BLKÖ:Wessenberg-Ampringen, Johann Philipp Freiherr

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 55 (1887), ab Seite: 161. (Quelle)
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Wessenberg-Ampringen, Johann Philipp Freiherr (Staatsmann, geb. in Dresden November 1773, gest. zu Freiburg (Breisgau) 1. August 1858). Der Sproß eines altadeligen Schweizergeschlechtes, über welches S. 168 die Quellen Näheres berichten, war er ein Sohn des Freiherrn Philipp Karl, der in Dresden als k. k. österreichischer Gesandter weilte, und ein Bruder Ignaz Heinrichs, Bischofs von Constanz, dessen von Seite des päpstlichen Stuhles energisch angefochtene Bischofswahl den Streit zwischen diesem und dem Großherzogthume Baden zur Folge hatte, welcher auch durch die beiden Bullen vom 16. August 1821 (Provida solersque) und vom Jahre 1827 (Ad dominici gregis custodiam) nicht gelöst wurde, bis der hochsinnige Kirchenfürst ihn in seiner Weise zu Ende führte, indem er sein Bischofsamt selbst nicht mehr ausübte, sondern sieb in stiller Zurückgezogenheit zu Constanz der Wissenschaft und Werken der Wohlthätigkeit widmete. Die Jünglingsjahre verlebte Freiherr Johann Philipp in Elsaß und in Frankreich und eignete sich jene vollendete Kenntniß der französischen Sprache an, die ihm bei seiner späteren diplomatischen Laufbahn so zu Statten kam. Das Studium der Rechtswissenschaften begann er in Straßburg und beendete es in Freiburg. Die Mutter war schon frühzeitig dahingeschieden, und der Vater starb 1794, nachdem derselbe durch die französische Revolution alle Güter im Elsaß verloren und sein Vaterland verlassen hatte. So trat der verwaiste damals 21jährige Wessenberg als Assessor bei der vorderösterreichischen Regierung zu Constanz ein. Als 1797 Erzherzog Karl, leider zu spät, um die Unfälle seiner Vorgänger gut machen zu können, das Commando [162] der Armee in Italien übernahm, befand sich bei ihm im Hauptquartiere Graf Lehrbach als Armeeminister, und diesem wurde Wessenberg beigegeben, der nach Lehrbach’s baldiger Entfernung in selbständiger Stellung zurückblieb. Dieselbe war keine leichte, sah sich ja doch der Erzherzog selbst an die Wiener Ordres gebunden und in seiner Selbstständigkeit völlig gehemmt; unter solchen Verhältnissen lernte der Prinz die vielen Vorzüge Wessenberg’s kennen, welcher mit vielseitigen Kenntnissen eine Fülle gesunden Menschenverstandes und eine ungewöhnliche Beobachtungsgabe verband, dabei großen Geschäftseifer besaß, der nur übertroffen wurde von der Pünktlichkeit und Klugheit, womit der junge Diplomat die ihm gewordenen Aufträge ausführte. Alle diese Eigenschaften brachten denselben dem Erzherzoge näher. Es war, als Letzterer bei Ostrach, Stockach siegte und Jourdan über den Rhein und Masséna in blutiger Schlacht über die Limmat trieb, für Wessenberg eine schöne und lehrreiche Zeit, deren Bedeutsamkeit sich aber noch steigerte, als die Befehle von oben den Erzherzog in allen seinen Entwürfen hemmten, als die Tage von Engen und Möskirch, von Biberach und Memmingen, der Rückzug und Vernichtungsschlag bei Hohenlinden folgten. Wessenberg, Zeuge von Allem, stand nicht an, die volle Wahrheit über Alles, was er sah, nach Wien zu berichten, die Lage der Dinge zu schildern, anzugeben, was vor Allem noth thue, und bei seiner scharfen Beobachtungsgabe vorauszusagen, was kommen werde und müsse, wenn man nicht Abhilfe schaffe und das Nöthige vorkehre. Aber alle seine Berichte waren in den Wind geschrieben, es geschah – nichts. Am Tage des Waffenstillstandes von Steyr eilte er aus dem Hauptquartier nach Wien, wohin ihn der Erzherzog Karl, der wieder