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Der Vater der deutschen Schauspielkunst

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Textdaten
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Autor: R. K.
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Titel: Der Vater der deutschen Schauspielkunst
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 390-394
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Vater der deutschen Schauspielkunst.

In der Geschichte der deutschen Bühne trägt der 16. Juni für alle Zeiten einen Trauerrand. Er gilt dem Andenken eines Mannes, der vor nun gerade einem Jahrhundert sein inhaltreiches Leben beschloß, eines Künstlers von bahnbrechendem Genie, den schon seine Zeitgenossen den „deutschen Roscius“, den „deutschen Garrick“, den „Vater der deutschen Schauspielkunst“ nannten – dem Andenken Conrad Eckhof’s.

Unser Künstler wurde als Sohn eines Stadtsoldaten am 12. August 1720 zu Hamburg geboren. Nach Verlauf der Schuljahre finden wir ihn als Schreiber bei dem schwedischen Postcommissar zu Hamburg, aber seines Bleibens war dort nicht lange, und die Veranlassung seines Weggangs war komisch genug. Sein Herr verlangte, daß der junge Schreiber zugleich Lakaiendienste versehen und auch, auf dem Trittbret des Wagens stehend, die Frau Postcommissarin zur Kirche begleiten sollte. Hiergegen sträubte sich das Selbstgefühl des jungen Mannes; er protestirte, und als er sich gleichwohl dem Befehle fügen und einem Dienst, der ihm unwürdig erschien, wirklich erfüllen mußte, verließ er Tags darauf diese Stellung und suchte außerhalb seiner Vaterstadt als Schreiber sein Brod. Er fand es und mehr als Brod bei einem Anwalt in Schwerin. Sein dortiger Principal, ein Freund der Musen, besaß eine ansehnliche Bibliothek, darunter namentlich viel belletristische und theatralische Schriften. Der junge Eckhof benutzte die Gelegenheit zur Lectüre auf das Eifrigste. Namentlich war es die Bühnendichtung, die ihn mächtig anzog. Die Dramen, welche er las, erschlossen ihm eine neue Welt, und schon damals kam ihm der Gedanke, der Entschluß, Schauspieler zu werden.

Aber wie erbärmlich waren die damaligen Bühnenzustände! Wie die dramatische Dichtung, so stand auch die Bühne auf niedriger Stufe. Noch gab es auf den deutschen Schaubühnen eine Art Heldentrauerspiele, in kalten, steifen, gereimten Versen geschrieben, welche mit großer Gemessenheit in Schritt und Tritt, mit kaltem, leerem Schwulst, mit eingestemmtem oder weit hinaussegelndem Arme vorgetragen werden mußten. Es gehörte zur Kunst, den Mund so voll zu nehmen, daß kein Wort, kein Laut herauskommen konnte wie bei anderen Menschen; die Blicke stets in den Wolken, die Worte lang gezogen, gewisse Sätze einem fern herziehenden Donnerwetter mit Blitz und Einschlag ähnlich — das nannte man eine „Staatsaction“, und obgleich nach dem Jahre 1730 allmählich bessere Stücke für die deutsche Bühne erschienen, mußte bekanntlich noch Friederike Karoline Neuber mit ihrer Schaupielertruppe oft genug zu den Haupt- und Staatsactionen ihre Zuflucht nehmen. Daneben machte sich, wenn auch nicht mehr in Gestalt des Hanswurstes, welchen, wie man weiß, die Neuber zu Leipzig 1737 vom Theater verbannt hatte, doch in anderer bunter Jacke platte Possenreißerei breit. Die Erscheinung bürgerlicher Trauerspiele, welche Menschen aus dem Volke, aus dem Leben schilderten und dargestellt verlangten, setzte jene Schauspieler in die größte Verlegenheit, und alle Versuche, den Schwulst zu bannen, scheiterten. Hier und da machte zwar ein Bühnenkünstler den schüchternen Versuch, die Sprache des Herzens und die Sitte des guten geselligen Lebens in diesen neuen Schauspielen auf die Bretter zu bringen, aber im Allgemeinen herrschte dort nur Unwahrheit und Unnatur. Zugleich waren die Theater nicht öffentliche, feste Anstalten, sondern Privattruppen, welche in buntem Wanderleben ihre weltbedeutenden Bretter bald hier, bald dort aufschlugen, und manche ihrer Mitglieder pflegten auf diesen Wanderzügen ein wenig geregeltes Privatleben zu führen. Hatte man diese herumziehenden Schauspielergesellschaften in früherer Zeit als Vagabunden und zusammengelaufenes Lumpengesindel behandelt, so litten auch noch im Jahre 1740, in Folge des alten Vorurtheils und der eben geschilderten Zustände, die „Komödianten“ unter der Mißachtung des Volkes, die Schauspielkunst galt noch für ein mehr als leichtfertiges Gewerbe, ja man hielt es für zweifelhaft, ob die, welche sich mit ihm befaßten, der Seligkeit theilhaftig werden könnten.

