Das Heidelberger Schloß

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Textdaten
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Autor: Karl Emil Otto Fritsch
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Titel: Das Heidelberger Schloß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 128–132
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Das Heidelberger Schloss wurde 1689-1693 zerstört; seitdem gab es viele Bestrebungen, das Schloss wiederaufzubauen
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[128]

Das Heidelberger Schloß.

Ein Wort für dessen Wiederherstellung.

„Alt Heidelberg, du feine,
Du Stadt an Ehren reich!“[WS 1]

„Deutsche Renaissance“ heißt heute das Schlagwort, wo immer von den Bestrebungen der Baukunst und des Kunstgewerbes die Rede ist. Die phantasievollen Schöpfungen jener Frühlingszeit deutschen Geistes, von der Ulrich von Hutten sagt: „O Jahrhundert, die Geister erwachen; die Studien blühen; es ist eine Lust zu leben!“[WS 2] – jener Zeit des Humanismus und der Reformation, welche zugleich die Zeit Dürer’s[WS 3] und Holbein’s[WS 4] war – sie sind den Künstlern unserer Tage wieder Vorbild und Leitstern geworden. Mit rastlosem Eifer wird aus den Bibliotheken hervorgesucht, was an künstlerischen Entwürfen jener Tage sich gerettet hat, werden die noch erhaltenen Baudenkmäler deutscher Renaissance aufgesucht, studirt, gemessen und gezeichnet. Und betrachtet man die Umwälzungen, die auf Grund dieser Bewegung in dem Aussehen unserer Städte, in unsern Wohnungen und an unserem Geräth sich bereits vollzogen, ermißt man den gewaltigen Fortschritt, den das Kunstvermögen unseres Volkes hierbei gemacht, so wird man nicht daran zweifeln können, daß die Kunst jener Zeit ein dem Genius der deutschen Nation besonders zusagendes Element enthalten muß und daß mit dem Wiederanknüpfen an dieselbe endlich die Grundlage für eine nationale Entwickelung unserer Kunst gefunden worden ist.

Rudolfs-Bau. Dicker Thurm. Bandhaus. Friedrichs-Bau. Neuer Hof. Otto-Heinrichs-Bau. Achteckiger Thurm. Ludwigs-Bau.
Der Schloßhof zu Heidelberg im Jahre 1683. Nach der Radirung von Ulrich Kraus.

Es hat diese Erscheinung um so mehr etwas Wunderbares, als vor anderthalb Jahrzehnten von einer solchen Bewegung noch keineswegs die Rede war. Kaum von wenigen Künstlern und Kunstfreunden gewürdigt, von der großen Menge vergessen und übersehen, wurden die Denkmäler deutscher Renaissance, die heute unser Stolz und unsere Freude sind, fast ebenso gering geschätzt, wie man früher in dem dünkelhaften Bewußtsein, einen „gereinigten Stil“ zu besitzen, auch die erhabenen Schöpfungen mittelalterlicher Baukunst als „barbarisches Schnörkelwerk“ verachten zu können glaubte.

Nur ein Bauwerk jener Periode hat in dieser Beziehung eine Ausnahme gemacht; nur eines ist dem deutschen Volk von jeher theuer gewesen: das Schloß zu Heidelberg!

Freilich haben noch andere Ursachen mitgewirkt, um der ehemaligen Residenz der pfälzischen Kurfürsten eine derartige bevorzugte Stellung anzuweisen. Für Tausende von deutschen Männern aus allen Gauen des Vaterlandes war und ist das Bild des Schlosses unlöslich verknüpft mit der Erinnerung an das fröhliche Burschenleben, das ihnen einst in dem alten Musensitze am Neckar geblüht hat. Sie alle sind begeisterte Verkünder seines Ruhmes geworden, dem vor einigen Jahrzehnten in Victor Scheffel sogar ein eigener gottbegnadeter Sänger erstanden ist. Und seine wesentlichste Begründung findet dieser Ruhm des Heidelberger Schlosses in dem unvergleichlichen malerischen Reize der an hohem waldgeschmücktem Bergabhange belegenen Stätte.

