BLKÖ:Wesselényi, Nicolaus (Sohn) Freiherr

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Wesselý, Adalbert
Band: 55 (1887), ab Seite: 154. (Quelle)
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Wesselényi, Nicolaus (Sohn) Freiherr (Staatsmann, geb. in Ungarn 1795, nach Anderen 1797, gest. zu Pesth nach Szinnyey am 21. April, nach Anderen am 7. October 1850). Die Biographen nennen Nicolaus den Sohn eines Mannes von orientalischem Charakter, des ersten Pferdezüchters und wildesten Reiters seiner Zeit, des letzten Magyaren, der das Faustrecht in der Belagerung und Eroberung des Schlosses eines Privatfeindes praktisch ausübte. Eine biographische Skizze desselben wurde auf S. 136 gegeben. Die Mutter Helene war eine geborene Cserey, der wir in dieser Darstellung des Wesselényi’schen Geschlechtes auch ein eigenes Gedenkblatt [siehe S. 150, Nr. 5] widmen. Von diesen Eltern war Nicolaus neben einer Schwester Anna der einzige Sohn, der unter der spartanischen Erziehung seines Vaters das wurde, was er in der Folge bei allen Anlässen, die sich ihm darboten, bethätigte, eine Mischung von Mensch und Tyrann, von Staatsmann und Träumer, von Heros und Verschwörer. Wie ihn der Vater erzog, davon folgende Probe. Einmal wurde dem Vater ein störriger Hengst vorgeführt, den Niemand zu reiten wagte. Als Jemand den daneben stehenden, damals sechsjährigen Nicolaus scherzweise fragte, ob er das Roß nicht besteigen möchte, antwortete der Knabe: „Nein, ich fürchte mich“. Als der Vater diese Worte vernahm, donnerte er auf und rief: „Ein Wesselényi darf sich nicht fürchten“, packte den Sohn, warf ihn auf das Pferd, dem er einen Schlag mit der Gerte versetzte und das nun wie toll davonsprengte. Was die Mutter, welche dieser Scene beiwohnte, litt während der Zeit, bis der Knabe, wunderbarer Weise wohlbehalten, zurückkehrte, möge sich die Phantasie des Lesers selbst ausmalen. Der Knabe besaß nicht gewöhnliche Anlagen und verleugnete auch sonst das Wesen seines Geschlechtes nicht. Er stand, als das denkwürdige Jahr 1809 herankam, wenn 1795 als das richtige Geburtsjahr angenommen wird, im vierzehnten Lenze und befehligte bereits eine kleine Abtheilung der zu den Waffen gerufenen Insurrection, ihre Bewegungen mit merkwürdiger Sicherheit leitend. Wenn der berühmte Dichter Kazinczy nach ausgestandener vieljähriger Festungshaft bei dem alten Wesselényi, der ihn auf das freudigste aufgenommen, oft ganze Nächte saß und beide Männer die wichtigsten Fragen der Zeit besprachen, da befand sich der Knabe Nicolaus auch bei ihnen und hörte ihrer ernsten Unterhaltung mit großer Aufmerksamkeit zu, während er mit den Fingern aus den herunterschmelzenden Tropfen der Wachskerze Pferde modellirte. Sonst wissen wir über seine Erziehung wenig: Ein Erzieher Namens Pataky leitete den Unterricht. Wir begegnen dem jungen Freiherrn zuerst 1818, als er ungefähr 21 oder 23 Jahre zählte und in jedem Comitate, wo er Stimme besaß, von Congregation zu Congregation reiste, um daselbst gegen jene Conscriptionen und Urbarialverordnungen zu agitiren, welche mit Umgehung des Landtages ins Leben gerufen werden sollten. Als dann die Regierung wieder, ohne den Landtag einzuberufen, dem Bauernstande Befreiung vom Frohndienste verschaffen wollte, theilte Freiherr Wesselényi bei diesem Vorgange die Antipathie des Adels und dessen Unzufriedenheit über die Gesetzlosigkeit des Verfahrens. „Der Constitutionalismus [155] gewann, aber das Volk verlor“. In den folgenden Jahren beschäftigte er sich mit Einrichtung der durch das verschwenderische Gebaren