Aber all diese Mißstände konnten unsern Eckhof nicht abhalten, dem innern Rufe, der ihn immer dringender mahnte, zu folgen. Ihn drängte es, wahre Menschen wahr darzustellen, dem wirklichen lebendigen Leben, dem wahren und warmen Gefühl

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Conrad Eckhof.
Nach A. Graff’schem Original auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

auf der Bühne Ausdruck zu geben, Natur an die Stelle der Unnatur zu setzen. Entschlossen folgte er seinem Genius.

In Schwerin machte er die Bekanntschaft des Schauspielers Johann Friedrich Schönemann aus Hannover, eines tüchtigen Darstellers, der früher der Neuber’schen Truppe angehört hatte und jetzt selbst als „Principal“ eine Gesellschaft bildete. Mit viel Glück und Umsicht wußte Schönemann eine Anzahl talentvoller Schauspieler und Schauspielerinnen , wie z. B. Conrad Uckermann, Frau Schröder, nachher Uckermann, Frau Spiegelberg (die ehemals selbst Principalin gewesen) und deren Tochter, Uhlich und Demoiselle Rudolphi, um sich zu vereinen, die vorzüglichste Kraft aber, die er gewann, war Eckhof. Am 14. Januar 1740 eröffnete Schönemann sein Theater in Lüneburg mit dem Witter’schen „Mithridates“, und der neunzehnjährige Eckhof debütirte. Er blieb bei dieser Gesellschaft viele Jahre und theilte ihre Wanderungen nach Leipzig, Göttingen, Halle, Magdeburg, Schwerin, Hamburg etc., ihre Kreuz- und Querzüge durch Deutschland.

Mit eisernem Fleiße vervollständigte er seine Kenntnisse, seine Bildung; mit unermüdlich eifrigem Studium strebte er in seiner Kunst vorwärts. Für sein Künstlerideal unter den damaligen Schauspielern ohne Vorbild, mußte er Alles durch und aus sich selbst werden. So wurden seine Leistungen – die größten wie die kleinsten – im eigentlichen Sinne Schöpfungen, voll Originalität und Naturwahrheit. Er spielte tragische wie komische Rollen, und mit seinem Talente, gleich beim ersten Anblicke den wahren Charakter einer Rolle ganz und bis auf die feinsten Züge zu durchdringen, mit seiner genauen Kenntniß des menschlichen Herzens, seiner tiefen Einsicht in die Natur des Menschen, seiner Bekanntschaft mit den Sitten der verschiedenen Stände und seinem richtigen Geschmacke und Tacte wußte er jede Rolle charakteristisch, doch ohne Uebertreibung, treu, natürlich und wahr zu gestalten.

