Die Gartenlaube (1861)/Heft 5
Der Festungs-Commandant.
Der Commandant des Spielbergs hatte unterdeß sich damit beschäftigt, einen Brief an den König Joseph zu schreiben, um ihm seine Verlobung zu melden, seine Einwilligung und zugleich seine Verwendung zu erbitten, daß ihm jetzt eine andere Dienststellung zu Theil werde. –
Die Antwort, welche darauf nach wenigen Tagen erfolgte, bestand aus einem eigenhändigen Schreiben des römischen Königs; es war voll Herzlichkeit und Wohlwollens für Frohn, aber es hatte den Schlußsatz: „Was Seine Versetzung angeht, so wird es damit keine Eile haben … die Kaiserin weiß, welchen treuen Diener sie an Ihm hat und daß Er den Trenck hüten würde, wenn er statt Seiner Frauen Oheim Sein eigener Vater wäre!“ –
Der Oberst von der Trenck war während dieser nächsten Tage, welche auf Frohn’s Verlobung folgten, nicht müßig gewesen. Durch die Beziehungen, in welchen er mit einzelnen Persönlichkeiten in der Stadt Brünn stand, welche von Zeit zu Zeit auf den Spielberg kamen, um ihm einen Besuch zu machen, – durch diese Beziehungen und das Opfern und Versprechen bedeutender Geldsummen hatte er es möglich gemacht, nach den Schlüsselabdrücken, welche seine Nichte ihm übergeben, durch einen geschickten Arbeiter Schlüssel herstellen zu lassen. Er hatte dies vor seiner Nichte verheimlicht, aber er hatte unterdeß Alles gethan, um die Trauung von Agnes Mirzelska und Frohn zu beschleunigen, indem er den Anschein einer großen und herzlichen Theilnahme an ihrem Glücke annahm. –
Etwa vier Wochen waren vergangen, und der Tag der Vermählung für den Commandanten des Spielbergs war gekommen! Um die Mittagsstunde dieses Tages fuhr Agnes Mirzelska, begleitet von einem Paar jungen Damen, Töchtern von Officieren der Besatzung, in die Stadt hinab; Frohn folgte ihr zu Pferde, umgeben von einer kleinen Gruppe seiner Cameraden und Freunde aus der Stadt und der Festung, die ihm als Trauungszeugen dienten.
In einer der Hauptkirchen der Stadt Brünn wurde die Vermählung vollzogen. Als sie glücklich beendet, nahm Frohn bei Agnes im Wagen Platz, um sich mit ihr auf den Spielberg heimzubegeben. In der Wohnung des Commandanten oben, die zum Empfange des jungen Paars festlich geschmückt und eingerichtet war, wartete ihrer und ihrer Begleitung ein kleines Festmahl; der Oberst von der Trenck hatte es sich nicht nehmen lassen, es herzurichten und als nächster Verwandter der Braut den Wirth zu machen. Mit der Einwilligung des Gouverneur von Brünn hatte Frohn ihm gestatten dürfen, seine Wohnung zu verlassen und sich den ganzen Tag über dazu frei in den Zimmern des Commandanten zu bewegen.
In der That hatte der Oberst für ein glänzendes Bankett gesorgt. Er nahm den Ehrenplatz neben dem Brautpaar oben an der Tafel ein und schien in der besten Stimmung, an diesem festlichen Tage einmal wieder zu schwelgen wie in seinen tollsten Jugendzeiten. Die rückhaltslose Heiterkeit, der er sich hinzugeben schien, hatte freilich etwas, das für ein junges Ehepaar und namentlich für die junge Frau ein wenig beunruhigender Natur war; doch verstand es Agnes Mirzelska mit gutem Takt, die Späße und Anspielungen zu überhören, die ihr Oheim nicht unterdrücken konnte und die etwas nach dem Pandurenlager schmeckten. Er brachte dabei einen lustigen Trinkspruch nach dem andern aus und schien es darauf angelegt zu haben, seine Gäste nicht anders als mit voller Ladung und schwer bezecht zu entlassen. Je lauter jedoch die Heiterkeit Trenck’s und der Uebrigen wurde, desto stiller wurde Frohn. Er warf von Zeit zu Zeit einen unbemerklichen scharf forschenden Seitenblick auf den lustigen Hochzeitsvater und führte immer seltener das Glas zum Munde.
„Warum trinkt der Herr Neffe nicht, wie ein Soldat trinkt sondern nippt wie ein Vogel?“ sagte Trenck endlich unwillig … ich hoffe nicht, daß er meine Weine verachtet.“
„Ganz im Gegentheil … ich verachte sie nicht, ich habe zu großen Respect vor ihnen …“ versetzte Frohn lächelnd; „ich bekenne freiwillig, daß ich lange nicht eine ehrwürdigere Versammlung von alten, feurigen, großmächtigen Weinen bei einander gesehen habe.“
„Ah bah – es ist nichts darunter, was nur entfernt schwer wäre, wie das Getränk, bei dem wir unsre erste Bekanntschaft in Engelszell machten, mein lieber Frohn,“ rief Trenck laut, aber ein wenig gezwungen auflachend aus. –
Die Nacht war eingebrochen, die Damen waren längst aufgestanden und hatten die junge Fau in ihre Gemächer begleitet. Der Zapfenstreich war geschlagen, die Herren aus der Stadt hatten sich verabschiedet, weil die Thore geschlossen werden mußten, eine Stunde später begannen auch die Herren, welche auf dem Spielberg wohnten, aufzubrechen, und obwohl Trenck sie zu halten versuchte und, um ihnen mit einem guten Beispiele voranzugehen ein Glas nach dem andern niederstürzte, entfernten sie sich allmählich mit mehr oder minder schwankenden Schritten.
Einen der zuletzt aufbrechenden, einen bis in die helle Unzurechnungsfähigkeit
[66] hinein bezechten alten Hauptmann, ergriff Trenck plötzlich am Arme.
„Heda, wohin wollt Ihr denn, alter Knabe? Ihr kommt ja nicht drei Schritte weit in dem Hofe vorwärts – Ihr seid ja so schwer betrunken, daß Ihr die Parole vergessen habt.“
„Ich? Die Parole?“ stammelte der Trunkene. „Wie werd’ ich … ich werde doch die Parole kennen!“
„Den Teufel kennt Ihr … so sagt sie einmal auf, wenn Ihr sie wißt?“
„Sohr und Engelszell!“ rief der Hauptmann triumphirend aus, „seht Ihr, daß ich’s weiß?“
„Wahrhaftig, Ihr wißt sie – nun so schiebt ab, so gut Ihr könnt, und lavirt in die Hölle, alter Esel … Hurrah für Sohr und Engelszell … das war eine Parole für Euren Ehrentag, Neffe Frohn – Sohr, wo der Trenck den Preußentönig überlistete, und Engelszell, wo der Frohn wieder den Trenck überlistete, den noch Keiner überlistet hatte … stoßt an, Frohn, Ihr sollt leben, und der Spielberg soll leben … es ist doch blos die Vorhalle zur Hölle und die Hölle selber noch lange nicht, und wenn’s auch die Hölle wäre, so sollen sie doch leben, und der Teufel, der darin regiert, und die Seelen, die darin braten – sie sollen Alle bis auf die Nagelprobe leben – trinkt doch, alter Kunde, Neffe, Spielbergteufel, Seelenbrater von einem Commandanten, für Sohr ein’s und ein’s für Engelszell … es ist der reine goldene Tokayer, kein Tropfen Gift ist d’rin. Freund Frohn, kein Tropfen von Deinem Gift!“
Frohn wehrte ruhig den mit einem vollen Glase auf ihn Eindringenden ab.
„Gehen Sie zur Ruhe, Oberst,“ sagte er, „Sie bedürfen der Ruhe!“
Der Oberst stürzte das Glas, welches Frohn zurückwies, hinunter; dann ließ er es zu Boden fallen, wankte wie ein schwer Betrunkener und schritt im Zickzack auf ein Sopha zu, welches unfern von ihm an der Wand stand. Er warf sich der Länge nach darauf und schien sich sofort dem Schlummer überlassen zu wollen.
Frohn ergriff ihn am Arm und schüttelte ihn.
„Sie müssen sich in Ihr Quartier zurückbegeben, Oberst Trenck!“
Der Oberst Trenck schlug mit den Armen um sich und lallte unverständliche Worte.
Frohn befahl nun den Dienern, die bei dem Mahle aufgewartet hatten, den Obersten unter die Arme zu fassen und in seine Zimmer zu bringen.
So wie jedoch die zwei Männer sich dem Schlummernden näherten, begann dieser mit Händen und Füßen um sich zu schlagen, wie ein Wahnsinniger; mit der Kraft eines Löwen schleuderte er Jeden zurück, der Miene machte ihn anzufassen, und begleitete solche Kraftproben mit einem gotteslästerlichen Fluchen; der Wein schien den alten Panduren in seiner ganzen Größe in ihm entwickelt zu haben.
Frohn fürchtete Agnes durch die Fortsetzung des Lärmens zu erschrecken. Er wollte um jeden Preis verhindern, daß sie nicht herbeigeeilt komme und ihren Oheim in dieser Situation erblicke – deshalb rief er die Diener zurück, mit dem Befehl, den Trunkenen in Gottes Namen liegen zu lassen. Eine Weile dann war er mit ihm allein in dem Gemache. Er stand mit untergeschlagenen Armen, mit gerunzelter Stirn vor ihm und ließ seine Augen forschend auf diesen grotesken, halb vom Weine flammend gerötheten, halb pulvergeschwärzten Zügen haften. Trenck lag da, mit geschlossenen Augen, mit halb geöffneten Lippen, mit schwerem und doch regelmäßigem Athemholen, mit allen Symptomen eines Schlafes, der aussah, als werde er ein paar Tage lang dauern.
„Es scheint, er hat genug und ist für diese Nacht unfähig, etwas zu unternehmen, wenn er es sich auch vorgenommen hat,“ murmelte Frohn endlich halb beruhigt zwischen den Zähnen; und dann ging er, um zu seiner jungen Gattin zu kommen.
Die Diener kamen noch einmal in den Saal, um die Geschirre und Reste des Mahles abzuräumen; Trenck lag während dessen wie todt da. Die Diener löschten die halb abgebrannten Lichter bis auf eines, das sie brennen ließen, aus und entfernten sich. Eine Stunde später war der Spielberg in seine gewöhnliche nächtliche Ruhe versenkt. Man vernahm nichts mehr, [als das?[WS 1]] Schreiten der Schildwachen auf den Höfen, das alle Viertelstunden sich erhebende und die Runde um die ganze Citadelle machende Geschrei der Wachen: „Alles gut!“ welches Niemanden mehr erweckte … und von Zeit zu Zeit aus den Verbrecher-Casematten her das Klirren einer der Fußketten, womit diese an ihre langen Stangen angeschmiedet waren. – Noch eine Stunde verfloß; das Licht in dem Salon, welches den trunkenen Schläfer auf dem Sopha beleuchtete, war dem Erlöschen nahe. Der Oberst von der Trenk hob langsam den Kopf auf. „Wir haben nur noch für zehn Minuten Licht!“ murmelte er. „Es wird Zeit!“ Dann lauschte er einen Augenblick. „Es ist Alles still! Die Neuvermählten haben sich und die Welt vergessen. Nun, an den Trenck sollen sie morgen früh genug erinnert werden!“ Dabei erhob er sich leise, kniete vor dem Sopha nieder, auf dem er gelegen hatte, und zog unter demselben ein ansehnliches Bündel hervor. Als er es auseinanderschlug, nahm er einen Officiersdegen, zwei Pistolen, eine Militairmütze und ein Bund Schlüssel heraus, schnallte den Degen um, steckte die Pistolen zu sich in die Brusttasche seines Uniformrocks und warf die Hülle des Bündels um seine Schultern; es war ein weiter Militairmantel mit rothem Kragen. Das Bündel Schlüssel nahm er in seine Hand, ergriff dann das Licht, setzte die Mütze auf und verließ mit behutsamen Schritten das Gemach. Draußen gelangte er durch ein Vorzimmer in den Treppenraum, schritt die Stiegen hinab und kam unten in den Flur vor der großen Hausthüre. Links neben dieser lag die Stube, worin sich die Ordonnanzen aufhielten. Nichts rührte sich drinnen, Trenck konnte unaufgehalten beim Schein seines verflackernden Lichts, das er auf den Boden gestellt hatte, den rechten Schlüssel aussuchen, die Thür öffnen und, das Licht zurücklassend, in den Hof hinaustreten. – Er trat jetzt frei und ohne die bisherige Scheu, Geräusch zu machen, auf.
Die Schildwache, welche vor der Thüre stand, streckte ihm das Bajonnet entgegen.
„Halt! Wer da?“ rief der Mann aus.
„Ich bin’s, mein Freund, der Commandant, Oberstwachtmeister von Frohn.“
„Parole!“
„Sohr und Engelszell! Da hast Du die Parole! Jetzt pack’ Dich aus dem Wege!“
„Passiren der Herr Oberstwachtmeister!“ sagte der Mann und stellte sich, um die Honneurs[WS 2] zu machen, neben sein Schilderhaus.
Trenck ging weiter, quer über den Hof. Die Nacht war ziemlich sternenhell, der Himmel nur theilweise umwölkt: wer mit der Oertlichkeit bekannt war, konnte sich ohne Schwierigkeit zurecht finden. Der Oberst wandte sich einem Winkel des Vierecks zu, welche die den Hof umstehenden Gebäudetheile bildeten; hier, zwischen zwei dieser Gebäude ansteigend, führte ein Weg auf den Wall der Citadelle. Vor dem Aufgange zwischen jenen beiden Gebäuden war ein zweiter Posten zu passiren. Dieselbe Scene, welche bei der ersten Schildwache gespielt, wiederholte sich bei der zweiten. Der Mann, der Trenck das Bajonnet vorhielt und bald wieder schulterte, konnte keine Ahnung haben, daß Jemand anderes vor ihm stehe, als die hochgewachsene, stattliche Gestalt des Commandanten, der selbst in seiner Brautnacht nicht unterließ, seine Wächterrunde durch die seiner Obhut befohlene Veste zu machen.
Und in der That, selbst in seiner Brautnacht hatte der Commandant die Pflichten seines Amtes nicht vergessen. Er hatte seinen Gefangenen viel zu scharf beobachtet, um nicht Argwohn zu fassen, und dieser Argwohn hatte ihn nicht ruhen lassen. Während Trenck kecken Muths den Weg zum Wall hinanschritt, während er schon die Lust der Freiheit zu athmen glaubte, während deß erhob sich Frohn leise von der Seite der still schlummernden jungen Frau, leise warf er seine Kleider, seinen Mantel um, nahm die Schlüssel der Festung vom Nachttisch, wo sie ruhten, und verließ unhörbar das Schlafzimmer.
Er trat in den Salon; es war völlig dunkel in demselben. Frohn blieb stehen, um auf das Athmen des Schläfers, den er auf dem Sopha liegend wußte, zu horchen; er vernahm keinen Laut, erschrocken tappte er sich dem Sopha näher – er streckte die Hand aus, um es zu betasten; aber noch bevor er es berührt hatte, erkannte sein die Dunkelheit durchdringendes Auge, daß es leer war!
„Ahnt’ ich’s doch, daß Alles nur Spiel und List war!“ rief er aus. „Der Oberst ist fort – heda, Leute, – Ordonnanzen – Licht her!“
[67] Seine Stentorstimme donnerte diese Worte, während er bereits durch das Vorzimmer stürzte und den Treppenraum erreichte. „Die Ordonnanzen mit Licht herauf!“ rief er noch einmal, und zugleich flog er die Treppe hinunter, um die Leute unten aus dem Schlummer zu schütteln, wenn sie ihn nicht gehört hätten. Als er den Fuß der Treppe erreicht hatte, stürzten ihm ein paar Leute aus der Stube der Ordonnanzen entgegen.
„Folgt mir in das Quartier des Obersten Trenck,“ rief er diesen zu, „ich will sehen, ob er darin ist,“ und zugleich wandte er sich, um die Stiegen wieder hinauf zu fliegen. In diesem Augenblick wurde von außen heftig an die Hausthüre geschlagen. Frohn wandte sich zurück. „Das ist die Schildwache, die mit dem Kolben an die Thüre schlägt,“ rief er aus; „was will der Mann?“ und zugleich griff er hastig nach seinem Schlüsselbund, ließ sich von einer der Ordonnanzen, die ein Licht trug, leuchten und öffnete die schwere Eichenthüre. Draußen, auf dem Treppensteine vor der Thüre, stand in der That die Schildwache, die mit dem Kolben angepocht hatte.
„Was ist? was gibt’s?“ schrie Frohn sie an.
