Die Gartenlaube (1857)/Heft 16

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1857
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[217]

No. 16. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Passa.
Von August Silberstein.

Bei dem Passafeste sitzt der Jude,
Denkt der Väter, der geliebten,
Wie sie einstens ausgezogen
Aus dem Land Egypten.

Und sein Auge füllt die Wehrmuthsthräne,
Wie die Fluth den Hafen,
Denkt er jener Väter, der Pharonen
Tiefgebeugte Sclaven.

Und er bricht vom Brod, dem festgeweihten,
Mit dem heil’gen Spruche,
Setzt dazu den allerschönsten Becher,
Daß ein Gast ihn suche.

Oeffnen muß er all’ des Hauses Thüren,
Und mit lautem Munde
Rufen alle Völker aller Zonen,
Von der Erde Runde.

Ob vom Nord, vom Süd, ein Freund, ein Feind auch,
Mag der Schwelle nahen,
Heute muß er nach dem heil’gen Worte
Gastlich ihn empfahen.

So ist keiner tief gesunken, elend,
Lebt er selbst von Gaben,
Der mit Brod und Wein nicht freudig harret
Andre zu erlaben! – – –

Rührend Bild aus alten frommen Tagen,
Das auf Stunden Raume,
Tilget alle Feindschaft, alle Härte,
Gleich dem schönsten Traume!

Passa, heil’ger Passa, Einem Volke
Wärest blos du eigen,
Und begännest nur von Jahr zu Jahre
Deinen kurzen Reigen?

Passa, will mich dünken, haben alle,
Alle Menschenherzen;
Und nicht braucht man erst in Satzungstafen
Fest es einzuerzen!

Passa ruft die inn’re, heilge Stimme,
Die naturgetreue,
Und bereit ist sie, daß jede Stunde
Sie zum Feste weihe!

Sclaven waren aller Menschen Väter,
Sind wir selbst noch heute –
Keine Stunde, die von einem Wahne
Uns nicht stets befreite.

Stets von Neuem folgen des Pharonen
Irrthum wilde Heere,
Und auch stets von Neuem sie versinken
In dem Zeiten Meere!

Laßt, o laßt kein einzig Mahl vergeben,
Wo der Segen sprießet,
Ohne daß von armen Menschenkindern
Eines mitgenießet.

Wer da leidet aus dem Erdenrunde,
Diesem sei gegeben;
So gestaltet sich zum einzig einen
Erlösungsfest das Leben.

Fragt ihr um den Führer und Propheten
An dem Weltgetriebe?
Nun so wisset: gottgesandter Moses
Ist die Menschenliebe.



[218]
Auf der Eisenbahn.
Vom Verfasser der „Neuen deutschen Zeitbilder.“
(Fortsetzung.)


„Aber nicht die Heimath, mein theures Kind, nicht die schöne Heimath. Sie müssen wir, sie mußt Du, wenn Du Dein Schicksal an das meinige schließest, verlassen und meiden für immer. Sie ist uns verschlossen mit allen ihren süßen Erinnerungen der Vergangenheit, der Kindheit, der Jugend, mit allen schönen und stolzen Plänen der Zukunft. Wir haben keine Heimath, kein Vaterland mehr; keine Freunde, keine Verwandten, keine Geschwister. – O, meine Mutter, meine arme Mutter!“

Der junge Mann sprach diese letzten Worte mit einem plötzlichen, sehr heftigen Schmerz. Das Mädchen nahm seine beiden Hände und drückte sie an ihr Herz.

„Nein, nein, Eduard,“ sagte sie mit der innigsten, süßesten Stimme. „Schlage Dir den traurigen Gedanken aus dem Sinne. Sei glücklich an meiner Seite, ich bin es ja auch. Wir werden ganz glücklich werden; wir haben ja uns. Und wer weiß, diese Verfolgungen können doch nicht ewig dauern. Gewiß, vielleicht schon bald, wird uns die Heimath wieder offen stehen.“

„Nie, nie! Der Haß ist zu groß; noch größer ist die Furcht.“

Zum Teufel, wer war dieser Mensch, der mit solchem Selbstbewußtsein von dem Hasse der Fürsten gegen ihn, sogar von einer Furcht vor ihm sprechen konnte? Ich suchte nochmals alle meine Steckbriefregister, alle meine übrigen politischen und nicht politischen Erinnerungen der letzten Jahre durch. Vergeblich. Aber ein anderer Gedanke stieg plötzlich in mir auf. Wie, wenn hier ein blutjunges, unerfahrenes, kränkliches, leichtgläubiges Mädchen die Beute eines nichtswürdigen Abenteurers werden sollte? Wir befanden uns in einem Bade. Das Mädchen war die einzige Tochter eines reichen Vaters, der nach ihren eigenen Worten sie mit ungewöhnlicher, väterlicher Zärtlichkeit liebte. Der Bursch hatte sich hier unter der Maske eines verfolgten, unglücklichen, edlen und natürlich nebenbei reichen, politischen Flüchtlings in das reine und arglose Herz hineingestohlen.

Ich wurde unruhig. Es war mir, als wenn ich zuspringen, den Menschen ergreifen und der Polizei überliefern müsse. Aber wenn ich mir dann das schöne, zarte, leidende Kind an seiner Seite, mit ihrer innigen, tiefen, ihr ganzes Herz erfüllenden Liebe ansah – mein plötzlicher Anblick schon hätte ihr den Tod geben können; ein Ergreifen, ein Entlarven des Geliebten hätte ihr das Herz nothwendig brechen müssen. Teufel, Sentimentalität hat nie meine schwache Seite sein dürfen, aber ich hatte dem armen Wesen gegenüber nicht einmal den Muth, mich zu rühren. War der Bursch ein Betrüger, so erfuhr sie es noch immer zu früh und sie lebte und liebte dann doch bis dahin. –

Eine ältere Dame nahete sich den Liebenden. Ich hatte sie bisher nicht gesehen.

„Es ist Zeit, daß wir aufbrechen,“ sagte sie. „Es fängt schon an, frisch im Thale zu werden, und Ottilie darf sich der Abendkühle nicht aussetzen.“

„Schon?“ rief das Mädchen traurig.

Und der junge Mann sprach dasselbe Wort ebenso herzlich und traurig aus. Das war entweder ein wirklich unglücklicher und edler Mensch, oder ein vollendeter, heuchlerischer Schuft, der seine Sache aus dem Fundamente verstand.

Sie kehrten nach der Stadt zurück. Ich folgte ihnen, nicht ohne Neugierde, aber nur von weitem, kannte ich auch den jungen Menschen nicht, so konnte er doch mich kennen, und dann mußte er, den die Fürsten fürchteten, den gefürchteten Polizeimann mehr fürchten, als es mir – für das Kind an seiner Seite lieb war. Als sie die Nähe der Stadt erreicht hatten, schlugen sie einen schmalen, menschenleeren Seitenweg ein, wie es schien, absichtlich, um dem Gewühle der Badewelt auszuweichen. Ich schwankte, ob ich ihnen folgen solle. Ich interessirte mich für die jungen Leute; aber ich wollte nicht von ihnen gesehen werden. Und am Ende, was gingen sie mich an?

Ich ließ sie gehen, warf mich mitten in das Gewühl der Badegäste hinein, begegnete der vornehmen und strengen Madame Meier aus Hamburg, die mir einen verächtlichen, dann der Sonnette dichtenden Madame Meier, die mir einen zärtlichen Blick zuwarf, hörte darauf einen jungen Herrn mit großem Augenkneifer hinter mir lachen: der Meiernarr, enteilte dem Gewühl und zog nach einiger Zeit, während es schon dämmerte, an der Hausglocke bei der Oberstin Wüsthof. Sie war zu Hause; ich ließ mich unter meinem richtigen Namen bei ihr anmelden.

Die Oberstin, seit mehreren Jahren Wittwe, war eine sehr liebenswürdige, gebildete und herzlich brave Frau. Ich kannte sie lange und war schon mit ihrem Manne befreundet gewesen. Nach seinem Tode war ich noch näher mit ihr bekannt geworden durch manchen Dienst, den ich ihr erweisen konnte. Um so mehr mußte es mich verwundern, daß sie mich mit einer Unruhe und Zurückhaltung empfing, die sie vergebens zu verbergen suchte.

„Sind Sie schon lange hier?“

„Seit vorgestern.“

„Ich habe doch Ihren Namen nicht in der Badeliste gefunden.“

„Ich bin unter einem fremden Namen hier.“

„Ha, in geheimen Angelegenheiten!“

Sie wurde auffallend unruhiger, sie sah mich mißtrauisch von der Seite an. Was war das?

„Gewissermaßen,“ bejahete ich. „Zugleich in einer recht unangenehmen.“

Sie wurde auf einmal fast leichenblaß. Ich sann vergebens über einen Grund dieser Beunruhigung und selbst Angst nach, und glaubte in der That zuletzt, sie müsse körperlich unwohl sein.

„Sind sie nicht wohl, gnädige Frau?“

„Nicht ganz.“

„Befehlen Sie, daß ich Sie verlasse?“

„Nein, nein!“ rief sie fast heftig. „Bleiben Sie.“

Sie that sich dann Gewalt an, um ruhiger zu erscheinen.

„Sie sind in einer geheimen politischen Mission hier,“ sagte sie scherzend.

Aber der Scherz war so erzwungen und hörte sich so ängstlich an, daß die brave Frau mir leid that. Mochte sie auf dem Herzen haben, was sie wollte, ich mußte sie wenigstens in Beziehung auf mich beruhigen. Wie sehr sollte ich das Gegentheil erreichen! In welche Unruhe sollte ich zugleich mich selbst versetzen!

„Meine Mission ist durchaus keine politische,“ erwiderte ich ihr. „Ich suche nur einen Spitzbuben, freilich einen sehr gefährlichen, wie es scheint.“

Ihr wurde leichter um das Herz.

„Wie es scheint, sagen Sie?“ fragte sie. „Sie kennen ihn also noch nicht?“

„Ich weiß noch nichts von ihm; ich suche hier erst zu erfahren, wer er ist.“

„Das klingt ja beinahe räthselhaft. Darf man Näheres, über das Räthsel erfahren?“

„Sie kennen den Kaufmann B.?“

„Gewiß, ein tüchtiger junger Mann.“

„Ihm ist sein ganzes Vermögen gestohlen, zwanzigtausend Thaler. Er ist ruinirt, wenn er das Seinige nicht wieder erhält.“

„Mein, Gott, wie hat er können so bestohlen werden?“

„Er hatte seinen Geschäftsreisenden mit der Summe nach der Provinz geschickt. In einem Eisenbahncoupé wird dem jungen Mann, während er schläft, das Geld von seinem Körper gestohlen.“

„Und der Dieb?“

„Die That ist unter eigenthümlichen Umständen verübt. Der junge Mann befand sich in dem Coupé allein mit einem andern Reisenden, den er nicht kannte, der aber ein unverdächtiges Aeußere hatte. Er trug zudem sein Geld wohlverwahrt auf der Brust; ferner mußte es ihm unmöglich erscheinen, daß der Fremde neben ihm während der Fahrt entkommen könne. Er überließ sich daher dem Schlafe. Als er, noch während der Fahrt, erwacht, ist sein Geld und der Fremde fort.“

„Während der Fahrt; wie war das möglich gewesen?“

„Es war möglich gewesen, wenn auch in etwas halsbrechender Weise. Neben dem Coupé war ein anderes Coupé erster Classe, darin hatte ganz allein eine junge Dame gesessen –“

„Um Gotteswillen!“

„Was ist Ihnen, gnädige Frau, Sie werden so blaß?“

„Fahren Sie fort.“

„Soll ich nicht Ihre Kammerjungfer rufen?“

[219] „Nein, nein, fahren Sie fort; es wird vorübergehen. Mir wurde nur auf einmal so heiß.“

Aber es wurde ihr noch heißer.

„Zu der jungen Dame,“ fuhr ich fort, „war der Dieb in das Coupé gestiegen. Und dort –“

„Dort?“ rief sie athemlos.

„Muß der Schurke sich völlig metamorphosirt haben; denn –“

„Großer Gott!“

„Denn bei dem jungen Kaufmann hatte ein Mensch im grauen Staubmantel mit großem Bart gesessen, und aus dem Coupé der jungen Dame hat man einen eleganten Herrn in grünem Rock und ohne Bart aussteigen sehen.“

„Und wo war das gewesen?“ fragte die Oberstin mit einer Stimme, die von der furchtbarsten Angst erstickt wurde.

„Auf der Eisenbahn zwischen R. und K.“

Die Oberstin fiel auf das Sopha zurück. Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen.

Mich ergriff eine entsetzliche Ahnung. Aber war es denn möglich, was ich ahnte? Konnte, sollte es möglich sein?

Die unglückliche Frau lag lange unbeweglich. Als sie sich erhob und ihr Gesicht enthüllte, glaubte ich in ein Todtenantlitz zu sehen. Aber sie hatte sich mit wunderbarer Kraft gefasst. Sie nahm meine Hand; die ihrige war eiskalt.