Die Natur hatte ihm keine vortheilhafte Gestalt auf den Lebensweg mitgegeben. Seine fast kleine Figur, die hohen Schultern, die dicken Knöchel, die einwärts gekehrten Füße, die anstoßende Zunge und der Mangel eines treuen Gedächtnisses schienen für seine Kunst unüberwindliche Hindernisse, aber sein Genie ließ ihn auf der Bühne alle diese Hindernisse überwinden und seine körperliche Bildung im Charakter jeder einzelnen Rolle bis zur Unkenntlichkeit umschaffen. Er, der außer dem Theater fast nachlässig einherging, erschien auf der Bühne in unübertrefflicher edler Haltung und von imposanter Gestalt. Sein blaues Auge war nicht groß, aber weit hinaus glänzend und des heftigsten wie des sanftesten Ausdrucks durchaus Meister. Sein Organ hat an donnernder Macht, an Zartheit und Wohllaut bis zu den Zeiten Iffland’s, wie dieser bezeugt, seines Gleichen auf der deutschen Bühne nicht wieder gefunden; die Gewalt und Harmonie desselben setzte in Erstaunen [392] und Entzücken, der stärkste wie der leiseste Ausdruck stand ihm zu Gebote. Schröder, der Hamburger Theaterdirector, der die Sprache fast aller bedeutenden Schauspieler bis zur Verwechselung nachzuahmen verstand, wagte es hinsichtlich Eckhof’s nicht, denn dazu, meinte er, müsse man erst Eckhof’s unnachahmliches Organ haben. Und mit jener Haltung, jenem Auge und diesem Organe verband er eine noch jetzt seltene Erregbarkeit des Gefühls, die in dem Feuer der Declamation und den aus den inneren Empfindungen mit Nothwendigkeit folgenden Geberden ihren Ausdruck fand. Seinen Zeitgenossen erschien die Wahrheit seines Vortrages, besonders wenn es sich um Verse handelte, und der Reichthum seiner Pantomimen unübertrefflich. Nach Nicolai’s Zeugniß wirkte sein Spiel auf die Zuschauer geradezu packend, erschütternd, hinreißend.

Die meiste Bewunderung verdiente und fand er in allen denjenigen Rollen, denen eine gewisse feierliche Würde innewohnt. Es war ihm hierzu reiche Gelegenheit geboten, da allmählich, namentlich von 1750 an, keine anderen als die damals besten Stücke des In- und Auslandes: eine „Miß Sara Sampson“, „Zayre“, ein „Cinna“, „Cid“, „Triumph der guten Frauen“ etc. auf der Schönemann’schen Bühne aufgeführt wurden. Aber auch feinkomische Charakterrollen, später namentlich in Moliere’schen und Goldoni’schen Stücken, wußte Eckhof mit Laune und gefälliger Wahrheit zu geben. Die „Gelernte Liebe“ von Rost, das erste deutsche Schäferspiel, welches Schönemann auf die Bühne brachte, wurde durch den Reiz und die Anmuth, womit Eckhof und Demoiselle Rudolphi ihre Rollen spielten, so sehr zum Lieblingsstücke des Publicums, daß jeder Theaterdichter sich nun auf das Schäferspielschreiben legte. Wie überaus frappant oft das Spiel Eckhof’s wirkte, davon noch ein drolliges Zeugniß. Als Eckhof einst in Lüneburg den Bauer in dem von ihm selbst übersetzten Lustspiele „Wucherer ein Edelmann“ spielte, richtete ein Bauer, der eben in der „Komödie“ war und die einfache und wahre liebe Natur in Eckhof’s Spiel sah, an seinen Nachbar die treuherzige Frage: „Wu in alle Welt hebben die Lüde den Buren hernahmen?“

Und wie er auf die Bühne für sich den Ton der Natur und Wahrheit einführte, so übte er in dieser Beziehung auch auf die Kunstgenossen den wesentlichsten Einfluß. Man verdankt ihm die Bildung vieler guter Schauspieler. An bestimmten Tagen der Woche pflegten die Mitglieder der Schönemann’schen Truppe zusammenzukommen, über ihre Kunst zu verhandeln und Regeln festzusetzen, die Jeder zu üben bestrebt war; daher die Harmonie im Ensemble, die ein Vorzug dieser Gesellschaft war. Zu Eckhof’s Schülerinnen gehörte namentlich die talentvolle jüngste Tochter des ehemaligen „Principals“ Johann Spiegelberg, welche wir oben unter den Mitgliedern der Schönemann’schen Truppe fanden. Sie spielte Soubrettenrollen und besonders vortrefflich diejenigen, welche ihr Eckhof einstudirt hatte. Im Jahre 1746 wurde sie seine Gattin.

