Das weibliche Schönheitsideal

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Autor: Ernst Eckstein
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Titel: Das weibliche Schönheitsideal
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 236–239
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das weibliche Schönheitsideal.

Von Ernst Eckstein.


Die Weisen und Schriftgelehrten haben jahrhundertelang an dem Problem der Körperschönheit im allgemeinen und an dem der weiblichen Schönheit im besondern herumgetastet, ohne etwas Vernünftiges und Erbauliches zu Tage zu fördern. Erst der deutschen Philosophie neuesten Datums ist der Nachweis gelungen, daß Körperschönheit in letzter Linie gleichbedeutend mit Zweckmäßigkeit ist.

Man braucht sich angesichts dieser These durchaus nicht dem Eindruck zu überlassen, als sei nun etwa die unverwelkliche Wunderblume des Liebreizes und der Anmut schnöde zerpflückt und ein für allemal ihres ambrosischen Duftes beraubt. Ganz und gar nicht! Der ewige Frühling des Menschenherzens wird durch die klare Erkenntnis der hier einschlägigen Fragen ebenso wenig beeinflußt wie der Naturgenuß durch die Chemie und Physik. Umflammt etwa das leuchtende Morgenrot denjenigen, der da begreift, auf welchen physikalischen Vorgängen diese Erscheinung beruht, weniger zauberisch als den Unwissenden? Oder wirkt vielleicht der herbstliche Wald mit seinem unvergleichlichen Farbenspiel minder nachhaltig auf mein Gemüt, weil ich mir vom Naturforscher sagen lasse, die Pracht dieser gelb und hochrot glühenden Wipfel sei erzeugt durch das Schwinden des Chlorophylls in den Blattzellen?

Streng genommen besitzt freilich jeder einzelne Mann sein besonderes weibliches Schönheitsideal, das Ideal nämlich desjenigen Weibes, dessen körperliche und seelische Eigenschaften zu den seinigen die vollkommenste und zweckmäßigste Ergänzung bilden – dem Dichterworte entsprechend: „Wo Starkes sich und Mildes paarten, da giebt es einen guten Klang.“ Gewisse Züge indes dürften so ziemlich bei jedem dieser Einzelideale sich wiederfinden – und von diesen gemeinschaftlichen Zügen sei hier die Rede.

Urbedingung für jedes weibliche Schönheitsideal ist die Forderung, daß in der Körperentwicklung, zumal in dem Knochenbau, nirgends sich eine Hemmung zeige. Ob der Einzelne daher für ein hochgewachsenes oder ein zierliches Weib schwärme: darin stimmen die Männer aller Nationen und aller Zeiten ausnahmslos überein, daß keinerlei Abnormität gestattet sei.

Vollzählige, gleichmäßige, hellblinkende Zähne sind schön, weil sie zweckmäßig sind. Ihr Vorhandensein gewährleistet nämlich die möglichst vollständige Zerkleinerung der Speisen und hierdurch eine für das Gedeihen des Organismus vorteilhafte Ernährung.

Ein plastisch gerundeter Arm ist schön, weil er zweckmäßig ist. Rundung ist Muskelfülle; Muskeln sind Arbeitskraft, Fähigkeit, etwas zu leisten, sich im Kampfe ums Dasein „durchzuschlagen“. Es thut hierbei nichts zur Sache, daß unsere Kulturverhältnisse die Damen vielfach der Arbeitsnotwendigkeit überheben. Unser Instinkt – und nur der Instinkt giebt in Fragen der Schönheit sein Urteil ab – steckt tief im Boden der unverfälschten Natur; er bleibt unabhängig von den Zufälligkeiten der äußeren Schicksalsgestaltung.

Eine metallreiche, klare, bewegliche Stimme ist schön, weil sie zweckmäßig ist. Sie verbürgt die normale Entwicklung der Atmungsorgane. Außerdem aber drückt sich in den Modulationen der Stimme das geistig und seelisch Zweckmäßige aus. Eine Frauenstimme von wohlthuender Tonfülle deutet auch auf eine angenehme Persönlichkeit. Zänkische, unangenehme Weiber werden in allen Litteraturen der Welt als Geschöpfe mit gellender, keifender oder knurrender Stimme geschildert.

