Die Gartenlaube (1868)/Heft 3

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1868
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[33]

No. 3.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Der Schatz des Kurfürsten.
Historische Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Elise – bleibt, bleibt!“ rief gedämpften Tones der Inspector hinter ihnen, und an sie herantretend fuhr er fort: „Hat Mensing mit Ihnen gesprochen, Wilhelm?“

„Er hat es, Herr Inspector!“

„Und welche Antwort haben Sie ihm gegeben?“

„Die Antwort, die er von mir erwartete. Wenn Sie wünschen, daß Elise thut, wie Mensing will, so werde ich Ihren Schatz fahren – aber ohne sie nicht!“

„Und Du, Elise?“ fragte der Inspector seine Tochter.

Sie umarmte ihn, und ihren Kopf an seine Brust legend, sagte sie: „Ich sehe nur das Eine, daß ich helfen kann, Deinen Kummer und Deine Sorge zu enden!“

„Du bist ein gutes, gutes Kind,“ sagte der Inspector weich, „und Sie, Wilhelm, Sie verdienen Elise nicht zu theuer, wenn Sie sie verdienen durch eine muthige That, bei der Sie das Leben auf’s Spiel setzen …“

„Das weiß ich, Herr Inspector,“ versetzte Wilhelm, „und es freut mich, daß ich die That gefunden habe, durch welche ich sie verdienen kann!“ –

Die Aufgabe, welche dem Inspector zugefallen, war von diesem über Erwarten glücklich gelöst. So zagend und so kleinlaut er die ersten Worte, welche Mensing ihm angegeben, auch fallen lassen, als er mit dem Grafen Boucheporn die Besichtigung des kleinen Lustschlosses zu Schönfeld vorgenommen, so leicht war es ihm geworden, seine Rolle weiter zu spielen. Graf Boucheporn nämlich war mit einer solchen lebhaften Theilnahme und bereitwilligen Gläubigkeit auf das, was ihm Steitz mittheilte, eingegangen, daß dieser nicht zu sorgen brauchte, von ihm durchschaut zu werden – und bereit zu Allem zeigte sich der Graf.

„Ja, ja, Sie haben Recht, Inspector,“ rief er aus, Steitz am Knopfe seines Rockes fassend, „wenn es so ist, so senden Sie das Mädchen weg; es ist das Beste, das Einzige, was Sie thun können; einen königlichen Fourgon dazu sollen Sie haben und ein Laissez-Passer auch – jeden Augenblick können Sie es bekommen …“

„Ich bin gerührt von Ihrer Güte, Herr Graf,“ versetzte der Inspector. „Ihr Rath bestimmt vollends meinen Entschluß! Wenn es nur ganz in der Stille, ohne Aufsehen und Gerede, geschehen könnte! Es müßte Alles dabei gemieden werden, was meine Tochter in den Mund der Leute brächte …“

„Natürlich!“

„Darum,“ fuhr Steitz fort, „müßte die Abreise Nachts geschehen, auch schon deshalb, damit La Croix sie nicht bemerkt!“

„Nachts, gewiß,“ fiel Boucheporn ein, „ich will das dem Stallmeister selbst sagen und schon begreiflich machen!“

„Aber, Herr Graf versprechen mir …“

„Schweigen? Discretion? verlassen Sie sich darauf, lieber Steitz!“

„Sie sind so gnädig für mich, Herr Graf,“ sagte der Inspector, „daß ich wagen möchte, noch Eines hinzuzufügen.“

„Und was ist das? sprechen Sie doch frei heraus, Steitz.“

„Ich wäre der Verschwiegenheit des Stallknechtes, der den Wagen führt, nicht sicher; nur Einer ist unter dem Stallpersonal, welchem ich ganz vertrauen könnte, es ist der Sohn einer Wittwe, einer mir wohlbekannten Frau, er heißt Wilhelm Momberg …“

„Und Sie wünschen, daß dieser Wilhelm Momberg die Ordre bekommt …“

„Es wäre mir außerordentlich erwünscht, wenn er den Fourgon fahren würde … wenn es zu machen wäre, würde es Ihrer Gnade die Krone aufsetzen!“

„Weshalb sollte es nicht zu machen sein? Ich sage Ihnen, ich werde selbst mit dem Stallmeister reden.“

„Und auch ihn um Discretion bitten, Herr Graf?“

„Das versteht sich, verlassen Sie sich auf mich,“ fiel der eifrige Franzose lebhaft ein, „werfen Sie deshalb Ihre übermäßigen Sorgen von sich, ich sehe, Sie sind in gewaltiger Aufregung, alter Herr, die Schweißtropfen stehen Ihnen auf der Stirn, kommen Sie, damit wir sehen, was in den übrigen Zimmern dieses Schlosses zu thun ist, und dann können Sie heimkehren, um Ihrer Tochter zu sagen, daß sie sich reisefertig machen darf.“

Der Graf schritt weiter, Steitz folgte ihm, sich mit seinem Taschentuche die Stirn wischend. Es war dem alten Mann bei den Lügen, die er vorgebracht hatte, entsetzlich heiß geworden.

„Das also ist vortrefflich gelungen!“ sagte Mensing, als ihm der Inspector am Abend den Ausgang berichtete, „Sie haben jetzt nur noch mit Brethauer und Mann zu reden, Steitz!“

„Es soll morgen geschehen,“ antwortete Steitz, dessen Zuversicht und Muth sich wunderbar gehoben hatten nach diesem ersten Erfolge.

Aber freilich, es war mit diesem Gelingen des ersten vorbereitenden Schrittes noch gar wenig erreicht, und Mensing trat am andern Morgen ziemlich sorgenbedrückt in die Bureaux der Adjutantur im Schlosse. Dort erbat er sich einen Urlaub für den Rest des Tages. Er benutzte ihn zu einem Ritt in die Gegend jenseits der Fulda, wo eine herrschaftliche Domaine, ein Meierhof lag, auf welchem seine Mutter als Pächterin wohnte. Er mußte [34] seine Mutter in’s Geheimniß ziehen. Ihr Haus, so war sein Plan, sollte das nächste Ziel der Fahrt sein; von dort aus sollte sie, nachdem man die Sicherheit der Wege ausgekundschaftet, in der nächsten Nacht weiter gehen. Seine Mutter mußte deshalb vorbereitet sein. Sie mußten Maßregeln gegen die Neugier ihrer Domestiken, Vorwände für diese, um ihnen die Ankunft des Fourgons zu erklären, in Bereitschaft haben; es war unumgänglich nothwendig, daß Mensing die Mutter sprach.

Nach einem tüchtigen scharfen Ritte kam Mensing auf dem Hofe an. Dieser lag in der Ebene, zwischen Garten und Obstgarten in der Mitte; den eigentlichen Hof umgab eine Mauer, mit einem vorderen Einfahrtsthor, das durch ein Paar hölzerner Thorflügel von etwas über halber Manneshöhe geschlossen war. Diesem Thor gegenüber lag das zweistöckige, aus Fachwerk aufgebaute Wohnhaus; neben diesem und hinter ihm eine kleine Gruppe von Oekonomiegebäuden; von dort, von dem hintern Theile des Hofes, führte ein Thor, dem vorderen ähnlich, auf die Ackerfelder hinaus.

Als Mensing seiner Mutter die ersten Eröffnungen über sein Vorhaben gemacht, erschrak die arme Frau auf’s Heftigste. Sie beschwor ihn, von einem so gefährlichen Beginnen abzustehen, sie sagte ihm Alles, was die mütterliche Sorge ihr nur eingeben konnte, sie bat und flehte, und als sie Mensing’s feste Entschlossenheit sah, wurde sie zornig … erst als er ihr auseinandersetzte, welcher Antheil an der Rettung des Schatzes ihres flüchtigen Fürsten ihrer Thätigkeit, ihrer Klugheit zufallen solle, gelang es ihm, ihren Widerstand zu besiegen und sie für seine Pläne zu gewinnen, bis er endlich zu seiner Freude sah, daß er den unverkennbaren Eifer der rüstigen und gewandten kleinen Frau für die Sache geweckt habe. Nun sie selbst dabei thätig sein, eine Aufgabe übernehmen, durch Verschwiegenheit und Klugheit helfen sollte, das Gelingen zu sichern, kam ihr das Ganze in einem andern Lichte vor; sie sah nicht mehr blos die Gefahr, oder die Gefahr bekam einen Reiz für sie, und sie versprach endlich Alles zu thun, was ihr Sohn verlangte.

„Es ist unter dem Gesinde Keiner, den wir als Verräther zu fürchten hätten?“ sagte Mensing.

„Es wäre das Beste,“ versetzte sie, „wenn wir das Gesinde ganz uneingeweiht lassen könnten. Die zwei Mägde schließe ich während der Nacht auf ihrer Bodenkammer ein, das hat keine Schwierigkeit. Und von den zwei Knechten sende ich den einen, den Andres, fort, er hat mich schon lange um einen Urlaub aus ein paar Tage zu seinen Eltern gebeten …“

„Das trifft sich gut! Und der Andere?“

„Der Andere ist der Jakob, weißt Du, der schläft bis in den Tag hinein, wenn man ihn nicht weckt.“

„Der Jakob ist eine ehrliche Seele, dem man sich im Nothfall auch entdecken könnte …“

„Im Nothfall, ja – wir werden sehen, ob es nöthig wird,“ antwortete sie.

„Laß die Nacht hindurch Licht in der Wohnstube brennen, es soll uns ein Zeichen sein, daß Alles in Ordnung ist … und vergiß nicht, nach dem Schloß an dem Scheunenthor zu sehen, ob es in gutem Stande ist …“

„Das will ich, das will ich … Gott gebe, daß Alles gut geht … ich werde die Stunden bis dahin halb todt sein vor Spannung und Angst … ich bitte Dich um des Himmels willen, sei nur besonnen und klug und überlege Alles, und sobald Du etwas bemerkst, was bedrohlich ist, so säume nicht, Dich durch die Flucht in Sicherheit zu bringen … gieb mir die Hand darauf, daß Du es willst!“

„Da ist meine Hand darauf, Mutter, daß ich vorsichtig und besonnen sein werde … und nun muß ich zurück, lebe wohl, Mutter!“

„Lebe wohl, lebe wohl und denk’ an mich … denke, wie mir die Stunden vergehen werden, bis ich Dich glücklich in Sicherheit weiß!“

Der junge Mann umarmte seine Mutter und eilte dann, wieder in den Sattel seines Rappen zu kommen.

Als er im Dunkel des späten Abends die Wilhelmshöhe wieder erreicht hatte und sein Pferd in den Marstall führte, kam ihm Wilhelm entgegen, um ihm das Thier abzunehmen.

„Ich war vor einer halben Stunde drüben,“ flüsterte er dabei, eine Handbewegung nach des Inspectors Wohnung hin machend.

„Nun, und?“

„Herr Steitz hat mit den Andern gesprochen, Sie wissen, mit dem …“

„Ich weiß, ich weiß … und sind sie bereit und willfährig? Beide?“

Wilhelm nickte.

„Sie werden Schlag halb elf in der nächsten Nacht in dem Gebüsch zwischen dem Wasser und dem linken Schloßflügel sein.“

„Das ist brav von ihnen. Und Du, hat der Stallmeister Dir die Ordre gegeben …“

„Er hat es, heut’ Mittag. Er hat mir den Fourgon angezeigt und die zwei Dienstpferde, die ich nehmen soll, um damit eine Fuhre für den Inspector zu machen. Es werde vielleicht Nachts sein, sagte er, und es brauche sonst Niemand davon zu erfahren, es könne mir einerlei sein, wozu der Inspector den Wagen brauche, und dabei blinzelte er mich höchst schlau an und nickte verschmitzt und legte den Finger auf den Mund; es war ihm sehr daran gelegen, mir Schweigen zu empfehlen, dem guten Stallmeister!“

„Vortrefflich!“ versetzte Mensing lächelnd; „so läßt sich Alles gut an, auch meine Mutter ist unterrichtet; wir werden bei ihr den Wagen in eine wenig gebrauchte, verschließbare Scheune bringen und dann zusammen weiteren Kriegsrath halten. Den Weg zum Mulang hinab, dann durch die Schönfelder Allee, von dort zur Fulda, die wir bei der neuen Mühle passiren, und dann zum Hof meiner Mutter…“

„Ich kenne den Weg bei Nacht so gut wie bei Tage,“ versetzte Wilhelm, „die Wege auf vier, fünf Meilen in der Runde kenne ich …“

„Ich weiß, ich weiß, Wilhelm – also gehab Dich wohl; ich gehe zu Steitz, um dort zu melden, was ich ausgerichtet habe!“

Mensing schritt davon, um die Wohnung des Inspectors zu erreichen. Auf dem Wege dahin, als er vor dem Schloßportal vorüberging, wurde er aufgehalten.

Es war der Oberst La Croix, der heraustrat und ihn anrief: „Ah, Monsieur Mensing,“ sagte er, „Sie kommen mir wie gerufen – Sie sind ein Deutscher und werden sich darauf verstehen – lesen Sie dies Billet und sagen Sie mir: hat das ein Deutscher oder ein Franzose geschrieben?“

Mensing nahm das Billet, welches ihm der Oberst reichte, und entfaltete es im Schein der nächsten vor dem Portal brennenden Laterne. Es lautete:

„Nehmen Sie sich in Acht, mein Herr Oberst, und stürzen Sie sich nicht zu sehr mit verlorenem Kopf in die Genüsse der Redoute, welche in der morgigen Nacht statthaben wird. Denn damit Sie es wissen, man wird in dieser Nacht den verborgenen Schatz des Kurfürsten entführen.“ –

Mensing hatte kaum diese Zeilen überflogen, als er sein Herz still stehen fühlte; in seinem furchtbaren Erschrecken hatte er nur noch die Geistesgegenwart, sich vom Oberst abzuwenden, als ob er das Blatt noch mehr dem Schein der Flammen zukehren wolle, um es besser lesen zu können – sein tiefes Erblassen hätte ihn sonst dem Obersten verrathen müssen!

„Nun?“ fragte der Oberst, „was sagen Sie dazu?“

Mensing zuckte die Achseln – es war eine Antwort, welche ihn nicht zum Sprechen zwang und ihm Zeit ließ, sich zu fassen.

„Was denken Sie, von wem kommt der Brief?“

„Sie wollen meine Ansicht wissen, ob er von …“

„Ob er von einem Deutschen oder einem Franzosen kommt – darnach richtet sich das Gewicht, das ich darauf lege!“

„Der Brief,“ antwortete Mensing, der fühlte, daß er seine Stimme wieder in seiner Gewalt habe, „der Brief kommt von einer Französin.“

„Von einer Französin? Und woraus schließen Sie das?“

„Die Handschrift ist die eines Frauenzimmers, sehen Sie das nicht?“

„Sie mögen Recht haben,“ antwortete der Oberst, „ich verstehe mich nicht auf deutsche Handschriften …“

„Und der Styl ist französisch, in Deutsch übersetztes Französisch!“

„Erkennen Sie das mit solcher Bestimmtheit?“ fragte La Croix.

„Ja, es heißt da zum Beispiel ,stürzen Sie sich nicht zu sehr mit verlorenem Kopf‘; das sagt man nur im Französischen: se jetter à tête perdue – im Deutschen kennt man diese Redensart [35] nicht! ,Die morgige Nacht’ – das ist ebenfalls nicht reines, Deutsch – man sagt: die folgende, die nächste Nacht!“

„In der That? Sie glauben also, daß eine Französin es geschrieben hat, so gut sie es vermochte, ihre französischen Sätze in’s Deutsche übersetzend?“

Mensing überblickte noch einmal das Billet.

„Ich glaube,“ sagte er, „daß eine Deutsche und zwar eine Deutsche, welche im Schreiben nicht sehr geübt ist …“

„Das sieht man freilich,“ fiel der Oberst ein, „es ist schief und gar nicht schön geschrieben!“

„Also,“ fuhr Mensing fort, „eine Deutsche es geschrieben hat, wie eine Französin es dictirte!“

„Ah,“ machte der Oberst, „ich denke, so ist es – ein französischer Styl und die Hand einer Deutschen, einer Zofe, einer Magd, einer Grisette!

„Legen Sie Gewicht auf diese anonyme Anzeige?“ fragte Mensing.

„Hm, nicht gar zu sehr … es wäre thöricht, sie ganz unbeachtet zu lassen … aber, wenn sie von französischer Seite ausgeht …“

„In der That,“ fiel Mensing ein, „so verdient sie nicht viel Berücksichtigung!“

„Sie meinen?“

„Ich meine, ein Franzose oder eine Französin würde nicht anonym auftreten, sie würden, wenn sie etwas über diesen, wie ich glaube, überhaupt chimärischen Schatz mitzutheilen hätten, offen hervortreten und ihren Theil von dem ausgesetzten Preise verlangen. Nur ein Deutscher hätte Ursache sich zu verstecken, um nicht unter seinen Landsleuten als Verräther dazustehen, um nicht später, wenn der Kurfürst zurückkehren sollte – denn diesen Glauben läßt sich ja der große Haufen nicht nehmen – seiner Rache anheimzufallen! Und wozu sollte ein Deutscher dann überhaupt Ihnen diese geheimen Denunciation senden? Welchen Vortheil hätte er dabei?“

„Das ist Alles sehr richtig bemerkt,“ entgegnete der Oberst, „und wenn ich ganz sicher wäre, daß es so ist, wie Sie sagen, daß eine Französin es dictirt hat, so würde ich nicht das mindeste Gewicht auf den Wisch legen … Uebrigens kann es ebenso gut ein Mann dictirt haben, wie eine Frau, und darauf kommt auch nichts an – es fragt sich nur, geht es von französischer Seite aus?“ –

Mensing schwieg einen Augenblick; er sah, daß er dem Obersten diese Ueberzeugung beibringen müsse, um den ganzen fatalen Querstrich, der ihn Anfangs so furchtbar erschreckt hatte, unschädlich zu machen – und Gottlob, er konnte dem Obersten diese Ueberzeugung beibringen – er glaubte ja das Geheimniß dieses Billets zu durchschauen –er brauchte dem Oberst nur geradezu die Quelle zu verrathen.