An seiner literarischen und künstlerischen Ausbildung arbeitete er unablässig weiter, und er bethätigte diese auch durch schriftstellerische Arbeiten. Im Jahre 1753 schrieb er „Die Mutterschule“, ein Lustspiel nach dem Französischen, welcher Arbeit noch die Uebersetzungen der Lustspiele: „Der galante Laufer“, „Mensch auf gut Glück“, „Wucherer ein Edelmann“ u. a. m., sowie im Jahre 1763 das Originallustspiel „Die wüste Insel“ folgten. Neben seiner schauspielerischen und schriftstellerischen Thätigkeit zeichnete er sich ferner bei mehrfachen Gelegenheiten als talentvoller Redner aus. Bei aller Lebhaftigkeit des Geistes wußte er über sich Herrschaft zu üben; er war, durch Sittlichkeit und Anspruchslosigkeit vielen voranleuchtend, auch als Mensch hochgeachtet.

So hatte Eckhof, in wahrhaft seltener Treue, über siebenzehn Jahre der Schönemann’schen Gesellschaft als deren eigentlicher Träger angehört, als er im Jahre 1757 über Entlassung verdienter Mitglieder mit Schönemann in Zwist gerieth und seinen Abschied nahm. Er ging nach Danzig zu Franz Schuch, dem unstäten Principale, aber er blieb dort nur kurze Zeit. Als sich Schönemann genöthigt sah, noch in demselben Jahre in Hamburg seine Direction aufzugeben, eilte Eckhof zu der entlassenen Gesellschaft nach Hamburg zurück und ging mit ihr, von Hamburger Kaufleuten unterstützt, nach Kiel, wo sie Beifall und klingende Münze ernteten. Da es aber an einem guten Theater, an einer vollständigen Garderobe etc. fehlte, luden sie den Schauspieldirector Koch von Leipzig ein, ihr Führer zu werden. Er kam mit seiner Garderobe nach Lübeck und übernahm die Truppe. Bei ihm, bald in Lübeck, bald in Hamburg, blieb Eckhof bis 1764, wo er von Lübeck zur Ackermann’schen Gesellschaft nach Hamburg ging und bei dieser, wie nachher bei der sogenannten Hamburgischen Entreprise (Eröffnung der Bühne am 22. April 1767) bis 1769 mitwirkte. Dieses von kunstsinnigen Hamburger Kaufleuten in das Leben gerufene Unternehmen, bei welchem ein Lessing das Amt des Dramaturgen inne hatte, bezeichnet unstreitig eine der glänzendsten Epochen des deutschen Schauspiels; daß dies der Fall, war im Wesentlichen und vor Allem das Verdienst der bedeutendsten mitwirkenden Kraft, des genialen Eckhof.

„Es mag dieser Mann“ – schreibt Lessing über Eckhof – „eine Rolle machen, welche er will, man erkennt ihn in der kleinsten noch immer für den ersten Acteur, und bedauert, auch nicht zugleich alle übrigen Rollen von ihm sehen zu können. – – – Welcher Reichthum von malenden Gesten, durch die er allgemeinen Betrachtungen gleichsam Figur und Körper giebt und seine innersten Empfindungen in sichtbare Gegenstände verwandelt! Welcher fortreißende Ton der Ueberzeugung!“

So war selbst ein Lessing von Bewunderung, von Begeisterung über Eckhof’s Spiel erfüllt. So wurde in seiner Vaterstadt der arme Soldatensohn Eckhof – nur seiner Kunst lebend und Tag für Tag mehr und mehr als Musterbild, als Lehrer der Bühnenkünstler anerkannt – der Neubegründer, der Vater der deutschen Schauspielkunst.