das Obercommando übernommen hatte, berief. Aber er sollte nicht bei dem Heldenprinzen bleiben, sondern ward im April 1801 zum Gesandtschaftssecretär ernannt, um in dieser Eigenschaft den Grafen Johann Philipp Stadion an den Berliner Hof zu begleiten. Schon im folgenden Jahre kehrte er aus Berlin zurück, ohne jedoch vorderhand eine Verwendung zu finden. Er benützte diese Dienstpause zu einer Reise nach Paris, wo ja eben damals Weltgeschichte in Großem gemacht wurde. Dort sah er noch im selben Jahre den Consul Bonaparte, den er kurz nach dem Frieden von Campoformio als mageren General in republicanischer Einfachheit getroffen hatte, in Pracht und Glanz sich bereits für die Kaiserrolle vorbereiten. Im August 1803 zum Gesandten der vereinigten Kreise von Franken und Schwaben mit dem Sitze in Frankfurt a. M. ernannt, kam er 1805 als Ministerresident nach Kassel. Ende October 1806 entwaffnete Marschall Mortier plötzlich die Kurhessen und erklärte dem Ministerresidenten Wessenberg mit ruhigem Hohne: Preußen stünde wider Napoleon im Felde, der Kurfürst wie dessen Sohn dienten im preußischen Heere, folglich könnten sie auch nur als preußische Generale behandelt werden. Da unter solchen Umständen der Freiherr weitere Gewaltthaten, die auch nicht ausblieben, nicht verhindern konnte, erbat er sich von Wien, indem ja seine Gegenwart in Kassel doch nutzlos sei, den weiteren Verlauf der Dinge in Frankfurt a. M. abzuwarten, und forderte von General Lagrange, dem vorläufigen Administrator des neuen Beutestückes der napoleonischen Dynastie, seine Pässe. Er erhielt dieselben, jedoch [163] erst, nachdem er von Lagrange wegen einiger Kisten mit angeblichen Kostbarkeiten des Kurfürsten von Hessen, welche in seiner Wohnung deponirt gewesen, empörend beschimpft und mit dreitägigem Hausarrest unter strengster Bewachung bedacht worden war. Derart waren die diplomatischen Artigkeiten, welche sich die Repräsentanten der europäischen Höfe von der Soldatesca des siegreichen Corsen gefallen lassen mußten. Indessen begann man in Deutschland über das napoleonische Erdrückungs- und Aussaugungssystem doch allmälig zu denken, und der König von Preußen hatte dem Wiener Cabinete Aussichten eröffnen lassen, daß er im Falle eines neuen Krieges mit Napoleon zu Oesterreich stehen werde. Graf Stadion, der frühere Gesandte in Berlin, war nunmehr österreichischer Minister des Aeußern und trug sich mit dem Gedanken, den Entscheidungskampf abermals aufzunehmen, und zwar in großartigerem Maßstabe, als es bisher geschehen. Nun glaubte er in Wessenberg, den er ja aus der Zeit seiner Gesandtschaft in Berlin kannte, den Mann gefunden zu haben, der den König Friedrich Wilhelm III. zu definitiven Zusagen und zu einer Verständigung über den zu eröffnenden Kriegsplan zu bestimmen vermöchte. Oesterreich schlug vor, Preußen solle Norddeutschland von den Franzosen säubern und durch kräftiges Auftreten zwischen Elbe und Rhein Napoleon verhindern, abermals mit der vollen Wucht seiner Macht in das Herz Oesterreichs sich einzukeilen. Am 28. Februar 1809 kam Wessenberg in Berlin an; aber der König konnte sich nicht entschließen, aus Königsberg in seine Hauptstadt zurückzukehren, wie er es auch nicht für rathsam fand, daß der österreichische Gesandte zu ihm nach Königsberg reise. Diese Zaghaftigkeit Friedrich Wilhelms wurde aber nicht von der preußischen Armee getheilt, in welcher Männer wie Scharnhorst, Tauentzien und Andere damals höhere Posten bekleideten. Mit diesen Männern knüpfte nun Wessenberg einflußreiche Verbindungen an. Er verfaßte zwei Denkschriften, in welchen er mit den schlagendsten Gründen