des Vaters stark verschuldeten Güter und wurde auf den Adelszusammenkünften das Ideal der ungarischen jeunesse dorée. Unter solchen Umständen kam das Jahr 1823 heran, in welchem die in Oberungarn entstandenen Bewegungen bis an die Grenzen Siebenbürgens schlugen. Da richtete denn auch Wesselényi wieder sein Augenmerk auf die vaterländischen Gesetze und nahm einen zu jener Zeit in Ansehen stehenden Juristen zu sich nach Zsibó mit, er besprach mit ihm und den einflußreichen Männern der Nachbarschaft die vaterländischen Angelegenheiten, und es wechselten in seiner Burg Zsibó mit den gesellschaftlichen Vergnügungen, denen man sich auch hingab, ernste Berathungen. Bei diesen Versammlungen lernte er einen reichen Officier von angesehener Familie kennen, der überdies besser jagte als er, auf gleich schönen Pferden ritt und in den verschiedenen Künsten der Gymnastik mit ihm wetteiferte. Dieser Officier trug Orden auf der Brust, hatte an den Feldzügen theilgenommen; seine Gestalt prangte auf den von Kraft’s Künstlerhand gemalten Tableaux der Weltschlachten. Dieser Officier war von der Huld der Höfe überschüttet, hatte Europa, einen Theil des Orients bereist, dieser Officier, ein Misanthrop, mehr noch ein Malcontent, war Stephan Széchényi [Bd. XLI, S. 251]. Dieser, der mehr Kenntnisse besaß und mehr Erfahrungen als Wesselényi gemacht, bemerkte bei seinem jüngeren Freunde neben glänzenden Talenten geringe Weltkenntniß und machte demselben den Antrag, mit ihm England und Frankreich zu bereisen, und schaffte, als Wesselényi’s Finanzen eine solche Reise noch nicht gestatteten, auch die erforderlichen Geldmittel. Wesselényi fand sich nun in seinem Elemente, denn, bemerkt Csengery zutreffend, in seinem Freunde fand er einen Gefährten, der gleich ihm zu phantastischen Unternehmungen bereit war und mit gleicher Bereitwilligkeit das Leben eines Heloten oder Negersclaven führte, wie den Ausschreitungen eines Heliogabal, eines Sardanapal sich hingab. Beide reisten nun zu Fuß, täglich große Entfernungen zurücklegend. Sie durften nur Milch und Brod essen, beides in einer bestimmten Quantität. Denn es war ihr Zweck, sich gegenseitig in Erduldung der Mühseligkeiten und des Hungers zu besiegen. Das Ergebniß war: Széchényi konnte anhaltender zu Fuße gehen, Wesselényi länger hungern. Dieses Wetteifern in wechselseitiger Abhärtung, dem auf dem Felde der Wissenschaften und Kenntnisse gleiche Kämpfe folgten, nährte die gegenseitige Freundschaft. Dabei lernte Wesselényi von seinem damaligen Freunde sehr viel, denn später entzweiten sie sich, aber auch als sie schon längst sich getrennt hatten, nannte er sich Széchényi gegenüber immer dessen „Schüler“ und ihn seinen „Meister“. Ueber die Ursache ihrer Entzweiung ist man nie recht klar geworden, doch scheint dieselbe überwiegend auf Széchényi zu fallen, der sich in Wesselényi seine politische Puppe zu erziehen gedachte, die ihre Bewegungen nach dem Drahte, den er zog, machen sollte, während er die alleinige Leitung der politischen Pläne sich vorbehielt, wozu sich aber jener, nachdem er seine Macht und seinen Einfluß kennen gelernt, nicht hergeben mochte. Széchényi selbst hat sich, als seine Entzweiung mit Wesselényi offen [156] vorlag, gegen einen seiner Freunde darüber ausgesprochen. „Zum Anführer“, sagte Széchényi, „zum leitenden Redner ist jetzt beim Magyaren, als einem orientalischem Stamme, der sich vorzüglich an Aeußerlichkeiten kehrt, nur ein Mann geeignet, der eine breite gedrungene Gestalt hat, stark wie ein Stier ist, von dessen donnernder Stimme die Fenster