„Das Billet ist nichts,“ sagte er deshalb, dem Obersten das Blatt zurückgebend, „als eine Mystification für Sie. Es mag eine ziemlich boshafte Absicht dabei sein. Während Alle, die zum Hofe gehören, sich den Vergnügungen des Festes hingeben, sollen Sie in Nacht und Wetter hinausgesprengt werden und dort auf einen unfindbaren Schatz lauern, um am andern Tage weidlich ausgelacht zu werden!“

Sacré!“ fluchte der Oberst, „wer sollte sich einen solchen Spaß mit mir erlauben?“

„Eine Dame, die fürchtet, daß Sie ihre Handschrift kennen, und die deshalb ihrer Zofe dictirt …“

„Und die eine deutsche Zofe hat, der sie dictiren kann …“

„Kennen Sie eine Dame vom Hofe, die eine solche Zofe hat?“ – „Nein, das Dienstpersonal hier im Schlosse ist, wenigstens so viel ich weiß, ganz französisch!“

„Doch giebt es Ausnahmen,“ sagte Mensing ruhig lächelnd.

„Sind Sie so gut darüber unterrichtet’?“

„Ich weiß nur, daß Comtesse Julie de Boucheporn ein Mädchen aus Kassel in Dienst genommen hat.“

„Ah sieh doch … daß Sie darüber unterrichtet sind, kann ich mir denken, Lieutenant Mensing,“ antwortete der Oberst La Croix. „Also Sie glauben, Comtesse Julie will mir einen Streich spielen …“

„Das habe ich nicht gesagt … aber …“

„Nun aber?“

„Oberst La Croix,“ sagte Mensing nach einer kurzen Pause, während der er dein Obersten ruhig lächelnd in’s Gesicht gesehen hatte, „ich kann es nicht zugeben, daß Sie so schmählich mystificirt werden – es wäre zu grausam – ich kann es schon deshalb nicht zugeben, weil ich selbst einige Schuld an der Sache trage …“

„Sie … Sie tragen Schuld an der Sache, Lieutenant? Was soll das heißen? Verturbleue, Sie sind mit dieser Boucheporn in einem Complot, um …“

„Das bin ich nicht, ganz und gar nicht! Hören Sie nur, wie ich denke, daß Alles zusammenhängt. Ich war gestern bei Comtesse Julie – ich sah sie hastig ein Stück des Maskenanzugs verbergen, an welchem sie eben arbeitete – ich neckte sie mit diesem Eifer, ihr Geheimniß zu bewahren – ich betheuerte ihr, daß ich längst von Ihnen, Herr Oberst, im Vertrauen erfahren habe, daß sie als Griechin verkleidet erscheinen werde …“

„Das wollten Sie von mir erfahren haben . . ?“

„Ich hatte es nur an dem schönen rothen Fez errathen, welchen ich von Comtesse Julie verbergen sah – aber um sie zu necken, sagte ich ihr, daß der Chef unserer Polizei, der gefürchtete Oberst La Croix, der Mann der Alles wisse, längst das Costum kenne, das jede Dame vom Hofe für sich vorbereiten lasse; daß er mir anvertraut, sie, Comtesse Julie, würde als Griechin erscheinen! Comtesse Julie aber ging mit der liebenswürdigsten Gläubigkeit und auch mit dem größten Zorn gegen die böse argusäugige Polizei auf meinen Scherz ein, und sie verschwor sich hoch und theuer, Ihnen einen Streich zu spielen, um sich zu rächen, oder etwas zu erdenken, um dem Abscheulichen, der jeder Maske werde den Spaß verderben können, ganz von dem Feste fortzubringen! Da haben Sie die Geschichte, Oberst La Croix!“

„Und diese Geschichte klärt freilich Alles auf,“ fiel der Oberst ein, indem er das Blatt nahm und es in kleine Stücke zerriß.

„Sie werden jetzt, nachdem ich so aufrichtig war, mir nicht damit lohnen, daß Sie mich an Comtesse Julie als den verrathen, der ihre Mystification zu Schanden gemacht hat?“

„Nein,“ sagte der Oberst, „ich werde Sie nicht verrathen, Lieutenant … seien Sie ruhig, ich danke Ihnen für Ihre Offenheit – Sie haben mich davor bewahrt, mich sehr lächerlich zu machen – aber wenn ich auf dem Fest Ihre kleine Griechin – sie wird als Griechin erscheinen, sagen Sie?“

„So ist es!“

„Nun wohl, wenn ich Ihre kleine Griechin ein wenig auf’s Korn nehme und schraube, so müssen Sie sich das gefallen lassen, Tudieu, ich denke, sie wird mir keine anonymen Briefchen wieder schreiben.“

Der Oberst nickte dem Lieutenant seinen Gruß zu und ging.

„Dem Himmel sei Dank!“ sagte Mensing lief aufathmend für sich … „das war ein abscheulicher Zwischenfall, der Alles zu stören drohte! Aber er ist parirt, er ist unschädlich gemacht, er ist uns zum Glücke ausgeschlagen … vor dem Obersten sind wir morgen sicher; er wird keinen Augenblick vom Feste weichen! Wie merkwürdig, daß dieser Comtesse Julie – denn von ihr war das Billet, von wem sonst hätte es kommen können? – nichts Anderes einfiel, dem Obersten einen Possen zu spielen, als gerade dies! Man sollte ja sagen, sie sei eine Hellseherin!“

Damit schritt Mensing, erregt von der eben stattgehabten Scene, der Wohnung des Inspectors zu.

Er fand Steitz und Elise zusammen in des Inspectors Arbeitsstube sitzen und erzählte ihnen sofort den Vorfall.

„Es ist als ob der liebe Gott seine schützende Hand über uns ausstreckte“ sagte er dabei; „denken Sie, es wäre ein anderer deutscher Officier oder Beamter von der Bekanntschaft des Obersten diesem zuerst begegnet und wir hätten von diesem unglücklichen Billet nichts erfahren …“

„In der That,“ fiel Steitz ein, „wir haben alle Ursache, dem Himmel zu danken, daß just Sie dem Obersten begegneten – und dennoch beunruhigt mich die Sache noch immer …“

„Dem Obersten muß doch am Ende, wenn er nachdenkt, etwas dabei auffallen,“ sagte Elise dazwischen.

„Und was, Elise?“

„Er halt Sie für einen Verehrer der Comtesse …“

„Das thut er in der That, für einen sehr eifrigen,“ antwortete der Officier.

„Nun, dann muß ihm doch ausfallen, daß Sie so rasch bei [36] der Hand waren, ihm die Sache aufzuklären, ihm die Quelle, aus welcher das Billet kam, zu enthüllen, ihm den Maskenanzug, den die Comtesse tragen wird, zu verrathen – glauben Sie nicht, daß ihn das stutzig machen wird?“

„Er wird es für deutsche Gutmüthigkeit, für kindische Ehrlichkeit halten.“

Elise schüttelte den Kopf und Steitz blickte ebenfalls, als ob sein erster Schrecken noch nicht beruhigt sei. Mensing sagte deshalb nach einer Pause: „Sollen wir eine andere Nacht wählen?“

„Brethauer und Mann haben mir ihre Hülfe gerade für diese zugesagt,“ antwortete Steitz.

„Und für dieselbe Nacht hält sich meine Mutter in Bereitschaft, uns zu empfangen,“ fiel Mensing ein, „ich bin gegen ein Aufschieben, das uns unheilvoll werden könnte.“

„Wenn Sie,“ sagte Elise, „vielleicht so viel über Comtesse Julie vermöchten, daß sie dem Obersten auf irgend eine Weise bestätigte, was Sie ihm mitgetheilt …“

Mensing machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

„Nein, nein,“ rief er aus, „ich kann Comtesse Julie nichts darüber sagen, ohne sie in das Geheimniß zu ziehen, und das ist viel zu gefährlich! Ich habe einen besseren Plan, uns zu retten, falls dieser abscheuliche Spaß der Comtesse uns dennoch den Obersten auf den Hals zöge! Sie, Elise, Sie sind es, die dabei helfen muß.“

„Ich? Was soll ich thun?“

„Ihre kunstfertigen Hände rühren … Sie sollen sich das Costum einer Griechin machen – können Sie das bis morgen Abend?“

„Gewiß! Ich brauche nur diese Nacht ein wenig zu Hülfe zu nehmen …“

„Wohl denn, so eile ich in die Stadt, Ihnen zu holen, was Sie dazu bedürfen. Sagen Sie mir es.“

„Aber erklären Sie, wozu?“

„Sie sollen uns in diesem Costume begleiten, in diesem Costume eine Rolle spielen, wenn es nöthig ist … Der Oberst La Croix mag uns dann begegnen, uns erwischen, ich stehe Ihnen dafür, daß er uns ungehindert durchläßt – ich sage Ihnen später Alles, geben Sie mir nur rasch an, was Sie bedürfen – erstens eine Gesichtsmaske, dann Goldtressen – wie viel Ellen?“

Elise gab die Gegenstände und das Maß derselben an, deren sie bedurfte, um sich einen Anzug ungefähr so, wie ihn Comtesse Julie bestellt hatte, wenn auch einfacher und weniger kostbar, zu verfertigen.

Mensing hatte Alles rasch in sein Taschenbuch eingezeichnet und eilte dann fort, der Stadt zu, während Elise ging, ihrem eigenen Kleidervorrath diejenigen Sachen zu entnehmen, die sie für ihre Arbeit verwenden konnte. –




3.

Die Nacht vom 21. auf den 22. November des Jahres 1808, die für unsere Freunde so verhängnißvolle Nacht, war gekommen.

Das Schloß „Napoleonshöhe“ strahlte in vollem Lichtglanze; den Weg zur Stadt hinab erhellten zahllose Flammen und zwischen den Lichterzeilen herauf waren die Equipagen gerollt, welche König Jerôme’s Gäste zu König Jerôme’s Carnevalfeste gebracht hatten.

Alles Leben, alle Bewegung aber hatte sich längst aus dem Dunkel der regnerischen und stürmischen Nacht draußen in’s Innere des Schlosses zurückgezogen. Dort war Licht und Wärme und Glanz, die Herrlichkeit eines Zauberfestes in einem Feenschloß – draußen war nichts als Kälte und Nässe, Laternen, die trübe im Winde flackerten, und dann und wann ein Hall der rauschenden Musik, die mit ihren Tonwellen die Säle erfüllte und zuweilen wie ein Strom, der sein Bett überfluthet, in gedämpften Klängen hinausschwoll in die stille brütende Nacht.

Die Glocke der Schloßuhr gab elf Schläge, die weithin durch den schweigend daliegenden Park nachhallten.

In diesem Augenblicke wurden in einem hinter dem Marstall liegenden Remisengebäude zwei Flügel eines Thores aufgeschoben; gleich darauf kam ein mit zwei Pferden bespannter Fourgon langsam daraus hervorgefahren. Er nahm die Richtung nach der Wohnung des Inspectors Steitz.

Vor derselben hielt er. Der Mann, der ihn führte, sprang vom Bock ab, ging die an der Hinterseite des Fourgons angebrachte Thüre aufzuschließen, und zu gleicher Zeit traten zwei Gestalten aus der Wohnung des Inspectors hervor, die mit Gegenständen beladen waren … der Führer des Fourgons nahm sie ihnen ab und warf sie leicht in seinen Wagen – es waren Bettkissen und Decken.

Während er die Thür wieder schloß, kletterte die eine der Gestalten, eine weibliche, rasch und behende auf den vorn am Fourgon angebrachten verdeckten Sitz … die andere, ein Mann, holte aus dem Hausgange eine Blendlaterne hervor, reichte sie dem Führer und flüsterte:

„Jetzt um das Bowlinggreen herum, Wilhelm, Du weißt …“

Damit verschwand er in der Dunkelheit. Wilhelm aber barg die Laterne neben Elisens Sitz, schwang sich auf den Bock und fuhr langsam, fast unhörbar über den weichen Kies der Pfade davon, in einem weiten Umkreise, der ihn Anfangs vom Schloss entfernte, dann auf der anderen Seite wieder näher brachte. So kam er an die Außenseite des linken Flügels des Schlosses.

Hier war Alles still und dunkel. Nur einige der Fenster oben waren erleuchtet und warfen ihren Schimmer auf den nächsten Rasengrund.

Im Dunkel lag die große Freitreppe da.

Zur Seite der Freitreppe, dicht an der Mauer des Schloßflügels aber nahm Wilhelm, noch ehe er anhielt, vier sich rasch bewegende Gestalten wahr; sie standen inmitten kleiner Haufen von Mauerschutt, sie bückten sich und in dem Augenblick, wo Wilhelm hielt und eilte, seinen Fourgon wieder aufzuschließen, trugen zwei von ihnen eine dem Anscheine nach sehr schwere kleine Kiste herbei; zwei Andere – es waren Mensing und Steitz, der von seiner Wohnung quer über das Bowlinggreen dem Fourgon vorausgeeilt war – brachten eine zweite. Wilhelm half die kostbare Last im Innern des Wagens bergen; bald waren vier größere schwere und drei kleinere Kisten in den Fourgon geschoben, die Kissen und Decken darüber gepackt und die Thüre wieder zugeschlagen. Wilhelm zog dann den Schlüssel ab, den er sorgfältig zu sich steckte, und eilte zum Bock.

„Nun vorwärts und geleite Euch Gott!“ flüsterte Steitz tief bewegt.

„Er wird uns geleiten – Adieu, Steitz – zum Abschiednehmen ist nicht Zeit,“ flüsterte Mensing zurück und schwang sich in den vorn angebrachten Sitz neben Elise. „Fort, Wilhelm!“

Die Pferde zogen an, der Wagen rollte fort.


(Fortsetzung folgt.)




Zum letzten Mal.

Es giebt unverwüstliche Geschichtsbilder, welche ewig frisch und ergreifend zu unserem Herzen sprechen, wie oft sie uns auch vorgeführt werden. Ein solches Geschichtsbild ist das des letzten Hohenstaufen, des blonden Jünglings Konradin von Schwaben. Die hingeschlachtete Jugend und der blutige Untergang des glorreichsten deutschen Kaiserhauses vereinigen sich zu seiner Verherrlichung.

Da die Gartenlaube Konradin’s Kampf und Ende in geschichtlicher Ausführlichkeit (1859, Nr. 51) bei der bildlichen Mittheilung des Denkmals dargestellt hat, welches im Jahr 1847 vom damaligen Kronprinzen Max von Baiern dem unglücklichen Konradin vor der Carmeliterkirche in Neapel gesetzt worden ist, so führen wir unseren Lesern hier dessen weniger bekannte Kindheit und Jugend bis zu seinem Scheiden von Mutter und Heimath vor und benutzen dazu als Quelle Wilhelm Zimmermann’s „Hohenstaufen“ (Stuttgart, bei Rieger), ein treffliches Werk, das wir allen Freunden vaterländischer Geschichte auf das Wärmste empfehlen können.

Konradin steht wie ein einsamer, zum ersten Mal blühender junger Baum unter den ungeheuren Ruinen seines Hauses. Am 25. März 1252, ferne von seinem Vater, dem letzten deutschen Hohenstaufen-König, Konrad dem Vierten, geboren, nach zwei Jahren verwaist, hatte er seine Kindheit bei seiner Mutter zu Donauwörth

[37]

Konradin’s Abschied von seinen Lieben in Hohenschwangau. Originalzeichnung von C. Schweizer.

[38] verlebt, im Lande seines älteren mütterlichen Oheims Ludwig von Baiern, da ihm auch sein Großvater, Kaiser Friedrich der Zweite, dessen Unglück ebenfalls Italien gewesen, schon im Jahre 1250 gestorben war. Sein Oheim Ludwig hatte sich mit einer Enkelin König Philipp’s von Hohenstaufen und der griechischen Irene, mit Maria, vermählt; sie glich dieser ihrer Großmutter an Schönheit des Leibes und an Tugend und liebte zärtlich ihren Gemahl. Dieser lag am Rhein zu Feld. Die Zeile eines Briefes, die von seiner Eifersucht mißverstanden wird, verwirrt ihm die Sinne, er wähnt seine Gemahlin in einem geheimen Liebesverständniß. Er reitet Tag und Nacht vom Rhein bis Donauwörth, steht plötzlich im Gemach Mariens, sie springt vor Freuden ihm entgegen, er aber schleudert sie weg und spricht mit dem Ton eines Wahnsinnigen: „Du mußt sterben, Treulose!“ Nicht das Betheuern ihrer Unschuld, nicht das Flehen der Königin Elisabeth und ihres Konradin’s Weinen können ihn bewegen, die Beweise der Unschuld der so hart Angeklagten zu hören: er zwingt Maria niederzuknieen, zieht sein Schwert, und ihr schönes Haupt rollt blutig auf den Boden. Nach ihr durchstößt er ihre Gesellschaftsdame, ein Fräulein Helika von Brennberg, und die Oberhofmeisterin stürzt er vom Thurme des Schlosses hinunter. Noch in derselben Nacht findet er überzeugende Beweise von der Unschuld seiner Gemahlin. Unter der Ueberlast der Gewissensangst verfärben sich seine braunen Locken; am Morgen finden entsetzt seine Diener ihren siebenundzwanzigjährigen Herrn ergraut.