„Mein Freund,“ sagte Sie, „Sie haben mir ein entsetzliches Unglück entdeckt, ein Unglück, schwerer, bitterer, als der Tod. Aber lassen Sie uns mit Ruhe darüber sprechen. Erst muß ich volle Gewißheit haben, dann müssen Sie mir helfen. Sie werden es.“

„Befehlen Sie, gnädige Frau.“

„Wann hat sich das zugetragen, was Sie mir eben erzählten?“

„Uebermorgen werden es drei Wochen.“

„Und wo? Zwischen R. und K., sagen Sie?“

„Auf der Eisenbahn zwischen R. und K.“

„Auf welchem Zuge?“

„Auf dem Morgenzuge.“

„Und die junge Dame, wer war sie?“

„Ich suche sie.“

„Hier?“

„Hier“. Sie war in R. eingestiegen. Eine frühere Spur war von ihr nicht zu ermitteln. Aber in K. war sie mit einer Tante, einer Madame Meier aus Hamburg, weiter gereiset, und von Hamburg aus erfuhr ich, daß mehrere Damen dieses Namens hierher –“

„Genug, genug. Die Gewißheit ist da; nur zu voll, nur zu unzweifelhaft. Arme, arme Ottilie! – O, mein Freund, welches Unglück, welches Elend! Werden Sie mir helfen können?“

„Sprechen Sie, gnädige Frau, theilen Sie mir Alles mit. Was in meinen Kräften steht – ich brauche Ihnen nicht zu versichern, daß ich es thun werde.“

Die Oberstin erzählte:

„Mein Bruder, der Kaufmann A. Meier in Hamburg, hat eine einzige Tochter, Ottilie. Sie ist bald siebenzehn Jahre alt, und ein liebes, gutes, freundliches Kind. Sie ist schon mehr als Kind, sie ist Jungfrau, obwohl, vielleicht gerade weil sie häufig kränklich war. Sie ist noch immer leidend, und die Aerzte haben vor kurzem meinem Bruder erklärt, sie könne nur durch die größte Ruhe und Schonung und dann durch einen längeren Aufenthalt im Süden am Leben gehalten werden; diesen Sommer sollte sie in den Bädern des südlichen Deutschlands und der Schweiz zubringen. Mein Bruder ist Wittwer, ihn selbst nehmen seine weitläufigen Geschäfte unausgesetzt in Anspruch. Ich ließ mich daher bewegen, sein Kind vorläufig hierher zu begleiten, und um allen lästigen Fragen und Besuchen meiner vielen Berliner Bekannten auszuweichen, ließ ich mir von meinem Bruder einen Paß auf den Namen seiner verstorbenen Frau ausstellen. Ich reiste also als Madame Meier. Vor drei Wochen traten wir die Reise an. Ich fuhr mit meiner Gesellschafterin nach K. Dorthin wollte mein Bruder Ottilie zu mir bringen. Ein sehr dringendes und eiliges Geschäft hatte an diesem Plane eine Kleinigkeit geändert. Ein Handlungshaus in Kalisch, mit welchem mein Bruder bedeutende Geschäfte machte, stellte plötzlich seine Zahlungen ein. Mein Bruder konnte ein großes Capital nur retten, wenn er sich auf das Schleunigste nach Kalisch begab und zugleich völlig unangemeldet und unerwartet dort eintraf. Er reisete deshalb nicht nur heimlich von Hamburg ab, sondern suchte auch unterwegs seine Reiseroute möglichst geheim zu halten. Nach K. selbst konnte er in solcher Weise nicht wohl kommen; er begleitete daher seine Tochter nur bis R., brachte sie dort in ein Coupé erster Classe, vertraute sie der besonderen Fürsorge des Eisenbahnbeamten an und reisete mit der Ueberzeugung weiter, daß sie ohne Gefährde oder Beunruhigung in meine Arme kommen werde. Wie sehr hatte er sich getäuscht! Ottilie saß einsam in ihrem Coupé, ergriffen durch den Abschied vom Vater, träumend von ihrer Reise, vielleicht auch in trüben Gedanken über ihren kränklichen, leidenden Zustand. Der Zug mochte etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten gefahren sein. Auf einmal hört sie mitten im Fahren ein Geräusch an dem offenen Fenster des Coupés, sie blickt in demselben Augenblicke auf, und sieht einen Mann in einem grauen Mantel mit einem großen schwarzen Bart. Der Mensch ist im Begriff, durch das Fenster in das Coupé zu steigen. Sie will schreien; der Mensch hat sich schon durch das Fenster geschwungen; er ist an ihrer Seite. Der Schreck lähmt ihre Zunge. Sie ist einer Ohnmacht nahe. Da hört sie die Stimme des Menschen; er spricht in sanftem, beruhigendem Tone zu ihr:

„Fräulein, rufen Sie nicht, Sie würden mein Leben in Gefahr setzen. Es wird Ihnen von mir kein Leid geschehen; nur eine Bitte müssen Sie mir noch erfüllen. Setzen Sie sich nicht zur Wehre, ich beschwöre Sie. Sie werden sich übrigens nachher überzeugen, daß es nicht anders sein konnte.“

„Ottilie konnte ihm nichts erwidern; sie lag noch immer unbeweglich vor Schreck. Er nahm ihr Taschentuch, das neben ihr lag, und nahete sich damit ihrem Gesichte.

Entsetzen ergriff sie; sie sprang auf.

„Mein Herr, was wollen Sie?“

„Ich beschwöre Sie, ich flehe Sie an, setzen Sie sich nicht zur Wehre. Ich will Ihnen die Augen verbinden.“

„Nie, nie, tödten Sie mich lieber!“

„Aber ich schwöre Ihnen, ich werde Ihnen nicht das geringste Leid zufügen.“

„Tödten Sie mich – tödten Sie mich!“

„Ihre Angst wurde tödtlich; aber nicht minder wurde auch der Fremde verwirrter, ängstlicher; er fiel vor ihr auf die Kniee.

„Fräulein, vertrauen Sie meinem Schwure; es gilt mein Leben; jede Minute setzt es mehr in Gefahr.“

„Sollte sie ihm vertrauen, sollte sie es nicht? Jedenfalls war sie willenlos in seiner Gewalt. Er konnte auch ihr Rufen verhindern, unter dem Geräusch des Zuges hörte es kein Mensch. Sie ließ sich die Augen verbinden, dann warf sie sich in die Ecke des Wagens mit der Resignation der Erschöpfung. Das arme kranke Kind hatte nicht viele Kräfte zuzusetzen.

„In welcher Absicht hatte er ihr die Augen verbunden? Was sollte sie nicht sehen? Was durfte sie nicht sehen? Bereitete er ein Verbrechen vor? Führte er eins aus? Und welches Verbrechen war es? Gegen wen sollte es verübt werden? Gegen sie selbst? Der Fremde hatte in einem aufrichtigen, beruhigenden Tone gesprochen. Sein Gesicht hatte, trotz des dichten Bartes, edle Züge gezeigt. Sein Auge hatte sie so bittend, so flehend, so treu angeblickt. Aber wie wäre er, ohne verbrecherische Absichten, in solcher Weise zu ihr eingedrungen? Warum verdeckte er ihr das Gesicht? Sie lag in einer namenlosen Angst und horchte nach dem leisesten Geräusche in ihrer Nähe. Sie erbebte, wenn sie etwas vernahm. Jetzt, jetzt mußte das Verbrechen kommen. Sie schauderte bei der geringsten außergewöhnlichen Bewegung. Jetzt, jetzt wurde die entsetzliche, die namenlose, die nicht zu ahnende That ausgeführt.

„So verging ihr eine fürchterliche Viertelstunde. Sie hatte nichts gehört, als das Getöse des fahrenden Zuges und manchmal ein leises Rauschen. Sie hatte nichts gefühlt, als die gewöhnliche Bewegung des Wagens, der nur manchmal etwas mehr auf den Schienen sich gewiegt hatte. Da fühlte sie ihre Stirn etwas leicht bewegt; das Tuch wurde von ihren Augen gezogen. Ein schlanker junger Mann in eleganter Kleidung mit einem ausdrucksvollen, tieferregten, traurigen, edlen Gesichte, entledigt des großen Bartes, stand vor ihr.

„Fräulein, sagte er, halb lachend und halb erröthend, konnte ich, ohne jenes Tuch über ihre Augen zu decken, jene Veränderungen mit mir vornehmen?

„Ernsthafter aber, indem er sich an ihre Seite setzte, fuhr er fort:

„Fräulein, ich bin gerettet; ich hoffe es wenigstens. Ihnen verdanke ich meine Freiheit, mein Leben; – aber Sie sehen mich noch immer mißtrauisch an; Sie halten mich für einen Verbrecher. Ich muß in Ihren Augen rein dastehen. Ich habe ja auch noch eine Bitte an Sie, und Sie müssen wissen, wem Sie sie gewähren. [220] Wir haben noch Zeit, der Zug kommt erst in zwanzig Minuten auf der nächsten Station an. Erlauben Sie, daß ich Ihnen von meinen Schicksalen erzähle?“

„Ottilie nickte bejahend. Er erzählte ihr:

„Ja, ich bin ein Verbrecher. Ich betheiligte mich bei den Kämpfen für die Freiheit des Volkes im Jahre 1849. Wir wurden besiegt. Wäre der Sieg auf unserer Seite gewesen, mein Name würde vielleicht gefeiert werden. Jetzt wurde ich als der schwerste Verbrecher verhaftet, zur Untersuchung gezogen, zum Tode verurtheilt. Freunde befreiten mich aus der Haft, retteten mich. Seitdem ist der Verbrecher zugleich ein geächteter Flüchtling. Geächtet freilich nur in meinem Vaterlande. Aber mein Vaterland war, ist für mich so viel. Es war für mich Alles. Ich mußte darin eine alte, kranke Mutter zurücklassen, die mir nicht folgen konnte. Sie liebte mich so sehr, ich liebte sie über Alles. O, sie nur noch einmal wiedersehen – das war mein einziger Wunsch. Mein einziger. – O, ich habe ihn ja erreicht!“

„Der junge Mann mußte innehalten. Er wischte eine Thräne aus seinem Auge. Nach einer Weile fuhr er fort:

„Vor acht Tagen erhielt ich in meinem Asyle in der französischen Schweiz die Nachricht, daß meine Mutter schwer erkrankt sei. Ich achtete keine Gefahr mehr. Ich mußte sie sehen und sollte ich mit ihr sterben. Warum nicht mit ihr sterben? Ich flog zu ihr. Ich kam glücklich, unerkannt zu ihr hin. Aber ich kam an ihr Sterbelager; und doch noch früh genug, um den Segen der Sterbenden zu empfangen, um ihre Freudenthränen zu sehen, daß ihr einziger Wunsch erfüllt wurde, in den Armen des Sohnes zu sterben, gestern starb sie. Ihrer Leiche habe ich nicht mehr folgen können. Die letzte Erdscholle müssen fremde Hände auf ihr Grab werfen. Die Nachricht meiner Ankunft hatte sich verbreitet. Ich mußte schleunig das Mutterhaus, das Haus der todten Mutter verlassen. Ich gewahrte bald, daß ich verfolgt wurde. Ich mußte meine Verfolger irre führen. Sie mußten auf diesem Zuge meine Spur verlieren. Ich stieg in der Gestalt, in der ich das Mutterhaus verlassen hatte, in ein Coupé nebenan ein. Es war außer mir nur noch ein Reisender darin. Ich nahm den Augenblick wahr, als er schlief. Ich stieg aus dem Coupé; ich kam hierher zu Ihnen. Ich konnte mein Aeußeres verändern. Niemand wird mich wieder erkennen, wird mich nur darauf ansehen, daß ich der Entflohene, Verfolgte sei. Aber nur unter einer Voraussetzung. Es ist die, Fräulein, daß Sie mich nicht verrathen, daß Sie verschweigen, was Sie hier gesehen und gehört haben. Versprechen Sie es mir. Retten Sie mich ganz. Sie retten keinen Unwürdigen.“

„Er nahm die Hand Ottiliens. Sie versprach ihm Alles.

„Der Zug war in K. angekommen. Der Fremde hatte ihn frei und ungehindert verlassen.