„Ja, ich verwundere mich halt,“ sagte der Mann, „ich hör’ eben drinnen den Herrn Oberstwachtmeister rufen, und der Herr Oberstwachtmeister ist doch vor nicht fünf Minuten an mir vorüber in den Hof gegangen.“
„Wer – wohin ist er gegangen?“
„Der Herr Oberstwachtmeister; just so hat er ausgeschaut und hat die Parole gegeben und ist über den Hof gegangen mit den Schlüsseln in der Hand, gerad’ so wie der Oberstwachtmeister.“
„Alle Teufel der Hölle!“ schrie Frohn außer sich, „so schlag Er doch Lärm, ruf Er die Posten an,“ und dann donnerte seine Stimme wie das Commandowort eines Capitains im Sturm, der sein Schiff einem Felsen zutreiben sieht:
„Posten, Achtung! Die Wache in’s Gewehr! Niemand passirt!“
Die Stimme des Commandanten fand augenblicklich einen weithin tönenden Nachhall. Der zehnfache, zwanzigfache Ruf: Achtung! tönte von Posten zu Posten durch die Stille der Nacht; zugleich wurde das laute Echo des Festungshofes durch das Rasseln der Gewehre geweckt, zu denen die Grenadiere der Wache stürzten. Unterdeß hatte Frohn sich von dem Posten vor seiner Thüre die Richtung bezeichnen lassen, in welcher der Flüchtige über den Hof geschritten; er eilte, von seinen Ordonnanzen gefolgt, in derselben Richtung davon; an der Hauptwache vorüberschreitend, befahl er dem Officier derselben: „Patrouillen sollen abgehen; lassen Sie die Lärmkanone abbrennen!“ und dann eilte er weiter, dem Winkel des Hofes zu, wo der Aufgang zu den Wällen war. Drei Ordonnanzen folgten ihm, ohne trotz aller Anstrengung gleichen Schritt mit ihm halten zu können. In der Ecke, zwischen den zwei Gebäudetheilen, die hier den Raum für den ansteigenden Weg zum Wall ließen, wollte ihn die Schildwache aufhalten; Frohn schlug ihr das Bajonnet zur Seite, indem er gebieterisch ausrief:
„Aus dem Weg da, ich bin’s, der Commandant; ist Jemand vorübergegangen?“
„Diesen Augenblick,“ stotterte der Mann erschrocken, „diesen Augenblick ist Einer vorübergegangen, und ich hab’ halt gemeint, es ist der Commandant, der visitirt!“
Frohn stürmte weiter, ohne das Ende dieser Worte abzuwarten. Er kam an eine Bohlenthüre, die den Zugang zu dem Wall verschloß; die Thüre stand offen; der eine Flügel war nur angelehnt. Eine Strecke weiter machte der Wall eine Biegung, er sprang hier in einem stumpfen Winkel ein.
Als Frohn diese Biegung erreicht hatte, donnerte die Lärmkanone. Es war ein furchtbares Krachen in der stillen Nacht; die Mauern der alten Veste schienen dabei in ihren tiefsten Fugen zu zittern. Frohn dachte an Agnes. Wie mußte sie erschrecken, – welche Nacht für sie!
Er war oben auf der Mauer, er folgte dem schmalen Pfade, der über diese Wallmauer fortlief; er strengte sein Auge an, um die nächtige Dunkelheit zu durchdringen, er sah eine Gestalt, die ihm entgegenschritt. Es war der Mann, der in der Mitte der Wallmauer Posten stand; und auf sein hastiges Fragen hatte er bald die Antwort, daß eine Gestalt, welche die Schildwache für den Commandanten gehalten, soeben vorübergeschritten, daß sie aber noch nicht weit vom Posten entfernt gewesen, als sie plötzlich verschwunden sei, wie in den Boden gesunken.
Frohn eilte an dem Posten vorüber; er fand dies Verschwinden nicht räthselhaft; etwa 150 Schritte von der Stelle, wo das Schilderhaus stand, entfernt begann die schwache Stelle der Citadelle, schwach in sofern, als die Felsen, auf welchen der Spielberg gebaut, einem kühnen und geübten Kletterer hier die Möglichkeit boten, hinan und hinab zu steigen. Es war immerhin ein Wagniß, da herunter zu steigen, und ein doppelt großes Wagniß, es bei Nacht zu thun; aber es war möglich. Trenck mußte sich also da herabgelassen haben. Er mußte genau die Oertlichkeit kennen, wie er sich Schlüssel verschafft haben mußte, wie er die Parole zu erfahren gewußt hatte!
Frohn war an der Stelle angekommen. Er beugte sich weit vor über die Brustwehr, er blickte angestrengten Auges hinab in die Tiefe. Der erste Gegenstand, den sein Auge entdeckte, war eine dunkle Gestalt, welche sich etwa zwanzig Fuß tief unter ihm auf einer schmalen Felsplatte befand und zugleich eine Bewegung machte, als wolle sie eben vorsichtig tiefer steigen.
„Heda, Herr Oberst,“ rief Frohn hinab, „wohin wollen Sie da?“
Der Oberst ließ augenblicklich ab von dem Bemühen, weiter hinunter zu klettern, und richtete sich hoch auf.
„Eine Million Teufel!“ rief er aus, „hat der Satan Sie schon da? Sie sind mein böses Schicksal! Was wollen Sie? was liegen Sie nicht bei …“
„Ich will Sie warnen,“ unterbrach ihn Frohn. „Es ist das kein Weg für Jemand, der frische Luft schöpfen will, weil er zu viel getrunken hat; kommen Sie zurück!“
Der Oberst schien sich einen Augenblick zu besinnen.
„Wenn Sie nicht sofort zurückkommen, lasse ich Feuer auf Sie geben, Oberst.“
„Sie sind im Stande dazu,“ antwortete Trenck mürrisch und begann wieder hinaufzuklimmen.
Er hatte bald wieder die Höhe des Felsens erreicht, die Kante, über der die äußere aufgemauerte Wallseite sich erhob; es war nur ein schmaler Raum zwischen dem Fuß der Mauer und dem Abhang gelassen, so schmal, daß er nur eben den Raum zum Stehen darbot.
„Ich kann die glatte Mauer nicht hinauf laufen,“ sagte der Oberst, indem er den Arm in die Höhe streckte und die Hand auf die obere Kante der Mauer legte.
In seiner Hast, sich seines Gefangenen wieder zu bemächtigen, ließ Frohn sich an der Mauer hinab neben den Obersten.
„Ich will Ihnen helfen, sich hinaufzuschwingen, die Leute oben können Sie dann unter die Arme fassen.“ Er streckte seinen Arm aus, um Trenck zu erfassen, dieser aber stieß ihn kräftig zurück.
„Halt, mein Herr Oberstwachtmeister von Frohn,“ sagte er, „wir stehen hier auf einem vortrefflichen Platze, um unsere alte Rechnung auszugleichen. Glauben Sie, ich hätte vergessen, was Sie seit Ihrer Giftmischerei bei mir auf dem Kerbholz haben? Und wenn ich’s vergessen hätte: was Sie in dieser Nacht an mir thun, ist genug! Es soll vom Trenck nicht gesagt werden, daß er ungerächt gelassen hat, was Du gegen ihn gewagt hast, Frohn; verflucht will ich sein, wenn ich Dich nicht da hinunter schicke, wo Du mich gehindert hast, hinunter zu gehen; vertheidige Dich!“
„Oberst, sind Sie toll? hier ist kein Platz zum Kämpfen, ein einziger Fehltritt und wir stürzen in einen Abgrund hinab; meine Leute würden Sie ja auch sofort niederstoßen, wenn Sie eine Widersetzlichkeit zeigen.“
„Und das Alles wird Dich nicht aus den Krallen des Löwen retten, den Du zum Aeußersten gebracht hast, Elender,“ versetzte Trenck zähneknirschend vor Wuth.
Frohn ergriff ihn kräftig an der Brust, um ihn an die Mauer zu drücken, und rief zugleich den Befehl hinauf:
„Faßt ihn von oben bei den Schultern und zieht ihn hinauf!“
In demselben Augenblick jedoch hatte Trenck in die Tasche seines Mantels gegriffen, ein Pistol hervorgezogen und es Frohn auf die Brust gesetzt.
Frohn wollte es wegschlagen – aber es war zu spät! Der Schuß hallte durch die Nacht – Frohn wankte, fuhr mit den Händen um sich, versuchte sich mit krampfhaft gespreizten Fingern an der Mauer festzuhalten, dann stürzte er zusammen und fiel hinterrücks an den Felsen hinunter, mit einem dumpfen Geräusch, von Absatz zu Absatz – bis sein Körper in der dunklen Tiefe verschwand.
[68] Ein Schrei des Schreckens, wirres Durcheinanderrufen oben auf dem Kamm der Mauer begleitete die entsetzliche That; fast in demselben Augenblicke, wo sie geschah, war ein Officier mit einer Patrouille von der Wache zur Stelle gekommen, und zehn Arme und Hände griffen von dem Kamme der Mauer herunter, um Trenck zu erfassen.
Dieser wußte ihnen auszuweichen.
„Nur ruhig, Leute!“ rief er aus. „Ich weiß recht wohl, daß ich jetzt doch geköpft, gehängt oder gerädert werde, und mache mir deshalb nichts daraus, lieber gleich da hinunter zu springen, auf die Gefahr den Hals zu brechen oder von Euren Kugeln getroffen zu werden. Nur wenn Ihr mir versprecht, mich nicht zu mißhandeln, so komme ich selber hinauf.“
„So kommen Sie – ich werde Sie vor der Wuth meiner Leute in Schutz nehmen,“ antwortete der Officier der Patrouille, „aber kommen Sie sofort.“
Trenck warf das abgeschossene Pistol in die Tiefe hinab, dann legte er beide Hände auf den Kamm der Mauer und schwang sich empor; die Soldaten erfaßten ihn an den Armen, am Kragen, und er stand im nächsten Augenblick oben.“
„Nehmt ihn zwischen Euch, Leute,“ befahl der Officier, „Keiner berührt ihn, es wäre schade, wenn dieser Bluthund einen andern Lohn als vom Henker bekäme; angetreten, vorwärts mit ihm auf die Wache, in die Eisen mit ihm!“
Der Oberst von der Trenck schritt mit stolz aufgerichteter Haltung zwischen den Soldaten einher, Mantel und Mütze waren von ihm abgefallen, sein Haar flatterte im Nachtwinde. Als man die Bohlenthüre erreicht hatte, hinter welcher der Weg in den Hof der Citadelle hinab führte, kamen der Patrouille drei Officiere, denen Leute mit brennenden Fackeln folgten, entgegen. Der Lieutenant, welcher die Patrouille commandirte, meldete was vorgefallen.
„Das ist ja entsetzlich,“ rief einer der Herangekommenen aus, „Oberst von der Trenck! Sie sind ein Teufel in Menschengestalt.“
„So ein Stück davon,“ antwortete Trenck hohnlachend, „und dieser junge Herr hier, der die Patrouille commandirt, scheint sich dagegen für den Erzengel zu halten, der den Teufel in Ketten an den Abgrund schließt. Er will mich in Eisen legen lassen.“
„Wie Sie’s verdienen, Trenck –“
„Ich muß Ihnen bemerken, mein Herr Major,“ fiel der Oberst ein, „daß Sie nicht darüber zu urtheilen haben, was ich verdiene. Sie sind der Zweitcommandirende hier, und sind deshalb verantwortlich dafür, daß die Befehle ausgeführt werden, die über meine Behandlung an die Commandantur des Spielbergs erlassen sind. Es steht nichts darin von Schließen und Eisen, ich verlange in meine Zimmer zurückgeführt zu werden und darin zu bleiben, bis andere Befehle von Wien angekommen sind!“
Der Major schwieg eine Weile, dann antwortete er:
„Die Befehle von Wien werden nicht ausbleiben,“ und zu dem Officier der Patrouille gewendet fügte er hinzu: „Führen Sie ihn in seine Wohnung zurück, geben Sie ihm aber eine Wache von zwei Mann in sein Wohnzimmer, die ihn nicht aus den Augen läßt.“
„Wie Sie befehlen! – Marsch!“ commandirte der Lieutenant der Patrouille. Der Zug bewegte sich weiter, die Pechfackeln voraus, über den Hof der Citadelle, durch die Wohnung des Commandanten, und bis zu dem Quartier des Obersten.
Der Major hatte Trenck bis in seine Zimmer begleitet; er ließ jetzt die Wachen aufstellen und befahl die Thüre zu des Obersten Schlafzimmer offen zu halten, wenn der Letztere darin sich zurückzöge, um seine Bewegungen zu überwachen; dann ging er in den Hof zurück, um dort Leute mit Fackeln nebst einen Trupp Soldaten abzuschicken, die die Leiche Frohn’s suchen und herauf schaffen sollten. Als er dazu wieder durch den Corridor schritt, welcher mit der Commandantur durch einen schmalen Gang correspondirte, kam ihm aus dem letzteren, in höchster Aufregung und Angst, in flatterndem Nachtgewande Agnes Mirzelska entgegengestürzt.
„Um Gottes Willen, Herr Major!“ rief sie ihm entgegen, „stehen Sie mir Rede, was ist geschehen? was geht vor? die ganze Festung ist in Aufregung und Bewegung – die Lärmkanone, die Fackeln – Niemand antwortet auf mein Rufen – wo ist der Commandant? – wo ist mein Oheim?“
„Ich darf Sie leider nicht zu Ihrem Oheim hinüber lassen, meine gnädige Frau,“ versetzte der Major ernst und mit vor Bewegung zitternder Stimme, „es ist ein großes Unglück geschehen – fassen Sie sich – Ihr Gatte ist einen Felsenabhang hinunter gestürzt, doch wird er hoffentlich …“
„Gerechter Himmel!“ schrie Agnes in furchtbarster Angst und in wahnsinnigem Schmerze auf.
Sie wankte und wäre zusammengestürzt, wenn der Officier sie nicht aufgehalten hätte. Er winkte dem Soldaten, der ihm mit einer Fackel leuchtete, vorauszuschreiten und geleitete sie in ihre Zimmer zurück, fortwährend bemüht, ihr Muth und Fassung wieder zu geben, während sie händeringend ihn um Auskunft beschwor, wie Alles geschehen und wie das Schreckliche sich gefügt habe, ohne daß er eine ihrer stürmischen Fragen zu beantworten wußte, da er durch das Geständniß, daß Agnesens Oheim der Mörder ihren Gatten sei, die unglückliche Frau völlig zu vernichten fürchtete. Und nachdem er die junge Frau in ihre Zimmer zurück gebracht, eilte er, Fürsorge zu treffen, daß die Leiche des auf so furchtbare Weise umgekommenen Cameraden aufgesucht und, da sie durch den Sturz entsetzlich verstümmelt sein mußte, in einem entlegenen Theile der Festungsgebäude untergebracht würde; es mußte Agnes alle Möglichkeit entzogen werden, sie zu sehen. – In der That hat das arme junge Weib sie nie erblickt, hat auch nie erfahren, wie der eigentliche Hergang der That gewesen. Man hat sie glauben lassen, Trenck habe einen Fluchtversuch gemacht, bei seiner Verfolgung sei ihr Gatte durch Mangel an Vorsicht im Herunterklettern an der Felswand gestürzt und habe den Tod gefunden. Sie hat auch ihren Oheim, den Freiherrn von der Trenck nicht wieder gesehen, von seinen Lippen, deren Geständnisse sicherlich keine Schonung ihres schmerzzerrissenen Herzens gekannt hätten, nicht vernommen, was er in der Unglücksnacht vollbracht. So dringend sie verlangte, ihren Oheim zu sehen, so nachdrücklich widersetzte sich der Major ihrem Willen, indem er die Strenge der Reglements vorschützte. Der Oberst hatte einen Fluchtversuch gemacht, es mußte untersucht werden, wer ihm behülflich zur Ausführung gewesen, er durfte bis dahin Niemanden sehen!
Am andern Morgen gegen neun Uhr trat der jetzige Commandant des Spielbergs, von einem Officier und dem Auditeur begleitet, in das Wohnzimmer Trenck’s, um zum ersten Verhöre des Mörders zu schreiten. Die zwei Grenadiere, welche nach seiner Anordnung hier die Wache hatten, meldeten flüsternd, daß der Oberst noch im ruhigsten Schlafe liege. Der Major trat nichts destoweniger durch die offene Thür des Schlafzimmers. Er fand Trenck angekleidet auf seinem Bette liegen, das Gesicht der Wand zugewendet, den einen Arm schlaff niederhängend.
„Oberst von der Trenck!“ sagte der Major laut und strenge.
