Die Gartenlaube (1868)/Heft 10
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No. 10. | 1868. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Der Rechtsanwalt oder, wie die Bauern ihn nannten, der
Doctor Rostmeyer wohnte in einem Städtchen, welches nicht eine
Stunde Weges von dem Herbothofe entfernt lag. Die Stunde
Entfernung hatte Mariannens Vater nicht abgeschreckt, weil es
doch nun einmal Sonntag war, noch am Abend zu dem Doctor
zu gehen, um mit demselben über die Verlobung seiner Tochter
zu reden, d. h. über die Seite der Sache, welche der Bauer bei
jedem in die Sphäre des Gemüthslebens fallenden Ereignisse
zunächst bedenkt und in’s Auge faßt – die praktische.
Der Bauer wurde, als er in der Dämmerung in das Haus des Rechtsmannes trat, in dessen Geschäfts- und Arbeitszimmer geführt und fand den Doctor beschäftigt, Cigarren aus einer Kiste zu nehmen und in ein großes Etui zu stecken, da er im Begriff war, sich in das Casino der kleinen Stadt zu begeben. Er war bereits im Ueberzieher und hatte die dunkle Tuchmütze auf dem Kopfe.
„Hat’s Eile, Herbotbauer?“ sagte der Advocat, sich nach dem Eintretenden umschauend und dann in seiner Beschäftigung fortfahrend … „Ihr kommt spät, und ich stehe im Begriff, auszugehen.“
„Dann will ich Sie nicht hindern, Herr Doctor; so große Eile hat’s just nicht! Ich wollte nur ein wenig überlegen mit Ihnen und hören, was zu thun sei …“
„Ueberlegen? Was giebt’s denn auf dem Herbothofe Neues, was zu thun machte?“
„Nun, viel Neues just nicht; Sie wissen, oder vielleicht wissen Sie auch nicht, ich habe schon eine Weile nach der Anna Kamp vom Kamphofe gefreit und möchte nun mit der Zeit an’s Heirathen denken …“
„In der That, seid Ihr so weit mit der Anna? Ich hab’ geglaubt, sie wollte nicht mit einer Stieftocher von gleichem Alter wie sie zusammen hausen?“
„Das ist in der That so, Herr Doctor; allein da die Marianne sich nun auch verlobt hat …“
„Die Marianne hat sich verlobt? Ei, sieh doch!“ versetzte der Advocat. „Und wen bekommt sie denn?“
Der Herbotbauer strich sich über den Schädel und sein aschfarbenes Blondhaar gar glatt und säuberlich in die breite Stirn hinein.
„Es soll noch ein wenig Geheimniß sein,“ versetzte er dabei zögernd; „sie hat mir’s selber erst heut’ Abend anvertraut, und ich habe ihr in die Hand geloben müssen, noch nichts davon zu verlautbaren.“
„Dummes Zeug, Herbotbauer! Es muß ja doch bald bekannt werden,“ fiel der Advocat ein, der, nachdem er sein Etui in die Tasche gesteckt, eine der Cigarren abschnitt, und anzündete, und dann ging, aus der Ecke seinen Stock zu holen. „Seinem Doctor und seinem Advocaten muß man reinen Wein einschenken; also heraus mit der Sprache!“
„Nun ja, ich weiß, daß man Ihnen auch reinen Wein einschenken darf, und der Marianne kann’s auch ganz eins sein, ob ich’s Ihnen sage. Es ist der Friedrich Schwelle, der als Unterofficier bei der Artillerie steht. Sie haben ihn vielleicht gekannt, als er noch bei unserem Schulmeister …“
„Der Friedrich Schwelle?“ rief der Advocat aus, der bei diesem Namen sich plötzlich rasch umdrehte, seinen Stock in der Ecke vergaß und den Herbotbauer aus seinen blauen, großen, weit vorstehenden Augen ansah, als hätte ihm dieser etwas ganz Besonderes und Verwunderliches gesagt.
„Der Friedrich!“ wiederholte der Bauer.
Doctor Rostmeyer stand noch immer und glotzte ihn an, als ob ihm die Nachricht ganz unglaublich viel zu denken gäbe. Er stand unbeweglich und sagte kein Wort. Herbot starrte ihn wieder an. Er konnte sich nicht erklären, was den Doctor Rostmeyer so betroffen machte. Was hatte der Mann?
„Verwundern Sie sich so?“ fragte er endlich, „daß ich meine Tochter einem Unterofficier und einem …“
„O nein, nein, nicht deshalb!“ antwortete Doctor Rostmeyer.
„Ich weiß,“ fuhr der Herbotbauer fort, „die Leute werden ein wenig den Kopf dazu schütteln, aber ich mache mir nichts daraus. Der Friedrich ist, so lang er hier beim Schulmeister war, immer ein Ausbund von Bravheit gewesen, und immer der Erste in der Schule; und jetzt hat er den Krieg mitgemacht und ich hab’ mir sagen lassen, er hätte zwei Medaillen wie die Andern, aber eine noch ganz extra bekommen wegen seiner besonderen guten Führung; die Marianne sagt, er bekomme nächstens eine Beförderung; so ein sieben oder acht Jahr hat er gedient, und da er im Felde war, zählen zwei doppelt, und über ein paar Jahre also bekommt er eine schöne Anstellung im Civil mit einem tüchtigen Gehalt … für den Friedrich ist mir nicht bange; weshalb soll ich ihm meine Tochter nicht geben? Ich bin ein zu vernünftiger Mann, Herr Doctor, als daß ich mich an den Namen Schwelle kehre.“
„Ihr seid ein sehr vernünftiger Mann, Herbot,“ sagte jetzt lächelnd der Advocat, „wohl mehr als Ihr’s selber wißt!“
[146] Freut mich, daß Sie mir beistimmen, Doctor!“ versetzte Herbot. „Die Marianne paßt ohnehin besser für einen Stadtherrn als für einen Bauern, Die Frau von Thorbach, die sie durchaus zu ihrem Kammermädchen haben wollte, so daß ich sie auf ein Jahr zu ihr lassen mußte, hat sie für den Bauernhof ganz verdorben.“
„Hm!“ sagte der Doctor nachdenklich, legte seine Mütze wieder ab und warf die Handschuhe, die er anzuziehen begonnen, hinein.
„Sagt mal, Herbotbauer,“ begann er dann von Neuem, „das ist wohl schon eine alte Liebschaft zwischen der Marianne und dem Friedrich, wohl schon von damals her, als sie Beide noch die Kinderschuhe trugen?“
„Das nicht,“ entgegnete Herbot, „sie datirt von diesem Winter her.“
„So, so! Nun, das verschlägt wenig. Dann ist die Liebe desto frischer und feuriger. Und der Friedrich ist ein sehr ehrlicher Bursche. Ich kenn’ ihn; ich kenn’ ihn besser, als irgend Jemand; er ist kein Mann, der leicht sein Wort bricht.“
„Sein Wort bricht? Wie kommt Ihr darauf?“
Rostmeyer antwortete nicht gleich. Er streichelte schweigend sein Kinn.
„Eine Tochter vom Herbothofe, denk’ ich, läßt Einer ohnehin nicht sitzen!“ fuhr der Bauer fort.
„Ja, ja,“ entgegnete Rostmeyer, „unter Umständen! Besser noch ist, daß die Tochter vom Herbothofe ein so verwettert hübsches Ding ist.“
Dabei streichelte Rostmeyer abermals sein glattes Kinn und blickte seinen Clienten mit den großen Augen so seltsam und so fragend an, als ob er vergessen, wen er eigentlich da vor sich stehen habe, und sich gar nicht wieder darauf besinnen könne.
„Doctor,“ sagte der Bauer endlich, „was geht Euch eigentlich im Kopfe herum? Ihr habt etwas, mit dem Ihr nicht herausrücken wollt; wenn Ihr nicht Frau und Kinder hättet, würde ich sagen, die Marianne hätt’s Euch selber angethan, und Ihr wär’t just auf dem Weg gewesen, um sie zu freien …“
Doctor Rostmeyer ging auf diesen angenehmen Scherz gar nicht ein. Er antwortete ernst:
„Ich hab’ Euch noch keinen Stuhl angeboten, Herbot; thut mir den Gefallen und setzt Euch dort … ich möchte noch ein wenig länger mit Euch von der Sache reden. Da Ihr mir einmal sagt, der Friedrich solle Euer Schwiegersohn werden … hört, Ihr habt vor wenigen Jahren Eure sauern moosigen Wiesensümpfe umgebaut … was hat Euch das gekostet?“
„Meine Wiesen? Wie kommt Ihr darauf?“
„Ich frage nur. Was hat es Euch gekostet?“
„Viel Geld, Doctor, viel Geld!“
„Wie viel?“
„Mehr als tausend Thaler!“
„Mehr als tausend Thaler. Gut. Und nun reut’s Euch nicht, es war ein gutes Geschäft. Ihr könnt aber, wenn Ihr tausend Thaler daran wenden wollt, noch ein besseres machen. Ihr könnt Euch den ganzen Schwiegersohn umbauen … solch’ ein Unterofficier ist nur ein schlechtes Parcel, bei dem nicht viel zu holen; am Ende auch nur ein Stück Sumpf; legt Ihr tausend Thaler daran, so baue ich ihn Euch um – in etwas Besseres! Ich mach’ Euch etwas draus, woran Ihr Eure Freude haben sollt!“
„Sie spaßen, Doctor!“
„Nein, Herbot, wenn ich von tausend Thalern rede und von einer Sache, an der ich verdienen will, so spaße ich niemals!“
„Aber was wollt Ihr denn eigentlich?“
Der Advocat ging und zog eine Klingelschnur. Dann zündete er die beiden auf seinem Schreibpult stehenden Kerzen an, da es nach und nach dunkel geworden. Als eine Magd erschien, befahl er ihr, eine Flasche Wein zu bringen, und während sie ging, den Auftrag auszuführen, reichte er seinem Clienten eine Cigarre und hielt ihm zum Anzünden das Licht hin.
„So,“ sagte er dann, während Herbot die ersten Dampfwölkchen von sich blies und sich in seinem Stuhl ausstreckte … „jetzt will ich Euch eine Geschichte erzählen und dann wird Euch bald Alles klar werden. Laßt nur erst das Mädchen mit dem Wein gekommen und wieder verschwunden sein!“
Das Mädchen kam mit dein Wein; Rostmeyer schenkte ein, und dann begann er seine Mittheilung.
Sie dauerte ziemlich lange. Der Bauer hörte ihr erstaunt und verwundert zu. Mit den Schlußsätzen aber, womit Rostmeyer, endete, schien er höchst gründlich einverstanden. Er nickte ihm überaus vergnügt und freudig zu; er rieb sich die Hände aus Vergnügen über Alles, was er vernommen hatte.
„Macht nur die tausend Thaler flüssig, für alles Andere steh’ ich ein,“ sagte Rostmeyer sich erhebend, „nur die Gelder sind nöthig. Und dann freilich ist’s Mariannens Sache, den Friedrich beim Worte zu halten. Er muß Fuß bei Mal halten. Und ich denk’, der gute Bursche wird’s! Eines dürft Ihr nicht unterlassen. Ihr müßt es so offenkundig wie möglich machen, daß die beiden jungen Leute verlobt sind. So lange Niemand von solch’ einem Verhältniß weiß, ist’s leicht wieder abgebrochen – aber wenn’s öffentlich kund gemacht worden ist, dann ist man gebunden … der Friedrich wird dann nicht so leicht daran lenken; ihr untreu zu werden.“
„Gewiß, gewiß,“ antwortete Bauer Herbot, „dafür will ich schon sorgen!“
„Und ich,“ fuhr der Advocat fort, „will sogleich an die Frau von Thorbach, die im Bade ist, einige Zeilen schreiben. Ich will sehen, sie für den Friedrich zu interessiren. Vielleicht geht sie, um ihres Vaters willen, eifrig darauf ein – und damit wäre viel gewonnen; solch’ eine Dame vermag in der vornehmen Welt viel, und wer weiß, was wir da noch für Leute nöthig haben – Fürsprache und Connexionen sind ein gutes Ding, und auch, wenn man ganz offenbar das Recht für sich hat, nicht unnütz!“
„Thut das, Doctor, thut das!“ rief Bauer Herbot aus; „wir wollen jeder das Unserige thun …“
„Und daran wird’s nicht fehlen,“ versetzte Rostmeyer, dem Bauer das letzte Glas einschenkend, „auf den Schwiegersohn, Herbot!“
„Solch’ einen Schwiegersohn kann man schon leben lassen,“ rief Herbot aus und stürzte, nachdem er mit dem Doctor angestoßen, den Wein hinunter, „und jetzt gute Nacht!“
„Gute Nacht!“ versetzte der Rechtsanwalt.
Die beiden Verbündeten trennten sich.
Es waren acht Tage verflossen. In der Provincialhauptstadt, in einem sehr elegant eingerichteten Zimmer, welches die sauberste Ordnung zeigte, saß ein junger Mann von höchst gewinnendem Aeußern. Er saß an einem der Fenster, vor einem mit allerlei Zeichenmaterialien bedeckten Tische und war beschäftigt, ein Aquarellbild, das eine düstere Landschaftsscenerie, eine Felsgegend mit einem dunklen Gewitterhimmel darüber, darstellte, zu malen. Bald war er über seine Arbeit gebeugt, bald benutzte er die Augenblicke, wo er innehalten mußte, die Farben trocknen zu lassen, nur zum Fenster hinauszublicken und träumend den Himmel anzusehen; und dies stille Träumen, wobei sich sein hübscher männlicher Kopf mit dem dunkelbraunen Haar und dein schönen Vollbart auf seine wohlgepflegte aristokratische Hand stützte, dehnte sich dann meist weit über die Zeit aus, welche die Farben zum Eintrocknen bedurften.
Die Ausstattung des Zimmers deutete darauf, daß der Bewohner seine Malerei ohnehin nur als Dilettant trieb. Die gekreuzten Säbel zwischen Revolvern unter einem Helm mit langem schwarzem Roßschweif verriethen, auch wenn der junge Mann nicht in einen mit rothem Tuche gefütterten dunklen Uniformrock gekleidet gewesen wäre, daß er Officier war.
Die Thür öffnete sich, ohne daß angepocht worden, und herein trat ein großer, breitschulteriger und festgebauter Mann, dessen blühendes gutmüthiges Gesicht mit dem blonden Bart auf der Oberlippe kein höheres Alter als höchstens vierundzwanzig verrieth, während die ausgebildete Gestalt auf wenigstens dreißig hätte schließen lassen … es war eine jener kräftigen Erscheinungen, welche unter den Söhnen seiner Heimath so häufig ist und so viel Musterbilder wackerer Vaterlandsvertheidiger darunter finden läßt.
Er trug die Uniform desselben Regiments, zu dem der Officier gehörte, aber die eines Unterofficiers.
„Du bist’s, Friedrich,“ sagte der Officier, „etwas Dienstliches?“
„Zu Befehl, ja, Herr Hauptmann, ich komme Sie zu bitten, mir einen Urlaub von acht Tagen zu gewähren.“
[147] „Du willst Urlaub? Das ist ja bei Dir nicht vorgekommen, seid ich Dich kenne. Also bewilligt! Wozu willst Du denn Urlaub?“ setzte der Hauptmann hinzu.
„Es ist eine merkwürdige Geschichte,“ versetzte Friedrich lächelnd. „Ich will in meine Heimathgegend zurück, aus der ich seit so langer Zeit fort bin und die ich kaum je wiederzusehen dachte.“
„Und wozu?“
„Das Wozu ist mir selber räthelhaft. Ich habe da einen kurzen Brief von dem Doctor Rostmeyer bekommen, Herr Hauptmann erinnern sich vielleicht des Namens …“
„Rostmeyer … ich glaube, Du sagtest mir, daß der Mann Dein Wohlthäter geworden, das; er Dir möglich gemacht, die Unterofficiersschule zu besuchen.
„Ganz recht, und derselbe Herr Rostmeyer schreibt mir nun, ich solle unverzüglich mich auf Haus Stromeck einstellen und mit einigen Zeilen von ihm dort legitimiren; die Frau von Thorbach wolle mich sprechen, ich werde das Weitere von ihr hören.“
„Die Frau von Thorbach?“ rief der Hauptmann lebhaft und die Farbe wechselnd aus, „Frau von Thorbach hat mit Dir zu sprechen … und weshalb, worüber, das weißt Du nicht?“
Ueber Friedrich’s gutmüthige Züge flog ein helles Lachen.
„Nein, ich weiß es nicht,“ sagte er, „ich könnte in aller Welt nur Eines denken, was sie mir zu sagen hätte!“
„Nun und was?“ fragte hastig der Hauptmann.
Friedrich sah zu Boden und sagte ein wenig stotternd:
„Ich fürchte, Herr Hauptmann nehmen’s ungnädig …“
„Heraus damit, Friedrich, Du brauchst auch nicht so steif in dienstlicher Haltung dazustehen, wir sind aus einem Dorfe und außer Dienst alte Freunde; also, was wolltest Du sagen?“
„Ich könnt’ mir nur denken, daß die gnädige Frau von mir wissen wollte, wie es meinem Herrn Hauptmann ginge und ob er noch an sie dächte.“
„Das wird das Letzte sein, wofür sie sich interessirt,“ sagte der Officier rasch und mit unwilligem Tone sich von ihm wendend.
Friedrich lächelte wieder.
„Ich glaub’s nicht,“ versetzte er. „Ich kann mir nicht denken, daß sie sich nicht für ihren Gutsnachbar interessiren sollte – Ihr Gut und Stromeck liegen ja keine Stunde auseinander – und einige Aufmerksamkeit haben Sie doch gewiß für Ihre Landsmännin gehabt, als sie im vorigen Winter hier war … ich meine, ich hätte davon gehört,“ setzte Friedrich wie forschend hinzu.
„Du davon gehört?“ fiel der Hauptmann ein. „Possen, Du mußt wissen, daß Frau von Thorbach und ich geborene und geschworene Feinde sind.“
„Feinde?“ fragte Friedrich verwundert.
„So ist es. Kennst Du die Geschichte von den Montecchi und Capuletti?“
„Zu Befehl, nein, Herr Hauptmann!“
„Nun, sieh’, zwischen deren Häusern herrschte eine Todfeindschaft, die sich von Geschlecht zu Geschlecht fortspann. Und so ist es mit den Stromecks und uns Mechtelbecks.“
„Und deshalb hassen Sie die schöne Dame, die so viel Bewunderer hat?“
Der Officier schüttelte den Kopf.
„Ich hasse sie nicht, ich weiß nur, daß sie mich als den Träger meines Namens haßt!“
Friedrich, dem die Dinge überhaupt leicht eine heitere Seite zu bieten schienen, lächelte wieder.