„Ich fand Ottilien noch angegriffen, aufgeregt. Ich fuhr gleich mit ihr weiter. Erst nach und nach konnte ich sie beruhigen. Doch nein. Ihr Herz ist seit dem Augenblicke nicht wieder ruhig geworden. Das Bild des Flüchtlings, des edlen, traurigen Menschen, der zum Tode verurtheilt war, der dem Tode getrotzt hatte, um seine sterbende Mutter wiederzusehen, der die noch kaum erkaltete Leiche fremden Händen hatte überlassen müssen, der gehetzt wie ein wildes Thier, wie ein Edelwild umherirren mußte, um das Leben zu retten – ach, mein Freund, das Bild saß tief und fest in ihrem Herzen; es war nicht mehr daraus zu vertilgen; es konnte nur erbleichen, wenn sie selbst erblich. Und sie schwand in der That immer mehr dahin; ich fürchtete für ihr Leben. Tage lang flossen die Thränen des kranken Kindes. Anfangs still. Sie verschloß ihr Geheimniß in ihrer Brust. Endlich entriß ich es ihr. Ich sah in einen tiefen Abgrund; ich sah darin nur ihr Grab. Wer war der Fremde? Sie wußte nicht einmal seinen Namen. Er war brav, edel; ich gab es zu; von dem Diebstahle war uns nicht einmal ein Gerücht zu Ohren gekommen. Aber liebte er Ottilien wieder? Und wenn, konnte er sie heirathen? Würde ihr Vater seine Einwilligung zu ihrer Verbindung mit einem zum Tode verurtheilten, landesflüchtigen Hochverräther geben? Sie wurde kränker, elender. Sie gestand mir, sie müsse sterben, wenn sie ihn nicht wiedersehe; sie träumte zuletzt nur noch von ihrem Tode, aber in seinen Armen, in denen auch seine Mutter gestorben war. Vieles in dieser Ueberspannung war ihrem kranken und deshalb reizbaren Wesen zuzuschreiben. Aber war ihr Zustand darum besser, weniger hoffnungslos? Ich wußte keinen Rath, ich hatte keine Hoffnung mehr. Ich war schon entschlossen, mit ihr nach der französischen Schweiz zu reisen.

„Da – gestern vor acht Tagen – kam er auf einmal hier an. Ottilie hatte ihm beim Abschiede gesagt, daß Baden das Ziel unserer Reise sei. Er hatte uns aufgesucht. Welch’ ein Wiedersehen war das! Zuerst starrte sie ihn an, wie ein Gespenst. Dann hielt sie nichts mehr von ihm zurück. Sie sprang auf, sie flog in seine Arme. Sie umfaßte ihn krampfhaft. Er hielt eine Ohnmächtige. Als sie wieder zu sich kam, hatte sie nur eine Fluth von Thränen. Aber unter ihren Thränen sagte er ihr, daß es ihm keine Ruhe gelassen, daß er, wie seine Mutter, noch einmal seine Retterin habe wieder sehen müssen und sollte dies zehnmal sein Leben kosten.

„Was soll ich Ihnen noch weiter erzählen, mein Freund? Wie in ihrem, so brannte auch in seinem Herzen die heftigste, die heißeste Liebe!

„Und was sollte ich machen? Wollte ich Ottilien nicht unter meinen Händen sterben sehen, so durfte ich sie nicht von ihm trennen. Wir schrieben an ihren Vater. Ich sagte ihm Alles, auch Ottiliens Zustand, auch was ich befürchten müßte. Ich erwarte jeden Augenblick die Antwort. Ich glaube, daß er einwilligen wird. Sie ist sein einziges Kind, und er liebt sie zu zärtlich.

„Und jetzt, mein Freund, kommen Sie mit Ihrer vernichtenden Nachricht. Das war also alles Trug, jener Edelmuth, jene Trauer, jene Liebe. Alles ordinairer, gemeiner Betrug eines gemeinen Verbrechers, eines Diebes, der vielleicht dem Zuchthause entsprungen war! Als ich Sie zu mir eintreten sah, glaubte ich, Sie suchten den Hochverräther. Und jetzt! O, die arme, arme Ottilie!“

Die Oberstin schwieg.

„Die arme Ottilie!“ mußte auch ich wiederholen. Ich hatte das reizbare, kranke Kind ja gesehen. Ich war Zeuge ihrer tiefen Leidenschaft gewesen. Es konnte auch mir kein Zweifel bleiben: die Enttäuschung war hier der gewisse Tod.

Was machen? – das war eine ganz andere verzweifelte Lage, wie in K., als es galt, den Dieb zu entdecken. Der Dieb war jetzt da. Aber was nun? Allein war der junge Mensch wirklich der Dieb? Er sah so edel aus. Alles, was man von ihm wußte, trug den Stempel eines braven, offenen Charakters; seinem Betragen war nicht der geringste Vorwurf zu machen. Aber wie viele Spitzbuben, gerade die gefährlichsten, hatte ich kennen gelernt, mit edlen Gesichtern, vortrefflichen Manieren und einem lange Zeit zur Schau getragenen musterhaften Charakter. Und wie viele solche Industrieritter trieben sich jeden Winter in den Residenzen und jeden Sommer in den Bädern umher. Ein Anderer konnte der Dieb nicht sein. Also entweder war er es, oder Hertel hatte den Diebstahl vorgespiegelt. Zu der Annahme des letzteren hatte ich nicht den geringsten Grund, es mußte mir nach allen meinen sorgfältigen Beobachtungen und Ermittelungen in R. und Umgegend völlig unwahrscheinlich sein. Dazu kam, daß ich dort von einem verfolgten politischen Flüchtlinge nichts vernommen hatte; doch konnte ich freilich hierauf kein großes Gewicht legen, da ich mich überhaupt um nichts Anderes als um den Diebstahl bekümmert hatte. Dennoch war es nicht unmöglich, daß Hertel selbst der Verbrecher war.

„Wie heißt der junge Mann?“ fragte ich die Oberstin.

„Sie werden ihn als politischen Flüchtling nicht reclamiren?“ fragte sie zurück.

„Nein.“

„Er heißt Eduard D–“

Das war allerdings der Name eines der am meisten gravirten politischen Flüchtlinge. Er war zum Tode verurtheilt. Sein Name und sein Signalement waren jedem Polizeidiener und Gensd’armen in ganz Deutschland bekannt. Wurde er ergriffen, so war, wenn auch vielleicht nicht der Tod, doch die längste[WS 1] Zuchthausstrafe sein gewisses Loos. Aber er war zugleich als ein vermögender Mann bekannt und galt für einen der tüchtigsten und reinsten Charaktere. Eduard D. konnte kein gemeines Verbrechen begehen; er konnte nicht der Dieb sein. War der junge Mann, um den es sich handelte, wirklich der Dieb, so hatte er diesen Namen angenommen, so war er also auch ein um so gefährlicherer Verbrecher. Gleichwohl paßte auf ihn das Signalement von D., das mir wieder lebhaft in Erinnerung kam; und diesem war auch wohl das Gefühl und der Muth zuzutrauen, die ihn an das Sterbebette der Mutter geführt hatten.

(Schluß folgt.)
[221]
Die „Manchester-Schule“ und ihr Kunsttempel.

Manchester, die zweite Hauptstadt Großbritanniens, wetteifert schon vielfach siegreich mit der ersten. Es war der Geist Manchesters, der, alle traditionellen Parteiinteressen durchbrechend, ein Votum der Verdammniß über die Politik muthwilliger und grundsatzloser Eroberung und Feindseligkeit, der Renommisterei gegen Starke und der Brutalität gegen Schwache errang. Der moralisch und parlamentarisch besiegte Feind ergibt sich zwar nicht und trotzt auch nach Innen ohne Rücksicht auf Recht und Anstand, wie es nach Außen sein Geschäft ist, und meint mit Hülfe der Times und anderer Leitartikel, die an Provincialzeitungen geschickt werden, mit Agenten und historischen Phrasen von „Ehre,“ „Flagge,“ „Flotte“ u. s. w. über den Geist Manchesters noch einmal hinwegzukommen. Welche Manipulalionen auch noch angewendet werden, früher oder später muß dieser Geist Manchesters, im Wesentlichen Gesinnung der gebildeten Personen aller Völker, die im Frieden und freien Verkehre mit aller Welt eben so sehr ihr eigenes, wie das Interesse ihres ganzen Landes und aller andern Länder zugleich erkennen, doch siegen und an der Spitze der Regierung retten, was die bisherige Politik noch zu retten übrig ließ. Die Politiker, welche man unter dem Namen der „Manchester-Schule“ zusammenfaßt, haben persönlich noch manche Eigenheiten und individuellen Schwächen, gegen die man kämpfen, die man lächerlich machen kann, aber im Wesentlichen beruht ihre Weisheit und Macht auf Adam Smith und Adam Riese. Im Rechnen aber sind keine Parteien möglich, sondern blos unrichtige Facits, die man durch Nachrechnen und die Probe bald berichtigen kann. Gegen das als richtig erprobte Facit läßt sich dann nicht mehr streiten. Die Manchester-Männer rechnen und haben bereits gefunden, daß die bisherige Politik Englands in einer fast ununterbrochenen Reihe von Versündigungen gegen alle Species der Arithmetik besteht. Die „Baumwollen-Lords“ sehen ein und wissen aus Erfahrung, daß man mit Bibeln und Kattun-Ballen viel gründlicher erobert, als mit Bomben. Bisher schickte die auswärtige Politik sehr oft letztere hinter ersteren her, so daß sich die ancivilisirten Wilden einige Male schon nicht anders gegen letztere wehren konnten, als durch Zurücksendung der Bibeln in Form von scharfen Patronen. Die Bomben- und Flotten-Politik des Lord „Feuerbrand“ verdarb immer wieder, was die Millionen von Bibeln und Baumwollenwaaren Gutes angelegt und begründet hatten. Lord Bomba Bombastus Palmerston ließ immer aus dem Profite, der aus Bibelvertheilung und Baumwollenwaaren-Absatz erwuchs, Kugeln gießen und aus dem gewonnenen Palmöle des Friedens, dem in alle Welt leuchtenden Lichte der Civilisation, „Feuerbrände“ gegen die ancivilisirten Kunden und angeleuchteten Heiden drehen, um ihnen so den englischen Profit wieder in’s Gesicht zu verschleudern und die gewonnenen Kunden zu ermorden. „Das Bombardement Cantons war keine Kriegsoperation, sondern Ermordung von Kunden,“ sagte Bulwer Lytton, wahnsinnige Zerstörung einer der blühendsten englischen Städte.

Der Kunst-Ausstellungs-Palast in Manchester.

Die Manchester-Schule braucht nicht an Recht, Humanität u. s. w. zu appelliren, um den Wahnsinn solcher Politik zu beweisen. Sie zeigt, daß im friedlichen Verkehre mit 300,000,000 Chinesen England so und so viel gewinnt und Palmerston diesen Profit in Form von Bomben nach China zurückexportirt und außerdem noch Steuern verplatzt, die Kunden todtschießt, englische Städte zerstört, den kriegsbesteuerten Thee noch mehr vertheuert und alle seit siebzehn Jahren englisch civilisirten Gegenden China’s dermaßen unsicher macht, daß kein Engländer sich mehr auf chinesischem Boden sehen lassen kann, ohne, wenn’s irgend angeht, angefallen und vergiftet, erschlagen, strangulirt oder bauchaufgeschlitzt zu werden. Ist das eine auswärtige Politik! Die Engländer addiren gern ihre Profite zusammen und andere Leute auch. Aber wenn sie die Palmerston’sche Wirthschaft in ihrem Contobuch nachschlagen, heißt es: Verlust mal Verlust, plus Deficit, plus Kriegssteuer, plus Deficit an Ehre, plus Mangel an Recht, plus Brutalität und Schande u. s. w. Wenn man aber solche Posten des Fehlens und Verlustes addirt, wird das alle Mal ein Subtractionsexempel mit einem Facit, das man von allem positiven Haben abziehen muß. Das ist eine entsetzliche Arithmetik. Die Manchester-Schule zeigt, daß die Palmerston’sche Politik immer subtrahirt, während sie behauptet, daß sie immer frisch drauflos addire: mehr Ehre für die englische Flagge, mehr erobertes Land, mehr gedemüthigte (todtgeschossene und zahlungsunfähige) [222] Feinde, mehr Glorie des englischen Namens, mehr Lorbeeren! Wenn die Engländer das erst einsehen, regiert die Manchester-Schule. Sie bahnt sich ihren Weg auf eine gründliche, noble Weise. Sie baut dem Volke Schulen, öffnet ihm freie Bibliotheken, hält ihm an Feierabenden freie Vorträge, heizt und erleuchtet ihm Lesehallen und lockt es von Bier und Fusel zu geistiger Nahrung – nicht in Form von Almosen, sondern durch Anregung zur Selbstthätigkeit, durch Erweckung und Erziehung des Geschmacks, des Wissenschaftsbedürfnisses, des Sinnes für ehrliches Handeln, statt für die florirenden „ehrlosen Händel,“ die bei aller vermeintlichen Pfiffigkeit im Grunde immer doch blos von dem eigenen Vortheil subtrahiren, statt dazu zu addiren.

Aus diesem angedeuteten Geiste der Manchester-Schule, der die Palmerston’sche Politik im Parlamente schlug, ist außer vielen, sehr vielen andern Schulen, Instituten, Bibliotheken u. s. w. für’s Volk auch der große Krystall- und Eisentempel für Geschmacksbildung der großen Masse in Manchester aufgebaut worden. Von diesem Geiste genöthigt füllt ihn auch die Aristokratie, ohne eigentlich zu wollen, was damit erzielt wird.

Und hiermit kommen wir, nach einer scheinbar weit- und abschweifenden Einleitung, die aber wesentlich zur Sache führt und gehört, – zur Sache.