Der Oberst antwortete nicht.
Der Major erfaßte den Arm des Schlafenden, um ihn zu erwecken; der Arm war starr und steif. Er beugte sich über ihn, das Gesicht war erdfahl, die Augen standen offen, starr und glasig … der Oberst von der Trenck war todt!
Auf seinem Nachttisch stand eine kleine geschliffene Phiole. Der Mann, der allein auf dem Spielberg diese Phiole wiedererkannt haben würde, war nicht mehr unter den Lebenden, es war die Phiole, die Frohn in der Abtei von Engelszell gebraucht hatte, um den unbezähmbaren Trenck zu zähmen, und die dieser ergriffen hatte, um sie seit jenem Tage nicht mehr von sich zu lassen. Er hatte ein vortreffliches Mittel darin gesehen, für alle Fälle, für alle Wendungen seines Schicksals gerüstet zu sein.
So hatte er sich der Buße entzogen, welche die Strafe des irdischen Richters ihm hätte auferlegen können. Desto länger – ein ganzes Leben hindurch – währte die Buße, welche Agnes Mirzelska sich auferlegte, weil sie sich als die Urheberin des Unglücks betrachtete, durch das ihr Gatte seinen frühen und schrecklichen Tod gefunden, sie ist als Schwester in einem Kloster in Olmütz gestorben.
[69]Nr. 1
Es war an einem der letzten Septembertage des verflossenen Jahres. Neapel war seit frühem Morgen wieder voll fieberhafter Aufregung, Lärm und Getümmel. In der Toledostraße drängten sich die Menschenmassen wild durcheinander, Wagen, Reiter, Garibaldische Soldaten in ihren rothen Blousen, Abtheilungen der Nationalgarde in ihrer blauen Uniform, halbnackte Lazzaroni’s, Fremde aus allen europäischen Ländern in eleganten Sommerkleidern, Bürger aus Neapel, welche an ihren heftigen Gesticulationen und an dem Geschrei, mit dem sie jedes Wort begleiteten, vor allen Andern kenntlich waren, bildeten ein fast unentwirrbares Menschenchaos, in welches die Patrouillen der Nationalgarden, welche langsamen Schritts, Gewehr im Arm, die Straße durchschritten, nur [70] mit Mühe so viel Ordnung hinein bringen konnten, daß in der Mitte ein schmaler Raum frei gehalten wurde. Alle Fenster, alle Balcone an den hohen Häusern waren dicht mit Zuschauern besetzt, welche erwartungsvoll auf die Köpfe dieser vielen Tausende hinabblickten. Welches Schauspiel sollte heute die Toledostraße wieder sehen, wo die neapolitanische Revolution seit den letzten zwei Monaten in allen ihren wechselnden Phasen vorübergeschritten war? „Was wird denn heute hier wieder passiren?“ fragte ich einen Officier der Garibaldischen Zouaven, der sich, sowie ich, mühsam auf dem schmalen Trottoir durch die Menschenmenge hindurch drängte.
„Heute Morgen sind zweitausend Calabresen in Neapel angekommen, welche in unsere Armee eintreten wollen,“ erwiderte er mir, „sie werden durch die Toledostraße ihren Einzug halten und in der großen Caserne beim Palazzo Borbonico einquartiert werden. Die Calabresen sind gute Soldaten und voll von Enthusiasmus für Garibaldi. Bei unserm Zuge durch Calabrien haben einzelne Dörfer oft Hunderte von Streitern geliefert. Da, sehen Sie, da kommen sie schon!“
Wir blieben auf der Stelle stehen, wo wir standen, denn die ganze Circulation stockte nun vollends. Ich blickte die prächtige Straße abwärts nach dem Café de l’Europe.
Von dort bewegte sich eine Abtheilung Nationalgarde Schritt für Schritt aufwärts, die Mitte der Straße frei haltend, die Gewehre im Arm. Voran schritt ein Musikcorps, die „inno di Garibaldi“ den Marsch der Alpenjäger blasend. Die funkelnde Mittagssonne spiegelte sich in Millionen Strahlen auf den blitzenden Bajonneten. Hinter ihnen marschirte eine Abtheilung Garibaldische Infanterie. Die rothen Blousen und rothen Mützen, die bunten Schärpen in den italienischen Farben, die weißen Mäntel der Officicre sahen prächtig aus. Voran gingen zwölf Trompeter, welche ebenfalls den Marsch der Alpenjäger bliesen. Es waren Knaben in dem Alter von vierzehn bis sechszehn Jahren; aber sie bliesen mit einer Begeisterung und einer Vehemenz in ihre Trompeten, als wenn es gälte, die Mauern von Jericho umzublasen. Dann kamen die Calabresen, die meisten in ihrer Landestracht, einige bereits in der Garibaldischen rothen Blouse, die spitzzulaufenden calabresischen Hüte, welche mit bunten Federn und mit langflatternden rothen, weißen und grünen Bändern geschmückt waren, auf ihren charakteristischen Köpfen. Sie waren fast durchgehends mit den kurzen Flinten ihrer Berge bewaffnet, die meisten trugen außerdem Pistolen und lange Dolchmesser in ihren Ledergürteln oder in den bunten Schärpen, welche sie malerisch um die bis zum Knie gehende Hose geschlungen hatten. Um den braunen, kräftigen Hals trugen sie farbige Tücher, deren Zipfel auf die nackte Brust hinabhingen. Es waren sämmtlich kräftige, kriegerisch aussehende Gestalten, weit größer und kräftiger als die Neapolitaner, mit muskulösen Armen und Beinen, die Gesichter, auf denen sich Energie und oft Wildheit ausdrückte, tief gebräunt von der calabrischen Sonne, bei manchen das halblange, dunkle Haar geflochten, bei manchen das Haar in Strähnen herabhängend. Ein dichter, dunkler Bart, den gewiß nie das Scheermesser eines Barbiers berührt hatte, bedeckte Kinn und Lippen; trotzig und wild blickten die dunkeln Augen unter den schmalen Hutkrämpen hervor auf die auf den Trottoirs sich drängende Menge und an den hohen, mit bunten Fahnen und Teppichen geschmückten Häusern hinauf. Ich hatte vor einigen Tagen die sicilianischen Truppen, dann eine Abtheilung der englischen Legion, dann die Garibaldischen Zouaven, welche von Mesina kamen, durch die Toledostraße in Neapel einziehen sehen; aber die Calabresen, welche heute die prächtige Straße passirten, imponirten ihnen allen durch ihre kräftigen Gestalten und durch die charakteristische Schönheit der Köpfe. Garibaldi hatte wohl Recht, wenn er auf seinem Zuge durch Calabrien nach Neapel von den „braven Calabresen“ schrieb, welche zu Tausenden ihre Dörfer verließen, um sich seiner Armee anzuschließen.
Als die ersten Abtheilungen von der Piazza San Carlo in die Toledostraße einmarschirten, wurden sie von unaufhörlichen Evviva’s und von einem unendlichen Beifallsklatschen empfangen. Wir im kalten Norden haben von einem Enthusiasmus im südlichen Italien keinen Begriff. Ich habe diesen Enthusiasmus täglich im Lager vor Capua gesehen, wenn Garibaldi aus der Schlacht oder von einer Recognoscirung nach Caserta zurückkehrte und von seinen Soldaten empfangen wurde, oder im Theater von San Carlo, wenn man das Ballet „Garibaldi’s Landung auf Sicilien“ gab. Es war dies kein Enthusiasmus mehr, die Menschen geriethen in eine wahrhafte Frenesie. So war es auch heute in der Toledostraße beim Anblick der Calabresen. Das Evvivarufen, das Beifallklatschen steigerte sich von Minute zu Minute zu einem fast wahnsinnigen Beifallssturm, welcher immer noch im Wachsen war, je weiter die Calabresen die Straße hinaufmarschirten. Aus allen Fenstern, von allen Balconen, von den Hunderttausend, welche auf der Straße standen, ertönte es: „Evviva l’Italia. Evviva Garibaldi!“ dazwischen der begeisternde Gesang des „All’ armi“ und die Musik des Marsches der Alpenjäger. Stolz und muthig blickten die Calabresen um sich. Ein solcher Empfang war ihnen noch nie zu Theil geworden. Sie wurden von den Nächststehenden umarmt, ihnen die Hände gereicht, aus den Fenstern und von den Balconen wurden Blumen und Bouquets in Tausenden auf die Straße geworfen. Zwei Stunden lang dauerte der Vorbeimarsch, und während dieser zwei Stunden wogte dieser Beifallssturm lawinenartig von der Piazza San Carlo die Toledostraße aufwärts.
Hätte König Ferdinand dies gesehen, wäre er zugegen gewesen bei diesem Einzuge der Calabresen in Neapel! Die Provinz Calabrien ist unter der dreißigjährigen Regierung dieses grausamen Königs, welcher nur in den Römerkaisern Tiberius und Nero seine Vorbilder in der Weltgeschichte findet, in einer entsetzlichen Weise behandelt und vernachlässigt worden. Man ist im Irrthum, weun man meint, daß Calabrien und Apulien vor Sicilien bevorzugt wurden. Auch durch ganz Calabrien führt nur eine Straße, Reste eines alten Weges, den die Römer von Reggio nach Neapel anlegten; auch in Calabrien findet, wie in Sicilien, die Handelscommunication nur zur See statt. Von Schulen, von Volksunterricht war keine Rede, nur die Priester nahmen sich der Kinder an, aber um ihre Seelen mit einem Gemisch von Aberglauben, Heiligenwundern und Anbetung der heiligen Jungfrau zu erfüllen, welches den despotischen Zwecken der Regierung zum Knechten des Menschengeistes diente. In den letzten Jahren König Ferdinands landeten der Baron Nicotera und Carlo Pisacane, Herzog von San Giovanni, mit einigen hundert Tapferen an der calabrischen Küste, um das Volk von Calabrien zum Aufstand gegen die Regierung des Königs aufzurufen. Der Aufstand wurde unterdrückt; aber seit diesem Tage wurde Calabrien wie Sicilien mit einem Heer von Polizeiagenten, Sbirren, Kerkermeistern und Soldaten überschwemmt, und eine entsetzliche Zeit begann für das unglückliche Land. Die Kerker wurden mit Gefangenen vollgepfropft; der Gedanke wurde bestraft, wenn sich dieser Gedanke auf den Gesichtszügen offenbarte. Ein Lächeln nach der Schlacht bei Belletri konnte in den Kerker führen. Auch hier gab es das Verbrechen „der stummen Demonstration einer strafbaren Gesinnung.“ Man fürchtete den Namen des Königs laut zu nennen, zitternd flüsterte man in den Häusern „Unser Herr“. Morgens fand man die Häuser leer. Wo waren die Bewohner? Polizeiagenten waren Nachts in die Häuser gedrungen, hatten Alles verhaftet, was sie vorfanden, und die Unglücklichen in die Polizeigefängnisse geschleppt. Sie blieben Jahre dort, oder sie gingen in die Bagno’s über, wenn die Peitschenhiebe der Sbirren oder die Folterwerkzeuge der Kerkermeister von ihnen Geständnisse zu erpressen im Stande waren. Auch in Calabrien ist die cuffia del silenzio, wie in Sicilien und Neapel, angewandt worden; auch in den calabrischen Gefängnissen erstickte sie das Wehklagen und das Röcheln gemarterter Menschen.
Zwei Monate später war ich auf der alten Burg in Nürnberg. In einer halbdunkeln Stube des Erdgeschosses wurde mir eine Sammlung von Folterwerkzeugen vorgezeigt, welche in Deutschland angewendet worden sind. Da waren der „Hase“, die „Leiter“, die Daumschraube, der „spanische Bock“, Knuten und Peitschen mit Bleikugeln, die „Birne“, Zangen von den verschiedensten Formen und Größen, und daneben lag ein Buch, worin die Anwendung aller dieser Instrumente durch Abbildung erklärt, und der Contract eines einstmaligen Scharfrichters der freien Reichsstadt Nürnberg, in welchem die Löhnung desselben für Anwendung aller dieser verschiedenen Martern „Alles in fränkischer Währung“ in Gulden und Kreuzern genau angegeben war. Ein Schauder überlief mich, als ich daran dachte, daß kaum fünfzig Jahre verflossen sind, als diese Marterwerkzeuge noch in Deutschland angewendet wurden; denn mehrere kleinere deutsche Regierungen haben die Tortur erst in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts abgeschafft; und mein Entsetzen vermehrte sich, als ich mich erinnerte, daß alle diese Marterwerkzeuge einst wirklich gebraucht waren. An jedem Stücke, welches ich in die Hand nahm und besichtigte, hatte das Blut [71] eines Unglücklichen geklebt; die Zangen, welche ich vor mir sah, waren einst in Feuer glühend gemacht und hatten im Qualm von verbranntem Menschenfleische geraucht. O Deutschland, Deutschland! Die französische Revolution hatte zehn Jahre jenseits des Rheins getobt und ein gequältes Land von einer Unmasse der empörendsten Mißbräuche und Privilegien rein gefegt, und auf Deutschland hatte sie noch nicht einmal die moralische Wirkung ausgeübt, die Regierungen zu veranlassen, das Capitel „über die Folter“ aus ihren Strafgesetzbüchern zu streichen! Und deutsche Völkerstämme hatten für die Throne ihrer Könige und Fürsten gefochten, während diese Könige und Fürsten ihre Unterthanen noch mit glühenden Zangen reißen und ihnen die Glieder mit Daumschrauben oder auf der Leiter auseinanderrenken durften!
Aber was würde man heute – im Jahre 1861 – von einer deutschen Regierung sagen, welche bei Untersuchungsgefangenen, um die Geständnisse zu erpressen, die Folter anwenden ließe? Doch nein, ich muß meine Frage anders stellen: Was würde man von einer deutschen Regierung sagen, welche nicht den Gerichtshöfen, sondern jedem Polizeicommissar, jedem Gensd’armerieofficier, jedem Gefängnißvorsteher die Befugniß ertheilte, bei politischen Gefangenen, welche auf Verdacht von diesen Polizisten verhaftet waren, nach Belieben die Folter anzuwenden und die bereits vorhandenen Folterwerkzeuge nach Belieben zu vermehren, zu verändern und neue zu erfinden? Was würde man von einer deutschen Regierung sagen, deren Polizisten, aus den ärgsten Lumpen, frühern Galeerensträflingen, Räubern und Dieben bestehend, die Folter bei Tausenden von politischen Gefangenen im verschwiegenen Dunkel der Polizeigefängnisse, zwischen Mauern, welche keinen Seufzer und keine Klage, kein Stöhnen und keinen Schrei an das Ohr anderer Menschen dringen lassen, täglich anwendeten?
Das deutsche Volk besitzt eine geringe politische Initiative. Es liegt dies im deutschen Charakter, im Blute, im Klima, in den materiellen Nahrungsmitteln; das deutsche Volk würde sonst, bei seinen herrlichen persönlichen Eigenschaften, das erste und größte Volk der Erde sein. Aber ich glaube, daß eine so unerhörte Thatsache selbst den schläfrigsten und ruhigsten deutschen Volksstamm aus seinem politischen Schlaf rütteln, und daß dieser schläfrigste deutsche Volksstamm den Thron seines Tyrannen um und um kehren und diese sämmtlichen Schergen an einem Tage davon jagen würde! –
Es ist in deutschen Zeitungen bei Gelegenheit der neapolitanischen Revolution und der Expedition des hochherzigen Garibaldi zur Befreiung eines von seinen Bedrückern während der letzten dreißig Jahre in der entsetzlichsten Weise gemarterten, gutmüthigen und nur von einer rücksichtslosen Regierung absichtlich tief heruntergebrachten Volkes mehrfach von der Anwendung der Folter in Sicilien die Rede gewesen. Deutsche conservative und ultramontane Zeitungen haben sich unterstanden, diese Thatsachen zu leugnen, sie zu vertuschen oder in einem milderen Lichte darzustellen. Ich habe mich während meiner Anwesenheit in Italien im verflossenen Sommer und Herbst genau nach diesen entsetzlichen Dingen erkundigt. Ich habe die ehrenwerthesten und berühmtesten Männer in Neapel darnach gefragt; ich habe mir die Documente über die geschehene Anwendung der Folter vorlegen lassen, ich habe mich auf deutschen Consulaten und Gesandtschaften erkundigt, ich habe mit den Officieren der Garibaldischen Armee gesprochen, welche gleich nach der Oeffnung der Polizeigefängnisse die Gemarterten gesehen haben; ich habe mir selbst aus der neapolitanischen Strafgesetzgebung die einzelnen, die Strafe der Folter und der Peitsche bei Untersuchuugsgefangenen anordnenden Decrete abgeschrieben, und ich erwidere diesen frommen und conservativen deutschen Zeitungen hier in diesem gelesensten Blatte Deutschlands, daß in Sicilien und Neapel – nicht in Sicilien allein – während der letzten fünfundzwanzig Jahre die Torturwerkzeuge des Mittelalters in weit raffinirterer Weise auf Befehl und Wissen der letzten Könige beider Sicilien, besonders aber des Königs Ferdinand des Zweiten bei Tausenden von politischen Untersuchungsgefangenen in den Polizeigefängnissen von Polizeicommissaren, Gensd’armerieofficieren, Sbirren und Kerkermeistern nach Belieben, um Geständnisse zu erpressen, angewendet worden sind.