Auch bei den Einzelheiten des Angesichts läßt sich Zweckmäßigkeit nachweisen, wo wir Schönheit empfinden, wenn es sich hier auch vielfach nicht um die Frage des unmittelbaren Gedeihens, sondern um jene seelische Zweckmäßigkeit handelt.

Wann sind weibliche Augen schön? Die Farbe hat hier offenbar nur eine Bedeutung zweiten Rangs; die Vorliebe für blaue Augen, die sich in dem später zu behandelnden germanischen Schönheitsideal ausspricht, hängt meines Erachtens mit dem rein zufälligen Umstand zusammen, daß der blond-rosige germanische Typus, der aus sonstigen Gründen bevorzugt wird, fast durchgehends Augen von blauer Farbe aufweist. Die allbekannten Verse des Mirza-Schaffy sind denn auch schwerlich mehr als eine artige Spielerei:

„Ein graues Auge,
Ein schlaues Auge;
Auf schelmische Launen
Deuten die Braunen;
Des Auges Bläue
Bedeutet Treue;
Doch eines schwarzen Aug’s Gefunkel
Ist stets, wie Gottes Wege, dunkel.“

Das Endscheidende für das Empfinden des Mannes ist vielmehr nicht die Farbe des Augapfels, sondern die Gestaltung und das Spiel der das Auge umgebenden Weichteile – mit anderen Worten: der Blick, der Ausdruck. Alle Männer sind wohl darüber einig, daß ein weibliches Auge nur dann schön ist, wenn etwas Schönes, d. h. im Sinne unserer Erörterung Zweckmäßiges aus ihm redet – Eigenschaften der Seele nämlich, die im Kampfe ums Dasein vorteilhaft sind. Nichts ist häßlicher als ein geistlos und starr blickendes Auge, sei es von noch so leuchtender Vergißmeinnichtfarbe. Klugheit aber, zärtliche Sanftmut, maßvolle Energie, Fähigkeit im Erdulden, harmloser Frohsinn, Schalkhaftigkeit, Humor – all diese Dinge verleihen dem Auge, selbst bei unscheinbar gefärbter Iris, den Ausdruck der Schönheit, denn all diese Dinge sind zweckmäßig.

Was von dem Auge und seinem Zubehör – dem Lid, den Wimpern, den Brauen – gilt, das gilt ebensosehr von dem Mund als dem „sprechendsten“ Teile des Angesichts. Man vergesse hier nicht, daß just in der Mundpartie gewisse nachmals stehend gewordene Züge vielfach nur als das Endergebnis oft wiederholter Bewegungen angesehen werden müssen. Wer unter stark verstimmenden Eindrücken oder aus Gründen des Temperamentes häufig die Mundwinkel hängen läßt, der bekommt mit der Zeit jenen unauslöschlichen Zug von Verdrossenheit, der uns allen so häßlich erscheint, weil er auf eine höchst unzweckmäßige Veranlagung des Gemüts deutet. Mut, Ausdauer, Wohlwollen, Güte einerseits und Zaghaftigkeit, Leichtsinn, Menschenhaß, Bosheit anderseits sprechen sich in der unteren Gesichtshälfte und namentlich in den Zügen des Mundes mit verblüffender Deutlichkeit aus. Nichts bezaubert daher den Mann so unmittelbar wie ein weibliches Lächeln, das jene zweckmäßigen Gemüts- und Charaktereigenschaften unbewußt zur Enthüllung bringt.

Nach allem Vorstehenden wird uns auch einleuchten, warum mit dem weiblichen Schönheidsideal der Begriff der Jugend so unzertrennlich verbunden ist. Die Züge seelischer Zweckmäßigkeit können auch im späteren Alter vorhanden sein; die leibliche aber kommt vornehmlich zur Geltung in jener kurzen, flüchtigen Blütezeit, die wir „Jugend“ nennen.