Die Manchester-Ausstellung von Kunstschätzen erhebt sich auf einem freien Platze außerhalb des Waldes schwarzrauchender Schlote und wird etwa im Mai – das Datum ist noch nicht bestimmt, – eröffnet werden. Ihr Werth wird hauptsächlich in öffentlicher Zusammenstellung aller der berühmtesten Originalgemälde von alten Meistern bestehen, welche sich in den Bildergallerien der Aristokratie bisher vor der Welt verkrochen, außerdem in Mustern und Modellen für alle mögliche Production und Industrie, welche durch Anschauung derselben Schönheits- und Formensinn cultiviren soll. – Das Gebäude, nach einem Entwürfe des Architekten Saloman, besteht fast durchweg aus Eisen und Glas und erinnert so an den großen Triumph der Industrie-Ausstellung aller Völker von 1851, welche schon damals einsahen, daß sie zusammen gehören und über die Drachensaat säende Politik des vorigen Jahrhunderts, die Palmerston in dieses Jahrhundert so weit hineinschmuggelte, längst hinaus gebildet und entwickelt sind. Der Bau hat die Form eines Parallelogramms von 700 Fuß Länge und 200 Breite. Nur die Hauptfaçade vorn, die wir in der Abbildung sehen, ist aus rothen und weißen Steinen erbaut und flügelt sich nach beiden Seiten über die Breite des Hauptkörpers hinaus. An der linken Seite des Centralgebäudes läuft eine lange Gallerie in die Eisenbahnstation, die sich nach allen Theilen Englands veradert und bis in die verschiedensten Häfen ausläuft, so daß Besuche von allen Richtungen der Windrose zu Wasser und zu Lande mit Dampf herbeifliegen können. Die Wände aller Gallerien bestehen aus acht Fuß im Umfange messenden hohlen Eisensäulen und tapezirten Holzwänden dazwischen. Ungeheuere Eisencolumnen in grandiosen Doppelreihen tragen auch den großen Bogen des Centrums, wodurch die lange Halle in verschiedene Abtheilungen gegliedert wird. Das Dach besteht aus gefurchten Eisenrippen, zwischen welche die Glasscheiben geschoben sind; doch bilden diese nicht, wie an beiden Krystall-Palästen, das ganze Dach, sondern nur verschiedene, regelmäßige sogenannte Himmelslichter, deren Zwischenräume durch gefelderte und reich mit Malerei und Schnitzwerk gezierte Wölbungen ausgefüllt sind. Der Totaleindruck ist großartig, elegant und wohlthuend durch Symmetrie und Harmonie in den Details.

Das Centrum unter dem großen Bogen bildet die große Halle, eine ungeheuere Gallerie von ungefähr 600 Fuß Länge und 70 Breite, Tempel für Sculpturen, Statuen, Gußwerke, Tapeten, große Stahl- und Kupferstiche, Bijouterie und allerhand Erzeugnisse der Kunstindustrie. Parallel mit diesem Hauptschiffe laufen zwei Seitengallerien, die öffentlichen Schausäle für die Werke der alten Meister nach „Schulen“ und Perioden geordnet, wofür architektonisch besondere Sectionen angebracht sind, so daß man die Schulen und Perioden gleich von Außen genau unterscheiden kann. In rechten Winkeln mit der Haupthalle ziehen sich kleinere Gallerien für Ausstellung von Zeichnungen, Platten, Lithographien, Panikographieen und viele andere moderne – Graphicen.

In Folge des Aufrufs der Manchester-Commission an alle Besitzer von Original-Kunstschätzen, sie zum Genusse und zur Veredelung aller Classen hier auszustellen, haben sich die meisten Großen und Reichen des Landes, zum Theil weltberühmt durch ihre Privatgemälde, bereit gefunden, das große Werk zu unterstützen. Wir nennen nur einige Wenige und deren Hauptkleinodien. Daß die Königin und Prinz Albert mit allen ihren Kunstschätzen wieder mit einem guten Beispiele vorangingen, versteht sich bei ihnen von selbst. Der Earl von Carlisle hat Carrachi’s und Corregio’s geschickt, Lord Grey Van Dyk’s und die berühmte Original-„Tochter des Titian.“ Dr. Waagen[WS 2], der berühmte und von Engländern wegen seiner scharfen Kenntniß des Echten und Unechten (wovon sich die Engländer viel aufhängen ließen) gefürchtete deutsche Kunstkenner, wählte 60 der besten Gemälde aus der weltberühmten Gallerie des Earl Spencer. Es fehlt nicht an echten Raphael’s, Rubens’, Titian’s, Tintoretto’s, Peruzzi’s, Dominichino’s, Salvator Rosa’s, Paussio’s u. s. w. Die berühmten Raphael’schen Cartons aus Hampton Court sind da, die Kreuzigung, zwölf lebensgroße Fresken, die drei Gracien u. s. w., lauter Raphael’s im Original, das jüngste Gericht von da Fiesole, das letzte Mahl von Giotto, Originale von Holbein, Guido Reni, Rembrandt, Viehstücke von Paul Potter und andern Thiermalern ersten Ranges, Landschaften und Scenen von de Hope, Berghem, Ostade, Ochtevelde, Jan Both, Jan Steen, Plazer u. s. w., außerdem berühmte Originale von Murillo, Albrecht Dürer, Teniers, Breughel, Horace Vernet, Ruysdael, Reynolds, Milkie, Turner, Hogarth und einer Menge anderer Meister und Häupter der verschiedenen Malerschulen.

Kenner werden sofort sehen, welch’ kunsthistorischen Werth ein solcher Congreß der Schönheit und Idealität aller Zeiten und Völker für unsere Zeit haben muß, sicherlich einen größeren, dauerhafteren, segensreicheren als irgend ein diplomatischer Congreß, auf welchem die Palmerston’sche Politik den Mephisto, den Judas, aber häufiger den betrogenen Betrüger spielt. Jeder, der sich diese Schöpfungen des Genius ordentlich ansieht, nimmt einen schönen Eindruck, eine noblere Stimmung, eine Wärme für das Schöne, Wahre und Echte mit in’s Leben hinaus, wo es Blüthen und Früchte treiben mag zur Bereicherung und Verschönerung alles menschlichen Daseins und Schaffens. Die Modelle und Muster für praktische Industrie verbessern und verschönern die Gebrauchs- und Bequemlichkeitsmittel unseres täglichen Lebens, erleichtern und vermehren die Befriedigungsmittel der Menschheit und wirken so aus allen Richtungen der Thätigkeit und Cultur auf noble Gesinnung, Frieden und Freiheit der Menschen und Völker unter einander hin. So macht die „Manchester-Schule“ Propaganda. Welche Fülle und Frechheit von Lügen zur Beschönigung von Brutalitäten und pfiffige Absichten verrätherischer Dummheit verbreiten jetzt die Times und andere Miethlinge der Palmerston’schen Politik, um die Cobden’s und deren „Verschworne“ in Mißcredit zu bringen! Es ist ihnen bei den Wahlen gelungen, die Manchester-Schule hat für den Augenblick eine Niederlage erlitten, denn die Massen sind noch dummstolz national und glauben in Palmerston den besten Vertreter dieses nationalen Dummstolzes auf Geld und Flotte und Bomben zu besitzen. Aber seine, wie die Tage dieser Brutalitäts-Politik gegen Schwache, der Feigheit gegen Starke sind gezählt und Adam Riese, Raison und Recht und Bildung kommen doch noch an’s Ruder.[1]



[223]
  1. Die vortrefflich redigirte „Berliner Volkszeitung,“ die wir bei dieser Gelegenheit unsern Lesern empfehlen, sagt in ihrem Leitartikel – ob richtig oder nicht, wollen wir nicht entscheiden – über die Niederlage der Manchester-Schule: „Das Princip dieser Schule hat gesiegt und wird noch weiter siegen; aber dieses Streben, aus einem volkswirthschaftlichen richtigen Princip einen Glaubensartikel zu machen und von diesem einen Princip aus die alleinseligmachende Lösung aller nationalen Principien zu verkünden, dieses starre Festhalten des Princips in allen Lagen und Verhältnissen, selbst dort, wo es gar nicht mehr paßt, diese echt englische Verwandelung eines Princips in eine Marotte für Alles, dies hat zu nichts Anderem als zum Sturz der Partei in national-politischen Fragen führen müssen. Schon in der orientalischen Frage hat sich diese Orthodoxie lächerlich gemacht. Nach ihr ist das Handelsinteresse das einzige und nächste in der Welt. Sie würde, wenn nur Rußland einen guten Handelsvertrag bewilligt, nicht das Mindeste dagegen haben, wenn es die ganze Türkei unterjocht. Für sie ist der Handel das einzige Evangelium der Menschheit. Die national-historische Aufgabe Englands, in die fernsten Welttheile einzudringen und durch Eroberungen jeder Art dahin zu wirken, daß allenthalben Tochtercolonien entstehen, hat für diese Partei nur den einzigen Werth in der Möglichkeit, Geschäfte zu machen. Deshalb ist sie in allen Fällen für den absoluten Frieden, selbst wenn derselbe gar nicht mehr mit der Würde und Ehre der Nation verträglich ist; deshalb hat sie auch in der chinesischen Angelegenheit, die gegenwärtig eine wichtige Rolle spielt, nicht gefragt, ob der Frieden möglich ist, sondern nur darauf gesehen, daß der Krieg unmöglich werde. Aus dieser höchst einseitigen Orthodoxie entsprang die Verbindung der Manchester-Partei mit der total entsittlichten und blos von Herrschergelüsten belebten Tory-Partei zum Sturz des Ministeriums; und in diesem schlimmsten Streich der Freihandels-Orthodoxie hat sie sich die Niederlage wohlverdient zugezogen. So sehen wir denn den augenblicklichen Sturz einer Partei, wo sie aus bloßer leerer Consequenzmacherei einen unverzeihlichen Fehler beging. Wir bedauern diesen Sturz nicht, sondern finden ihn gerechtfertigt. Keineswegs aber halten wir die Principien der Partei selbst für gestürzt, und sind vielmehr der Ansicht, daß sie, auf das richtige Maß zurückgeführt, ihres Sieges nicht nur in England, sondern auch in der ganzen Welt sicher sind.“




Aerztliche Strafpredigten.
Nr. III.  Gegen das Nichts-Thun und für das Rechte-Thun beim Kranksein.
(Fortsetzung.)

Wer sich unwohl oder krank fühlt, soll gleich beim Beginne seines Unwohl- oder Krankseins Etwas thun, d. h. er soll sofort eine zweckmäßige diätetische Behandlung seines Körpers und vorzugsweise des erkrankten Theiles einschlagen. Dies ist’s, was der unwissende Laie und Heilkünstler „Nichtsthun“ nennt und was der Verf. in Nr. 11 der Gartenlaube (Jahrg. 1857) dem Leser angerathen und annehmbar zu machen gesucht hat. Besprechen wir jetzt, in welcher Weise sich an und in unserm Körper das Kranksein in Folge von Veränderungen der verschiedenen Apparate und Organe für den Laien zu erkennen gibt und wie demselben von Seiten des Laien richtig zu begegnen ist.

Unser Körper ist aus einer bestimmten Anzahl von Apparaten zusammengesetzt, von denen ein jeder wieder aus verschiedenen Theilen (Organen) besteht und sein genau bestimmtes, dem Ganzen zugutekommendes Geschäft hat. Diese Apparate stehen durch Nerven (wie die Telegraphen-Stationen durch elektro-magnetische Drähte) unter einander im Zusammenhange und können deshalb auf einander Einfluß ausüben. Eine Störung in einem dieser Apparate zieht natürlich zunächst eine Abänderung im Geschäfte (in der Thätigkeit) des erkrankten Theiles nach sich, ruft aber nicht selten auch in andern Apparaten mehr oder weniger auffällige Krankheitserscheinungen hervor. Es ist oft sehr schwierig zu ergründen, welcher von mehreren erkrankten Theilen der zuerst erkrankte ist und nachträglich die andern in Mitleidenschaft zog. So trägt von manchen Lungenleiden das erkrankte Herz die Schuld und umgekehrt können Lungenleiden dem Herzen schaden. Leber- und Milzaffectionen sind in der Mehrzahl der Fälle erst Folgen anderer Erkrankungen, und wo der Magen in schlechtem Zustande ist, da liegt dies sehr oft in einem Kranksein der Leber, der Lunge oder des Herzens. Die Modekrankheit, „Hämorrhoiden“ genannt, ist nur eine Krankheitserscheinung, keine eigentliche Krankheit, und kann ebenso von einem Darm-, Unterleibs- Gefäß- und Leberleiden, wie von einem Lungen- oder Herzübel abhängig sein; u. s. f. Aus diesen wenigen Beispielen möge der Leser zugleich mit lernen, wie verkehrt oft ein Arzt handeln würde, wenn er ohne genaue Untersuchung des ganzen Organismus eines Kranken sofort gegen die Störung eines einzelnen Apparates loscurirte oder gar nur die hervortretendsten Krankheitserscheinungen berücksichtigte, wie die Nicht- und Nichts-Aerzte, „Homöopathen“ benannt, thun. Daß Heilkünstler, welche Kranke, ohne sie untersucht zu haben, nur brieflich behandeln, stets für unwissende Quacksalber oder geldmachende Charlatane anzusehen sind, diesen Ausspruch können nur abergläubische Dummköpfe für unwahr halten.