Kaum vier Jahre alt war Konradin, als er dieses Schreckniß und diesen Jammer mit ansah. In solcher trüben Umgebung verfloß seine Kindheit, während in Schwaben, seinem Erbherzogthum, drei Afterkönige nach einander, sowie die durch Eid und Wohlthaten seinem Hause verbundenen Vasallen seine Erbgüter zerrissen und sich unter einander darob befehdeten.

Als aber auch der letzte der Schattenkönige des sogenannten Interregnum’s (1256–1273), „der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit“, wie der Dichter sie bezeichnet, dahin gegangen war, da betrachteten viele Städte und Fürsten den deutschen Thron als erledigt, und die Erwählung Konradin’s zum deutschen König als unschwer und nahe. Städte und Herren ließen sich in dieser Aussicht sogar von Herzog Ludwig, als „Reichsverweser für Konradin“, nicht blos als Vormund des Schwabenherzogs Konradin, Freibriefe ausstellen gegen Geldzahlungen.

Kam aber auch Konradin auf solchen nicht ganz ebenen Wegen von Zeit zu Zeit zu Geldern und durch die Zeitumstände endlich seinem Rechte gemäß sogar zu den Ueberresten seines väterlichen Herzogthums, so war doch alles das nicht hinreichend, seine Finanzlage zu bessern. Mit dem Titel König von Sicilien, König zu Jerusalem und Herzog von Schwaben, wuchs Konradin länderlos, in Noth und Armuth auf. Dennoch war dem siebenjährigen Knaben die Heirath seiner Mutter mit dem reichen und mächtigen Grafen Meinhard von Görz und Tirol zuwider, weil es ihn verdroß, seine Mutter, in welcher er die Kaiserin sah, als Gemahlin eines Grafen zu sehen. Gerade diejenigen, welche für sich selbst von seiner Erhebung auf den Kaiserthron viel hofften, nährten in ihm die Gedanken und Erinnerungen an sein Kaiserhaus, an seine eigene Zukunft als König von Sicilien und als Kaiser der Deutschen.

So zog er elfjährig, da ihn seine Vormünder unter sich haben wollten, mit kleinem Gefolg in sein väterliches Erbherzogthum ein. Dieses sein Gefolge waren wenige Vasallen, die herzoglichen Beamten und einige Räthe seines Vaters. Sie ließen ihn als Herzog, ja als zukünftigen König, Fürstentage und Hoftage da und dort im Herzogthum Schwaben halten, zu Ulm, zu Rottweil, zu Ravensburg. Sie wollten ihn dem Volke vor Augen führen, diesen Sproß des großen Kaiserhauses, das hundertunddreißig Jahre die deutsche Krone getragen hatte. Und sie durften ihn sehen lassen: er glich dem Großvater an wundersamer Schönheit des Leibes, an Frühreife und Helle des Geistes, an herzgewinnender Freundlichkeit und Anmuth der Sitte. Noch ehe er in das Jünglingsalter trat, sprach er mehrere Sprachen und war wohlunterrichtet in der Wissenschaft der Zeit und gewandt in ritterlichen Künsten. Schon in der Hand des Knaben erklang das Saitenspiel; süße Minnelieder dichtete er so jung, daß er sich selbst noch ein Kind nennt, und auch die Liebe schlich sich so frühe in sein Herz ein, daß er klagt, „die Liebe lasse es ihn sehr entgelten, daß er der Jahre noch sei ein Kind.“ Gleich zu Anfang der Manesse’schen Sammlung sind kindlich schöne Lieder von ihm uns aufbehalten, aber durch deren Jugend-, Frühlings- und Liebeslust zieht sich ein elegischer Hauch. Wofern er nicht über seine Kräfte Großes gewagt hätte, so wäre es ein Glück für ihn gewesen, daß die Poesie ihren rosenfarbenen Schleier über seine junge Seele wob und die Natur ihm täglich ihre schönsten Reize entgegenhielt, die blaue Fluth des Bodensees, ringsum die Obstwälder und die Rebenhügel und in naher Ferne die Pracht der Alpenwelt. Denn die Gegenwart seiner häuslichen Verhältnisse war auch jetzt noch so wenig glänzend, wie die Vergangenheit derselben; es bedurfte die arme Wirklichkeit einer dichterischen Verklärung, da sie so grell abstach gegen die Erinnerungen seines Geschlechts und gegen die drei Kronen, für die er schon in der Wiege geboren schien. Er war öfters so arm, daß er sich mit seinem kleinen Gefolge kaum hätte erhalten können, hätten ihn nicht die Städte Oberschwabens in dankbarem Gedenken an seine Väter bei sich aufgenommen und unterstützt. Diese wackern Männer und Frauen von Oberschwaben hatten nicht blos eine offene Hand für ihn, sondern auch ein mitfühlendes Herz für sein Schicksal, und er konnte es hören, wie das Volk daselbst Lieder sang vom Unglück seines Hauses.

Hatte sich sein Großvater Friedrich vermählt, als er kaum das fünfzehnte Jahr zurückgelegt hatte, so vermählte sich Konradin im Jahre 1266 mit seiner geliebten Braut, mit Brigitta, einer Tochter des Markgrafen Dietrich von Meißen. Die Hochzeitfeier wurde zu Bamberg gehalten. Sein Oheim, der römische König Heinrich, war zwar noch früher, schon mit dreizehn Jahren, der Gemahl der Margaretha von Oesterreich, die Ehe aber auch ohne Glück für Beide und für das Reich gewesen; und Brigitta war noch zarter als Konradin, und ganz unähnlich der Constantia Kaiser Friedrich’s, die, älter an Jahren, dem italienisch frühentwickelten Friedrich viel Erfahrung ersetzte.

Konradin hatte in Buchhorn, dem heutigen Friedrichshafen, in Ravensburg, unter den üppigen Fruchtbäumen von Arbon, wo noch heute die Burg zu schauen ist, darin er wohnte, und in andern Städten diesseits des Bodensees, von deren treuer Gastfreundschaft gelebt, mit seinem Freunde Friedrich von Baden, einem Sohne des Markgrafen Hermann und der österreichischen Gertrud, der Babenbergerin, der ihm verwandt war durch Familienbande, durch Aehnlichkeit des Gemüths und des Schicksals, wie durch gleichzeitige Erziehung am bairischen Herzogshofe. Sie waren ganz gleichartig und durch innigste Freundschaft verbunden.

In solcher Lage war Konradin, als ihm von jenseits der Alpen herüber der Thron seiner Väter, Glanz und Ruhm winkten. Was er und sein Freund Friedrich lange im Stillen als Traum und Wunsch gehegt hatten, das trat jetzt als lockende Wirklichkeit vor ihn und zwar in so schönem Lichte, wie italienische Gesandte die Zustände jenseits der Alpen in ihrem eigenen Vortheil nur immer malen mochten. Konradin berathschlagte sich mit seinen Verwandten. Seinen Oheimen Ludwig und Heinrich von Baiern, seinem Stiefvater, dem Tiroler, und den Freunden seines Hauses gefiel, was die Gesandten vorbrachten, wie dem Jüngling Konradin selbst; nur die Königin Elisabeth, seine Mutter, widersetzte sich beharrlich. „Die Gefahr“, sprach sie, „ist gewiß, der Erfolg zweifelhaft, jede bisherige Erfahrung abschreckend. Italien hat die Hohenstaufen immerdar tückisch angelockt und ihnen Kraft und Blut ausgesogen. Sollte sich der Letzte dieses Stammes nicht vielmehr warnen, als verführen lassen, sollte er nicht ein mäßiges Besitzthum in dem heitern Schwabenland vorziehen jenem trügerischen, von finsteren Mächten umgewühlten Zauberboden? Kannst Du wirklich nicht das Leben mit redlichen deutschen Freunden und Lehensmannen vorziehen dem Bekämpfen feindlich, dem ängstlichen Bewachen zweideutig Gesinnter, dem überall mit Zerstörung begleiteten Abmühen nach einem unerreichbaren Ziele?“ So klar fühlte, so dringend mahnte das Mutterherz.

Aber Konradin entgegnete ihr: „Mein Großvater war nicht älter als ich, da er Deutschland eroberte und einen Kaiser und Papst bezwang.“ Der poetische Träumer Konradin wußte nicht oder vergaß, daß unter dem Himmel Palermos und Neapels die Menschen leiblich und geistig sich früher und schneller entwickeln, als auf den Bergen Baierns und Schwabens: sein Großvater war damals ohne Vergleich gereifter an Leib und Geist. Die italienischen Gesandten erhielten die Versicherung, Konradin werde in Kurzem in Italien sich einfinden.

[39] Zu Augsburg machte Konradin für den Fall, daß er aus Italien nicht wiederkehre, sein Testament. Sie hatten Manches für ihn gethan, seine bairischen Oheime. Ludwig hatte sogar im Jahre 1261 den Marschall von Pappenheim bekriegt und dessen Schloß Weißenburg zerstört, weil auch er, wie andere Vasallen des hohenstaufischen Hauses, die durch dasselbe reich geworden waren, das hohenstaufische Erbe zerreißen half, statt es zu schützen. Zu Augsburg ließen sich beide Brüder seiner Mutter die feierliche Schenkung aller seiner Erbgüter und Lehen, wenn er einst ohne rechtmäßige Kinder mit Tod abginge, von Konradin unterzeichnen.

Im Herbste 1267 trat Konradin den Zug über die Alpen an, fünfzehn Jahre und gerade sechs Monate alt. Sein Oheim, Herzog Ludwig von Baiern, sein Stiefvater Meinhard von Tirol und diejenigen, welche die Treue für das hohenstaufische Haus oder die Hoffnung auf gute Beute, sicilische Lehen und Abenteuer unter seine Fahne versammelt hatte, folgten ihm; über zehntausend Ritter und Dienstleute, meist Baiern und Schwaben, das Fußvolk ungerechnet. Daß er die schicksalbezwingende Schnellkraft seines Großvaters, Friedrich’s des Zweiten, nicht hatte, zeigte er schon darin, daß er mit dem Kern des sich sammelnden Heeres so lange diesseits der Alpen blieb und zu Ravensburg, der alten Welfenstadt, und am See herum lag, daß „über seine Trägheit“ Spottlieder gemacht wurden. Welch’ ein Contrast zwischen dem fast gleichalterigen Großvater, welcher sich athemlos ritt, so Constanz wegnahm und damit die deutsche Krone gewann, und zwischen diesem seinem Enkel Konradin!

Im Allgäu, nächst dem Tiroler Gebirge, auf hohem Felsen, von noch höheren überragt, erhebt sich die Burg Hohenschwangau, auf der dreifachen Markscheide Tirols, Baierns und Schwabens, und aus der dunkeln Föhrenumgebung zu ihren Füßen glänzt der Spiegel des Schwansees hervor. Von den Welfen war das Felsenschloß an die Hohenstaufen gekommen, und in seinen Hallen hatte der Rothbart und Friedrich der Zweite zeitweise geweilt. Jetzt sahen diese selben Hallen die ahnungsvolle Mutterliebe weinen: Konradin nahm hier Abschied von Elisabeth, er riß sich los von der zarten Anvermählten und von der ängstlich sorgenden Mutter, und zog über Innsbruck und Trient nach Verona und in sein Verderben.

Wir scheiden hier von ihm, wo wir beim Gegenstand unseres heutigen Bildes angekommen sind, das wir der Hand eines begabten jungen Künstlers verdanken. Wir sehen den hochaufragenden Jüngling am Herzen der Mutter liegen, umgeben von Gattin und Freund, Oheim und Stiefvater, und die Heerschaar harrt des königlichen Führers. Aber vor unserem geistigen Auge erscheint auch die päpstliche Tücke verbunden mit französischer Herrschgier und Rachsucht – und ein Schaffot winkt zum entsetzlichen Schluß des kurzen Trauerspiels.

Ist aus dem Thor von Hohenschwangau der letzte Hohenstaufe ausgezogen, um durch des Papstes Schuld schmach- und jammervoll zu enden, – so ist durch dasselbe Thor dritthalbhundert Jahre später ein armer flüchtiger Mönch eingezogen, der berufen war, nicht blos den Schwaben Konradin, sondern das ganze von Rom so lange herabgewürdigte deutsche Volk, ja die ganze geknechtete Christenheit am Papstthum zu rächen, denn dieser Mönch, der, vor den päpstlichen Verfolgern aus Augsburg entkommen, hier Schutz suchte, war – Martin Luther.




Zur Diätetik für Lungenkranke.
Für die in und mit Staub Arbeitenden.

Daß eine große Menge von Arbeitern, die bei ihrer Beschäftigung mit Staub und überhaupt mit Schmutz aller Art verunreinigte Luft einathmen (wie Schleifer, Bildhauer, Porcellandreher, Cigarrenarbeiter, Maurer, Gypsarbeiter, Müller und Bäcker, Tischler, Kürschner u. s. w.), an Lungenschwindsucht, und zwar in einem noch ziemlich frühen Alter, stirbt, ist eine allbekannte Thatsache. Solche Arbeiter werden aber ganz besonders dann von der Lungenschwindsucht heimgesucht, wenn sie von schwindsüchtigen Eltern gezeugt und mit einem schwächlichen, schlecht genährten Körper in ihren Beruf eintreten; wenn sie ferner außer ihrer Arbeitszeit verabsäumen in guter reiner Luft zu athmen und in trockener, sonniger Wohnung zu wohnen; wenn sie Ausschweifungen aller Art begehen und nicht auf eine kräftigende Kost halten.

Die eingeathmete unreine, staubige Luft erzeugt jedoch, wie es scheint, die Lungenschwindsucht nicht in gesunden, sondern in schon in ihren Spitzen erkrankten Lungen und ruft hier, in Folge der Reizung und Blutüberfüllung in den Lungenäderchen, eine neue Ablagerung (einen sogenannten Nachschub) von Schwindsuchtsmasse hervor. Es existirt nun aber leider bei sehr vielen, vorzugsweise in kümmerlichen Verhältnissen aufgewachsenen Personen schon eine (von den meisten Aerzten übersehene) Erkrankung der Lungenspitzen bei ihrem Eintritt in ihren Beruf, und deshalb bilden sich auch bei so vielen Staubarbeitern, wenn sie ihre Lungen nicht vor dem Staube gehörig schützen, tödtliche Schwindsuchtsnachschübe aus. – Personen, welche mit noch ganz gesunden Lungen das staubige Gewerbe ergreifen, werden später zwar auch lungenkrank, aber nicht von Lungenschwindsucht ergriffen, sondern erleiden in Folge häufig auftretender Katarrhe mit Husten eine Erweiterung der Lungenbläschen (Emphysem) und werden dadurch asthmatisch (engbrüstig).

Jedenfalls ist das fortwährende Einathmen einer mit Staub geschwängerten Luft für die Athmungswerkzeuge von sehr großem Nachtheile; ganz besonders gefährlich ist dieses Staubeinathmen aber für Solche, welche von schwächlicher Constitution und mit schon kranken Lungenspitzen versehen sind. Demnach sollten alle im Staube Arbeitenden so vernünftig sein und den Staub von ihren Lungen abzuhalten suchen. Solche Personen aber, deren Lungenspitzen nicht ganz gesund sind und deren Eltern an Lungenschwindsucht leiden oder daran schon gestorben sind, sollten ganz und gar von einem Berufe absehen, bei welchem sie Staub einzuathmen gezwungen sind.

Um den Staub von seinem Eindringen (wenigstens in größeren Massen) in den Athmungsapparat abzuhalten, braucht der Arbeiter während seiner Arbeit sich nur einer Mund und Nase verdeckenden Maske zu bedienen (siehe die Abbildungen), welche das Athmen nicht beeinträchtigt und den Staub nicht durch sich hindurchläßt. Eine solche Maske kann er sich aber mit wenig geglühtem und biegbarem Drahte und einem kleinen Stückchen dünnen Zeuges (am besten eine doppelte Lage von Camelott), also mit sehr wenig Mühe und Kosten, selbst verfertigen. Aber dazu ist er, wie Verfasser aus Erfahrung weiß, zu faul und eitel-unverständig. Jammern und wehklagen kann er, wenn ihn seine Schwindsucht hingeworfen und an des Grabes Rand gebracht hat, auch für schweres Geld einfältige Geheimmittel kaufen und sich nichtsnutzigen Curen unterziehen, das thut er, aber seinem und seiner Angehörigen Elende und seinem vorzeitigen Tode vorzubeugen, [40] dazu ist er[WS 1] nicht zu bringen. Respiratoren sind für ärmere Arbeiter zu theuer.

Der Vorschlag des Verfassers geht deshalb dahin, daß Besitzer von Fabriken, in denen es viel Staub giebt, ihren dummen, leichtsinnigen Arbeitern jene billige Mund-Nasen-Maske auf ihre Kosten anfertigen lassen und sie zum Vorbinden geradezu zwingen. Wer aber von den Arbeitern diese Maske nicht tragen will, der sollte weder in eine Kranken- noch in eine Leichencasse aufgenommen werden.

Hiernach ist also die erste Pflicht eines Staubarbeiters, wenn er nicht subtiler Selbstmörder sein will, die, daß er den Staub von seiner Lunge abhält. Sodann muß er aber auch außer seiner Arbeitszeit eine reine Luft einzuathmen und zwar während des Bewegens im Freien recht tief einzuathmen sich bestreben, zweckmäßig und, soweit es natürlich seine Mittel erlauben, kräftig essen und trinken (besonders Milch), Excesse in der Liebe und in Spirituosen vermeiden und auf eine trockene, sonnige Wohnung halten.