Da die Verhältnisse, unter denen das Menschengeschlecht sich entwickelt, nicht von heute auf morgen wechseln, so werden die leiblichen und geistigen Eigenschaften, die heute im Kampf ums [237] Dasein zweckmäßig – also schön – sind, nicht morgen bereits ihre Zweckmäßigkeit eingebüßt haben. Mit andern Worten: das weibliche Schönheitsideal, wie es den klugen, unverkünstelten, leiblich und geistig gesunden Männern vorschwebt, kann der Mode des Tages in allen wesentlichen Punkten nicht unterstellt sein, denn es deckt sich durchaus mit dem vollendeten Typus der Gattung. Trotzdem giebt es ein Scheinideal, das von dem echten durch eigentümliche Uebertreibung gewisser Züge sich unterscheidet und, eben weil hier die Mode mitspricht, allerlei Schwankungen durchmacht. Der unverfälscht empfindenden Minderheit erscheint alsdann der Geschmack, der sich in diesem Scheinideal ausdrückt, krankhaft, naturwidrig, thöricht: aber die Minderheit kommt nicht immer zum Wort, so daß die Täuschung entsteht, als sei eine ganze Nation oder ein ganzes Zeitalter auf ästhetischen Irrwegen, was zweifelsohne kaum irgend jemals der Fall war. Verirrung in diesem Sinne darf man natürlich nicht die Schwärmerei anderer Völker und Rassen für ihr weibliches Schönheitsideal nennen. Das weibliche Schönheitsideal des Kongonegers deckt sich naturgemäß mit dem vollendeten Typus der Kongonegerin. Der Kongoneger findet die breite Stülpnase, die aufgeworfenen Lippen, die zurückfliegende Stirne seiner Stammesgenossin ganz mit dem nämlichen Rechte schön wie der Kaukasier das Antlitz der capuanischen Venus. Nur wir haben beim Anblick auch der tadellosesten Kongonegerin die Empfindung, daß sie vom weiblichen Schönheitsideal abweicht, weil nämlich unser Ideal ein wesentlich anderes ist als das des Kongonegers. Um diese Rassenverschiedenheit handelt es sich hier nicht, sondern um augenscheinliche Abtrünnigkeiten vom kaukasischen Schönheitsideal innerhalb der kaukasischen Welt, um Anschauungen, welche im Hinblick auf den wirklichen Typus der Gattung als barbarisch charakterisiert werden müssen.

In die Reihe der hier gemeinten Verirrungen gehört vorab die modische Wespentaille. Es darf ausdrücklich betont werden, daß sich die Frauen weit öfter und weit entschiedener für dies Scheinideal begeistern als die Männer, deren Urteil doch aus begreiflichen Gründen in Fragen der weiblichen Schönheit den Ausschlag giebt. Die Wespentaille ist unschön, weil sie zweckwidrig ist. Daß trotzdem der Modegeschmack – im Widerspruch mit dem Naturgeschmack, der gleichzeitig allen wirklichen Kunstschöpfungen zu Grunde liegt – diese unschöne Wespentaille zum Nachteil des frei entwickelten Oberkörpers bevorzugt, das beruht unseres Erachtens auf jenem auch sonst grassierenden Irrtum, der die Wirkung des Schönen durch Uebertreibung zu erhöhen vermeint. Schlankheit ist ganz gewiß ein Hauptzug des germanischen Schönheitsideals. Von der vielgepriesenen Isolde z. B. sagt der Dichter, sie sei süß gestaltet gewesen um und um, lang, schlank und schwank, als hätte die Minne sie gedreht „für sich selber zu einem Federspiel, dem Wunsche zu einem Endeziel“. Die Unterstellung aber, als müsse die Schönheit nun mit zunehmender Schlankheit sich ebenso fortgesetzt [238] steigern, wie etwa ein Glas voller wird, je mehr man hineingießt – diese Ansicht gehört in die Gattung jener ästhetischen Trugschlüsse, denen wir im weiteren Verlauf unserer Betrachtung noch mehrmals begegnen werden. „Viel hilft viel,“ meint das Volk auch beim Anwenden medizinischer Heilmittel. Aber just das Gegenteil ist der Fall. Wenn die „Schlankheit“ den Eindruck hervorruft, als existiere sie nur auf Kosten der inneren Organe, oder als sei sie nur durch gewaltsame Erpressung künstlich hergestellt, dann wirkt sie auf jeden gesund fühlenden Mann abstoßend. Dabei ist die Wespentaille nicht einmal ein besonderer Vorzug unserer Civilisation, wie sich die straffgeschnürten Salondamen dies wohl einreden möchten. Ganz rohe Völkerschaften – z. B. die Urbewohner von Java – schätzen die ans Unschöne streifende Schlankheit ebenso eifrig. Ein javanischer Minnegesang, den uns die Schriftstellerin Talvj verdeutscht hat, feiert wenigstens echt europäisch die Taille, die so dünn ist, als müsse sie jeden Augenblick abbrechen.

