Die Gartenlaube (1873)/Heft 11

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1873
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[171]

No. 11.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Es war noch ziemlich früh am Vormittage, noch dufteten und funkelten Berge und Wälder in der thauigen Frische des Frühlingsmorgens, als Eugenie Berkow allein, ohne jede Begleitung, den Waldweg entlang ritt. Sie war eine vorzügliche Reiterin und liebte dies Vergnügen leidenschaftlich, und dennoch hatte sie sich ihm hier auf dem Lande weit seltener als sonst hingegeben. Anfangs verbot das Wetter jeden Ausflug in’s Freie, später fehlte ihr die Lust dazu, der Hauptgrund aber war wohl der, daß ihr schönes Reitpferd ein Geschenk ihres Gemahls noch aus seiner Bräutigamszeit her war, und daß sie nun einmal gewohnt war, ihre Abneigung gegen den Geber auf Alles zu übertragen, was direct von ihm kam. Nur mit Widerwillen hatte sie bei der Trauung die kostbaren Diamanten ihres Brautschmuckes angelegt, die seitdem nicht wieder ihre Etuis verließen; nur halb gezwungen bewegte sie sich in der verschwenderischen Pracht, die sie seit ihrer Vermählung umgab, und auch das herrliche Thier, das eine fabelhafte Summe gekostet hatte, und das, als sie das erste Mal an der Seite ihres Verlobten darauf erschien, die Bewunderung der ganzen Residenz herausforderte, wurde von seiner Herrin auffallend vernachlässigt und gänzlich der Sorge der Dienerschaft überlassen.

Um so überraschter war diese daher, als die gnädige Frau heute Morgen befahl, Afra zu einem Spazierritte zu satteln, und den Diener, der sich fertig machte, sie wie gewöhnlich zu begleiten, bedeutete, daß sie diesmal allein reiten wolle. Ihrem Befehl wurde natürlich, wenn auch mit einiger Befremdung, Folge geleistet, und sie ritt wirklich ohne alle Begleitung fort. Arthur wußte selbstverständlich nichts davon, sie bekam ihn jetzt womöglich noch seltener als sonst zu Gesichte, da er sich häufig auch bei Tische entschuldigen ließ, und das Leben der beiden Gatten war ja überhaupt ein so getrenntes, daß nur in den seltensten Fällen der Eine wußte, was der Andere an diesem oder jenem Tage vornahm.

Eugenie ritt in raschem Trabe durch den Wald, ohne irgend einem menschlichen Wesen zu begegnen, es war in der That sehr einsam hier, und diese Einsamkeit, die Frische und Schönheit des Morgens verfehlten keineswegs ihren belebenden Einfluß auf die junge Frau, die mehrere Tage lang nicht über den Umkreis des Parkes hinausgekommen war. Die Werke feierten, und eine unheimliche Ruhe und Stille lag über der ganzen, sonst so rastlos thätigen Colonie; desto lebhafter ging es dagegen in dem Arbeitszimmer des jungen Chefs zu, das dieser kaum mehr verließ. Die Beamten kamen und gingen; Conferenzen wurden gehalten, Bücher und Papiere geprüft; Schäffer war fortwährend auf dem Wege zwischen der Residenz und den Gütern; dabei flogen Briefe und Depeschen hin und her, aber diese ganz angestrengte Thätigkeit hatte ein so ernstes, so düsteres Gepräge, als schwebe irgend ein Unheil in der Luft, dem man zuvorkommen oder gegen das man sich wenigstens rüsten wollte. Eugenie wußte allerdings, daß eine Differenz mit den Arbeitern bestand. Arthur selbst hatte es ihr mitgetheilt und hinzugefügt, daß die Sache von gar keiner Bedeutung sei und in Kurzem beigelegt sein werde. Sehr ruhig, sehr kühl hatte er ihr das gesagt und sie nur gebeten, auf ihren etwaigen Spazierfahrten möglichst die Dörfer zu vermeiden, in denen die Bergleute wohnten, da für den Augenblick doch eine etwas gereizte Stimmung herrsche. Die Beamten mußten jedenfalls Winke erhalten haben, die gnädige Frau nicht zu beunruhigen, denn Eugeniens Versuche, von dieser Seite irgend etwas Näheres zu erfahren, scheiterten an höflichem Ausweichen oder beruhigenden Versicherungen. Sie hatten ihr gesagt, daß durchaus nichts zu besorgen, daß die Sache überhaupt von gar keiner Tragweite sei und der Ausgleich jeden Tag zu erwarten stände, – und doch fühlte Eugenie deutlich die geleugnete Gefahr, wie sie die Veränderung fühlte, die seit dem Tode des alten Berkow mit ihrem Gatten vorgegangen war, obgleich er gerade ihr gegenüber sein Benehmen nicht geändert hatte.