„Wenn Sie’s nicht ungnädig nehmen, Herr Hauptmann, ich glaub’ es nicht!“
„Doch, doch, Friedrich,“ rief der Officier sehr aufgeregt aus. „Sieh’, unsere Väter haßten sich auf’s Blut. Noch auf seinem Todesbette hat mein Vater mir gesagt, daß ihm der Baron Stromeck, der Frau von Thorbach Vater, das Leben vergiftet habe, daß er der einzige Mensch auf Erden sei, den er hasse, und daß er mir seinen Fluch gebe, wenn ich dies je vergessen könne, je eine Gelegenheit, ihn zu rächen, ungenutzt vorübergehen lassen werde.“
„Das war nicht sehr christlich,“ sagte Friedrich, „mir ist’s lieber, daß ich niemals etwas geerbt habe, noch erben werde, als solchen Haß gegen Jemand, der mir nichts gethan hat, oder gar noch gegen seine hübsche Tochter erben zu sollen!“
„Mag sein, mein lieber Friedrich, aber auf Deinen Standpunkt kommt es nicht an. Die Dinge stehen einmal so.“
„Nun ja,“ sagte Friedrich, „dann wär’s aber immer noch möglich, daß die schöne Dame mich fragen will, ob der Rittmeister vielleicht nicht bewogen werden könne, den Haß fahren zu lassen; sie ihrerseits bestände nicht so sehr darauf.“
„Geh’ und höre, was sie Dir sagen will; ich bitte mir nur aus, daß Du meinen Namen nicht in ihrer Gegenwart nennst.“
„Zu Befehl, Herr Hauptmann.“
„Und wenn Du zurückkommst, so melde Dich sofort.“
„Ich werde dem Herrn Hauptmann sogleich berichten, ob die Voraussetzung von dem grimmen Hasse richtig ist,“ versetzte Friedrich wieder lächelnd … „aber lieber wäre mir, statt des Verbots, Ihren Namen zu nennen, eine kleine Instruction, was ich sagen soll, wenn sie mich geradezu nach Ihnen fragt … und,“ setzte Friedrich, aus dem scherzenden Tone, den er sich bis jetzt erlaubt hatte, herausgehend hinzu, denn der Officier zog seine Stirnfalte kraus, „und eine kleine Instruction, wie ich mich denn überhaupt zu betragen habe; ich habe noch in meinem ganzen Leben nicht mit einer vornehmen Dame gesprochen und es ist mir ein wenig beklommen dabei zu Muthe, um es aufrichtig zu gestehen.“
„Wie Du Dich betragen sollst? … nun, wie ein tapferer Soldat; Du kannst etwas weniger steif und reglementmäßig dastehen, als Du jetzt thust, und reden kannst Du, wie Du mit mir redest, wenn wir nicht im Dienst sind, sondern als zwei gute Cameraden aus einem Kirchspiel, die in des Königs Rock fast mitsammen aufgewachsen sind, zusammen plaudern. Das wird ihr am besten gefallen. Die Mütze mußt Du abnehmen, ich denk’, das weißt Du selber, und – nun sieh, wie Du Dich aus der Affaire ziehst und Deinem Corps Ehre machst. Also, geh’ und höre, was sie Dir zu sagen hat; wir werden ja sehen, was es ist!“
Friedrich legte die Hand an die Mütze und machte Rechtsumkehrt. Als er gegangen, sprang der Officier auf und rannte in auffallender Erregung in seinem Zimmer auf und ab.
Das Gespräch mit Friedrich hatte in seinem Herzen grausam den wunden Fleck, die thörichte, aber nicht zu bezwingende Leidenschaft für die einzige Frau in der Welt, die er nicht hätte lieben sollen, berührt. Sein Vater hatte ihn im Hasse wider den Namen Stromeck auferzogen. Dann war der Vater gestorben und hatte sein Besitzthum sehr verschuldet hinterlassen. Der junge von Mechtelbeck war, während die Vormünder die Schuld abzutragen sorgten, in der fernen Residenz in Militärschulen für seinen Beruf auferzogen; seine Mutter war mit ihm in die Residenz gezogen und lebte noch dort; er selbst, mit Leib und Seele Soldat, dabei mit einem eisernen Fleiße begabt, hatte sich rasch befördert gesehen, aber über seinem Interesse für den Dienst gänzlich sein Stammgut vernachlässigt, das er unter guter Hut wußte und, in seinen Bedürfnissen anspruchlos, wie er war, sich ungestört aus der Verwirrung loswickeln ließ, in welcher sein Vater es hinterlassen.
So kam es, daß er Agathe von Stromeck, die jetzt die junge Wittwe eines vor einigen Jahren gestorbenen Legationsrathes von Thorbach war, weder als Knabe noch später je gesehen. Erst als seine jüngste Beförderung ihn in die Provincialhauptstadt brachte, in welcher sie den Winter verlebte, sah er sie; schon der Gedanke, daß er diese Frau hassen solle, ließ sein Auge mit doppeltem Interesse auf ihr ruhen, und dabei entdeckte dies Auge eine solche Anmuth, einen solchen Reiz, etwas so Verführerisches in der hübschen, lebhaften, vielumworbenen Frau, daß sein ganzes Herz den Blicken nachflog. Aber ach, er war ja nicht der, welcher sich unter die Werber, die Frau von Thorbach umringten, drängen durfte! Der Gedanke, bei ihr auf den unverhohlenen Ausdruck der Gesinnungen, welche sie gegen ihn hegen mußte, zu stoßen, war etwas so Schmerzliches, daß seine scheue Natur sich nicht zu dem Entschluß aufraffte, es auf die Erfahrung ankommen zu lassen, nicht zu dem Versuch, ob jene Gesinnungen nicht zu überwinden seien. Dazu war Frau von Thorbach ja stets so umringt, eine Schaar von Bewunderern umgab sie; Frau von Thorbach war reich, sehr reich, es war nicht möglich, sich ihr zu nähern, ohne einen Schein auf sich zu laden, wider den der Stolz des Hauptmanns von Mechtelbeck sich hoch aufbäumte und empörte … und so kam es, daß er ihr fremd und fern geblieben, daß er der einzige Mann in der Gesellschaft geblieben, der Frau von Thorbach nicht huldigte.
Der Hauptmann von Mechtelbeck aber war durch seine äußere [148] Erscheinung sowohl, wie seinen Geist, seine hervorragende Bildung, die ihn ja auch der Waffe zugeführt hatte, welche das ernsteste wissenschaftliche Streben bedingt, kein Mann, den man übersieht. Auch Frau von Thorbach hatte ihn nicht übersehen, den einzigen Mann, der sich in so stolzer, kühler Entfernung von ihr hielt … mit einer Consequenz, welche sie endlich als eine sie reizende, stachelnde Demüthigung empfand: sie hätte ihn strafen mögen dafür, ihn zu ihren Füßen niedergezwungen sehen mögen, ihn vor allen Andern – was waren ihr im Grunde alle Andern, da dieses stolze Haupt sich nicht vor ihr beugen wollte – alle Andern ermüdeten, langweilten sie, nur der Eine zog ihre Gedanken an und sie ließ, wenn ihr Blick ihm begegnete, diesen Blick mit einem so hochmüthig zornigen Ausdruck auf ihm ruhen, daß der Hauptmann darin nichts Anderes lesen konnte, als den Abglanz jener alten Flamme der Erbfeindschaft, worin die Sprossen der Häuser Stromeck und Mechtelbeck erzogen waren.
Friedrich war unterdessen in sein Quartier geschritten, um sich reisefertig zu machen. Nachdem er seinem Oberfeuerwerker seine Urlaubsreise angemeldet, begab er sich zum Posthofe, um die Fahrpost zu benutzen, welche in den Nachmittagsstunden nach der Gegend seiner heimathlichen Bauernschaft abging. Er hatte eine kleine Stunde von der letzten Station zu marschiren, bevor er das Dorf, welches zunächst sein Ziel war, erreichte; die Gruppe Häuser nämlich, welche um die Kirche, das Pfarrhaus, die Knaben- und die Mädchenschule herum lagen und das eigentliche Dorf bildeten, während die auf einem Umkreise von einer Stunde umher zerstreuten Höfe die Bauernschaft hießen. Es war Dämmerung, als Friedrich an der Knabenschule vorüber in den Schatten der grauen, alten Dorfkirche hineinschritt; das Herz, wenn nicht gerade schwer, doch ernst gestimmt, mit einem Anflug von Rührung an den guten Schulmeister denkend, der ihn erzogen hatte, den er als seinen Vater betrachtete, der auch sein treuer Vater gewesen war, mochten ihm auch boshafte Jungen, mit denen er die Schule besucht, oft genug vorgeworfen haben, er sei ein Findelkind und heiße Schwelle, weil er Jemandem vor die Schwelle gelegt worden. Ihn hatte das immer wenig gekümmert, und wenn er auch zuweilen darüber zu brüten begonnen, hatte er sich doch immer bald gesagt, daß es ihm verzweifelt wenig nützen könne, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, daß er mit seinem alten Pflegevater besser zufrieden sein könne, als hundert Andere mit ihrem rechten, und daß er ihn nicht verlassen möchte, um Alles in der Welt nicht. Aber er hatte ihn endlich doch verlassen müssen, denn mit sechszehn Jahren war er fort, weit fortgeschickt worden, um einen Soldaten aus sich machen zu lassen, und dann hatte der alte Mann endlich ihn verlassen; er war gestorben, plötzlich, ohne daß Friedrich nur ihn wiedergesehen, und jetzt mußte er irgendwo hier unter dem grünen Rasen im Schatten der alten Kirche liegen … Friedrich fühlte ein wenig sein Gewissen bedrückt, daß er nicht ein einziges Mal gekommen, das Grab des Alten wenigstens zu besuchen.
In dieser Stimmung betrat er das stattliche Dorfwirthshaus, in dessen geräumiger Küche ein helles Heerdfeuer loderte und seinen Schein in den blanken Kupferkesseln und Messinggeräthen spiegelte, welche an den geweißten Wänden glänzten.
Er warf seinen Tornister ab, setzte sich in die Ecke hinter dem langen Tisch und bestellte bei der Wirthin, welche, hinter dem Feuer sitzend, Salat ablas, ein Abendessen.
Die kleine, runde Frau ließ es nicht an höflichem Bestreben, mit dem Gaste ein Gespräch anzuknüpfen, fehlen, aber Friedrich war einsilbig. Er hatte sich so gewandt, daß er durch’s Fenster in den dunkelnden Abend hinaussah, und die Gegenstände, die er erkannte, die ihm so vertraut und bekannt waren und die alle merkwürdiger Weise noch so ganz auf dem alten Platze standen und ganz so aussahen, wie sie vor Jahren gethan, versenkten ihn in allerlei Gedanken und Träumereien.
Aus diesen Träumereien wurde er erst erweckt, als der Wirth und eine Magd eintraten und der Wirth sich zu ihm an den Tisch setzte, um seinen Abendtrunk einzunehmen. Dies erinnerte ihn erst daran, daß er ebenfalls durstig sei.
„He, Vater Tillmann,“ sagte er jetzt, seine Cigarrentasche hervorziehend, „bis Eure Mutter Gertrud mit dem Abendessen fertig ist, laßt Ihr auch mir wohl eine Flasche von Eurem Getränk da zukommen. Und ein wenig Feuer gebt mir. Was macht Euer Scheckfohlen, ist’s noch am Leben? Euer bissiger Köter, der Latsch, ist mir noch nicht zwischen die Beine gefahren, ich schließe zu meiner Freude daraus, daß er den Weg alles Hundefleisches gegangen ist.“
Der Wirth sah den Fremden verwundert an und sagte: „Sie sind hierorts gut bekannt, wie’s scheint … Sie sind … ach, doch nicht gar … gewiß, jetzt kenn’ ich Sie schon … Sie sind der Friedrich, der …“
„Der Friedrich in eigener Person, Vater Tillmann, kannst deshalb nur immer, wie ehemals, Du sagen … die reitende Artillerie, mußt Du wissen, ist zwar ein stolzes Corps, aber alte Freunde kennt man darum doch noch.“
„Schau her, der Friedrich, Mutter!“ rief froh Vater Tillmann aus.
„Ei ja, und wie der groß und stark und stattlich geworden ist!“ rief Mutter Gertrud, die Hände zusammenschlagend, dagegen, „ich hätte ihn wahrhaftig nicht wieder erkannt, Du hast solch’ ein Auge für die Leute, Vater, Du vergißt Niemanden.“
„Und wie geht’s denn noch im Dorfe?“ fragte Friedrich.
„Wie sollt’s gehen,“ antwortete Mutter Gertrud, „man schlägt sich so eben durch.“
„Ei was,“ rief Vater Tillmann, „man schlägt sich nicht durch, es geht ganz ordentlich zu und könnt’ viel schlimmer sein.“
„Ja, Peter, Du hast solch’ einen guten Muth, Dich ficht nichts an, aber unsere schwarzbunte Kuh …“
„Laß jetzt den Friedrich mit der schwarzbunten Kuh ungeschoren,“ sagte Vater Tillmann, „er wird ja bald selbst sehen können, wie’s im Dorfe steht, und mehr davon hören, denn jetzt bleibst’ doch eine Weile bei uns, oder wohl ganz … wie hast es überlegt? Bleibst beim Militär oder dankst ab?“
„Abdanken?“ lachte Friedrich. „Und wozu sollt’ ich abdanken? Der Rock aus zweierlei Tuch auf meinem Rücken hält mich nicht blos warm, er nährt mich auch. Wenn ich ihn ablegte, könnte ich nur gleich ein Bauerknecht werden. Hast etwa einen nöthig und zählst auf mich, alter Tillmann? Dann rechnest Du falsch!“
„Nun, ich meine doch,“ versetzte der alte Tillmann, „wenn Du die reiche Bauerntochter bekommst, so könntest Du auch so leben, ohne die Hungerleiderei bei den Soldaten.“
„Ja, ja,“ sagte der fürstliche Rath zu Donaueschingen, als wir den weitern Reiseplan beriethen, „wenn Sie da hinunterkommen über St. Blasien nach Herrischried und Rickenbach – das sind die rechten Hotzennester!“
Am andern Morgen fuhren wir auch wieder von Donaueschingen fort und dachten nicht weiter an die Hotzen; dagegen beschäftigte uns die Anschauung der Landschaft, welche allmählich bedeutender zu werden begann. Einem Touristen, der es gut mit sich selber meint, soll es zwar überall gefallen, aber es kommt ihm doch schwer an, alle Vergleichungen fern zu halten. Bisher hatten wir uns wenig auf’s Bewundern verlegt, da wir noch immer der letzten Wanderungen in anderen Gebirgen eingedenk waren. Auf dem hohen Rechberg und dem Hohenstaufen war zwar, wie uns dünkte, viel Wald und Feld, aber sonst wenig Erhebliches zu sehen, – den hohen Neuffen und den Hohenzollern hatte es verregnet, – die gewöhnliche Landschaft an der Straße her schien nur gewöhnlichen Anforderungen genügend, – die kleinen württembergischen Städtchen mit ihren ungepflasterten Straßen und
[149][150] den traurigen schiefstreichenden Häuschen mit den schlottrigen Riegelwänden und den schadhaften Hohlziegeldächern darüber gefielen mir auch nicht recht, obgleich ich mir immer vorsagte, daß schon viele berühmte Männer daraus hervorgegangen. Mein Reisegefährte dagegen behauptete, daß sie sehr malerisch und lobenswerth seien, glaubte auch, viele stille Sitze junger Liebe und häuslicher Glückseligkeit da zu entdecken. Das einnehmendste von allen Gebäuden schien mir das Posthaus zu Urach, welches mir durch seine classische Verpflegung die innigste Achtung abgewann.
Nicht ohne provincielle Schönheit ist auch das Donauthal von Sigmaringen aufwärts, wo sich an dem langsam fließenden Strome die abenteuerlichsten Felsen aufbauen und hoch am Berge die alten Vesten stehen. Nur daß wir auf den Rath eines besondern Naturfreundes auch das Schloß Wehrenwag bestiegen, will mich fast heut noch reuen. Für liebe Gäste wird da nämlich der steilste und unbequemste Weg gewählt, um ihnen zu zeigen, wie die Sigmaringer steigen können. In furchtbarer Hitze kamen wir ganz durchnäßt oben an, um ein Glas bitteres Bier zu trinken, das ausgeleerte Schloß zu besehen und eine Aussicht zu bewundern, die auch nicht lohnender war, als die kleinen Veduten im Thale. Nach einer Stunde auf einem kaum fußbreiten schlüpfrigen Geisweglein, wo jeder Fehltritt an’s Genick ging, wieder hinunter, tiefer und immer tiefer, bis wir wieder auf der Straße waren, mit gebrochenen Knieen, durch und durch in Schweiß gebadet, Rock und Schuhe zerrissen – die Table d’hôte in Beuron und den Omnibus in Friedingen versäumt! Es ist oft nichts bedenklicher, als die Liebenswürdigkeit der Gastfreunde! Wenn der Wanderer eben vom Rigi herunterkommt, führen sie ihn noch auf den Gänsebühel hinterm Dorfe: wenn er gerade die Adelsberger Grotte besehen, muß er auch noch irgend einen Dachsbau im Stadtwäldchen bewundern!
Endlich hatten wir aber auch den Schwarzwald gefunden! Die volksthümliche Geographie ist bekanntlich viel schwerer zu erlernen, als die gelehrte. Ihre alten, von dem Zahn der Zeit und dem Roste der Jahrhunderte angefressenen Länder haben oft einen Mittelpunkt, aber keine Grenzen. Von dem oberschwäbischen Allgäu z. B. weiß man wohl, daß es um die alte Reichsstadt Kempten herum liegt, aber wie weit es sich in’s hügelige Schwaben heraus erstrecke, kann man nicht leicht erfragen. Auch die berühmte Stadt Augsburg galt den Aelteren als im Ries (in Rhätien) gelegen, während die Neueren diese Landschaft nur um Nördlingen zu finden glauben. Es gab eine Zeit, wo ich selbst noch der Meinung war, das gelehrte Tübingen liege im Schwarzwalde, aber als ich diese berühmte Universitätsstadt erreicht hatte, deutete man da in unbekannte Gegenden gegen Abend und sagte, er müsse wohl da drüben sein. In Hechingen hieß es, man gehöre zum Fürstenthum Hohenzollern, in Sigmaringen rühmte man sich, im Donauthal zu liegen, und überall sprach man in einem Tone, als sei man ängstlich, mit den westlichen Nachbarn verwechselt werden, und als sei überhaupt Niemand zu beneiden, den die Vorsehung zum Schwarzwälder bestimmt. Erst in Tuttlingen trafen wir einen bescheidenen Posthalter, welcher auf die Frage, wo denn endlich der Schwarzwald anhebe, nach einigem Besinnen zur Antwort gab: mit vollem Bewußtsein könne er das nicht sagen, aber er mache sich nicht viel daraus, wenn man ihn für einen Schwarzwälder halte. Dies war ein willkommener Anhaltspunkt für unsere volksthümliche Geographie – endlich waren wir doch, wo wir schon längst sein wollten.
Der besondere Reiz dieses Waldgebirges, sein Eigenthümliches und Ueberraschendes ging uns aber doch erst auf in der Hölle. Diese ist eine enge Schlucht, drei Stunden von Freiburg, im wilden Gebirg gelegen, ehemals sehr steil und unwegsam, jetzt aber durch die Arbeit der letzten Menschenalter ganz angenehm hergestellt, mit seiner Straße belegt, mit guten Wirthshäusern ausgestattet. Es kommt viel reisendes Volk daher, welches betrachten will, wie das Thal immer wilder und schauerlicher wird, wie die Dreisam mit lautem Geräusch über die Felsenblöcke schäumt, die steinernen Wände immer steiler und schroffer emporstarren und zuletzt der Schlund so enge zusammengeht, daß einmal vor uralten Zeiten in schwindelnder Höhe oben von einem Felsenvorsprung ein Hirsch zum andern sprang, wovon die Spalte jetzt noch der Hirschensprung heißt.