Aber abgesehen hiervon und von dem imposanten Eindrucke, den das Ganze hervorruft, sind es in erster Linie doch die künstlerisch werthvollen Bautheile, die den eigenartigen Vorzug des Heidelberger Schlosses bilden und die ihm den Ruf der schönsten unter allen Ruinen verschafft haben. Wer empfänglichen Sinnes den Schloßhof betreten hat und sein Auge über [129] die in großartigen Verhältnissen aufragenden, das reichste plastische Leben athmenden Façaden des Otto-Heinrichs- und des Friedrichs-Baues schweifen ließ, er mußte unwillkürlich der weihevollen Empfindung sich hingeben, daß diese Leistungen zu den vornehmsten und besten gehören, die jemals von Menschenhand geschaffen wurden.

Natürlich hat sich diese künstlerische Bedeutung des Heidelberger Schlosses, der eine charakteristische Anerkennung namentlich durch die 1859 in Paris erschienene prächtige Publication R. Pfnor’s[WS 5] zu Theil geworden ist, noch mehr gesteigert, nachdem die Bauweise, zu deren classischen Beispielen es gehört, neues Leben gewonnen hat. Es ist seither das beliebteste Studienobject unserer Architekten und Architektur-Bildhauer geworden und wird für immer eine Fundgrube bleiben, aus der dieselben frische Anregung für ihr Schaffen und Streben schöpfen. Und mehr und mehr wächst auch im ganzen Volke das Bewußtsein, daß wir in diesem Denkmal deutscher Renaissance ein nationales Kleinod besitzen, dessen glückliche Rettung, wenn auch nur als Ruine, wir nicht dankbar genug preisen können.

Das Heidelberger Schloß der Gegenwart.
Photographische Aufnahme von Römmler in Dresden für K. E. O. Fritsch: „Denkmale deutscher Renaissance“.[WS 6]

Leider wird die Freude an unserem Kleinod durch die Sorge um seine Zukunft getrübt; denn seitdem feindliche Kugeln und Pulverminen und die zerstörende Macht des Feuers den herrlichen Fürstensitz in eine Trümmerstätte verwandelt, haben Sturm und Wetter, Regen und Frost, haben die Wurzeln des auf dem Gemäuer entsprossenen Pflanzenwuchses nicht umsonst an seinem Mark gezehrt.

Noch stehen die stolzen, des schützenden Daches beraubten Mauern, aber ihr festes Gefüge wird bereits bedenklich gelockert. Noch entzückt uns die Pracht der architektonischen Gliederung, des Ornaments und Figurenschmucks, aber langsam bröckelt der Stein an diesen plastisch vortretenden Theilen ab, und schon fängt so manche Form sich zu vermischen an. Derartige Zerstörungen schreiten bekanntlich oft in ungeahnt schneller Steigerung vorwärts. Wer kann es wissen, ob nicht schon unsere Enkel den völligen Untergang so mancher Theile des Baues zu beklagen haben werden!

Eine solche Gefahr ist zu ernst, als daß sie nicht schon längst die Gedanken der für das Schicksal des Heidelberger Schlosses zunächst besorgten Künstlerschaft erregt und dieselbe zur Erörterung der Frage veranlaßt haben sollte, ob und mit welchen Mitteln ihr am wirksamsten begegnet werden könne. Es ist jedoch klar und ist auch von jener Seite niemals verkannt worden, daß eine solche Frage, an welcher das gesammte deutsche Volk betheiligt ist, nicht anders als vor dem Forum eben des Volkes entschieden werden darf, weil die Nation als solche am ersten in der Lage ist, dem gefährdeten Bauwerke dauernden Schutz angedeihen zu lassen.

Vor einem weiteren Eingehen in jene Frage sei mir jedoch an der Hand der hier mitgetheilten Abbildungen ein Blick auf die Geschichte des Bauwerkes gestattet!