Die junge Frau war eine zu furchtlose, zu stolze Natur, um dies Ausschließen, diese sichtbare Schonung nicht als eine Art von Beleidigung zu empfinden. Freilich, sie hatte kein Recht auf Offenheit, auf Theilnahme an den Sorgen und vielleicht Gefahren ihres Mannes; was andere Frauen beanspruchen durften, lag ihr unendlich fern. Wenn das Trennungswort bereits ausgesprochen ist und man nur noch „anstandshalber“ einige Monate mit einander aushält, um der Welt möglichst wenig Stoff zum Gerede zu geben, so ist man ja auch den gegenseitigen Interessen fremd. Das sah sie ein, und hätte sie es nicht eingesehen, so würde Arthur es ihr fühlbar gemacht haben, der sich in dem Maße, wie er sich täglich kräftiger aus seiner früheren Trägheit aufraffte und sich energischer in die angestrengteste Thätigkeit warf, immer fremder und kälter von ihr zurückzog; sie dankte es ihm wahrlich, daß er ihr das Peinliche des bevorstehenden Schrittes dadurch zu erleichtern suchte, daß er sie jetzt schon als eine völlig Fremde behandelte.

Eugenie verhehlte sich nicht, daß der Tod Berkow’s ein [172] großes Hinderniß ihrer Wünsche aus dem Wege geräumt hatte. Er hätte schwerlich je in die Aufhebung einer Verbindung gewilligt, die sein Ehrgeiz so sehr erstrebt und die er theuer genug erkauft hatte. Sein Sohn dachte anders darin. Ihm war jene Verbindung ebenso gleichgültig, wie die Gemahlin, die er sich in seiner ehemaligen passiven Nachgiebigkeit hatte aufzwingen lassen. Er hatte ihr freiwillig die Trennung zugestanden, noch ehe sie selbst einen Versuch gemacht, dieselbe von ihm zu erreichen, und ein Schritt, der fast überall so unendlich viel Kämpfe, Thränen und Bitterkeiten kostet, der nicht selten alle Leidenschaften des Menschenherzens in ihrer ganzen Tiefe aufwühlt, vollzog sich hier so ruhig und leidenschaftslos, in einem so vollkommenen gegenseitigen Einverständniß, und mit einer solchen Kälte, Höflichkeit und Herzlosigkeit, daß es wirklich ganz bewundernswerth war.

Afra bäumte sich plötzlich in die Höhe. Das Thier war nicht gewohnt, mit der Reitgerte angetrieben zu werden, und noch dazu so heftig, als es eben geschah; es hatte überhaupt heute viel von der Ungeduld seiner Herrin zu leiden, und wäre diese nicht eine so vollendete Meisterin in der Reitkunst gewesen, das feurige, leicht gereizte Pferd würde ihr Mühe genug gemacht haben. So zügelte sie es nach kurzer Anstrengung, aber die feinen Augenbrauen der jungen Frau blieben zusammengezogen und die Lippen fest aufeinandergepreßt, wie in innerem Zorne, ob über den Widerstand Afra’s oder über den Mangel an Widerstand von einer anderen Seite, das ließ sich nicht entscheiden.

Sie hatte inzwischen den Pachthof erreicht, der eine halbe Stunde entfernt im Thale lag, und nun ging es bergaufwärts, freilich nicht den steilen Fußpfad hinauf, den sie damals mit Arthur hinabstieg und der reitend überhaupt nicht zu passiren war; nicht weit davon führte ein Fahrweg in langen, aber bequemen Windungen auf die ohnehin nur mäßige Höhe. Dennoch ertrug ihr Pferd, des Bergaufsteigens ungewohnt, nur unwillig die Anstrengung, und sie mußte, oben angelangt, Halt machen, um ihm die nöthige Erholung zu gönnen.

Jetzt freilich waren die Nebelschleier verschwunden, die damals über dem Gebirge flatterten, und der helle Sonnenschein floß so leuchtend warm auf die Erde nieder, als habe es nie eine Zeit gegeben, wo sich Regen und Sturm hier um die Herrschaft stritten und die Landschaft ringsum einem grauen, gestaltlosen Nebelbilde glich. Noch lagen die Thäler duftig blau im kühlen Morgenschatten. Desto klarer standen die Berge da, all die zahllosen Kuppen, von denen eine die andere überragte, eine die andere zurückdrängte, nur ein einziges grünes Waldmeer, bis hin zu den fernen blauen Höhenzügen. Die dunklen Tannen hatten sich geschmückt mit lichtem, frischem Grün, und drinnen auf dem Waldboden, draußen auf dem felsigen Grunde, zwischen Wurzeln und Gestein, wo nur eine Ranke Platz finden oder ein Pflänzchen Wurzel fassen konnte, da blühte und duftete es auch in tausend Formen und Farben. Und dazu schäumten die Bäche in’s Thal hinab, und die Quellen rieselten, und darüber wölbte sich ein wolkenloser tiefblauer Frühlingshimmel. Das Alles war so goldig klar, so frei und groß, als müsse in diesem neu erwachten Leben der Natur nun auch jede Wunde heilen, jede Kette brechen, als könne nichts dort athmen, was nicht der Freiheit, dem Glücke verwandt war.