Dieselbe mißverständliche Uebertreibung erstreckt sich auch auf die Füße. Der Fuß des weiblichen Modeideals bleibt an Größe und Umfang erheblich hinter dem Fuß des wirklichen Schönheitsideals zurück, die Kleinheit wird ins Unschöne übertrieben – eine Erscheinung, die gleichfalls ihr Gegenbild im asiatischen Osten, bei den halbcivilisierten Chinesen, findet, wo der weibliche Fuß künstlich in seiner Entwicklung gehemmt und geradezu in barbarischer Weise verunstaltet wird.

Die Entstehungsgeschichte des europäischen Kleinheitsideals deutet uns Riehl in seinem vortrefflichen Werk „Die Familie“ an. Er schreibt:

„Während bei dem gemeinen Volke das Weib die reichliche Hälfte von der harten körperlichen Arbeit des Mannes auf seine Schultern nimmt, wird bei den sogenannten feinen Leuten die einfachste Kraftäußerung und Leibesübung für unweiblich angesehen. Eine Dame, die auch nur einen ehrlichen Tagemarsch rüstig zu Fuß machen kann, gilt für ein Mannweib. Schon bei den höfischen Frauen des Mittelalters gehörte es zu den ersten Erfordernissen des Anstandes, möglichst langsam und mit ganz kleinen Schrittchen zu gehen, wodurch man bekunden wollte, daß nicht etwa eine geschäftliche Nötigung, sondern lediglich die freie Laune eine Dame von Welt zu dem plebejischen Akte des Gehens treiben dürfe. Hiermit hängt es zusammen, daß nun das lange bis auf die Füße herabfallende Hof- und Paradekleid, das jede freie und rasche Bewegung hemmt, allmählich auch das Werktagskleid der vornehmen Dame und dann leider auch der Bürgersfrau wurde.“

Dem langsamen, gleichsam nur trippelnden Gang dieser übervornehmen und überzarten Geschöpfe entsprechen dann auch die Gehwerkzeuge: das Scheinideal ist gefunden, und „Füße so klein und nach dem Reihen hinauf so widernatürlich zusammengedrückt, daß ein ordentlicher Körper kaum darauf stehen, geschweige denn gehen kann, gelten für eine Hauptschönheit des Weibes. Aphrodite zeigt uns auf den Bildsäulen der Griechen und Römer noch so kräftig ausgebildete und gut proportionierte Füße, daß eine moderne Dame sich ihrer schämen würde.“