Um zu leben, muß der Stoffwechsel oder die Ernährung (s. Gartenl. Jahrg. 1853. Nr. 39. u. Jahrg. 1854. Nr. 9.) d. i. der ununterbrochene Wechsel der Materien unseres Körpers (das stete Verjüngen und Absterben oder Mausern der Körpersubstanzen) im Gange sein; mit dem Aufhören des Stoffwechsels tritt der Tod ein. Um gesund zu leben, muß der Stoffwechsel im richtigen Gange sein, Unordnung und Störungen desselben bedingen Krankheiten, die man auch organische Fehler nennt, wenn der Stoffwechsel dabei gar nicht wieder in die natürliche Ordnung kommt. Glücklicher Weise ziehen nun aber in den allermeisten Fällen Störungen des Stoffwechsels solche Folgen nach sich, durch welche jene Störungen wieder ausgeglichen werden, und deshalb schwinden auch die allermeisten Krankheiten ebenso ohne Arzt und Arznei, wie bei den allerverschiedenartigsten Behandlungsweisen. Durch ein richtiges diätetisches Verhalten kann der Kranke diese Naturheilung ganz bedeutend unterstützen. Wer dies nun weiß, den muß die erbärmliche Renommage solcher Aerzte, die sich rühmen, schwere innere Krankheiten durch einen arzneilichen, homöopatischen, sympathetischen oder andern Hokuspokus geheilt zu haben, recht anekeln.

Dem Stoffwechsel oder der Ernährung, welche übrigens nur bei der gehörigen Durchwärmung (Eigenwärme) unseres Körpers (s. Gartenl. 1854. Nr. 33.) gut vor sich geht, dient zunächst das Blut, welches deshalb auch mit Recht als Quelle des Lebens anzusehen ist (s. Gartenl. Jahrg. 1853, Nr. 45, 48 u. 49., Jahrg. 1856. Nr. 3.). Von der richtigen Menge und Beschaffenheit desselben, sowie vom ordentlichen Blutlauf durch unsern Körper muß sonach hauptsächlich unser Leben und unsere Gesundheit abhängig sein (s. Gartenl. 1854. Nr. 9.). Zur Blutbildung sind aber neben der gehörigen Menge Wassers passende Nahrungsstoffe (s. Gartenl. Jahrg. 1853. Nr. 32 u. 39., Jahrg. 1856. Nr. 3.), sowie eine richtige Verdauung derselben (s. Gartenl. 1853. Nr. 22.), sodann auch noch eine gute Luft (Lebensluft) bei normalem Athmungsprocesse (s. Gartenl. 1853. Nr. 16. u. 17.) durchaus unentbehrlich. – Da nun das Blut, während es durch alle Theile unseres Körpers hindurchfließt, nicht blos frisches, gutes, aus Nahrungsstoffen mit Hülfe des Sauerstoffs der eingeathmeten atmosphärischen Luft gebildetes Material zum Neubau unserer Körperbestandtheile absetzt, sondern auch die alten abgenutzten, untauglichen Partikelchen derselben wieder in sich aufnimmt, so würde es bald mit solchen alten unnützen Bestandtheilen überfüllt und zur Erhaltung des Stoffwechsels untauglich sein, wenn jene schlechten Stoffe nicht an bestimmten Stellen, wie in der Lunge, der Leber, den Nieren und der Haut, aus dem Blute und überhaupt aus dem Körper herausgeworfen würden. Und darum ist diese Blutreinigung ein Haupterforderniß zur Erhaltung der richtigen Blutbeschaffenheit. – Aber auch im ordentlichen Flusse durch den Körper muß sich das Blut befinden, wenn es den Stoffwechsel gehörig unterhalten will, und sonach ist der Blut-Kreislauf durch naturgemäße Behandlung der darauf Einfluß ausübenden Organe und Processe (wie des Herzens, der Blutgefäße, des Athmens und der Muskelbewegungen) stets im richtigen Gange zu erhalten. – Zur Erzeugung der hinreichenden Wärme innerhalb unseres Körpers (Eigenwärme) ist natürlich für die gehörige Menge Heizungsmaterials und, damit dieses auch ordentlich verbrannt werde, für den gehörigen Zug und Sauerstoff Sorge zu tragen (s. Gartenl. 1854. Nr. 33.). – Sollen sich dann schließlich die Bestandtheile unseres Körpers mit Hülfe des Blutes bei gehöriger Durchfeuchtung und Durchwärmung richtig ernähren, was stets und überall von der Erzeugung von Bläschen (Zellen) in dem vom Blute abgesetzten Bildungsmateriale abhängt, so ist ein zweckmäßiger Wechsel von Thätigsein und Ruhen der Organe und Gewebe unseres Körpers unentbehrlich. Denn beim Thätigsein werden Gewebstheilchen abgenutzt und während des Ruhens kommt dafür ein Ersatz (die Neubildung) zu Stande.

Außer diesen in Kürze besprochenen, den Stoffwechsel (das Leben) unterhaltenden, sogen. „vegetativen“ Processen, gehen nun aber innerhalb unseres Körpers auch noch solche Processe vor sich, durch welche der Mensch eigentlich erst zum Menschen wird, indem sie ihm Empfindung, Bewußtsein, Verstand und willkürliche Bewegung verleihen. Man nennt sie „animale“ Processe und die ihnen dienenden Organe sind: das Nervensystem mit den Sinnesorganen, dem Stimmorgan und dem Muskelsystem. Ueber allen diesen Apparaten steht aber das Gehirn als das Hauptorgan jeder animalen Thätigkeit. Es versteht sich übrigens von selbst, daß die genannten animalen Organe sofort krank und in ihrem Thätigsein gestört werden, sobald die Ernährung (der Stoffwechsel) ihrer Bestandtheile leidet. Sonach muß der Mensch, wenn er die animalen Processe innerhalb seines Körpers in Ordnung halten und vom Kranksein befreien will, vor allen Dingen die vegetativen Processe in demselben richtig zu unterhalten verstehen. So ist z. B. das Denken eine dem Gehirn zukommende, größtentheils anerzogene, animale Thätigkeit, die nur dann richtig vor sich gehen kann, wenn zuvörderst die Substanz des [224] Gehirns ordentlich ernährt wird. Zur ordentlichen Ernährung der Hirnsubstanz gehört aber die Zuführung aller der Stoffe durch das Blut, welche die Hirnmasse zusammensetzen, also auch eines phosphorhaltigen Fettes; fehlt dieses letztere oder der Phosphor in demselben, so würde das Gehirn nicht richtig ernährt und nicht richtig thätig sein, demnach auch nicht richtig denken lernen können. Mir scheint deshalb den Herren, welche Moleschott’s Ausspruch: „ohne Phosphor kein Gedanke“, durch ganz unpassende, erbärmliche Witze lächerlich zu machen suchten, eine hübsche Portion Phosphor in ihrem Hirnfette zu fehlen; vielleicht ist derselbe hier durch Stroh ersetzt.

Ehe wir nun das Kranksein und Gesundmachen der einzelnen Apparate und Organe unseres Körpers näher beleuchten, möge sich der Leser als ersten und Hauptgrundsatz einer naturgemäßen Behandlung des erkrankten Körpers ein für allemal hübsch merken:

„der kranke menschliche Organismus verlangt zuvörderst Ruhe in jeder Beziehung, das erkrankte Organ aber die größtmöglichste Schonung.“

Es gibt kein alberneres und schädlicheres Benehmen, als wenn man beim Unwohlsein seinem Körper Ungewöhnliches zumuthet. Viele Menschen sind aber wie versessen darauf, wenn sie unwohl werden, irgend etwas recht Unsinniges und für die Gesundheit Nachtheiliges zu thun, wie auf gut Glück hin und ohne vorherige Ueberlegung Dampfbäder oder kalte Douchen zu nehmen, zu schröpfen oder zur Ader zu lassen, zu schwitzen, zu brechen oder abzuführen, irgend ein wirksames Geheimmittel zu gebrauchen u. s. f. Man sollte doch eigentlich meinen, soviel Verstand müßte jeder Mensch haben, um sich selbst sagen zu können, daß ein krankes Organ zunächst Schonung verlangt, daß man auf einem bösen Beine nicht springen und tanzen, mit einer heiseren Kehle nicht schreien und singen, den kranken Magen nicht mit Gurkensalat u. dgl. und die leidende Lunge nicht mit rauher staubiger Luft maltraitiren darf u. s. w. Aber soviel Verstand existirt noch nicht bei der Mehrzahl der Kranken; jetzt kommen dem Arzte noch Patienten vor, die unverschämt genug sind, gleich von vorn herein zu erklären, daß sie sich bei der ärztlichen Behandlung aber nicht halten können oder wollen und recht schnell, ja bis zu einer gewissen Zeit curirt sein müssen. Leider können die meisten Aerzte, des leidigen Gelderwerbes wegen, dieser unverschämten Dummheit nicht so begegnen, wie sie es verdient, auch gibt es noch, Gott sei’s geklagt, quacksalbernde Heilkünstler, die in ihrer Bornirtheit oder im Interesse ihrer Beutelschneiderei so gewissenlos sind, den unwissenden Patienten in seiner Einfalt, nicht selten sogar blos brieflich, zu unterstützen. Wie jammern und wehklagen solche Leichtsinnige dann, wenn ihnen das vorher leichte, nach und nach aber gefährlich gewordene Uebel an den Kragen kommt, wie versprechen sie da dem Arzte in allen Dingen zu folgen; aber zu spät. Am meisten muß sich der gewissenhafte Arzt über Lungen- und Magenkranke ärgern, denn Die folgen ihm in der Regel nicht eher, als bis ihnen der Tod schon auf der Zunge sitzt. Aus lächerlicher Eitelkeit tragen die Ersteren den Respirator (s. Gartenl. 1855, Nr. 8.) nicht früher, als bis sie in Folge der Schwindsucht mit dem einen Beine bereits im Grabe stehen, und der Genußsucht legen die letzteren gewöhnlich erst dann den Zügel an, sobald ihr Magen in Folge von Verhärtung und Krebs weder Speise noch Trank mehr verträgt. Kurz der Verstand der jetzigen Menschheit, den diese bei der Behandlung ihres gesunden und kranken Körpers zeigt, ist nur Unverstand.

(Fortsetzung folgt.)
Bock.




Für Gartenfreunde.
Vom Hofgärtner H. Neumann.

Gewiß befinden sich unter den vielen Lesern der Gartenlaube auch so manche Freunde des Gartenvergnügens, von denen die Eifrigern größere Lust darin finden werden, Arbeiten, die ihnen möglich sind, in ihren Gärten und Gärtchen selbst zu thun, als durch Andere thun zu lassen. Beim Wiederbeginn des Frühjahrs bringen wir in Nachstehendem diesen eifrigern Freunden in möglichster Kürze einige Anleitungen dazu, die trotz der vielen sogenannten Gartenhandbücher, worin nur zu oft der Suchende das Gesuchte und bei sich Anwendbare nicht findet, und die mehr für angehende Gärtner selbst geschrieben sind, hoffentlich willkommen sein werden, und beschäftigen uns, veranlaßt durch die vielen jetzt beliebten Neubauten von Villen ähnlichen Häusern in den Vorstädten zuerst mit der Anlage kleinerer Gärten am Hause und deren Ausschmückung.

Die geschmackvolle Anlage dieser Hausgärten trägt viel zu der Schönheit solcher Besitzungen bei und die Besitzer sollten bedacht sein, darauf nicht weniger Sorgfalt, wie auf die Architektur der Gebäude, zu verwenden, zumal die Gärten in der Regel hart an der Straße und, nur von durchsichtigen Gittern eingefaßt, dem Auge des Publicums offen liegen und ein Jeder, der etwas der öffentlichen Anschauung Preis gibt, unleugbar die moralische Verpflichtung hat, daß das, was er zeigt, das Schönheitsgefühl nicht beeinträchtige.

Leider wird gegen dies Gesetz heut oft und schwer gesündigt und selbst bei größeren Werken und genügenden Mitteln sehen wir Bau- und Gartenkünstler, die vereint im Stande sind, eine Einöde zu einem Paradiese umzuschaffen, ein Elysium verunstalten. Auch bei der Anlage kleinerer Hausgärten verläßt sich der Besitzer nur gar zu oft auf den Geschmack und das Geschick seiner Hausmanns, der „Gartenarbeit versteht,“ oder vertraut lieber sein Geld und sein Grundstück der Kunstfertigkeit irgend eines irrenden Jüngers der Flora an, dessen Aesthetik darin besteht, die gerade Linie schnöde zu verachten, und der für jede seiner Verrichtungen, vorlauten Fragern gegenüber, die schlagende Begründung hat: „das muß so sein und Vater und Großvater hat es auch so gemacht,“ statt seinen eigenen gesunden Sinnen und dem Rathe anerkannter Fachmänner zu folgen.