Wo immer Verdacht auf Lungenspitzen-Erkrankung vorhanden ist, und nicht etwa blos bei Staubarbeitern, sondern bei Personen jeden Standes, da gilt es die noch gesunde Lunge vor neuer Ablagerung von Schwindsuchtsmasse zu wahren, und dies ist dadurch zu ermöglichen, daß Alles vermieden wird, was den Blutzufluß zur Lunge widernatürlich steigert. Deshalb ist für Schwindsuchtscandidaten das erste Gesetz: stets eine reine (nicht durch Staub, Rauch, reizende Gase verunreinigte), nicht zu kalte und rauhe Luft einzuathmen (sich des Respirators zu bedienen); sodann aber sich vor Allem zu hüten, was beschleunigtes Athmen und stärkeres, schnelleres Herzklopfen veranlaßt. Dazu gehören besonders auch übermäßige Körperanstrengungen und die unglückselige Kaltwasserwirthschaft.[1]

Den lungenkranken Arbeiter, der in der Regel zu allen unsinnigen Curarten mehr geneigt ist, als zu einem naturgemäßen Verhalten, warnen wir besonders vor Geheimmitteln, die ihm nur das Geld aus der Tasche stehlen. Wenn er aber so dumm ist, daß er durchaus sympathetische Curen oder Homöopathie gegen sein Lungenleiden in Anwendung bringen will, so hat Verf. dann dagegen nichts, wenn die oben angegebenen diätetischen Regeln daneben streng beobachtet werden. – Unter den Geheimmitteln[2] sind am verbreitetsten’:

1. Die Lieber’schen (oder Blankenheimer) Kräuter. Sie bestehen, trotzdem, daß ein k. k. Hofrath der Entdecker dieses angeblich ausgezeichneten Heilmittels ist, aus nichts Anderem als aus der kleingeschnittenen Lippenblumenpflanze Galeopsis grandiflora oder gelben Hanfnessel. Preis 1 bis 1½ Thlr., Werth einige Groschen. – 2. Essentia antiphysica von Lobethal (Arzt in Breslau), unfehlbares Mittel zur Heilung der Lungenschwindsucht, welches 3 Gulden kostet und höchstens 6 Kreuzer Werth hat, ist nichts weiter als eine von den gewöhnlichen Verunreinigungen (schwefelsaurem Natron, Chlorcalcium und Chlormagnesium) stark begleitete Kochsalzauflösung, der noch eine Spur alkalischen Jodmetalls zugesetzt ist. Hr. Lobethal behauptet, daß außer diesen Salzen noch von einer Pflanzentinctur eine so kleine Dose in seiner Essenz vorhanden sei, daß dieselbe durch keine chemische Analyse ermittelt werden könne. Schwindel! nichts als Schwindel! – 3. Schneeberger Kräuter-Allop ist nichts als Frauenhaarsyrup und wird leider nicht nur von Apothekern (Wilhelm in Neukirchen und Büttner in Gloggnitz) vertrieben, sondern es erhielt dieser Schwindel auch Anerkennungsmedaillen (von der k. k. Landwirthschaftsgesellschaft in Wien und Londoner Ausstellung). – 4. Heilkräuter-Extract von Morawitz, bei beginnender Lungentuberculose, angeblich aus 16 der vorzüglichsten Kräuter und Wurzeln der steierischen Hochalpen bereitet, ist nichts weiter als gereinigter Honig mit Spuren von Auszügen aus Bittersüßstengeln, Mohnkapseln und einigen bittern Kräutern; Preis 1 Thlr., Werth 3 Sgr. – 5. Schweizer Kräutersaft von Goldberger in Berlin, gegen Kehlkopfs- und Lungenleiden, ist nichts als Pomeranzenblüthensyrup mit einem Auszuge der bittern unreifen Pomeranzen und einer höchst geringen Menge einer grünlichen Farbe; Preis 1 Fl. 12 kr., Werth kaum 15 kr. – 6. Steierischer Kräutersaft von Purgleitner, für Brustleidende, ist nichts weiter als Kartoffelstärke-Syrup. – 7. Pate pectorale von George in Epinal, mit vielem Pomp ausgeschrieenes Mittel gegen Hals- und Brustleiden, sind Täfelchen aus arabischem Gummi, Zucker, Süßholzwurzel und Wasser, mit etwas Morphin; Preis einer Schachtel 28 kr., Werth 8 kr. – 8. Weißer Brustsyrup von Mayer in Breslau, ist nichts weiter als Zuckersyrup, dem bisweilen etwas Rettigsaft beigemischt ist. Die Flasche kostet 2 Thlr. und ist kaum 15 Ngr. werth. – 9. Wundersaft von Koch in Berlin, auch concentrirter Nahrungssaft genannt, soll sterbende Menschen wieder kräftigen können, und ist nichts als eine Lösung von Zucker in Wasser mit einigen Tropfen Rettigsaft. Das Glas kostet 15 Sgr. und ist 2 Sgr. werth. – 10. Brustsyrup von Dr. Moth, ist eine Mischung aus Althäsyrup, Marubium-Extract, Oxymel scilliticum, Mandelwasser (Aq. amygdal. conc.), Fenchelwasser und ätherischem Spiritus. – 11. Kräuter-Bonbons von Koch in Heiligenbeil (d. i. Goldberger in Berlin), bestehen aus Zucker, Auszuge der bitteren Pomeranzen und violetter Lackfarbe; Preis 18 kr., Werth kaum 6 kr. – 12. Brustpulver von Beliol in Paris, gegen chronische Brustleiden, ist ein Gemenge von Milchzucker (75 Th.), arabischem Gummi (20 Th.) und Seiguettesalz (5 Th); Preis 10 Fr., Werth ½ Fr. – 13. Fenchel-Honig-Extract von Eggers in Breslau, ausgezeichnetes Mittel bei Brustleiden und auch gegen den Bandwurm, ist ein mit etwas Fenchelwasser versetzter gereinigter Honig, Preis 10 Sgr., Werth kaum 1 Sgr. – 14. Fichtennadel-Brustzucker von Morgenthau in Mannheim, besteht aus mit einem Opiumauszuge bereiteter und mit dem ätherischen Oele der Fichtennadel parfümirter Bonbonmasse. – 15. Kräuter-Brust-Syrup, von Dietze in Grimma, ist eine Lösung von schlechtem Farinazucker in Eibischtheeaufguß; Preis ½ Thlr., Werth 2 Sgr. – 16. Kräuter-Malz-Brustsaft von Heß, ist Kartoffelstärkesyrup mit etwas Lakritzensaft; Preis 5 Sgr., Werth kaum 1 Sgr. – 17. Alpenkräuter-Brust-Teig des Apothekers Grablowitz in Graz, besteht aus kleinen Kuchen, die aus arabischem Gummi, Zucker, Lakritzenextract, Crocus und Eibischabkochung bereitet sind. – 18. Mexicanisches Mehl von B. del Rio, unfehlbares Nahrungsmittel bei Lungensucht, ist Maismehl mit etwa 6 Procent metallischem Quecksilber; Preis 4 Frk., Werth fast keiner. – 19. David’s Thee, ein erprobtes Volksheilmittel bei Brustleiden, ist ein Gemisch aus Tausendgüldenkraut, Ysop, wohlriechendem Kälberkropf (Scandix odorata), weißem Andorn, Schafgarbenblüthen, isländischem Moos und Cardobenedictenkraut. Ein Paket von etwa 3 Loth dieses nichtsnutzigen Zeuges kostet 20 kr. – 20. Mayer’s Kräuter-Extract, gegen Lungenleiden, ist ein ebenbürtiger Genosse des Mayer’schen Brustsyrups, d. h. er ist ein Schwindel sonder Gleichen. Es besteht aus Honig, welcher mit einer starken Abkochung von Cichorienkaffee und vielleicht auch gerösteten Möhren versetzt ist. Eine Flasche mit 10½ Loth dieser ekelhaft süß schmeckenden Mischung kostet 10 Sgr. und ist kaum 2 Sgr. werth.

Naturgemäße Heilung der Schwindsucht ohne jede innerliche Medicin, aber gegen Einsendung von 2 Thlrn. pr. Adr. W. 25. Poste restante Heidelberg. Man erhält zwei Mittel: ein äußerlich anzuwendendes, zum Einreiben in die Brust, und dieses besteht aus zwei Unzen stinkendem Thieröl; und ein inneres, bei starkem Husten davon dreimal einen Theelöffel zu nehmen; ist eine Mischung aus Mandelöl, Opiumtinctur, Citronensaft und Mohnkopfsyrup. – Die Revalenta arabica von Du Barry in London, neuerlich auch unter dem Namen „Revalesciere“, nichts als Mehl von Hülsenfrüchten, wird ebenfalls als unübertreffliches Heilmittel gegen Lungenschwindsucht empfohlen. Das ein Pfund enthaltende Paket kostet 2 Fl. und ist kaum 12 Kreuzer werth.

Sympathetische Curen gegen Auszehrung (Schwindsucht). Zuvörderst darf man Kinder nicht mit einem alten Besen oder einer Ruthe schlagen, die aus einem alten Besen gemacht ist, sonst bekommen sie die Auszehrung. 1. Sauge bei abnehmendem Monde an den Brüsten eines Weibes, welches einen Knaben gebar, und iß jedes Mal ein Stückchen Zucker darauf. – 2. Man hänge dem Kranken ein Stück Holz von einem Sarge, worauf eine Kindbetterin mit dem Rückgrate verfault ist, an den Hals. – 3. Man gehe einmal, wenn der Mond neu, und einmal, wenn er alt, vor die Stadt an einen Ort, wo man wenigstens drei Kirchenspitzen übersieht, sehe in den Mond, mache dreimal das Kreuz und spreche: „O Herr Jesu Christ, ich bitte dich durch deine fünf Wunden, gieb mir wieder Mark und Bein, Fleisch und Blut.“ – 4. Der Kranke gehe bei Sonnenuntergang mit einem alten Weibe zu einem Hollunderstrauch, wo sie einander gegenüber niederknieen und mit gefalteten Händen ein Vaterunser beten. Sodann legt das alte Weib die Hände des Kranken auf ihren Kopf, blickt gegen den Himmel, seufzt tief und betet zu den Sternen. Jetzt geht der Kranke nach Haus und kann sicher sein, daß er genesen wird. – 5. Ein Schwindsüchtiger muß vor Sonnenaufgang seinen eitrigen Auswurf auf eine zum Theil von dem Stamme gelöste Hollunderrinde speien, aber an derselben Stelle eine seichte Grube in’s Holz schneiden, damit der Auswurf Platz drinnen hat. Die Rinde werde dann hierauf wieder sorgfältig an den Stamm gebunden, wie sie vordem war, damit sie wieder anheile. – 6. Man lasse den Kranken während der vierzehn Tage vom Vollmond bis zum Neumond ein ihm um Gottes willen geschenktes Hemd tragen, welches, wenn der Kranke ein Mann ist, von einer Frau sein muß und umgekehrt. Auch [41] muß der Geber des Hemdes mit dem Kranken an ein und demselben Tage geboren sein. Nach Ablauf dieser vierzehn Tage wird das Hemd stillschweigend ausgezogen und vor Sonnenaufgang in einen Ameisenhaufen vergraben. Natürlich muß der Kranke bei dieser Cur sehr vorsichtig sein und ja nicht etwa beim An- und Ausziehen des Hemdes oder beim Gange nach dem Ameisenhaufen sprechen.

Fragen wir nun die Homöopathie über die Schwindsucht (Auszehrung, Lungensucht), ja da werden außer vielen anderen Mitteln so viel Hauptmittel dagegen (wie: Kalk, weiße Zaunrübe, Eisen, Jod, kohlensaures Kali, Quecksilber, Phosphor, Blei und Schwefel) in einer Weise empfohlen, daß ein Schwindsüchtiger geradezu ein Selbstmörder ist, wenn er sich nicht homöopathisch curiren läßt. Merkwürdig ist’s nur, daß solche Kranke schließlich fast stets zu einer andern, manchmal noch viel dümmeren und nebenbei auch noch schädlicheren Heilmethode (z. B. zur Kaltwassercur) übergehen, oder daß sie, wenn die Noth am größten ist, von ihren homöopathischen Heilkünstlern in ein südliches Klima geschickt werden. Geradezu spaßhaft ist die homöopathische Behandlung des die Lungenschwindsucht begleitenden Hustens und Auswurfs. Denn in Müller’s Haus- und Familienarzte werden anempfohlen: Bei trockenem Husten acht verschiedene Mittel, bei krampfhaftem Husten fünf verschiedene Mittel, andere Mittel bei Brechhusten, lockerem Husten, bei Abend-, Nacht- und Frühhusten, bei Husten, welcher durch Bewegung, Sprechen, Essen, im Freien, im Liegen erregt wird, bei Bell-, Dick-, Kitzel-, heiserem, pfeifendem oder krächzendem Husten, bei Husten mit schleimigem, blutigem, eitrigem, übelriechendem, wässerigem, zähem, grünlichem, grauem, salzigem, bitterem, süßlichem, fauligem, saurem Auswurfe. Hirschel hat auch noch einige andere Hauptmittel als Müller, z. B, Kohle, China, Jod, Bärlapp, Salpetersäure und Kieselerde. Arthur Lutze richtet sich natürlich bei Darreichung seiner Arzneien danach, ob die Lungenschwindsucht auf der rechten oder aus der linken Seite der Brust sitzt; für die linke Lunge hat er Kalk, China, Jod, Quecksilber und Schwefel, für die rechte besonders Blei. Giebt es denn wirklich noch größeren Unsinn?

Bock




Ein denkwürdiger Besuch.
Fragmente aus unsern Familienpapieren.
Von Hans Blum.
(Schluß.)


Während der Mahlzeit machte meine Mutter zu wiederholten Malen den Versuch, wenigstens einige Bruchstücke aus dem früheren Leben der Gräfin enthüllt zu sehen, namentlich das Verhältniß zu ihren Gatten – allein stets vergeblich; immer wußte ihr die Gräfin durch den Wunsch zu entgehen: daß ihr die Mutter bei der kurzen Zeit ihres diesmaligen Aufenthaltes möglichst viel von ihrem eigenen Leben erzählen und alles Uebrige einem späteren Zusammensein überlassen möchte. Dagegen wiederholte sie immer eindringlicher und öfter die Bitte, ihr unsere Ida zur Erziehung zu überlassen, und stand erst davon ab, als ihr auf’s Bestimmteste erklärt wurde, daß solche Anerbietungen ebenso nutzlos wie unangenehm seien. – Es war unterdessen Stunde um Stunde verstrichen, ohne daß der entsendete Bote zurückgekehrt wäre, und die Mutter bat unsere Wirthin endlich dringend, dessen Kommen nicht abzuwarten, da die Kleine im „Schloß“ aufwachen und sich in den ungewohnten Räumen ohne Mutter verlassen fühlen, wohl gar verletzen könne. Die Gräfin war damit einverstanden und versprach der Mutter einen Ersatz für ihre Wäsche zu liefern; wir kehrten denn in’s Schloß zurück. Wir Knaben legten uns sofort zur Ruhe und schliefen sogleich ein. Nicht so unsere Mutter. Zunächst war das von der Gräfin verabreichte Surrogat von Wäsche höchst eigenthümlicher Natur, nämlich nichts Geringeres als ein ähnlicher schmutziger, grau und weiß carrirter Ueberwurf und eine genau ähnliche Haube, wie sie selbst trug. Endlich entschloß sich die Mutter, Beides anzuziehen und sich niederzulegen – da klopfte es. Es war schon tiefe Nacht – was konnte man noch wollen? Die Gräfin trat ein.

„Sie werden mir’s gewiß nicht verargen, wenn ich den Wunsch ausspreche, noch ein Stündchen mit Ihnen zu plaudern,“ sprach sie und setzte sich vor das Bett.

Wie gesagt, hatte Alles, was meine Mutter gesehen und gehört, sie zu sehr aufgeregt, als daß sie vor der Hand auf Schlaf hätte rechnen können. Sie willigte daher gern in die erbetene „Plauderei“, namentlich weil sie hoffen durfte, daß die Gräfin ihr nun, innerhalb ihrer eigenen Mauern, wohl eher etwas über sich selbst mittheilen werde, als im Gasthaus. Doch auch diesmal blieben alle dahin zielenden Versuche fruchtlos.

„Erzählen Sie mir von Ihrem theuren Gatten,“ bat die Gräfin, nachdem sie längere Zeit über andere Dinge gesprochen hatten, „erzählen Sie von Ihrer Liebe, Ihrer Ehe.“

Die Geschichte der Liebe war einfach und bald erzählt. Indessen dabei war der Gräfin wieder etwas eingefallen.