Von hier aus wird auch der Feldberg bestiegen, der Rigi des Schwarzwaldes. Wir wollen nicht verheimlichen, daß wir eigentlich seinetwegen in die Hölle gefahren. Aber der Himmel war nicht günstig und wir überlegten lang, ob wir den Gang wagen, auf schönere Stunden warten oder den Wanderstab wieder weiter setzen sollten, als plötzlich ein junger Gelehrter aus dem Norden mit junger Frau und Schwester des Weges kam, alsbald nach einem Führer rief und den Gedanken auszuführen begann, der uns hierher gebracht. Obgleich wir selbst im Lauf der Zeiten, was Reisepflichten betrifft, etwas nachlässig und von laxer Observanz geworden sind, so wissen wir doch an Andern Gewissenhaftigkeit zu schätzen und konnten daher dem zierlichen Kleeblatt unsere Hochachtung nicht versagen, als es den schlängelnden Bergpfad rüstig hinanstrebte, ja selbst dann nicht, als es nach etlichen Stunden wieder ganz erschöpft herniederstieg und die Botschaft brachte, daß es zwar auf der Höhe gewesen, aber der vielen Nebel wegen gar nichts gesehen habe.
Nicht als ob wir in dieser langen Zeit immer nur dem lauten Geräusch der schäumenden Dreisam gelauscht, die schroffen Wände angestarrt oder dem Spiel der Wolken zugeschaut – im Gegentheil: wir hatten uns, als wir vom Hirschensprung wieder rückwärts gegangen, bald unter das gastliche Dach des „Sterns“ zurückgezogen, des schönsten Sterns der Hölle, und hatten uns zu trösten versucht. Seit uns (dies ist aber kein emphatischer Plural, sondern schließt immer meinen Herrn Reisegefährten, den Maler, mit ein) – seit uns der einst so wunderschöne Blick in die deutsche Zukunft etwas umnebelt scheint, legen wir überhaupt auf Fernsichten nicht mehr so viel Werth. Eine helle Wirthsstube mit freundlichen Leuten gewährt uns oft mehr Vergnügen, als ein trübes Panorama auf ragender Bergeshöhe, und die Einsicht in ein nahes klares Glas Wein ersetzte uns schon manchmal zu voller Genüge die Aussicht auf einen fernen verschleierten Gletscher. So thaten wir uns denn in der Hölle so gütlich wie möglich, gern verzichtend auf die Freuden des „Himmelreichs“, welches ein anderes Wirthshaus ist, das weiter unten liegt. Hier auch kamen endlich in voller Lebhaftigkeit jene berühmten Forellen des Schwarzwaldes an uns heran, jene schmackhaften Fische, nach denen wir bisher an Neckar und Donau vergeblich gefragt hatten. Und selbst wenn wir uns nur an’s Fenster legten, hatten wir des Schönen genug zu schauen: die lange Steig, an der wir heruntergekommen, die sich aus und ein an den weiten Falten des Berges zu Thale zieht, – steile, doch grüne Berghänge, die der Schwarzwald krönte, rothe Felsenwände, da und dort aus dem Grase stechend, Sturzbäche verschiedener Art, – im engen Thale dagegen, gleich über der Straße, die stattliche Scheune mit vorspringendem Dache, den glänzenden Fenstern, der schmucken Altane, auf welcher sich die Nelken wiegten, Alles zierlich in Holz gearbeitet und mit seinen Farben bemalt.
Am Fuße der steilen Halde steht eine kleine gothische Capelle, mitten in einem kleinen Ziergärtchen, von gelbem Geländer geschützt. An ihrer Seite strömt der braune Bach, der sich mit anständigem Zürnen über die Steine wirft und dabei selbstverständlich weiß aufschäumt – angenehme Rundschau, zwar klein beisammen, aber doch groß genug, um uns die Aeußerung abzugewinnen, daß wir endlich einmal in eine Gegend gekommen, welche abzumalen der Mühe werth wäre. Die traurigen Riegelwände waren seit gestern fast verschwunden. Man sieht da mehrentheils wohlständige, kernhafte Gebäude mit alpenhaften Vordächern oder solche, die im hölzernen Schuppenpanzer glänzen. Dieses und auch das Innere der Häuser, die wir heute schaulustig betraten, erinnerte mit holder Macht an die stattliche Reinlichkeit des Bregrenzer Waldes.
Während wir so am Fenster schauten, geschah es, daß wir plötzlich hinter unserm Rücken ein englisches Gespräch erklingen hörten. Sollte Herr Benjamin Disraeli oder Lord John Russell mit Dienerschaft unangemeldet im Stern erschienen sein? Ach nein, es war nur der Wirth vom Bärenthal und der von Todtnau, die sich in fremder Sprache über ihre häuslichen Angelegenheiten zu unterhalten begannen. Der Schwarzwälder geht nämlich gern auf Reisen, um die Länder der Welt zu sehen, besucht auch die britischen Inseln, lernt die Sprache, die man dort gebraucht, arbeitet, thut sich um, erwirbt sich Ehre und Gold, kehrt dann wieder in seinen dunklen Tannenforst zurück, und wenn er da einen Andern findet, der’s auch versteht, so stimmt er ein englisches Zwiegespräch an, welches Beide in der Uebung erhält und Niemanden beleidigt.
Der eine der Wirthe mit seinem fein rasirten Kinn und den [151] mächtigen wohlgepflegten Whiskers war einem wahren Engländer auch zum Sprechen ähnlich, obwohl bescheidener, als ein solcher gewöhnlich sein mag, der andere aber, auch wenn er englisch sprach, blieb ganz und gar der einfache und redliche Wirth von Todtnau, ein sehr gefälliger dienstbereiter Mann, der mir keine Ruhe ließ, bis ich mich auf sein Wägelchen setzte und mit ihm gratis ein paar Stunden dahin rollte.
Diese Gegend in der Hölle hat sich auch unser Herr Maler auserwählt, um einen weidlichen Holzstock damit zu bezeichnen. Die Landschaft ist, wie Jeder, der hingehen will, sich überzeugen wird, mit Portraitähnlichkeit getroffen. Die ragenden Felsen und die schwarzen Tannen bedürfen keiner Erklärung. Das alte vorzeitliche Kirchlein, welches wir absichtlich noch nicht erwähnt, ist Sanct Oswald geweiht, dem angelsächsischen König, von dem das Mittelalter so wunderliche Mähren zu erzählen wußte. Unter dem kleinen Gotteshaus ist an der Straße ein Kleeblatt von Steinhauern angebracht, ein Manns- und zwei Weibsbilder, an welchen das Drahtvisir, das ihr Antlitz vor den springenden Splittern schützen soll, als ethnographische Merkwürdigkeit nicht zu übersehen ist. – Der untere Theil des Bildes stellt eine Gartenlaube dar, welche an der Seite des Sterns zu finden ist. Der perlende Wein im Glase scheint anzudeuten, daß man guter Dinge ist und sich eines angenehmen Sommerabends erfreuen will. Die beiden hübschen Mädchen sprechen für sich selbst und geben meiner Auslegung keinen Raum. Nur für unachtsame Beschauer wäre allenfalls die Bemerkung zu spendiren, daß sie in der schmucken Landestracht erscheinen. Der Freund und Begleiter, der Maler und Zeichner, ist an dem Skizzenbuche und dem Griffel, den er in der kunstreichen Hand hält, leicht zu erkennen. Seine Haltung ist durchdrungen von jener Güte und Milde, welche er dem anderen Geschlecht entgegenzubringen pflegt und welche selten ohne gleichgestimmte Erwiderung bleibt. Rückwärts sitzt ein Anderer, der eben in einem Gespräche mit der hochachtbaren Frau Wirthin begriffen ist, an welches sich diese aber schwerlich mehr erinnert. Wir erkennen darin den Verfasser dieser Schilderungen, der sich zwar mit seinem alternden Haupte ungern in Holz schneiden läßt, aber in diesem Falle von seinem Begleiter freundlichst gebeten wurde, seine Gestalt, wie sie immer auch sein möge, dem Publicum nicht vorzuenthalten, vielmehr in dieser Zeichnung eher eine Abschlagszahlung auf künftige Unsterblichkeit zu sehen. Letzteres Motiv ließ die Bitte begreiflichermaßen ganz unwiderstehlich erscheinen.
Von der Hölle wieder rückwärts gehend, kamen wir in hochgelegene Landschaften, an den Titisee[WS 1], nach Lenzkirch, an den Schluchsee und dann hinunter in ein tiefes enges Waldthal, welches sehr berühmt ist. Wer von seiner Jugend an in Büchern gelesen, der hat da wohl auch öfter den Namen Sanct Blasien gefunden. Nun gut, hier unten liegt es, das alte Stift, im kühlen Waldesschatten. Schon vor mehr als tausend Jahren, war da an der Alb eine kleine Zelle, die von den edlen Herren der Gegend immer mehr begabt und bereichert wurde. Einen eigentlichen Namen hatte sie noch nicht, sollte aber bald einen erhalten. Sonst sehnt sich zwar jeder gute Christ für die Zeit, wo er das Zeitliche gesegnet, nach Ruhe und Frieden im stillen Grabe, aber ihren Heiligen hat die Christenheit ein solches nie vergönnen wollen. Diese mußten vielmehr in den frommen alten Zeiten nach ihrem Tode immerdar herumfahren in der Welt wie die gesuchtesten Colonialwaaren und da ein Fingerlein, dort ein Armbein, hier einen Zahn, da einen Fuß zur Verehrung zurücklassen. Diese Knochen wurden dann in Gold gefaßt und zeigten sich sehr heilkräftig.
Gegen Hochgewitter, Mißwachs, Feldmäuse, schwere Geburten und Anderes wußte man fast kein besseres Mittel. Wie es den Heiligen einst bei der Auferstehung gehen wird, z. B. dem heiligen Dionysius, wenn er das eine Bein in St. Denis und das andere in Regensburg suchen muß, oder dem heiligen Sebastian, dessen Hirnschale drei Male vorhanden ist, nämlich zu Ebersberg, zu Laon und einmal – unwissend wo – in Italien, oder dem heiligen Marcus, welcher einen Leib zu Venedig und einen zweiten zu Reichenau im Bodensee liegen hat – wie es da ergehen wird, sag’ ich, das kann Niemand voraussehen und es ist daher am besten, sich den Kopf nicht darüber zu zerbrechen. In besagter Weise war aber dazumal auch St. Blasius mit allen seinen Gebeinen auf der Wanderschaft. Er kam aus Cappadocien, wo er Bischof zu Sebaste gewesen und ein Märtyrer für den Glauben geworden war. Auf dem langen Wege von Cappadocien bis in den Schwarzwald hatte er vielleicht schon manche entbehrliche Gliedmaßen abgegeben, aber in der Hauptsache war er doch noch leidlich beisammen, so daß ihn die Mönche in jener kleinen Zelle um Geld und gute Worte einhandelten, dem Kloster seinen Namen gaben und ihn selbst bei den Schwarzwäldern in große Verehrung brachten. Dieses soll im neunten Jahrhundert geschehen sein. In denselben Tagen auch wurde das Kloster zu einer Abtei erhoben, welche immer kräftiger emporblühte, reich, mächtig und sogar gelehrt wurde. Zahlreiche Privilegien der Kaiser und der Päpste erhöhten ihren Glanz; auch an schönen Titeln und Würden fehlte es nicht. Seit Jahrhunderten schon durfte der Abt die Insul tragen, von Bondorf nannte er sich einen Grafen und saß dafür im Reichstage; Maria Theresia, die Kaiserin, erhob ihn aber noch höher, nämlich in den Fürstenstand des heiligen römischen Reiches, und ernannte ihn zu des Hauses Oesterreich Erberzhofcaplan.
Die einsamen Benedictiner von St. Blasien haben sich immerdar fleißig auf die Wissenschaften, namentlich auf die Geschichte verlegt. Ambrosius Eichhorn und Trutpert Neugart gaben im vorigen Jahrhundert sehr schöne Urkundenbücher heraus, in denen schon mancher Geschichtsforscher emsig herumgeblättert hat.
Ich freute mich auf die alte Abtei, die einst so viel Ruhm und Glück, freilich auch manche Noth und Kümmerniß erlebt, und da ich hin und wieder auch Romantiker bin, so konnte ich den Augenblick kaum erwarten, „wo das Kloster aus der Mitte düstrer Linden sah“. Zwei spitze Thürme, altersgrau, melancholisch, mit gothischen Fenstern, meinte ich, würden da bald hervorbrechen, die aus dem finstern Walde ahnungsvoll gegen Himmel ragen und ein harmonisches Geläute ergießen möchten über Berg und Thal.
Aber als wir um die letzte Ecke bogen, stand plötzlich das Pantheon vor uns, das römische Pantheon, täuschend nachgeahmt, zum Sprechen getroffen und in den Schwarzwald verpflanzt, mit riesiger Kuppel und einem blinkenden Kreuz darauf. „Pfui,“ rief ich, „das geht ja nicht – dieses Pantheon paßt ja in diese Gründe, die der Jagd und Viehzucht geweiht sind, eben so wenig wie eine Almenhütte in die Gärten des Vaticans! Gebt mir doch, ihr Vandalen, das alte Kloster heraus mit seinen verschwisterten Spitzthürmen, den hohen Dom mit den gemalten Fensterscheiben und dem ästereichen Säulenwald, den düstern Kreuzgang mit dem gebrochenen Lichte, das durch die Hollunderbüsche streicht und mystisch auf die alten Grabsteine mit den schönen Helmzierden fällt! Gebt mir das alte Kloster wieder und stellt diesen neuen geruchlosen Prachtbau irgendwo anders auf, etwa auf der grünen Haide bei München, wo er sich in den griechisch geschwängerten Lüften viel heimischer finden, wo er auch seinen ebenbürtigen Nachbarn begegnen und keiner fühlenden Seele im Wege umgehen wird, wie hier.“
Der Himmel war wieder trübe und die Luft sehr kühl. Das Pantheon schien zu frieren und uns selber wurde es auch nicht warm. In die Kirche gingen wir zwar, doch fanden wir sie so weiß und so leer, wie ein neuangestrichenes Heumagazin. Es kann da nicht gut beten sein, denn wie zum Trinken, so wünscht der Deutsche ja auch zu seiner Andacht ein gewisses traumhaftes Helldunkel. Sonst ist nichts zu sehen.
Da die Mönche ihre Alterthümer zuerst nicht achteten, die Grabmäler und die Gebeine ihrer Stifter auf den Mist warfen und sich von einem Franzosen des letzten Jahrhunderts diese Kuppel hersetzen ließen, so ist auch über ihre Neuerungen wieder der Gräuel der Verwüstung gekommen. Das kupferne Dach ist längst herabgehoben und lebt jetzt nur ganz unkenntlich in den Kupferkreuzern fort, welche zu Karlsruhe daraus geschlagen worden sind (es ist durch ein neueres aus Zinkplatten ersetzt). Auch die vielbewunderte Orgel flötet jetzt in der badischen Hauptstadt ihre Engelsstimmen. Desselben gleichen sind dahin auch verschiedene Marmorsäulen gegangen. Die gelehrten Benedictiner flüchteten sich nach St. Paul in Kärnthen, nahmen viel Geld und Kostbarkeiten, auch Handschriften und Codices mit. Wo aber der Leib des cappadocischen Heiligen geblieben, das kann ich aus meinen dürftigen Quellen leider nicht entnehmen.
Aus der Mönchscaserne ist im Lauf der neueren Zeiten eine Baumwollspinnerei geworden; ihrer Maschinen tiefe Stimme ersetzt jetzt die verstummte Orgel und schnurrt in melancholischen Klängen durch die Waldeinsamkeit. In den weiten Klosterhöfen sprießt [152] reichliches Gras, Breitwegerich und Schöllkraut. Im ganzen Orte, wenn man ihn nach allen Richtungen durchstreift, sieht man nicht so viel Seelen wie an der Table d’hôte im dortigen Gasthofe. Es sollen dies aber fast lauter Beamte sein, vom großherzoglichen Oberamte, alle sehr fleißig, welche, wenn sie den Löffel weglegen, sogleich wieder zu regieren anfangen.
Drum saßen wir denn alsbald ganz allein an dem leeren Tischtuch. Alsbald zog auch eine unauslöschliche Sehnsucht nach einer beliebigen Ferne in unsere Herzen ein, und so eilten wir denn, das entgötterte Heiligthum so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Kaum daß wir noch unsere Zeche bezahlten und vom Wirthe Abschied nahmen. Eine gleiche Langweile, wie in St. Blasiens Schatten, hatte ich in diesem Leben noch nicht empfunden. Ich fühlte mich immer leichter, je mehr das tiefe Schnurren der Maschine verhallte, und als auch das blinkende Kreuz hinter dem Walde verschwunden, war es gerade, als wäre mir eine ganze kupferne Kuppel vom Herzen gefallen.
Nach Höhenschwand ging damals unser Weg – nach Höhenschwand, welches so zu sagen der Berg Nebo ist, von dessen Gipfel aus man das ganze Land Canaan (V. Mos. 34), nämlich die Schweiz und alle ihre Alpen vom Jura bis hinüber zu den Tiroler Bergen übersehen kann. Die Schweizer halten ungemein viel auf diese Aussicht, obgleich sie noch auf großherzoglich badischem Boden gelegen ist; sie ziehen oft clubweise herauf, um sie zu genießen, sie zeichnen sie kunstgerecht und beschreiben sie, so gut sie können, kurz sie lassen ihr die sorgfältigste Pflege angedeihen, wie einem theuren Hausschatz und edlen Kleinod.
Auch wir waren schon im Voraus befangen von ihrem mächtigen Eindrucke und zogen wohlbewaffnet einher mit Augengläsern, Opernguckern und verschiedenen Fernröhren. Aber als wir auf dem Belvedere, das eine Viertelstunde vom Dorfe gelegen ist, angekommen waren, sahen wir nichts als einen ungeheuren Wolkenvorhang, welcher vor der schönen Helvetia stand und uns alle ihre Reize, wie man zu sagen pflegt, neidisch verhüllte. Die untergehende Sonne beschien ihn wohl mit sanften Strahlen, er wurde auch gelb und roth davon, aber er erhob sich nicht. Nur da und dort, gerade über dem Horizont, sah man in weitester Ferne etliche silberne Flocken durchschimmern, fast wie zerrissene und zerstreute Zindelstücke. Das waren die Jungfrau, das Finsteraarhorn und andere Celebritäten. Die Basaltkegel des Hegau dagegen waren unverschleiert und deutlich sichtbar. Nachdem wir aber so viel erwartet hatten, wollten wir uns gar nicht herablassen, auch diese noch zu bewundern.