Nicht ganz so tollkühn wie bezüglich des Fußes übertreibt das Modeideal bezüglich der Hand. Immerhin giebt es Damen genug, die es für ganz besonders schön halten, bei sonst normalen Körperverhältnissen eine Kinderhand zu besitzen. Auch die Kleinheit des Mundes wird vielfach über die Grenze der wirklichen Schönheit hinaus als ein Vorzug gepriesen, weil ein auffallend großer Mund in der That häßlich ist. Der große Mund kennzeichnet unter gewissen Verhältnissen das Uebergewicht des Sinnlichen über das Geistige; er kann sogar Brutalität verraten. Hieraus folgt jedoch keineswegs, daß die winzigen Mäulchen moderner Romanheldinnen dem echten Schönheitsideal näher kommen; denn so ein Miniaturmund, der sich mit einem Pfennigstückchen verdecken läßt – („mit ’me Kreizer“, sagte man früher in Süddeutschland) – flößt dem gesunden Instinkte nicht nur Bedenken ein im Punkte der Ernährungsfrage, er deutet auch seelische Züge an, die nicht gefallen können: Schwäche, Geziertheit, wenn nicht gar Heuchelei.

Das Modeideal übertreibt vorwiegend in der Richtung der Kleinheit. Doch findet sich auch der entgegengesetzte Fall. So z. B. werden die Augen nicht nur von der irregeleiteten Phantasie der Frauen selbst, sondern auch von gewissen modernen Künstlern bis zu einer geradezu krankhaften Größe emporidealisiert. So unbestreitbar es ist, daß Augen, die unter dem Mittelmaße zurückbleiben, dem echten Schönheitsideal stark widersprechen, so klar ist es anderseits, daß jedes Zuviel ganz den nämlichen Widerspruch im Gefolge hat, wenn auch der Eindruck an sich ein wesentlich anderer ist.

Mit den zuerst hier erwähnten Irrtümern hängen gewisse Erscheinungen der europäischen Frauentracht aufs engste zusammen; denn die Kleidermode hat das Bestreben, die vermeintlichen Vorzüge des Scheinideals möglichst zur Geltung zu bringen.

Die irrtümliche Schätzung der Wespentaille hat den Schnürleib hervorgebracht; die irrtümliche Schätzung des Liliputfußes die Stöckelschuhe.

In solchen Zeitläuften, wo man die unverkünstelte, echte Normalgestalt schöner fand als die Wespentaille, war auch die Kleidung freier und lockerer. So im ganzen hellenischen und lateinischen Altertum, so bei den Urgermanen bis in die christliche Aera hinein, so nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, der die Steifheit der spanischen Frauentracht aus Deutschland hinwegfegte und eine Kleidung in Schwang setzte, wie sie seit langen Jahrhunderten kaum naturgemäßer und zweckentsprechender üblich gewesen war.

Aber es scheint, daß sich die europäische Frauenwelt ohne die Ausschreitungen des falschen Ideals auf die Dauer nicht wohl fühlt. Nach kurzer Frist begann schon der Rückschlag, bis dann im 18. Jahrhundert die Rokokotracht den Gipfel der Widernatürlichkeit und somit der Unschönheit bezeichnet. Seit dieser schauderhaften Epoche hat nur die Mode der sechziger Jahre unsres Jahrhunderts mit ihrer unglaublichen Krinoline ähnliche Mißgestalten zuwege gebracht, während die edle, kleidsame, der Antike sich nähernde Prinzeßrobe zu Anfang der achtziger Jahre vorübergehend den Eindruck erweckte, als ob das wirkliche Schönheitsideal sich anschicke, das Scheinideal aus dem Felde zu schlagen.

Wie man in Mitteleuropa die Schlankheit durch Uebertreibung verdorben hat und bei der unschönen Wespentaille und ihren Trachtfolgen angelangt ist, so übertreibt das Modeideal anderer Nationen die Fülle. „Recht quammig, quappig“ – so heißt es bei Goethe von dem Modeideal der Türken. Vollblühende Formen sind schön, weil sie zweckmäßig sind. Im Orient, wo der normale Frauentypus mehr als in Mitteleuropa zur Fülle neigt, wird nun die Vorliebe für diesen Zug bis zur Verherrlichung des Unschönen gesteigert. Ja, kürzlich war in den Zeitungen von dem sonderbaren Geschmack eines Negerfürsten zu lesen, der die Frauen seines Serails geradezu „nudeln“ läßt, um Ergebnisse zu zeitigen, die man in Deutschland höchstens bei Straßburger Gänsen angenehm findet.