Jene Anerkennung war ihm der Lohn für sein unermüdliches Streben, und zugleich der Trost bei dem schweren häuslichen Kummer, den er zu tragen hatte. Seine Gattin war schon seit 1765 so leidend geworden, daß sie dem Theater völlig entsagen mußte, und diese Krankheit wurde zu dauerndem Blödsinn. Liebevoll pflegte er die Arme, und nur die Kunst ließ ihn auf Augenblicke das Leid und die Entsagungen vergessen, welche sein Leben sorgenvoll verdüsterten.

Im Jahre 1769 endete das Hamburger Unternehmen. Ackermann übernahm die Gesellschaft wieder, zu derselben Zeit aber erhielt Abel Seyler das Patent als königlicher Hofschauspieler zu Hannover, und Eckhof und mehrere andere Mitglieder der Ackermann’schen Truppe schlossen sich ihm an. Diese Seyler-Eckhof’sche Gesellschaft, die erste, die (in der Person von Michaelis) einen eigenen Theaterdichter und (in der Person Schweitzer’s) einen vortrefflichen Componisten und Musikdirector hatte, war mit ihren vorzüglichen Schauspiel- und Gesangkräften zu ihrer Zeit unstreitig die beste Bühnengesellschaft in ganz Deutschland. Nachdem sie abwechselnd in Hannover, Lüneburg, Celle, Lübeck, Hamburg, Hildesheim und Wetzlar gespielt hatte, wurde sie im Jahre 1771 von der kunstsinnigen Herzogin Anna Amalia von Weimar nach ihrer Residenzstadt an der Ilm berufen, um auf dem fürstlichen Schloßtheater Vorstellungen zu geben. Am 7. October 1771 eröffnete Seyler im Weimarischen Schlosse seine Vorstellungen mit der „Eugenie“ und spielte dort unter allgemeinster Anerkennung bis zum Mai 1774. Die höchste Zierde seiner Bühne war und blieb der nun auf der Höhe seiner künstlerischen Ausbildung stehende, durch ganz Deutschland und darüber hinaus berühmte Eckhof.

Als Glanzrolle des im Tragischen wie im Komischen gleich starken Künstlers galt jetzt allgemein die des Odoardo in „Emilia Galotti“.

Nicolai sah ihn im Mai 1773 in dieser Rolle zu Weimar, und noch nach dreißig Jahren erinnerte er sich „sehr lebhaft der wunderbaren Wirkung dieses Spiels und des unbeschreiblichen Eindrucks, welchen Eckhof’s Vorstellung des Odoardo auf ihn gemacht hatte“. Auf Nicolai’s Bitte versprach damals Eckhof, auf seinem Zimmer ihm und dem Märchendichter Musäus einige Scenen aus einem Trauerspiele und einem Lustspiele zu lesen. Sie fanden den guten Eckhof in Schlafrock und Nachtmütze, unter welcher seine nicht ganz kurz abgeschnittenen Haare, so wie er sie unter der Perrücke trug, etwas struppig herabhingen, und sein hageres, kummervolles Gesicht machte den Contrast noch auffallender, wenn man sich hier den großen berühmten Schauspieler vorstellen sollte, nach Lessing den einzigen Mann in seiner Art. Bei seiner Vorlesung des Monologs Medon’s aus Cronegk’s Trauerspiele „Codrus“ glaubte man aber den edlen jungen Prinzen selbst zu hören und sah Brille, Nachtmütze und [393] Schlafrock nicht. Bei der Vorlesung der berühmten Scene Lusignan’s mit seinen beiden Kindern aus Voltaire’s „Zayre“ waren anstatt der Kinder ein paar alte Stühle gesetzt, zu denen er sich neigen mußte und die er auch zu umarmen hatte und gleichwohl waren Nicolai und Musäus so gerührt, daß ihnen während Eckhof’s effectvollen Lesens die hellen Thränen über die Wangen liefen. Sobald aber die Scene geendigt war, sprang Eckhof vom Stuhle auf, wie ein junger Bursche, schnalzte mit den Fingern beider Hände, warf seinen Schlafrock auf die Erde und recitirte aus dem plattdeutschen Stücke: „Der Bauer mit der Erbschaft“ eine Scene so originell drollig, daß Nicolai und seine Begleiter ein Mal über das andere laut auflachen mußten. Es war gar nichts mehr an ihm von der vorigen Würde und von der vorigen innigen Empfindung; bis auf die ausgebogenen Kniee, bis auf die heraufgezogenen Schultern, bis auf jeden Muskel des Gesichts war der Bauer da; bis auf die geringste Bewegung der Hand war Alles komisch.