„Ein schmerzhafter Tag!“ seufzte da der Maler. „Diese langweilige Klosterfabrik und dieses langweilige Belvedere mit seiner unsichtbaren Aussicht! Jetzt, da ich mit der Natur kein Glück habe, gäbe ich Alles für einen kurzweiligen Menschen, namentlich, wenn er eine Nationaltracht anhätte, so daß man ihn ordentlich zeichnen könnte.“
„Ja, da müssen Sie,“ sprach ein Bauer, der auf dem nächsten Felde arbeitete, „nach Immeneich hinuntergehen, da isch e Hotz!“
„Hotz – Hotz – Hotz,“ wiederholte der Maler, „haben wir das Wort nicht schon gehört? ,Herrischried und Rickenbach, das sind die rechten Hotzennester,’ sagt’ es nicht der fürstliche Rath zu Donaueschingen? Auf, laßt uns hinuntergehen nach Immeneich, zum Hotzen, mich drängt das Herz, den Biedermann zu schauen!“
Also nach Immeneich zum Hotzen!
Es war in der gährenden Zeit zwischen dem vorletzten italienischen Kriege und dem Beginn der Sammlungen für die preußische Flotte, als sich in einer der zahlreichen Trinkstuben, welche die weltbekannten Höfe und Durchgänge der alten Meßstadt Leipzig bergen, ein Kreis von politischen Glaubensverwandten zusammenfand, der selbst in dem vielfältig angeregten, gescheidten Klein-Paris in mehrfacher Hinsicht einzig in seiner Art war. Genauer gesprochen, war sein Geburtsort der Officierstisch der Kitzing’schen Bierwirthschaft im Petrinum.[1] Rasch gewachsen, oder, um mit dem komischen Dichter der Genossenschaft zu reden,
„Wie Israel, als es gewachsen,
Aus der Aegypter Mitte schwand“,
zog dieselbe dann hinüber zum zweiten runden Ecktisch des Zimmers. Dienstag und Freitag waren die Tage, an denen man sich Abends zwischen sieben und neun bei dem schweren Gerstentrank des wackern Wirths zu sammeln pflegte, um in Ernst und Scherz über alle möglichen Dinge und einige andere seine Gedanken auszutauschen. Namentlich aber besprach man die politischen Fragen und Sorgen der Zeit, und nach dem Geiste, in dem dies geschah, glaubte die böse Welt sich berechtigt, diesen Kreis von deutschen Patrioten „die preußische Verschwörung“ zu nennen. Sehr leichtfertig, schon wenn man sich an den obengemeldeten Ursprung desselben erinnerte. Es waren nicht viele Männer, die sich hier zu zwangloser Unterhaltung und gegenseitiger Erbauung trafen, etwa so viele, wie ein rechtschaffener runder Tisch von Mittelgröße, wenn die Gäste artig zusammenrücken, zuläßt. Aber es war eine vortreffliche Mischung der verschiedensten Stände, Kräfte und Erfahrungen, und es gab unter den Mitgliedern der Tafelrunde Namen vom besten Klange. Man hörte manche kluge Rede, manch’ warmes Wort. Gute Laune würzte das Gespräch mit ergötzlichsten Einfällen. Wir hatten da unter uns, um dem erwähnten humoristischen Poeten noch einmal das Wort zu gönnen,
„Geistvollste Blicke, Glanzmomente –
Gemüth, Charakter und Verstand.“
Alle Berufsarten hatten dem „Kitzing“ werthe Mitglieder gestellt. Die Schule war da und die Universität, die Rechtsgelehrtheit und die Geschichtsschreibung, die Kaufmannschaft und der Buchhandel, Verwaltung und Vertretung der Stadt, der „hohe“ Landtag, die dramatische und epische Poesie, Naturwissenschaft und Publicistik. Selbst die Diplomatie glänzte im System der Genossen, und sogar durch ein Doppelgestirn. Die Mehrzahl der Freunde waren Leipziger, unter ihnen befand sich der frühere zweite Bürgermeister der Stadt und dessen späterer Nachfolger. Andere waren Dresdner, darunter Heinrich von Treitschke, der streitbare Redner, der freisinnige und glänzende Essayist. Wieder Andere gehörten ihrer Heimath nach einer weitern Ferne an, wie Julian Schmidt, der Literarhistoriker, und der Verfasser von „Soll und Haben“. Die Schweiz hatte Salomon Hirzel, den Goethekenner, England Crowe, den viel gewanderten, auf den Schlachtfeldern der Krim und Italiens ebenso wie in den friedlichen Stätten niederländischer und romanischer Kunst bekannten Schriftsteller, gesandt. Es war in der That ein Kreis, in dem sich’s gut Hütten bauen ließ, anregend, wohlthuend, wie wenige. Jeder trug sein Theil bei zu der Summe guter Gedanken, welche in leichtem Geplauder über dem Glase sich begegneten, der Eine Gemüthlichkeit, der Andere scharfes Urtheil, wieder ein Anderer Erlebnisse und Erfahrungen eines vielbewegten Lebens. Alle waren gute Cameraden, Eins in Liebe und Haß, Eins in dem Zusammenklang der Ueberzeugungen, die sie über die höchsten Interessen der Nation gewonnen hatten, und der Hoffnungen und Forderungen, die sie daran knüpften. Alle waren Eins auch in der Verehrung vor dem würdigen Haupte der Gesellschaft, vor dem, dessen Geist und Wesen sie vorzüglich zusammengeführt hatte und dessen Liebenswürdigkeit das ganze Rund vor Allem erwärmte, wie die Sonne die Planeten ihres Systems in der aufrichtigsten Verehrung vor Karl Mathy, dem damaligen Director der Creditanstalt in Leipzig, dem nachmaligen Ministerpräsidenten in Baden.
Nicht häufig geschieht es, daß ein Süddeutscher rasch heimisch wird im Norden, zumal wenn er in gereiftem Alter steht, und nicht oft begiebt sich’s, daß wir Verstandesmenschen von der norddeutschen Ebene einem Volksgenossen aus dem Süden schnell unser Herz zuwenden. Beide Theile der Nation haben ihre besonderen Vorzüge, die zu ihrer Annäherung führen, Leide aber auch Eigenschaften, die sie für den ersten Augenblick einander fern halten. Der Süden ist dem Norden zu gemüthlich, zu laut, zu idealistisch, dieser jenem zu verständig, zu zugeknöpft, zu praktisch. Nichts von dem Allen paßte auf das Verhältniß der Gesellschaft im Leipziger [153] Petrinum zu ihrem Mittelpunkt und Häuptling. Ein Franke seiner Herkunft nach, vereinigte er in seinem Wesen alle Vorzüge der Stämme diesseits und jenseits der Mainlinie schon gewissermaßen durch seine Geburt. Ein reiches Gemüth und ein scharfer Verstand, beide in einem ereignißvollen Leben in sehr verschiedener Stellung, in Kämpfen aller Art, in Arbeiten für das Wohl des Volkes bald in der Kammer als Redner, bald in der Dorfschule als Erzieher, bald als Unterstaatssecretär im Handelsministerium des deutschen Reichs, geläutert und bereichert, hoben ihn noch weit über die allgemeine Anlage seines Stammes hinaus. Ohne die Ideale seiner Jugendzeit zu verlieren, hatte er sich schon durch sein ursprüngliches Studium, die Cameralwissenschaften, Geringschätzung der landläufigen Redensart und der politischen Stubenweisheit angewöhnt und den Grund zu der in seiner weiteren Thätigkeit in seltnem Grade ausgebildeten Erkenntniß gelegt, daß nur der die Welt seinen Idealen dienstbar macht, welcher mit den Thatsachen rechnet. Ein heißes Herz und ein kalter Kopf glichen sich in ihm aus zu einem jener Menschen, wie wir Deutschen sie vor Allem brauchen können.
Nicht oft brach das heiße Herz hervor, dann aber mit schneidender Energie. So, als ein Vorfechter der Ultramontanen in der badischen Kammer ihm einen Brief ableugnete, auf den er sich bezogen und den er dem Dreisten dann vor’s Gesicht hielt, und so in seiner vulcanischen Rede gegen die Opposition, die ihm als Minister aus selbstsüchtigen Beweggründen einen wohlüberlegten Plan zu volkswirthschaftlicher Reform bestritt. Für gewöhnlich war er in Geschäften ein kühler, praktischer, rastloser Arbeiter, im Freundeskreise ein anspruchloser, einfach liebenswürdiger Gesellschafter, und nur ein gewisser Zug leiser Ironie, der bisweilen seine Erzählung oder sein Urtheil umspielte, verrieth den vornehmen Geist, welchen der Zuhörer vor sich hatte. In ganz vertrautem Kreise gab er sich ganz, wie er war, und dann war es eine Freude, ihm zu folgen bei der Mittheilung seiner Erlebnisse oder der Schilderung der zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten, mit denen er in Berührung gekommen.
Mathy verstand vortrefflich zu erzählen, und er erzählte gern, vorzüglich aus seinen jüngeren Jahren. Es wäre zu beklagen, wenn er darüber nicht mehr niedergeschrieben hätte, als das reizende Bildchen, aus der Zeit, wo er Schulmeister von Grenchen war, eine Dorfgeschichte, die zu dem Besten in Freytag’s „Bildern aus der deutschen Vergangenheit“, gehört und die man in gewissem Sinne das aus der Phantasie in die Wirklichkeit übersetzte Zschokke’sche „Goldmacherdorf“ nennen kann. Wie er als Heidelberger Student Gefallen an der Stärke des Rosses hatte; sein Säbelduell ohne Secundanten mit einem Commilitonen, der jetzt eine hohe Stellung in der badischen Verwaltung bekleidet; seine Fußwanderung nach Frankreich hinein, der Anziehungskraft nach, die auf junge Gemüther die Julirevolution ausübte; die ersten Versuche des Cameralprakticanten Mathy, in der Presse seiner Regierung Opposition zu machen; seine Erlebnisse in der damals zum Theil noch sehr ursprünglichen zweiten Kammer Badens, in welcher unter Anderem Abgeordnete aus bäuerlichen Wahlkreisen sich ihr Feuerholz eigenhändig abluden und klein machten; seine Charakterbilder von Hecker und Struve; sein Bericht über die Art und Weise, wie er Fickler verhaftete, ein Bericht, der allerdings wesentlich anders klang, als die Darstellung der Gegner, und in dem man, wenn nicht mehr, mindestens in Mathy den unerschrockenen Vertreter seiner Auffassung der Lage bewundern muß;[2] – alle diese Dinge von ihm selbst verzeichnet würden allein schon eine Reihe der anmuthigsten und lehrreichsten Capitel bilden.
Wir Alle lernen, wenn wir die Augen offen halten. Die Jugend schwärmt für Ideale, und auch Mathy war davon nicht ausgenommen. Es wird eine Zeit gegeben haben, wo seine politischen Ziele von denen Hecker’s nicht eben weit entfernt lagen, wo er die Marseillaise nicht blos als prächtige Melodie mit erhabenem Texte verehrte, wo er sich selbst durch die Carmagnole begeistern ließ. Stimmte er doch in guten Stunden, wenn in engstem Kreise das Schlachtlied Rouget de l’Isle’s erklungen war, wiederholt den Jakobinergesang von „Madame Capet, die versprochen, ganz Paris erwürgen zu lassen“ an und nichts weniger als mit ironischer Miene. Mathy ist in seinen Jünglingsjahren in Phantasie und Glauben, dann während seines Aufenthalts in der Schweiz in voller, ganzer Wirklichkeit mehr als liberal, er ist Republikaner gewesen. Er hat dann gelernt an den Menschen und Dingen, daß die Welt unter dem Monde das Vollkommene nicht verträgt und daß sein einstiges Ideal sich nicht für deutsche Zustände schickt, und er hat im Frankfurter Parlament und anderwärts mit der ihm eigenen Entschlossenheit darnach gehandelt. Er ist zuletzt ein treuer Diener seines Fürsten und ein Staatsmann gewesen, der, wie viel er auch für Reformen im liberalen Geiste that, streng und stramm auf Maß und Ordnung nach den Gesichtspunkten des zur Zeit Möglichen hielt. Aber die Erinnerung an sein einstiges Ideal war ihm, wenigstens in Leipzig, geblieben und vielleicht mehr. Er bewahrte es, wenn ich die angeführte Aeußerung seines Gefühls und mancherlei Aehnliches nicht unrichtig deute, in einem warmen Winkel seiner Seele, wie man das Bild einer Jugendgeliebten aufbewahrt. Die Sehnsucht nach ihr hat sich nicht, erfüllt, konnte sich nicht erfüllen. Auf sie zu hoffen, war ein Traum, aber ein Traum voll beglückender Gluth. Eine der Wirklichkeit vergessende Stunde läßt ihn wieder aufleuchten und das Herz für einen Augenblick mit der alten Wärme erfüllen. Dann versinken seine Gestalten wieder, um den Pflichten Raum zu geben, die der Verstand uns auferlegt.
Aeußerlich war Karl Mathy eine gedrungene Gestalt von etwas über Mittelgröße, ein schöner Kopf mit spärlich gewordenem, früh ergrautem Haar, unter hoher, breiter Stirn ein Paar große leuchtende hellblaue Augen, der Ausdruck der Züge Milde mit Festigkeit gepaart. Die Oberlippe trug einen kurz gehaltenen grauen Schnurrbart, das mäßig geröthete Gesicht rahmte ein ebenfalls kurz geschnittener Bart von der Art ein, wie man sie früher in Süddeutschland Demagogenbärte nannte. Seine Haltung war in der Regel stramm und gerade, der Gang ein wenig einknickend. Im gewöhnlichen Verkehr klang seine Rede an den badischen Dialekt an, der wie alle südwestdeutschen das N beim Infinitiv und Particip der Vergangenheit sowie beim Plural der Hauptwörter wegläßt und im Perfectum erzählt. Bei öffentlichem Auftreten – er hielt unter Anderem in Leipzig einen Vortrag bei der im Mai 1862 vom „Kitzing“ im Schützenhause veranstalteten Fichtefeier – fielen diese Anklänge weg. Wohlüberlegt und darum klar und fließend, gedankenreich, phrasenlos wirkte sein Wort dann mächtig, zumal es durch eine sonore Stimme, durch ruhige, mannhafte Haltung, die nichts von den Theaterkünsten anderer Sprecher hatte, und durch jene leuchtenden Augen unterstützt wurde, die so prächtig die Ueberzeugungstreue widerspiegelten, welche ihn erfüllte.
Karl Mathy’s Vaterland war Deutschland. Kein Tropfen von particularistischer Vorliebe oder Abneigung floß in seinen Adern. Er hatte, als er zu uns kam, schon Jahre im Norden gelebt, erst in Gotha, dann in Berlin, bei der dortigen Discontogesellschaft angestellt, und er hatte dort allenthalben Freunde zurückgelassen. Auch in Leipzig fühlte er sich wohl. Seine Berufung zum Director der deutschen Creditanstalt setzte ihm eine Aufgabe, die einem tüchtigen Manne bis auf Weiteres genügen konnte. Er hatte die Freude, zu sehen, daß sein Plan von der Mehrzahl der Interessenten gebilligt wurde und sich gedeihlich entfaltete. Seinen Bemühungen dankte das Institut vor Allem die Abwickelung von Unternehmungen, mit denen eine phantastische Speculation es in Verbindung gebracht hatte, und das Wiederemporkommen zu solidem Stande und allgemeinem Vertrauen. Auch pecuniär war seine Stellung in Leipzig keine ungünstige. Eine angenehme Häuslichkeit, eine Gattin, die ihr vorstand, die große und schöne Erinnerungen mit ihm theilte, war ihm dahin gefolgt. Nicht die am wenigsten werthe Verschönerung seines Aufenthalts bei uns war endlich der zu Anfang dieser Mittheilung geschilderte Freundeskreis für ihn.
Kaum zwei oder drei Mal, wenn nicht durch Reisen entfernt, fehlte er in den drei Jahren, die er in Leipzig lebte, bei den Dienstags- und Freitagsabenden der runden Tafel. Mit der Regelmäßigkeit einer Uhr kam er Punkt zehn Minuten nach sieben.
Nicht immer mit derselben Regelmäßigkeit ging er, nachdem er sein ein für alle Mal feststehendes Maß von Kitzing’s dunklem Saft genossen. Aller Augen erwarteten ihn, wenn er im Dampf des ersten Zimmers hinter den Scheiben der Glasthür erschien; Alle hingen an seinem Munde, wenn er sprach. Der Geschichtschreiber[WS 2] [154] unterbrach sich in einer Auseinandersetzung über das persische Sonnenjahr oder sonst eine entlegene Herzensangelegenheit, der Botaniker vertagte eine begonnene Belehrung seines Nachbars über Pilzsporen oder Pflanzenzellen, der Komiker brachte rascher als gewöhnlich einen neugebornen guten Einfall an den Mann, wenn – Er sich zu einer längeren Erzählung oder zur Abgabe seiner Meinung über eine auf die Tagesordnung gebrachte Frage anschickte. Mathy hätte nicht die gesellige Natur, nicht der Mann von Herz sein müssen, der er war, wenn ihm diese stille und doch so deutliche Huldigung nicht wohlgethan, er hätte nicht der Patriot sein müssen, der er war, wenn es ihm nicht zur Befriedigung gereicht hätte, sich als den Grundpfeiler eines Kreises von Gleichgesinnten betrachtet zu sehen. Er gab viel, aber er empfing auch; er war unser Stolz, aber er hatte auch keine Ursache, die am runden Tische zugebrachten Stunden für verlorne anzusehen.
Leipzig war ihm werth geworden. Und doch konnte hier sein Bleiben nicht sein. Die Sehnsucht nach der schöneren Heimath im Süden, nach den altgewohnten Verhältnissen war ihm niemals erloschen. Sein Reformationswerk in der Creditanstalt war allmählich in Zug gekommen, was weiter zu thun, keine Arbeit für ihn. Vor der Reaction in Baden hatte er den Staub von den Füßen geschüttelt; jetzt, wo guter Wille dort auf dem Throne saß und die Sonne einer neuen Epoche aufging, wo wichtige allgemeine Fragen und nicht weniger wichtige Fragen seines besondern Fachs zur Entscheidung kommen sollten, verlangte es ihn heim und verlangte ihn auch die Heimath. Eine größere Wirksamkeit, neue politische Thätigkeit winkte. Das Ministerium von Roggenbach war gebildet worden, keineswegs ganz aus Staatsmännern von Mathy’s Ueberzeugung und noch weniger aus solchen von seiner Charakterstärke. Er konnte ihm neue Kraft, rascheren und kühneren Entschluß zuführen, ihm, wie ich’s nennen möchte, mehr Rückgrat geben. Es war etwas vom Grafen Bismarck in Mathy, nur daß jener von der rechten, dieser von der linken Seite auf den wahren Weg zum Ziele gelangt war. Es lag schon im Sommer 1862 etwas von großen Dingen in der Luft, und da hätte es sein Pfund vergraben und nichts von dem berechtigten Ehrgeiz besitzen heißen, der die Geschichte machen hilft, wenn Karl Mathy an der hohen und einflußreichen Stelle hätte fehlen wollen, an die ihn ein liberaler und nationalgesinnter Fürst berief.