Der Ursprung der Stadt und des Schlosses Heidelberg reicht bis in das zwölfte Jahrhundert zurück und wird von dem Burgbaue abgeleitet, den Conrad von Hohenstaufen,[WS 7] Friedrich Barbarossa’s Bruder, im Jahre 1147 auf einer der höchsten Kuppen des am linken Neckarufer emporsteigenden Gebirgszuges errichtete. Den hohenstaufischen Pfalzgrafen folgten als Landesherren und Besitzer der Burg Fürsten aus dem Welfen-, dann aus dem Wittelsbacher Hause. Einer der Letzteren, Rudolph der Erste († 1319)[WS 8] fügte jenem ersten, später durch eine Pulverexplosion zerstörten Sitze eine Unterburg hinzu, für welche ein etwa in der Mitte der Berglehne vorspringender Hügel ausgewählt wurde.

Ein vermuthlich aus dieser ersten Anlage des gegenwärtigen Schlosses stammendes Gebäude, das jedoch möglicher Weise erst von Pfalzgraf Rudolph dem Zweiten († 1351)[WS 9] gegründet wurde, ist in dem auf der Westseite des Schlosses thurmartig aus dem [130] Walle aufragenden Rudolphs-Bau bis heute erhalten. Von verhaltnißmäßig schlichter architektonischer Fassung, enthielt derselbe – soweit sich dies bei dem zerstörten Zustande des Innern erkennen läßt – neben einem größeren Saale zumeist kleinere, offenbar zu Wohnzwecken dienende Räume.

Anspruchsvoller schon tritt der an die Südostecke des Rudolphs-Baues anstoßende Ruprechts-Bau auf, den Pfalzgraf Ruprecht, der zweite deutsche König aus dem Hause Wittelsbach († 1410),[WS 10] wahrscheinlich zu dem Zwecke errichtet hat, um für die gesteigerten Bedürfnisse seiner königlichen Hofhaltung Raum zu gewinnen. Prächtige Säle, darunter der hochgepriesene „Königssaal“, erfüllten das Innere. Von der zu einem kleinen Theile erhaltenen künstlerischen Ausstattung des Aeußeren hat die „Gartenlaube“ in einem früheren Jahrgange (1877, S. 451[WS 11]) ein anmuthiges Schlußsteinmotiv bildlich dargestellt.

In dem an die andere Ecke der Hoffront des Rudolphs-Baues sich lehnenden Gebäude, dem sogenannten „Bandhause“ (so benannt, weil es im vorigen Jahrhunderte eine Faßbinderwerkstatt enthielt), hat man früher mit Unrecht die Reste der mittelalterlichen Capelle erblicken wollen, die Pfalzgraf Ruprecht der Erste[WS 12] schon 1346 dem Schlosse hinzugefügt hatte – eine so wohl dotirte Stiftung, daß sie Papst Julius der Dritte für die reichste Capellmeisterei in ganz Deutschland erklären konnte. Diese Capelle dürfte in Wirklichkeit ebenso verschwunden sein, wie alle anderen Nebengebäude, mit denen jedenfalls schon im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert der ganze Schloßhof umbaut war und die demnächst allmählich der Baulust späterer Herrscher weichen mußten. Seine letzte Gestalt hatte das Bandhaus, das wie der Ruprechts-Bau hauptsächlich den Zwecken festlicher Repräsentation gedient haben dürfte, erst nach dem Dreißigjährigen Kriege erhalten.

Mittelalterlichen Ursprungs ist dagegen noch ein Theil der trotzigen Festungswerke, welche einst das Schloß vertheidigten. Kurfürst Friedrich der Siegreiche (1449 bis 1475),[WS 13] der die schöne und geistvolle Hofsängerin Clara Dettin von Augsburg[WS 14] sich zur Gemahlin erkoren hatte und seinen Kurhut gegen die Acht des Kaisers zu behaupten wußte, gilt für den Erbauer des mit sechs Meter starken Mauern aufgeführten mächtigen Südostthurms, der nunmehr schon seit zweihundert Jahren den Namen des „Gesprengten Thurms“ führt.

Der größere Theil der Festungswerke des Schlosses entstammt freilich erst der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts und der energischen Bauthätigkeit, durch welche die Kurfürsten Ludwig der Fünfte (1508 bis 1544)[WS 15] und sein Bruder Friedrich (1544 bis 1556)[WS 16] dem Sitze ihrer Väter eine neue Gestalt gaben.