Ich werde die Urkunden vorlegen, die Thatsachen erzählen, die Namen der Minister, Oberpolizeimeister und Schergen nennen, und alle meine Behauptungen beweisen.
Ich werde mich mit der Beschreibung der Gefängnisse, in denen diese Scheußlichkeiten verübt wurden, nicht aufhalten. Die englischen Zeitungen und mehrere französische Schriftsteller haben Beschreibungen der Kerker von St. Elmo und der Gefängnisse in dem Polizeipräfecturgebäude von Neapel gegeben; die Beschreibungen sind auch in deutsche Zeitungen[WS 3] übergegangen. Es ist dies auch eine Sache von untergeordneter Wichtigkeit. Ich kann das, was mir darüber aus englischen, französischen und deutschen Mittheilungen zu Gesicht gekommen ist, nur bestätigen, und füge hinzu, daß im frühern Königreich beider Sicilien ein jedes Polizeicommissariat auch ein Polizeigefängniß hatte. In mehreren Decreten Liborio Romano’s ist von der Abschaffung dieser „geheimen Gefängnisse“, wie sie dort wirklich genannt werden, die Rede.
Das Decret Liborio Romano’s vom 9. Juli 1860 lautet wörtlich:
- „In Anbetracht, daß die Orte, welche zur Aufbewahrung der Detinirten und der auf Verdacht Eingezogenen dienen, den einzigen Zweck haben sollen, sich der Person der Schuldigen zu versichern, um sie zur Disposition der gerichtlichen Behörden zu stellen, und niemals, um sie Entbehrungen und Leiden zu unterziehen, welche mit den Grundsätzen der Vernunft und des Rechts durchaus nicht vereinbar sind, befiehlt der Polizeipräfect von Neapel:
- 1) daß hiermit geschlossen und abgeschafft sind ein für allemal die Gefängnisse, welche man unter dem Namen „criminali“ oder „segrete“ begreift, von welcher Art sie auch sein mögen, und zwar in allen Gefängnissen und Detentionsorten, welche sich in der Hauptstadt befinden;
- 2) daß durch den Generalsecretair der Präfectur sofort eine Commission niederzusetzen ist, welche sich mit der Ausführung dieser Maßregel zu befassen hat.
- Neapel, den 9. Juli 1860. Der Polizeipräfect
Liborio Romano.“
Der Generalpolizeidirector, oder vielmehr der eigentliche Vicekönig von Sicilien, Maniscalco, früher Spion, Dieb und Gensd’arm, hatte seine Polizeigefängnisse in Morreale, in der Nähe einer Vorstadt von Palermo, Mezzo-Morreale. Ich will eins von diesen Gefängnissen schildern und beschreiben, in welchem Zustande dasselbe am 14. Januar 1848 gefunden wurde. Das Document, das über den Zustand dieses Gefängnisses aufgenommen wurde und von Mitgliedern der damaligen provisorischen Regierung, Consularbeamten, Officieren einer gerade im Hafen liegenden englischen Fregatte und mehreren achtbaren Bürgern Palermo’s unterzeichnet worden ist, hat mir bei dieser Beschreibung vorgelegen. Ich gebe seinen Inhalt in wortgetreuer Uebersetzung:
- „In dem letzten Raume dieses trüben Locals befand sich ein sehr hoher Wandschrank, der die ganze Hälfte einer Mauer einnahm. Lange hatte er den starken Armen der Volkskämpfer Widerstand geleistet, als er bei einem neuen Angriff, indem wahrscheinlich eine Feder sich bewegte, sich plötzlich öffnete und eine festverriegelte Thür zeigte. In dem Gedanken, daß hinter ihr unglückliche Opfer verborgen sein könnten, brach man sie in wenigen Augenblicken auf. Ein Grabesgeruch hielt diejenigen zurück, welche schon im Begriff waren, sich hineinzustürzen, und man mußte Fackeln holen, um die Luft zu reinigen und zu sehen, wohin die Thür führe. Und was entdeckte man? Zuerst eine Stube, welche nach den Mobilien, welche sich in derselben vorfanden, zum Gefängniß gedient haben mußte. Sie wurde erleuchtet durch eine sehr hoch hängende Lampe, welche ein trübes, schwaches Licht verbreitete. Dann kam man in eine andere Stube, dunkel und finster. Sie war zu entsetzlichen Qualen bestimmt gewesen, wie die langen Blutspuren bezeugten, welche sich auf dem Pflaster und an den Wänden vorfanden. – In der Mauer, nach Süden zu, zeigte sich eine Nische, wo man an den Mauersteinen sehen konnte, daß hier ein Mensch eingemauert gewesen war, und zwar in der Art und Weise, daß er Kopf und Hände frei behielt. Eine neue Thür führte wiederum in einen letzten Raum, welcher noch dunkler und verborgener war. Aus diesem Loche konnte kein Geräusch an das Licht des Tages dringen. Die Männer, welche hier eingedrungen waren, waren von Schrecken ergriffen, als sie in einer Ecke einen Haufen menschlicher Gebeine entdeckten, Köpfe, welche noch mit
[72]
- Haaren bedeckt waren, ganze Skelette, menschliche Glieder, welche in Fäulniß übergegangen waren.
- „Außer sich über diesen Anblick begaben sich dieselben Leute, welche dieses Gefängniß erbrochen hatten – es war das Gefängniß des Polizeicommissariats von San Domenico, welches ich beschrieben habe – nach dem Polizeicommissariat von San Isidoro. In dem dortigen Polizeigefängnisse befand sich außer vielen Torturwerkzeugen und menschlichen Gebeinen ein Leichnam, der nicht mehr als zwanzig Tage dort gelegen hatte.“
Soweit das Document, welches ich seinem Inhalte nach hier wörtlich mitgetheilt habe.
Ein ähnliches Polizeigefängniß in Catanea beschrieb mir Herr Giuseppe Massari, der bekannte neapolitanische Verbannte, der Freund des Grafen von Cavour, nur mit dem Unterschiede, daß noch ein unterirdischer Kerker damit verbunden war. Als bei dem Ausbruch der neapolitanischen Revolution in diesem Frühjahr das Gefängniß gewaltsam geöffnet wurde, hörte man in dem letzten Raume desselben das Stöhnen einer menschlichen Stimme, ohne entdecken zu können, woher dieselbe kam. Endlich entdeckte man eine Fallthüre im Fußboden und fand unter ihr ein unterirdisches tiefes Loch. Man holte Leitern und Fackeln und zog ein Wesen heraus, dem Bart und Haar lang gewachsen waren, welches, halbnackt und mit Lumpen bekleidet, kaum einem Menschen mehr ähnlich sah. Der Unglückliche hatte sich Jahre lang dort unten befunden, indem man ihm die wenigen Lebensmittel, mit denen er täglich sein Leben fristete, von oben durch die Fallthür hineinwarf. Herr Massari gab mir die Details dieser entsetzlichen Geschichte in Gegenwart des preußischen Gesandten, Graf von Brassier St. Simon in Turin, der mir die Wahrheit sämmtlicher Thatsachen bestätigt hat.
Am 4. Juni dieses Jahres – am 12. Mai fand bekanntlich die Landung Garibaldi’s in Marsala und am 19. Juni die Räumung Palermo’s statt – verließen die neapolitanischen Truppen, erschreckt durch die feindliche Haltung der Bevölkerung, Trapani. Schon Abends vorher hatte die Truppenabtheilung, welche zur Bewachung der Insel Favignana bestimmt war, wo sich der berüchtigte Bagno der heiligen Catharina befindet, die Insel verlassen, und die dort befindlichen politischen Gefangenen waren in Freiheit gesetzt worden. Unter diesen befand sich auch der Baron Nicotera.
Dieser war bekanntlich der Gefährte des hochherzigen, tapfern Carlo Pisacane, Herzogs von San Giovanni, der durch seinen Heldentod bei dem von ihm und Nicotera geführten Aufstand in Calabrien ein ruhmwürdiges Andenken erworben hat. Nicotera war durch den Gerichtshof von Salerno zur lebenslänglichen Gefangenschaft verurtheilt und in den Bagno von Favignana eingeschlossen worden, wo er in einer entsetzlichen und grausamen Weise behandelt wurde. Während der ersten sechs Monate seines Aufenthalts befand er sich in einem unterirdischen Gefängnisse ohne Licht. Für zwei Sous Brod bildete seine tägliche Nahrung. In den Regentagen mußte das in das Gefängniß eingedrungene Regenwasser ausgeschöpft werden, und es befanden sich dann nahe an hundert Eimer Wasser darin.
Ich wäre im Stande, die Beschreibung noch einiger Gefängnisse in Neapel und Sicilien zu geben, in denen politische Gefangene während der Regierung der letzten beiden Könige eingekerkert gewesen sind. Mögen indeß, da ich in einem zweiten Artikel nur von der Anwendung der Folter in diesen Gefängnissen sprechen will, die gegebenen Beschreibungen genügen und die bis jetzt durch die Times, Daily News und französische Zeitungen und Schriften mitgetheilten Thatsachen ergänzen. Ich fordere die ultramontanen und conservativen deutschen Zeitungen auf, meine Mittheilungen abzuleugnen und zu widerlegen.
Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.
Im menschlichen Körper geht’s gewissermaßen wie in einem geheizten Ofen zu, nur mit dem Unterschiede, daß in dem Ofen immer nur von außen her Heizungsmaterial eingelegt wird, während unser Körper neben der zeitweiligen Zufuhr solchen Materials von außen (in den Speisen und Getränken) auch aus seinem Innern und zwar alte Partikelchen seines eigenen Ichs fortwährend zum Einheizen liefert. Unser Körper verbrennt sich also in seinem Innern (Blute) fortwährend selbst, um sich zu erwärmen s. Gartenl. 1854, Nr. 33).
Das Heizungsmaterial für den Ofen besteht aus Substanzen, die vorzugsweise reich an Kohlenstoff und Wasserstoff und, angezündet unter Entwickelung von Wärme und Licht, mit Flamme fortzubrennen im Stande sind. Dies geschieht nur dadurch, daß sich ihr Kohlen- und Wasserstoff mit einer gewissen Intensität mit dem Sauerstoffe der in den Ofen hineinziehenden atmosphärischen Luft verbinden und durch diese Verbindung jene beiden einfachen Stoffe in zusammengesetzte Körper, in Kohlensäure und Wasser, verwandelt werden, welche durch Rohr und Esse in’s Freie abziehen. – Die gewöhnlichsten kohlenwasserstoffreichen Brennmaterialien sind: Holz, Torf, Braun- und Steinkohlen [1].
Auch für den menschlichen Körper ist das hauptsächlichste Heizungsmaterial ein kohlenwasserstoffreiches, und auch dieses wird, und zwar im Blute, durch den Sauerstoff der eingeathmeten atmosphärischen Luft, unter Wärmeentwickelung in Kohlensäure und Wasser verwandelt. Das erstere Verbrennungsproduct, nämlich die Kohlensäure, ist ein der Gesundheit sehr nachtheiliges Gas und wird deshalb fortwährend innerhalb der Lungen aus dem Blute ausgetrieben, wobei gleichzeitig immerfort Sauerstoff (Lebensluft) aus den lufthaltigen Lungenbläschen in’s Blut eintritt. Zu den kohlenwasserstoffreichen Heizungsstoffen für den menschlichen Körper gehören alle fetten Substanzen, Zucker, Stärkemehl, Spiritus.
Außer diesen kohlenwasserstoffreichen und stickstofflosen Materien werden im menschlichen Blute nun aber auch noch andere und zwar stickstoffhaltige, sogen. eiweißstoffige Substanzen verbrannt und dabei nicht wie jene kohlenwasserstoffigen in Kohlensäure und Wasser, sondern in Harnstoff verwandelt, welcher innerhalb der Nieren mit dem Urin aus dem Blute ausgeschieden wird. Es muß also der Harn um so reicher an Harnstoff sein, je größer die Menge von stickstoffhaltigen Eiweißsubstanzen ist, welche im Blute durch den Sauerstoff verbrannt wurde. – Der reine Harnstoff bildet krystallisirt durch das Mikroskop erkennbare nadel- oder säulenförmige Krystalle.Ist in einem Ofen die nöthige Menge von Sauerstoff zum ordentlichen Verbrennen des Heizungsmaterials (also zur Verwandlung der kohlenwasserstoffreichen Substanzen in Kohlensäure und Wasser) nicht vorhanden, so verbrennen jene Stoffe nicht ganz zu Kohlensäure, sondern nur zu Kohlenoxydgas (was sich als gefährlichster und Hauptbestandtheil im sogenannten Kohlendunste oder Dampfe vorfindet). Würde man also zu diesem Kohlenoxydgas noch eine Portion Sauerstoff bringen, dann würde Kohlensäure daraus. – Die nöthige Menge von Sauerstoff würde nun aber dann im Ofen fehlen, wenn entweder zu wenig atmosphärische Luft zur richtigen Portion Brennmaterial hinzutreten könnte, oder wenn für die richtige Portion Luft zu viel Brennmaterial vorhanden wäre. Denn es kann doch immer nur eine bestimmte Quantität Sauerstoff eine bestimmte Menge von Kohlen- und Wasserstoff in Kohlensäure und Wasser verbrennen.
Im menschlichen Körper passirt es nun auch gar nicht selten, daß ein Mißverhältniß zwischen dem in’s Blut eingeführten Sauerstoffe und den im Blute befindlichen stickstoffhaltigen und stickstofflosen Materien (also zwischen der Lebensluft und den Eiweiß- und Fettsubstanzen) zu Stande kommt. Es werden dann, [73] wenn zu wenig Sauerstoff oder zu viel Verbrennungsstoffe vorhanden sind, die kohlenwasserstoffreichen Substanzen nicht mehr zu Kohlensäure und Wasser verbrannt, sondern sie bleiben als Fette im Blute und werden aus diesem in die Körpertheile abgesetzt. Darum werden auch Personen, die viel Fett, Zucker, Spiritus u. s. w. genießen und durch unzureichendes Athmen und Bewegen diese stickstofflosen Materien in ihrem Blute nicht gehörig zur Verbrennung bringen, dick und fett (wie die Gänse beim Nudeln und die Ochsen beim Mästen).
Werden nun aber die stickstoffhaltigen Eiweißstoffe im Blute nicht ordentlich verbrannt, dann bildet sich aus ihnen nicht Harnstoff, sondern Harnsäure, die, wenn sie in großer Menge erzeugt wird, sich nicht vollständig mit dem Urin entfernen kann, sondern, im Blute angehäuft, eine Art sauerer Verderbniß des Blutes bedingt. Diese Schwängerung des Blutes mit Harnsäure ist nun die Ursache der Gicht. – Würde man demnach die Harnsäure, sowie das Kohlenoxydgas, mit noch einer Portion Sauerstoff verbinden, so würde aus jener Harnstoff, wie aus dieser Kohlensäure entstehen; es fehlt also der Harnsäure noch ein Antheil von Sauerstoff, um Harnstoff, das richtige Verbrennungsproduct, zu sein. – Die reine krystallisirte Harnsäure, die übrigens im Urin meistens an Natron gebunden (als saures harnsaures Natron) vorkommt, bildet mikroskopische Krystalle, wie in der beistehenden Abbildung. Findet sie sich in widernatürlicher Menge im Urin vor, was bei Gichtkranken der Fall ist, dann macht der Urin gewöhnlich einen ziegelrothen Bodensatz.Damit sich also eine widernatürliche Menge von Harnsäure im Blute bilden und dadurch das Blut zur Erzeugung der Gicht fähig gemacht werden könne, ist eine solche große Quantität von stickstoffhaltigen eiweißigen Substanzen im Blute nöthig, daß sie der in gewöhnlicher Menge mit der atmosphärischen Luft eingeathmete Sauerstoff nicht zu Harnstoff, sondern nur zu Harnsäure verbrennen kann. – Woher stammen denn nun jene stickstoffhaltigen Eiweißstoffe? Zum größten Theile aus der Nahrung, zum andern Theile aber aus unserm eigenen Körper. Während des Lebens findet nämlich ein fortwährender Wechsel, ein stetes Abstoßen und Neubilden unserer Körperbestandtheile statt; die aus Eiweißsubstanz aufgebauten Gewebe (vorzugsweise das Fleisch) liefern daher beim Stoffwechsel als Abgestorbenes und Abgestoßenes natürlich auch wieder Eiweißsubstanz in’s Blut und demnach Material zur Verbrennung und Bildung von Harnstoff und Harnsäure.
