hofes hantirte und amtirte. Ohne eben eine Führerrolle zu übernehmen, denn dazu war er zu leidenschaftlich, war er doch der eigentliche Sprecher und Vorkämpfer seiner Partei, unermüdlich im Kampfe, unermüdlich im Ansturm und dabei unbestritten das größte Rednertalent der Opposition. Sein donnerndes Organ, schildert ihn Kemény, beherrschte stets den Lärm der Debatten; der gebieterische Blick seines blitzenden Auges verblüffte Freund und Feind. Er wußte seine heftigen Angriffe stets mit dem ganzen Zauber der bis zur Schwärmerei gesteigerten Ueberzeugungsinnigkeit, in den kühnsten Wendungen, doch stets im edelsten Schwunge dem Gegner auf das Haupt zu donnern. Sein reizbares Gemüth riß ihn wohl oft über die Schranken hinaus, sein Vortrag verstieg sich in die grenzenlosen Regionen der Leidenschaftlichkeit, wo das Wort nicht mehr in der Gewalt des Redners; doch die eherne Logik seiner Argumente verließ ihn niemals, gleich einem unverlöschlichen Pharus leuchtete sie ungeschwächt durch die Nacht unbezähmbarer Leidenschaftlichkeit seines Gemüthes. Wesselényi’s parlamentarische Thätigkeit blieb während aller Landtage von 1791 bis 1809 immer die gleiche, er war und blieb das Haupt der Opposition. Sie nach den einzelnen wichtigen Momenten zu zeichnen, so dankbar diese Arbeit als parlamentarisches Studium wäre, ist nicht unsere Aufgabe. Nur zwei Momente aus seinem parlamentarischen Leben wollen wir hervorheben, das eine, um zu zeigen, in welchem Ansehen er stand, das andere, um hervorzuheben, wie er trotz seiner vehementen Leidenschaftlichkeit im entscheidenden Augenblicke sich zu beherrschen verstand. In einer der Debatten ging er mit gewohnter Rücksichtslosigkeit der Gegenpartei zu Leibe; seine persönlichen Ausfälle stachelten endlich die Gemüther so auf, daß ein gewaltiger Sturm in der Versammlung ausbrach und ein Ordnungsruf gegen ihn verlangt wurde. Ein Ordnungsruf in damaliger Zeit war etwas Anderes als heutzutage. Sobald er von Seite des Präsidenten erfolgte, und er bestand zunächst im Gebot desselben, die Thür des Berathungssaales zu schließen, so constituirte sich das Haus sofort zu einem Tribunal: es trat ein öffentlicher Ankläger hervor und durfte kein Mitglied den Saal verlassen, bis nicht das Urtheil gefällt und die Strafe – gewöhnlich eine Geldbuße – an dem ordnungswidrigen Mitgliede vollzogen war. Als diesmal der Ordnungsruf wider [142] Wesselényi ertönte, und der Präsident, dem sich nur immer dräuender erhebenden Lärm der Versammlung sich fügend, die Saalthür zu schließen befahl, erhob sich der eigentliche Führer der Opposition, Tury und begann mit durchdringender bewegter Stimme: „Wie! soll in Wesselényi die Redefreiheit angetastet werden? – Wer wird dann noch dieses unser schönstes Recht schützen? Wer wird fürder noch sicher sein in diesem Hause?“. Das schlichte Playdoyer für den Angeklagten war von mächtiger Wirkung; die Gemüther besänftigten sich mit einem Schlage, die Saalthüren öffneten sich wie von selbst, und das Disciplinarverfahren hatte ein Ende. – Im zweiten noch flagranteren Falle bannte Wesselényi selbst durch die Gewalt, die er im entscheidenden Augenblicke über sich gewann, den Sturm, den er freilich auch selbst heraufbeschworen. Er hatte wieder die Regierungspartei in maßloser Weise angegriffen, und da seine Geißelhiebe auf die Angegriffenen immer schonungsloser niedersausten, ließ sich der Präsident zu der Bemerkung hinreißen, ob er denn die Jahre, die er ferne von Siebenbürgen zugebracht, vergessen habe? Auf diese, wenngleich durch den heftigen Angriff Wesselényi’s hervorgerufene, aber unter allen Umständen tactlose Anspielung auf dessen unfreiwilligen Aufenthalt in der Festung Kufstein trat ein momentaner Stillstand in den Verhandlungen ein – es war, als wäre die ganze Versammlung erstarrt über ein solches Wagniß gegenüber einem Manne von der Gemüthsart Wesselényi’s. Wie ein vom Pfeil getroffener Lowe fuhr dieser in die Höhe, die wuchtige Faust faßte krampfhaft den Griff des Säbels und tödtlichen Grimm im Blicke stürmte er, Alles vor sich bei Seite schiebend, von seinem Sitze, geradewegs auf