Pfalzgraf Ludwig, aus den Fehden mit Franz von Sickingen[WS 17] und dem Bauernkriege bekannt, vervollständigte die Befestigungen der Südseite durch den großen Wartthurm, der mit dem Brückenhause den Haupteingang zum Schloßhofe sicherte, und durch den an der Südwestecke errichteten Ludwigs-Thurm. Er erbaute auch die mächtigen Batterien der Westseite, die an der Nordwestecke in dem dicken Thurm ihren Abschluß fanden.

Pfalzgraf Friedrich ergänzte in derselben Weise die Werke der Ostseite durch den Bibliothekthurm und den an der Nordwestecke liegenden achteckigen Thurm, dessen hoher die Gesammt-Silhouette dominirender Aufbau die Glocken des Schlosses enthielt.

Denselben Fürsten gehören überdies namhafte Theile der eigentlichen Schloßgebäude an: dem Pfalzgrafen Ludwig der vom Eingänge bis zum Bibliothekthurm sich erstreckende, allerdings vorwiegend für untergeordnete Zwecke bestimmte Ludwigs-Bau, dem Pfalzgrafen Friedrich der an den achteckigen Thurm sich anschließende, auf der Nordseite belegene Neue Hof. Beide Bauten waren verhältnißmäßig immer noch einfach gehalten – der Ludwigs-Bau im Wesentlichen noch gothisch, der Neue Hof mit seinen nach dem Schloßhofe geöffneten Arcaden bereits in den Formen der Renaissance.

Das reichere Leben der entwickelten Renaissance in den Schloßbau einzufügen und denselben damit zugleich in die Reihe der hervorragendsten Kunstbauten zu versetzen, war erst dem Nachfolger Friedrich’s des Zweiten, Pfalzgraf Otto Heinrich,[WS 18] vorbehalten. Der Otto-Heinrichs-Bau, die Perle unter den Gebäuden des Heidelberger Schlosses, füllte die Lücke zwischen dem Ludwigs-Bau und dem Neuen Hofe aus. Leider ist uns der Name des Architekten, der das Meisterwerk geschaffen, nicht überliefert worden. Dagegen ist durch einen glücklichen Zufall die Entdeckung gelungen, daß die herrlichen Bildhauerarbeiten des Baues von Alexander Colius aus Mecheln[WS 19] herrühren, der bekanntlich auch unter den Meistern des Maximilian-Denkmals in Innsbruck[WS 20] rühmlichst genannt wird.

War die erste Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts für das Schloß eine Zeit kräftigster Bauthätigkeit gewesen, so ruhte diese in den nächsten vierzig Jahren vollständig. Erst 1601 ließ Kurfürst Friedrich der Vierte,[WS 21] der Gründer der Stadt Mannheim, auf der Nordseite des Schloßflugels, im Anschluß an den Neuen Hof, einen zur Aufnahme der Schloßcapelle und der kurfürstlichen Wohnung bestimmten Palast, den Friedrichs-Bau, errichten, der bereits 1607 zur Vollendung kam und 1608 durch die Anlage des ihm vorgelegten großen Schloß-Altans eine stattliche Ergänzung erhielt. Dem Otto-Heinrichs-Bau an gothischem Reiz nachstehend, ist der Friedrichs-Bau, von dessen Baumeistern ebenfalls nur der Schöpfer des bildnerischen Schmucks, Sebastian Götz aus Chur, bekannt ist, gleichwohl eines der charaktervollsten und tüchtigsten Werke deutscher Renaissance, das auf die neue Entwickelung dieses Stils fast einen größeren Einfluß ausgeübt hat, als jener. Unter allen bisher besprochenen Bauten ist er in Verbindung mit dem Schloß-Altan zugleich diejenige Anlage, bei welcher auf die herrliche Umgebung des Bauwerks, wie es scheint, zuerst bewußte Rücksicht genommen wurde.