Ganz der nämliche Unterschied des Modeideals bezüglich der Korpulenz trennte im 16. und 17. Jahrhundert die Italienerin von der Spanierin. Montaigne bereits tadelt das Streben der Italienerin, möglichst „stark“ zu erscheinen, späterhin spielt dann das „blühende Fett“ eine bedeutsame Rolle. Die Spanierinnen dagegen liebten äußerste Magerkeit. Um das Modeideal künstlich heranzuzüchten, hintertrieb man die naturgemäße Entwicklung des Körpers von Jugend auf, preßte den Brustkasten der halbwüchsigen Mädchen in schwere bleierne Platten ein und vermied jede fettbildende Nahrung. Die Gräfin d’Aulnoy versichert, der Anblick einer Spanierin jener Zeit sei geradezu scheußlich gewesen: Kanten, Ecken und Höhlen statt der natürlichen Rundungen, Präparate für das Studium der Knochenlehre!

Diese Verirrung steht offenbar nicht höher als die künstliche Ohrlappenverlängerung gewisser Australneger oder die schnöde Schwarzfärbung, die man dem von Natur so schönen Gebiß der malayischen Mädchen zufügt.

Weiter oben bereits wurde bemerkt, daß jede Rasse naturgemäß ihr eigenes weibliches Schönheitsideal besitzt, daher denn der Kongoneger, der Ostasiate, der Eskimo etc. sich im Punkte der Schönheitsanschauung just so weit von dem Kaukasier entfernen wie im Punkte des Rassentypus. Angesichts dieser selbstverständlichen Thatsache bleibt es merkwürdig, daß unser germanisches Schönheitsideal das Vorrecht zu haben scheint, als das Schönheitsideal im höchsten Sinne auch von solchen Völkern betrachtet zu werden, die uns zwar nahe verwandt sind, aber doch in gewissen Einzelheiten des Typus nicht ganz unwesentlich von uns abweichen.

[239] Das weibliche Schönheitsideal der Germanen ist allbekannt. Schlank, blauäugig und blond, von lichtrosiger Hautfarbe, sanft, lieblich und stark zugleich, weder verzärtelt noch heroinenhaft, mehr Chriemhild und Gudrun als Brunhild: so steht das Urbild des deutschen Mädchens – trotz all der vielen dunkeläugigen Schönen, die unserm Vaterland zur Zier gereichen – uns allen rein und klar im Bewußtsein. Dieses Schönheitsideal findet jedoch seine Verehrer nicht nur in germanischen Landen, sondern fast ebenso sehr bei den Romanen, vorab in Italien, wo es dem Typus der schwarzhaarigen, dunkeläugigen Südländerin von vielen als das „noch idealere“ gegenübergestellt wird.

Man lese zum Beispiel den nachstehenden Abschnitt aus dem „Blonden Knaben“ („Fanciullo biondo“) der sehr beliebten italienischen Dichterin Mathilde Serao:

„Alle Verkörperungen der Anmut und Güte stellen wir uns notwendig blond vor. Venus, die Göttin der Schönheit, ist blond, Maria, die Jungfrau, ist blond; und wenn sich die Schlange in Eva verliebte, so muß auch Eva eine Blondine gewesen sein. Apollo, der erste Poet, hatte goldblondes Gelock; die kleinen Engel, der kleine Jesusknabe sind gleichfalls blond. Ary Scheffer, wenn er sein blondes Gretchen malt, gefällt uns darum so gut, weil er den Traum zahlreicher Künstler wiedergiebt. Seit Jahrhunderten sind die Poeten und Künstler in die Blondinen vernarrt, denn die Blondheit bedeutet die Freude, das Leben, die ewige Jugend!“