Das Gesagte führt uns sogleich auf den Entwurf und die Zeichnung des Gartens. Hierbei einen Unterschied zwischen sogenanntem französischem und englischem Geschmack machen zu wollen, ist etwas Müßiges. Man kann eigentlich nur von gekünstelter und natürlicher Ordnung reden. Natürlich wird es aber sein, die Wegelinien, auf die es hauptsächlich ankommt, so zu führen, wie man absichtslos geht, um zum gesetzten Ziele zu gelangen. Dies geschieht bei langen Entfernungen, also in Parks und großen Gärten, wo man das Ziel entweder nicht vor Augen hat, Hindernisse umgehen muß, oder auf wellenförmigem Terrain sich bewegt, in geschwungenen Linien; auf kurzen Strecken ebenen Weges aber und dicht neben Gebäuden hin in geraden oder den Gebäuden parallelen Linien. Zum Beweise beobachte man die Fußsteige, die sich über eine Wiese hinziehen und dabei in sanften wellenförmigen Biegungen sich bewegen, nie aber in kleinlichen Krümmungen schlängeln, wie viele Gärtner das den Wegen in ihren Anlagen zumuthen; andererseits die Richtwege, die sich das Publicum auf öffentlichen Plätzen macht und die schnurgerade die künstlichen Linien der Rasenstücke durchschneiden, allen oft angebrachten Hindernissen zum Trotz. Hieraus ergibt sich von selbst, daß es natürlicher ist, in kleineren Hausgärten unnöthige Krümmungen der Wege zu vermeiden und diese daher, ohne in eine gekünstelte Steifheit zu verfallen, mehr in geraden und Kreislinien zu führen sind. Auch hüte man sich vor zu vielen Wegen, lege sie mehr an den Seiten an und zerstückele die Rasenflächen nicht mehr, als die Richtwege es erfordern.

Ein hier beigegebener Entwurf zu einem Hausgarten möge das Gesagte anschaulich machen und dem Gartenliebhaber als Muster dienen, um sich selbst nach den ihm gegebenen Motiven den Plan zu seinem Garten zu entwerfen.

Ist die Zeichnung festgestellt, so ist zuerst für die gehörige Abwässerung zu sorgen. Die Wege sind demnach höher zu legen wie der Rasen und die Gehölz- und Blumengruppen noch tiefer, wie dieser. Man sieht zwar in vielen, auch öffentlichen Anlagen das Alles gerade umgekehrt, wo die Rasenkanten eine Viertelelle höher wie die Wege liegen und die Blumen und Strauchgruppen im Rasen sich wie Maulwurfshügel erheben; dafür stellt sich aber dort die natürliche Folge ein, daß die Wege beim Regen weich und die Rasenkanten beim Sonnenschein gelb werden. Alsdann ist das Land für die Pflanzung und den Rasen vorzubereiten. Für die Gehölzgruppen rigele man den Boden 11/2 bis 1 Elle tief, daß Feuchtigkeit und Luft eindringen können, ohne welche keine Vegetation denkbar ist. Für einzelstehende hochstämmige Bäume, auch wenn sie jung gepflanzt werden, mache man die Pflanzenlöcher 3 bis 4 Ellen im Durchmesser, auch 11/2 bis 2 Ellen tief. Auch für den Rasen lockere man die Erte mindestens 1/2 Elle tief auf. Es ist irrig, anzunehmen, die Graswurzeln [225] seien nicht länger, als man sie bei abgestochenen Rasentafeln sieht; sie werden unter günstigen Umstanden bis zu einer Elle lang. Viele Leute sind überhaupt geneigt zu glauben, es sei ein ganz besonderes Geheimniß, einen sammetartigen Rasen, wie er in den besseren Parks bewundert wird, zu erzielen. Das ganze Kunststück besteht darin, denselben möglichst zu pflegen. Man gebe dem Rasen tief nahrhaften Boden, halte ihn stets ganz kurz, daß er nie Halme schoßt, bewässere ihn oft und reichlich und überwalze ihn, wenn es sich thun läßt, leicht nach jedesmaligem Mähen. Allerdings gehört auch ein geschicktes sauberes Abmähen mit der Sense dazu; mit der Sichel wird das Abschneiden nie so gut gelingen. Bei größeren Flächen thut man besser Gras anzusäen, als Rasen zu legen. Eine Mischung von zwei Theilen Solium perenne (englisch Raigras), ein Theil Agrestis stolonifera (Fioringras) und ein Theil Poa pratensis (Rispengras) gibt einen feinen ausdauernden Rasen. Im Schatten gedeiht Solium italicum und Poa nemoralis besser. Wünscht man den angenehmen Heugeruch nach dem Mähen zu haben, so menge man etwas Anthoxanthemum odoratum (Ruchgras) darunter. Vor dem Aussäen des Samens (auf jede Quadratruthe mindestens 1/2 bis 3/4 Pfund) muß das Erdreich vollständig gereinigt und geebnet sein. Dann wird der Samen mit dem Rechen (Harke) sorgsam eingehackt und mit Tretbrettern festgetreten oder gewalzt. An den Kanten streut man in feinen sauber gezogenen Furchen noch besonders eine Linie von Grassamen.

Die Vorrichtung beim Pflanzen der Bäume und Sträucher ist zu bekannt, um hier weiter auseinander gesetzt zu werden; nur achte man dabei darauf, daß die Gehölze nicht tiefer in die Erde kommen, als sie früher gestanden haben, und größere Bäume gedeihen besser, wenn sie auch wieder nach derselben Himmelsgegend zu stehen kommen. Die Rinde derselben schütze man im ersten Jahre gegen den Sonnenbrand und das Austrocknen durch Umwickeln mit Stroh oder Rohr; ebenso bedecke man die Wurzeln der im Herbst gepflanzten Bäume im ersten Winter zum Schutz gegen den Frost. Man verschneide die Sträucher beim Pflanzen lieber zu wenig, als zu viel, und den Bäumen nehme man niemals die Spitze zu tief heraus.

Im Arrangement der Gehölze vorzüglich zeigt sich der leitende Geschmack einer Gartenanlage; auch in kleinen Gärten ist es von großem Unterschied, ob die Gehölze plump und massig aneinander gepflanzt, oder ob sie locker und leicht, wie in natürlicher Freiheit aufgewachsen, gruppirt sind und ihre Contouren angenehme Mannigfaltigkeit in runden, spitzen und hängenden Formen zeigen. Man wechsle deshalb mit den Gattungen ab und pflanze nicht lauter Gehölze von einerlei Bauart zusammen.

Wir kommen zu den Blumengruppen und rathen an, sie niemals hart an die Wegekanten zu legen. Vom Rasen umgeben nehmen sie sich schöner aus und gleichen dann einer anmuthigen Stickerei auf grünem Grunde. Man gebe den Gruppen eine gefällige einfache Gestalt, gleichweit entfernt von zu gekünstelter Schnörkelei und zu großer Rohheit. Als abschreckendes Beispiel letzterer Art dienen die Formen mancher öffentlichen und Privat-Gärten, wo die Blumengruppen, wulstartig im Rasen erhöht, täuschende Aehnlichkeit haben mit Semmeln, Nieren und Würsten oder bei besonderer Zierlichkeit zu halben Monden und Pfefferkuchenherzen sich versteigen. Wir geben den Lesern einige Detailmuster, die andeuten mögen, wie man entweder geometrisch construirte oder freie Zeichnungen von Blumengruppen bilden könne. Natürlich müssen diese Zeichnungen mit der Architektur der Gebäude harmoniren und bei einem in gothischem Styl erbauten Hause werden jene in demselben Styl gehalten werden müssen. Die Blumengruppen werden am besten mit Buxbaum eingefaßt, der fein und dicht anzulegen und alle Frühjahre zu schneiden ist.

Die Befestigung der Wege geschieht am besten durch einen Steinpack von geschlagenen Steinen, bei Fußwegen 3“, bei Fahrwegen 6“ stark, dem man, wenn er festgestampft oder gewalzt worden, einen Ueberzug von Kies, mit gleichviel Lehm gemischt, gibt, um die Fugen auszufüllen, und nachdem auch dieser festgestampft ist, überstreut man das Ganze zuletzt dünn mit feingesiebtem reinem Kies. Dem Wege gebe man zur Abwässerung eine geringe Wölbung, in dem Verhältniß, daß ein drei Ellen breiter Weg in der Mitte drei Zoll höher sei als die Rasenkanten. Die auf diese Weise angelegten Wege halten sich trocken und stauben nicht. Der theuer zu beschaffende dunkelrothe Kies ist nicht zu empfehlen; einmal verliert sich die dunkle Farbe sehr bald durch Oxydation an der Luft und dann ist sie beschmutzend für die Kleider der Damen.

Bei der Ausführung unseres Entwurfes haben wir, nachdem, wie eben angegeben, die Zeichnung ausgesteckt und die Gehölzgruppen rigolt sind, zuerst die Bepflanzung vorzunehmen. Der Platz zu beiden Seiten der Laube im Garten gestattet, einige hochstämmige Bäume zu pflanzen. Um jene zu beschatten, ziehen wir es vor, sogleich Stämme von einiger Größe (bis 6“ stark lassen sich solche auch ohne Ballen sicher verpflanzen) zu nehmen, obgleich uns dazu nur eine geringe Auswahl einheimischer Bäume bleibt, indem die fremden schwer in größeren Exemplaren zu haben sind. Am besten eignet sich für kleine Gärten die Linde, des leichten Anwachsens und des Blüthengeruchs wegen; dann der Spitzahorn (Acer platanoides), mit seinen frühen, hellgelben Blüthen ein freundlicher Ankündiger des Frühlings; die Roßkastanie ist weniger passend, da sie [226] mit ihrem dichten, regenhemmenden Laubwerke und flachlaufenden Wurzeln nur schwer Rasen oder Gesträuch unter sich aufkommen läßt. Auch die Ulme zehrt mit flachen Wurzeln sehr den Boden aus, sowie die Akazie, letztere ist jedoch wegen ihrer herrlichen Blüthe empfehlenswerth, verlangt aber einen sonnigen Standort, sonst wird ihr Wuchs unförmig; auch belaubt sie sich sehr spät und macht gern Ausläufer aus den Wurzeln, die weggenommen werden müssen. Eichen und Buchen gehören wegen ihres langsamen und Pappeln und Weiden wegen ihres unbändigen Wuchses in den Park. Wünscht man Obstbänme anzubringen, so ist nur der Wallnußbaum und der Apfel anzurathen, da die anderen wegen ihrer zu steifen Formen nicht zu den anderen Gehölzen passen. Auch Nadelhölzer stören in kleinen Gärten nur, wenn man nicht zugleich den ganzen Garten nur mit immergrünen Gewächsen bepflanzen und dadurch ihm den Charakter eines Wintergartens geben will. Wer es vorzieht, kleinere Exemplare Bäume anzupflanzen, hat in folgenden eine schöne Auswahl: die Platane, Platanus occidentalis; die Gleditschie, Christusdorn, Gleditschia triacantha; die Hickori oder amerikanische Nuß, Juglana alba, J. nigra; den Gitterbaum, Ailanthus glandulosa; die Pavia, Pavia flava und Pavia rubea; den Chicot, Gymnocladus canadensis; den Tulpenbaum, Liriodendron Tulipiferum.

Zur Belaubung der Laube selbst bleibt, wenn es die Lage gestattet, der Weinstock immer das schönste und angenehmste Gewächs, und zwar eignen sich wegen ihres schnellen Wachsthums dazu am besten der Frühe Leipziger und Alexandriner, in sehr warmer Lage auch die blaue Cibebe und der gelbe und grüne griechische Wein. Von den Arten des wilden Weins ziehen wir den Wolfswein, Vitis vulpina, mit besonders schöner, dichter Belaubung und duftenden Blüthen vor. Andere schöne Schlingpflanzen für Lauben sind: die verschiedenen Sorten der kletternden Rose, dann Aristolochia Sipho, Menispermum canadense, Periploca graeca, das Geisblatt, auch Jelängerjelieber und Nachtschatten genannt, Caprifolium Pericymenum, die Waldrebe, Clematis vitalba. Lauben, von den Zweigen herabhängender Bäume gebildet, sind wohl schön, doch gehört schon ein höheres Alter der Bäume dazu, um ihren Zweck zu erfüllen.