In noch höherem Grade geschah dies bei denjenigen Bauten, welche Pfalzgraf Friedrich der Fünfte, der „Winterkönig“,[WS 22] von 1612 bis 1618 seiner Gemahlin, Elisabeth von England,[WS 23] zu Liebe aufführen ließ. Durch den als Erfinder der Idee der Dampfmaschine bekannten normännischen Ingenieur Salomon de Caus[WS 24] wurden, mit Aufopferung eines Theils der Festungswerke, rings um das Schloß die prachtvollsten, mit allen Künsten eines raffinirten Geschmacks gezierten Gartenanlagen geschaffen. Auf dem am weitesten nach der Stadt vorspringenden Punkte des Schlosses, dem dicken Thurm, wurde ferner ein großartiger Festsaal errichtet und dieser durch einen neuen Flügel, den englischen oder Elisabeth-Bau, eine im Aeußeren einfache, im Inneren aber um so prunkendere Palastanlage, mit den übrigen Bauten in Verbindung gesetzt.

Die von Friedrich dem Fünften in’s Leben gerufenen Werke waren noch nicht ganz vollendet, als der Dreißigjährige Krieg ausbrach, der den unglücklichen Fürsten zunächst zu jenem kurzen Königstraum nach Böhmen, dann aber als landlosen Flüchtling in die Fremde trieb, aus der nach dem Westfälischen Frieden erst sein Sohn wiederum als Herrscher in die alten Stammlande und zum Sitz der Ahnen zurückkehrte.

Das Schloß war in den Stürmen des Krieges zwar zweimal vom Feinde heimgesucht und seiner kostbarsten Schätze – vor Allem der Bibliothek – beraubt, aber doch nicht so arg beschädigt worden, daß nicht eine Wiederherstellung möglich gewesen wäre, und so prangte die kurfürstliche Residenz bald wieder in ihrer allen Pracht als das reichste und schönste Fürstenschloß Deutschlands, mit dem selbst in ganz Europa nur wenige wetteifern konnten.

Es sind namentlich aus dieser letzten Glanzzeit des Heidelberger Schlosses mehrere Abbildungen erhalten, die uns im Verein mit dem von Salomon de Caus über den kurfürstlichen Garten herausgegebenen Werke und mehreren älteren Schriften eine anschauliche Vorstellung von der in ihrer Art einzigen Anlage gewähren: die bekanntesten in M. Merian’s illustrirter Beschreibung der Pfalz,[WS 25] die schönste die von Ulrich Kraus im Jahre 1683 herausgegebene Radirung, von welcher der beigefügte Holzschnitt ein verkleinertes Facsimile ist.

Sechs Jahre später, 1689, war all diese Herrlichkeit und mit ihr die Blüthe der gesegnetsten Gaue Deutschlands durch die Mordbrennerbanden vernichtet, die Ludwig der Vierzehnte[WS 26] von Frankreich ausgeschickt hatte, um die angeblichen Erbansprüche der an seinen Bruder vermählten pfälzischen Fürstentochter Elisabeth Charlotte[WS 27] geltend zu machen. Was der Verwüstung noch Widerstand geleistet hatte, fiel einer zweiten französischen Heimsuchung im Jahre 1693 zum Opfer; der furchtbaren Gewalt des Pulvers konnten selbst solche gewaltige Werke, wie die Festungsthürme Friedrich’s des Streitbaren und Ludwig’s des Fünften, nicht widerstehen.

Zum Glück war die Arbeit der Zerstörer hier wie anderwärts doch nicht so gründlich, daß nicht wenigstens einzelne Theile [131] der Bauten erhalten geblieben wären. Ja, es gelang sogar einige derselben – den Friedrichs-Bau mit dem Faßgebäude, den Neuen Hof, den Otto-Heinrichs-Bau und Theile des Ludwigs-Baues – zur Noth wiederum in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen, sodaß der Hof zeitweise nach Heidelberg zurückkehren konnte. Aber die Freude an ihrer alten Residenz war den pfälzischen Wittelsbachern verleidet, und 1721 erkor sich Kurfürst Karl Philipp[WS 28] Mannheim endgültig zur neuen Hauptstadt.