Im klassischen Altertum war die Blondschwärmerei der Nichtgermanen vielleicht noch ausgeprägter. Hätten die römischen Männer dies „leuchtende Gold“ nicht herrlich gefunden, so würden die römischen Damen der Kaiserzeit ihre Haare nicht künstlich gefärbt und nicht blonde Perücken sich aufgesetzt haben. Das Haar der Germaninnen war ja bekanntlich in Rom ein Handelsartikel ersten Ranges. Die erste begeisterte Schilderung des germanischen Schönheitsideals findet sich denn auch in den Werken eines lateinischen Dichters, bei dem verliebten Ausonius. Die entzückende Allemannin Vissula, die unter dem Kaiser Valentinian I. gefangen und dem Ausonius geschenkt wurde, ist in jedem Zug ihres Wesens das holdselige, süße germanische Blondchen, die Anmut und Weiblichkeit selbst, ohne den leisesten Anflug jenes Brunhildentums, in welchem das heroische Element das eigentlich weibliche zurückdrängt. Diese Barbarin – sagt der Poet – übertrifft all die verzärtelten und verschniegelten römischen Puppen zehntausendmal an Wonnigkeit und Natürlichkeit! Ach, und ihr bezauberndes Blondhaar! Und die himmlischen blauen Augen! Und ihre unvergleichliche Gesichtsfarbe! Er singt wörtlich wie folgt:

„Vissula, die nicht in Wachs nachahmbar oder in Farben,
Schmückte mit Reizen Natur, wie nimmer der Kunst sie gelingen.
Ja, mit Mennig und Weiß malt Bilder euch anderer Mädchen!
Doch dies Farbengemisch des Gesichts – nicht malen es Hände!
Mische doch, Maler, wohlan, die Ros’ und die schneeige Lilie,
Und was dann du erhältst, das nimm zu Vissulas Antlitz!“

Die schneeige, mit Rosenglut überhauchte Gesichtsfarbe ist überhaupt ein wesentlicher Zug im germanischen Schönheitsideal – weit wesentlicher als die lichtblaue Färbung des Augapfels und die ausgesprochen helle Farbe des Haars. Wiederholt findet man den überschwenglichen Ausdruck – zuletzt wohl bei den Schilderungen, die man uns von der lieblichen Philippine Welser entworfen hat –, der Teint sei so blumenhaft zart gewesen, daß man durch die lichtweiße Haut den roten Wein habe hinabgleiten sehen. Frau von Staël in ihrem berühmten Buch über Deutschland rühmt an den deutschen Frauen vor allem dreierlei: den süßen Klang ihrer Stimme, das blonde Haar und die schneeige Farbe der Haut.

Und wie dieses weibliche Schönheitsideal des Germanentums auch den Italienern der Gegenwart zur Verkörperung der höchsten Anmut und Weiblichkeit passend erscheint, so hat es überraschenderweise sogar Modell gesessen für das erste ausführliche Bildnis, das uns die frommgläubige Phantasie der Kirchenväter von der Mutter des Heilands entwirft.

„Maria“ – so heißt es im 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung bei dem Bischof Epiphanius, der noch dazu von orientalischer Herkunft war und demgemäß dem Typus der orientalischen Frau näher stand – „Maria war das schönste weibliche Wesen, durchaus edel gestaltet und weder zu kurz noch zu lang. Ihr Leib war weiß und rosig und ohne Makel; ihr Haar lang, weich und goldfarben. Unter der wohlgebildeten Stirn leuchteten ihre mäßig großen Augen hervor, mit einem Lichte wie das des Saphirs. Das Weiße aber darin war milchfarben und glänzend wie Glas. Die gerade und regelrecht gestaltete Nase sowie der Mund mit den schön geschnittenen rosenfarbenen Lippen waren gar lieblich anzusehen. Die prächtig gereihten Zähne besiegten an Reinheit den Schnee. Jedes ihrer Wänglein glich einer Lilie, auf welcher ein Rosenblatt liegt. Ihr schön gerundetes Kinn trug ein Grübchen. Die Kehle war weiß und schlank, der Hals blank und von rechter Länge. Die weißen Hände zeigten gar lange und schmale Finger mit wohlgebildeten Nägeln. Schön war ihr Gang, anmutig ihr Mienenspiel, züchtig und jungfräulich all ihr Gebaren.“

Wir sehen also: der ehrwürdige Kirchenvater empfand genau so wie Mathilde Serao, wie hundert andere italienische Dichter, wie Raffael Sanzio, als er uns in seiner „Madonna del Granduca“ die blondeste aller Blonden schuf; wie die gesamte nord- und südländische Malerei, die ihren Muttergottesbildern fast durchweg das germanische Schönheitsideal zu Grunde legt.