auseinandersetzte, daß Preußens thätige Parteinahme für Oesterreich schon im Interesse der Selbsterhaltung beider Staaten eine unausbleibliche Nothwendigkeit sei. Eines dieser Memoires wurde von Borstell, dem Lieblingsadjutanten des Königs, das andere von Scharnhorst demselben vorgelegt. Schill’s Erhebung und der Sieg des Erzherzogs Karl bei Aspern, welcher den bisherigen Wahn von Napoleons Unbesiegbarkeit glänzend widerlegte, Alles schien zusammenzuwirken, um Wessenberg’s Erfolg zu sichern. Oberst von Steigentesch eilte narb Königsberg, und Wessenberg besaß bereits die Vollmacht, mit Preußen ein förmliches Bündniß zu verhandeln und abzuschließen. Da kam die Schlacht von Wagram, und neuer Schrecken und neue Lethargie traten an die Stelle der früheren Entschlüsse. Aber der Freiherr bewahrte seinen Standpunkt: ja nicht in diesem Augenblick von Napoleon den Frieden zu erflehen, sondern vielmehr alle Kraft auf neue Rüstungen zu verwenden. Der Einzelne vermochte nicht gegen den Strom zu schwimmen. Der Friede von Schönbrunn wurde (14. October 1809) abgeschlossen, durch den Oesterreich ein Gebiet von 2000 Quadratmeilen und seine Verbindung mit dem adriatischen Meere verlor. Nun gab es für Wessenberg auch in Berlin nichts mehr zu thun, erschien doch Oesterreich [164] nicht minder gedemüthigt als Preußen, wenn es auch gerade kein Jena erlebt hatte. Er erbat sich Urlaub und verließ im Juli 1810 Berlin. Im Frühjahr 1811 trat er als Stadion’s Nachfolger den Gesandtschaftsposten in München an, und waren es seine Klugheit und sein Freimuth, die den ersten Grund zur Versöhnung beider Höfe legten. Nach den Unfällen des französischen Heeres in Rußland richteten sich die Augen der österreichischen Patrioten nächst Stadion auf Wessenberg, der Grund genug hatte, die Satrapenwirthschaft des corsischen Despoten zu hassen; bewahrte ihn ja doch nur die äußerste Klugheit und Freundschaft des französischen Gesandten in Berlin, des Grafen Saint Marsan, der zu gleicher Zeit mit ihm in Berlin weilte, vor der empfindlichsten Compromittirung, vielleicht vor einem Wetterstrahl, wie ihn Napoleon seinerzeit aus Madrid gegen den nommé Stein geschleudert hatte. In München nun befand sich Freiherr Wessenberg auf dankbarerem Boden, da er dadurch, daß er die Beziehungen der beiden Regentenhäuser zu einander wohlwollender gestaltete, selbst eine persona grata wurde. In München blieb er bis Anfang Februar 1813, worauf er eine Mission nach London erhielt, um England zur thätigen Theilnahme wider den Corsen zu bewegen, was ihm auch gelang. Als er dann 1814 vom Grafen Meerveldt auf seinem Londoner Posten abgelöst wurde, begab er sich ins Hauptquartier der Alliirten – hatte aber in der Zwischenzeit eine kurze Haft in Napoleons Hauptquartier zu bestehen, der ihn dann durch einen Obersten vom Generalstabe und durch einen Trompeter zu den österreichischen Vorposten geleiten ließ. Und so war Wessenberg der letzte Diplomat des Auslandes, welcher mit dem „Manne des Jahrhunderts“ in persönliche Berührung kam. Beim Pariser Friedensschlusse half er mit und wirkte ebenso bei dem Wiener Congresse 1815 in hervorragender Weise. Als Oesterreichs Repräsentant im deutschen Ausschuß bekämpfte er den Vorschlag, Deutschland in Kreise einzutheilen, dagegen wollte er einen Bund, der stark sein und zugleich die Selbstständigkeit der Einzelstaaten nicht gefährden sollte. Sein Entwurf einer Bundesverfassung diente als Grundlage der Bundesacte. Ihm hauptsächlich war es auch mit zu verdanken, daß das Veltlin an Oesterreich kam und Maria Luise das Herzogthum Parma zu lebenslänglichem Besitz erhielt. Er half die territorialen