klirren; der schwülstig genug reden kann und überhaupt ein solches Aeußere besitzt, daß, wer von entfernten Gegenden kommt und in seine Augen blickt, unwillkürlich gezwungen ist, auszurufen: Das ist der mächtige, der würdevolle, der königliche Ungar. Ich besitze diese Eigenschaften nicht, und lange dachte ich darüber nach, wer unter unseren Umständen geeignet sei, mit der Leitglocke voranzugehen. Endlich fand ich Wesselényi. Es ist klar, daß er diese Eigenschaften in hohem Maße besitzt, und ich hoffte, daß wir uns verstehen würden. Ich täuschte mich! Und doch, was konnten wir Alles thun, wenn wir uns gegenseitig verstanden! Aber Wesselényi folgte seiner Eitelkeit, er wurde durch Applaus berauscht, er ist in die anstürmende Politik verliebt, er schwimmt immer gegen den Strom. Er schürt nur immer den Dampfkessel, ohne daß er das Ventil anbringen wollte, er suchte mehr zu glänzen als zu nützen.“ Auf dem Landtage 1830 beginnt Wesselényi’s einflußreiche Stellung, welche in den Jahren 1831 und 1833 fortdauert. Er war damals der leitende Oppositionsredner des Oberhauses; er sprach in Angelegenheit der Sprache, über Religionsfreiheit, verurtheilte die Reaction der hohen Geistlichkeit und vertheidigte die Gewissensfreiheit. Damals hatte eben die polnische Erhebung stattgefunden, anläßlich welcher er verlangte, daß die österreichische Regierung aus den Wällen der Neutralität heraustrete und der Beistand der polnischen Revolution werde! Das politische Ansehen Wesselényi’s wuchs, in jenen Tagen in solchem Grade, daß er, obgleich ein Mitglied des Oberhauses, der Führer der in beiden Häusern befindlichen Oppositionselemente wurde, indem er von freundschaftlichen Conferenzen aus, an denen die angeseheneren Deputirten theilnahmen, auch das Deputirtencorps leitete. Im Oberhause jedoch überflügelte er durch die Macht seiner Rede die übrigen Rivalen derart, daß er daselbst die Opposition nahezu dictatorisch beherrschte. Nun aber nahmen die politischen Verhältnisse in seinem Vaterlande Siebenbürgen seine Thätigkeit in Anspruch. Seit der Thronbesteigung Leopolds I. waren dort dann und wann Landtage einberufen worden, auf denen Wesselényi’s Vater, wie wir in dessen Lebensskizze berichteten, seine agitatorische Thätigkeit entfaltete. Der letzte siebenbürger Landtag war 1811 versammelt gewesen, nach einer Pause von 21 Jahren wurde nun wieder ein Landtag nach Klausenburg einberufen und die während derselben angesammelten Wünsche, Forderungen und Gravamina boten einem Manne von Wesselényi’s Schlage mehr als hinreichend Stoff, seine auf dem Preßburger Landtage gespielte Oppositionsrolle in nur schärferer Tonart in Klausenburg fortzuspielen. Und das that er auch redlich. Er ward im Udvarhelyer Stuhl von den Széklern, denen er aufs neue das erloschene Recht viritim zu stimmen erwirkt hatte, und die 8000 Mann stark zur Wahl sich einfanden, zum erblichen Abgeordneten gewählt und deshalb mit einem Stücke Grund, wozu jeder Székler einige Groschen beitrug, beschenkt, da im Széklerlande [157] nur ein Grundbesitzer Ablegat sein konnte. In Erwiderung auf diese Auszeichnung stiftete Wesselényi eine Schule in Udvarhely. Gleich bei Eröffnung des Landtages zeigte sich die Ungeberdigkeit Wesselényi’s, der, als er die Thür des ständischen Sitzungssaales geschlossen fand, mit seiner Faust an dieselbe zu pochen begann und mit jedem Schlage an die Menge sich wandte und entweder einen Witz gegen die Regierung machte, oder ein Gesetz gegen die falschen Rathgeber und die Verantwortlichkeit derselben vorlas! Man sieht, der Sohn war