Mit einer Mischung von Trauer und Freude vernahm der Club die Nachricht: „Der Staatsrath geht fort.“ Der Stuhl neben der Ecke, den er so oft eingenommen, sollte leer stehen fortan. Wir hatten uns verwaist gefühlt, wenn eine Reise ihn für eine kurze Zeit uns entführt, jetzt war es eine Abreise für immer. Noch wehmüthiger waren die gestimmt, die sich näheren Umganges mit ihm erfreut hatten, aber sie wußten auch noch mehr, daß die Berufung einen Lieblingswunsch von ihm erfüllte und daß ein Geist wie er nicht fehlen dürfte, wo Gelegenheit war, dem Vaterlande nicht blos mit gutem Wollen und Reden, sondern mit Thaten zu dienen.
Am 20. December gaben wir ihm ein Abschiedsmahl, bei dem ihm der Humorist der Genossenschaft die letztere in Gestalt eines Albums mit den wohlgetroffenen Photographien der Mitglieder zur Begleitung in die Ferne überreichte. In den ersten Strophen ein Muster launiger Gelegenheitsdichtung, nahmen die Verse, die der Darbringer dazu sprach, zum Schlüsse eine ernste Miene an. Jedem Original der Portraits war es aus der Seele geredet, wenn er endigte:
„Und jedes Bild, es soll Dir danken,
Für jenes Bild, das Du uns ließ’st,
Das Du uns ließ’st aus Ernst und Scherzen,
So fest und frei, so Aar und mild.
Du gehst – doch uns im tiefsten Herzen
Bleibt eines deutschen Mannes Bild.“
Er ging, um zunächst uneigentliches, dann eigentliches Mitglied eines badischen Cabinets zu werden, welches von sich sagen konnte: wir sind die Freisinnigsten im Lande, nach uns kommt die erste, dann erst die zweite Kammer, ein Verhältniß unerhört in großen und kleinen Staaten. Wir hörten von ihm, daß er sich glücklich fühle, daß er trotz nicht geringer Anfeindung mit gewohnter Umsicht und Thatkraft erst als Director der Domainenkammer, dann als Handelsminister, dann in der Eigenschaft eines Vorstandes des Finanzdepartements erfolgreich an den Reformen mitgearbeitet, von denen die Presse aus Baden meldete. Wir vernahmen, daß er in Karlsruhe neben einem größeren Wirkungskreise unter den „Bären“ – die hiermit in Erinnerung an eine gute Stunde des Sommers von 1863 gegrüßt seien – auch einen größeren Freundeskreis gefunden, dem es ebenfalls nicht an munterer Laune fehle. Wir sahen Roggenbach abtreten und mit Edelsheim für kurze Zeit die Reaction herrschen. Der Zwang dazu wurde bei Sadowa gebrochen. Karl Mathy war fortan der erste Rath seines Großherzogs, ein vollkommener, gründlicher Umschwung der badischen Politik und zu gleicher Zeit der öffentlichen Meinung trat ein, und wenn Baden nicht sofort mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen in den Norddeutschen Bund eingezogen ist, so trägt der Gegenstand dieser Charakterskizze gewiß nicht die Schuld dabei.
Die Nachrichten über die Thätigkeit unseres Freundes für diese glückliche Wendung waren die letzten erfreulichen von ihm. Mathy, ernstlich erkrankt – in der Genesung – gestern Nacht verschieden – so folgten sich Anfang Februar wechselnd die Telegramme. Und die Bestätigung des letzten blieb nicht aus. Eine Brustentzündung hatte ihn dahingerafft. Wir hatten gehofft, ihn im Zollbundesrathe zu Berlin seine gewichtige Stimme für möglichste Vollendung der Einheit des Vaterlandes einlegen zu sehen. Jetzt war er hinüber in das dunkle Land, in die Nacht, da Niemand wirkt. Nicht ohne den leuchtenden Anfang zur Verwirklichung dessen noch geschaut zu haben, was seiner Seele feuriger Wunsch war, und darum glücklicher zu preisen, als ein Anderer unserer Runde, der vor ihm für immer von uns schied. Aber dennoch zu früh für das Vaterland, für die Heimath, die Freunde.
Ein Mitglied der Leipziger Genossenschaft ging nach Karlsruhe, um dem Geschiedenen im Namen der Uebrigen die drei Hände voll Erde in’s Grab zu werfen. Er kam zu spät. Doch konnte er ihm wenigstens eine letzte Gabe der Liebe auf den Hügel legen.
Niemand ist unersetzlich. Karl Mathy wird für Baden schwer ersetzlich sein. Seine Freunde aber müssen sich über seinen frühen Hingang trösten mit dem Samen, den er unter sie gesäet, und mit dem Vorbild, das er ihnen hinterlassen. „Du gingst,“ so hallt es unter ihnen nach,
„Du gingst, doch uns im tiefsten Herzen,
Bleibt eines deutschen Mannes Bild.“
Im Hause Robert Stephenson’s.
„Und doch sind wir, selbst mit dem bewunderten Werke unseres berühmten Wirthes, nicht an der Grenze der Ausnutzung der specifischen Tugenden des Eisens für den Brückenbau angekommen,“ setzte der Amerikaner unser Tischgespräch fort. „Die Hängebrücken, die Eisenwölbungen haben eine große Zukunft, um Eisenbahnen über sonst völlig unwegsame Abgründe, und über wilde Stromschnellen mit Spannungen von jetzt noch kaum geahnter Weite, halb in der Luft hängend, zu führen.“
„Die Extreme regen zu weitreichenden Betrachtungen darüber an,“ nahm hier Stephenson das Wort, „wie wunderbar den verschiedenen Zeitaltern die Organe zuwachsen, deren sie zu ihren Culturzwecken bedürfen. Von den Zeiten Nerva’s und Trajan’s bis zu denen Ludwig des Vierzehnten, durch die Kreuzzüge, die Blüthe der Hansa, Venedigs und Genuas, die Thaten der Conquistadoren in Amerika, der Portugiesen in Ostindien hindurch, hat sich die Civilisation nur auf Wasserpfaden bewegt. Es gab während einer Epoche von anderthalbtausend Jahren in der ganzen Welt, die peruanischen Incapfade und die mexicanischen Heerwege in einem damals unbekannten Erdtheile ausgenommen, kein einziges wirkliches Straßensystem, und daher stand auch die Kunst des [155] Brückenbaues absolut still. Das Können im Steinbrückenbau scheint in der That von den römischen Meistern vollständig erledigt worden zu sein.“
„Und all’ das mühselige Theoretisiren über dasselbe,“ fiel ich ein, „das besonders in meinem doctrinliebenden Vaterlande mit Aufwand herrlicher Kräfte so breit und behaglich gepflegt wird, hat es um kein Haar breit weiter gebracht. Der Baumeister Trajan’s, Apollodor, der die Donaubrücke bei Turnu-Severin, und der Ingenieur Theodorich’s des Großen, der den Aquäduct von Spoleto baute, waren darin gerade so klug und kühn wie unser bester Techniker.“
„Nur durch Abminderung der Massen des Baues, die Construction der Gerüste,“ ergänzte Swinburne, „die Anwendung aller Hülfsmittel, welche die Mechanik der Neuzeit beim Fundamentiren der Pfeiler und Heben der Lasten an die Hand giebt, kann sich dieser überhaupt des Namens eines Ingenieurs würdig machen. Wer in dieser Wissenschaft nicht im Studium wie im Können vollständig auf der Höhe seiner Zeit steht, dessen Wirken ist eitel Verneinung und vom Uebel.“
„Und,“ fügte ich hier dazwischen, „eitel Vortheil und echteste Nationalökonomie wär’s, alle so beschaffenen Techniker im Amte stracks mit vollem Gehalte zu pensioniren.“
Alles lachte, und Marochetti rief aus: „Nach Allem, was die Herren sagen, scheint’s dem Laien, als sei die Eisenbrücke der eigentliche Charakterausdruck, die eigentliche Hieroglyphe für den Geist des Verkehrs der Neuzeit. Doppelt stolz gehe ich nun an das Erzbild des Mannes, der als Piromis dieses Geistes diese Hieroglyphen am schönsten zu schreiben versteht!“
„Halt! halt!“ rief Stephenson aus, „ist mir’s doch, wenn der Meister da allmorgendlich sich müht, die eckigen Contouren meines altenglischen Gesichts in einigen Einklang mit Schönheitslinien zu bringen, als arbeite er nicht am Bilde des besten Mannes in unserem Fach in England.“ Und auf unsere abweisenden Aeußerungen fuhr er fort: „Gerade im bedeutsamsten Augenblick des Baues der Britannia-Brücke, auf den die ganze Welt mit Spannung blickte, um dessen glücklichen Verlauf sie mich beneidete, habe ich mich im Herzen tief unter zwei Männern gefühlt, die sie meine Rivalen zu nennen pflegt. Sie Alle wissen, daß nach einer durchaus neuen Baumethode die Röhren der Britannia-Brücke am Ufer zusammengenietet, dann untergraben und bei der Ebbe mit Pontons unterfahren wurden, die, mit Eintritt der Fluth, sie heben und zwischen die Pfeiler auf ihre Lager tragen sollten: Bei wegsinkender Fluth mußten dann die Röhren in den Pfeilern liegen bleiben und sollten später mit hydraulischen Pressen auf ihre bestimmte Höhe, hundert und zehn Fuß über den Meeresspiegel, gehoben werden. Diese Röhren sind die schwerste Masse, die jemals auf der Welt gleichzeitig und maßrichtig von Menschenhand bewegt worden ist. Die auf einmal auf diese Weise zu flößende Masse wog immer volle fünfunddreißig tausend Centner, war dabei lang und im höchsten Maße unbequem zu behandeln. Mißrieth die Flößung, kam die ungeheure Masse nicht, bei einem Fluthengange, correct bis auf den Zoll, auf die rechte Stelle in den Pfeilern zu liegen, so war der Schaden unabsehbar, das Gelingen des gesammten Werks in Frage gestellt. Die ganze Arbeit, deren Zeitdauer sich daher kategorisch auf fünf bis sechs Stunden beschränkte, wurde noch dadurch complicirt, daß bei Eintritt der Fluth im Menai-Canal eine rapide, mit dem Wachsen der Fluth steigende Strömung entsteht, die das Dirigiren des mächtigen Objects auf den rasch dahinfließenden Gewässern zu einer Aufgabe machte, die großes Talent und höchste technische Intelligenz und noch bedeutendere Besonnenheit und Entschlossenheit erforderte. Unglücklicher Weise zerfiel sie noch überdies in drei gleich bedeutsame Theile, die drei gleiche Capacitäten beanspruchten. Eine derselben mußte sich jedesmal auf der schwimmenden Röhre und je eine an den mächtigen Ankerwinden sich befinden, die, von den Ufern her, mit Ketten und Tauen das Flößen der Masse leiteten. Letztere hatten genau den Signalen des auf der Röhre befindlichen Ingenieurs Folge zu leisten. Nicht gern wollte ich meinen besten Zöglingen diese Aemter anvertrauen. Sie waren mir zu lieb dazu. Mißrieth die Lösung der großen Aufgabe, so gab ihnen die Welt Schuld daran, und ihr technischer Ruf war vielleicht für immer compromittirt.
„Ich war in Verlegenheit, die mir keine Nachtruhe mehr ließ. Ich fühlte mich gequält und zerstreut in Augenblicken, die wohl die bedeutungsvollsten meines ganzen Lebens waren. Nun wohl! Vier Tage vor Eintritt der Springfluth, die unsere Röhrenkolosse auf den Rücken nehmen sollte, erschienen meine beiden sogenannten Rivalen, Englands erste Techniker, Isambert Brunel und William Fairbairn, bei mir und boten sich an – nach dem Winke meiner Hand – ihres Rivalen Hand – die Arbeiten an den Ufern zu leiten, meine Ehre durch ihre gewaltige Mitwirkung vor jedem Unfalle zu schützen.“ –
Der Meister schwieg tiefbewegt einen Augenblick, – er erschien mir größer jetzt, wo er, stolze Demuth in den starken Zügen, schweigend auf seinen Teller niedersah, als neulich zwischen den Riesenpranken der Sphinx vor seinem Wunderwerke. – Er selbst unterbrach die Stille, indem er weiter erzählte: „Ich war am Morgen, der um zehn Uhr den Eintritt der verhängnißvollen Fluth bringen sollte, vor Tagesanbruch unten am Ufer des Menaicanals. Es war stürmisch, ich hörte die hohe Brandung durch die Nacht brausen. Weithin brannten auf beiden Ufern die Wachtfeuer und Fackeln, bei denen die Nacht über gearbeitet wurde. Mir lag es schwer auf der Seele. Ich begriff jetzt erst das mir bis dahin Unfaßbare, daß Telford, als man die Gerüste unter den Ketten seiner Hängebrücke wegschlug, sich betend in das Brückenhäuschen, dessen Läden er hatte schließen lassen, zurückgezogen hatte. – Da rief mich eine helle Stimme durch die Nacht an: ,All right! All goes well! Good Morning![3] und ich erkannte Brunel, der schon vom Werkplatz seiner Kapstans kam. Ich bin nicht poetisch, aber ich muß gestehen, der handfeste, kleine, große englische Ingenieur erschien mir in diesem Momente wie ein lichter Engel!“
Wir lachten, die wir Brunel kannten, Stephenson lachte mit und fuhr dann heiter fort:
„Der Augenblick kam, wo die Fluth eintrat. Ich stand auf der zuerst zu flößenden Röhre, die seit Jahr und Tag, seitdem die Arbeit an ihnen begonnen wurde, bergfest auf ihren Werklagern ruhte, volle zwei Millionen Pfund schwer. Todtenstille, auf beiden Ufern, mit ihren Hunderten von Arbeitern, die, Hand am Griff, vor ihren Ankerwinden standen, mit Tausenden zugeströmter Zuschauer. Ich sah Fairbairn wie einen Punkt am Anglesea-Ufer auf seinem Gerüst stehen, unter mir, am Hauptkapstan des Walesufers, stand Brunel, die klugen Augen nach mir heraufgerichtet – Alle todtenstill – nur die steigende Fluth brodelte um die Pontons, in deren gewaltigem Zimmerwerk und Rippen es knackte, knurrte und polterte, je mächtiger das Wasser sie gegen die große Last, die sie heben sollten, preßte.
„Endlich wurde auch dies Prasseln still – sie mußten ihre volle Last haben – ich sah nach der Uhr und den Wassermassen – die Fluth war fast auf ihrer Höhe – die Eisenmasse rührte sich nicht – mir stand das Herz fast still – da plötzlich fühlte ich, wie es wie ein Zittern durch die kolossalen Röhren unter meinen Füßen lief – der eiserne feste Boden wich – und im selben Momente sah ich, wie die Gerüste sich gegen uns verschoben. Die Arbeitsmannschaften brachen unaufhaltsam in unermeßliche Cheers aus, die aus tausend Kehlen weit und breit an den Ufern widerhallten. – Die ungeheure Röhre schwamm!! Rasch packte die Pontons die Fluth – ich gab meine Signale. Meine großen Rivalen folgten dem Wink meiner Hand! Die Fluth spritzte an den angestrafften Tauen und Ketten thurmhoch empor, oder brodelte über die erschlafft in’s Wasser sinkenden mit einer Präcision, als belebe ein einziger Wille die Hunderte von Männern hüben und drüben.
„Ich will Sie nicht mit der Erzählung davon ermüden, es ist bekannt, wie die Röhre ohne Unfall und mit bewunderungswürdiger Genauigkeit, trotz Sturm und Stromschnelle, zwischen die Pfeiler trieb und die sinkende Fluth, sie auf ihren Lagern liegen lassend, lustig die davon gelösten Pontons mit fortnahm, während ich mit Entzücken das Knirschen hörte, mit dem der Koloß sich sicher auf die Steinunterlage bettete. Aber Sie werden verstehen, daß ich mich nie so gehoben und so klein zugleich gefühlt habe, wie damals, als meine Rivalen zu mir auf die Röhre kletterten und mir die Hand drückten.“
Der Meister schwieg, – die Stille begann peinlich zu werden, als Wild plötzlich anhub: „Meister, haben Sie sich denn auch gehörig bei Ihrem Hauptarbeiter bedankt, ohne den die Röhren noch heute im Ufersande lägen?“
„Wen meinen Sie?“ frug Stephenson erstaunt.
[156] „Nun, den Mond!“ erwiderte Wild, „denn er hat doch eigentlich die Britannia-Röhren zwischen die Pfeiler getragen.“[4] „Sehr richtig,“ rief Stephenson lachend, „daran habe ich wirklich noch nicht gedacht.“
Wir lachten verstehend mit. Nur die Damen sahen sich etwas befremdet an.
„Mein Gott,“ sagte die kleine reizende Frau an meiner Seite mit gelangweiltem Lächeln, die schweren goldblonden Locken zurückschüttelnd, „nun werden die Herren auch noch mysteriös. Hatten wir denn uns bisher nicht schon genug bei diesem Diner an Tödtungen und Verletzungen auf Eisenbahnen, Blechrohren von Millionen und Millionen Pfunden und was dergleichen Zierlichkeiten mehr waren, zu erquicken?“
„Ja, liebe Amy,“ sagte Miß Stephenson, sich mit freundlicher Ironie in den gutmüthigen alten Zügen erhebend, „das ist so an meines Bruders Tafelrunde. Sehr ausgezeichnet, sehr respectabel, sehr nützlich, aber ich beneide dabei oft meine Angora dort auf dein Fauteuil.“
Die Damen ließen uns mit dieser verdienten derben Lection, einiger Beschämung und den Flaschen allein, die rüstig auf silbernen Wägelchen auf der Tafel herum zu rollen begannen.
Bald fiel das Gespräch auf das Wunder des Tages, die Yacht „Amerika“, auf der ihr Erbauer, der anwesende Amerikaner Stevenson, die zauberschnelle Reise von zehn Tagen über den atlantischen Ocean gemacht und die soeben, bei dem großen „Yacht Race“ zu Plymouth, alle die beflügelten Segler des englischen Jachtclubs glänzend geschlagen hatte.
Dieser Sieg der Amerikaner hatte in den höheren Kreisen Londons fast den Eindruck eines Nationalunfalls gemacht, und das außerordentliche, ganz unenglische Feuer, welches auch das Gespräch in unserem Kreise zu beleben begann, zeugte davon, wie innig das Leben des Meeres in das des großen Inselvolkes verwebt ist. Ein „schnelles Schiff“, ein „nobles Boot“, bei diesen Worten belebt sich das Auge des arbeitsmüdesten Dockträgers ebenso gut, wie das des blasirten jungen Nobleman, den der Ruf „eine schöne Frau“ nicht einmal mehr aufblicken läßt.
Man wird sich also denken können, daß der Erbauer oder Besitzer eines ganz ungewöhnlich schnellen Schiffs, mehrere Tage länger als der größte Künstler und Virtuos, der beneidete Held des Tages in den Londoner Kreisen der „oberen Zehntausend“ sein kann.