und staatlichen Verhältnisse des lombardisch-venetianischen Königreiches feststellen und organisiren und arbeitete für seinen Kaiser auch einen Bericht über die Kunstschätze Oberitaliens aus. Indessen war er noch immer am bayrischen Hofe beglaubigt und vertrat nach dem Wiener Congresse die Kaiserstadt in Frankfurt bei den Verhandlungen, welche die Territorialverhältnisse vollends regelten und mit dem Generalreceß vom 20. Juni 1819 endeten. Nun zog sich Wessenberg aus „Gesundheitsrücksichten“ in die Stille des Privatlebens zurück. Die „Gesundheitsrücksichten“ waren aber nichts weiter als eine stillschweigende Demonstration gegen den Gang, welchen seit 1816 die deutschen Angelegenheiten mehr und mehr genommen hatten. Wie jeder bedeutende Mensch, der über das Commißmaß der Gewöhnlichkeit reicht und noch dazu ein ehrlicher Kerl ist, was freilich sich gar selten beisammen findet, hatte auch Wessenberg seine Gegner, und dies umsomehr, [165] da es eine Partei gab, die noch immer gern Zwang und Dunkel den Völkern gegenüber angewandt wissen wollte. So machte denn auch seine wiewohl bedingte Vertheidigung der Preßfreiheit, noch mehr aber der Artikel 13 wegen der landständischen Verfassung ihn seiner Gegenpartei im höchsten Grade mißliebig, und es war auch vorauszusehen, daß ohne bittere Noth schwerlich mehr von ihm die Rede sein dürfte. Aber diese Noth trat ein, und der Nachhall der Julikanonen von 1830 rief unseren Diplomaten aus dem Stillleben wiederum in den activen Dienst des Kaiserstaates. Die Brüsseler August-Revolution in ihren Folgen hatte den Gesandtschaftsposten im Haag zu einem momentan äußerst wichtigen gemacht. Wessenberg erhielt denselben im September genannten Jahres und fuhr bald darauf über den Canal, um als Oesterreichs zweiter Repräsentant an den Londoner Conferenzen Theil zu nehmen. Neben Palmerston, Talleyrand und Matuszewicz verhandelte er, aber er sollte seine Aufgabe nicht zu Ende bringen. Seine Anschauungsweise der Sachlage stimmte nicht vollkommen mit der in Wien herrschenden überein. Man warf ihm vor, mit der Unterzeichnung eines gewissen auf die Regelung der Verhältnisse[WS 1] zwischen Belgien und Holland sich beziehenden Protokolls seine Instruction überschritten zu haben. Er kehrte also 1831 frühzeitig wieder in sein Stillleben nach Freiburg zurück. Dahin folgte ihm die Freundschaft des Königs der Belgier, welcher mit ihm einen Briefwechsel unterhielt, dem nur der Tod ein Ende bereiten konnte. So lebte Wessenberg viele und glückliche Jahre des Alters, beschäftigt mit Besorgung seiner häuslichen Angelegenheiten, einer ausgedehnten Correspondenz, mit Wohlthun, mit schriftstellerischen Arbeiten, mit Unterhaltungen in kleinen, aber gewählten Kreisen. So erreichte er das 75. Jahr, als 1848 die Februartage in Paris kamen und ihnen die Märztage in Wien folgten. Ihm fiel nun im Greisenalter die undankbare Rolle zu, der Nachfolger Ficquelmont’s im äußeren Amte Oesterreichs zu werden. Wie verkommen die österreichische Presse in ihrer erst gewordenen Freiheit eben war, zeigte sich in den ebenso ungerechten als pöbelhaften Angriffen auf den greisen Diplomaten, von dessen Vorleben sie auch keine Ahnung hatte. Man vergaß in dem damaligen Chaos ganz, daß nur die Liebe für den Kaiserstaat und dessen erhabenes Regentenhaus den Greis zu bestimmen vermochte, die Muße eines ungetrübten, an geistigen Genüssen reichen Privatlebens mit der Dornenkrone eines Ministerpräsidenten und Ministers des Auswärtigen zu vertauschen und damit wohl den größten Fehler seines langen Lebens zu begehen, und zwar mit klarem Bewußtsein. Die bisherigen Versuche, Wessenberg’s