Es scheinen nun aber vorzugsweise die in Uebermaß durch die Nahrung in’s Blut geschafften Eiweißmassen die Schuld an der krankhaft vermehrten Harnsäurebildung im Blute zu tragen und sonach die Ursache der Gicht zu sein. Unter den eiweißreichen Nahrungsmitteln (s. Gartenlaube 1853. Nr. 39) stehen natürlich die Fleischspeisen obenan, sodann Käse und Eierweiß. Es ist demnach nicht, wie’s im Volke heißt, der zu reichliche Genuß von spirituösen Getränken im Stande, Gicht zu erzeugen, da diese Getränke, als ganz stickstoffarme, bei ihrer Umwandlung im Blute niemals Harnsäure zu bilden vermögen. Nur wenn Trinker auch sehr viel Fleischspeisen etc. genießen, nur dann haben sie Anwartschaft auf die Gicht, zumal wenn sie sich wenig Bewegung machen. Deshalb ist denn auch die Gicht eine Krankheit, die vorzugsweise die Bonvivants der bessern Stände und das männliche Geschlecht in den mittlern Lebensjahren heimsucht.
Was für Beschwerden ruft denn nun die Ueberfüllung des Blutes mit Harnsäure hervor? Zunächst eine Ausscheidung harnsaurer Salze in die kleinern Gelenke, und zwar in der Regel zuerst in die Gelenke der großen Zehe Podagra) und Finger Chiragra), später auch in andere und größere Gelenke. Und dadurch unterscheidet sich die Gicht vom Rheumatismus (s. Gartenl. 1856 Nr. 47). Diese Ausscheidung geschieht aber unter äußerst heftigen (bohrenden, sägenden, hämmernden oder glühenden), festsitzenden, ab und zu nachlassenden und sich verschlimmernden Schmerzen mit und ohne Fieber. Dabei ist das Glied an der schmerzenden Stelle geschwollen und geröthet. Die ausgeschiedenen harnsauren Salze bilden, wenn sie sich in größerer Menge anhäufen, die sogenannten Gichtknoten, welche nach und nach die Gelenke in der verschiedensten Weise verunstalten und in ihrer Bewegung stören.
Die naturgemäße radicale Heilung der Gicht würde, wie sich aus dem Gesagten wohl von selbst ergiebt, nur darin bestehen können, daß die Bildung der Harnsäure im Blute bedeutend herabgesetzt und die vorhandene Säure durch Zufuhr einer größern Menge von Sauerstoff in Harnstoff verwandelt wird. Sonach muß vor allen Dingen eine Aenderung der Lebensweise vorgenommen und der Genuß stickstoffhaltiger, eiweißreicher Nahrungsmittel (besonders der Fleischspeisen) etwas eingeschränkt werden. Gleichzeitig ist aber auch durch gehörige Bewegung und durch tiefes, kräftiges Athmen in freier Luft der Verbrennungsproceß im Blute zu befördern. – Damit ist nun aber ja nicht gesagt, daß man sich, um die Gicht nicht zu bekommen, aller stickstoffhaltigen Nahrungsmittel enthalten solle; dies wäre sehr nachtheilig, da diese Stoffe zur Erhaltung (zum fortwährenden Neubau) unseres Körpers ganz unentbehrlich sind. Nur im Uebermaße soll man sie nicht genießen. Ich erwähne dies deshalb, weil manche Leser bei Beobachtung gegebener diätetischer Regeln oft ganz kopflos übertreiben, z. B. weil unser Körper sehr viel Kochsalz und Fett zu seiner richtigen Ernährung braucht, blos Salz oder Fett genießen wollen, reinen Phosphor in Menge verzehren möchten, weil unser Verstandesorgan (das Gehirn ohne diesen Stoff nicht denken, fühlen und wollen kann u. s. f.
Während des Gicht-Anfalles, – denn die eben gegen die Grundursache empfohlene diätetische Behandlung der Gicht ist auch zu der Zeit in Anwendung zu ziehen, wo der Kranke nicht vom Zipperlein gequält wird, – ist gar nichts Anderes anzuwenden nöthig als Ruhe, trockene Wärme, erhöhte Lage des schmerzenden Gliedes, schmale und vegetabilische Kost, recht reichliches Wassertrinken. – Wem nun dieses einfache, aber vollständig ausreichende Verfahren zu einfach sein sollte, der greife stracks zu homöopathischen Arzneinichtsen, er hat dann den großen Vortheil, sich für jene besondere Art des Gichtschmerzes und seines Sitzes gleich mehrere ausgezeichnet hülfreiche Heilmittel wenigstens aussuchen zu können, ja, sollte seine Gicht etwa gar ein Rheumatismus sein, 14 Mittel (nach Dr. Hirschel) sein nennen und eins nach dem andern probiren zu können, da alle 14 in beiden Krankheiten gleich brav wirken sollen. Wer aber für immer von der Gicht verschont bleiben will, der muß nach dem Rathe eines meiner Freunde, der im Heilaberglauben noch unter den Homöopathen steht, stets einen Kalbsknochen in der rechten Hosentasche tragen. Es hat das Etwas für sich, denn man kann daran nicht zweifeln, daß ein solcher Knochen wirklich gute Dienste gegen die Gicht thut, wenn nämlich der Gichtbrüchige allemal dann, sobald Andere Kalbs- und andern Braten verzehren, seinen Knochen als ein Zipperleins-Memento hervorlangt und dann, den Knochen vor sich, sein Gemüse ohne Fleisch ißt.
Berliner Bilder.
Ein großer Kenner unserer sterblichen Natur hat behauptet, daß der Mensch zur Erhaltung seines Wohlbefindens von Zeit zu Zeit kleiner Anregungen bedürfe, die er am besten durch Einverleibung bescheidener Mengen weingeisthaltiger Flüssigkeiten erziele. Bekanntlich war dieser Satz schon lange vorher, ehe der große Kenner ihn theoretisch ausgesprochen hatte, in das Bewußtsein der Menschheit übergegangen und ein wichtiger Bestandtheil ihrer bürgerlichen Praxis geworden. Aber es ist deutlich, daß der ausgezeichnete Physiologe und Diätetiker dennoch der Menge einen sehr wichtigen Dienst geleistet hat, da sein weiser Ausspruch dem bisherigen Uebermaß im Streben nach Anregung ein Ende zu machen und das Volk für Einschränkung seiner Genüsse zu stimmen sucht. Die volksthümliche Presse und die Zunahme einer soliden Bierbrauerei fördern den schätzenswerthen theoretischen Satz, und nachgerade beginnen jene schon um zehn Uhr Vormittags angeregten Staatsbürger zu verschwinden und [74] den durch sie gestörten Verkehr in den Gassen frei zu machen.
Ja, der Mensch braucht einige Anregung. Wenn die Behauptung Mesmer’s: wir leben, um – zu schlafen! auch eine grobe Unwahrheit sein mag, stecken in dem irdischen Futterale unseren Leibes doch so viele träge und zur Gedankenlosigkeit geneigte Elemente, daß eine energische Aufrischung häufig genug nothwendig erscheint. Diese angestammte Schwäche des alten Adams fühle ich so gut, wie jeder Andere, und pflege mich deshalb, sobald ich eine Abnahme meiner Lebenskräfte bemerke, von der Arbeit zu erheben, einen alten Hut aufzusetzen, den Omnibus zu besteigen und aus der heitern Gegend, in welcher ich meinen Wohnsitz aufgeschlagen habe, mich in die Tiefen der Stadt, an einen stillgelegenen Ort zu begeben, wo ein zuverlässiger Wirth außer einigen stets trefflich bereiteten Speisen ein kräftiges Anregungsmittel kredenzt, dessen sorgfältige Behandlung ihm seit langen Jahren unter allen Unterthanen des Gambrinus den besten Ruf gesichert hat.
Mancher zartfühlende Herr wird vielleicht bei meiner ausführlichen Angabe, daß ich bei jedem Besuche einen alten Hut aufsetze, vornehm und verächtlich die Achseln zucken; dagegen bemerke ich indessen, daß die einzige üble Eigenschaft dieses Ortes das zeitweilige Vorhandensein von Freihändlern ist, welche ihre Außenseite gern durch einen Tauschhandel zwischen ihren alten und anderer Leute neuen Hüten verbessern. Daher stelle ich mich als verständiger Geschäftsmann von vornherein auf den Standpunkt dieser Herren und lasse meine Gemüthsruhe nicht durch unangenehme Zwischenfälle verstören.
An diesem Orte der Gastfreundschaft verkehren aber die ausgezeichnetsten Leute unseres verlästerten Jahrhunderts, denn die ausgezeichneten Leute sind nicht immer diejenigen, mit welchen die Zeitungen sich am meisten beschäftigen, sondern sehr oft jene ernsten stillen Männer, die den Tag über gedankenvoll bei ihrer Handarbeit sitzen, einen unermeßlichen Gedankenvorrath aufspeichern und ihn Abends, wenn der Geist über sie kommt, beim Glase und der Pfeife aufthun, um ihre gespannten Zeitgenossen damit zu beglücken. Hier habe ich in Politicis mehr, als aus Leitartikeln, Broschüren und Vierteljahrsschriften gelernt, hier sind meine Gedanken oft über die dunkelsten Probleme des Staatslebens aufgeklärt worden, und hieher begebe ich mich, wenn Spannungen und Uebelstände in der Öffentlichkeit meine arme Seele ängstigen. Immer finde ich irgend einen hochbegabten Mann, der, aufgeregt von dem gediegenen Gebräu des Wirths, in die Tiefen der Geschichte und Gesellschaft greift, einen seltenen Ideenschatz heraufholt und mir die wunderbarste Belehrung zu Theil werden läßt. Die Alten gingen in ihren Geistesnöthen nach Dodona oder Delphi; ich, als Sohn eines modernen Staats, fahre zu den Philistern, denn so werden, offen gestanden, meine ehrwürdigen Freunde von der maulfertigen oberflächlichen Jugend unserer Tage genannt.
So begab ich mich denn neulich in tiefer Verstimmung über eine Debatte in den Parlamentshäusern der preußischen Hauptstadt in meinen durstigen Rath der Alten. Das Gerassel der Omnibusräder, nicht geistreicher als die Beredsamkeit der meisten Abgeordneten, betäubte meinen Kopf, die Gaslaternen vermochten kaum den dichten abendlichen Nebel zu durchgingen, ich war niedergedrückt und starrte durch das Glasfenster des Wagens auf das Trottoir, wo zahlreiche dicht vermummte Gestalten schweigend aneinander vorüberschossen. Da klopfte der Conducteur auf meine Achsel, der Omnibus hielt; wir waren am Ziele. Ich stolperte über den Tritt auf das Straßenpflaster und taumelte, vom Sitzen steif geworden, in das hell erleuchtete Local. Es war wie immer ganz gefüllt, und nur in einer etwas ungemüthlichen Fensterecke stand noch ein Stuhl leer, den ich rasch einnahm, um nicht ganz heimathlos zu sein. Ein dichtes Gewölk von Tabaksqualm füllte die wenigen kleinen Zimmer, und es gehörte schon eine ungemein feine Nase dazu, um die Gaben des Abendtisches aus diesem transatlantischen nicotinreichen Aroma herauszuriechen, eine schwere Anstrengung, zu der man aber genöthigt war, da der Wirth, ein Mann der alten Schule, keine Speisekarte niederschrieb, und die beiden Bierzapfer, welche sich in die Kellnerrolle theilten, so beschäftigt waren, daß man zuweilen Stunden lang von ihnen keine genaue Auskunft erhalten konnte.
Nachdem ich also mein Anregungsmittel vor mir stehen, und die erwünschte Abendkost aus der trüben Atmosphäre herausgerochen hatte, suchte ich in der Gesellschaft nach einem meiner Bekannten. Leider war in dem Gemach, wo ich ein Unterkommen gefunden, keiner anwesend, und mir blieb nichts Anderes übrig, als mit meinem unbekannten Tischnachbarn eine Unterhaltung anzuknüpfen. Mir gegenüber saß nämlich ein Herr, der nicht zu den Stammgästen des Hauses gehörte und deshalb von diesen so feindselig angesehen wurde, wie etwa ein Sperling, den muthwillige Schneidergesellen gefangen und mit einer rothtuchenen Freiheitsmütze geschmückt haben, von seinen Commilitonen. Diesem Umstande nur hatte ich den leeren Platz und Stuhl an dem Tische zu verdanken. Der Herr durfte eigentlich auch nicht zu der eben bezeichneten Menschengattung gezählt werten, welche sonst das Bierlocal bevölkerten. Obgleich er im reiferen Lebensalter stand und in seinem Antlitz Spuren von geistigem Ausdruck trug, war das Vorherrschende in demselben doch ein starker Zug von tiefer Unzufriedenheit. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung gehörte er zu jener Classe von Staatsangehörigen, welche Schiller in seinem Fiesko „Mißvergnügte“ nennt. Das Antlitz zeigte eine düstere leberkranke Farbe; die Lippen hatte der Mann fest zusammengekniffen. Man durfte ihn vielleicht für einen Professor halten, der wegen mißliebiger politischer Ansichten vom früheren Cultusministerium hart getreten und in seinem Gehalte verkürzt, von der neuen Firma aber noch nicht wieder in Gnaden angenommen worden war. Nebenbei zeigte sich etwas von einem provinzialen Anstrich im Schnitt des Rockes, dem plumpen Knoten des Halstuches und der steilen Höhe der Vatermörder; der Mann konnte auch der Gymnasialdirector einer kleinen Stadt sein, der sich seit zehn Jahren abgemüht hatte, Schulrath zu werden, und nun mit dem letzten abschlägigen Bescheid in der Tasche seine Henkersmahlzeit in Berlin genoß. Ich sollte nicht länger müßige Hypothesen aufstellen. Der Herr warf mir einen durchbohrenden Blick zu und sagte: „Entschuldigen Sie, mein Herr, man hat mir gesagt, daß dieses Local eines der besuchtesten in Berlin sei.“
„Da hat man Ihnen nur die lautere Wahrheit gesagt!“ antwortete ich dem unbekannten Mißvergnügten bescheidentlich.
„Und in einem solchen Local findet man keine Abgeordneten!“ fragte der Herr mit ingrimmigem Tone und Stirnrunzeln.
„Nein, mein Herr“, bemerkte ich lächelnd, „hier versammeln sich nur Bürger und sogenannte kleinere Leute, für den Stand der Abgeordneten ist dieser Ort zu gewöhnlich; die Herren Landboten müssen Sie in den Fractionsweinhäusern suchen.“
„Aber grade hieher, wo sie von der Stimmung und den Ansichten des Volkes sich unterrichten können, sollen sie gehen, grade hier erwarte ich den lernbegierigen Abgeordneten,“ rief der Mann mit einer Heftigkeit, die mich an seinem Verstande etwas irre machte. Ich schwieg weislich und sah ihn nur fragend an, denn jetzt mußte es zu einer Erklärung kommen.
„Ich bin ein alter Pädagog und Inhaber einer Erziehunganstalt,“ sagte der Herr und nahm einen reichlichen Schluck Bier zu sich, „aber ich beschränke meine Erziehung nicht nur auf die Kleinen, ich suche überall einzugreifen, wo ich bemerke, daß die Menschheit einen Anlauf nimmt, neue Bildungsstoffe zu verarbeiten, neue Fächer der Wissenschaft, neue Stände der Gesellschaft zu bilden. Sie werden nicht leugnen, denn Sie sehen wie ein gebildeter Mann aus, daß sich augenblicklich in Berlin zwei Corporationen befinden, die beiden Häuser der Herren und Abgeordneten, mit denen sich ein Pädagog sehr stark zu beschäftigen hätte. Die „Herren“ haben freilich in meinen Augen keine sonderliche Zukunft; ich will also nur von den Abgeordneten reden, aus denen etwas werden kann, etwas werden muß.“
„Sie scheinen Ihrer Rede nach mit unseren Landboten nicht sonderlich zufrieden zu sein?“ fragte ich mit einiger Vorsicht.