Aber wo das große Publicum zujauchzt und gafft, da besitzen und genießen diese Glücklichen, und so gehörte, besonders im Anfange der fünfziger Jahre, der Besitz einer schnellen Jacht unbedingt zum Lustre eines Noblemann comme il faut, und in einer jener queren Launen, an denen die englische Gesellschaft so reich ist, führt bei diesem freien, großen Volke den thatenreichen Leistenden, aber Empor gekommenen, nur sclavische Nachahmung der Sitten derer, die nichts thun und leisten, zur Geltung! Beim geschäftigsten Volke der Erde gilt „nichts zu thun zu haben“ noch als erstes Attribut des „wahren Gentleman“.
Auch unser edler Wirth besaß daher, wie schon oben erwähnt, eines jener elfenhaften Gebilde der Schiffsbaukunst, deren Tendenz es ist, durch immer größere Vervollkommnung der Linien der Schiffskörper, immer richtigeres Gleichgewicht der Besegelung, die höchstmögliche Geschwindigkeit der Fahrt, den höchsten Gehorsam des Steuerruders zu erreichen. Sie fliegen wie Seefalken aus von den an den Küsten liegenden Schlössern der Reichen, sie entzücken das Auge des Seemanns durch unübertreffliche Haltung ihres Windwerks, sie gleiten wie Goldfische mit glänzendem, schlankem Kupferbauche durch die spiegelglatten Gewässer, graziös vor der leichtesten Brise geneigt; sie wippen wie Sturmvögel sicher und leicht, als ob sie kaum die Kämme der Wogen berührten, über Berg und Thal des aufgewühlien Oceans! Ihre innere Einrichtung ist die Miniature der stolzen Schlösser ihrer Besitzer. Die schöne Lady vermißt auf ihrer Elfennußschale weder die Bibliothek, noch das Badezimmer, noch das Piano in Liliputergestalt, und wenn, bei hoher See, welche die kleinen Schiffe natürlich gewaltig umherwirft, die Balance verloren wird, so ist durch dreifache türkische Teppiche und maroquingepolsterte Wände der Cajüte dafür gesorgt, daß selbst ein jäher Fall die zarten Glieder nicht verletze.
Der Ort, wo sich diese Edelwesen unter den Schiffen am liebsten zu versammeln pflegen, ist auch der eleganteste Theil der englischen Küste, der, von deren Höhen aus die Königin gern dem spielenden und doch so heiße Leidenschaften erregenden Wettflug derselben zusieht, oder es zu Zeiten auch wohl erleben muß, daß, bei frischem Winde, wenn sie, in hohem Interesse am schönen Schauspiel, denselben am Bord ihrer schnellen Dampfyacht „Victoria and Albert“ begleitet, eine dieser „Beauties“ zwar ehrerbietig die bunte Flagge vor dem königlichen Schiffe senkend, doch ohne Erbarmen ihm leichtbeschwingt vorüber- und vorausfliegt.
Unter die „Schönsten der Schönen“ gehörte aber unseres edlen Wirthes Yacht, an der alle Theorie und Praxis der Schiffsbaukunst ihre geheimsten „Kniffe“ erschöpft zu haben meinte.
Wenige Tage vor unserem Abende war eines jener zauberischen Seestücke, ein Yachtwettsegeln, vor der Insel Wight in natura gemalt worden.
Die edlen Lords an Bord ihrer goldglänzenden, zierlichen Libellen, Wasserschwalben, Nixen, Sylphen, Möven etc. waren nicht wenig erstaunt gewesen, als sich, zwar seitab der Reihe der edeln zum Tjost aufmarschirenden Ritter, aber offenbar streitbereit, ein schlichter, unscheinbarer, „seegewaschener“ Kämpe, mit niederem, dunklem Bord, weit zurückliegendem, an die Betakelung der Schebecken der Berberei erinnerndem, starkem, hohem Spierenwerke und ungewöhnlich breiten Rahen, gestellt hatte. Als der Kanonenschuß zur Abfahrt der Wettsegler gefallen war, diese im Nu ihre weißen Schwingen entfaltet hatten und davongeflattert waren, hatte das unscheinbare Schiff eines seiner großen Segel nach dem andern gemächlich von den Raaen geschüttelt, sich stark auf die Seite geneigt und war schneller und schneller, zwischen den schönen Jachten dahin, durch das Wasser geglitten. Es hatte sich schon in der ersten Reihe befunden, ehe noch sein ganzes „Tuch“ entfaltet war, plötzlich aber hatte es auch „die letzte Faser“, wie die Seeleute sagen, ausgebreitet und war nach dem Umsegeln der Insel, den andern Jachten fast um eine Seemeile voraus, ihnen schon wieder entgegen gekommen. Dabei hatte es, zum unsäglichen Aerger der stolzen britischen Yachtritter, das amerikanische Sternenbanner entfaltet.
Der Aerger hatte sich bald in glühende Begierden verwandelt. Die Intelligenz brannte, hinter die Hexenkünste des Amerikaners zu kommen, der Reichthum, das Schiff zu besitzen.
So war es gekommen, daß auch Stephenson, seiner lieblichen „Wassernixe“ untreu werdend, sich unter den Bewerben um das eigenthümliche, interessante, technische Wesen befunden hatte.
Jetzt, als man daraus in unserem Kreise, in dem der herrlichste Port schon die Herzen erschlossen hatte, zu sprechen kam, äußerte er: „Ich würde das Schiff auseinander genommen und die Linien und Verhältnisse desselben studirt haben, wenn ich das Glück gehabt hätte, es zu erwerben.“
„Das wäre schade gewesen,“ erwiderte der Amerikaner darauf, den gerötheten Kopf in dem Rocking chair, den ihm Stephenson liebenswürdig hatte bringen lassen, zurücklegend und die Asche von seiner Cigarre blasend, „denn Sie würden nichts Neues gefunden haben. Kann ich’s doch kaum vor mir selbst verantworten, mir für das Schiff so hohe Preise bieten zu lassen, da das Geheimniß seiner Segelkraft so einfach ist.“ –
Er machte eine Pause – Niemand wagte um deren Mittheilung zu bitten; doch lauschte Alles in athemloser Spannung, die sich erst löste, als er behaglich fortfuhr:
„Der Körper Ihrer Jacht, mein edler Wirth, ist besser geformt, als der der meinen, und sie würde vorm Winde auch besser segeln, wenn er schräg genug nach hinten im Wasser läge; dann zerspaltet das viele, sehr elegante, sehr seemännische, aber – unnütze – Tauwerk, das Sie hinter den Segeln haben, den Wind, und nimmt ihm den derben Prall gegen die Leinwand.
Ihre Bords sind zu hoch, das giebt falschen Windfang! Es ist wahr, Sie haben fast immer ein trockenes Deck, und, Gott weiß, wie dagegen mein Boot am Winde immer halb unter Wasser liegt! Was sind wir gewaschen worden bei der Ueberfahrt von Amerika herüber, aber – gleichviel – wir segelten schnell
„Die Hauptsache aber, und das ist eigentlich mein Geheimniß, liegt im Stoff und im Schnitte der Segel. Leinwand, trockene Leinwand, weiße, schöne Leinwand für noble Jachtsegel ist ein reines Sieb, durch das der Wind halb hindurch pfeift. Und die runde Schwellung Eurer Tücher sieht schöner aus – als sie gut ist. Vierfacher, fester, gesteppter Cattun, straff gespannt wie ein Brett, mit scharf angeholten Schoten und Brassen, – das ist das wahre Segel, da thut die Luft ihre Schuldigkeit daran, da könnt Ihr am Winde Hinsegeln – auf Haaresbreite. –“
[157] Dann lachte er, und rief mit dem Glase in der Hand aufstehend: „Jetzt denken Sie Alle: Das war nicht amerikanisch gehandelt. Jetzt können wir Alle Yachten bauen, und Niemand giebt dem Plauderer noch einen Pfifferling für sein schäbiges Schiff.“
„Sie irren,“ sagte Stephenson gelassen, „ich halte mein Gebot fest, und gewiß auch Lord E.“
„Wahr?“ fragte der Amerikaner mit leuchtenden Augen.
„Gewiß!“
„Nun, da ist das Schiff!“ sagte der Amerikaner fest. „Hier ist meine Hand, ich beneide Sie, ich verehre Sie, ich gönne Ihnen mein Schiffchen vor allen Menschen der Welt.“[5]
„Lassen Sie uns morgen das Geschäft abschließen,“ antwortete Stephenson mit feinem Tacte auf diese feurige Apostrophe.
„Nein, es ist Ihr Eigenthum,“ rief der Amerikaner aus, „und nur noch einmal will ich als sein Herr den Fuß auf seine Planken setzen, wenn ich Sie Alle, wie Sie hier versammelt sind, als meine Gäste bei frischer, sonniger, hoher See herunterführen darf nach Wight, zu, so Gott will, lustigem Dinner. Kommen Sie, lassen Sie uns auch die Damen einladen.“ –
„Was sagte doch der Amerikaner von Sturzseen, unter denen sein Schiff litte? Ob man die Fahrt mitmacht? Haben Sie Lust gewaschen zu werden?“ fragte mich der alte Starbuck, als wir nach dem Drawing Room, den Arm in Arm voranschreitenden Meistern folgend, emporstiegen. –
„Bei meiner Kindheit Bäumen.“
„Die Deutschen gehen überall von Grundsätzen aus, und ist ein Fettflecken vom Rockärmel wegzubringen, so studiren sie die Chemie vorher und studiren so lange und so gründlich, bis der Rock darüber in Lumpen zerfällt.“ Dieser bekannt sarkastische Ausruf Börne’s über das Unpraktische im deutschen Nationalcharakter mochte wohl zu seiner Zeit recht passen, in unseren Tagen findet er jedoch glücklicher Weise nicht ganz mehr seine Bestätigung; vielmehr streift Deutschland von Jahr zu Jahr alles Unpraktische von sich und wirft allen unnützen Gefühlstaumel, alle überschwenglichen Träumereien als unnützen Ballast über Bord. Es ist praktischer geworden, das zeigt uns auch die Thatsache, daß es seine Dichter nicht mehr wie vordem vor lauter Sentimentalität verhungern läßt, sondern rüstig zugreift, wo es zu helfen gilt, den sterblichen Leib seiner unsterblichen Poeten zu erquicken.
Ein frischerer lebendiger Hauch zieht durch unser ganzes Vaterland; wer mag das leugnen? Ja,
Der Knospe Deutschland auch,
Gott sei gepriesen!
Regt sich’s im Schooß!
Dies Wort, in unserem Sinne betrachtet, hat sich eben jetzt in seiner schönsten Bedeutung bei dem Dichter dieser Zeilen, Ferdinand Freiligrath, selbst erfüllt. Kaum wurde Kunde von der Bedrängniß desselben, kaum brachte die „Gartenlaube“ das zündende Wort, eine Volksdotation für den alternden Dichter vorzubereiten, als sich’s an allen Orten und Enden regte, beizusteuern auf den Altar des Vaterlandes. Mit freudiger Genugthuung kann Deutschland auf dies in kurzer Frist erreichte Resultat hinblicken, wodurch es möglich werden wird, einem seiner besten Söhne und seinem Lieblinge den Lebensabend heiter und golden auszuschmücken.
Und weil nun die „Gartenlaube“, getreu ihrer nationalen Tendenz, stets einen so innigen Antheil an den Schicksalen dieses unseres Dichters genommen und manches Lebenszeichen von demselben dem deutschen Volke mitgetheilt hat, glauben wir uns auch der Hoffnung hingeben zu dürfen, daß es für den Leserkreis derselben gewiß von Interesse sein würde, das Geburtshaus Ferdinand Freiligrath’s (jetzt als Kaufmannshaus dienend) im Bilde zu schauen, welches nach einer im Laufe dieses Sommers aufgenommenen Photographie getreu copirt ist.
Freiligrath wurde bekanntlich am 10. Juni 1810 zu Detmold (am Fuße des Teutoburger Waldes) geboren, nahe der classischen Stätte, wo Hermann die übermüthigen römischen Legionen vernichtete. Unter dem Lindenbaume vor dem Hause erblickt man südwärts die Kuppel des Hermann-Denkmals; in der nächsten Nachbarschaft, einige Häuser weiter links, ist des Dichters Grabbe Wohn- und Sterbehaus.
Vielleicht aber auch, und wir wollen es hoffen, gewährt es dem alternden, an Englands nebelige Küste gebannten Dichter eine Herzensfreude, die Stätte einmal wieder zu erblicken, wo seine Wiege stand, wo der Mund des Kindes den ersten süßen Vater- und Mutternamen lallte und der heranwachsende Knabe unter dem grünen Lindenbaume sich tummelte, jenes Asyl der Heimath, von der er selbst in seinem „Ausgewanderten Dichter“ singt:
Ich lag heut’ Nacht in süßen stillen Träumen
Von meiner Heimath und von meinen Lieben,
Ich wandelte bei meiner Kindheit Bäumen,
Wo ich wohl wünschte, daß sie mich begrüben.
[158]
Aus Deutschlands trüber Zeit. Wenn auch der Bau deutscher Einheit noch lange nicht vollendet ist, so wird doch nie, wir hoffen es, wieder eine Zeit kommen, wie die der deutschen Erniedrigung von 1806 bis 1813 war, die trübste Zeit, die Deutschland je erlebt. Aus dieser wollen wir, wie schon Aehnliches in einem früheren Jahrgange dieser Blätter mitgetheilt ist, den Lesern einen Act rohester Vergewaltigung und Zwingherrschaft, durch den corsischen Eroberer an deutschen Söhnen vollzogen, in nachstehenden Zeilen erzählen. Wir bezwecken, mit dieser unserer Darstellung, im Bewußtsein unseres Volkes lebendig zu erhalten das Gedächtniß derer, die ihre kühnen Wagnisse, das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln, mit Verbannung, ja selbst mit dem Tode büßten, wie der Heldenherzog von Braunschweig-Oels, Oberst Dörrnberg und der tapfere Schill.
Ihr und ihrer Mitkämpfer Geschick ist so recht geeignet, sich lebendig zu vergegenwärtigen, wie unter dem härtesten Drucke und dem wachsamsten Auge der Spionage doch noch Männer sich fanden, welche ein Herz hatten für heimische Sitte und für deutsches Recht, die ihren Arm erhoben zum Kampfe für ureignes Wesen und für Selbstständigkeit.
Vor Jahren erzählte die Gartenlaube von dem Morde jener eilf Officiere des Schill’schen Corps in Wesel; diesmal will sie das Niedermetzeln jener vierzehn Braven desselben Corps in Braunschweig am 18., 20. und 22. Juli 1809 darstellen, um das Gedächtniß derselben zu erneuern bei Alt und Jung; denn auch diese, weniger als jene eilf in Wesel Hingeschlachteten bekannt, sind heldenmüthig gestorben als Opfer der Vaterlandsliebe und der Begeisterung für Befreiung des heimathlichen Bodens.
Nach dem unglücklichen Unternehmen des Majors von Schill, bei dem er selbst und viele edle und wackere Kampfgenossen in Stralsund am 31. Mai 1809 den Heldentod gestorben waren, geriethen eilf Officiere und fünfhundertsiebenundfünfzig Gemeine und Unteroffiziere dieses Corps in französische Gefangenschaft, und wenn diese Unglücklichen gewußt haben, wie die corsische Rache glühte, wie sie in Deutschland nach Niederwerfung Oesterreichs und Preußens so manchen wehrlosen Bürger um seiner natürlichen Vaterlandsliebe willen niederschmetterte, so durften sie als Männer, welche die Waffen gegen den Zwingherrn geführt hatten, nur das Schlimmste erwarten. Schon auf dem Kampfplatze hatte man den Ueberwundenen die gegen Wind und Wetter nöthigen Kleider vom Leibe gerissen, ohne sie durch andere zu ersetzen. Sodann schaffte man sie nach Braunschweig fast auf demselben Wege, auf dem sie von Berlin über Halle, durch die Altmark und Mecklenburg bis Stralsund gezogen waren. Am 17. Juni 1809 trafen sie in Braunschweig ein. Nach langem Harren wurden die Unglücklichen im alten Zeughause, in der Moosthausreitbahn und in den leeren Gefängnißräumen des Augustthores untergebracht. Das Schicksal dieser armen Gefangenen war ein hartes und wäre ohne die Milde der guten Braunschweiger ein sehr hartes gewesen.
Am 23. Juni ging auf Anweisung des westphälischen Kriegsministers der Transport der Gefangenen auf der Straße nach Mainz zu, ohne Zweifel, damit sie in irgend einem französischen Bagno den Galeerensclaven beigesellt würden. Nur vierzehn, innerhalb der Grenzen des Königreiches Westphalen geborne Leute, die mit den Waffen in der Hand zu Stralsund gefangen genommen waren, hielt man zurück, um sie als Landesverräther – ja, als Vaterlandsfeinde vor ein Kriegsgericht zu stellen. Der Divisionsgeneral Heldring, die Majore Schmidt, de Roi, Stutzer, der Capitän am Ende, die Lieutenants Gesner und Seidel waren die Männer, denen der traurige Auftrag wurde, diese Unglücklichen zu verurtheilen. Man war darüber keineswegs in Zweifel, daß das Loos der vierzehn Zurückbehaltenen der Tod sein werde, denn die Rache forderte Blut, selbst da, wo kein Schlachtenruf das Morden gebot und privilegirte.
Am 17. Juli, also gerade vier Wochen nach Ankunft der Gefangenen in Braunschweig, traten die obengenannten Officiere zum Kriegsgerichte zusammen, um die endgültige Entscheidung über das Geschick der vierzehn Delinquenten abzugeben. Sicherlich war inzwischen höheren Ortes Information eingegangen, wie man mit den Inhaftirten zu verfahren habe; denn dergleichen Dinge pflegten nicht ohne kaiserliche Instruction abgethan zu werden und im Königreich Westphalen mögen dergleichen Instructionen wohl in dem Sinne ausgefallen sein, wie sie der größere Bruder dem kleineren zu geben pflegt, wenn dieser als Mithelfer an des ersteren Karren schiebt.
Es waren folgende Unterofficiere und Gemeine, über die man zu Gericht saß: 1. August Sommerstange aus Halberstadt, sechsundzwanzig Jahr alt; 2. Gottlieb Krummhaar aus Erxleben, siebenundvierzig Jahre alt; 3. Christian Rüp aus Obernkirchen im Hessischen, achtundzwanzig Jahre alt; 4. Christian Mühlberg aus Niedererxleben, sechsundzwanzig Jahre alt; 5. Wilhelm Weidkamp aus Gellenbeck im Hannöverschen, sechsundzwanzig Jahre alt; 6. Arnold Köhler aus Heden im Hannöverschen, dreißig Jahre alt; 7. Johann Schlosser aus Stade, neunundzwanzig Jahre alt; 8. Heinrich Otto Steinmann aus Herford, fünfundzwanzig Jahre alt; 9. Jacob Grabau aus Lemsdorf bei Magdeburg, dreiundzwanzig Jahre alt; 10. Johann Heinrich Christoph Althof aus Heiligengosseck, sechsundzwanzig Jahre alt; 11. Heinrich Jeneke aus Egeln, sechsundzwanzig Jahre alt; 12. Friedrich Bandau aus Benstedt bei Halle, einundvierzig Jahre alt; 13. Johann Jacob Zöllner aus Halle, dreiundzwanzig Jahre alt; 14. Lenz aus der Elbgegend.