die Estrade des Präsidenten zu. Die Stille tiefster Bestürzung über das Geschehene herrschte im Saale, Niemand wagte auch nur aufzublicken, im sprachlosen Entsetzen harrten die Abgeordneten der nahenden Katastrophe. Den Präsidenten selbst erfaßte ein nicht gelindes Grauen, unwillkürlich wich er vor dem heranstürmenden ergrimmten Feind zurück, und als derselbe bei ihm anlangte, hatte er sich bereits – ein Bild des Entsetzens – hinter dem Präsidentenstuhle verschanzt. Zornsprühenden Blickes stand nun Wesselényi, vor ihm. Lautlos war es im Saale, man hätte die Pulsschläge der Anwesenden hören können. Da hub er mit wutherstickter Stimme an, während er die Linke auf die Schultern des Beleidigers legte: „Gnaden Herr Präsident! Hab’ den Sinn Eurer Worte verstanden; doch merk’ es sich der Herr Präsident: Kaiser Joseph hat mich wohl leiden gelehrt, doch – fürchten nicht!“. Die letzten Worte glichen einem Donnerschlag, der die Herzen aller Anwesenden erbeben machte; eine brausende Beifallssalve löste sich von der Brust der versammelten Stände; das tief und unzart verletzte Mitglied hatte die glänzendste Anerkennung und Genugthuung gefunden. Die angeführten zwei Charakterzüge kennzeichnen ganz den Freiherrn. Wir haben nun Wesselényi den Menschen und Parlamentarier kennen gelernt, und man sollte kaum glauben, daß dieser Mann auch die Rolle des Mäcens nicht spielte, sondern wirklich ausübte. Und dies ist thatsächlich der Fall. Adolf Dux in seinen literatur- und culturgeschichtlichen Studien „Aus Ungarn“ schildert uns in seinem umfassenden Essay „Entwicklung des Theaters in [143] Ungarn“ die Verdienste des Freiherrn um dasselbe. Wesselényi war es vor Allen, der sich um die Entstehung des Theaters in Klausenburg 1792 verdient machte, der an der Spitze der Theatercommission stand, welche der siebenbürgische Landtag eingesetzt hatte, und nicht bloß auf die materiellen, sondern auch auf die geistigen Interessen der Schauspielergesellschaft einen entschiedenen[WS 1] Einfluß übte. Nach einer Mittheilung Kazinczy’s hat der Freiherr für sein Theater auch mehrere Stücke übersetzt und nicht geringen Einfluß auf die Ausbildung der Schauspieler genommen, da er bei seiner Gesellschaft überhaupt nicht Schnorrer und Bummler, sondern nur gebildete Leute duldete und wählte. Lange spielte die Gesellschaft in verschiedenen Sälen, endlich wurde die Erbauung eines eigenen Theaters in Klausenburg beschlossen, zu welchem er ansehnliche Mittel beisteuerte, doch dessen Eröffnung, die am 12. März 1821 mit Körner’s ins Ungarische übersetztem „Zrinyi“ stattfand, er nicht mehr erleben sollte. Man wird gewiß mit Beben nach dem Verhältniß zwischen dem Baron, den Dichtern und den Darstellern fragen, denn als belebender Geist der Bühne kam er ja nicht bloß mit den Schauspielern, sondern[WS 2] mit den angesehensten Schriftstellern Ungarns und Siebenbürgens zusammen. Diesen Leuten, diesen Rittern des Geistes, den Fackelträgern der Wissenschaft, gegenüber war Wesselényi ein völlig Anderer. „Die sanfte zurückgezogene Republik der denkenden Männer“, schreibt Csengery, „entwaffnete den unbändigen Geist und gleich wie der königliche Leu und die stolzen Thiere der Wildnisse auch gereizt das spielende Kind nicht anrühren, war Wesselényi schonungsvoll im Kreise der Wissenschaft, sanft gegen die mit Verbreitung der Kenntnisse beschäftigten Männer und inniger Freund der Dichter. Diese bewunderten seine glänzenden und großen Eigenschaften. Sie erhoben seinen Patriotismus zum Himmel und verdeckten sorgfältig vor den Augen der Weit seine Schwächen, sowie die treuen Kinder jene der ersten Patriarchen.