Wir kommen zu den Strauchpartien und wählen uns aus der großen Zahl der sich darbietenden Gehölze solche aus, die sich entweder durch elegante Form oder schöne Blüthen und deren Geruch für kleine Gärten empfehlen. Es sind dies: a) Gehölze, die eine größere Höhe erreichen: Cytisus Laburnum, Prunus Padus, Prunus serotina, Prunus domestica flore pleno; Pirus spectabilis, Pirus ovalis; Staphylea pinnata und trifoliata, Rhus cotinus, Mespilus monogyna und oxyacantha, Amygdalus communis, Cornus mascula. b) Gehölze von geringerer Höhe: die Arten des Flieders (Hollunders) Syringa, Philadelphus coronarius und floribundus, Ribes aureum, R. sanguineum, atropurpureum und speciosum, der frühtreibende R. alpinum, dann die schönen weißen Spiraen, Sp. hypericifolia, bella, chamaedrifolia, Douglasii, triloba, sorbifolia und die üppige opulifolia; Viburnum Opulus fl. pl.; V. Santana, Rubus odoratus, spectabilis und rosaefolius; die größeren Landrosensorten, als Rosa centifolia, pimpinellifolia, sulphurea und rubrifolia; Amygdalus nana, Calycanthus floridus, Kerria japonica, Deutzia scabra, Cydonia japonica, Symphoricarpos racemosa und vulgsris; die Heckenkirschen, Lonicera, in vielen Arten; der Liguster, Ligustrum vulgare. Unter diesen genannten Gehölzen vertragen einen gedrückten, schattigen Standort am besten: Prunus Padus und serotina, Mespilus Oxycantha, Cornus mascula, Philadelphus coronarius, Ribes alpinum, Rubus odoratus, Symphoricarpos vulgaris, Lonicera Xylosteum und Ligustrum vulgare. – Von den als kleinere bezeichneten Gehölzen erreichen zwar manche mit der Zeit auch eine ziemliche Höhe, doch da sie schon früher blühen, so kann man sie dadurch voll und niedrig erhalten, daß man von Zeit zu Zeit die ältesten und stärksten Triebe dicht über dem Boden wegschneidet und die Sträucher durch neue Schossen aus der Wurzel sich verjüngen läßt. Es ist demnach ein falsches Verfahren, diese jungen Schossen wegzuputzen und dadurch die älteren Stämme von unten auf kahl und häßlich zu machen. – Zu den auf unserm Entwurf mit a bezeichneten Gruppen wählen wir von feineren Gehölzen solche, die nicht über mannshoch werden, um darüber hinwegsehen zu können. Sie verlangen im Winter gegen den Frost gedeckt zu werden. Dahin gehören: Rhododendron ponticum, colombiense, hirsutum; Azalea pontica, viscosa, nudiflora; Mahonia aquifolia; Aucuba japonica; Clethra alnifolia; Deutzia corymbosa; Daphne aureola; Paeonia arborea; Prunus Laurocerasus, giftig; Spiraea Revesiana, ariaefolia, prunifolia, adiantoides; Weigelia rosea, splendens etc.

Was die Ausschmückung eines kleinen Gartens mit Blumen betrifft, so ist wohlgethan, ihn nicht damit zu überladen, und sich lieber auf wenige Blumengruppen einzuschränken, dafür diese aber so zu bestellen, daß sie so viel wie möglich den ganzen Sommer hindurch blühend unterhalten werden. Auf unserem Entwurf haben wir einige Gruppen auf den Rasenflächen vor dem Hause und auf der östlichen Seite am Nebengebäude eine einfache lange Rabatte zu bedenken. Die Gruppen b bestimmen wir zu einer Decoration mit Blattpflanzen, ein vorzüglicher Schmuck für Gärten. Wir pflanzen in die Mitte Pflanzen von hohen leichten Formen, wie Arundo Donax, ein hohes schlankes Rohr, wie Helianthus salicifolius unter Bedeckung im Freien ausdauernd; oder die einjährigen Ricinus communis und Obermanni; Riesenmais, Riesenhanf etc.; ferner einige Gewächshauspflanzen, die, im Frühjahre jung ausgepflanzt, im Laufe des Sommers zu schönen Exemplaren heranwachsen, als Uhdea grandis und pinnata, Abutilon striatum etc.; um diese hohen Formen dann niedrigere: Canna indica, discolor mit bräunlichen Blättern, glauca, Warszewiczii; Hedychium Gardnerianum; dann noch kleinere Blattpflanzen: Caladium Colocasia und Nymphaefolium mit mächtigen herzförmigen Blättern, die zweifarbige Begonia discolor, sämmtlich Knollengewächse, die nach Art der Georginen im Frühjahr ausgepflanzt, im Herbst herausgenommen und frostfrei durchwintert werden müssen. Die Gruppe c bepflanzen wir im Spätherbst mit niedrigen Staudengewächsen, die zeitig im Frühjahr zur Blüthe gelangen. Dahin gehören: Primula veris, Bellis perennis; Plox verna, repens, decussata; Omphaloides verna; Viola odorata; Gentiana acaulis; Anemone alba; Alyssum saxatile; Arabis leptocarpa etc., oder wir legen anstatt der Stauden auf einige Gruppen Blumenzwiebeln um dieselbe Zeit. Am besten passen dazu die gewöhnlichen Landtulpen; spätblühende Hyacinthen; Narcissen; Tazetten; Iris persica, sibirica, Xiphium und Xiphioidea etc., eingefaßt von der schönen blauen Scilla amoena, dem gelben Allium Moly und Anderen. Ist diese Frühjahrsflor verblüht, so werden die Stauden und Zwiebeln herausgenommen, erstere auf Reservebeete gepflanzt, letztere bis zum vollständigen Abwelken der Blätter eingeschlagen und dann bis zum Wiedergebrauch trocken aufbewahrt. Auf die leergewordenen Gruppen pflanzen wir, nachdem sie von Neuem kräftig gedüngt sind, entweder Sommergewächse, wie Levkoyen und dergleichen und wechseln, wenn auch diese abgeblüht haben, zum zweiten Mal mit Astern, Balsaminen und anderen Herbstblumen ab, oder wir pflanzen zur zweiten Flor solche Blumen, die bis zum Frost hin blühen, wie Verbenen, Cupheen, Calceolarien, Heliotrop u. s. w., deren Auswahl in allen Handelsgärten so groß und jedem Gartenfreunde bekannt ist, daß eine besondere Aufzählung hier überflüssig Raum wegnehmen würde. Die Rabatte d verwenden wir zur Anpflanzung von hochstämmigen Rosen oder Flieder (Syringa) und legen zum Sommer zur Abwechslung Georginen dazwischen an, während wir davor ein Sortiment Stauden und Sommergewächse auspflanzen, deren jeder Blumenliebhaber seine besondern Günstlinge hat, die aber wegen ihrer Größe etc. für die Gruppen im Rasen nicht paßten. Umgeben wir noch die auf dem Entwurf angegebene Fontaine mit einem Halbkreise immerblühender Rosen (Rosa semperflorens, Noisetteana, Thea, ranunculoides etc.), so haben wir unsern Hausgarten so bestellt, daß er für den ganzen Sommer dem Beschauer alle Reize darbietet, die ein kleiner Garten darzubieten vermag.

Schließlich haben wir nur noch einige Worte zu sagen, den auf dem Entwurf angegebenen Balcon betreffend, wie solche häufig in den Hausgarten zur Aussicht an der Straße angebracht werden. Wir finden nämlich daran häufig eine sogenannte grottenartige Decoration von Felssteinen, die anstatt einer Futtermauer für einen rampenartigen Weg zum Balcon hinauf dient. Sind nun auch künstliche Anlagen von Felspartien in Parks angebracht, wo ein bergiges Terrain sie natürlich erscheinen läßt, sehr wohl an ihrem Platze, so ist es doch unnatürlich und lächerlich, solche Felspartieen in kleinen Gärten auf ebenem Boden anzulegen, abgesehen davon, daß dergleichen Arrangements in der Regel, anstatt von bemoosten [227] und verwitterten Felsblöcken, von frischgebrochenen Steinen steif und unnatürlich aufgebaut werden. Ferner geben sie den kleinen Gärten, die im höchsten Maße sauber gehalten sein sollten, ein unordentliches Ansehen und sind für Würmer, Frösche und Kröten willkommene Nester. Man wird daher besser daran thun, eine kleine Futtermauer, die mit Epheu bezogen oder Strauchwerk verdeckt werden kann, für solche Rampen aufzuführen, wenn man einmal keine Treppen haben will, anstatt dem lieben Gott in’s Handwerk zu pfuschen und Felsen hinzusetzen, wo er sich eine schöne Sandebene geschaffen hat.




Aus einer Wahlversammlung in London.

Das vereinigte Königreich Großbritannien (England, Schottland, Wales und Irland) hat unter 28 Millionen Einwohnern 5,500,000 großjährige Männer. Davon sind etwa 800,000 im Besitze von Häusern und so viel Schillingen, als die in unentwirrbaren Foliobänden vorgeschriebenen Wahlgesetze zur Ausübung des Wahlrechts verlangen. Von den 800,000 Wählern haben sich jetzt bei dem unerhörten Parlamentswahlschwindel, zur Wiederherstellung des Vertrauens, welches das aufgelöste Parlament dem Premierminister Lord Palmerston abgesprochen, im Durchschnitt ein Viertel zur Ausübung ihres Wahlrechts eingefunden, so daß 200,000 Menschen „das Land“ waren, an welches Palmerston appellirte, und daß sie das neue Parlament mit Ausschluß der meisten unabhängigen Männer (Cobden, Bright, Gibson u. s. w.) aus den „Poll-Buden“ und von den Rednerbühnen zusammenwählten. Das „Land“ war in großer Aufregung, hieß es, die Zeitungen brachten alle Tage viele Ellen lang engbedrucktes Papier darüber. Die elektrischen Telegraphen hatten weder Tag noch Nacht Ruhe, um die Kämpfe und Schlachten, Siege und Niederlagen in den verschiedenen Wahlflecken und Wahldistricten in alle Welt zu verkündigen.

Um was handelte es sich denn? Setzen wir den wesentlichen Thatbestand noch einmal hierher. Chinesische Polizei hatte im vorigen October von einem chinesischen Schiffe Seeräuber weg arretirt. Das chinesische Schiff hatte früher Concession zur Aufziehung einer englischen Flagge gehabt. Die Flagge diente hauptsächlich dazu, den Opiumschmuggel der Agenten der ostindischen Compagnie zu schützen. Der englische Consul Parkes in Canton schrieb an den englischen Gouverneur Sir John Bowring in Hongkong, daß die Chinesen die englische Flagge beleidigt. Bowring antwortete in einem dem Parlamente vorgelegten Briefe: „Die Concession des chinesischen Schiffes zur Aufziehung der englischen Flagge war erloschen, folglich hat es kein Recht mehr auf englischen Schutz.“ Etwas später schrieb derselbe Bowring an den chinesischen Gouverneur Yeh von Canton, der die Seeräuber hatte arretiren lassen: „Das Schiff trug die englische Flagge gesetzlich kraft einer von mir gegeben Concession.“ Er müsse also die Seeräuber herausgeben. Yeh berief sich auf den Thatbestand und sagte daher, das chinesische Schiff sei kein englisches Schiff. Aber er gab erst neun, dann die übrigen drei Seeräuber heraus und bat um Entschuldigung für den Umstand, daß er Recht habe. (Auch der zweite Brief ist in dem Actenstücke, das dem Parlamente vorgelegt ward, zu finden.) Bowring hatte gedroht: Wenn Du die Seeräuber nicht herausgiebst, lasse ich bombardiren. Yeh gab die Seeräuber heraus. Darauf ließ Bowring Canton zerstören, und zwar aus dem Grunde, wie er in einem andern dem Parlamente vorliegenden Briefe sagte, weil die Chinesen nicht gewußt hätten, daß die Concession, die englische Flagge zu ziehen, für das betreffende Schiff erloschen war.

Das Parlament tadelte auf Cobden’s Antrag Lord Palmerston und seine Collegen, weil sie die Barbareien, auf doppelte Lügen begründeten Barbareien Bowring’s in Schutz nahmen. Gut, sagte Palmerston! ich löse euch auf und appellire an’s Land, das mich loben wird, da ich die „Ehre der britischen Flagge“ nicht ungestraft beleidigen ließ. Das „Land,“ d. h. die Wähler von den 200,000 (unter 28 Millionen Bewohnern), welche nicht lesen oder Unrecht nicht von Recht, Unwahrheit nicht von einfachster ermittelter Wahrheit unterscheiden konnten und wollten, wählten eine Majorität für Palmerston, den Secundanten Bowring’s. Fast überall fielen die Männer, welche Lüge Lüge genannt, in den Wahlen durch, nur in der City von London nicht. Das eigentliche Parteiprincip des großen Wahlkampfes hieß: Er hat die Unwahrheit gesagt und sie und die darauf gegründete Brutalität als Wahrnehmung der britischen Ehre bezeichnet. Ist diese Unwahrheit und Brutalität unsere Ehre oder nicht? Sagst Du, Unwahrheit und Brutalität seien nicht unsere Ehre, so bist Du nicht Palmerston’sch und fällst durch. – Und so fielen sie denn auch so lange durch, bis die Majorität für Palmerston herauskam, nur nicht in der City, welche mit drei Andern unser alter Freund, der kleine Lord John Russel, vertritt. Er sollte durchaus durchfallen, Lord Palmerston hatte deshalb vorher expreß beim Lord Mayor gegessen und eine feurige Rede geredet zur Ehre der britischen Flagge. Aber er fiel doch nicht durch, so entschieden er auch für Cobden gestimmt hatte. Die Freunde des Lord-Mayors, die englischen Händler in der City, haben freilich kein Verdienst dabei. Lord John Russel verdankt seine Wiederwahl in der City wesentlich den Juden, deren Emancipation er wiederholt im Parlamente beantragte. Die Juden in der City sind zahlreich, reich und einig. Gegen 5000 haben das Wahlrecht. Sie stimmten alle für Rothschild und Russel. (Die Wähler in Districten, die mehrere Vertreter haben, wählen nicht je einen, sondern alle Wähler wählen alle Vertreter, so daß jeder Wähler in der City für vier stimmte.) Wo echte Engländer wählten, ließen sie ihre verdienstvollsten, populärsten Männer durchfallen. Es gibt keinen verdienstvolleren Mann in England, als Richard Cobden, und Richard Cobden, von seinen bisherigen Wählern verschmäht, fiel als Candidat in Huddersfield durch. Dort siegten die Palmerstonianer. In der City kam es ihnen noch vielmehr darauf an, denn der Name Russel, obgleich durch manche Acte der Schwäche, Halbheit und Unklarheit abgescheuert, hat doch noch einen mächtigen Klang; aber in der City siegten sie nicht. Die Juden waren anständig und einig.