Kurze Zeit bevor der letzte Herrscher von Kurpfalz, Karl Theodor,[WS 29] die Erbschaft der ausgestorbenen älteren Linie seines Geschlechtes antrat und nach München übersiedelte, soll er die Absicht gehabt haben, seinen Sitz wiederum im Heidelberger Schlosse zu nehmen. Ein durch einen Blitzstrahl entzündeter Brand, der am 24. Juni 1764 den achteckigen Thurm, den Neuen Hof und den Otto-Heinrichs-Bau wiederum zu Ruinen machte, vereitelte diesen Plan und besiegelte das Schicksal des Schlosses auf lange Zeit.

Grundriß des Heidelberger Schlosses.

Ueber ein Menschenalter hinaus war dasselbe nunmehr völliger Verwahrlosung preisgegeben. Zu den Elementen gesellte sich als Zerstörer noch der brutale Eigennutz Derer, welche die Schutzlosigkeit der Ruine dazu ausbeuteten, um hier in bequemer Weise Steinmaterial zu gewinnen. Wie zum Ersatze dafür nahm die Natur allmählich wieder Besitz von der verlassenen Stätte. Grüner Rasen, Büsche und Bäume entsproßten in den wüsten Gärten und Höfen wie innerhalb der dachlosen Paläste, und mitleidig deckte der Epheu die offenen Wunden des Mauerwerks mit seinem üppigen Laube. – Etwas bessere Ordnung wurde geschaffen, als im Jahre 1804 Heidelberg zu dem neu errichteten Großherzogthum Baden geschlagen wurde.

Im Schloßgarten wurde eine forst-botanische Anstalt für die Universität eingerichtet, das Schloß selbst wieder in Obhut genommen. Ja selbst an mehreren umfangreichen Reparaturen und Versuchen zur Wiederherstellung einzelner Theile hat es nicht gefehlt, seitdem der wachsende Ruhm der Ruine alljährlich viele Tausende von Reisenden gen Heidelberg führt, Wallfahrer, deren Beiträge zum Zweck der Herstellung der Ruine verwendet werden konnten. In Gemeinschaft mit den Organen der Regierung läßt sich außerdem der unterhalb der Bevölkerung Heidelbergs entstandene „Schloßverein“ die Sorge um das kostbarste Besitzthum des Ortes angelegen sein.

Aber so dankenswert diese dem Denkmal wiederum zugewendete Pflege auch ist, und wie viel des plötzlich drohenden Unheils durch sie bereits mag verhütet worden sein, so hat sich doch in technischen Kreisen die Ueberzeugung immer entschiedener Bahn gebrochen, daß es nur ein einziges Mittel giebt, um die künstlerisch werthvollen Theile des Heidelberger Schlosses vor dem Untergang zu retten: die Wiederherstellung derselben in ihrem ursprünglichen Zustande. Und für die Wahl dieses Mittels kann ich auch an dieser Stelle nur aus vollem Herzen werben.

Als vor geraumer Zeit der angesichts so manches anderen ähnlichen Unternehmens – vor Allem der Vollendung des Kölner Doms – jeweilig nahe liegende Gedanke einer Wiederherstellung des Heidelberger Schlosses zum ersten Male ausgesprochen wurde, hat er freilich nur geringe Sympathie gefunden. Das geistige Leben der Nation lag damals noch gar zu sehr im Banne der romantischen Strömung, die – aus dem ohnmächtigen Darniederliegen des Vaterlandes geboren – mit den Träumen von der Herrlichkeit alter Zeiten unwillkürlich die Resignation verband und in elegischen Empfindungen schwelgte. Man schwärmte noch immer für Ruinen, und den poetischen Zauber, der die Heidelberger Schloßruine umwebt, durch eine Restauration antasten zu wollen, mußte als ein geradezu barbarisches Verfahren erscheinen.