Und doch war der Blick der jungen Frau so seltsam ernst; ihre Züge waren so schmerzlich gespannt, als läge für sie eine verborgene Qual in all dieser Schönheit ringsum. Sie hätte doch aufathmen müssen bei dem Gedanken an die auch ihr verheißene Freiheit, die ihr zu Theil werden sollte, noch ehe der nächste Frühling die Erde wieder grüßte. Warum konnte sie es denn nicht, warum zuckte bei dieser Vorstellung eine Empfindung durch ihre Seele, die selbst dem Schmerze verwandt war? Wirkte vielleicht die Pein jener Stunde noch nach, in welcher zuerst das Trennungswort gesprochen und angenommen wurde? Sie sehnte sich ja so heiß nach dieser Trennung, nach der Rückkehr zu den Ihrigen; sie litt so schwer unter den Ketten, die sie kaum mehr ertragen konnte; seit jenem Beisammensein hier oben konnte sie es nicht mehr! Bis dahin war sie fest und sicher gewesen in ihrer Aufopferung für den Vater, in der Resignation des aufgezwungenen Schicksals, im Haß gegen die, welche es ihr aufgezwungen, aber mit jener Stunde schien sich die ganze Natur ihrer Empfindungen geändert zu haben. Mit ihr hatte der geheime Widerstreit in ihrem Innern begonnen, der Kampf gegen ein Etwas, das dunkel und unausgesprochen im tiefsten Grunde ihrer Seele lag, und das sie nicht Herr über sich werden lassen wollte, um keinen Preis, und doch hatte nur dies Etwas sie heute Morgen hinausgetrieben und sie fast wider ihren Willen fortgezogen bis an diesen Ort, und doch war es allein schuld daran, daß die Tochter des Baron Windeg die Etiquette soweit vergaß, den Diener zurückzulassen, der sie sonst immer auf ihren Ausflügen begleitete. Sie konnte und mochte heut’ keinen Zeugen haben – und es war gut, daß sie keinen hatte, denn als sie einsam droben auf der Höhe hielt, da überkam es sie mitten in all der sonnigen Frühlingspracht wie eine leise Sehnsucht nach dem geheimnißvollen Reiz jener Stunde, wo Nebel und Wolken um sie her wogten, wo die Tannenwipfel über ihnen rauschten und der Sturm in den Schluchten und Thälern brauste, wo jene großen braunen Augen, die sich zum ersten Mal entschleiert zeigten, ihr auch die erste Ahnung davon gaben, daß aus diesem Mann vielleicht viel, vielleicht Alles hätte werden können, wenn er geliebt worden wäre und geliebt hätte, ehe die Hand des eigenen Vaters ihn in den Strudel riß, in dem schon so manche Kraft zu Grunde gegangen ist. Und mit dieser Erinnerung wachte etwas auf, was Eugenie Windeg nie gekannt hatte und was erst der Gattin Berkow’s zu lernen aufbehalten war, ein Weh, viel ruhiger, aber auch viel tiefer als Alles, was sie bisher erlitten, und sie legte die Hand über die Augen, aus denen ein heißer Thränenstrom unaufhaltsam hervorstürzte.

„Gnädige Frau!“

Eugenie fuhr zusammen und zugleich machte Afra, erschreckt durch die fremde Stimme, einen Sprung seitwärts, aber in demselben Augenblick hatte auch schon eine kräftige Hand den Zügel ergriffen und zwang das Thier zur Ruhe. Ulrich Hartmann stand dicht neben demselben.

„Ich wußte nicht, daß das Pferd so schreckhaft ist, aber ich hatte es auch schnell genug am Zügel!“ sagte er im Tone der Entschuldigung, während ein Blick halb der Besorgniß und halb der Bewunderung über die junge Reiterin hinglitt, die trotz der Ueberraschung fest im Sattel geblieben war.

Eugenie fuhr rasch mit der Hand über das Antlitz, um die Thränenspuren schnell zu verwischen, freilich zu spät; ihr Weinen mußte nothwendig gesehen worden sein, und der Gedanke daran jagte eine tiefe Röthe auf ihre Wangen und gab ihrer Stimme einen Ausdruck von Unwillen, als sie rasch und etwas befehlend sagte:

„Lassen Sie den Zügel los!“ Afra ist nicht gewohnt, von Unbekannten gehalten zu werden, und scheut leicht bei jeder fremden Berührung. Sie bringen mich und sich in Gefahr mit Ihrer Nähe!“

Ulrich gehorchte und trat zurück. Eugenie legte mit schmeichelnder Liebkosung ihre Hand auf den Hals des Thieres, das in der That nur schnaubend und ungeduldig die fremde Hand am Zügel ertragen hatte, deren Macht es gleichwohl im ersten Moment erkannte. Allein Afra ließ sich durch die Liebkosung der Herrin in wenigen Secunden beruhigen.

Während dessen hingen Hartmann’s Blicke unverwandt an der jungen Frau, die sich freilich zu Pferde so vortheilhaft ausnahm, wie nur wenige ihres Geschlechts. Das dunkle Reitkleid, das Hütchen mit dem Schleier auf den blonden Flechten und über dem schönen, noch vom Weinen gerötheten Antlitz, die leichte und sichere Haltung, die sie trotz der Unruhe Afra’s keinen Augenblick verlor, zeigten das Ebenmaß der hohen schlanken Gestalt im vollsten Lichte. Die ganze Erscheinung, wie sie, vom hellen Sonnenlicht umflossen, auf dem Rücken des schönen Thieres saß, war ein vollendetes Bild von Kraft und Anmuth.

„Sie waren hier oben, Hartmann?“ fragte Eugenie, in der leisen Hoffnung, er könne die Höhe erst im Moment seiner Anrede erreicht und ihre Thränen nicht gesehen haben. „Ich bemerkte Sie vorhin nicht.“

„Ich stand dort drüben!“ Er deutete nach dem Ausgange des Waldes hinüber, den sie allerdings nicht beachtet hatte. „Ich sah Sie heraufreiten und blieb, um auf Sie zu warten.“

Die junge Frau, die im Begriff war, an ihm vorüber in den Wald zu reiten, hielt befremdet inne.