eine zweite, aber nicht bessere, nur schlimmere Auflage des Vaters. Infolge dieses Vorganges benachrichtigte der Landeskanzler, daß der Landtagssaal für die Nationalversammlung infolge höherer Verordnung für diesen Tag nicht geöffnet werde. Dadurch wurde die Stimmung nur noch gereizter. Als dann der Landtag begann, auf welchem Wesselényi ob der Unfähigkeit der Regierungspartei immer Oberwasser hatte, wurde sie auch nicht besser. Dazu kam noch, daß, als die Stände beschlossen, die Debatten unter dem Titel „Napló“, d. i. Tagebuch, abdrucken zu lassen, die Regierung es verbot. Als nun der Landtag gegen eine solche Willkür protestirte, begann Wesselényi den „Napló“ als Privatunternehmen in seiner eigenen Lithographie herauszugeben, mit der Behauptung, daß rechtmäßig keine Censur bestehe, und wenn auch über Druckereien Verordnungen erlassen wären, gegen Lithographien kein Verbot vorgezeigt werden könne. Man sieht, er hatte auf seinen Reisen in England wenigstens eines, die wörtliche Auslegung des Gesetzes, gelernt. Kaum aber waren etliche Bogen des lithographirten „Napló“ ausgegeben, als sich Beamte in seine Werkstätte verfügten und die lithographische Presse confiscirten. Und sonderbares Spiel des Schicksals: Nicolaus Wesselényi, der Sohn jenes Wesselényi, welcher in der Person eines anspruchslosen Kanzlisten die angegriffene Oeffentlichkeit heldenmüthig vertheidigt hatte, mußte nun von dem einstigen, mittlerweile Präsident gewordenen Kanzlisten, der 1794 wegen Führung eines Tagebuches beinahe aus dem Parlamentssaale gewiesen wurde, wegen Verletzung des Oeffentlichkeitsrechtes die Einberufung einer Landtagssitzung fordern. Die Verhältnisse gestalteten sich immer drohender, die Regierung glaubte militärische Hilfe heranziehen zu müssen; dann erschien ein Regierungsrescript, in welchem der Geist des Landtags strenge gerügt, die Constitution suspendirt, alle Civil- und Militärgewalt in die Hände des Erzherzogs gelegt, der Landtag aufgelöst und die Mitglieder der Gesetzgebung ernstlich verwarnt wurden, die Ordnung irgendwie zu stören. Gegen Wesselényi direct leitete man in kurzer Zeit zwei Processe ein, wegen Mißbrauches der Oeffentlichkeit und der Redefreiheit. Vor dem königlich siebenbürgischen Gerichtshofe wurde er der Lithographie wegen vorgeladen, an dem königlich ungarischen Gerichtshofe aber gegen ihn als Aufwiegler einer in der Szathmarer Congregation über erbliche Ablösung gehaltenen Rede wegen ein Hochverrathsproceß angestrengt. Der Ausgang dieser Processe war, daß ihn die ungarische Curie zum Kerker verurtheilte. Aber noch vor seiner Abführung in die Ofener Festung brach 1838 die furchtbare Pesther Ueberschwemmung aus, bei welcher der herkulische Wesselényi wahre Wunder der Kraft verrichtete, indem er zahllose Menschenleben [158] aus den Fluthen rettete und sich durch seinen Muth, seine Aufopferung und Rücksichtslosigkeit gegen sein eigenes Leben zur Rettung des Lebens Anderer zum „guten Genius“ der Hauptstadt erhob, in dem Augenblicke als seine Person dem Kerkermeister übergeben wurde. Aber mit seinem Namen waren nun nicht nur das Rettungswerk, geübt an vielen Armen und Verlassenen, sondern auch drei wichtige, das politische Leben betreffende Fragen, die Oeffentlichkeit, die Redefreiheit und die erbliche Ablösung so enge verknüpft, daß man es für räthlich hielt, den volksthümlichen Gefangenen nach kurzer Kerkerhaft zu benachrichtigen, es sei ihm gestattet, den Rest seiner Gefangenschaft seiner schweren Krankheit wegen, die ihn indessen befallen hatte, in Gräfenberg zuzubringen. Die