„Ihr Gatte war vorher schon einmal verheirathet?“

„Ja, Frau Gräfin, seine erste Frau starb schon im vierten Monat der Ehe.“

„Und er liebte sie?“

„Außerordentlich. Es war eine schöne junge Frau. Er war sehr unglücklich bei ihrem Tode.“

„Und ist sie ihm nie darauf erschienen?“

„Wenn Sie das ,erscheinen’ nennen wollen, was uns unsere erregte Seele im Traum vorführt, mehrmals. Er hat einige höchst merkwürdige Aufzeichnungen hinterlassen über die Gespräche, die er dann mit ihr über das Jenseits zu führen meinte. Doch was soll das Alles? Frau Gräfin, glauben Sie denn an Erscheinungen?“

„Gewiß! Die wahre Liebe fesselt zwei Seelen über das Grab hinaus aneinander. Diese geheimnißvolle Sympathie zeigt sich ja schon im Leben, wenn unsere Liebe anfängt, und je inniger sie wird, um so schöner, deutlicher. Haben Sie es nicht stets im Voraus gewußt, wann und daß er Sie besuchen würde, als Sie sich noch nicht erklärt hatten?“

„Allerdings – aber das lügt man sich selbst vor. Man erwartet den lieben Besuch stets, unaufhörlich, und wenn die Hoffnung eintrifft, meint man eine Ahnung gehabt zu haben.“

„O, schätzen Sie das nicht so gering, werthe Frau, glauben Sie mir – ich kann darin von merkwürdigen Dingen erzählen.“

„Nun?“

„Ach, das ist lange, lange vorüber – reden wir nicht davon. Beantworten Sie mir nur noch einige Fragen. Wie war es Ihnen zu Muthe, als er in Wien war; ich meine zu der Zeit, am Tage oder in der Nacht seiner – seines Todes?“

„O Gott, gnädige Frau, erlassen Sie mir das – wie hätte ich das ahnen, fürchten können – daß er mir so bald entrissen würde! Ich hatte an seinem Todestage einen beruhigenden, ja heitern Brief aus seinem Gefängniß von ihm erhalten, und als ich mich anzog, um diesen Brief einigen seiner Freunde mitzutheilen, da muß eine plötzliche Schwäche über mich, mein Auge gekommen sein; ich stand vor dem Spiegel – kurz ich sah mich in Schwarz gekleidet –“

„Sehen Sie!“ rief die Gräfin mit einer Art triumphirender Hast – „aber ich rege Sie zu sehr auf, gewiß – und möchte Sie doch so gern trösten!“

Sie ergriff meiner Mutter Hand mit ihren kalten, knöchernen Fingern, als ob sie nach ihrem Puls fühlte, und sah ihr mit ihren herzlosen blauen Augen prüfend in’s Antlitz. Es entstand eine lange Pause; endlich begann die Gräfin von Neuem:

„Glauben Sie überhaupt daran, daß er todt ist?“

„O Frau Gräfin, wenn Sie wüßten, mit welcher Pein ich diese Zweifel niedergekämpft habe – Sie würden mich darnach nicht fragen! Ich muß es ja glauben. Er ist gewiß und wahrhaftig todt!“

Wieder ließ die Gräfin einige Minuten verstreichen; dann sagte sie mit scharfer Betonung:

„Das mögen Sie glauben und alle Welt – oder das mag man Ihnen glauben gemacht haben – allein ich – –“

„Was wollen Sie sagen, Frau Gräfin?“

[42] „Ich correspondire mit Windischgrätz.

„Also das ist wirklich wahr?“

„Hörten Sie davon?“

„Ja, ja – öfters. Doch, Frau Gräfin, haben Sie auch nach der Katastrophe einen Brief von diesem – Manne?“

„Auch nach dem neunten November!“ sagte sie feierlich.

„Nun denn, Frau Gräfin – beantworten Sie mir die eine, die einzige Frage: Glauben Sie, wissen Sie, daß er noch lebt?“

„Ich kann Ihnen,“ antwortete die Gräfin mit einer eisigen Ruhe und Sicherheit, „nur die Antwort auf diese Frage geben: Der Diplomatie ist Alles möglich! Siegt Kossuth, so wird Blum frei!

Bei diesen Worten sank meine Mutter überwältigt aufs Kissen zurück, einen Augenblick umsonst nach Fassung ringend.

Aber dann war’s ihr, wie wenn mit einem Male von diesem undurchdringlichen Gesicht vor ihr eine verschönernde Maske gerissen würde, so grinsend höhnisch schien die Gräfin sie anzublicken, während dieselbe ihre Augen mit der Hand bedeckt hielt. Sie wollte sich von der Wahrheit dieses Anblickes überzeugen und fuhr rasch empor. Das Talglicht flackerte heftig – Doch als sie der Gräfin fest in’s Gesicht blickte, gewahrte sie einen so mütterlich besorgten Ausdruck, daß ihr ganzer Zorn wieder entwaffnet wurde und sie sicher annahm, sich getäuscht zu haben.

„Vergeben Sie mir,“ sprach die Gräfin leise, „wenn ich Sie wider Willen aufgeregt haben sollte – aber ich kann Ihnen nicht mehr sagen; lassen Sie mich also abbrechen und schlafen Sie recht wohl.“ Damit entfernte sie sich.

Meine arme Mutter war Anfangs zweifelhaft, ob sie nicht sogleich aufspringen und mit uns das Haus verlassen solle. Allein wozu konnte dieses Weib sich nicht möglicher Weise entschließen, wenn sie ahnte, daß meine Mutter argwöhnte? Es hätte dann leicht zu einer Scene kommen können, die bei der furchtbaren Aufregung meiner Mutter vielleicht tödtlich gewirkt. Sie entschloß sich daher zu bleiben – aber nie, nie wieder mit der Gräfin ein Wort über ihre Verhältnisse, ihren Verlust zu sprechen. Erst gegen Morgen fand sie ein Stündchen unruhigen Schlummers.




Wir standen spät auf. Unterdessen war die Reisetasche mit der Wäsche im Schlosse abgeliefert worden. Warum wir sie nicht am Abend erhielten, erfuhren wir nicht. Die Gräfin war merkwürdig einsilbig und übler Laune. Gegen Mittag endlich setzte sich die Gräfin einen ungeheuren Strohhut auf, an dem wir Jungen uns sichtlich erquickten; das war ihre ganze Toilette und nun wurde der Weg nach Dresden angetreten, natürlich, den Principien der Gräfin gemäß, zu Fuß. Wir Knaben schritten mit der Gräfin und der Reisetasche voran, die Mutter mit der Kleinen hinterdrein, und wenn uns Leute begegneten, sah die Mutter sie oft sich einander bedenklich anblicken und, auf die Gräfin deutend, fragen: „Wo will denn Die mit den Kindern hin?“ Obschon wir auf diesen Tag zu Bürgermeister Klinger eingeladen waren, beharrte die Gräfin auf ihrer Einladung für den Mittag. Wir sagten also bei Klingers ab und die Gräfin setzte es durch, daß Fräulein Bertha Klinger auch ihr Gast wurde. So kamen wir nach Stadt N…g. Als wir dort eintrafen, verließ ein vornehm aussehender Herr, mit Orden etc., gerade das Hotel, mit dem die Gräfin einige leise Worte wechselte. Später erfuhren wir, daß es der spanische Gesandte gewesen sei.

Es war ein unheimliches Diner, das wir dort in der zweiten Etage apart einnahmen: die Gräfin einsilbig, die Mutter gedrückt, das Fräulein schüchtern, wir Knaben übermüthig, Ida vom Marsche so schläfrig, daß sie nach dem zweiten Gang schon einnickte und die Mutter, als die Gräfin eben im Begriff war, einen edlen Magyaren zu entkorken, sie aus dem Zimmer führen mußte, um sie im Ankleidezimmer auf ein Sopha zu legen. Um dahin zu gelangen, mußte man an der Treppe vorüber. Vom Fuße derselben ließ sich ein Wortwechsel zwischen einem Manne in der Amtstracht der Diener der sächsischen Kammern und einem offenbar groben Kellner vernehmen, der verstummte, sobald die im höhern Stock geöffnete Thür wieder geschlossen und Stimmen laut wurden. Der Diener in der Amtstracht kam lebhaft die Treppe herauf, auf meine Mutter zu und fragte, nachdem er wahrscheinlich ihre Trauerkleidung gemustert hatte:

„Ich bitte um Vergebung – wenn ich nicht irre, so sind Sie Frau verwittwete Blum.“

„Ja, zu dienen.“

„Ich habe ein Billet an Sie,“ sagte er flüsternd, als von drinnen Stimmen laut wurden, „von Dr. –n.“

„Warten Sie auf Antwort?“

„Wenn’s Ihnen gefällig wäre.“

Sie erbrach das Siegel und las:

„Werthe Frau!

Sie sind in fürchterlichen Händen! Kommen Sie sogleich mit Ihren Kindern und Bertha K. in meine Wohnung. –n.“

„Ist der Herr Doctor noch in der Kammer?“

„Jetzt wird sie geschlossen sein. Ich soll ihm die Antwort nach Hause bringen.“

„So sagen Sie, ich würde in einer Viertelstunde dort sein.“

Der unterzeichnete Name war so bedeutend, das Gewicht seiner Meinung so bestimmend, daß die Mutter, von allen Höflichkeitsrücksichten absehend, sofort aufbrechen zu müssen meinte.

Wir Knaben waren nicht wenig verwundert, als wir einem hoffnungsvollen Dessert durch die Nachricht entrissen wurden, daß wir Alle sofort aufbrechen müßten, da eine sehr dringende ernste Nachricht eingelaufen wäre. Die Gräfin dagegen nahm diese Botschaft mit großer Ruhe auf, als etwas längst Erwartetes. Der Abschied war sehr kühl auf beiden Seiten. Fräulein Klinger verließ das Speisezimmer etwas nach uns. Wir glaubten zu bemerken, daß die Gräfin sie etwas zurückhielt und sie zusammen flüsterten.

Auf der Straße angekommen, sah das Fräulein scheu zurück und sagte dann zu unserer Mutter:

„Das muß eine sehr, sehr böse Frau sein!“

„Warum denn, mein Kind?“

„Sie sagte mir, wenn Sie etwas über sie, ihre Verhältnisse und Reden sagen würden, so solle man Ihnen nicht glauben, denn es wäre hier oben nicht richtig mit Ihnen. Dabei legte die Gräfin den Finger an die Stirn.“

Ich verstand den Sinn dieser Worte nicht ganz, aber der Ernst in meiner Mutter Zügen, wie sie die Lippen an einander preßte und in langen Zügen athmete bei dieser Mittheilung, ließ mich ahnen, daß sie sich tief und ernst gekränkt fühle. –

Bei Dr. –n fanden wir viele Freunde des Vaters versammelt.

Man gab uns sogleich warme Milch zu trinken, unnützerweise, denn vergiftet waren wir natürlich nicht. Nachdem wir Alles erzählt, was uns begegnet war, und zahllose Hypothesen über die Absichten der Gräfin mit uns aufgestellt worden, ging ein von den anwesenden Freunden unterzeichneter Brief nach Plauen ab, worin die Gräfin gewarnt wurde, jemals wieder sich um uns zu bekümmern, widrigenfalls alte dunkle Geschichten wieder hervorgesucht werden würden, die Wohl zu ihrem eigenen Besten besser begraben blieben, – und wir haben auch nie mehr direct oder indirect ein Lebenszeichen von ihr erhalten. –

Ich würde den Boden der reinen Wahrheit verlassen und mich auf das schlüpfrige Gebiet der Hypothese begeben, wollte ich meinen Lesern sagen, welcher Art denn die vollen Absichten der Gräfin mit uns und welcher Art jene alten dunkeln Geschichten waren. Bis zu einem bestimmten Grade freilich liegt diese Absicht so klar zu Tage, daß ich keine Hypothese, sondern einen einfachen Schluß aus wahren Thatsachen ausspreche, wenn ich sage, daß die Gräfin die bestimmte, vollbewußte Absicht hatte, meine Mutter durch den Glauben, daß unser Vater noch lebe, geistig zu verwirren, mindestens ihre durch die Leiden der letzten Monate tief erschütterte Seelenruhe von Neuem wieder in der ungeheuerlichsten, grausamsten Weise zu stören.

Daß die Gräfin diese Absicht mit voller Klarheit und mit Vorbedacht auszuführen versuchte, das schließe ich aus folgender einfachen Thatsache. Die Gräfin behauptete, daß sie mit Windischgrätz correspondire, und suchte aus dieser Behauptung meiner Mutter den schlagendsten Beweis zu liefern, daß sie über meines Vaters wahres Schicksal auch am besten orientirt sein müsse. Diese Behauptung war nun entweder eine Lüge, und in diesem Falle liegt ihre Arglist auf der Hand, oder aber – wovon ich fest überzeugt bin – die Gräfin correspondirte wirklich mit Windischgrätz. Ich bin deshalb dieser Ueberzeugung, weil ich einmal keinen vernünftigen Grund kenne, eine Behauptung ohne Weiteres für eine Lüge zu erklären, und sodann weil die Gräfin Kielmansegge mit der zu Prag in den czechischen Unruhen erschossenen Gattin des Fürsten Windischgrätz eng befreundet gewesen ist. Ich will auch [43] glauben, daß sie noch nach dem 9. November Briefe von ihm hatte. Dann mußte sie aber so bestimmt wissen, wie wir es heute wissen (unter Anderm auch aus Windischgrätz’ Munde), daß der Vater wirklich todt war. Sie mußte dies wissen, sage ich, da die siegreiche österreichische Camarilla, so oft sie in der Geschichte auftrat, noch niemals einer solchen Heldenthat, wie sie an meinem Vater verübt wurde, sich zu schämen für nöthig hielt, nicht einmal ihren Feinden gegenüber, geschweige denn vor ihren Freunden!

Und selbst, wenn sie zwar mit Windischgrätz correspondirte, von ihm aber keinen Brief nach dem 9. November, keine directe Nachricht über das Schicksal des Vaters empfangen hatte – dann war es wiederum mindestens ein frevelhaftes Spiel mit der schwer errungenen Gemüthsruhe einer unglücklichen Frau, wenn die Gräfin Kielmansegge in solch’ apodiktischer Weise das Leben eines Todten behauptete und diese Behauptung doch mit nichts stützen konnte! – Was die Gräfin darüber hinaus für Zwecke verfolgte, ob sie, wie unsre Freunde damals bestimmt aussprachen, beabsichtigte, unsre Erziehung in die Hände des Ordens Jesu zu spielen, dem sie notorisch angehörte – darnach zu grübeln haben ich und die Meinigen uns nie gesehnt. Im Gegentheil, wir haben ihr längst vergeben, der merkwürdigen Frau auf dem „Schlosse“ im Plauenschen Grunde, und wünschen ihrer Asche von ganzem Herzen den Frieden, den sie in ihrem Leben schwerlich besessen hat.

So bin ich denn meinen Lesern blos noch Rechenschaft darüber schuldig, warum ich dem Spruche: „Von den Todten nur das Gute!“ nicht Rechnung trug und diese Thatsachen überhaupt veröffentlicht habe.

Es geschah erstens deshalb, um das Licht der Wahrheit über diese dunkle Geschichte zu verbreiten, die, wie ich hin und wieder aus Fragen, die an uns gerichtet wurden, entnehmen mußte, mit oder ohne Absicht gefälscht und verdüstert worden war. Sodann aber, und das ist mein Hauptgrund, um einen modernen Beleg mehr zu liefern zu dem trefflichen Worte des römischen Dichters:

Timeo Danaos, et dona ferentes!
(Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen.)




Die Pergola des Hotel Pagano.
Ein Reisebild von R. Waldmüller (Ed. Duboc).

Viele Reisende werden beim Anblick des schönen Bildes, welches diese Zeilen begleitet,[3] sich mit Vergnügen des Weinlaubenganges des Hotel Pagano auf der Insel Capri erinnern. Nicht daß ihre gewaltigen Säulen aus der marmor-verschwenderischen Kaiserzeit stammen: sie sind schlichtweg weiß übertünchtes Mauerwerk und weit jüngeren Datums als hundert erinnerungsreiche Trümmer ringsum. Auch der Palmen giebt es weit und breit auf Capri genug, wenn gleich wohl keine Diejenige des Signor Pagano an majestätischer Pracht übertreffen dürfte. Die Aussicht endlich ist zwar weit und fesselnd, aber weitere und fesselndere Umblicke findet der rüstige Wanderer an gar vielen Punkten dieser reizvollen Insel. Was der Pergola des Hotel Pagano ihren heimlichen Zauber giebt, ist, daß so ziemlich jeder Besucher Capri’s vor seinem Scheiden noch einmal dort rastete und mit den genossenen Eindrücken hier dankbar abschloß.

Für mich knüpft sich allerdings an diese Pergola noch eine Erinnerung anderer Art, und das Bild hat dieselbe mir von Neuem in lebhaften Farben zurückgerufen.

Wir waren an einem goldnen Julitage mit einer munteren Reisegesellschaft von Sorrent nach Capri herübergeschifft und hatten wie billig zuerst der blauen Blume der Romantik, der unvergleichlichen Grotte, unsern Bewunderungszoll abgetragen.

Nachmittags ging es nach Anacapri hinauf, dem Hochplateau der Insel, fünfhundertundsechszig wohlgezählte Stufen. Wie allenthalben um den Golf von Neapel sind die Häuser hier nach griechischer Art mit flachen, weißlichen Dächern versehen, deren Mitte sich auch wohl bei einem oder dem andern zu einer sanften Kuppel erhebt. Eine bezauberndere Umschau als von diesen Dächern aus möchte aber weit und breit nicht wohl aufzufinden sein, es sei denn, man klettere bis auf die Trümmer des Castells Barbarossa hinauf. Ein gutes Auge überblickt, im Halbkreise wandernd, nicht nur den ganzen bunten Golf mit den Inseln Ischia und Procida, dem langgestreckten Neapel, dem dampfenden Vesuv und dem vielzackigen Kalksteingebirge, das mit weiß herüberblinkenden Ortschaften an seinem meerumspülten Fuß den Halbkreis schließt; es entdeckt jenseits dieser pittoresken Felsenzunge noch den freundlichen Meerbusen von Amalfi und über diesen hinaus auch noch die blau verdämmernden Berglinien des erinnerungsreichen Pästum.