„Auf mich zu warten?“ wiederholte sie. „Und weshalb?“

Ulrich umging die Antwort. „Sie sind allein, gnädige Frau? [173] Ganz allein? Sie haben nicht einmal, wie sonst, den Diener mit sich?“

„Nein, Sie sehen ja, daß ich ohne jede Begleitung bin.“

Ulrich trat rasch, aber diesmal vorsichtiger als vorhin, wieder an die Seite des Pferdes.

„Dann müssen Sie umkehren! Auf der Stelle! Ich werde mit Ihnen gehen, wenigstens so lange, bis wir die Werke in Sicht haben.“

„Aber warum denn dies Alles?“ fragte Eugenie, immer mehr betroffen über das Anerbieten und die finster gerunzelte Stirn des jungen Bergmanns. „Giebt es denn irgend eine Gefahr hier im Walde oder ist sonst etwas zu fürchten?“

Ulrich warf einen forschenden Blick auf den unteren Waldweg, dessen Windungen man von hier aus zum Theil übersah.

„Wir waren auf den Eisenhütten oben im Gebirge!“ sagte er endlich langsam. „Ich und ein Theil meiner Cameraden. Ich ging allein den näheren Weg, weil ich früher zurück sein wollte. Die Anderen nahmen die Fahrstraße. Sie könnten ihnen am Ende begegnen, gnädige Frau, und da möchte ich doch lieber bei Ihnen sein – auf alle Fälle.“

„Ich bin nicht furchtsam!“ erklärte Eugenie entschieden, „und bis zu Beleidigungen gegen mich wird man sich doch hoffentlich nicht versteigen. Ich weiß, daß eine Differenz mit den Arbeitern besteht, aber man sagt mir, daß sie nicht von Bedeutung ist und in Kurzem ausgeglichen sein wird.“

„Dann hat man Sie belogen!“ fiel ihr Ulrich rauh in’s Wort. „Von Ausgleich und von Kleinigkeiten ist hier nicht die Rede. Herr Berkow hat uns den Krieg erklärt, oder wir ihm, das kommt auf Eins heraus; genug, wir sind jetzt im Kriege, und er wird nicht eher ein Ende nehmen, bis einer von uns am Boden liegt. Das sage ich Ihnen, gnädige Frau, und ich muß die Sache wohl am besten wissen.“

Eine leichte Blässe überzog das Antlitz der jungen Frau, als sie diese Bestätigung ihrer längst gehegten Befürchtungen vernahm, aber zugleich verletzte sie die rücksichtslose, hochfahrende Art der Enthüllung, und gab ihr eine etwas sehr vornehme Haltung, als sie kalt erwiderte:

„Nun, wenn die Sache so steht, so kann ich unmöglich die Begleitung und noch viel weniger den Schutz eines Mannes annehmen, der sich so offen und rücksichtslos zum Feinde meines Gemahls bekennt – ich werde allein reiten.“

Sie wollte dem Pferde die Zügel geben, aber Ulrich fuhr auf bei der Bewegung und vertrat ihr heftig und gebieterisch den Weg.

„Bleiben Sie, gnädige Frau! Sie müssen mich mitnehmen.“

„Ich muß?“ Eugenie hob stolz das Haupt. „Und wenn ich nun nicht will?“

„Dann – bitte ich Sie darum.“

Es war wieder jener jähe Uebergang von rücksichtslosester Drohung zu beinahe flehender Bitte, der schon einmal den Zorn Eugeniens entwaffnet hatte, und auch jetzt dämpfte er ihren Unwillen. Sie blickte auf den jungen Bergmann nieder, der finster, gereizt, und doch mit dem Ausdruck unverkennbarer Sorge zu ihr emporschaute.

„Ich kann Ihr Anerbieten nicht annehmen, Hartmann!“ sagte sie ernst. „Wenn Ihre Cameraden wirklich so weit gebracht sind, daß ich bei einer Begegnung vor Beleidigungen nicht sicher bin, so fürchte ich, ist das allein Ihr Werk, und von einem Manne, der uns einen so unversöhnlichen Haß entgegenträgt –“

„Uns!“ unterbrach sie Ulrich ungestüm. „Sie hasse ich nicht, gnädige Frau, und Sie sollen auch nicht beleidigt werden, Sie gewiß nicht! Es wagt Keiner auch nur ein Wort gegen Sie laut werden zu lassen, wenn ich bei Ihnen bin, und wagte er’s, er thäte es nicht zum zweiten Male. Nehmen Sie mich mit!“

Eugenie zögerte einige Secunden lang; aber ihre Furchtlosigkeit und seine feindseligen Aeußerungen von vorhin gaben den Ausschlag.