Lage und Wirken während der wenigen Monate des Jahres 1848 zu schildern, in welchem er das Staatsschiff im tobendsten Sturme aufrecht zu halten und einem sicheren Hafen zuzusteuern trachtete, sind wegen des Mangels an authentischen Materialien gescheitert. Er selbst hat sehr schätzbares Material mit den weiter zu erwähnenden Briefen an Isfordink-Kostnitz geliefert. Daß er die Erwartungen der Revolution nicht befriedigte, begreift sich um so leichter, als er ja nach Kräften gegen dieselbe wirkte und nur mit knapper Noth dem Schicksale, „latourisirt“ zu werden, entging. In höheren Regionen soll er die Ueberzeugung geltend gemacht haben: die beste [166] Bürgschaft für Oesterreichs Zukunft liege einerseits im innigen Verbande mit Deutschland, dem damals die Slaven widerstrebten, andererseits im Festhalten einer weisen Repräsentativverfassung. „Nur meine geschwächten Kräfte erlauben es mir nicht“, wie es in seinem Entlassungsgesuch heißt, „dem Staate weiter zu dienen, da dieselben unter den gegenwärtigen Umständen nicht mehr genügen dürften. Mein Programm ruhte auf dem Gedanken, die Monarchie auf constitutioneller Grundlage zu befestigen. Dieses Programm war, ich darf es behaupten, der Ausdruck der Gesinnungen des Monarchen, dem die Völker Oesterreichs ihre Freiheiten verdanken.“ Den komischen Zwischenfall, daß man den scheidenden Staatsmann durch Verleihung des Großkreuzes des Leopoldordens ehren wollte, aber noch zu rechter Zeit in Erfahrung brachte, daß er seit mehr als einem Menschenalter das Großkreuz des Stephansordens, also des höheren, bereits besaß, berichtet Herr von Helfert, und ebenso daß in Ermanglung einer Auszeichnung für den scheidenden Staatsmann ihm der Monarch in Person einen Abschiedsbesuch abstattete, eine Ehre, die ja doch jeden Orden aufwog. Felix Fürst Schwarzenberg wurde Wessenberg’s Nachfolger. Der greise Staatsmann aber kehrte in sein liebes Freiburg zurück, wo es ihm gegönnt war, noch ein volles Jahrzehnt sich in ungetrübtem stillen Glücke seinen geistigen Genüssen hingeben zu können. Kurz vor seinem Tode beglückte ihn noch ein Besuch des Erzherzogs Johann, „den er weit länger als ein halbes Jahrhundert persönlich kannte und verehrte, und welchem er in den drangvollsten Perioden der Geschichte der Neuzeit zur Seite gestanden“. Am 30. Juli 1858 beschenkte er, der immer ein Wohlthäter der Nothleidenden und Armen gewesen, den Freiburger Sterbe-, Kranken- und Witwencassenverein mit tausend Gulden, am folgenden Tage, am 1. August, schloß er für immer seine Augen. Wessenberg’s Leiche wurde seinem Willen gemäß in der Familiengruft zu Feldkirch beigesetzt. Wir haben oben seiner schriftstellerischen Thätigkeit gedacht und kommen darauf hier zurück. In französischer und deutscher Sprache ging aus seiner Feder eine Reihe von Abhandlungen und kleineren Schriften hervor, die ein ebenso wichtiges als belehrendes Material für den Forscher der Geschichte unserer Zeit, für Staatsmänner, Finanzmänner und Nationalökonomen bilden. Davon hat er nur das Wichtigere, und dies allein für Freunde, aber nie für die allgemeine Oeffentlichkeit im Druck erscheinen lassen. Wir nennen davon seinen: „Commentar zu einem Theil der Denkwürdigkeiten des Marschalls Marmont. Von einem Zeitgenossen“ (1857); ferner seine „Souvenirs de voyage“, dann „Souvenirs d’un séjour à Paris durant l’hiver de 1802 à 1803“, da er als Gesandtschaftssecretär ohne Verwendung den unfreiwilligen Urlaub in Paris verlebte; weiter eine kürzere Skizze über des Publicisten Gentz Charakter und Leistungen; und „Feuilles détachées de l’album d’un homme retiré du monde“, eine