Fünf der Angeklagten erklärten, daß sie schon seit längerer Zeit in der Freischaar des Major v. Schill gegen die Franzosen und ihre Verbündeten gedient hätten; die neun anderen bekannten, daß sie am 5. Mai im ersten westphälischen Linienregimente dienend gefangen genommen und daraus in die Freischaar eingetreten seien. Liebe zum Vaterlande und der Ruf des Majors v. Schill und seiner Braven haben ihren Zutritt bewirkt, und gäbe es für sie keine Gnade, so würden sie auch als Männer und Soldaten zu sterben wissen. Es gab also noch Männerherzen, auch in den unteren Schichten des Volkes, die für Wahlverwandtschaft mit den Vaterlandsfreunden schlugen und die in dem Bewußtsein oder wenigstens doch in dem lebhaften Gefühle, der gerechten Sache mit aufopfernder Liebe und Hingebung gedient zu haben, dem Tode festen Schrittes entgegengingen.
Das Kriegsgericht verurtheilte alle vierzehn Braven als Mitglieder der Schill’schen Bande, die mit den Waffen in der Hand ergriffen wären, zum Tode. Nur der Major Stutzer hatte den Muth, diesem im französisch-westphälischen Sinne ausgesprochenen Todesurtheile seine Zustimmung zu versagen.
Neben den Sandgruben und Erdhügeln bei St. Leonhard, einem nahe der Stadt gelegenen Kammergute, sollten die Verurtheilten durch Pulver und Blei aus dieser Welt befördert werden, und damit das Beispiel durch Wiederholung um so tiefer wirke, war die Vollstreckung des Todesurtheiles auf die drei Tage, den 18., 20. und 22. Juli vertheilt. Am 18. sollten sieben, am 20. vier und am 22. drei sterben. Und so geschah es auch. Unter Vortritt von westphälischem Militär wurden die Schlachtopfer zum Augustthore hinausgeführt. Mannschaft vom ersten westphälischen Linienregimente, bei dem die Mehrzahl der Hinzurichtenden einst gedient hatte, war zur blutigen Execution beordert; theilnehmend und tief ergriffen von dem Geschick der Braven, folgte in dichtem Gedränge die Menge des Volkes. Festen Schrittes gingen die Schill’schen Freischärler, die ja oft schon dem Tode in’s Angesicht geschaut hatten, den sie erwartenden Kugeln entgegen. Einige rauchten auf ihrem letzten Gange noch ihre Pfeife, unter Anderen der stattliche Wachtmeister Bandau, dem man den Dolman des zweiten brandenburgischen Husarenregimentes, dem er einst angehört hatte, gelassen hatte.
„Wir fochten,“ sprach er, „als brave Soldaten; gleich ist es für uns, ob wir hier oder in der Schlacht fallen, ehrenvoll sterben wir immer.“ Solche Worte machten auch die weniger Beherzten muthig und hielten sie aufrecht, bis die bleiernen Würfel knatternd aus den Flintenläufen rollten. Auf jeden Mann waren sechs Kugeln gerechnet, zwei auf den Kopf und vier auf die Brust, dazu die Schützen kaum zehn Schritte weit von den Opfern aufgestellt. Man befahl den Verurtheilten, niederzuknieen und sich die Augen verbinden zu lassen. Die Meisten verschmähten dies, sie waren muthig bis zum letzten Augenblicke. Bandau reichte seine Pfeife einem nahestehenden, lautschluchzenden Mädchen, zwei anderen der Anwesenden ein seidenes Tuch und seine noch nicht völlig geleerte Börse.
Kaum hatte er sich seiner letzten irdischen Habe entäußert und war mit seinen Unglücksgefährten in Reih und Glied getreten, so erfolgte der Mordruf: „Feuer!“ Es blitzte, und im Augenblicke schlugen zweiundvierzig Kugeln auf die sieben Opfer und streckten sie zu Boden. Aber der kräftige Bandau rang noch unter Zuckungen mit dem Tode. Schreckliches Schauspiel! Schreckliche Zeit, die Zeit des Wahnes, daß der Kriegszweck alle noch so verabscheuungswürdigen Mittel zur Befriedigung der Eroberungs-, Ruhm- und Herrschsucht heilige!
Für diese Sieben gab es kein Aufrichten mehr. Die Zweiundvierzig hatten zum zweiten Male geladen, schritten nunmehr dicht bis an die Opfer heran, setzten denen, die noch Spuren des Lebens zeigten, die Gewehrläufe vor die Stirn und vollendeten so den befohlenen Mord, daß das Hirn der Unglücklichen ihnen das Antlitz bespritzte. Derselbe Auftritt wiederholte sich innerhalb fünf Tagen drei Mal, genug, um Allen, die es sahen oder davon hörten und noch ein deutsches Herz in der Brust trugen, unauslöschlichen Abscheu gegen die Urheber solcher Gräuel einzuflößen. Und doch waren diese Tapfern, die dem Würgengel jener Tage erlagen, am Ende noch weniger zu beklagen, als ihre Cameraden, die in irgend einem Bagno als Galeerensclaven schmachteten.
Die Zeit, welche immer kälter an der Schmerzensstätte vergangener Tage vorübergeht, hatte nach und nach auch in St. Leonhard den Boden so verflacht, daß die Zeitgenossen die Stätte französischer Barbarei nicht mehr wiederfanden und die Nachgeborenen darüber hingingen, ohne zu wissen, was einst hier geschehen. Im Jahre 1835 war von dem Richtplatze in St. Leonhard soviel Sand abgetragen, daß die Gebeine der Erschossenen theilweise bloßgelegt waren. Da waren es drei Männer, der Fabrikant Wehl, der Pastor Witling und der Domainenpächter Oppermann, die auf die Ehrenschuld, welche man jenen Braven abzutragen habe, aufmerksam machten. Die Gebeine wurden vorläufig aufgehoben und bewahrt, bis im August 1836, besonders durch die lebhafte Betheiligung der Braunschweiger, ein Denkmal an der Schädelstätte in würdiger Ausstattung zu Stande kam, das die Aufmerksamkeit des Wanderers, der heute noch dort vorüberschreitet, auf sich lenkt. Jetzt, wo die Zahl der Mitkämpfer jener Unglücklichen wohl fast ganz erloschen sein mag, ist es Pflicht, so viel als möglich das Andenken an jene Edlen als hehre Beispiele echter Vaterlandsliebe bei der Nachwelt lebendig zu erhalten.
Die Fabrikanten dramatischer Erzeugnisse in Paris. Die Mitarbeiterschaft bei den Productionen dramatischer Erzeugnisse ist nicht anderes als eine Theilung der Arbeit, wie sie in den Fabriken stattfindet. Man weiß, daß die Theilung der Arbeit eine große Schnelligkeit in der Hervorbringung der Fabrikate dadurch bewirkt, daß jeder Arbeiter eine gewisse Virtuosität in dem von ihm bearbeiteten Zweige erlangt. Wer in einer Uhrenfabrik zwanzig Jahre hindurch ausschließlich Zifferblätter malt, oder in einer Stecknadelfabrik während eines Menschenalters blos Köpfe zu den Stecknadeln dreht, muß doch am Ende eine außerordentliche mechanische Fertigkeit erlangen. Nun, so verhält es sich gerade mit den meisten Stücken, die jetzt in Paris fabriziert werden.
Die Hauptstadt Frankreichs zählt an drei Dutzend Theater, die jeden Abend die Schaulust des Publicums befriedigen müssen. Da nun jedes [159] dieser Theater im Durchschnitt allabendlich drei Stücke aufführt und die Neugierde des Publicums schnell übersättigt wird, so ist es gar nicht auffallend, daß die Pariser Schaubühnen jährlich weit mehr als hundert Stücke verbrauchen, besonders wenn man erwägt, daß von diesen gar viele mehr oder minder Fiasco machen. Eine große Anzahl dieser Bühnenerzeugnisse gehört zu den Gelegenheitsstücken, pièces d’actualité oder pièces de circonstance, Stücke, die sich auf gewisse Zustände der Gegenwart beziehen, oder ein bedeutendes Tagesereignis;, einen merkwürdigen Vorfall behandeln. Ihr Erfolg hängt natürlich von der Geschwindigkeit ab, mit welcher sie dem Ereignis;, dem Vorfalle folgen; denn in Paris veraltet Alles sehr schnell und nirgendwo ist die Gegenwart so kurzlebig wie hier. Auch ist die Neugierde der Franzosen weniger hungrig als genäschig. Um sie zu befriedigen, darf man nicht viel, muß man vielerlei bringen.
Sprechen wir nun von der Art und Weise, wie ein solches von mehren Vätern in die Welt gesetztes Stück zu entstehen pflegt.
Da ist z. B. ein junger Mann, der kaum das College verlassen und sich zum dramatischen Dichter heranbilden will. Er hat eine frische, lebendige Einbildungskraft; er besitzt viel Erfindungsgabe und es fehlt ihm auch nicht an poetischem Gefühl. Dies Alles hat er benutzt, um ein Stück zu schreiben, das sehr reich an gelungenen Stellen ist, das sich aber entweder zur Aufführung gar nicht eignet, oder bei der ersten Aufführung jämmerlich durchfallen würde und zwar deshalb, weil der Dialog bald zu schleppend, bald zu abgebrochen, weil die Scenen nicht schnell auf einander folgen und auch nicht wirkungsreich genug sind, kurz weil der junge Autor die Ansprüche des Publicums nicht genau kennt. Er wendet sich an einen bühnengewandten Schriftsteller, und dieser stutzt nun das dramatische Kind, das so unbeholfen aussieht, mit großer Geschicklichkeit für die Bretter zu. Er frisirt es, er parfümirt es, er zieht ihm effectmachende Kleider an und legt ihm mehre Dutzend Schlagwörter in den Mund. Das Kind hat auf diese Weise zwei Väter bekommen, die auf dem Theaterzettel genannt werden und sich in die Tantième theilen. Beide fahren nun fort, mit einander zu arbeiten. Der junge Poet erfindet die Handlung, während der Andere sie in Scene setzt. Oft wird noch ein Dritter nöthig. In den Vaudevilles nämlich genügen die Handlung und der Dialog allein durchaus nicht; es müssen noch die Couplets angebracht werden, jene kurzen, epigrammatisch zugespitzten Lieder, welche die einzelnen Scenen einleiten und schließen und gleichsam die gereimten Knalleffecte des Stückes bilden. Der Dritte nun, der diese Knalleffecte liefert, wird natürlich ebenfalls als Vater auf dem Zettel genannt und bekommt für sein Drittel Vaterschaft den dritten Theil der Lorbeeren, oder, was noch wichtiger ist, den dritten Theil der Tantième.
Es giebt in Paris viele dramatische Schriftsteller, die niemals ein ganzes Stück, sondern immer nur einen Bruchtheil eines solchen geschaffen; ja, mancher Meister seines Faches, der schon unzählige Stücke geschrieben, bedient sich der Mitarbeiter, blos um schneller fertig zu werden. Wie ein Schneidermeister hat er seine Gesellen. Er schneidet das Stück zu, während diese es zusammenstutzen, aufputzen und mit Schnörkeln versehen.
Der Vater dieses Collaborationssystems war Eugène Scribe. Er, der nicht weniger Stücke auf die Bühne gebracht als das Jahr Tage zählt, dem seine leicht geschürzte dramatische Muse ein Vermögen von mehreren Millionen erworben und der in manchen Jahren zweimal hunderttausend Franken an Tantièmen eingenommen; er, der glücklichste, reichste und fruchtbarste aller Vaudevillendichter, hat sein erstes Stück gemeinschaftlich mit seinem Freunde Germain Delavigne geschrieben. Dieses erste Stück hieß „Le Dervis“ und ging im September 1811 über die Bretter. Zu vielen seiner andern Stücke machte ihm Casimir Delavigue die Couplets, und als er, Eugène Scribe nämlich, der Liebling des Publicums wurde, etablirte er eine Vaudevillefabrik und beschäftigte stets mehrere Dutzend Mitarbeiter. Die Einen brachten ihm Pläne zu Stücken, die er ausarbeitete; Andere hatten ausgearbeitete Stücke, welche er umgestaltete, um sie effectreicher zu machen; wiederum Andere brachten ihm mehrere Dutzend Couplets, mit denen er einige neue Machwerke spickte, und dann gab es auch Einige, die ihm pikante Anekdoten und Schlagwörter lieferten. Auf diese Weise waren die Maschinen in genannter dramatischen Kunstwaarenfabrik in Bewegung.
Scribe’s Erfolg verlockte später sogar wahrhaft poetische Talente diesem Fabrikationssystem zu huldigen. So hat Emile Augier in Gemeinschaft mit Jules Sandeau „Le gendre de Monsieur Poirier“ und mit Foussier „Les Lionnes pauvres“ geschrieben. Alexander Dumas Sohn hat seine dramatische Laufbahn ebenfalls mit einem Associé begonnen. Sein erstes Stück, „La Dame aux Camélias“, das sich eines so großen Erfolges erfreute, hat der Mitarbeiterschaft Antony Béraud’s sein Entstehen zu verdanken. Dieser wird zwar niemals auf dem Zettel genannt; er theilt jedoch mit Dumas Sohn die Tantième. Der jüngere Dumas hat sich übrigens gleich nach der Aufführung des genannten Stückes vorgenommen, künftig auf eigene Faust zu arbeiten, und ist bisher seinem Vorsätze treu geblieben.
Das System der Mitarbeiterschaft gereicht unstreitig der dramatischen Literatur Frankreichs zum Verderben. Von wahren Kunstwerken kann da niemals die Rede sein. Wo die innere poetische Nöthigung fehlt, ist keine Kunstschöpfung möglich. Den Pariser Autoren, welche die Pariser Theater mit Dramen und Vaudevilles überschwemmen, ist die Muse keine Göttin, deren Gunst man inbrünstig erfleht, sondern eine Magd, die man für allerlei Dienste gebraucht. Sie sind nicht der Ansicht unsers Klopstock, daß Unsterblichkeit ein schöner Gedanke sei; sie wollen Geld verdienen und scheeren sich wenig um die Unsterblichkeit. Daher kommt es dann, daß von den vielen tausend Stücken, die seit einem Menschenalter über die Pariser Bühnen gegangen, vielleicht kein einziges das letzte Decennium dieses Jahrhunderts erleben wird.
Die Operntextfabrikation wird noch mechanischer betrieben. Hier gilt es vor Allem, Romane oder dramatische Werke aufzutreiben, die ein Gemeingut des Publicums geworden, deren Autoren nämlich längst gestorben, oder, wenn sie noch leben, kein Autorenrecht beanspruchen können. Die Textmachermeister begeben sich an die Arbeit. Der Eine schneidert die Handlung zu, der Andere schmiedet die Verse nach den Bedürfnissen des Componisten, und wenn die Oper zur Aufführung kommt, theilt das Kleeblatt den Gewinn. Es versteht sich von selbst, das; besonders die Meister aller Literatur stark herhalten müssen. Seit einem Jahre sind in Paris vier Opern zur Aufführung gelangt, zu denen die Textbücher englischen und deutschen Werken entnommen sind. Schiller’s Don Carlos, von Méry und De Locle bearbeitet und von Verdi in Musik gesetzt; Mignon, nach Wilhelm Meister von Barbier und Carré ziemlich geschickt verarbeitet und von Ambroise Thomas componirt; Romeo und Julie, ebenfalls von Barbier und Carré in ein Textbuch zusammengestutzt und von Gounod componirt, und endlich „La jolie Fille de Perth“, nach dem bekannten Walter Scott’schen Roman von Adenis allein bearbeitet und von dem jungen Bizet mit Talent in Musik gesetzt. Shakespeare, Goethe und Schiller werden jetzt als sehr ergiebige Fundgruben von den Pariser Textschreibern ausgebeutet, und man braucht nicht erst zu bemerken, daß dieselben in den meisten Fällen mit diesen Texten mehr gewinnen, als die Originaldichter mit ihren Werken gewonnen haben.
Eine Sängerfahrt über den Ocean. Mögen die deutschen Sänger
einstweilen ihre Bündel schnüren und den Muth zu einem kühnen Unternehmen
in sich reifen lassen; es ist für sie Aussicht zu einer Fahrt vorhanden,
zu einer so fröhlichen, wahrhaft poetischen und vielfach bedeutsamen
Sängerfahrt, wie sie unser bisheriger deutscher Festkalender noch nicht aufzuweisen
hat.
In der großen amerikanischen Stadt Chicago, wo bekanntlich sehr viele Deutsche wohnen, wird im Juli d. J. das sechszehnte Sängerfest des nordamerikanischen (deutschen) Sängerbundes begangen werden, und mit regstem Eifer trifft das dortige Central-Comité des genannten Bundes bereits alle Veranstaltungen zu einer der Bedeutung des Festes entsprechenden nöglichst großartigen und fröhlichen Feier. Wer Amerika irgend kennt, der weiß auch, wie imposant und begeisterungsvoll dort solche Kundgebungen in’s Werk gesetzt werden. Alle amerikanischen Gesangvereine haben ihre zahlreiche Betheiligung zugesagt, und selbst die deutschen Sänger des fernen Californien werden die Wanderung durch endlose Prairien und über schneebedeckte Felsengebirge nicht scheuen, um bei dem großen Bruderfeste zu erscheinen. Jemehr aber dieses Fest von unseren Landsleuten in Amerika als „ein Hohes Weiheopfer“ betrachtet wird, „das dem deutschen Geiste in fremdem Lande gebracht werden soll“, um so weniger können sie sich mit dem Gedanken befreunden, dabei ein wichtiges Element nicht vertreten zu sehen: die deutschen Sangesbrüder aus der geliebten alten Heimath. Im Auftrage des Centralcomites in Chicago hat daher der correspondirende Secrctär desselben, Emil Dietzsch, am 5. Januar eine ernstgemeinte, durch ihre Herzlichkeit fast ergreifende Bitte um Betheiligung, resp. um Absendung von Vertretern an die deutschen Gesangvereine, zunächst an die in Hamburg, Bremen und Köln gerichtet. Wie sehr es dem Comité Ernst mit dieser Einladung ist, zeigen die bereits von ihm mit den Dampfschiffgesellschaften eingeleiteten Unterhandlungen, um für diejenigen Sänger, welche aus Deutschland hinübergehen wollen, die Kosten der Reise auf ein Geringes herabzusetzen.