„Ich werde umkehren und die Fahrstraße vermeiden!“ sagte sie rasch. „Bleiben Sie zurück, Hartmann! die Rücksicht auf Herrn Berkow verlangt es.“

Als entfesselte dieser Name eine lang zurückgehaltene Gereiztheit, so flammten seine Augen plötzlich auf, als sie ihn aussprach, und ein Strahl wilden tödtlichen Hasses blitzte daraus hervor. „Auf Herrn Berkow!“ brach er los; „Herr Berkow, der Sie so liebevoll allein reiten läßt, während er doch wußte, daß wir oben auf den Hütten waren und jetzt im Walde sein müssen! Freilich, der hat sich ja niemals um Sie gekümmert; dem ist’s gleich, ob Sie unglücklich sind oder nicht, und doch hat er’s ganz allein zu verantworten!“

„Hartmann, was wagen Sie!“ rief Eugenie, glühend vor Zorn und Entrüstung, aber sie versuchte vergebens, ihm Einhalt zu thun; er fiel ihr in die Rede und fuhr in immer wachsender Erregung fort:

„Nun ja, es ist wohl ein großes Verbrechen, Sie weinen zu sehen, wenn Sie glauben, daß kein Mensch in Ihrer Nähe ist, aber ich glaube, Sie weinen sehr oft, gnädige Frau, haben sehr oft geweint, seit Sie hier sind, nur daß es Niemand sieht, wie ich jetzt eben. Ich weiß, wer allein schuld daran ist, und ich werde es ihm –“

Er hielt plötzlich inne, denn die junge Frau hatte sich hoch im Sattel aufgerichtet, und jetzt traf auch ihn jener Blick niederschmetternden Stolzes, mit dem sie sich so unnahbar zu machen verstand. Ihre Stimme klang eisig scharf, und schlimmer noch; es war der volle Ton der Herrin gegen den Untergebenen, mit dem sie ihm jetzt zuherrschte:

„Sie schweigen, Hartmann! Noch ein Wort, ein einziges gegen meinen Gemahl, und ich vergesse, daß Sie ihm und mir das Leben retteten, und antworte auf Ihren Ausfall, so wie er es verdient!“

Sie warf ihr Pferd herum und wollte an ihm vorüber, aber Ulrich’s riesige Gestalt stand mitten im Wege, ohne auch nur einen Schritt zu weichen. Er war todtenbleich geworden bei diesem Gebieterton, den er zum ersten Mal von ihren Lippen hörte, und der Haß, der in seinem Auge flammte, schien jetzt auch ihr zu gelten.

„Geben Sie den Weg frei!“ befahl Eugenie, noch gebieterischer als vorhin. „Ich will fort!“

Aber sie befand sich einem Manne gegenüber, bei dem mit Befehlen nichts auszurichten war, und den ein Befehl aus ihrem Munde vollends zur Wuth reizte. Anstatt zu gehorchen, war er mit einem einzigen Schritte dicht an ihrer Seite und faßte zum zweiten Male, diesmal mit eisernem Griff, die Zügel des Pferdes, ohne sich jetzt an sein Bäumen und an die Gefahr der Reiterin zu kehren.

„Sie sollten nicht so zu mir sprechen, gnädige Frau!“ sagte er dumpf. „Ich kann viel ertragen, von Ihnen kann ich’s, wenn auch sonst von Keinem; aber den Ton vertrage ich nicht! Treiben Sie das Pferd nicht an,“ fuhr er außer sich fort, als Eugenie Miene machte, es mit der Reitgerte zum Losreißen und Davonsprengen zu zwingen. „Sie werden mich nicht niederreiten, aber ich, bei Gott, ich reiße das Thier nieder, wie ich es damals mit den beiden anderen gethan habe!“

Es lag eine furchtbare Drohung in seinen Worten, und noch furchtbarer drohte sein Blick. Eugenie sah die von Allen gefürchtete Wildheit sich zum ersten Male gegen sie kehren und begriff plötzlich die ganze Gefahr ihrer Lage; aber in demselben Moment ergriff sie auch mit schneller Geistesgegenwart das einzige Rettungsmittel.

„Hartmann,“ sagte sie vorwurfsvoll, aber ihre Stimme war auf einmal mild, beinahe weich geworden. „Soeben noch boten Sie mir Ihren Schutz an, und jetzt bedrohen Sie mich selbst? Nun freilich sehe ich, was von Ihren Cameraden zu fürchten ist, wenn Sie mir so gegenüber treten! Ich wäre nicht in den Wald geritten, hätte ich eine Ahnung davon gehabt.“

Der Vorwurf und mehr noch die Stimme schien Ulrich zur Besinnung zu bringen; seine wilde Gereiztheit schwand, als er den Ton nicht mehr hörte, der sie herausgefordert. Noch hatte er die Rechte fest am Zügel, aber die geballte Linke löste sich jetzt allmählich, und der drohende Ausdruck verschwand aus seinen Zügen.

„Ich habe Sie bisher nie gefürchtet,“ fuhr Eugenie leise fort, „trotz all dem Schlimmen, was man mir von Ihnen sagte. Wollen Sie mich jetzt die Furcht lehren? Wir sind dicht am Abhange; wenn Sie fortfahren, das Thier so zu reizen, oder Ihre Drohung ausführen, so giebt es ein Unglück. Will der Mann, der sich einst unter die Hufe meiner Pferde warf, um eine Unbekannte zu retten, mich jetzt selbst in Gefahr bringen? Lassen Sie mich fort, Hartmann!“

[174] Ulrich zuckte leise zusammen und warf einen Blick auf den Abhang, dem sie allerdings nahe genug waren; langsam ließ er den Zügel los und langsam, wie einer unabweisbaren Gewalt nachgebend, trat er zur Seite, um sie vorüber zu lassen. Eugenie sah unwillkürlich zurück; er stand stumm da, das trotzige Auge am Boden, ohne eine Silbe der Erwiderung oder des Abschiedes, und ließ sie ungehindert davon reiten.