„Um des Himmels willen, kann ein Pädagog, ein Philolog, der in jüngeren Jahren Professor der Beredsamkeit gewesen ist, mit ihnen zufrieden sein?“ rief der Herr und schlug heftig auf den Tisch; „ich bin bis jetzt in jeder parlamentarischen Session einige Wochen hindurch in der Residenz gewesen und habe täglich das Parlament besucht, aber mit jedem Jahre bin ich unzufriedener geworden.“
„Nun, ich sollte meinen, grade in der Hauptsache, in der politischen Gesinnung, zeigte sich in der letzten Session ein wesentlicher Fortschritt? “
„Ich rede nicht von der politischen Gesinnung, ich bin Pädagog und nicht Staatsmann, aber ich sage Ihnen, mein Herr, es fehlt noch sehr viel, ehe ich mit diesen alten Knaben, den Abgeordneten, so zufrieden sein kann, wie mit meinen Jungen.“
[75] „Sie stellen einen ganz neuen Gesichtspunkt auf!“ bemerkte ich, angeregt durch den parlamentarischen Pädagogen, „bitte, erklären Sie sich etwas näher, in welchen Punkten sind Sie besonders mit den Landboten unzufrieden?“
„In welchen Punkten? in allen, sage ich Ihnen; nehmen Sie ja nicht diese Herren in Schutz! Aber ich will Ihnen die Sache ausführlicher erörtern. Zuerst bin ich als Schulmann im Punkte ihres principiellen Schwänzens sehr unzufrieden. Wann ist diese Versammlung von einigen hundert Männern jemals vollzählig? Es findet keine Sitzung statt, daß nicht dieser oder jener, wie hinter die Schule, hinter das Parlament ginge. Sobald ein Abgeordneter sich durch seine Abstimmung mißliebig bei seinen Wählern zu machen fürchtet, überfällt ihn eine Sitzungskrankheit, er legt sich zu Bette, schreibt einen Entschuldigungszettel an den Präsidenten und bleibt, wenn der Fall bedenklich ist und die Wähler zu Hause ihn schon im Verdachte haben, acht bis vierzehn Tage auf dem Sopha liegen.“
„Was ist aber dagegen zu thun?“
„Nichts leichter als das, mein Lieber. Man braucht nur, gleich dem ersten besten vereidigten Theaterarzte, einen Parlamentsarzt, einen alten Praktikus zu halten, der über alle kleinlichen Finten und Bestechungen durch Schmeichelei erhaben ist. Meldet sich ein Abgeordneter krank, so stattet er ihm einen Besuch und dem Präsidenten ein Gutachten ab. Verstellt sich aber der Landbote, so werden ihm für jeden Tag der fingirten Krankheit die Diäten von drei Thalern abgezogen. Das hilft; ich kenne meine Landsleute. Als das Parlament unter Brandenburg und Manteuffel außerhalb Berlin, nach dem märkischen Kremsier, verlegt wurde, fuhren ihm selbst die Männer vom linken Centrum, nur der Diäten wegen, auf der Eisenbahn nach.“
„Das hieße ja aber unsere Abgeordneten wie Schulknaben behandeln!“ sagte ich, einigermaßen entrüstet über den strengen Schulmann.
„Sind sie denn den Jahren nach etwa nicht Schulknaben? Wie alt ist die ganze Parlamentswirthschaft? Zwölf Jahre, nicht mehr, nicht minder. Sie werden doch nicht leugnen wollen, daß ein ordentlicher Parlamentscursus etwas mehr bedeuten will, als der Gymnasialcursus, zu welchem ein Junge von mäßigen Fähigkeiten seine zwölf Jahre braucht. Lassen Sie sich von unserem parlamentarischen Kanzleirath ein Billet geben, gehen Sie in die Kammer und hören Sie einmal aufmerksam und streng kritisch zu, dann wollen wir uns wieder sprechen.“
„Es sind doch einige tüchtige rednerische Talente vorhanden, einige schlagfertige Meister in Angriffen und Entgegnungen, einige witzige Köpfe … “
„Einige – einige –“ rief mein Mann, „sie sollen sich aber Alle auszeichnen, jeder nach seinen Fähigkeiten, überhaupt werden unter den vielen Millionen Preußen sich doch noch ein paar hundert talentvolle und redefertige, mit Sitzfleisch versehene, kenntnißreiche und gesinnungsvolle Männer für ein Parlament auftreiben lassen. Das Zeug zu solchen Leuten ist im Volke in hinreichendenn Maße vorhanden, aber die Pädagogik muß es erst gehörig krumpfen und decartiren. Ich gehe in allem Ernste damit um, eine Schule des Abgeordneten zu stiften.“
„Eine Schule des Abgeordneten?“ fragte ich verwundert.
„Ja, mein Herr, die Stummen im Parlamente haben mich schon vor Jahren auf diesen Gedanken gebracht. Diese armen abgeordneten Menschen, die vor lauter Vertrauen ihrer Wähler mit dem schweren und verantwortlichen Amte der Volksvertretung belastet worden sind, sitzen in den Verhandlungen fast so kläglich da, wie gewisse Zuschauer im französischen Theater; auch sie verstehen die parlamentarische Sprache nicht. Sie sind eigentlich nur in der Liste, an der Casse und im Namensverzeichniß der Abgeordneten vorhanden; sonst reden sie weder, noch arbeiten sie für das Volk. Die Zeitungen nennen sie niemals; selbst über die traurige Nothdurft irgend einer persönlichen Bemerkung sind sie erhaben. Von den parlamentarischen Spottvögeln werden sie unverbrüchlich in Ruhe gelassen, höchstens nimmt sie ein Minister auf seiner Soirée hinter einen dichten Fenstervorhang und versichert sich mit einigen Schmeichelworten und Händedrücken ihrer Stimme für eine seiner Vorlagen.“
„Allerdings sind diese Herren nicht die erfreulichsten Exemplare der Volksvertretung,“ sagte ich mit lachendem Munde.
„Die Stummen werden meine Schüler, wenn ich mich auf den in jedem Menschen schlafenden heimlichen Ehrgeiz verstehe. Haben sie erst einmal den Honig des Beifalls ihrer Collegen gekostet, so steht mein Institut auf festen Füßen, denn ich trete in der nächsten Session mit einem Institut für parlamentarische Redeübungen zum Besten schüchterner Abgeordneten auf!“ Der Mann sprach mit einer solchen Zuversicht, daß er mir wirklich imponirte. Ich gab daher dem Aeltesten der Bierzapfer loci einen sachten Wink, zwei frische Gläser zu bringen, und bat den Pädagogen, mir den Plan seines Unternehmens ein wenig genauer mitzutheilen, da ich erbötig sei, ihm im Wege der Journalistik beizustehen.
Der Pädagog leerte mit einer Gewandtheit, die ihm noch aus seinen Studentenjahren geblieben sein mochte, das frische Seidel bis auf einen kaum nennenswerthen Rest, räusperte sich und sagte: „Die Sache ist sehr einfach; ich bilde aus Abgeordneten, die sich in meine Zucht und Lehre begeben haben, solchen, die ihr Volk dereinst vertreten und sich zu Landboten heranbilden wollen, jungen, politisch begabten Leuten und staatsmännisch hoffnungsvollen Knaben ein kleines Afterparlament. Vor jeder Sitzung arbeiten wir in bester Form die nächste Tagesordnung in den späteren Abendstunden durch. Mein Parlamentchen wird in dieselben Fractionen getheilt, wie das große, und es soll mir selbst nicht darauf ankommen, einen scharfen Reactionär, einen garstigen Geheimrath, einen Menschen der Regulative, für ein hohes Honorar zu einer parlamentarischen Gastrolle zum Besten meiner Zöglinge zu gewinnen, nur damit sie ihn rednerisch gründlich abmucken.“
„Ganz vortrefflich!“ rief ich und drückte dem seltenen Manne die Hand, „die Idee eines solchen Afterparlamentes zur Uebung für die Anfänger und Stümper unter den Landboten ist unvergleichlich. Schon der Titel, der einen so geistreichen Gegensatz zu der leidigen Bezeichnung „Rumpfparlament“ bildet, versetzt mich in Entzücken. Laden Sie mich doch ja ein, wenn der Reactionär bei Ihnen auf Gastrollen ist, denn obgleich ich Ihre Ansichten über unsere Landboten nicht ganz theile, glaube ich doch, daß in Folge fortgesetzter rednerischer Uebungen die parlamentarisch feinere Redekunst sehr zunehmen und namentlich den Gegnern der Aufklärung die Wahrheit weit schärfer und geistreicher gesagt werden könnte. Wie aber gedenken Sie es mit den Parteien zu halten?“
„Mit den Parteien?“ flüsterte der Pädagog, „ich bin kein gesinnungsloser Bösewicht, aber ich habe lange genug die modernen Staats- und Verfassungsmiasmen eingeathmet, um nicht zu wissen, daß ein Landbote unseres Jahrhunderts sich so gut auf die äußerste Rechte, wie auf die Linke verstehen muß. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Leuten nennen, die sich in beiden Fächern versucht haben. Nach meinem Princip fangen die Schüler des Afterparlaments mit Redeübungen für die äußerste Linke an und hören mit Reden für die äußerste Rechte auf. Wenn Sie auf eine Menge Männer blicken, die sämmtlich eine schöne Carriere gemacht haben, so werden Sie mir einräumen, daß ich als Pädagog der Kunst, ein Abgeordneter zu sein, denselben Weg einschlagen muß.“
„Die Schule der Jugend,“ sagte ich ziemlich unwillig, „wird, Gott sei Dank, nach reineren Grundsätzen geleitet; in ihr wirkt der Lehrer nicht weniger auf die Ausbildung der Fähigkeiten, als auf die Erhaltung einer moralischen Gesinnung ein.“
Mein Mann lächelte boshaft. „Vergessen Sie nicht, mein Lieber, daß wir in der Politik unter Wölfen mitheulen müssen,“ sagte der Pädagog.
Die widerspruchsvollen Redensarten des Mannes wurden mir nun etwas unheimlich, ich stand auf und wollte mich empfehlen; er hielt mich am Rockschoß fest.
„Erlauben Sie,“ murmelte der Mann und zog ein Blatt Papier aus seiner etwas unreinlichen Brieftasche, „daß ich Ihnen wenigstens einen Prospectus meiner Anstalt mitgebe. Im nächsten Jahre eröffne ich das Afterparlament; das monatliche Honorar beträgt zehn Thaler, Abgeordnete über fünfzig zahlen fünf Thaler mehr.“ So trennten wir uns, und ich begab mich, lebhaft angeregt von den neuen Ideen des zweideutigen Mannes nach Hause, um unsere Unterhaltung so getreu als möglich niederzuschreiben. Im Ganzen war mir doch ein Stein vom Herzen gefallen; ich wußte jetzt, wo Hülfe für das Parlament zu finden war, wenn auf der Tribüne ein Greis, der seine Rede ablesen wollte, oder ein hülflofer Stammler vom Präsidenten getadelt wurde.
[76]
Ein Gang über Dresdens Kirchhöfe.
Bedeutend schöner durch Lage und Anlagen sind Dresdens protestantische Kirchhöfe. Den Neustädter, unweit des Leipziger und Schlesischen Bahnhofs gelegen, kann man jedoch keine stille Stätte des Todes nennen, indem das Pfeifen und Brausen der Lokomotiven laut dahin tönt und ewig an das bunte, unaufhaltsame Leben und Treiben der Welt mahnt.
Auf jenem Kirchhofe sind zwei Personen begraben, deren Andenken auf’s Treuste in der Erinnerung vieler Dresdener bewahrt wird und welche zu der Zahl derjenigen gehören, die dem geistigen Leben in dieser Stadt einst einen bedeutenden Aufschwung gegeben haben. „Elisa von der Recke“ und „August Tiedge“ lauten die beiden Namen, die uns an ihrem Grabe von schwarzer Tafel mit goldenen Lettern entgegenstrahlen.
Frau von der Recke, dem Reichsgräflichen Hause der Medem’s entstammend, in Kurland geboren, in frühster Jugend mit einem kurländischen Edelmanne, Freiherrn von der Recke, verheirathet, von dem sie sich nach wenigen, in unglücklicher Ehe verlebten Jahren getrennt, vereinte sich, als sie nach Deutschland kam, zum dauernden Freundschaftsbunde mit dem berühmten Verfasser der Urania, August Tiedge. Sie bewohnten das von ihr angekaufte Besitzthum in Dresdens Neustadt, am Kohlmarkt gelegen, und dieses noch jetzt existirende Haus machten Beide bald nach ihrer Vereinigung zum Sammelplatz aller in Dresden lebenden Notabilitäten der Kunst und Wissenschaft, zum Zufluchtsort für alle durchreisenden Fremden von Rang und Auszeichnung. Die Erinnerung an jene geistreichen Cirkel hat sich bis auf die Jetztzeit im frischesten Glanze erhalten, denn sowie jene beiden Namen erklingen, wird zugleich das Bedauern laut, daß kein Haus in Dresden dieses ehemalige gastfreie und berühmte Haus ersetzt hat; Niemand in Sachsens schöner Residenz hat es verstanden, einen Cirkel zu gründen, wie Elisa von der Recke und August Tiedge ihn einst zur Freude und zum Genuß Aller gebildet, deren Interessen in gleicher Bahn mit der ihrigen zogen.
Die Freundschaft dieser beiden in der Literatur bekannten und berühmten Persönlichkeiten hat sich durch lange Jahre fest und dauernd erhalten, und erst der Tod hat ihre Trennung bewirkt. Frau von der Recke 1754 geboren, starb 1833; August Tiedge, 1752 geboren, starb 1841.
Ihr Wunsch, im Grabe von Neuem vereint zu werden, ist erfüllt. Beide sind auch auf jene außergewöhnliche Art bestattet worden, welche Frau v. d. Recke für sich und ihren Freund bestimmt hatte. Einfach in ein Leichentuch gehüllt, sind sie der Erde übergeben und nur das Gesicht Tiedge’s ist mit dichtgeflochtener Blumenmaske bedeckt worden, da er sich häufig dahin ausgesprochen, wie unangenehm ihm der Gedanke sei, im Grabe Steine und Erde unmittelbar auf das Gesicht zu bekommen.
Die Hoffnung, welche Frau v. d. Recke an dieses seltsame Begräbniß geknüpft, hat sich nicht erfüllt! – Ihre Absicht war es gewesen, den Armen die Kosten eines Sarges zu ersparen, aus welchem Grunde sie ihren Scheinsarg, in dem ihre Leiche nach dem Kirchhofe transportirt worden, auch den Armen vermachte. So
[77] viel man erfährt, ist dieses Vermächtniß nie zur Anerkennung gekommen und jener Sarg nur für sie und ihren Freund benutzt worden.
Das Grab dieses Dichterpaares zeigt uns von Zeit zu Zeit, daß noch einer ihrer Freunde ihrer gedenkt. Diese Erinnerung besteht in einem frischen Blumenkranze; jedoch an den Tagen ihres Todes beweisen mehrfache Blumenspenden, daß es noch Viele in Dresden giebt, die die Gräber dieser geliebten Todten treu im Gedächtniß halten und ihr Erinnern auch durch freundliche Zeichen an den Tag zu legen bemüht sind.
Zu den vergessenen Gräbern dieses Neustädter Kirchhofes kann man das des Schriftstellers Tromlitz (v. Witzleben) zählen. Ein eisernes Kreuz schmückt seine Ruhestatt; doch dem kahlen Erdhügel fehlt jegliche Zier. Herrliche Bäume der andern es umgebenden Gräber lassen es aber überaus freundlich und schön gelegen erscheinen, und so gleichen günstig zusammenwirkende Umstände hier, wie so oft im Leben, etwas zum Vortheil aus, das, vom Geschick stiefmütterlich bedacht, zu keiner Annehmlichkeit berufen schien und einem traurigen Loose verfallen sein sollte.
Eine über alle Gräber und Bäume dieses Kirchhofs hoch empor ragende Säule von Granit lenkt unwillkürlich die Aufmerksamkeit des dort Umherwandelnden auf sich. Sie ist der Denkstein jenes grossen Grabes, das die in den Maitagen 1849 gefallenen Krieger in sich aufgenommen. Der Sockel trägt die Inschrift:
„Vereint und treu bis in den Tod bei gutem Kampfe für König und Gesetz.“
Die Seitenwände der kolossalen Pyramide nennen die Namen der Officiere und Soldaten der preußischen und sächsischen Regimenter, die jenen Kampf mit ihrem Leben bezahlten!
Dresdens schönster Kirchhof ist wohl unstreitig der Trinitatiskirchhof oder sogenannte „weite Kirchhof“. Weit vor dem Thore, an der Blasewitzer Straße gelegen, ist er im reizendsten Halbrund von den Loschwitzer grünen Hügelketten und den blauen Gebirgszügen der sächsischen Schweiz umkränzt. Die herrlichsten Alleen alter Bäume durchschneiden verschiedene Abtheilungen dieses außerordentlich großen Gottesackers; die höchsten Cypressen ragen mit ihrem unvergänglichen Grün über die Gräber fort, und mächtige Trauerweiden neigen ihre langherabfallenren Zweige bis zu den mit Blumen reich geschmückten, mit Kränzen oft ganz bedeckten Hügeln nieder.