So wird denn begreiflicher Weise ein gut Theil der Tagesgeschäfte Anacapri’s auf den Dächern abgethan. Wir sahen dort Wäsche bügeln, Kinder wiegen, Haare strählen, Weizen dreschen, Hanf zum Trocknen ausbreiten, Rosinen, Feigen und Apfelsinen dörren, Netze flicken, Körbe flechten und was sonst den Weibern einer Fischerbevölkerung noch an häuslichen Verrichtungen zufällt. Auf dem letzten Dache des Ortes saßen zwei in Trauer gekleidete junge Frauen, Beide mit dem Besticken eines blauseidenen Gewandstücks beschäftigt, wie man deren wohl der Madonna oder einer andern Schutzpatronin zur bessern Unterstützung eines Anliegens verehrt. Sie blickten kaum von ihrer Arbeit auf und unterschieden sich dadurch sehr vortheilhaft von einem unten in der Hausthür stehenden und überlaut lachenden Weibe, das hinter seinem breiten Rücken einen Männerhut von Stroh versteckt hielt und dem danach Suchenden, einem etwa fünfundzwanzig bis dreißigjährigen jungen Mönche, alle denkbaren Streiche spielte. Unser Cicerone, welcher die unfeine, übrigens recht hübsche Frau vertraulichen Tons als Donna Agata ansprach, machte der Sache ziemlich eigenmächtig ein Ende, und der wieder zu seinem Hut Gelangte – man rief ihm „Fra Arcangeli!“ nach – schloß sich uns an. Er trug eine Art schwarzen Klosterhabits, dazu braungelbliche Sandalen und seinen schmalen Kopf bedeckte jener breiträndrige Hut von wettergebräuntem Reisstroh. Sein Bart war ein gut Theil lichter als das lange nußbraune Haupthaar und reichte fast bis auf die graue Hanfschnur hinab, welche die Hüften des freundlich lächelnden Mannes umgürtete. Besonders eigenartig war die Farbe seiner Augen, etwa wie ein stumpfes Marmorgrau. Durch lange schwarze Wimpern beschattet und von feinen Brauen überwölbt, wirkten sie trotz ihrer matten Farbe bedeutend und charakteristisch, eine Wirkung, die freilich, sobald er redete, nicht Stich hielt.

Daß der sonderbare Mann nicht ganz klaren Geistes war – die harmlosen unter den sogenannten Pazzi läßt man im Süden ja frei umher gehen – war uns schon eine geraume Weile nicht zweifelhaft gewesen. Aber allem Anscheine nach bestand seine Störung einzig in seiner völligen Unfähigkeit, irgend eine Beziehung zwischen sich und den Vorgängen der Gegenwart zu empfinden. Er lebte im Mittelpunkte einer Begebenheit, die bereits vor einer Reihe von Jahren geschehen sein mußte, und wenn man diesen seinen Standpunkt erst heraus gefunden hatte, konnte man seine Reden kaum noch für wunderlich gelten lassen. Da ich nachträglich Gelegenheit gehabt habe, von kundiger Seite bis in die kleinsten Einzelnheiten berichtigen zu lassen, was von ihm unklar erzählt – denn er war sofort in’s Erzählen gekommen – oder aber von mir irrig verstanden worden sein mochte, so gebe ich nachstehend die Geschichte, wie man sie mir mitgetheilt hat. In wie fern der junge Mönch berechtigt war, sich als den Beichtvater der Betheiligten anzusehen, wird am Schlusse festzustellen sein. Der Säulengang selbst ist heute noch unverändert. Im Volksmunde hieß der Weingang damals einfach die Pergola; die Maler dagegen haben diese Pergola immer nur nach ihrem lebendigen[WS 2] Schmucke, der Palme, benannt.

Die französische Februarrevolution vom Jahre achtundvierzig hat bekanntlich im Königreiche beider Sicilien schon einen Monat früher vorgespukt. Jenseits des Faro, in Sicilien, war man der Gewaltherrschaft Biale’s satt und müde; diesseits des Faro, auf

[44] dem Festlande, verwünschte man das Joch del Carretto’s. Am 12. Januar, am Geburtstage des Königs, erhob sich Palermo. Neapel folgte bald darauf. Es erzwang am 25. Januar die Austreibung del Carretto’s, am. 28. Januar die Zusage einer Constitution und ließ sich Tags darauf die letztere, als sie wirklich verliehen worden war, auch noch durch einen feierlichen Rundritt des Königs bekräftigen. Aber schon am 13. März begann die Contrerevolution ihr Haupt zu erheben. Wenige Tage vorher waren die Jesuiten aus Neapel verjagt worden. Was Wunder, wenn Liguoristen, Dominicaner und andere dunkle Brüderschaften sich schon eines gleichen Schicksals versahen. Ihre Angst hatte sich den Fischverkäuferinnen der Marinella mitgetheilt. Die handfesten Vettern dieser guten Frauen, die Lazzaroni del Mercato, von jeher mit den ärmeren Klostergenossenschaften auf Du und Du, ließen sich zu lärmenden Umzügen bereden, und da ihr Parteiergreifen für die Mönche von einflußreichster Seite nachdrücklich unterstützt wurde, so kam es am 13. März unter den Rufen: „Viva il Re e la Madonna del Carmine!“ zu tumultuarischen Auftritten.

Nicht gar weit von dem königlichsten Palast liegt in der Hauptstraße Neapels, im volkreichen Toledo, das prächtig eingerichtete Café di Europa, damals der gewöhnliche Sammelpunkt der tonangebenden Liberalen. Hierher wendete sich ein Haupttrupp der tobenden und schreienden Klosterfreunde. Sie zertrümmerten die großen Scheiben, die Spiegel, die Marmortische, die Büffetvasen. Dann begann der Krieg gegen die Gäste. Die Bestgekleideten hatten sich zuerst zu vertheidigen. Bald meinten die Angreifer aber bestimmte, ihnen besonders verhaßte Persönlichkeiten zu erkennen, und endlich wurde ein junger römischer Flüchtling, der bei allen Umwälzungen der letzten Monate eine hervorragende Rolle gespielt hatte, der damals vielgenannte politische Pamphletist Gaetano P…, zum Zielpunkte der ganzen Rotte. Er war waffenlos wie alle übrigen Gäste des Café, setzte sich indessen mit seinem Stocke behende genug zur Wehr und wurde nach langem erbittertem Kampfe von seinen Freunden aus dem blutigen Handgemenge hinausgeschafft und in ein Hintergebäude hinüber gerettet, von wo der Herzog von San D. und der junge Principe di L. den Betäubten und der Sprache Beraubten in Sicherheit zu bringen unternahmen.

Wie das geschehen sollte, war freilich nicht leicht zu sagen. Man übersieht den Umfang solcher Volksbewegungen selten, während sie noch im Gange sind. Wie ein Nebel auf dem Meere hüllen sie die davon Ueberraschten plötzlich ein und Niemand weiß, wo ihre Grenze ist. So beriethen die beiden Edelleute denn auch lange vergebens, in welcher Weise Gaetano nach irgend einem Versteck zu transportiren sri. Vielleicht schon in demselben Augenblicke konnten ihre eigenen Häuser gestürmt und geplündert werden. Der gewöhnliche Zufluchtsort aller in Neapel Verfolgten, die Clausur eines der vielen Bettelklöster, war für diesen Verfolgten natürlich unzugänglich. Dennoch konnte Gaetano – das ließ sich bei der Heftigkeit des neapolitanischen Volkscharakters voraussetzen – wohl kaum in Jahr und Tag sich wieder in Neapel auf die Straße wagen.

Ein Mann, welcher dem Vater des Prinzen zu den großen Festen des Palazzo di L. die Wachskerzen zu liefern pflegte, half aus der Noth. In Neapel werden unglaublich schwere Lasten auf dem Kopfe getragen. Zerbrechliche Gegenstände, sie mögen noch so gewichtig sein, werden fast nie anders transportirt. Man sieht massiv gearbeitete Commoden, Secretaire, Schränke, ja ganze Claviere hoch in der Luft über die Köpfe des Toledo-Gedränges dahin schweben. Don Saverio, der biedere Lichtgießer, ließ daher den allmählich wieder zur Besinnung Gelangten in eine große Kirchenlichterkiste packen, adressirte das Frachtstück an seinen Schwager Don Nicola auf Capri, wies die beiden Edelleute an, in welcher Weise sie ihm, Saverio, die Bürde auf die rothe Wollenmütze heben sollten, und trug den eingeschachtelten Pamphletisten dann wohlbehalten nach dem Molo. Hier war bereits ein zuverlässiger Marinaro gedungen worden, und so schiffte sich der aus seiner engen Haft Erlöste unter der Obhut eines Dieners des Prinzen nach dem Eiland des Tiberius ein.

Am selben Abend noch ward das Reiseziel erreicht. Don Nicola nahm den von seinem Schwager warm empfohlenen Patienten ehrerbietig auf, und sein Töchterchen Teresina, zumeist la Biondina genannt, sowie deren Stiefmutter, Donna Agata, beeilten sich, den der Pflege noch sehr Bedürftigen mit häuslichen Mitteln, Weihwasser und Amuletten auf’s Beste zu versorgen. Das Haus des Don Nicola war eines der höchstgelegenen in Anacapri, es bildete den letzten östlichen Ausläufer des Oertchens, steckte nicht, wie die andern, zwischen Nachbarhäusern, und begünstigte solcher Art das Unbeachtetbleiben Gaetano’s. Das hätte übrigens auch sonst kaum Schwierigkeiten gemacht. Man pflegt ja überall im Süden Krankheiten womöglich durch Luftwechsel zu curiren, und daß ein in dem schwülen Neapel Erkrankter auf dem windumstrichenen Capri Genesung suche, konnte nicht auffallen. Als ein Solcher hatte Don Saverio ihn aber seinem Schwager empfohlen.

So blieb nach dieser Seite denn für Gaetano nichts zu wünschen. Und auch die Hausgenossen wurden ihm, der sich rasch einzuleben pflegte, schon nach kurzer Zeit lieb und angenehm. Biondina, die Herzensgüte selbst, war trotz ihrer fünfzehn Jahre – in Italien etwas Seltenes – noch ganz Kind; dabei zwar ohne alles Schulwissen – kaum daß sie buchstabiren konnte – aber gewitzt und mit einem Anflug neckischer Laune, die den Patienten wohlthuend an eine ihm im gleichen Alter entrissene Schwester erinnerte. Die Stiefmutter, Don Nicola’s dritte oder vierte Frau, erst zwanzig und einige Jahre alt, immer zum Lachen aufgelegt, hübsch genug, vielleicht schon etwas zu robust, füllte ihren Platz im Haushalt so beiläufig und obenhin aus, als sei sie nur eben auf Besuch eingesprochen und habe daher keine rechte Arbeit zur Hand. Sie muthete Niemandem etwas zu, Alles ging, wie es eben gehen wollte, und da Jedermanns Bedürfnisse höchst geringfügig waren, so hatte das Leben in der sonnigen Casa di Nicola einen überaus sorglos vergnüglichen Anstrich. Der ältliche Hausherr selbst freilich, immer mit dem wohlgebürsteten Cylinder auf dem graugesprenkelten Kopfe, paßte in dieses Bild nicht hinein. Eigentliches Arbeiten war zwar nicht seine Liebhaberei, wohl aber liebte er arbeiten zu sehen. Zu Frau Agata’s Glück entschädigte ihn für das, was er in seinem Hause nach dieser Seite hin vermissen mochte, die emsige Rührigkeit seiner Bienen. Den halben Tag saß er denn auch in dem Cactusgarten, jenseits des Kirchleins Sta. Brigida, allwo er seine buntbemalten Bienenkörbe bei der ihm befreundeten Wirthschafterin des Pfarrers eingemiethet hatte. Er trieb einen ansehnlichen Wachshandel, bereiste als Käufer mehrere Male im Jahre alle wachsproducirenden Orte der Terra di Lavoro und nahm es für eine Artigkeit, wenn man ihn als Don Cera, zu Deutsch Herr Wachs, ansprach, unter welchem Namen die meisten seiner Lieferanten ihn sogar nur kannten. Uebrigens wäre dem durch ein behäbiges Daheim verwöhnten Gaetano denn doch Manches wohl im andern Lichte erschienen, hätte sich Sabino, der Diener des Prinzen, nicht als der unermüdliche Alleskönner erwiesen. Er besorgte die Küche, er buk Brod, er fing Vögel, er fing Fische und wußte jeder Minute irgend einen fröhlichen Ertrag abzugewinnen. Donna Agata wollte er in seiner Heimath Ischia schon als kleines Mädchen gekannt haben, und wenn sie selber auch von ihren seltenen Besuchen bei einem dortigen Pathen sich seiner durchaus nicht erinnern konnte, so ließ sie sich’s doch gern gefallen, daß der schelmische Bursche zwischen dem unansehnlichen Kinde von dazumal und der jetzigen Donna Agata „di Cera“ die artigsten Vergleiche anstellte.

Das Alles nahm sich anmuthig genug aus. Mit Gaetano selbst stand es aber dennoch nicht zum Besten. Er war durch seine Verbannung aus Neapel nicht nur jenem behäbigen Daheim entrissen worden, er hatte auch sie, die es ihm schaffen half, Donna Beata, sein liebes Weib, in Neapel zurückgelassen, eine Römerin, seine Landsmännin, sein Augapfel, sein Abgott, wenige Jahre jünger als er, der er selber erst eben zwanzig zählte. Als Gaetano, von dessen kleiner Hausfrau das Café di Europa nie etwas erfahren hatte, so unverhofft zur Flucht genöthigt worden war, hatte sich der junge Prinz di L. für Donna Beata’s Sicherheit zu sorgen erboten. Der Prinz war aber, trotz mancher vortrefflichen Eigenschaften, ein zweifelhafter Frauenbeschützer. Sobald Gaetano daher die Feder wieder führen konnte – in der ganzen Casa di Nicola verstand sich sonst Niemand auf diese Fertigkeit – gab er seiner Frau von allem Vorgefallenen selber Nachricht und entbot sie nach Capri. Aber es kam keine Antwort, und auch als er wieder und wieder schrieb und, um alle unklaren Verhältnisse kurz abzuschneiden, Anordnungen wegen einer gemeinsamen Rückkehr nach Rom zu treffen versuchte, blieb jedes Lebenszeichen von Donna Beata aus.

[45]

Die Palme des Hotel Pagano auf Capri.

[46] Im Süden geht, wie in den Komödien Calderon’s, Molière’s und Goldoni’s, so ziemlich jede Art von Besorgung durch Dienerhände. Auch Gaetano’s Briefe hatten diesen Weg genommen, aber Sabino wußte von Gaetano selbst, daß er nur auf eine Antwort seiner Frau warte, um sofort nach Rom aufzubrechen, und da sich der vermeinte Jugendbekannte der Gattin des Wachshändlers gar ungern von Capri getrennt hätte, so hielt er’s für zweckmäßig, jene Briefe gar nicht zu befördern. Auf diese Weise und während die Genesung des Leidenden langsam vorrückte, ging der März, ging der halbe April dahin. Endlich vermochte Gaetano die Ungewißheit nicht länger zu ertragen. Er borgte sich einen Fischeranzug und ließ sich nach Neapel hinüberfahren.

Dort hatte inzwischen ein Ministerwechsel den andern gedrängt. Heute leitete der Prinz Strongoli die Staatscarosse, morgen kamen ihre Zügel in die Hände Guglielmo Pepe’s, der vor wenigen Tagen erst aus der Verbannung heimgekehrt war. Man hatte die mißliche Grundlage der octroyirten Verfassung bereits erkannt, verlangte eine constituirende Versammlung und Anschluß an den Krieg gegen Oesterreich. Dazwischen gab es Zusammenrottungen bald in diesem, bald in jenem Sinne. Alles stand in der Schwebe.

Gaetano war kaum bei Sta. Lucia an’s Land gestiegen, als er auch schon erkannt wurde. Mit Mühe entkam er, aber noch zweimal wiederholte sich das Nämliche, und als er endlich die Wohnung erreichte, wo er Beata zurückgelassen hatte und jetzt vergebens erfragte, gerieth er in die Hände eines ganzen Haufens rauflustiger Strolche. Das Inswasserwerfen ist in solchen Fällen eine in Neapel volksthümliche Belustigung. „Ein apartes Fischerchen!“ hieß es, „seht nur die feinen Hände und den weißen Hals! Er wird unsern Beistand brauchen. Zeigen wir ihm den kürzesten Weg zu den Fischen!“ Und man warf Gaetano kurzweg in die See.

Zum Glück konnte er schwimmen. Er entkam mit dem Leben. Aber sein Zustand hatte sich arg verschlimmert. Als er Abends in dem Boot eines mitleidigen Schiffers Capri wieder erreichte, war er körperlich wie geistig nahezu aufgerieben. Vor Allem freilich geistig. Denn zwischen den harmloseren Behelligungen, welche seinem Sturze in’s Meer vorausgegangen waren, hatte Gaetano noch Muße gefunden, dies und das in Neapel zu erkunden, und so war es ihm zur Gewißheit geworden, daß Beata schon seit Wochen mit dem jungen Prinzen di L. aus Neapel verschwunden war. Sabino ließ errathen, dergleichen habe er bei dem lebenslustigen Charakter seines Herrn längst gefürchtet, und er gab noch manch’ andern Wink, der schon auf vorausgegangene Verabredungen hindeutete. „Und da solltet Ihr froh sein,“ meinte Donna Agata, „wenigstens zu wissen, wie Ihr daran seid. Laßt Euch rathen und vergeßt Euer Unglück lieber heut’ als morgen.“ Biondina weinte vor herzlichem Mitleid. Gaetano selbst war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Erst ein heftiges Fieber gab seinem Zustande eine glücklichere Wendung. Es beschäftigte seinen Geist mit Phantomen und half ihm so über die schlimme Wirklichkeit hinweg.