Der bittere Kummer über sein langjähriges häusliches Elend hatte Eckhof’s Gesicht durchfurcht, seine körperlichen Kräfte geschwächt; er zeigte eine Art Scheu und Furchtsamkeit, wenn er sich nicht unter sehr bekannten Freunden befand. Von alle dem war aber auch nicht eine Spur zu erkennen, sobald er die Bühne betrat.

Leider sollte das Spiel der Seyler’schen Gesellschaft in Weimar nur bis zum Mai 1774 währen. Der dortige Schloßbrand vom 5. bis 6. Mai 1774 legte mit dem Schlosse auch das darin befindliche Theater in Schutt und Asche. Herzogin Amalie mußte die Seyler’sche Gesellschaft entlassen, und dieselbe wandte sich auf Rath der Gothaer Freunde Reichard und Gotter und mit Empfehlung der Herzogin Amalie nach Gotha, wo der Herzog Ernst sie freundlich aufnahm. Schon am 8. Juni eröffnete sie dort die Bühne mit Weiße’s Trauerspiel „Richard der Dritte“ und der unvergleichlich wahren und charakteristischen Darstellung der Titelrolle durch Eckhof. Auch hier war der Beifall allgemein. Im Herbst 1774 wurde von Seyler in Leipzig während der Messe gespielt, und hier war es, wo sich eine andere ergötzliche Scene zutrug, die uns Fr. Nicolai schildert. Engel (später Verfasser der „Ideen zu einer Mimik“) hatte gegen Nicolai trotz dessen Vorstellungen bezweifelt, daß Emilia Galotti je eine große Wirkung erzielen könnte, selbst durch Eckhof’s Spiel, den er noch nie auf der Bühne gesehen hatte. Er sah nun dort Lessing’s Stück und Eckhof als Odoardo. Nach Schluß der Vorstellung war eine Gesellschaft der vorzüglichsten Gelehrten Leipzigs zusammengebeten, und Eckhof dazu. Engel kam etwas spät und ging gerade auf Nicolai zu.

„Ich möchte mich todt ärgern,“ rief er, „daß Sie Recht haben! Um die Emilia ganz zu fassen, muß man Eckhof spielen sehen. Das ist ein Teufelskerl. Er hat mein ganzes Blut in Aufruhr gebracht; alle Adern sind mir geschwollen.“

Er hatte nicht gleich bemerkt, daß der bescheidene Eckhof neben ihm stand, und umarmte ihn nun herzlich, trat aber den Augenblick darauf vier Schritte zurück, maß Eckhof von oben bis unten mit den Augen und rief, beide Hände erhebend:

„Das Männchen da ist nimmermehr Odoardo; der war acht Zoll größer, stark und stämmig,“ und nun folgte eine zweite herzliche Umarmung, denn Engel war trunken vor Freude über die unbeschreiblich vortreffliche Darstellung des Odoardo. Beim Mahle äußerte Eckhof: „Die meisten Autoren schwimmen auf der Oberfläche des dramatischen Meeres, weil sie oft Luft schöpfen müssen, aber Lessing taucht tief unter, also muß ihm schon der Schauspieler nach, wenn er ihn einigermaßen erreichen will,“ und Engel unterbrach ihn: „Sie nur können das; wenn Andere es Ihnen nachmachen wollten, würden sie ersaufen wie die Ratzen.“