Die junge Frau athmete auf, als Afra’s Schnelligkeit sie der gefährlichen Nähe entriß. So muthvoll sie war, hier hatte sie doch gezittert. Sie hätte kein Weib sein müssen, um nach dieser Scene nicht zu wissen, was sie längst schon geahnt, daß das ihr gegenüber so räthselhafte und widerspruchsvolle Wesen dieses Mannes etwas Anderes, etwas weit Gefährlicheres barg als Haß. Noch beugte er sich ihrer Macht; aber er war nahe daran gewesen, die Kette zu sprengen. Sie hatte jetzt eine Probe davon, daß er der „unbändigen Naturkraft“, mit der sie ihn einst verglichen, an Blindheit und Furchtbarkeit nichts nachgab, wenn er erst einmal entfesselt wie sie seine Schranken brach.

Sie hatte das Thal erreicht und war, der erhaltenen Warnung eingedenk, eben im Begriff, die Fahrstraße zu verlassen, als sie von dort her Hufschlag vernahm und sich umwendend einen Reiter gewahrte, der in vollem Galopp heransprengte und in wenigen Minuten an ihrer Seite war.

„Endlich!“ sagte Arthur athemlos, indem er sein Pferd parirte. „Welche Unvorsichtigkeit, gerade heute allein auszureiten! Du hattest freilich keine Ahnung von dem Wagniß.“

Eugenie blickte überrascht auf ihren Gatten, der tiefathmend und glühend erhitzt vom schnellen Ritte an ihrer Seite hielt. Er war nicht in Reitkleidung, trug auch weder Sporen noch Handschuhe; wie er da war, im Hausanzuge, mußte er sich auf’s Pferd geworfen haben, um ihr nachzusprengen.

„Erst vor einer halben Stunde erfuhr ich von Deinem Einfalle,“ fuhr er seine Erregung bemeisternd fort. „Franz und Anton suchen Dich bereits in verschiedenen Richtungen; ich fand allein die rechte Spur. Man sagte mir im Pachthofe, Du seist vor einiger Zeit vorbeigeritten.“

Die junge Frau fragte nicht nach dem Grunde dieser Sorge; sie kannte ihn hinreichend; aber die Sorge selbst überraschte sie doch. Er hätte ja die Diener allein nach ihr ausschicken können. Freilich, die Möglichkeit, seine Gemahlin von den Bergleuten insultirt zu wissen, war sehr unangenehm für den Chef der Werke, und er handelte jedenfalls nur in dieser Eigenschaft, als er ihr persönlich nacheilte.

„Ich war dort oben,“ erklärte sie nach dem Ziele ihres Spazierrittes hinaufdeutend.

„Auf der Höhe? Wo wir damals vor dem Sturme Zuflucht suchten? Dort warst Du?“

Eugenie wurde dunkelroth; sie sah wieder jenes seltsame Aufleuchten in seinen Augen, das wochenlang verschwunden gewesen war. Und weshalb klang die Frage so stürmisch, so athemlos gepreßt? Hatte er denn nicht längst schon jene Stunde vergessen, die sie so oft noch in der Erinnerung peinigte?

„Ich gerieth zufällig dorthin,“ sagte sie hastig, als gelte es eine Schuld abzuwälzen, und diese Berichtigung hatte denn auch sofort den gewünschten Erfolg. Das Leuchten in seinem Blicke verschwand plötzlich und die Stimme wurde kühl und fest.

„Zufällig! Ach so! Ich hätte wissen können, daß eine solche Bergpartie nicht in Deinem Plane lag; Afra erträgt sie ja stets nur sehr unmuthig. Aber Du hättest ‚zufällig‘ auch auf den Weg nach M. gerathen können, und das war es, was ich fürchtete.“

„Und was war dort zu fürchten?“ fragte Eugenie forschend, während sie gemeinschaftlich den breiten Weg verließen und einen schmaleren einschlugen, der mitten durch den Wald führte.

Arthur suchte ihrem Blicke auszuweichen. „Einige Unannehmlichkeiten, die gerade heute dort hätten passiren können. Unsere Bergleute sind nach den oberen Eisenhütten gezogen, um auch dort Widerstand und Lärm anzustiften. Hartmann hat ihnen mit seinen fulminanten Reden die Köpfe bis auf’s Aeußerste erhitzt; ich habe Nachricht, daß gestern bereits Unordnungen dort oben vorgefallen sind, und ein Menschenhaufe, der im aufgeregten Zustande von dem Schauplatze solcher Unruhen kommt, ist schlechterdings zu Allem fähig. Sie müssen gerade jetzt auf der Rückkehr sein.“

„Ich hätte die Fahrstraße ohnehin vermieden,“ sagte die junge Frau ruhig. „Ich war bereits gewarnt.“

„Gewarnt? Durch wen?“

„Durch Hartmann selbst, den ich vor einer Viertelstunde oben im Walde antraf.“

Diesmal war es Arthur’s Pferd, das sich heftig aufbäumte, erschreckt durch die zuckende Bewegung, mit der sein Reiter die Zügel an sich gerissen hatte.