Als er dann aber endlich – eine Woche hatte er zwischen Leben und Sterben geschwebt – aus seinen Phantasieen von Neuem zum Bewußtsein erwachte, hatte das Schicksal für den Verzweifelnden einen noch holder lindernden Balsam in Bereitschaft, und fast schien es, als solle er nicht nur dem Leben, nein, auch den sonnigsten Seiten desselben wieder geschenkt werden. Denn seine schmucke Pflegerin Biondina hatte, während sie über ihn wachte, ihr unerfahrenes kleines Herz an ihn verloren. Mit der ganzen Gewalt einer ersten Leidenschaft unter südlichem Himmel war das Unglück über sie gekommen, und schon in der ersten Viertelstunde seiner wiederkehrenden Klarheit wußte er Alles. „Ich konnte nichts dafür,“ sagte sie treuherzig rathlos, „ich habe nimmer geahnt, wie dergleichen so auf einmal Kopf und Glieder benehmen kann. Man hat noch eben die gleichgültigsten Gedanken, und plötzlich sitzt man wie mitten im Fegefeuer.“

Die Bestürzung Gaetano’s war groß. Er suchte zu beschwichtigen, aber sein Herz pochte so unruhig, daß er selber kaum wußte, was er sagte. Dazu ihre kindliche Hilflosigkeit, ihr Rothwerden inmitten einer unaussprechlichen Wonneseligkeit und wieder ihr ehrliches Betheuern, sie habe sich selber nicht wenig erschreckt, aber sie wolle auch gewiß zuverlässiger sein, als die böse Donna Beata, und ob es ihm denn auf dem lieben, friedlichen Capri nicht weit besser gefallen würde, als drüben in dem lärmenden, treulosen Neapel?

Es war im schönen Monat Mai. Die Myrthen blühten, die Orangenkelche dufteten, die Vögel sangen, durch’s offene Fenster strich die Seeluft erquickend herein und die Sonnenstrahlen schienen nicht müde zu werden mit dem krausgoldnen Lockengeringel des schönen Kindes ihr Spiel zu treiben. Gaetano lag wie in dem Doppelbann des zum Leben und zum Lieben Wiedererwecktseins. Träumte er noch? War wirklich die Nacht der Schmerzen hinter ihm versunken? Durfte er noch einmal vertrauen? Er wußte selber nicht deutlich, was er that, aber er öffnete seine Arme, und der Bund war geschlossen.

Die Reue folgte. Gegen die Mitte des Mai-Monats zog sich über Neapel wieder ein politisches Gewitter zusammen. In dem Municipalitäts-Gebäude des Monte-Oliveto hatten sich die Deputirten zu vorbereitenden Sitzungen eingefunden. Sie beriethen die Eidesformel und unterhandelten mit dem Ministerium darüber so endlos lange, bis der Meinungszwiespalt aus der Versammlung auf die Straße drang und der Toledo sich mit Barricaden füllte. Am 15. Mai Vormittags zwischen zehn und elf Uhr fiel ein Schuß in der Nähe des Café di Peluso. Er traf, und der Krieg zwischen dem bewaffneten Volk und den Schweizer Truppen war dadurch eröffnet. Das Castell St. Elmo zog seine rothe Fahne auf und verkündete, wie am 27. Januar, durch drei Kanonenschüsse den Belagerungszustand. Castel Nuovo begann mit Kugeln und Kartätschen aufzuspielen. Und von da an taumelte die Kriegsfurie mordend, raubend, brandstiftend zwölf lange Stunden durch die angsterfüllten Straßen der paradiesischen Stadt.

Der Kanonendonner hatte Gaetano aus seinem Frühlingstraum aufgescheucht. Er schiffte sich in Hast nach Neapel ein und suchte, dort angekommen, seinen Platz auf den Barricaden. Als eine nach der andern den Schweizern und deren Verbündeten, den Lazzaroni, preisgegeben werden mußte, schloß er sich den Vertheidigern der Taverna penta an. Er hatte unter der freiwilligen Besatzung des arg bedrängten Hauses Bekannte zu erkennen geglaubt, und jetzt gewahrte er, daß der Prinz di L. selber hier den Oberbefehl führte. Die Augen der beiden Männer trafen sich, aber schon in der nämlichen Secunde trennte sie eine Wolke von Pulverdampf und die nächste Viertelstunde gehörte dem Kampfe mit den Feinden draußen.

Dann, als der Sturm glücklich abgeschlagen worden war und für eine kurze Weile die Kriegsarbeit feierte, zog der Prinz den Gatten Beata’s in einen Seitengang und stellte sein Leben zur Verfügung Gaetano’s. „Ich habe Ihr Vertrauen schlecht gelohnt,“ sagte er, „fällen Sie mein Urtheil, Signore.“

„Und wo ist sie?“ fragte Gaetano, vor Erregung kaum der Sprache mächtig.

„Auf dem Wege nach Capri.“

„Auf dem Wege zu mir?“ Er hob seine Doppelbüchse. „Wollen Sie mich auch noch verhöhnen?“

„Die Treue Ihres Weibes,“ sagte der Prinz und wagte Gaetano’s Blick nicht zu begegnen, „hat jeder Versuchung widerstanden. Sie haben einzig mit mir, dem Versucher, abzurechnen. Wollen Sie mir noch die Muße gönnen, meine Schuld hier im Kampfe gegen die Feinde unseres Vaterlandes zu sühnen? Wo nicht, so thun Sie, was Ihre beleidigte Ehre Ihnen eingiebt. Meine Blouse ist leicht zu durchbohren. Hier stehe ich.“

Gaetano stürzte fort. Er war wie von Sinnen. Er wußte nicht aus und ein. Am Abend erreichte er Capri, fand Beata in der Pergola neben Biondina stehend, bleich und verweint die Eine wie die Andere, – und brach unter der Wucht des unlösbaren Wirrsals zusammen.

Man hob ihn auf, man trug ihn in’s Haus. Vier Augen wachten Wochen lang Tag und Nacht über seinem Lager. Aber das Licht seines Geistes wollte seine frühere Klarheit nicht wiedergewinnen. Und so dichtete sein Irrsinn das Erlebte allmählich zu einer fremden Historie um, und das kuttenähnliche Kleid, das man ihm auf sein Begehren anzog, und der Name Fra Arcangeli, den er sich beilegte, halfen die Selbsttäuschung vervollständigen. Er war, so erzählte er seitdem, der Beichtvater eines Unglücklichen gewesen, welcher zwei Lieben, aber nur ein Leben gehabt hatte; wo, wann, wie? das war ihm entfallen. Damals hatte er dem Unglücklichen sehr streng in’s Gewissen geredet, aber seitdem war ihm seine Härte leid geworden; er hoffte allen Dreien noch helfen zu können. Es galt, meinte er, nur drei Punkte so zu verbinden, daß Jedem sein Recht werde. In der Pergola, wo Gaetano den [47] beiden Auserwählten seines Herzens zuerst gegenüber gestanden hatte, grübelte Fra Arcangeli Tag für Tag über die Lösung seiner Aufgabe: unablässig kritzelte er Dreiecke in die Säulen der Pergola; bis jetzt hatte er indessen noch kein Dreieck zu Stande gebracht, bei dem, so meinte er zum wenigsten, nicht immer eine Linie gegen die anderen beiden zu kurz komme.

Und das ist so etwa die Geschichte, wie sie mir von jener schönen Fahrt nach Capri wehmüthig und doch hold – denn im Süden kleidet sich ja das Traurigste selbst in helle Farben – in der Erinnerung verblieben ist. Andere mögen, wenn sie Capri’s gedenken, das Bild jenes gigantischen Felsen vor sich aufsteigen sehen, von welchem Tiber seine Opfer in’s Meer stürzen ließ. Mir steht jenes letzte Haus auf Anacapri im Gedächtniß; und ich sehe, wie damals, die beiden in Trauerkleider gehüllten Frauengestalten auf dem schönen freigelegenen Dache sitzen, über ihre gemeinsame Stickerei gebückt, welche ihre Gebete für den armen Gaetano unterstützen soll. Vor Allem aber gedenke ich jener Pergola, bei deren Betreten so wenige Besucher Capri’s ahnen, wie unsäglich bange dort einst drei arme Menschenherzen gepocht haben.




Blätter und Blüthen.

Ein Theaterscandal in Rom. An demselben 26. December des Jahres 1815, an welchem im Theater Valle zu Rom Rossini’s „Torvaldo e Dorlisca“ (beiläufig gesagt, eine seiner schwächeren Productionen) gegeben wurde, machte der genannte Komponist mit dem Impresario des Theaters Argentina in Rom einen Contract für eine Buffa-Oper, die er bis zum 24. Januar 1816 fix und fertig zu liefern sich verpflichtete und für die er vierhundert römische Scudi erhalten solle. Also in neunundzwanzig Tagen – vom 26. December bis zum 24. Januar – war das Werk, welches aus zwei Acten bestehen sollte, zu vollenden; man behalte das wohl im Gedächtniß. Nun war aber durchaus noch kein Operntext vorhanden; es vergingen verschiedene Tage, ehe der Director sich mit der römischen Censur über ein Sujet zu einigen vermochte; dann mußte erst ein Dichter gesucht werden, der sich endlich in der Person eines gewissen Sterbini (eines dilettirenden Poeten) auch fand – kurz, es vertrödelte sich eine Masse Zeit, und als endlich Alles gehoben und gelegt war, blieben Rossini noch dreizehn, sage dreizehn Tage. Und in dieser unglaublich kurzen Frist brachte er denn auch sein Werk zu Stande, welches kein anderes ist, als „Il Barbiere di Siviglia“, jenes leuchtendste Juwel unter den Rossini’schen Kleinodien, jenes Musterstück der Buffa-Gattung. Aber wie arbeitete er auch! Tag und Nacht ging’s; in der einen Stube seiner Wohnung saßen er und der Dichter, in der andern die Copisten; das Versificiren und Componiren ging Zug um Zug, Schlag um Schlag, und jedes vollgeschriebene Blatt wurde gleich in’s Reine gebracht. Es war wie im Kriege: man aß, wenn man konnte, und man schlief, wo man saß oder stand. Ja, nur ganz am Ausgehen verhindert zu sein, ließ sich Rossini während der ganzen dreizehn Tage den Bart nicht abnehmen; – wegen des „Barbiers“ nicht „rasirt“ zu werden, das ist gewiß höchst komisch.

Während nun Rossini dieses wahrhafte Wunder von Thätigkeit und Genie verrichtete, während die Schreiber noch copirten und die Sänger studirten, bereitete sich ein Ungewitter gegen das neue Werk vor, das von Feinden und Neidern zusammengebraut wurde, und dem der intriguante Paesiello, obwohl fern vom Schauplatz, nicht fremd war. Hatte dieser doch auch einen „Barbier von Sevilla“ componirt, und war das Libretto desselben doch ebenfalls nach der gleichnamigen Komödie des Beaumarchais bearbeitet.

War das nicht eine prächtige Handhabe, um Rossini zu verdächtigen, als wolle er durch eine übermüthige Concurrenz mit dem alten und berühmten Meister diesem die Lorbeeren verkümmern? Und ließ sich diese Verdächtigung nicht vortrefflich verwerthen, um Rossini überhaupt als frechen Neuerer, als Verächter classischer Traditionen und Conventionen Etwas anzuhaben? Nichts half es, daß auf die Clausel des Contracts hingewiesen wurde, nach welcher Rossini bei der Wahl eines Libretto gar keine Stimme hatte und nur dasjenige in Musik zu setzen hatte, welches der Director ihm übergeben würde, sei es alt oder neu. Nichts half es ferner, daß man dem Textbuch eine Vorrede vordruckte, in welcher alles Unterscheidende zwischen den Libretti des Paesiello’schen und Rossini’schen „Barbiers“ nachgewiesen und dem Verdacht vorgebeugt wurde, als wolle der junge Componist mit dem alten renommirten Meister in irgend welche Rivalität treten. Ja, der Respect vor dem älteren Werke war sogar insoweit gewahrt, als man die neue Oper nicht unter dem Titel des Ersteren: „Il Barbiere di Siviglia, ossia l’inutile Precauzione“, auf die Bühne brachte, sondern sie „Almaviva ossia l’inutile Precauzione“, benannte. (Nachgehends ist der Titel „der Barbier“ allerdings wieder gang und gäbe geworden.)

Also wie gesagt, alles Vorbeugen und Entschuldigen fruchtete nichts; eine Demonstration gegen das zu erwartende Erzeugniß Rossini’s war beschlossene Sache, und am Abend des 5. Februar 1816, wo der „Barbier“ zum ersten Male auf der Argentina gegeben wurde, feierten der Neid, die Bosheit und das Vorurtheil in dem Theaterscandal, den sie organisirt hatten, eine wahre Orgie. Keine Nummer der Oper, von der Ouverture bis zum zweiten Finale, wurde ruhig angehört; Verhöhnungen regneten stromweise herab auf Musik, Darsteller und Situationen, ja, sie erstreckten sich sogar auf den nußbraunen Rock, in dem Rossini am Flügel saß; Tumultuiren, Pfeifen, Gelächter, die Applaudirungsversuche einer vernünftigeren Publicums-Minorität und der Freunde des Componisten – Alles das bildete ein Charivari, ein Chaos, das unentwirrbar war.

Mußten nun auch noch Vorfälle sich ereignen, wie: daß dem Almaviva mehrere Saiten seiner Guitarre rissen, als er sich seine erste Arie accompagnirte, – daß Basilio bei seinem Auftreten hinfiel und mit blutender Nase die „Calunnia“ singen mußte, – daß, um das Maß voll zu machen, im ersten Finale eine Katze sich auf die Bühne verirrte und, scheu gemacht durch die Lichter, den Lärm und die Musik, wie toll herumras’te! Und Rossini? Natürlich war er machtlos gegenüber dem Scandal; doch ließ er sich nicht insoweit werfen, daß er nicht hin und wieder den gegen ihn geschleuderten Invectiven und Interpellationen derbe Repliken entgegensetzte, auch wohl auf seinen Stuhl stieg und den gemißhandelten Darstellern seines gemißhandelten Werkes Muth zum Ausharren zusprach oder Beifall zuklatschte. Daß er damit nur Oel in’s Feuer goß, ist ersichtlich.

So ungefähr war die erste Vorstellung des „Barbiers“ beschaffen. Die zweite zu dirigiren hatte er auf’s Entschiedenste verweigert; denn die Behandlung, welche er erfahren hatte, war ihm denn doch ein wenig zu hahnbüchen, und er fürchtete eine Wiederholung derselben. Ruhig blieb er daher am Abend der zweiten Vorstellung in seinem Zimmer. Da hörte er mit einem Male einen Tumult, erst aus der Ferne schallend, dann immer näher heranbrausend; aus dem Gewirre lösen sich Rufe mit seinem Namen los. Kein Zweifel, im Theater war wieder der Teufel los gegangen; die Pöbelhaftigkeit wollte sich ihr Hauptopfer nicht entgehen lassen und kam nun, um im eignen Hause den gehaßten Rossini zu insultiren. Wer aber malt sein Erstaunen, als er in den die Treppe Heraufstürmenden und in sein Zimmer Dringenden statt einer Rotte von Gegnern eine Schaar von Freunden erblickt, die ihn jubelnd umringt mit der Verkündigung, daß der erste Act seiner Oper nicht nur mit Ruhe angehört, sondern auch mit Enthusiasmus aufgenommen worden sei; daß das Publicum stürmisch nach ihm verlange, und daß er mit in’s Theater müsse, um den zweiten Act zu dirigiren. Die unten vor dem Hause versammelte Menge hatte sich inzwischen mit Fackeln versehen, und beim Scheine derselben wurde der Componist im Triumph zur Argentina geleitet, wo man nun eben so überschwänglich in Gunst- und Ehrenbezeigungen gegen ihn war, als früher in Schmähungen und Verlästerungen. Erkläre sich diesen Umschlag wer will und kann; genug ist’s, daß mit ihm der „Barbier“ in seine Rechte eingesetzt wurde und daß Neid und Cabale ihr Werk umsonst gethan hatten.


Eine Wohlthat für Viele. Es giebt ein Hausmittel gegen ein kleines, aber recht empfindliches Uebel, das andern Mitteln beharrlich trotzt. Das Uebel heißt Hühnerauge und tritt oft so unbescheiden auf, daß Proppen nicht mit Unrecht behauptet, er hätte eines, welches so groß wäre, daß er nicht mehr wüßte, wer das Hühnerauge und wer die Zehe ist.

Gegen Hühneraugen, die äußerlich unmittelbar mit dem Schuhwerke in Berührung stehen, sind Ringe aus Leder oder Filz, mit Heftpflaster um das Hühnerauge befestigt, mit gutem Erfolge angewendet worden. Anders verhält es sich aber, wenn Hühneraugen beseitigt werden sollen, welche zwischen zwei Zehen sich angesiedelt. Hier helfen die Ringe nicht mehr, da sie leicht hart werden oder sich verschieben, zumeist aber wohl darum nicht, weil sie auf die bereits empfindliche, oft entzündliche Stelle der mit dem Hühnerauge behafteten Zehe aufgesetzt werden.