Cur in diesem Bade, wo sich auch jenes merkwürdige Liebesverhältniß mit der kleinen Weberin, anfänglich dem Freiherrn selbst unbewußt, entspann, das dann mit einer Heirat in Zsibó, endete, hatte sein Leiden wohl gemildert, aber nicht geheilt. Er verbrachte dann ein paar Jahre im Auslande, bis ihm die auf dem 1839er Landtage erlassene Amnestie die Rückkehr nach Siebenbürgen gestattete. Nun aber befiel ihn eine infolge heftigen Blutandranges gegen das Gehirn eingetretene Blindheit, die wohl für einige Zeit gehoben wurde, aber infolge einer bei seinem Naturell leicht hervorgerufenen und furchtbaren Aufregung neuerdings und dann bleibend eintrat. Auch war von da ab der Freiherr immer mehr oder weniger leidend; wohl nahm er am öffentlichen Leben, soweit sein Zustand es erlaubte, noch immer Antheil, aber die Bewegung der Geister war bereits über ihn hinausgegangen, sein Name galt noch hoch im Lande, seine Rathschläge jedoch, als nicht immer zeitgemäß, fanden keine Beachtung. Auch durch die Presse suchte Wesselényi zu wirken, und es erschien: „Szózat a magyar és szláv nemzetiség ügyében“ (Leipzig 1843), wovon auch im folgenden Jahre eine deutsche Uebersetzung unter dem Titel: „Eine Stimme über die ungarische und slavische Nationalität“ (Leipzig 1844 [Pesth, Emich], gr. 8°.) ausgegeben wurde, in welcher er die Grundlinien seiner Politik aufstellte, deren Befolgung im März 1848 für die Gesammtmonarchie von Nutzen gewesen sein und viel Blutvergießen erspart haben würde; aber der Verbannte von Gräfenberg, der blinde Wesselényi war nicht mehr der Held des Tages, Andere führten das große Wort, und man zuckte über den philanthropischen Träumer nur mitleidig die Achseln. Wie sich indeß Wesselényi’s ungestümes Wesen im Laufe der Jahre, durch die Wirkung derselben wie durch sein Leiden und in der damit verbundenen Einsamkeit abgeklärt hatte, das ist eben aus dieser Schrift „Szózat“ ersichtlich, von welcher Csengery in seinem Werke „Ungarische Redner und Staatsmänner“ (Bd. I, S. 181–191) einen übersichtlichen Auszug gibt. Auch in den nächstfolgenden Jahren bis kurz vor Ausbruch der Revolution, während welcher der Freiherr auf seinem Schlosse Zsibó lebte, war er immer thätig und beschäftigte seinen Secretär unablässig vom Morgen bis zum Abend damit, freundschaftliche Briefe, Aufrufe, Zeitungsartikel, für Privathände bestimmte Abhandlungen und Parteimemoranden abzufassen; aber dies Alles hatte wieder auf die politischen Verhältnisse keine Wirkung, er selbst jedoch blieb trotz dieser deutlichen Zurücksetzung noch immer eines der eifrigsten Mitglieder der Opposition. War er schon bis dahin nur [159] wenig mehr beachtet worden, mit dem Fortschreiten der Revolution verhallte vollends die warnende Stimme des Propheten. Ja, die tiefste Demüthigung sollte ihm nicht erspart bleiben. Nachdem er eine Privatunterredung mit Kossuth, welche er gesucht, erlangt und in derselben alle seine Beredtsamkeit, die ihm zu Gebote stand, aufgeboten hatte, um die äußersten Schritte des Dictators hintanzuhalten, antwortete ihm dieser kalt: „Mit dem corpus juris könne man das Vaterland nicht retten, jetzt benöthige man anderer Ideen und anderer Männer.