Sammlung in Larochefoucauld’s Weise gehaltener Aphorismen und Sentenzen, ein wahrer Schatz von ebenso geistvollen als scharfsinnigen Beobachtungen und Maximen. In seinem Nachlasse befand sich überdies ein reiches Material von Aufsätzen über Politik und Finanzwissenschaft, sowie für die Geschichte werthvollster Aufzeichnungen aus seinem eigenen in die wichtigsten Zeitverhältnisse eingreifenden Leben. [167] Decennien nach seinem Tode erschienen „Briefe von Johann Philipp Freiherrn von Wessenberg aus den Jahren 1848–1858 an Isfordink-Kostnitz, österr. Legationsrath a. D.“, 2 Theile (Leipzig 1877, Brockhaus, gr. 8°.), welche eine Fülle des interessantesten Materials, vornehmlich für Oesterreichs Geschichte in dessen wichtigster Zeit: in den ersten Decennien nach dessen Befreiung aus den Fesseln planmäßiger Verdummung, enthalten. Wessenberg hatte sich frühzeitig, schon Ende 1803, als er den Gesandtschaftsposten der vereinigten Kreise von Franken und Schwaben bekleidete, alle aristokratischen Bedenken niederschlagend, mit einer Bürgerlichen, mit Maria Gertrude geborenen Muhlens, der Tochter eines reichen Frankfurter Banquiers und Finanzrathes des Kurfürsten von Trier, vermält. Die hohe Aristokratie und Diplomatie stellte sich wohl sehr verschnupft über diese Heirat des jungen Diplomaten – es war ja noch im Jahre 1803, in welchem die Fürsten und Grafen noch nicht schöne Schauspielerinen und reiche Judentöchter zum Altare führten – man zuckte in diesen Kreisen der Auserwählten wohl die Achseln über diesen Liberalismus des jungen Diplomaten, der allen Traditionen zuwider einen solchen Schritt that; aber Wessenberg führte eine langjährige glückliche Ehe und verlor erst wenige Jahre vor seinem Tode, der ihn im seltenen Alter von 85 Jahren den Lebenden entriß, seine Gattin. Aus seiner Ehe hatte der Freiherr einen Sohn und zwei Töchter. Sein Sohn Heinrich (geb. 1811) vermälte sich mit Ludovica, Tochter des Freiherrn Lambert von Schauenburg zu Gaisbach und starb am 5. April 1848, aus dieser Ehe eine Tochter Olga (geb. 1836, †) und einen Sohn Philipp Heinrich (geb. 1837, †) hinterlassend. Von seinen Töchtern verehelichte sich die ältere, Ludovica, 1830 mit Georg Friedrich Alexander Grafen von Blankensee und starb 1840; die jüngere, Henriette (geb. 20. December 1807), heiratete am 20. Jänner 1827 Clemens Wenzel Grafen Boos von Waldeck, kaiserlich preußischen Major und Schloßhauptmann von Coblenz. Die Geschwister des Freiherrn Johann Philipp waren: Maria Walburga (geb. 1787), gestorben als Stiftsdame zu Andlau; Johann Nepomuk Alois, welcher als Domherr zu Basel, und Ignaz Heinrich (geb. 4. November t 774), der als gewählter Erzbischof von Freiburg – welche Würde er aber nie antrat und als Generalvicar von Constanz am 9. August 1860 das Zeitliche segnete. Des Letzteren wurde schon Eingangs dieser Lebensskizze gedacht.

Die Bibliothek des Freiherrn Johann Philipp von Wessenberg. Der Freiherr besaß eine reiche Sammlung meist historischer und staatswissenschaftlicher Werke, welche er in seinen hohen diplomatischen Stellungen allmälig und mit besonderer Auswahl erworben hatte. Dieselbe – etwa 5000 Bände stark – war in dem bei Freiburg im Breisgau gelegenen Schlosse Feldkirch aufgestellt. Wie Graf Clothar Blankensee-Firks, königlich preußischer Generalmajor a. D., der sie im Jahre 1877 auf Rath des Professors Dr. Geffken in Straßburg der dortigen Universitätsbibliothek zum Geschenke machte, zum Verfügungsrechte über sie gelangte, ist uns nicht bekannt. Jedenfalls hatte Oesterreich größeres Anrecht darauf, da Freiherr von Wessenberg nur in Oesterreichs Diensten gestanden.