Den poetischsten und zugleich wildromantischsten Anblick gewährt die letzte Abtheilung dieses Kirchhofes. Die ihn zum Theil umgrenzenden Mauern sind verfallen, die Gräber meist wild und hoch von Gras und Epheu überwuchert; auf den größtentheils eingesunkenen Hügeln liegen die verwitterten und zerbrochenen Kreuze halb unter Gebüschen verborgen oder sie lehnen umgesunken gegen alte hohe Bäume, deren Zweige der Kronen an vielen Stellen so dicht in einander verschlungen sind, daß sie ein undurchdringlich grünes Laubdach bilden, welches nur hie und da einem glänzenden Sonnenstrahl Eingang gestattet. Mit hellem Licht umleuchtet er die Gräber derjenigen, die wohl schon lange im ewigen Lichte wandeln, mit glänzendem Schein umwebt er all die hohen weißen Stämme der Birken, die in dichter Waldung die eine Seite des Kirchhofs umschließen und wie ein Chor Geister aus dem tiefen Dunkel der sie umhüllenden grünen Baumnacht hervortreten.
Unter den mit Blumen überdeckten Gräbern der mittlern Kirchhofsabtheilung zeichnet sich durch geschmackvollste Anordnuug, durch reizendste Auswahl der in Farben zu einander passenden Gewächse die Ruhestätte einer erst vor Kurzem von der Erde geschiedenen Frau aus, die als Sängerin und dramatische Künstlerin gleich berühmt war und Viele erfreut hat und zum Dank von Vielen mißhandelt worden ist. Der zwischen Blumen und Cypressen hervorragende Würfel von grauem Granit trägt einfach ihren Namen:
Ein Name, zu häufig in letzterer Zeit mit Anerkennung genannt, als daß seiner wiederum erwähnt zu werden brauchte.
Ein fast eben so frisches Grab, wie das der Sängerin, ist [78] das des Hof-Kapellmeister Reissiger. In dichter, frischgrüner Blätterlage breitet sich Epheu über dasselbe aus. Die einfache Tafel von weißem Marmor enthält die Inschrift:
geb. 31. Januar 1798, gest. 7. November 1850.
Es war in der frühen Morgenstunde jenes feierlichen Tages von Schiller’s hundertjähriger Geburtsfeier, wo durch die bereits so reich und schön mit Laub und Ehrenpforten geschmückten Straßen Dresdens sich langsam, unter den Klängen des Beethovenschen Trauermarsches der großartige Leichenzug des beliebten und allgemein geachteten Componisten fortbewegte. Ein trüber grauer Himmel wölbte sich schwer und dunkel über diesem mit Trauerfahnen und Palmen einherschreitenden Zuge, während am Abend vom klaren wolkenlosen Himmel der Mond mit glänzendem Scheine auf die von Tausenden von Lichtern und Fackeln hell erleuchtete Stadt niederblickte, in deren Straßen das regste Leben herrschte, der lauteste Freudenjubel ertönte.
Einen so seltsamen Contrast in großartigen Feierlichkeiten, wie Dresden an jenem Tage zeigte, vermag eben nur eine so große Stadt zu bieten, während Gegensätze das Leben nicht allein überall zeigt, wo Leben ist, sondern sie uns auch da entgegentreten, wo es zu Ende und das Reich des Todes beginnt. Welcher Contrast zwischen jenen Gräbern der auf den Dresdener Barrikaden in den Maitagen gefallenen Kämpfer und dem Grabe der preußischen und sächsischen Krieger!
Ein über 80 Fuß langes Grab, das 76 Tode birgt, die in jenen Maitagen ihre Ueberzeugung mit dem Leben bezahlten, ist auf dem Trinitatiskirchhofe, ein etwas kleineres auf dem Annenkirchhofe. Beide Gräber sind wild überwuchert, und nur hier und da zeigt ein kleines Kreuz den Namen eines der darin ruhenden Todten. Gleich heiße Thränen des Schmerzes mögen aber an diesen Gräbern mit den kleinen Kreuzen vergossen sein, wie an jenem mit der großen Granitpyramide, gleich heiße Thränen an beiden Stätten noch immer geweint werden; in gleicher Klarheit wölbt sich auch ein Himmel über ihnen, und ein Gott ist’s, der ihre Thaten richtet! – Jene starben in Ausübung ihrer Pflicht, diese für eine Ueberzeugung, für eine Idee – wer will sagen, welche von Beiden vor Gott höher stehen?
Ein englisches Geschäftshaus.
Comptonhouse ist eine der größten Merkwürdigkeiten Liverpool’s, ja durch seinen Umfang, die Zweckmäßigkeit und Großartigkeit seiner Einrichtungen sicher eines der Wunderwerke dieser reichen Handelsstadt, wenn nicht der Welt. Manche der schönen Leserinnen werden schon von Waterloohouse in London gehört oder es selbst zu besuchen vielleicht Gelegenheit gehabt haben. In Waterloohouse kann man Alles erhalten und zwar keineswegs zu außerordentlichen Preisen, sondern im Gegentheil zu den niedrigsten festen Ansätzen, was den weiblichen Anzug, den weiblichen Putz betrifft. In Waterloohouse findet eine elegante Dame Alles vereint, was die Industrie, die Kunst, der Geschmack und der Luxus aller Völker und aller Länder der Welt für die Erhöhung weiblicher Schönheit und weiblicher Reize hervorzubringen vermögen. In Waterloohouse sind sechszig Commis angestellt, und wenn eine Dame dort einmal ihre Einkäufe gemacht, so kann sie gewiß sein, daß sie bei folgenden Besuchen stets von demselben Angestellten umhergeführt und bedient wird, der dies das erste Mal gethan. Aber was ist Waterloohouse in London gegen Comptonhouse in Liverpool, wo nicht weniger als achtundzwanzig große Säle für die verschiedenen Geschäftsabtheilungen bestimmt sind, deren Betrieb mehr als vierhundert Personen beiderlei Geschlechts besorgen. Es verlohnt sich schon der Mühe, etwas länger bei Comptonhouse und dessen Merkwürdigkeiten zu verweilen.
Der Begründer dieses umfangreichen Geschäftshauses, Mr. J. R. Jeffery, kam vor ungefähr achtundzwanzig Jahren nach Liverpool. Er fing mit einem einzigen ganz kleinen Laden an, fügte nach und nach Laden an Laden hinzu, änderte und verbesserte, bis er in den Besitz einer ganzen Reihe von Häusern und Grundstücken gelangte, die sich zwischen drei der Hauptstraßen Liverpool’s ausdehnen. Nun errichtete er ein kolossales Gebäude von den großartigsten Verhältnissen, dessen Aeußeres allein jeder größern Stadt zur höchsten Zierde gereichen würde. Der Bau wurde im September begonnen, die alten Häuser mit unglaublicher Schnelligkeit niedergerissen und das neue Gebäude, an dem unausgesetzt Tag und Nacht mit der größten Ausdauer gearbeitet wurde, ebenso schnell errichtet. Während der langen Winternächte wurde der ganze Bauplatz durch große Gasflammen erleuchtet, die jede Nacht zahlreiche Zuschauer anzogen. Mit der größten Anstrengung und Beharrlichkeit gelang es, diesen ausgedehnten Bau binnen sechs Monaten auszuführen, und Mitte April vorigen Jahres stand dieses bewundernswerthe Bauwerk vollkommen vollendet und ausgerüstet da, und konnte dem öffentlichen Verkehr übergeben werden.
Die äußern architektonischen Verhältnisse von Comptonhouse sind allerdings bedeutend und geschmackvoll, vermögen indeß doch nicht ein solches Interesse zu erregen, als die inneren Einrichtungen. Treten wir daher unverweilt ein. Jeder Besucher wird sofort über die außerordentliche Ausdehnung des Raumes, die Klarheit der Beleuchtung sowohl am Tage wie bei Nacht, und die überall hervortretende Eleganz der geschmackvollen Anordnung erstaunt sein, er wird sich zuerst wie durch Zauberei in den Hauptraum des Glaskolosses zu Sydenham oder etwa in die Rotunde des Museums zu Berlin versetzt glauben, und in der That kann die große Kuppel, durch welche das Licht mitten in den Laden fällt, nur mit einem jener riesenmäßigen und einfach edlen Bauwerke verglichen werden. Das Auge übersieht nach rechts wie nach links einen hundertundsechszig Fuß langen Raum, an dessen beiden Seiten sich die Eingänge zu den verschiedenen Sälen erstrecken. Der Hauptanblick aber ist die große Kuppel selbst, und zu ihr wird die Neugierde des Besuchers gewiß zuerst hingezogen. Diese Kuppel erhebt sich weit über das Dach des übrigen Gebäudes, augenscheinlich eine höchst beträchtliche Höhe. Sie ist vom ersten Stock an mit prachtvollen Fenstern von bedeutender Größe umgeben, die von dem dicksten Spiegelglas gebildet werden, während das obere Dach mit angemessenen cassettirten Verzierungen geschmückt ist. Diese Kuppel ist vollständig so angelegt, daß durch alle Räume des großen Gebäudes ein reiches, überall genügendes, aber nirgend blendendes Licht verbreitet wird. Nebenbei dient sie außer zur größten Zierde auch noch als ein die Luft stets trefflich reinigender Abzug. Ueber dem Kranzgesims, das den untern Theil der Kuppel umfaßt, geht eine ununterbrochene Reihe von Gasflammen, ungefähr sechs Zoll von einander entfernt und nach einem neuen System eingerichtet, so daß Nachts die Hellung der des Tages fast gleichkommt.
Das Gebäude soll eine Grundfläche von mehr als sechstausend Quadratfuß bedecken, und wenn man nun bedenkt, daß es sechs Stockwerke hoch ist, so ist es leicht zu begreifen, daß der ganze Raum, den es umfaßt, ungeheuer ist. Einigen englischen Rechenkünstlern zufolge würde der für’s Geschäft bestimmte Raum, wenn man sich ihn als einen drei Fuß breiten Fußsteig denkt, sich drei englische Meilen oder zwölftausend Fuß lang erstrecken, während derjenige Theil des Gebäudes, der lediglich für häusliche Zwecke bestimmt, von gleicher Ausdehnung ist und beide zusammengelegt eine Länge von anderthalb deutschen Meilen erreichen.
Der größte Theil des Erdgeschosses ist nur durch Fächerschränke abgetheilt. Die Schränke sind neun Fuß hoch, mit Fächern inwendig an beiden Seiten und gänzlich von polirtem Mahagoinholze. Diese Anwendung ist vollständig genügend, die verschiedenen Abteilungen von einander zu trennen, da jede Abtheilung unter ihrer bestimmten Verwaltung steht. In dieser Weise ist der von Adam Smith ausgestellte große Grundsatz aller Nationalökonomie, das Princip der Arbeitstheilung, hier durchgeführt. Dabei mögen die schönen Leserinnen nicht vergessen, daß, wie schon bereits erwähnt, Comptonhouse achtundsechszig verschiedene Abtheilungen mit vierhundert Angestellten aus beiden Geschlechtern enthält.
Nach diesem ersten Ueberblicke des Erdgeschosses möge der Besucher noch einmal zurückkehren, um den Hauptsaal ein wenig genauer zu untersuchen. Sicher bewundert er die überall vorherrschende edle Einfachheit des Styls und den durch alle Anordnungen absichtlich hindurchblickenden Grundsatz, allen überflüssigen Prunk zu vermeiden, um von vorn herein zu verhindern, daß die Pracht des Gebäudes nur irgend den Glanz der ausgelegten reichen [79] Fabrikate beeinträchtige. Das fünfzehn Fuß hohe Tafelwerk, womit die Wand bekleidet, ist durch Gesimse und erhabenes Maßwerk geschmackvoll in große Felder eingetheilt, während sechs schlanke prachtvolle Säulen, welche den Oberbau sammt der Gallerie zu stützen bestimmt sind, der ganzen Baulichkeit eine höchst geschmackvolle architektonische Zierde verleihen. Nachdem die großartigen untern Fenster mit ihren mächtigen Spiegelscheiben und der schimmernden Auslage von Shawls, Mänteln, Phantasiekleidern, Seidenstoffen, Bändern etc. genügend betrachtet worden, kehren wir wieder zu den allgemeinen Einrichtungen des Hauptsaals zurück. Ein prachtvoller, fünfzig Fuß langer Fächerschrank theilt ihn in zwei Theile, und rund um diesen Schrank geht ein schöner Ladentisch. Schränke umschließen auch den ganzen Saal, und unmittelbar vor ihnen sind zu jeder Seite bequeme Tische gereiht. Beim Eintreten von der Straße wird man sofort von unverdrossenen, zuvorkommenden Aufsehern nach der gewünschten Abtheilung hingeführt und dort sieht man junge Personen beiderlei Geschlechts, alle auf’s Eleganteste gekleidet, die Männer in schwarzem Frack und weißer Halsbinde, die Frauen im modernsten Vollputze, mit der größten Aufmerksamkeit und Höflichkeit vor der Herzogin wie vor der Hausmagd, vor dem Geistlichen wie vor dem Arbeiter, die neuesten Neuigkeiten auskramen, an Bändern und Sonnenschirmen wie an Modegegenständen, Besätzen, köstlichen Wollen-, Baumwollen- und Seidenwaaren.
Zur Rechten tritt man nun in den für Tücher, Mäntel und Shawls bestimmten Saal, der, mit hohen, geräumigen Fenstern versehen, das schönste Licht für die genaueste Betrachtung der mannigfaltigen hier versammelten Schätze gewährt, die Alles umfassen, was in dieser Art nur irgend Schönes und Reiches in der Welt vorhanden. Hier reichen sich Orient und Occident die Hand, oder vielmehr, sie wetteifern mit einander. Hier liegen Shawls in den prächtigsten, verschiedenartigst strahlenden Farben und Nuancirungen aus, deren Preis sich von funfzehn Pfund Sterling (hundert Thaler) bis auf dreihundert Pfund (zweitausend Thaler) und darüber steigert, die Erzeugnisse vor Allem Frankreichs, Persiens, der Türkei und Indiens. Es ist das Kostbarste, dabei aber auch Strahlendste, Leichteste und Heiterste, was die menschliche Hand, beseelt von der schaffenden Kraft eines erfindungsreichen Geistes, für die Verzierung und Einrahmung des Schönsten, was die Erde besitzt, der weiblichen Schönheit, hervorgebracht hat. Allgemein wird behauptet, daß dies unbezweifelt die reichste und prachtvollste Ausstellung von Shawls in England sei, was gewiß viel sagen will, wenn man bedenkt, welche großartig kostbaren und reichen Lager dieser Art London allein enthält.
Durch einen Raum hinschreiteud, welcher der Ostflügel (east transept) genannt wird, der 55 Fuß lang und 21 Fuß breit, und worin die Abtheilungen für Leinen, Flanelle, wollene Decken, Spitzen, Musseline und andere feine wollene Stoffe, gelangt man in den Saal für Seidenstoffe, ein unübertroffenes Muster in seiner Art, das in England, dem Lande der reichsten Verkaufsläden, jetzt nicht seines Gleichen haben soll. Höchst bemerkenswerth ist hierbei, daß diese wunderbaren Seidenstoffe, meistens das Erzeugniß Lyons, obgleich auch England und selbst Deutschland hier vertreten sind, von Zeit zu Zeit immer wieder in andrer das Auge und die Kauflust auf’s Höchste reizenden Weise mit der größten Farbenkenntniß und der geschmackvollsten Benutzung der Lichtstrahlen frisch geordnet und drapirt werden, zu welchem Geschäfte eigens ein hierin gewandter und erfahrener Pariser angestellt ist. Am Westende dieses durch seinen reichen Inhalt prachtvollen und gleichsam das Heiligthum des ganzen Geschäftes vorstellenden Saales steht ein kolossaler Spiegel in einem reich verzierten goldnen Rahmen, ein wahres Wunderwerk von Spiegel, wie man ihn bisher nur auf der Pariser Industrieausstellung gesehen. Dieser Saal wird am Tage durch Kuppellicht erhellt, bei Nacht durch strahlende Gassonnen. Obgleich die Meubles hier ebenfalls äußerst reich und kostbar, so herrscht doch durchaus kein leerer Prunk, sondern Alles ist in Uebereinstimmung mit dem früher angeführten Grundsätze einfach und in vollkommener Harmonie.