Die Hühneraugen zwischen den Zehen entstehen fast immer in Folge des Druckes, den die hervorragenden Knochen der Zehengelenke auf die benachbarten Zehen ausüben. Mit liebenswürdiger Ausdauer pflegen diese Knochentheile die Kinder ihrer Laune großzuziehen und zu unterhalten, und das um so eifriger, je mehr sie darin durch die meist ungeschickte, aber seitens der Herren Schuhmacher mit Stolz vertheidigte, auf das Zusammenpressen der Zehen hinzielende Façon des Schuhwerkes unterstützt werden. Der Versuch, dem Verbrecher direct auf den Leib zu rücken, durch Aufkleben eines passenden Ringes auf die Stelle der Zehe, welche durch ihren Druck auf der Nachbarzehe ein Hühnerauge verursacht – (das Auseinanderhalten der beiden feindlichen Nachbarn vermittels des Ringes) – hat die beste Wirkung gehabt; die arme Hühneraugenzehe, froh, von dem Drucke der Knochen ihres Nebenmannes befreit zu sein, beeilte sich nicht blos, keine Schmerzen mehr wahrnehmen zu lassen, sondern in der kurzen Zeit von zwei bis drei Wochen auch ihr Hühnerauge, in Form eines harten, linsenförmigen Körperchens, abzustoßen.

Das gepriesene Mittel besteht also 1) in einem kleinen Ringe aus Gummi elasticum (weiches Gummi, wie solches zum Auswischen von Bleistiftstrichen benutzt wird), den sich Jedermann leicht mit der Scheere zurechtschneiden kann, 2) aus einem ungefähr einen halben Zentimeter breiten und achtzehn bis zwanzig Centimeter langen Striemen mit Heftpflaster bestrichener Leinwand, und 3) aus einem mit Heftpflaster bestrichenen Leinwandläppchen von der Größe des Ringes.[4] – Das Leinwandläppchen wird unter den Ring gelegt und dieser mit sammt dem Läppchen an die Stelle der Zehe angehalten, welche die Ursache des Hühnerauges war; dann wird, behufs Befestigung des Ringes, der Leinwandstriemen so um Ring und Zehe geschlungen, daß die dem Hühnerauge zugekehrte Ringöffnung nicht überdeckt werde. Die Ringe bleiben auch Nachts liegen; das Heftband pflegt eine Woche lang, ohne ein Verrutschen zuzulassen, zu halten.

[48]

Deutlichkeit halber ist hier eine Zeichnung beigefügt. Fig. 1, stellt, wagerecht schraffirt, den Gummiring, und, punktirt, das Leinwandläppchen unter demselben vor. Fig. 2, ebenfalls in natürlicher Größe, zeigt, wagerecht schraffirt, den auf der Zehe befestigten Gummiring, punktirt den um Ring und Zehe geschlungenen Leinwandstriemen, während, etwa bei a auf der kleinen Zehe, das Hühnerauge sich befindet. In entsprechender Weise werden die Ringe angelegt, wenn die Hühneraugen an anderen Stellen und anderen Zehen sich gebildet haben sollten.

Sollten einige der verehrten Inhaber der erwähnten kleinen Plagen nach Anwendung des oben beschriebenen Mittels über den Verlust ihres Eigenthumes sich nicht trösten können, da die Erfahrung lehrt, daß der Mensch im Allgemeinen sich nur mit Widerstreben von dem trennt, was ihm, gleichviel in welcher Form, gehörte, so dürfte ihnen, behufs baldigen Ersatzes für das Verlorene, die Anschaffung von solchem Schuhwerk bestens empfohlen werden, welches einen sogenannten Fuß macht, d. h. die Zehen recht gehörig gegen und unter einander zwängt.

Gotha, Mai 1867.

L. B.




Wie Du mir, so ich Dir! Vor nicht zu langer Zeit wurde eines Abends im Pariser Théâtre français das wunderhübsche und ergreifende Stück „la joie fait peur“ gegeben, das auch auf unseren deutschen Bühnen unter dem Titel „die Furcht vor der Freude“ nicht unbekannt ist. Der Kaiser und die Kaiserin wohnten der Vorstellung bei und die Kaiserin Eugenie hatte sich sehr bewegt bereits einige Mal mit einem mikroskopischen Spitzentaschentuch die Augen getrocknet. Es war klar, daß dies kleine Viereck von Alençenspitzen von Minute zu Minute ungenügender wurde bei dem immer wachsenden Interesse an dem Stücke. Der Kaiser, welcher, ohne ein Wort zu sagen, diese kleine stumme Scene neben sich betrachtete, drehte mit stillem Lächeln seinen Schnurrbart; endlich zog er sacht, fast hinterlistig sein eigenes Taschentuch aus der Tasche und hielt es seiner Nachbarin hin, die sich rasch desselben bemächtigte.

Inzwischen wurde immer weiter gespielt, die Intrigue verwickelte sich immer mehr, die Scenen wurden immer ergreifender, und alle Welt in der kaiserlichen Loge war bewegt und aufgeregt geworden. Plötzlich bemerkte die Kaiserin, daß die allgemeine Rührung selbst das Staatsoberhaupt ergriff, noch ein Weilchen Geduld und eine Thräne rollte in den kaiserlichen Bart – da gab sie schnell und triumphirend mit einem malitiösen Lächeln dem Gemahl das ihm gehörige Batisttuch zurück, dessen er jetzt selbst bedurfte.




Friederiken-Album. Die Gartenlaube, stets voran, Lebenden zu ihrem Rechte zu verhelfen, hat auch vielfach zur Berichtigung der Volksschuld an theuern Heimgegangenen aufgefordert. So ist es ihrer Anregung zu danken, daß auf dem so lange vergessenen Grabe Friederike’s von Sesenheim, Goethe’s „Haideröslein“, jetzt ein würdiges Denkmal sich erhebt, dessen Berechtigung in der von Ludwig Eckardt herrührenden Inschrift:

„Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie,
So reich, daß er Unsterblichkeit ihr lieh!“

kurz und schön ausgedrückt ist. Im Auftrage des Briondenkstein-Comités hat Friedrich Geßler, ein junger, begabter Poet, der das ganze Unternehmen mit aufopfernder Hingabe in’s Leben gerufen, ein Friederiken-Album herausgegeben, dessen Reinertrag zur Erhaltung des Grabmals bestimmt ist. Gediegenen Inhaltes – viele unserer hervorragendsten Dichter haben beigesteuert – und von geschmackvoller Ausstattung, empfiehlt es sich ebensosehr durch sich selbst, als um seines Zweckes willen, der überall im deutschen Volke der Würdigung und Förderung sicher sein darf. Das Buch ist direct von dem Comité zu beziehen und wird frei versandt gegen Einsendung oder Nachnahme des Betrages.

A. Traeger.




Heine und die Franzosen. Die Laube’schen „Erinnerungen an Heinrich Heine“ (s. Nr. 2, S. 24) rufen uns die treffliche Abfertigung in’s Gedächtniß, welche O. L. B. Wolff während seines Aufenthaltes in Paris (im Frühling 1835) einem dortigen Journalisten in Bezug auf dessen Urtheil über den deutschen Dichter angedeihen ließ. Die französische journalistische Notabilität wandte sich an Wolff mit der Frage: „Kennen Sie Herrn Heine?“ – „Ja, mein Herr, ich kenne ihn sehr gut,“ lautete die Antwort. Da erhob sich Jener zu der Phrase: „Herr Heine ist ein beinahe französisches Genie.“ Dem entgegnete Wolff mit aller Ruhe seiner Selbstbeherrschung: „Verzeihen Sie, er ist ein deutsches Genie, welches das Talent besitzt, auch ein französisches Genie zu sein, wann es ihm gefällt.“




Zur Warnung. In der Gartenlaube 1867, S. 446 erwähnt Prof. Dr. Bock das Fröndhoff’sche Mittel gegen Epilepsie und bemerkt, daß der Hokuspokus drei Thaler koste, dem Verfertiger aber nicht über einen Silbergroschen zu stehen komme. Einsender dieses, durch die ehrliche, vielversprechende Zeitungsannonce gelockt, ließ sich das Mittel kommen, hat nachher den Trug kennen gelernt, hat aber seine fünf Thaler bezahlen müssen. Da noch immer Zeitungen das Fröndhoff’sche Mittel ankündigen, so wird das große Publicum der Gartenlaube hierdurch von einem Laien nochmals vor dieser argen Schwindelei gewarnt.

H                     -r.




Für den Weihnachtstisch der Kinder in Johann-Georgenstadt.

Ja, es giebt noch gute Menschen, und ihre Zahl ist, Gottlob, nicht gering, wo das Unglück so hülflos und bejammernswerth vor die Augen tritt wie in Johann-Georgenstadt. Und daß die von der Weihe des Christfestes gehobenen Herzen zur Mildthätigkeit sich besonders hingeneigt fühlten, dafür spricht die Thatsache, daß seit den acht Tagen des Erscheinens unseres Bildes von der Weihnacht zwischen den Trümmern der Brandstätte wieder vierhundert Thaler bei uns eingegangen sind. Es wird den hochherzigen Gebern zur Genugthuung gereichen, daß auch diese letzten Gaben noch für die beabsichtigte Bescheerung verwendet wurden, weil dieselbe, wie der Herr Bürgermeister von Johann-Georgenstadt uns mittheilt, und zwar für fünfhundertundfünfzig arme Kinder, erst am Abend des großen Neujahrs stattgefunden hat.

Es gingen ferner ein: Goethestube der Stadt Frankfurt in Leipzig 21 Thlr.; aus der Sparbüchse von Gretchen, Milchen und Friedchen in Nürnberg 3 Thlr.; ein Schwabe, der die Strapazen eines Obdachlosen im Winter mit empfunden 6 Thlr.; P. R. ;R. in Magdeburg 10 Thlr.; gesammelt vom Männerturnverein in Neuschönefeld am ersten Feiertag 5 Thlr. 5½ Ngr.; ein reichbeschenktes Kind in Dresden 10 Thlr.; M. aus Weimar 3 Thlr.; A. U. in Obersteinbach 2 Thlr.; aus Dahme: Wir haben nicht heidenmäßig viel Geld, sonst schickten wir mehr, 5 Thlr.; C. L. in Glauchau 5 Thlr.; A. Plohn in Summin 5 Thlr.; H. H. in Gräfenthal 5 Thlr.; A. D., S. D. u. C. D. in Bremen 2 Thlr.; Hans F. in Carlsruhe 2 Thlr.; F. Erhard in Leimen 6 Thlr.; H. Abesser in Berlin 10 Thlr.; C. E. in Lausche 2 Thlr.; Weimar H. 120. 20 Thlr. H. Hilgendorf in Cöslin 2 Thlr.; L. N. in Hannover 5 Thlr.; C. E. in Frankfurt a/O. 2 Thlr.; Oscar Schüll in Düren 2 Thlr.; Frau M. H. in Hanau 5 Thlr.; Th. u. C. in Chemnitz 8 Thlr.; aus Bremen 10 Thlr.; C. u. W. B. u. H. F. in Wetzlar 3 Thlr.; E. K. in Wittenberg 2 Thlr.; von einem kranken Manne 2 Thlr.; Pastor Scheuffler in Groß-Zschocher 2 Thlr.; Max Vogel 10 Sgr. und Maurermeister Vogel 2 Thlr.; L. B. 2 Thlr.; von einem Manufacturisten in Schwerin, der ein gutes Weihnachtsgeschäft gemacht, 4 Thlr. 15 Ngr.; von Einem, der die Weihnachtsfreuden dieses Jahr entbehren muß, 5 Thlr.; aus der Sparbüchse der Kinder von W. W. in Langensalza 3 Thlr.; W. aus Barmen 5 Thlr.; W. u. H. in Dresden 2 Thlr.; Sammlung der J. W.’schen Kinder in Langensalza 2 Thlr.; R. in Delitzsch 5 Thlr.; eine in Görlitz sitzengebliebene lustige Gesellschaft 2 Thlr.; G. u. R. 1 Thlr. 22½ Ngr.; ein Glücklicher in Großenhain 10 Thlr.; aus Freiberg 2 Thlr; aus Camburg 10 Thlr.; aus der Sparbüchse meiner Kinder A. L. in Leipzig 2 Thlr. 14 Ngr.; B. G. T. in Leipzig 5 Thlr.; Müller in Leipzig 2 Thlr.; Dr. Rod. Benedix 2 Thlr.; E. u. S. in Leipzig 3 Thlr. 10 Ngr.; Gesellschaft Erholung in Sonneberg 26 Thlr.; Sängerverein in Podelwitz (Reinertrag eines Concerts) 12 Thlr.; S. F. in Ansbach 4 Thlr.; Dr. P. 10 fl., L. N. 2 fl., A. P. 2 fl., G. N. 1 fl. in Edenkoben; ein junger Commis, der einen Monat gern auf einen bessern Abendtisch verzichtet, 5 fl.; L. G. in Wien 1 fl. österr.; von mehrern Deutschen in Paris, durch Aug. Weisflog 50 Franken; eine Sendung wollener Gegenstände aus Apolda; zwölf Stück Stollen vom Bäckermeister A. Scherze in Leipzig; Sendung Stolle und Pfefferkuchen; von einem Ungenannten 10 Thlr.; Barney 15 Ngr.; Hellpapp 1 Thlr.; von den Stammgästen der Rheinländischen Weinstube: G 1 Thlr., W. 1 Thlr., L. 1 Thlr., Pck. 2 Thlr., P. 20 Ngr., zusammen 6 Thlr. 5 Ngr.

Sendungen mit je einem Thaler gingen ein von:

Scholl in Lüchtringen; Turnverein in Suhl (nebst 2 Ngr.); E. F. in Großschönau; U.; F. B. in L.; Adv. K. in L.; B. B.; E. S.; M. in Neumarkt; D. M.; F. v. F.; A. Pontander in Dresden; A. F. in Pirna; G. F. in L.; Abonnentin in Wilsdruff; R. W. in Bischofswerda; R. E. in Gera; R. I. in Dessau; R. in Potsdam; Adv. Wehrmann; H. S. aus Rendnitz; eine Waise; C. B. F. in Dresden; eine Marie in Eisenach, mit dem Wunsche, daß alle Marien im ganzen lieben deutschen Vaterlande ein Gleiches thun möchten; C. A. in Schweidnitz; B. in Lehesten; Melanie K.; Dr. B. in Magdeburg; G. G. in Nürnberg; Frau C. L. in Breslau; A. T. in Dresden; ein Ungenannter; G. in Birkenfeld; ein Northeimer; G. in Sonneberg; F. in Hainichen; M. in Freiburg; ein Handwerker in Lindau, nebst zwei Paar Schuhe; Wenig mit Liebe; Fräulein Ida N. in Barmen; eine Wittwe in Barmen; H. Greifeldt in Suhl; aus einer fröhlichen Familie in Eisenach vom Hahn im Korbe.

Die Redaction.



Inhalt: Der Schatz des Kurfürsten. Historische Erzählung von Levin Schücking. (Fortsetzung.) – Zum letzten Mal. Mit Illustration. – Zur Diätetik für Lungenkranke. Für die in und mit Staub Arbeitenden. Von Bock. (Mit Abbildungen. – Ein denkwürdiger Besuch. Fragment aus unsern Familienpapieren. Von Hans Blum. (Schluß.) – Die Pergola des Hotel Pagano. Ein Reisebild von R. Waldmüller (Ed. Duboc). Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Ein Theaterscandal in Rom. – Eine Wohlthat für Viele. Mit Abbildung – Wie Du mir, so ich Dir! – Friederiken-Album. Von A. Traeger. – Heine und die Franzosen. – Zur Warnung. – Für den Weihnachtstisch der Kinder in Johann-Georgenstadt.

Veeautwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


  1. Ein Laie in Frankfurt a. M. hält diesen diätetischen Rath deshalb für einen nicht guten, weil er selbst „bei Bergsteigen und kalten Douchen seine Gesundheit wieder erlangte.“ Eine schöne Logik das! Abgesehen davon, ob dieser Herr wirklich lungenschwindsüchtig war, ist den Aerzten längst bekannt, daß bei dem allergrößten Heilunsinn und trotz Bergesteigens und kalter Douchen nicht blos einzelne Lungenschwindsüchtige, sondern auch manche andere Kranke, natürlich immer nur mit Hülfe der Naturheilungsprocesse, doch auf einige Zeit gesundeten. Den meisten Kranken bekommt aber solcher Unsinn schlecht, ist also vom Arzte nicht zu empfehlen, und Herr R. S. möge sich an den Verfasser erinnern, wenn er in Folge seines Verhaltens einmal einen gefährlichen Lungenschwindsuchtsnachschub erleidet.
  2. Einer der Ersten, welche in öffentlichen Blättern gegen den Geheimmittelschwindel auftraten, war Herr Karl Ruß, dessen Familienbuch: „Naturwissenschaftliche Blicke in’s tägliche Leben“ (Breslau bei Trewendt) nicht genug empfohlen werden kann.
  3. Wir verdanken das Bild der Güte des Herrn Alphons Dürr, der sich durch die Veröffentlichung des Prachtwerkes: „Die Insel Capri. In Schilderungen von F. Gregorovius, in achtzehn Bildern von K. Lindemann-Frommel“ ein Verdienst um Literatur und Kunst erworben hat. D. R.
  4. Kann Einfachheit halber auch wegbleiben, da das Läppchen nur dazu dienen soll, dem Ringe auf der Zehe eine ebene Unterlage zu bereiten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: i ster
  2. Vorlage: lebedigen