Geld und Zeit werden freilich, trotz Allem, dazu nöthig sein; aber es giebt sicher in unseren Gesangvereinen eine nicht geringe Zahl von unabhängigen Männern, welche ohne Hinderniß diesem freundlichen Rufe folgen können. Die Einladung erinnert daran, daß sich ja deutsche Amerikaner in Menge zu dem nationalen Schützenfeste in Bremen eingefunden haben, daß ja deutsche Sänger nach London, ja, nach Lille gegangen sind. „Darum auf, ihr Sänger,“ so lautet die Aufforderung, „zaget nicht, entrollt euere Fahnen und ziehet gen Westen! Mit offenen Armen und alter deutscher Gastfreundschaft wollen wir euch empfangen und euch froh in’s hiesige deutsche Geistesleben einführen, auf daß ihr nachher zu Hause erzählen könnt: Auch über dem Ocean wohnen Männer, deren Herz noch schlägt für gute deutsche Sitte und das alte theure Vaterland"“
Sechshundert Berufsarten für Frauen. Daß es dringend nothwendig sei, den weiblichen Erwerb in neue Bahnen zu lenken, ihm eine über seine bisherigen Grenzen hinausgreifende Erweiterung zu geben, ist wohl jetzt von allen einsichtsvollen Menschen anerkannt. Leider aber befindet sich die für das Gesammtwohl so überaus wichtige Angelegenheit noch immer auf dem Punkte der Erörterung und Vorberathung? Unterdeß sind nach wie vor Millionen von Frauen und Mädchen der gebildeten und minder gebildeten Stände auf ihre, ja oft auf ihrer Familie gänzliche Erhaltung durch eigene Arbeit oder doch wenigstens auf eine lohnende Nebenbeschäftigung angewiesen, meistens ohne zu wissen, was sie, die herkömmlichen traurigen Berufsarten abgerechnet, ihren Fähigkeiten und Verhältnissen Angemessenes ergreifen könnten. Im Eifer der Debatten über die große Frage, in dem lobenswerthen Bestreben, eine umfassende Reform der weiblichen Thätigkeit für die Zukunft anzubahnen, hat man es bis jetzt dem gegenwärtig lebenden Geschlecht an praktischen Winken und Nachweisungen zur Verbesserung seiner Lage fehlen lassen. Hier aber ist guter Rath nothwendiger und segensreicher als auf irgend einem anderen Gebiete unseres Lebens, und solcher guter Rath scheint uns reichlich in einem Werke enthalten zu sein, das neuerdings unter dem Titel „die Frauen-Arbeit“ von dem Schriftsteller A. Daul in Altona (bei J. F. Hammerich daselbst) herausgegeben wird. Das von den Frauen-Vereinen und sonstigen Autoritäten bereits warm empfohlene Buch erscheint in monatlichen Lieferungen von sechs bis acht Bogen zu je sieben und einem halben Groschen und wird nach seiner Vollendung ein wahres Lexikon der Frauen-Arbeit sein, indem darin nicht weniger als sechshundert verschiedene Berufs- und Erwerbsarten für Frauen aufgezählt und ausführlich beschrieben werden. Es ist zu wünschen, daß ein so durchaus zeitgemäßes Unternehmen die verdiente Verbreitung in denjenigen Kreisen findet, denen es in der That die mannigfachste Anregung und Belehrung in Bezug auf eine oft sehr verhängnisvolle Lebens- und Familienfrage zu bieten vermag.
[160] Auber, der Jüngling von siebenundachtzig Jahren, macht in diesem Augenblicke wieder viel von sich reden. Seine Oper Le premier jour de bonheur (der erste Tag des Glückes), die er voriges Jahr geschrieben, hat einen entschiedenen Beifall, und wenn sie sich auch nicht den allerbesten Schöpfungen des Meisters anreiht, so ist sie doch reich an munteren Melodieen, um die ihn gar mancher Componist beneiden könnte, der noch in der Blüthe des Mannesalters steht. Es ist wohl selten einem Künstler das Glück zu Theil geworden, in einem so Hohen Alter sich der Gunst der Musen zu erfreuen und so viel Begeisterung zu erregen. Auber ist indessen nicht immer auf Rosen gewandelt. Sein erstes Auftreten als Operncomponist war nichts weniger als glänzend. Seine erste Oper, mit der er öffentlich auftrat, hieß Le séjour militaire (Soldatenweilen) und fiel durch. Dieses traurige Ereigniß fand 1813 statt. Auber war bestürzt und da er ohne Mittel war, ernährte er sich schlecht und gerecht als Clavierlehrer. Erst fünf, Jahre nach seiner ersten Niederlage wagte er es, eine andere Oper, Les billets-doux, aufführen zu lassen. Diese „Liebesbriefe“ wurden von dem Publicum mit so entschiedenen Beweisen von Hohn und Unwillen zurückgewiesen, daß der verzweiflungsvolle Componist über Hals und Kopf aus dem Theater stürzte. Leider hatte er das Unglück, in die Hände eines Textdichters zu fallen, der ihn für den miserabelsten Musikanten aus Gottes weiter Erde erklärte. Seine dritte Oper, ich glaube, sie hieß La Bergère chatelaine (die Schloßdame als Schäferin), wurde 1820 gegeben und hatte sich einer sehr günstigen Aufnahme zu erfreuen. Seit jener Zeit, d. h. seit achtundvierzig Jahren, hat Auber eine lange Reihe von Opern geschrieben, die zum größten Theil auf allen Bühnen der Welt aufgeführt werden. Seine Melodieen werden überall gesungen und von unzähligen Orgelkästen abgeleiert.
Auber schreitet noch rasch und lebhaft einher wie ein junger Mann, der ein Rendez-vous nicht versäumen will. Er liebt noch seine Muse und – wie man sagt – noch manche Priesterin derselben. Als echter Franzose hat er eben die Eigenschaft, nicht alt werden zu wollen. Auber ist witzig und geistreich wie seine Musik, und man sieht es seinem Gesichte, besonders seinen schwarzen sehr feurigen Augen deutlich an, daß er ein Mann ist, der eine passende Antwort auf eine unpassende Frage zu geben weiß. Manches Scherzwort, das er in Gesellschaft hingeworfen, hat die Runde durch die Pariser Salons gemacht, und wer ihn kennt, weiß recht gut, daß er mit der Geißel der Satire nicht blos zu knallen, sondern auch zu treffen weiß. Auber sucht wie Goethe jede Aufregung zu vermeiden und hütet sich vor erschütternden Eindrücken. Er steht jeden Morgen um fünf Uhr auf und begiebt sich sogleich an die Arbeit. Bis zum Diner, bis sechs Uhr Abends, bleibt er fast nüchtern; hingegen greift er beim Diner, das er gewöhnlich im Café Anglais mit einigen Freunden oder Freundinnen einnimmt, tüchtig zu. Dann besucht er die Theater und geht niemals vor, meistens aber nach Mitternacht nach Hause. Wann schläft er aber? Er behauptet, beim Componiren. Nach der Vorstellung seiner jüngsten Oper – der vierzigsten, die er geschrieben – soll er seufzend gerufen haben: „Dieses Werk ist mein letztes Wort!“ Das ist aber nicht wahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist es, daß er bereits mit einem Textdichter wegen eines neuen Libretto unterhandelt, welches er im Laufe dieses Jahres in Musik setzen will.
Kosciuszko. Um eines großen Todten willen gestatten Sie mir die
Berichtigung der Angabe, die in dem Aufsatze: „Der ,alte Feldherr’ in
Solothurn“ enthalten ist, daß Kosciuszko bei Maciejowice mit den Worten
vom Pferde gesunken sei: „Finis Poloniae!“
Kosciuszko selbst hat sich einst durch einen Brief mit Entrüstung dagegen verwahrt, diese Aeußerung je gethan zu haben. Er betrachtete es als ein Vergehen an der Zukunft seines Volkes, auf diese Weise das Leben der Nation von dem Leben eines Einzelnen abhängig machen zu wollen.
Die Vermuthung liegt nahe, daß das „Finis Poloniae!“ (das geschichtlich eben so unwahr ist, wie das berühmte: „La Garde muert, mais elle ne se rend pas!“) ursprünglich von moskowitischer Seite in Umlauf gesetzt worden ist, um die Niederhaltung und Verrufung[WS 3] Polens zu erleichtern. Dem russischen Interesse mußte es jedenfalls dienen, die Wiederherstellung der polnischen Unabhängigkeit durch ihren berühmtesten Vorkämpfer als eine unmögliche, von nun an auf immer hoffnungslose Sache bezeichnet zu sehen. Kein Wunder, daß Kosciuszko sich mit Unwillen gegen die ihm zugeschriebene Aeußerung wandte! Sie ist nichtsdestoweniger seither oft genug wiederholt worden, und zwar unwissentlich von Freunden Polens. „Eine Unwahrheit, einmal in die Welt gesetzt, ist nicht wieder auszurotten,“ sagte Napoleon der Erste. Er verstand sich auf die Sache. Er selbst fälschte nämlich, bei Beginn des russischen Feldzuges, einen angeblichen Aufruf Kosciuszko’s, wovon dieser nicht ein Wort geschrieben hatte. Vergebens suchte der polnische Führer einen Widerruf zu erlangen; der Pariser „Moniteur“ – schon damals ein Menteur Universel – verweigerte die Aufnahme des Kosciuszko’schen Briefes.
Kleiner Briefkasten.
L. K. in N. Unter den vielen über beregten Gegenstand erschienenen Büchern können wir Ihnen Heinrich Gruner’s „Monatsgärtner“ (1 Thlr.) und desselben „Praktischer Blumengärtner“ (15/6 Thlr.), beide in achter Auflage, von C. F. Förster bearbeitet und bei S. T. Möller in Leipzig erschienen, ganz besonders empfehlen. Das erstere bietet eine umfassende Anleitung zu allen monatlichen Arbeiten im Gemüse- und Obst- wie im Blumengarten, während das letztere sich in klarer und umfassender Weise mit der Zierpflanzenzucht beschäftigt. Beides sind, wie auch der Erfolg beweist, gute und praktische Bücher.
Opferstock für Ostpreußen.
Es gingen wieder ein: Von einer Leserin der Gartenlaube in Hüfingen 3 Thlr.; aus Wehden 2 Thlr.; Hoeppner auf Heeselicht bei Stolpen 2 Thlr.; aus Keil’s Garten in Leipzig 5 Thlr. 121/2 Sgr.; A. B. in Dortmund 2 Thlr.; Reußner in Ober-Cunnersdorf 1 Thlr.; von Mitgliedern des Allgemeinen Turnvereins in Annaberg 5 Thlr.; aus Jena 2 Thlr.; T. S. in Pulsnitz 1 Thlr.; ein Leser der Gartenlaube in Siegen 1 Thlr.; F. H. in Burgstädt 5 Thlr.; S. in Düllwitz 5 Thlr.; P. S. in Prag 5 Thlr.; Casse eines Damen-Lesekränzchen in Eisenach 4 Thlr. 15 Sgr.; Handmann in London (5 Pfd. St.) 34 Thlr.; R. aus Lohr 1 Thlr.; Timm in Baartz 1 Thlr.; A. G. in Plauen 10 Thlr.; Abendgesellschaft in Roßberg 3 Thlr. 4 Sgr. 3 Pfge.; A. St. in Waltershausen 1 Thlr. 10 Sgr.; Müllergeselle S. K. in St. 3 Thlr.; J. P. Maurizio in Vicosoprano (Schweiz) 5 Thlr.; G. A. in Mailand 10 Thlr. 15 Sgr.; H. L. in Gräfenhainichen 10 Sgr.; Th. S. in Gera 1 Thlr.; D. in Roßleben 1 Thlr.; Ronnefeldt in Frankfurt a. M. 4 Thlr.; Haueisen in Renningen 1 Thlr.; Eisenbahnbeamten-Leseverein in Greifswald 5 Thlr.; Hüne in Kl.-Lafferde 4 Thlr.; aus Markneukirchen 1 Thlr.; Strafpfennige und Sammelbüchse aus dem Pensionat von Fräulein Franz in Naumburg a. S. 2 Thlr. 3 Sgr.; aus der Sparcasse einer Verstorbenen in Münster 1 Thlr.; von einer Frau aus Dürrenberg, die bei der von Damen daselbst veranstalteten Sammlung übergangen worden ist, 2 Thlr.; Ungenannt in Freiburg 10 fl. rhein.; St. und T. ans Tann a. R. 4 Thlr.; Bock in Ober-Schöbling 2 Thlr.; Gretchen Horn in Dresden 2 Thlr.; Ungenannt 10 Sgr.; einige Verehrerinnen der Gartenlaube 2 Thlr.; Mittwochsgesellschaft in den drei Lilien in Reudnitz 3 Thlr.; Kegelgesellschaft Bleibe in Reudnitz 3 Thlr. 10 Sgr. (durch Dr. Hofmann); Ed. und Joh. in London 10 Thlr.; Th. F. in Weißenburg 2 fl. rhein.; Marie und Anni in Hainichen und Leipzig 1 Thlr. 10 Sgr.; E. L. in Leipzig 5 Thlr.; Leser der Gartenlaube in Belgershain 2 Thlr.; H. und A. 10 Sgr.; A. H. in Eisenach 1 Thlr.; E. W. in Berlin 1 Thlr.; Schnurrig in Bretnig 1 Thlr.; Heitefuß in Flachstädtheim 2 Thlr.; Pietzsch in Altenburg 1 Thlr.; A. F in Hamburg 1 Thlr.; einige Deutsche in Riga 4 Thlr.; K. in Dresden 10 Sgr.; G. Ht. in Altenburg 1 Thlr ; F 1 Thlr. 221/2 Sgr.; aus Gotha 1 Thlr.; Otto in Freiberg 1 Thlr.; Scharwerker Brückner in Forst 1 Thlr. 101/2 Sgr.; Joseph Keil in Rotenhaus 2 Thlr; aus Frankfurt a. M. 1 fl.; ein deutsches Ehepaar in Riga 10 Thlr.; S. aus K. 2 Thlr.; A. K. in Leeuwarden 5 Thlr.; N. N. in Wittenberg 5 Thlr.; Sechste Rate des runden Tisches in der Bahnhofsrestauration in Crimmitzschau 8 Thlr.; H. K. in Annaberg 5 Thlr,; J. M. in Eger 2 Thlr,; L. Blumenau nebst Hausgenossen in Gleschendorf 2 Thlr; ein Mädchen in G. 1 Thlr.; Ulbricht in Zschopau 10 Sgr.; B. S. 1 Thlr. 15 Sgr.; Stieff und Sohn in Carlsbad 5 Thlr.; Sammlung der Gemeinde Schönau bei Leipzig durch Cantor Poßner 12 Thlr. Ertrag einer Auction eines Präparats der drei Gehörknöchelchen auf der Leipziger Anatomie, durch M. R. 4 Thlr.; F. W. S. in Petersburg (25 Rubel) 23 Thlr. 12 Sgr.; Familie Kunze in Paris 2 Thlr.; gesammelt von einigen Mitgliedern der Gesellschaft Erholung in Annaberg 27 Thlr.; Casinogesellschaft in Ober-Osterwitz (meist aus armen Webern bestehend) 3 Thlr.; Dr. B. in Foltitscheni 6 Thlr. 81/2 Sgr.; ein Kränzchen junger Mädchen in Hainichen 3 Thlr. bei der Feier eines Geburtstages in der Whistpartie, gesammelt durch L. in Scharmbeck 7 Thlr.; von einigen Biertrinkern in Paris (durch Haar und Steinert) 60 Frcs. oder 16 Thlr.; von dem Vereine deutscher Buchhandlungsgehülfen „Vagabund“ in Paris 5 Thlr.; E. T. in Triest 1 Thlr.; Pauline Mß.-K., ersparte Eisenbahnfahrt 5 Thlr. 25 Sgr.; Stud. E. F. in Gießen 4 Thlr.; auf einer vergnügten silbernen Hochzeit in Elsfleth 3 Thlr.; der erste gesellige Verein in Grünhainichen 4 Thlr.; am Geburtstag unserer lieben Mutter von F., E. und O. Schreiner in Hamburg 3 Thlr.; Ludwig in Dittersbach 5 Thlr.; an Clara’s Geburtstag 1 Thlr. 5 Sgr.; eine deutsche Familie in Mähren 3 fl. österr.; ein deutscher Burschenschafter in Lemberg 1 fl.; allgem. Gesellenverein in Hermannstadt 17 fl.; Burschenschaft Stiria in Graz 25 fl.; Familie Rahm in Meutern 5 fl.; aus Liebenau in Böhmen 10 fl.; H. R in Pesth 3 fl.; L. R in Wien 6 fl.; R in Kindberg 3 fl.; F. L. in Dresden 50 kr.; K. J. in Petersburg 1 Rubel; von einem glücklichen Paar im fernen Rußland 10 Rubel; der deutsche Arbeiter-Gesangverein Germania in Paris 28 Thlr.; von Professor Stephan Born in Neuchâtel (Schweiz) als Reinertrag einer zum Besten der Nothleidenden gehaltenen Vorlesung 85 Thlr.; Ertrag einer theatralischen Aufführung, durch Studirende der Hochschule in Zürich 3685 Frcs. oder eintausend und ein Thaler, auch 10 Sgr., durch das Comitê, bestehend aus O. Schulze aus Leipzig, R. Hartwig aus Dresden, Litarezek aus Bukarest, Faller aus St. Gallen, Wislicenus aus Halle, Burger aus Ungarn, Leonhardt aus Freiberg, Thomas aus Berlin, Röhrembeck aus Ungarn, Longino aus Ungarn, Deinhard ans Deidesheim. Im Namen der Nothleidenden den wackeren Musensöhnen in der Schweiz, sowie allen übrigen Gebern, für diese reiche Gaben den herzlichsten Dank!
Von dieser reichen Spende sind sofort abgesandt worden: 300 Thlr. Provincial Comité in Königsberg; 150 Thlr. an das Unterstützungs-Comitê für die nothleidenden Arbeiter in Königsberg (Kaufmann Rupp); 400 Thlr. Hrn. John Reitenbach in Gumbinnen (Bürger- und Bauernfreund); 30 Thlr.; an das Unterstützung-Comitê für bedrängte Lehrer (Lehrer Frischbier in Königsberg); 300 Thlr. Hülfsverein für Ostpreußen in Berlin; 60 Thlr. Lehrer Schwarz in Geerlaucken; 50 Thlr. Unterstützungs-Comitê in Roessel; 70 Thlr nach Memel (durch Buchhändler Schnee).
Die an uns gerichteten Separatgesuche haben wir den betreffenden Haupt-Comitês überwiesen.
Inhalt: Ein Wort. Novelle. (Fortsetzung.) – Land und Leute. Nr. 25. Bilder aus dem Schwarzwald. Von Ludwig Steub I.
Das Höllenthal. Mit Illustration. – Eines deutschen Mannes Bild. 1. Aus Leipziger Kreisen. – Im Hause Robert Stephenson’s Von M. M.
Weber. III. – „Bei meiner Kindheit Bäumen.“ Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Aus Deutschlands trüber Zeit. – Die Fabrikanten
dramatischer Erzeugnisse in Paris. – Eine Sängerfahrt über den Ocean - Sechshundert Berufsarten für Frauen. – Auber. – Kosciuszko. – Kleiner
Briefkasten. – Opferstock für Ostpreußen.
- ↑ Ein der Juristenfacultät gehöriger Gebäudecomplex auf der Petersstraße.
- ↑ Bewundern ist wohl hier nicht das rechte Wort. Bei aller Anerkennung
Mathy’s kann und wird die Demokratie diesen der Reaction geleisteten
Dienst niemals vergessen.
D. Red.
- ↑ Alles in Ordnung! Alles geht gut! Guten Morgen!
- ↑ Nämlich die Springflut, die ihrerseits durch die Anziehungskraft des Mondes erregt wird.
- ↑ Stephenson entäußerte sich später des wenig behaglichen Schiffes wieder und bediente sich der früher von ihm benutzten bequemern Yacht zu seinen Reisen.