Dem blondrosigen Typus, den uns der Kirchenvater Epiphanius von der „Königin aller Frauen“ gezeichnet hat, sei hier die Schilderung einer weltlichen Schönheit aus dem dreizehnten Jahrhundert gegenübergestellt. Dieselbe findet sich bei dem höfischen Sänger Dietrich von Glaz, in dem „Gürtel“-Gedicht. Die Verse lauten neuhochdeutsch unter Beibehaltung der rhythmischen Eigentümlichkeiten der Urschrift wie folgt:

„Man sah wohl nie ein schönres Weib!
Weh! wie stolz war ihr Leib –
Ihr Haupt mit seinem goldnen Haar!
Der Wänglein Farbe rosig war
Und lilienweiß darunter.
Ihr wohlgeschaffnes Nasenbein
War nicht zu groß und nicht zu klein.
Ihr Mund erstrahlte rosenrot:
Wie selig, wem er Küsse bot!
Ihr Kinn war weiß und ohne Fehle
Und zart und rein war ihre Kehle:
Dadurch sah man des Weines Schwank,
Wenn die edle Fraue trank.“

Im weiteren Verlauf dieser Schilderung – die zwar vom Standpunkt des Künstlers viel zu sehr ins Einzelne geht, für den Kulturhistoriker aber gerade mit Rücksicht auf unser Thema von großem Wert ist – rühmt der Poet die Zähne, die Zunge, die Achsel, die Hände, die Augen, die Arme. Dann schließt er mit den reizend naiven Versen:

„Ihre Güte war so süße,
Daß, wären ihre Füße
Gekommen in des Meeres Flut,
Das Meer, das wäre worden gut!“

Man sieht: ganz der nämliche Typus wie die Madonna des Kirchenvaters.

Neben dem blonden Schönheitsideal verherrlichten die Dichter des Mittelalters gelegentlich auch das brünette; im großen und ganzen aber behauptet die Blondheit ihr Uebergewicht bis in die Gegenwart. Dabei muß bemerkt werden, daß es Frauen mit schwarzem Haar und dunkelgefärbten Augäpfeln giebt, die gleichwohl vermöge der Lichtheit der Hautfarbe und der nicht näher bestimmbaren Blondheit des Wesens dem blonden Schönheitsideal näher stehen als dem brünetten. Das wesentliche Kennzeichen des letzteren ist ein dunkler, oft ins Olivenbraune vertiefter Ton der Haut und eine Gemütsart, die im Charakter der Spanierin am stärksten ausgeprägt ist. Starke Leidenschaftlichkeit des Empfindens denken wir Deutsche uns vorwiegend mit dem dunklen Schönheitstypus vereinigt. Auch scheint es, daß derselbe in manchen Zügen dem Wesen des Mannes verwandter ist; eben deshalb erscheint uns der blonde als der vorwiegend weibliche – womit natürlich durchaus nicht gesagt ist, daß es nicht blonde Frauen von heftigem, hartem, unsympathischem Temperament und dunkelbrünette Frauen von zartester und beglückendster Weiblichkeit geben könne.

Wir brechen hier ab, in dem Bewußtsein, unser Thema nur ganz flüchtig skizziert, bedeutsame Punkte unerörtert gelassen, Merkwürdigkeiten von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung gerade nur eben gestreift zu haben. Unsere Studie wird trotz dieser Unvollständigkeit ihren Zweck erreichen, wenn sie den Leser zu eignem Nachdenken über das Rätsel der Schönheit angeregt hat.