Dank den großen Ereignissen, welche mit dem Selbstbewußtsein unserer Nation ihre Thatkraft so mächtig erregt haben, ist jene kränkliche Stimmung heute schon stark geschwunden. Die Bestrebungen, das Heidelberger Schloß wieder herzustellen, haben seit Jahren nicht mehr geruht, und namentlich ist es Herr Bildhauer Anton Scholl in Mainz gewesen, der unermüdlich in diesem Sinne gewirkt hat. Der Heidelberger Schloßverein, die großherzogliche Regierung, vor Allem aber der Großherzog von Baden selbst, sind seinen Bestrebungen mit größtem Wohlwollen entgegen gekommen. Aber obgleich die Kosten eines derartigen Unternehmens in dem Umfange, der dafür angemessen erscheint, keineswegs allzu bedeutende – im Vergleiche zu den Baukosten des Kölner Domes sogar geringe – sein dürften, so kann dem kleinen badischen Lande doch unmöglich zugemuthet werden, dieselben allein zu tragen. Als die einzig mögliche und einzig würdevolle Lösung erscheint es vielmehr, daß die gesammte deutsche Nation das Werk auf sich nehme.

In dieser Auffassung hat im Herbst des vorigen Jahres die in Hannover tagende fünfte Generalversammlung des mehr als sechstausend Mitglieder umfassenden Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine einstimmig den Beschluß gefaßt, für die Wiederherstellung des Heidelberger Schlosses, als eine Ehrenpflicht des deutschen Volkes einzutreten. Der Aufruf schließt mit den Worten:

„Dieses Kleinod deutscher Baukunst zu retten und es in seiner Neugestaltung zu einem Denkmal der wieder gewonnenen Macht und Größe des Vaterlandes, des wieder erwachten Kunstsinns unserer Nation zu weihen, erscheint als eine Pflicht des gesammten deutschen Volkes, weil es eine dem gesammten Deutschland in der Zeit seiner tiefsten Ohnmacht zugefügte Schmach war, daß [132] feindlicher Uebermuth den kunstgeschmückten Fürstensitz frevelhaft zerstören durfte.

Die fünfte Generalversammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine glaubt zunächst ihre Aufgabe erfüllt zu haben, wenn sie auf’s eindringlichste an diese Ehrenpflicht erinnerte. In welcher Weise eine solche Wiederherstellung des Heidelberger Schlosses einzuleiten und wie die werkthätige Teilnahme des deutschen Volkes für dieselbe zu gewinnen sei, überläßt sie mit vollstem Vertrauen der Initiative der Großherzoglich badischen Regierung, deren treuer Fürsorge es allein zu danken ist, daß dem gänzlichen Verfall des Bauwerks bisher nach Möglichkeit gesteuert wurde.

Sie hat mit Freude von den Schritten Kenntniß genommen, welche bereits von anderer Seite in gleichem Sinne – vorläufig zur Herbeiführung einer gründlichen fachmännischen Untersuchung des Bauwerks und zur Aufstellung eines Restaurations-Entwurfs – geschehen sind, und sie ersucht den Vorstand des Verbandes, so weit es in seiner Macht steht, diese Schritte aus’s wärmste unterstützen zu wollen.“

Dieser von allen Seiten auf’s günstigste aufgenommene Aufruf, dem auch der Vorstand der „Deutschen Kunstgenossenschaft“ und die Generalversammlung des „Verbandes deutscher Geschichtsvereine“ zugestimmt haben, enthält in gedrängter Form alles, was sich zur Sache sagen läßt, und es scheint kaum notwendig, für ihn an dieser Stelle mit weiteren Gründen zu plaidiren.

Nur eines seltsamen Einwandes gegen die Wiederherstellung des Baues mag hier noch gedacht werden: man hat sich Skrupel darüber gemacht, was in Zukunft mit dem wieder hergestellten Schlosse angestellt werden solle. Darauf ist einfach zu entgegnen, daß man derartige Restaurationen in erster Linie als Selbstzweck ausführt. An einer würdigen Bestimmung des Schlosses wird es trotzdem nicht fehlen, ohne daß man es zu Fremdenzimmern für Touristen einzurichten braucht – sei es, daß man es nach dem Vorschlage, den Levin Schücking bereits beiläufig in der „Gartenlaube“ geäußert hat (vergl. die Erzählung „Recht und Liebe“, Jahrgang 1882, S. 252), dem deutschen Kaiser als Sommerresidenz anweist, sei es, daß es dem großherzoglich badischen Herrscherhause zu seiner Verfügung bleibt, sei es, daß man es zu einem Museum weiht.