Am Nordende des Erdgeschosses befindet sich der Saal für Kidderminster-Teppiche, eine sehr große und weitläufige Abtheilung, worin eine so große Masse dieser reichen und prachtvollen Erzeugnisse der englischen Industrie oder vielmehr Kunstthätigkeit aufbewahrt wird, daß sie den Uneingeweihten in wahrhafte Verwunderung zu versetzen vermag. Nahe diesem Saale nach Westen zu ist eine sehr ausgedehnte Reihe verschiedener Säle, die alle für Dinge bestimmt sind, welche zum Ameublement dienen, wie Tapezierarbeiten, Damaste, Gobelins, Gardinen u. s. w.
Eins der größten Wunder von Comptonhouse ist aber unbezweifelt sein Keller, der von ungeheurer Ausdehnung. In ihm sind mannigfache Räumlichkeiten, die für alle die verschiedenen Arbeiten in den verschiedenen Geschäftszweigen bestimmt sind, welche zu einem großen Bekleidungsmagazin gehören. Ein Fremder würde sich ohne einen Führer in den unterirdischen Gängen verirren müssen. Hier sind große Zimmer für die schwereren und gewöhnlicheren Sorten von Teppichzeugen, Strohdecken, Matten u. s. w. Ein niedliches Gemach im Keller muß hier jedoch besonders erwähnt werden, da es die Vollständigkeit und Voraussicht beweist, mit welcher Alles angeordnet. Dies Gemach ist nämlich nur mit Gas beleuchtet, damit Damen sich auch am Tage von der Wirkung der Farben beim Einflusse künstlicher Beleuchtung überzeugen können.
Zunächst nun die Neugierde anregend, fällt die Pack- und Versendungskammer auf, wo Alles, was aus dem ganzen großen Geschäfte fortgesandt werden soll, hingebracht wird, um es an die ausgegebene Adresse abzuliefern, was täglich drei Mal zu bestimmten Stunden geschieht. Von der Packkammer führt ein eigener langer unterirdischer Gang auf eine entfernte Straße, so daß jede Verwechslung oder Verwirrung mit den übrigen Geschäftszweigen zur reinen Unmöglichkeit wird. Eine andere große Räumlichkeit ist dagegen zum besondern Empfang- und Annahme-Zimmer bestimmt. Hierher werden alle die Ballen, Kisten, Koffer und Packete, die für das Geschäft ankommen, hingebracht, um sie auszupacken und dann die erhaltenen Waaren in die verschiedenen für sie bestimmten Geschäfts-Abtheilungen zu schicken. In der Nähe dieses Zimmers liegt eine Anzahl großer Vorrathskammern, wo die Rohstoffe für die Anfertigung der verschiedenen Gegenstände aufbewahrt werden. Um die ungeheure Ausdehnung des Riesengeschäftes zu bezeichnen, möge noch erwähnt werden, daß hier vier Vorrathskammern lediglich für die Schreibmaterialien vorbanden, welche in diesem Geschäft selbst verbraucht werden.
Der mächtige Kellerraum unter dem Hauptsaale ist ein außerordentlich großes Zimmer, das als Lager und Vorrathskammer für schwere Tuche verschiedener Art benutzt wird.
Endlich aus den Kellerräumlichkeiten wieder im Erdgeschoß unter der Hauptkuppel angelangt, wird man eine schöne sieben Fuß breite höchst bequeme Wendeltreppe hinaufgeführt. Jetzt befindet man sich auf der Gallerie und hat einen wunderbaren sehr interessanten Blick auf das ganze ausgedehnte Geschäftsleben unten im Erdgeschosse, das einem keineswegs ganz geringfügigen Jahrmarkte gleich kommt. Dieser Rundblick ist allenfalls dem zu vergleichen, welchen man in Hamburg während der Börse von der Gallerie hat, aber für Damen unbedingt sehr viel interessanter. Hier auf dieser Gallerie ist die Abtheilung für Damenhüte und Putzwaaren, hier auch die für Kinderzeug und Knabenanzüge, hier auch für Alles, was Damen an kleinen niedlichen Sächelchen zum Anzuge nöthig haben, und eben so eine Abtheilung für die von den Engländerinnen so sehr begehrten und von ihnen mit dem Ausdruck Berliner Wollen (Berlin wools) bezeichneten Waaren, die hauptsächlich angefangene und vollendete Stickereien sowie Alles, was hierzu gehört, begreifen und zum größten Theile wirklich von Berlin selbst nach England eingeführt werden. Hier ist dann noch eine Abtheilung für alle jene hübschen Dinge, welche die Engländer mit dem Namen fancy articles bezeichnen und wozu auch Alles gehört, was wir Nippessachen nennen, Statuetten und Figuren in Marmor und Alabaster sowie Vasen und dergleichen mit inbegriffen. Die Abtheilung für Putz, der größtentheils aus dem hierin durch Geschmack, Erfindungsgabe, Grazie und leichte Eleganz die unbestrittene Weltherrschaft ausübenden Paris herstammt, ist ganz vorzüglich bemerkenswerth wegen ihrer glänzenden Schönheit und reichen Vollständigkeit. Jetzt die Abtheilung für Meubles und was dazu gehört, die einen großen Vorrath der ausgewähltesten und in Styl wie Ausführung vollendetsten Mobilien enthält, durchschreitend, gelangt man zu der Abtheilung für Damenschuhe und Stiefeln, angefüllt mit allen möglichen hierher gehörenden Erzeugnissen der herrschenden Mode.
Nachdem nun so die Geschäftsabtheilungen von Comptonhouse nur flüchtig durcheilt, bilden die häuslichen Einrichtungen einen eben so interessanten Gegenstand der Betrachtung, indem in [80] Comptonhouse, ganz entgegen der sonstigen Gewohnheit englischer Geschäftshäuser, ein großer Theil der Angestellten im Hause selbst wohnt und dort verköstigt wird. Die häuslichen Anordnungen sind ganz so vortrefflich, in ihrer Art ganz so vollkommen, wie alle bereits beschriebenen des ausgedehnten Geschäftes. Sie beabsichtigen alle bis in die kleinste Einzelheit die Gesundheit und das Wohlbehagen der vielen Angestellten zu fördern. Sämmtliche Zimmer des ganzen großen Gebäudes, die höher als eine Treppe liegen, sind den häuslichen Zwecken der umfänglichen Anstalt vorbehalten, und wenn man alsdann erwägt, daß mehr als dreihundert Personen im Hause selbst wohnen und beköstigt werden so wird man leicht begreifen, daß die Einrichtungen hiefür nach einem großartigen Maßstabe sein müssen. Die Zimmer der weiblichen und männlichen Handelsgehülfen liegen vollkommen getrennt von einander auf verschiedenen Seiten des Hauses; die Küche ist mit einem ausgedehnten Gasapparat zum Kochen versehen und ist an und für sich schon eine Merkwürdigkeit, wie man sie auf dem Continente schwerlich findet; die weitläufige, im einfach reinlichsten Style gehaltene, aber trefflich gelüftete Speisehalle faßt bequem über zweihundert Personen an der Eßtafel; mannigfache Zimmer sind auch bestimmt für die Aufseher wie für die Bedienung; gut gelüftete Schlafgemächer werden mit Gas erleuchtet und durch Kamine erwärmt; die vortrefflichsten Waschanstalten auf jedem Stockwerke sind mit heißen, kalten und Regen-Bädern versehen; eine ausgewählte Bibliothek von mehr als zweitausend Bänden kann von allen Hausgenossen nach Belieben benutzt werten; und, was für die jetzt mit besonderem Eifer sich des Rauchens befleißigenden Engländer vom höchsten Werthe, ganz oben im Hause ist ein besonderes Rauchzimmer mit einer hübschen Vorrichtung zum Lüften eingerichtet, das durch eine kleine Treppe mit dem flachen Dache in Verbindung steht, von wo aus man eine prachtvolle Aussicht auf die Mersey, die kolossalen Docks und die vielen Hunderte der größten nach Amerika, Indien, China und Australien fahrenden Schiffe genießt. Durch eine mechanische Vorrichtung werden jede Nacht um halb zwölf Uhr sämmtliche Gasflammen des ganzen ungeheueren Hauses mit wenigen Ausnahmen ausgelöscht.
Der Leser oder die schöne Leserin werden schließlich wissen wollen, wie es möglich, eine so verwickelte Maschinerie in Bewegung zu setzen und in ihrem sichern, ungehemmten und ununterbrochenen Gange zu erhalten und zu überwachen. Dennoch ist die Sache sehr einfach auseinander zu setzen, grade wie das System der ganzen Anordnung auf’s Höchste wirksam. Die ganze Anstalt ist wie eine Anzahl verschiedener Kaufläden unter einem gemeinsamen Haupte; jede Abtheilung ist dem Wesen nach ein besonderes Geschäft, hat ihren besonderen Geschäftsführer, ihr besonderes Betriebscapital und ihre besondern Bezugsquellen. Die Verkäufe eines jeden Tages werden in jeder Abtheilung besonders berechnet, ganz wie der Betrag der auf dem Lager in Vorrath verbliebenen Güter. Auf diese Weise ist der Geschäftsführer zu jeder Zeit im Stande, den Ersatz der eigenen Bedürfnisse genau anzugeben, überflüssige Ankäufe zu verhüten und das Gewinn- oder Verlust-Conto auf’s Genaueste abzuschließen. Dabei verhütet das System der Anweisungen alle Betrügereien und Unterschleife von Seiten der Verkäufer. Es ist nämlich ganz bestimmt vorgeschrieben, daß der verkaufende Gehülfe für jeden verkauften Artikel eine Rechnung geben muß, indem kleine Bücher mit Rechnungen jedem Gehülfen zu diesem Zwecke eingehändigt werden. Jede solche Rechnung trägt ihre fortlaufende Nummer. Beim Ausschreiben einer Rechnung wird aber auch immer mittelst einer eigenen sinnreichen Vorrichtung sofort eine Copie angefertigt. So sind die Copie und die Nummer gleichsam eine Anweisung auf die Einnahmen. Der Verkäufer überliefert die copirten Rechnungen sammt dem eingenommenen Gelde jeden Abend dem Cassirer, und die Bücher werden danach während der Nacht geordnet. Alle Rechnungen werden den nächsten Tag genau geprüft, und in dieser Weise wird die großartige und anscheinend höchst verwickelte Maschinerie des ungeheueren Geschäftsbetriebes in fortwährender Thätigkeit und regelmäßigster Ordnung erhalten.
Wohl wären noch manche interessante und belehrende Einzelheiten über Comptonhouse zu bemerken, aber aus dem Beschriebenen wird bereits Jeder ersehen haben, daß es in der That nicht zu viel war, Comptonhouse als eines der Wunderwerke Englands zu bezeichnen.
Berichtigung. Gestatten Sie mir die Berichtigung eines Irrthums,
der in dem Artikel: „Elf Blutzeugen deutscher Freiheit“ in Nr. 1. 1861 der
„Gartenlaube“ vorkommt. Der Verfasser des Artikels, ein Augenzeuge, nennt,
wie auch allgemein angenommen wird, 11 Officiere des Schill’schen Corps,
welche bei Wesel erschossen sind. In einigen Biographien Schill’s und
einigen Schriften über das Schill’sche Corps werden nur 10, in andern
sogar 12 Officiere genannt. Das Richtige ist zehn, denn der jüngere der
beiden Bruder v. Wedell ist nicht mit erschossen, er lebt noch.
1857 brachte die Preußische Staatszeitung folgende Notiz über den Gouverneur von Luxemburg, General Albert von Wedell: „Herr v. Wedell war Mitglied des tapfern Schill’schen Corps, welches durch die Uebermacht der französischen Gegner schließlich in die Enge getrieben, gefangen genommen und nach Wesel geschleppt wurde. Hier ward den Officieren des Corps der kriegsgerichtliche Proceß gemacht und sie sämmtlich zum Tode durch Erschießen verurteilt. Am Tage vor der Execution wurde der junge Lieutenant von Wedell von einem heftigen Fieberanfall heimgesucht, welcher sein Hinausführen zum Richtplatze unmöglich machte und ihm somit das Leben rettete, denn seine sämmtlichen Cameraden fanden unter den französischen Kugeln ihren Tod. Nach seiner Wiederherstellung sah der französische Befehlshaber sich veranlaßt, beim Kaiser Napoleon anzufragen, ob die Execution an ihm noch zu vollstrecken sei, und es erfolgte der Bescheid: „daß von Wedell nicht als Kriegsgefangener, sondern als Landesfriedensbrecher zu behandeln und demgemäß in das Bagno von Brest abzuliefern sei.“
„So wurde der edle Sprößling eines alten deutschen Geschlechtes als Galeerensträfling mit den gemeinsten Verbrechern an eine Kette geschmiedet, mußte die gröbsten, entehrendsten Arbeiten verrichten und wurde mit dem verhängnißvollen T. F. (travaux forces) auf seiner linken Schulter gebrandmarkt.
„Vier Jahre dauerte dieses grausame Märtyrerthum, bis das siegreiche Vordringen der verbündeten Heere 1814 demselben ein Ende machte und Herrn v. Wedell gestattete, im folgenden Jahre noch als preußischer Officier am Kampfe gegen seine ehemaligen Unterdrücker Theil zu nehmen. Jetzt bekleidet derselbe eine der hervorragendsten Stellen in der preußischen Armee, ist General-Adjutant des Königs und wurde während des orientalischen Krieges mit einer wichtigen diplomatischen Mission nach Paris betraut. Welche Gefühle mögen den ehemaligen französischen Galeerensträfling bewegt haben, als er, von dem jetzigen Beherrscher Frankreichs als Vertreter Preußens auf das Zuvorkommendste empfangen, den Ehrenplatz an der kaiserlichen Tafel einnahm!“ –
Ob es der ältere v. Wedell oder Friedrich Felgentreu war, der bei der Execution nur am Arme verwundet stehen blieb, seine Weste aufriß, auf sein Herz zeigte und rief: „Hieher, Grenadiere!“ ist unentschieden. Der muthige Vertheidiger der Gemordeten, Perwetz, wurde kurze Zeit darauf auf kaiserlichen Befehl aufgehoben und nach Frankreich in einen Kerker geschleppt. Sein Weib und mehrere Kinder blieben in größtem Elend zurück und wandten sich später um Unterstützung an verschiedene Angehörige der Gemordeten. –
Aus der Zeit. Die Anhänger des preußischen Junkerthums waren der Ansicht, eine Amnestie dürfe aus Pietät gegen den jetzt von seinen Leiden erlösten König nicht gegeben werden, weil die politischen Vergehen gegen dessen Person gerichtet gewesen wären. Sehr richtig antwortet darauf ein Rheinisches Blatt: „Es giebt keine frechere Majestätsbeleidigung, als zu behaupten, ein Cultus der Rache sei des Andenkens eines Königs würdig.“ – Uebrigens waren die politischen sogenannten Vergehen nicht gegen die Person, sondern gegen das nunmehr gefallene System und die Träger desselben gerichtet.
C. G. F. Pastor in Wernsdorf. Welches Wernsdorf ist gemeint?
Die Postbehörde nimmt unsere Antwort ohne genaue Angabe nicht an.
K. in L. Der kleine Rest des Storch’schen Romans: „Ein deutscher Leinweber“, früher 15 Thaler, ist von Herrn H. Hartung in Leipzig aufgekauft und wird jetzt zu dem sehr billigen Preis von 3 Thlr. 10 Ngr. abgegeben. Sie haben ganz Recht, wenn Sie dieses Werk als einen der interessantesten und gediegensten historischen Romane bezeichnen.
B. in Schl. Ihre Jagderlebnisse haben uns sehr erheitert. Wenn aber die Jäger aus dem Clam-Martinitz’schen[WS 4] Jagdreviere ihre Hunde „Garibaldi“ und „Cavour“ rufen, so beweißt das lediglich den niedrigen Bildungsgrad dieser Leute und ist dabei nur der Graf zu bedauern, daß er sich mit Leuten dieses Schlages umgiebt.
- ↑ Wer von den Lesern sich über den Verbrennungsproceß, wie überhaupt über die im gewöhnlichen Leben (innerhalb und außerhalb unseres Körpers, bei den Gewerken, in der Land- und Hauswirthschaft etc.) in jedem Momente vorkommenden chemischen Processe auf unterhaltende Weise aufklären lassen will, dem empfehlen wir: „Baer, die Chemie des praktischen Lebens“. Leipzig, Otto Wigand.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Zwei Worte unleserlich
- ↑ Vorlage: Honueurs
- ↑ Vorlage: Zeitugen
- ↑ Clam-Martinic, Vorlage: Clam-Marbinitz’schen