“ Aber auch der Patriot sollte Leid erfahren und durch tiefe Kränkung vom politischen Schauplatze verdrängt werden. Es war das denkwürdige Jahr 1809 gekommen. Die Insurrection mußte angesichts des drohenden Krieges sich in Ungarn erheben. Unter den hohen Aemtern, welche der Landtag zu besetzen hatte, befand sich verfassungsgemäß auch das des Führers der Insurrection, des Generals der nationalen Armee. War bis dahin die Wahl eines solchen wohl urgirt worden, aber nie erfolgt, im Jahre 1809 kam sie nun wieder an die Tagesordnung. Nicolaus Wesselényi, der ja selbst mit Ehren in der kaiserlichen Armee gedient hatte, rechnete mit Recht auf diese Auszeichnung. Die volle Berechtigung dazu in sich fühlend, bewarb er sich, als er die Thätigkeit seiner oft von ihm gekränkten Gegner sah, die Alles daran setzten, ihm diese Auszeichnung zu entziehen, öffentlich um die Ernennung. Nun begann der Kampf gegen ihn, der sie so oft befehdet hatte. Die Feinde hielten sich schußbereit und zielten gut auf ihr Opfer. Die Schwächen Wesselényi’s, welche ihn zum General der Insurrection untauglich machten, wurden sogar an öffentlichen Orten erwähnt. Und als es im Landtage bezüglich der Wahl zur Abstimmung kam, erhielt er nicht genug Stimmen. Er wurde vom Vaterlandes zurückgewiesen, als er zum ersten Male den Lohn seiner Dienste verlangte. Diese [144] Demüthigung fraß sich tief ins Herz des alten Patrioten. Er zog sich in sein Schloß Zsibó, das nun völlig vereinsamte, zurück. Aber mit dem Jahre, mit welchem seine politische Wirksamkeit schloß, endete auch sein Leben. Wie schon in dieser Darstellung bemerkt wurde, hatte er sich seine Frau Helene Cserey selbst aus dem Kloster geholt. Aus dieser Ehe entsprangen zwei Kinder, eine Tochter Anna, später vermälte Ludwig Graf Bethlen, und ein Sohn Nicolaus, dessen Lebenslauf wir folgen lassen. 'Helene', so lange ihr Gatte gelebt, eine Dulderin ohne Gleichen, überlebte denselben noch um 21 Jahre.

Annalen der Literatur und Kunst des In- und Auslandes (Wien, Anton Doll, 8°.) Jahrg. 1810, Bd. II, S. 517. – Bozener Zeitung, 1860, Nr. 29, S. 200: „Ein ungarischer Edelmann“. – Breslauer Zeitung, 1861, Nr. 243, im Feuilleton: „Kaiser Franz und Baron Wesselényi“. [Dieses von Karl Beck verfaßte Gedicht trug dieser in einer Vorlesung, welche er im Herbst 1861 in Pesth hielt, vor. Die demselben zu Grunde liegende Tendenz erzielte dem Vortrag einen beispiellosen Beifall. Das Gedicht wurde auch nachgedruckt, so vom „Wanderer“ 1861, Nr. 116,. Abendbl.] – Csengery (Anton). Ungarns Redner und Staatsmänner (Wien 1852, Manz, 8°.) Bd. I, S. 30–78. – Debatte (Wiener Parteiblatt, gr. Fol.) 1866, Nr. 298 und 305, im Feuilleton: „Baron Nicolaus Wesselényi, der Götz von Berlichingen Ungarns“. Von M. P. – Dux (Adolf). Aus Ungarn. Literatur- und culturgeschichtliche Studien (Leipzig 1880, Foltz, 8°.) S. 317 u. f. – Vasárnapi ujság, d. i. Sonntagsblätter (Pesth, 4°.) 1. Jänner 1865, Nr. 1: „Id. báró Wesselényi Miklós és Cserey Heléna“. – Magyar polgár Nagy Naptára (Klausenburg) Bd. I, 1869, S. 70: „B. Wesselényi Miklós nyilatkozata az ellene indított pőrben“, közli K. Papp Miklós. – Budapesti Szemle (Pest) Bd. V, 1860, S. 435.
Porträt. Unterschrift: „Id. Báró Wesselényi Miklós és Cserey Heléna“, d. i. Baron Nicolaus Wesselényi der Aeltere und Helene Cserey (seine Gemalin). Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners nach einem gleichzeitigen Oelgemälde, auch im „Vasárnapi ujság“, 1865, Nr. 1.
Kazinczy auf Wesselényi. Interessant ist es, wie in vormärzlicher Zeit der Tod des Freiherrn Nicolaus Wesselényi in einem Wiener, freilich nicht politischen, sondern literarischen Blatte, in den „Annalen für Literatur“, gemeldet wurde. „Am 25. October 1809“, beißt es dort, „starb der Freiherr Nicolaus von Wesselényi, geb. zu Zsibó in Siebenbürgen, ein wahrer Patriot und Mäcen. nach seiner vehementen Art und nach dem Adel seiner Gesinnung Cato und Regulus zugleich.“ Der rühmlichst bekannte ungarische Dichter Franz von Kazinczy in Széphalom machte folgendes treffende ungarische Epigramm auf des Freiherrn Tod. Da wir keine correcte Abschrift des ungarischen Originals besitzen, theilen wir dasselbe in wörtlicher Uebersetzung mit. Es lautet: „Zweifelst Du an der Seelenwanderung? – Dort war ich trox animi Cato und der weichherzige Brutus, und hier war ich Wesselényi! Vaterland, hemme Deine Thränenfluth: mein Sohn! meine Gattin! sie leben; und Zsibó gibt Dir in einer besseren Epoche Deine jetzt betrauerte Zierde wieder.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: enschiedenen.
  2. Vorlage: sonderan.