Ich schließe mit dem lebhaften Wunsche, daß man vor allen Dingen eine Entscheidung über das Schicksal dieses Denkmals deutscher Baukunst recht bald herbeiführen möge. In drei Jahren wird man zu Heidelberg das 500-jährige Jubiläum der Universität feiern – in sechs Jahren kehrt der 200-jährige Jahrestag der Zerstörung des Baues durch die Franzosen wieder. Um wie viel glänzender würde jenes ausfallen, wenn die Festgenossen schon auf einen Anfang der Herstellungsarbeiten am Schlosse blicken könnten; um wie viel stolzer könnten wir an dem Tage der Schmach die Vergangenheit gegen die Gegenwart Deutschlands abwägen, wenn bereits einer der vor 200 Jahren verwüsteten Theile des Schlosses wieder in alter Herrlichkeit prangte! Mittel und Wege, um zu diesem Ziele zu gelangen, werden sich von selbst finden, wenn nur der Wunsch, es zu erreichen, allgemein lebendig geworden ist.

Mögen die Leser der „Gartenlaube“ dazu beitragen, daß es also geschehe! An sie Alle, Alle richte ich meine innige Fürbitte für das Kleinod deutscher Renaissance!

K. E. O. Fritsch.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. aus „Alt-Heidelberg“, dem Studentenlied von Joseph Victor von Scheffel. Siehe Wikipedia
  2. aus einem Brief Ulrich von Huttens (lateinischer Dichter und Reichsritter, 1488-1523) an den Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer (1470-1530) vom 25.10.1518
  3. Albrecht Dürer (1471-1528), deutscher Maler der Renaissance
  4. Hans Holbein der Jüngere (1497-1543), deutscher Maler der Renaissance
  5. Rudolf Pfnor (1824-1909), französischer Autor der mehrbändigen Reihe „Chateaux de La Renaissance“ („Schlösser der Renaissance“), darunter „Monographie du château de Heidelberg“ („Monographie über das Heidelberger Schloß“) von 1859. UB Heidelberg
  6. Karl Emil Otto Fritsch: Denkmäler deutscher Renaissance. 1882. Das Foto stammt von Römmler & Jonas
  7. Konrad der Staufer (1134-1195), Pfalzgraf bei Rhein
  8. Rudolf I. (1274-1319), Pfalzgraf bei Rhein
  9. Rudolf II., (1306-1353), Pfalzgraf bei Rhein
  10. Ruprecht (1352-1410), Kurfürst der Pfalz
  11. Vorlage: S. 751
  12. Ruprecht I. (1309-1390), Kurfürst der Pfalz
  13. Friedrich I. (1425-1476), Kurfürst der Pfalz
  14. Clara Tott (1440-1520)
  15. Ludwig V. (1478-1544), Kurfürst der Pfalz
  16. Friedrich II. (1482-1556), Kurfürst der Pfalz
  17. Franz von Sickingen (1481-1523)
  18. Ottheinrich (1502-1559), Kurfürst der Pfalz
  19. Alexander Colin (1527-1612), flämischer Bildhauer
  20. siehe Grabmal Kaiser Maximilians I.
  21. Friedrich IV. (1574-1610), Kurfürst der Pfalz
  22. Friedrich V. (1596-1632), Kurfürst der Pfalz
  23. Elisabeth Stuart (1596-1662)
  24. Salomon de Caus (1576-1626), französischer Ingenieur
  25. Heydelberg, in Matthäus Merian: Topographia Palatinatus Rheni. 1645
  26. Ludwig XIV. (1638-1715), König von Frankreich
  27. Liselotte von der Pfalz (1652-1722)
  28. Karl III. Philipp (1661-1742), Kurfürst von der Pfalz
  29. Karl Theodor (1724-1799), Kurfürst von der Pfalz