Von Leipzig kehrte Seyler im November 1774 mit seiner Gesellschaft nach Gotha zurück. Im nächsten Jahre entstand dort das Hoftheater, und Eckhof erhielt neben Reichard die Leitung desselben. Er führte sie mit Festigkeit, Umsicht und Strenge. Man hat seine Direktion pedantisch genannt, und wohl mag es vorgekommen sein, daß er in seinem Alter und seiner Kränklichkeit bisweilen etwas mürrisch und verdrießlich war, aber seine strenge Sorge für alle, auch die scheinbar unbedeutendsten Angelegenheiten der Bühne war nur der Ausfluß der Berufsanschauung, des Berufsernstes, wie er sie durch seine Verse „in das Stammbuch eines Theologen“ kundgab:

Freund! Du und ich wir lehren
Zwar an verschied’nen Orten,
Doch folget unsern Worten
Bei denen, die uns hören,
Nur stets erwünschter Segen, –
Was ist am Ort gelegen!?

In der That sagte man ihm nach, ihm sei alles, was auf das Theater und die Pünktlichkeit der Vorstellungen Bezug hatte, so heilig gewesen wie eine Kirche, und die Probe wie eine Sacristei. Iffland hat uns die ergötzliche Schilderung bewahrt, wie Eckhof in der Probe jungen Schauspielern mit vielen Wiederholungen lehrte, durch ein Zimmer, in welchem der König sitzt, zu gehen und ihn stumm zu begrüßen. Es erinnert dies an die Proben der „Saalnixe“, in welchen Goethe den jungen Choristinnen als Nixen das reine, wohllautende Lachen lehrte. Wahrheit war eben, wie J. J. Engel in den „Ideen zu einer Mimik“ sagt, bei Eckhof, wie sie soll, das erste, – Schönheit das untergeordnete Gesetz; er declamirte und spielte die Rollen, wie sie auch hätten dialogirt sein sollen, nicht nach einem festgesetzten allgemeinen Begriff der Gattung, sondern nach der besonderen Beschaffenheit ihres Inhalts, ohne sich je von Wahrheit und Natur zu entfernen. In demselben edeln Sinne strebte ihm ein Schüler nach, der am Gothaer Theater sich bildete, Eckhof’s bedeutendster, talentvollster Schüler: der später so berühmte Iffland.

So lebte und wirkte der alte Meister in Gotha, von Hoch und Niedrig als Künstler, als Bürger, als Mensch geschätzt und geehrt, zugleich der angesehene Stifter der Gothaer Freimaurerloge. Seine Rechtschaffenheit war so ausgemacht, so erwiesen, daß ein Geistlicher sie als die beste Widerlegung des alten Vorurtheils wider die Schauspieler anführte. Aber leider war durch die langjährigen Aufregungen und Leiden seine Gesundheit untergraben. Acht Monate vor seinem Tode spielte er noch die lebhafte, heftige Rolle des Hieronymus Billerbeck in dem Lustspiel „Geschwind, und ehe es Jemand erfährt“, und er verjüngte sich selbst in dieser Erscheinung. Das Entzücken der Zuhörer unterbrach ihn oft überlaut, aber die Brustschmerzen, die er den ganzen Abend mit Jünglingskraft unterdrückt hatte, drohten ihn am Schluß der Vorstellung zu überwältigen.