Ich ging den Wahlen, wo ich Spuren davon sah, immer aus dem Wege, wie drei Viertheile der Wähler mit Ekel an ihr Wahlrecht dachten und sehr empfindlich baten, man möge davon schweigen, wenn man sie daran erinnerte, wie ich dies aus vielfacher specieller Erfahrung weiß. Aber zur City-Wahl ging ich doch, erstens weil ich ein Billet zur Gallerie der Guildhall, des City-Rathhauses und Wahllocals hatte, besonders aber um Feruk Khan zu sehen, den persischen Gesandten in Paris, der zum Besuche ist und der sich den Schwindel auch ansehen wollte, wie mir versichert ward. So begab ich mich am 27. März per Omnibus und Eisenbahn hinunter von meinem London nach dem Centrum Londons und kam fast um zwischen Wagenrädern und Menschen in Cheapside, der Hauptverkehrsader in der City, aus welcher eine kurze Königsstraße (King street) direct in die Guildhall führt, wenn Platz ist. Heute war aber kein Platz, gerade so, wie damals, als Kossuth in Guildhall speiste, gerade so, wie damals, als wieder Kaiser Napoleon in Guildhall speise, gerade so, wie dann, wenn Mazzini oder Gouverneur Yeh, falls Ersterer als Präsident von Italien und Letzterer als Kaiser von China nach London käme, in Guildhall speisen würden:

„Sei’s Christian oder Itzig:
’s Geschäft bringt’s mal so mit sich!“

Nein dieser Spectakel von Guildhall! Keine Wahl hängt von den Wählern ab, sondern von den Wahl-Committees, die sich in geschlossenen Localen mit verschiedenen Candidaten „abfinden“ und dann für ihn wühlen, drucken lassen, Placate anschlagen, ein paar Hundert Pfund in Droschken verfahren, Lieder drucken und auf der Straße absingen lassen, freundschaftliche Besuche bei mächtigen Wühlern machen und Alles „so weit“ abschließen, daß sie nur noch Crethi und Plethi abstimmen zu lassen brauchen. Diese Abstimmung, die „Nomination“ geschieht durch „Händeaufheben“ entweder vor öffentlichen Rednerbühnen auf der Straße oder, wie hier, in einer großen Halle. Eine gewissenhafte Controle über Wahlrecht und Nichtwahlrecht gibt’s dabei nicht, so daß die gemietheten Banden oft direct den Ausschlag geben. Vor Guildhall hatten sich die Freunde und Agenten von fünf Candidaten placirt und kämpften mit einander, Spottlieder durch die Nase quäkend, kleine Zettel und große Zettel gewaltsam in die Hände der Leute drückend, worin die

[228] traurige, hoffnungslose Lage Lord John Russels geschildert ward, so daß es vergeblich und der englischen Ehre zuwider sei, irgend etwas für ihn zu thun. Zettel und Wähler für Lord John Russel bemerkte ich nicht. Er ist doch persönlich ein nobler, alter Herr, der diese gemeinen Schwindeleien verachtet. Freilich hatte er ein Wahlcommittee, bestehend aus 270 der größten Banquiers und Großhändler der City. Außerdem mochte er wissen, daß die Juden ihm wirklich und einig zugethan seien und keiner Wahlumtriebe, keiner Freibillets auf Bier und Schnaps bedürften. Aus der alten, eisigen, steinernen Guildhall hervor hämmerte und donnerte es hervor unter die Bänkelsänger und Agitatoren der vier Candidaten. Equipagen drängten sich hindurch, Damen und Herren stiegen aus und gingen kühn zwischen die Bretter und das Gehämmere und den Wirrwarr im Innern, wo es galt, in höchster Eile die „Poll-Buden“ zu vollenden. Pollbuden, wie Rednerbühnen, werden sonst immer im Freien aufgeschlagen; aber in Guildhall ist Platz, außerhalb aber keiner, so daß das Wahlrecht der „Poll“ im Innern geübt werden konnte. Wenn Candidaten mit der „Nominationswahl“ durch bloßes Händeaufheben nicht zufrieden sind, verlangen sie auf gemeinschaftliche Kosten aller Candidaten (keine Wahl und auch kein Durchfallen mehr möglich ohne 4–5000 Pfund Kosten für Jeden, der gewählt ward oder werden wollte) die Poll, d. h. persönliche, schriftlich aufgenommene, offene Stimmengebung jedes einzelnen Wählers in dazu errichteten Buden. In der City sollte aber für und gegen fünf Candidaten, von denen nur vier gewählt werden konnten, gepollt werden.

Skandal und Gedränge bis 2 Uhr. Der kleine alte Mann, Lord John Russel, tritt mit zwei Freunden herein. Oben sah man seine Gattin und ein paar seiner deutsch erzogenen Söhne mit ihrem deutschen Hauslehrer. Dicht um ihn ward fürchterlich gezischt und gebrummt, oder vielmehr gegrunzt („groaned“ ist das Wort). Seine Gegner hatten sich alle dicht um ihn gedrängt. Die Freunde im Hintergrunde tobten Beifall. Darauf erschien Rothschild, der so oft Gewählte und stets aus dem Parlament Gewiesene, unter rasendem Jubel. Die drei andern Candidaten wurden stiller empfangen.

Der Wahlcommissarius, Mechi mit Namen, ging die verschiedenen Formalitäten durch und bat, jedem Redner ein geduldiges Ohr zu schenken. Eine Stimme aus der Mitte: „Bravo Micki!“ (Furchtbares Gelächter.) Ein Mann, der jetzt auftrat, setzte auseinander, daß Russel 16 Jahre die City vertreten habe und er dies auch künftig möchte (Beifall und Gezische und Gegrunze). So ging’s fort auch während der Rede eines Zweiten, der Lord John Russel vorschlug. Unter ähnlichen Betheiligungen des Publicums wurden auch die vier andern Candidaten vorgeschlagen, so daß die Sache bald undramatisch und einförmig aussah.

Endlich trat Lord Russel selbst auf. Das Beifallsjauchzen dauerte mehrere Minuten. Das hatte etwas zu bedeuten, wir erfuhren auch, was? In seiner trocknen, ruhigen Weise erzählte Lord John, daß man gelogen und betrogen habe und zwar unter Direction eines Palmerston’schen Committee’s, welches ausgesprengt hatte, daß er zurückgetreten sei u. s. w. Die Rede, die man in jeder Zeitung nachlesen kann, so daß ich sie hier ganz übergehe, ward mindestens hundertmal von Beifallsstürmen und unzähligen „Hört! Hört!“ unterbrochen. Er war schwach in seinen Argumenten und schwach in seiner Verurtheilung des Chinawahlfiebers und Palmerston’s, aber in seinem Behaben gegen Intrigue und Feinde ein nobler, tapferer, alter kleiner Herr. Er setzte sich unter allgemeinem Beifallssturme nieder. Alle diese Ehre theilte er mit Rothschild, der nach ihm auftrat und sich für Palmerston erklärte. Die andern Candidaten wurden weniger beachtet. Die Sache dauerte ohne besondere Störung, ohne daß ein einziges principiell bedeutendes oder rednerisch schönes und erwärmendes Wort fiel, ein paar Stunden und endigte mit Aufhebung und Zählung von Händen, wonach Russel, Rothschild, Duke und Crawford als Vertreter der City durch „Nomination“ gewählt waren. Der fünfte Candidat Currie hatte die wenigsten erhobenen Hände, so daß seinetwegen gepollt werden mußte. Eine Wahl durch Poll macht die Wahl durch Nomination ungültig, so daß Alles von der Zahl der eingeschriebenen Wählernamen abhängt. Daß die Wähler am folgenden Tage von 8 Uhr Morgens bis 4 Uhr Nachmittags fortwährend zu den Pollschreibern in den Pollbuden gingen und ihre Namen für ihre Vertreter aufschreiben ließen und davon gingen, hat durchaus nichts Dramatisches, in äußerlicher Erscheinung Interessantes, geistig noch weniger, da die Meisten für Russel, den Gegner des Chinaflaggenehrenbombardements, und Rothschild, den Freund der Palmerston’schen Flaggenehrenpolitik, zugleich stimmten. Das einzige Interessante in der Wahlversammlung war Feruk Khan in seiner diamantenblitzenden blauen Robe und der großen, spitzigen Mütze, mit den ruhig funkelnden Augen und dem ungeheuern schwarzen Barte, aus welchem das gelbliche Gesicht und die schwarzen Augen so ruhig und unbewegt hervorschienen, als wäre Alles aus Stein gehauen. Er verzog nie eine Miene. Der Glückliche verstand kein Englisch, sonst hätte er jedenfalls, obgleich Gesandter einer demoralisirten und schwach gewordenen Nation und einer despotischen Regierung, öfter verächtlich lächeln müssen, obgleich dies die wichtigste, die lebhafteste, die interessanteste von allen 654 Wahlen in England, Schottland und Irland war, wenn man die in Kidderminster, der tief und eng im Thale gedrängten Teppichstadt, wo der Pöbel den Palmerston’schen, gewählten Candidaten prügelte und sein Haus ziemlich demolirte, nicht dramatischer finden will.

Blos als der kleine Lord John Nachmittags aus Guildhall unter die Nichtwähler und verunglückten, wahlunfähigen Urwähler und Urwählerinnen auf der Straße heraustrat, wurde es noch einmal auf ein paar Minuten malerisch. Alt und Jung, Weib und Kind, Lumpen und Vatermörder bettelten den kleinen Lord John stürmisch um ’ne Rede an. „A speech! A speech!“ schrie es aus allen Tonarten, nachdem sich der Begrüßungssturm gelegt hatte. Lord John gab ihnen ein kleines Almosen und machte folgende „speech“: – „Was jetzt in Guildhall stattgefunden, hat gezeigt, daß Verleumdung nicht wirkte. Ich hege das Vertrauen, daß die Poll morgen noch deutlicher die wirkliche Gesinnung der Wähler Londons bekunden wird, und ihr, die ihr Nichtwähler seid, werdet wohlthun, euren Freunden, die wählen, zu einer zahlreichen Einfindung bei der Poll zu rathen.“ – Das war wenig. Aber die Nichtwähler empfingen die kleine Gabe mit jubelndem Danke und gingen dann von selbst auseinander.

In der City hat die Verleumdung und Lüge nicht gesiegt, aber blos der 2000 stimmenden Juden wegen. Im ganzen übrigen Lande ist sie mit wenigen entschiedenen Ausnahmen, z. B. in der Messerstadt Sheffield, siegreich gewesen, so daß, wie selbst die Times sagte, die eigentliche Ehre und Kraft des vorigen Parlaments außerhalb des neuen Parlaments fallen und das neue Parlament als eine Frucht der Unwahrheit, der Verleumdung und des pfiffigen Schwindels falscher Vorwände dastehen wird.




Allen Freunden gemüthlichen Humors

wird für dieses Quartal der überall gern gesehene

Illustrirte Dorfbarbier.
Ein Blatt für gemüthliche Leute
von Ferdinand Stolle

bestens empfohlen. Während General Pulverrauch und der Dorfbarbier die Weltgeschichte coram nehmen, verhandeln Breetenborn und Nudelmüller die brennenden Fragen des Tages, der Bildermann mit seinen komischen Illustrationen und Zeitbildern aber wird von jetzt ab doppelt interessant werden, da die Preisausschreibung so viel gesunden Witz und Humor eingebracht, daß er für lange Zeit mit zwerchfellerschütternden Bildern aufwarten kann. Für 10 Ngr. vierteljährlich abonnirt man bei allen Postämtern und Buchhandlungen.

Die Verlagshandlung.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: engste
  2. Gustav Friedrich Waagen; Vorlage: Moagen