„Hartmann? Und er wagte es, sich Dir zu nahen, Dich anzureden, nach Allem, was in diesen letzten Tagen vorgefallen ist?“

„Es geschah nur, um mich zu warnen, um mir seine Begleitung und seinen Schutz anzubieten. Ich lehnte Beides ab; ich glaubte das Dir und Deiner Stellung schuldig zu sein.“

„Du glaubtest es mir schuldig zu sein!“ wiederholte Arthur schneidend. „Ich bin Dir unendlich verbunden für diese Rücksicht; aber es war gut, daß Du sie nahmst, denn hättest Du Dich von ihm escortiren lassen – so sehr ich es vermeide, den ersten Anlaß zum Conflict zu geben, in diesem Falle hätte ich ihm doch fühlbar gemacht, daß der Anstifter, der Rädelsführer der ganzen Empörung meiner Gemahlin fernzubleiben hat.“

Eugenie schwieg; sie kannte ihren Gatten doch schon hinreichend, um zu wissen, daß er trotz seiner scheinbaren Kälte jetzt furchtbar gereizt war, kannte dies Zusammenpressen der Lippen, dies Beben der Hand; gerade so hatte er ihr am ersten Abende ihres Hierseins gegenübergestanden, nur daß sie jetzt besser als damals wußte, was diese Gelassenheit barg.

Sie ritten schweigend weiter durch den sonnigen Wald; der Hufschlag der Pferde klang nur gedämpft auf dem weichen Moosboden. Auch hier überall Frühlingsduft und Frühlingsathem, auch hier der klare tiefblaue Himmel, der sich über den Tannenwipfeln wölbte, und auch hier das geheime Weh in ihrem Innern, nur daß es sich noch mächtiger, noch schmerzender regte, als dort oben auf der Höhe. Die Thiere gingen auf dem schmalen Wege Seite an Seite. Die schweren Falten von Eugeniens Reitkleid streiften die Gebüsche, und ihr Schleier flatterte mehr als einmal über Arthur’s Schulter. Bei solcher Nähe mußte sie es nothgedrungen bemerken, daß er jetzt, wo die Erhitzung des schnellen Rittes geschwunden war, unendlich bleich aussah. Freilich, er hatte niemals die frische lebensvolle Farbe der Jugend gehabt, aber das war doch jetzt eine andere Blässe als die des jungen Residenzlöwen, der die Abende in den Salons und die Nächte im Spiel durchschwärmte, um dann den Tag über abgespannt und übersättigt auf seinen Sophas zu liegen, bei geschlossenen Vorhängen, weil die müden verwöhnten Augen das Sonnenlicht nicht ertrugen. Dies bleiche Aussehen stammte wohl aus derselben Quelle, wie die finstere Sorgenfalte auf seiner Stirn, wie der ernste, ja düstere Ausdruck des Gesichtes, das sonst immer nur träge Gleichgültigkeit gezeigt. Aber Arthur Berkow gewann unendlich bei einer Veränderung, die jedem Anderen zum Nachtheil gereicht hätte. Eugenie sah jetzt erst, daß ihr Mann auf Schönheit Anspruch machen konnte; früher hatte sie es nicht sehen wollen; für sie gingen in der schlaffen Theilnahmlosigkeit seines Wesens alle anderen Vorzüge unter, und sie traten wirklich erst jetzt hervor, mit diesem Zuge von Energie, der sich so neu und ungewohnt in seinem Antlitz, in seiner ganzen Haltung zeigte, und der doch wohl längst dagewesen war, nur verwischt und untergegangen in der Blasirtheit, wie so vieles Andere. Ja wohl, die versunkene Welt fing an heraufzusteigen aus ihrer Tiefe, der nahende Sturm hatte sie wachgerufen, der allein – Eugenie fühlte fast mit einer Art von Bitterkeit, daß sie keinen Theil an diesem Erwachen hatte, daß sie das Zauberwort nicht besessen, das den Bann gelöst; er riß sich ja mit eigener Kraft empor, was bedurfte es dazu einer fremden Hand!

„Es tut mir leid, daß ich Deinen Spazierritt abkürzen mußte,“ unterbrach Arthur endlich das Schweigen, aber es geschah in jener höflich kühlen Weise, die er stets ihr gegenüber annahm; „der Tag ist herrlich!“

„Ich fürchte, Dir war ein Ritt in’s Freie nothwendiger als mir!“ In den Ton der jungen Frau mischte sich eine vielleicht unbewußte Besorgniß. „Du siehst so bleich aus, Arthur!“

„Ich bin die Arbeit nicht gewohnt!“ sagte er mit einer Art von herbem Spott. „Das kommt von der Verweichlichung!

[175] 

Tanz auf der Alm.
Nach den Oelgemälde von Franz Defregger in München.

[176] Ich kann nicht einmal leisten, was jeder meiner Beamten täglich leistet.“

„Mir scheint eher, Du treibst Deine Leistungen bis in’s äußerste Extrem,“ entgegnete Eugenie rasch. „Den Tag über verläßt Du kaum mehr Dein Arbeitszimmer, und des Nachts sehe ich dort bis an den Morgen hin Licht brennen.“

Eine schnelle Röthe flog über die Züge des jungen Mannes.