Noch aber fiel in die Zeit seines Alters und seiner Kränklichkeit ein heller Sonnenblick. Unter den englischen Schauspielen hatte Cumberland’s „Westindier“ in der Bode’schen Uebersetzung auf den deutschen Bühnen besonderes Glück gemacht. Auch der junge Goethe in Weimar wünschte dieses Drama dort auf dem fürstlichen Liebhabertheater aufzuführen, und Eckhof wurde eingeladen, als Gast die Rolle des Stockwell zu übernehmen. Er kam denn auch am 7. Januar 1778 nach Weimar. Am 11. Januar war er Goethe’s Tischgast in dessen Gartenhaus am Parke. Dort saßen sie beisammen, der geniale Schöpfer deutscher Bühnenkunst und der geniale dramatische Dichter. Eckhof erzählte ihm (wie sich Goethe in das Tagebuch bemerkte) die Geschichte seines Lebens, und dem alten Weine, welchen die gute Frau Rath in Frankfurt ihrem geliebten Wolfgang gesandt hatte, wurde weidlich zugesprochen. „Der Herr Geheime Legations-Rath“ – schrieb am 14. Januar Philipp Seidel, der vertraute Schreiber und Diener Goethe’s, an Frau Rath Goethe – „ersucht die Frau Räthin, ihm doch auf’s Frühjahr wieder einige Bouteillen oder Krüge ganz alten Wein in seinen Keller zu schaffen. Er hat am Sonntag den alten Eckhof zu Gaste gehabt und mit dem alten Weine regalirt, und da hat sich gefunden, daß er bis auf einige Schoppen zu Ende ist.“ Am 13. Januar wurde der „Westindier“ gespielt, mit Goethe als Belcour, Eckhof als Stockwell, Herzog Karl August als O’Flaherty, Prinz Constantin als Karl etc., und Philipp Seidel konnte nach Frankfurt berichten: „Alle sind vortrefflich (darf man sagen) gespielt worden. Der Herr Geheime Legations-Rath in einem weißen Frack, blauseidener Weste und Beinkleide (NB. von dem Futter des weißen Kleides mit silbernen Knöpfen) mit falschen silbernen Tressen und hübsch roth geschminkt, sah so schmuck aus und flink, daß die bloße Figur die Rolle schon spielte. Der alte Eckhof war eben der Vater des schönen Belcour, und der Herzog war Major O’Flaherty.“ Am Abend zog Karl August den großen Künstler mit dem Freunde Goethe an seine Tafel.

Dies war aber auch der letzte Sonnenblick in Eckhof’s Leben. Seine Schwäche nahm immer mehr zu und bemeisterte sich sogar einige Zeit seines Geistes. Seine letzte Rolle war am [394] 11. Februar 1778 der Geist in Hamlet. Mit dem Rufe: „Gedenke mein!“ sank er hinab. Er erkrankte schwer; suchte dann in Remstädt Ruhe und Erholung, mußte aber wegen zunehmender Krankheit wieder nach Gotha ziehen. Reichard sah die Flamme seines Genius erlöschen, wie das Licht einer Lampe abstirbt. Er war Zeuge der großen Geistesschwäche, die in den letzten Tagen den Kranken beherrschte. In Sorge um sein unglückliches Weib (welche ihn noch zwölf Jahre überlebte, ohne aus ihrem Irrsinn zu erwachen) und beschäftigt mit seiner Lieblingsidee, eine allgemeine Pensions-Anstalt für alte Schauspieler zu gründen, schied der große Künstler am 16. Juni 1778 aus dem Leben. Er starb so arm, daß die Freimaurerloge die Kosten der Beerdigung ihres Redners tragen mußte. Feierlich war das Begräbniß, ergreifend die Trauerfeier, welche das Hoftheater auf schwarz behangener Bühne veranstaltete. Im Jahre 1782 ließ ein Unbekannter (es war Reichard) auf die Ruhestätte Eckhof’s einen Stein mit der einfach großen Aufschrift: „Hier ruht Eckhof“ legen.

„Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,“ lautet der oft citirte und für die darstellenden Künstler so trostlose Spruch. O nein, er trifft beim Meister Eckhof nimmer zu. „Gedenke mein!“ war sein letztes Wort auf der Bühne; hundert Jahre sind seit seinem Tode verstrichen, und das Vaterland gedenkt noch sein, gedenkt des Mannes, der, als der eigentliche Schöpfer der deutschen Bühnenkunst, ihr erst Natur und Wahrheit gegeben, ihr Werth und Ansehen verliehen, der den Grund gelegt hat, auf welchem ein Schröder, ein Iffland weiter bauen und ein Goethe-Schiller-Theater entstehen konnte; das Vaterland wird sein gedenken, so lang es noch ein deutsches Theater giebt. In Dankbarkeit legt es an der hundertjährigen Gedächtnißfeier auf das Grab des Altmeisters den Lorbeerkranz.

R. K.