“ Solche Worte von dem Manne zu hören, der wegen unterschlagener Gelder in Haft gesessen und sich nun zum Volkstribun aufspielte, war für den rauhen, aber in seiner Ehre makellos dastehenden Magnaten zu viel. Mit Leuten, die einem Manne von diesem Schlage folgten, war nicht mehr zu pactiren; er erkannte es nun, daß seine Rolle ausgespielt sei. Nach der grauenvollen Ermordung Lamberg’s auf der Ofener Brücke verbannte sich der leidende Freiherr selbst aus Ungarn und begab sich nach Gräfenberg, wo er bis 1850 blieb. Als er dann in sein Vaterland zurückkehrte, befiel ihn auf dem Dampfschiffe, das ihn nach Ungarn bringen sollte, eine Lungenentzündung, der er, in Pesth angelangt, auch in kurzer Zeit erlag. Nach Csengery und Nagy ist also Wesselényi 1850 gestorben; woher Steger im achten Bande seiner „Ergänzungsblätter“ die Nachricht genommen, daß Wesselényi in Pesth am 21. April 1852 gestorben, wissen wir nicht. Außer dem schon erwähnten „Szózat“ hat der Freiherr noch herausgegeben: „Balitéletekről“, d. i. Vorurtheile (Bukarest 1833); – „A régi hires ménesek egyike megszünésének okairól“, d. i. Eine Ursache des Zugrundegehens der alten berühmten Stuten (Pesth 1820, und „Teerndők a lótenyésztés körül“, d. i. Interessen im Hinblick auf die Pferdezucht (Klausenburg 1847). Wesselényi hat sich, wie bereits erwähnt, erst in vorgerückteren Jahren mit Anna Lux, der Tochter eines schlesischen Webers verheiratet. [Vergleiche unter den denkwürdigen Sprossen der Freiherren von Wesselényi den Artikel Anna, S. 146[WS 1], Nr. 2] Aus dieser Ehe stammen zwei Söhne, Nicolaus und Béla. Die verwitwete Freifrau soll sich später wieder mit dem ungarischen Abgeordneten Ludwig Mocsáry [Bd. XVIII, S. 409] vermält haben. Nord sei zum Schlusse bemerkt, daß Wesselényi unter Ungarns Patrioten – wir sagen Patrioten, um sie von den Rebellen zu unterscheiden – also unter den Patrioten vom Schlage eines Franz Deák immer in hoher Achtung stand, und daß Letzterer selbst Wesselényi den Sohn: „Ungarns Regulus“ nannte.

Nicolaus (Sohn) Wesselényi’s Ansicht über Ungarns Verhältniß und nothwendige Stellung zu Deutsch-Oesterreich. Als sich im Jahre 1844 der Magyarismus durch den Panslavismus bedroht glaubte. veröffentlichte Wesselényi die Flugschrift: „Szózat a magyar és szláv nemzetiség ügyében“, d. i. Aufruf, betreffend die ungarische und slavische Nationalität. In dieser Broschüre findet sich folgende noch heute zutreffende und von den ungarischen Vollblutchauvinisten nicht genug zu beherzigende Ansicht eines Mannes, der zu Ungarns glühendsten Patrioten zählt: „Schwerlich gibt es einen Menschen, der, unsere inneren und äußeren Verhältnisse und Alles, was hierüber gesagt worden, erwägend, auch nur einen Augenblick daran zweifeln könnte, daß für den Ungar nirgend eine Hoffnung, eine Aussicht ist. als im Bunde mit dem deutschen Elemente. Nur durch ein festes Anschließen an dieses kann er hinlänglich erstarken, um der drohenden Gefahr zu widerstehen, und nur im Bündnisse mit [160] ihm kann er unter den europäischen Staaten einen Platz einnehmen, der seinem nationalen und bürgerlichen Wohlsein und seiner Ehre entspricht.“ – – „Die Herrschaft unseres Regentenhauses ist der enge Verband, der den Ungar an jenen Volksstamm und an jenes Element knüpft, das einzig und allein mit ihm verwandte Interessen hat und haben kann, und das deshalb auch sein natürlicher und ausschließlicher Bundesgenosse ist.“ – „Daß einzig der Deutsche unser wahrhafter und natürlicher Bundesgenosse ist, daß unsere Interessen verwandt sind, ist gegenwärtig eine unleugbare Wahrheit, eine unwiderlegbare Thatsache. Die Thatsache und die Wahrheit aber müssen eine entscheidende Macht auf die Ansichten und die Ueberzeugung, und hierdurch auf die Gemüther ausüben.“ So sprach – wenn das gesprochene Wort verhallt, das geschriebene bleibt – so schrieb ein Mann, dessen glühende Vaterlandsliebe und reiner Liberalismus erhaben über jeden Zweifel sind.