Ueber den russischen Feldzugsplan im Jahre 1812. Aus Wessenberg’s Memoiren erfahren wir folgende interessante Thatsache. Der eigentliche Urheber des Kriegssystems der Russen, welches dieselben mit so grauenerregendem Erfolge gegen Napoleon im [168] Jahre 1812 in Anwendung brachten, ist ein Deutscher, und zwar General Phull, ein geborener Württemberger, der im preußischen Heere gedient, dasselbe aber 1806 verlassen hatte und Lehrer des Kaisers Alexander in der Kriegskunst geworden war. Allerdings wurde Phull’s Plan nicht vollständig in Ausführung gebracht und sein Urheber selbst von der Eifersucht der russischen Generale dermaßen verfolgt, daß Kaiser Alexander ihn von sich entfernen mußte. Daß die Russen es nicht gerne hören. wenn ein solches Verdienst, durch das ihr Land in gefährlichster Krise gerettet worden, einem Deutschen zugeschrieben wird, begreift sich leicht; aber dies ändert an der Thatsache nichts. Daß Phull der Retter gewesen, bestätigt dessen eigener Zögling, der Kaiser Alexander, in einem Briefe aus Frankfurt a. M. vom 12. December 1813, in welchem es wörtlich heißt: „Mais je vous dois plus encore: c’est vous qui avez conçu le plan qui, avec l’aide de la Providence, a eu pour suite le salut de la Russie et pour résultat celui de l’Europe.“ Das klingt doch deutlich genug und sollte den Russen im Gedächtnisse bleiben, die Alles, was sie an Cultur besitzen. den Deutschen und sich allein den Nihilismus verdanken.
Quellen zur Biographie. Abendblatt der Wiener Zeitung, 10. August 1858, Nr. 181: „Vom Rhein“ [nach dieser gest. 2. August 1858]. – Conversations-Lexikon der neuesten Zeit und Literatur. In vier Bänden (Leipzig 1834, Brockhaus, gr. 8°.) Bd. IV, S. 916 [nach diesem geb. 1775]. – Helfert (Jos. Alex. Freiherr von). Die Thronbesteigung des Kaisers Franz Joseph I. (Prag 1872, Tempský) [oder die Geschichte Oesterreichs vom Ausgange des Wiener Octoberaufstandes 1848. III. Theil] S. 47, 57, 291, im Anhang S. 129, 130. – Derselbe. Der ungarische Winter-Feldzug und die octroyirte Verfassung. December 1848 bis März 1849 (Prag 1876. 8°.) S. 143, 147, 151; Anhang S. 84. – Derselbe. Die Wiener Journalistik im Jahre 1848 (Wien 1877, Manz, gr. 8°.) S. 235. [Wir erfahren an dieser Stelle die haarsträubende Aeußerung Hermann Jellinek’s, der den Minister Wessenberg einen Volksverräther[WS 2] nannte. Was waren dann Jellinek und Consorten?] – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. I. Weber, Fol.) Bd. XXXVI, 18. December 1858, Nr. 807, S. 398 und 402. – Lebensbilder aus dem Befreiungskriege. I. Ernst Friedrich Herbert Graf von Münster. Zweite verm. Aufl. Erste Abthlg. (Jena 1845, Fromman, gr. 8°.) S. 482. – Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart (Leipzig 1860, Karl B. Lorck, 4°.). Erste Serie, Sp. 823. – Reichstagsgalerie. Geschriebene Porträts der hervorragendsten Deputirten des ersten österreich. Reichstages (Wien 1849, Jasper, Hügel und Manz, 8°.). Drittes und viertes Heft, S. 83. [In dieser Silhouette oder Charakteristik, deren Verfasser zu den Stimmführern und Tonangebern des Jahres 1848 zählte, hat denselben alle bessere Einsicht, an der es ihm sonst nicht gebricht, völlig verlassen.] – Schlosser. Geschichte des achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Sturze des französischen Kaiserreichs (Heidelberg 1849, Mohr, 8°.) 3. Aufl.. Bd. VII, S. 516, 858, 864, 969, 1136, 1201. – Springer (Anton Heinrich). Geschichte Oesterreichs seit dem Wiener Frieden 1809 (Leipzig 1865, Hirzel, gr. 8°.) Bd. I, S. 360; Bd. II, S. 523, 524. – Vehse (Eduard). Oesterreichs Hof und Adel (Hamburg, Hoffmann und Campe, kl. 8°.) Bd. X, S. 78, Anmerkung. – (Wigand’s) Conversations-Lexikon für alle Stände (Leipzig, Otto Wigand, gr. 8°.) Bd. XV, S. 164 [nach diesem geb. 1775].
Porträt. Trefflicher und sehr ähnlicher Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners und Xylographen in der Leipziger „Illustrirten Zeitung“, 1858, Nr. 807.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verhältnsse.
  2. Vorlage: Volksverräher.