Quellen. Csengery (Anton). Ungarns Redner und Staatsmänner (Leipzig und Wien 1852, Manz, 8°.) Bd. I, S. 78–210. – Friedenfels (Eugen von). Joseph Bedeus von Scharberg. Beiträge zur Zeitgeschichte Siebenbürgens im neunzehnten Jahrhunderte (Wien 1876, Braumüller gr. 8°.) Bd. I, S. 59 bis 61, 65, 72; Bd. II, S 19, 163, 375. – Janotyckh von Adlerstein (Johann). Die letzten zwei Jahre Ungarns. Chronologisches Tagebuch der magyarischen Revolution (Wien 1850, J. P. Sollinger’s Witwe, 8°.) Bd. II, S. 77, 79, 137, 140; Bd. III, S. 39, 36, 146. – Illustrirte Zeitung (J. J. Weber in Leipzig, kl. Fol.) Bd. Il, S. 85. – (Kolatschek’s) Stimmen der Zeit, 1860, Bd. I, S. 173–181. – Literarische Berichte aus Ungarn über die Thätigkeit der ungarischen Akademie der Wissenschaften und ihrer Commissionen, des ungarischen Nationalmuseums u. s. w. Herausgegeben von Paul Hunfalvy (Budapesth, Franklin-Verein, gr. 8°.) Band I (1878), S. 167, 170. – Levitschnigg (Heinrich Ritter von). Kossuth und seine Bannerschaft Silhouetten aus dem Nachmärz in Ungarn (Pesth 1850, Heckenast, 8°.) Bd. II, S. 74 bis 81. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, gr. 8°.) 3. Aufl. Bd. XV, S. 709. – Springer (Anton Heinrich). Geschichte Oesterreichs seit dem Wiener Frieden 1809 (Leipzig 1865, Hirzel, gr. 8°.) Bd. I, S. 107, 286, 287; Bd. II, S. 525. – (Steger’s) Ergänzungsblätter zu jedem Conversationslexikon (Leipzig und Meißen, gr. 8°.) Bd. VIII, S. 223 [nach diesem gestorben in Pesth am 21. April 1852]. – Ungarns politische Charaktere. Gezeichnet von F. R. (Mainz 1851, J. G. Wirth Sohn, 8°.) S. 160. – Wirkner (Ludwig von). Meine Erlebnisse. Blätter aus dem Tagebuche meines öffentlichen Wirkens 1825–1852 (Preßburg 1879, gr. 8°.) S. 53. – Magyar irók arczképei és életrajzai, d. i. Ungarns Schriftsteller in Bildern und Biographien (Pesth 1858, Heckenast, kl. 4°.) S. 13. – Magyar irók. Életrajz-gyüjtemény. Gyüjték Ferenczy Jakab és Danielik József, d. i. Ungarische Schriftsteller. Sammlung von Lebensbeschreibungen. Von Jacob Ferenczy und Joseph Danielik (Pesth 1858, Gustav Emich, 8°.). Zweiter (den ersten ergänzender) Band, S. 373. – Vasárnapi ujsag, d. i. Familienblätter (Pesth, gr. 4°.) 15. Jänner 1860, Nr. 3: „Báró Wesselényi Miklós“.
Porträts. 1) Schöner Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners und Xylographen in großem Medaillon in den „Vasárnapi ujság“ vom 153. Jänner 1860, Nr. 3. – 2) Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners und Xylographen in der „Leipziger Illustrirten Zeitung“ 3. Februar 1844, Nr. 32, S. 85. – 3) Unterschrift: „Nicolaus von Wesselényi“, Stahlstich ohne Angabe des Zeichners und Stechers. Zu Meyer’s „Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände“ (1. Aufl.) Nr. 1369. – 4) Lithographie auf dem unter dem Titel: „Magyar irók arczképcsarnoka“ im Jahre 1857 erschienenen Gruppenbilde (in Folio) ungarischer Schriftsteller.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S. 136.