„Seit wann wendest Du denn den Fenstern meines Zimmers eine solche Aufmerksamkeit zu?“ fragte er mit ruhiger, aber tiefer Bitterkeit. „Ich glaubte nicht, daß sie überhaupt für Dich existirten.“

(Fortsetzung folgt.)




Ueber Hypnotismus bei Thieren,

nebst gelegentlichen Bemerkungen über Naturwissenschaft und Spiritismus, Geistermanifestationen u. dergl.
Von Prof. Joh. Czermak.
(Schluß des zweiten Vortrags.)

Da zeiht man uns der Verstocktheit und Unwissenheit und verweist uns triumphirend auf die „wissenschaftlichen“ Untersuchungen und öffentlichen Kundgebungen eines Hare, eines Crookes, Butlerow und anderer wohlbekannter und anerkannter „Naturforscher“! –

Wer sich aber überwindet und diese haarsträubende Literatur einsieht, der wird nur noch mehr in seinem absolut ablehnenden Verhalten bestärkt werden. Gerade die Art, wie jene „Naturforscher“ ihre sogenannten wissenschaftlichen Experimente anstellen, und wie sie über dieselben berichten, beweist auf’s Klarste, daß sie keine mehr sind, wenn sie überhaupt jemals den Ehrennamen Naturforscher in der vollen und ganzen Bedeutung des Wortes verdient haben. Um nur Ein schlagendes Beispiel anzuführen, so erklärt Crookes – und macht davon sogar eine ganz ernsthafte Mittheilung an die Gesellschaft der Wissenschaften in London, deren Mitglied er ist, eine „neue Naturkraft“ entdeckt zu haben, die er – weil sie von gewissen Menschen, den sogenannten „Medien“ oder „Psychikern“ ausgeht – „psychische Kraft“ nennt. Durch die Einwirkung dieser Kraft soll, nach Crookes, das Gewicht eines Körpers thatsächlich um viele Pfund vermehrt und wieder vermindert werden können, ohne daß der Körper sonst irgendwie verändert, ja auch nur von dem sogenannten „Medium“ berührt wird.

Und wie denken Sie, daß Crookes eine solche, allen Gesetzen der Schwere Hohn sprechende, wahrhaft welterschütternde Thatsache begründet und sicher gestellt hat?! – Sie werden es kaum für möglich halten, wenn ich sage: er that dies einfach dadurch, daß er wiederholt wirklich gesehen und constatirt zu haben versichert, daß in Gegenwart gewisser Personen, der sogenannten Medien, eine Federwage, von ähnlicher Art, wie man sie zur Portoberechnung von Briefen braucht, Ausschläge gab, deren Ursache nicht augenfällig war!

Ich schalte hier zum besseren Verständniß eine kleine schematische Zeichnung ein,

welche das Princip eines der von Crookes gebrauchten Apparate erläutert. B ist ein mehrere Fuß langes, starkes Mahagonibrett, dessen eines Ende mit einer scharfen, an seiner unteren Fläche vorspringenden Kante auf dem Tisch T ruht, während das andere Ende an der an einem Gestell G befestigten Federwage W hängt und von derselben freischwebend getragen wird. Der Index oder Zeiger der Federwage giebt an, wie groß das Gewicht ist, welches dieselbe zu tragen hat. Jede Zu- oder Abnahme des Gewichtes, aber auch jeder Stoß, jede Erschütterung, welche dem schwebenden Brette mitgetheilt wird, muß sich durch ein Steigen oder Fallen des Index an der Scala der Wage bemerklich machen. Und nun versichert Crookes, solche Ausschläge des Index in Gegenwart seiner Medien beobachtet zu haben, sogar dann, wenn Mr. Home, das berüchtigte Hauptmedium, den Apparat gar nicht berührte, sondern, bis drei Fuß davon entfernt, an Händen und Füßen festgehalten wurde! – Und das ist Alles! Darauf hin, daß die Federwage unter diesen Umständen deutliche Ausschläge gab, welche keine augenfällige und handgreifliche Ursache zu haben schienen, wagt Crookes seine exorbitante Behauptung!! deren Ungeheuerlichkeit wohl kaum von Ihnen Allen nach Gebühr ermessen und empfunden werden dürfte.

Von überzeugenden Controlversuchen, von ausgiebigen, vertrauenerweckenden Vorsichtsmaßregeln gegen Täuschung und Betrug ist nicht das Mindeste zu finden. Wem das, was Crookes in dieser Richtung, abgesehen von ganz allgemeinen Versicherungen seiner Scrupulosität und Vorsicht, gethan zu haben angiebt, imponirt oder genügt, der steht auf einem so kindlichen Standpunkt naturwissenschaftlicher Urtheilslosigkeit, daß er einfach kein Recht hat, über diese Dinge mitzusprechen!

Daß eine Federwage Ausschläge giebt, ist eine Thatsache, die überaus leicht sicher zu stellen ist. Wir können es daher auf Crookes’ Zeugniß hin ruhig als Thatsache annehmen, daß seine Federwage, seine Fühlhebel in Gegenwart der sogenannten Medien wirklich Ausschläge gegeben haben. Allein, wenn Crookes als Thatsache hinstellt, daß die sogenannte „psychische Kraft“ des anwesenden Mediums es war, welche diese Ausschläge verursachte, indem sie die Schwere der trägen Massen zeitweilig veränderte (!!), so ist dies, trotz aller Versicherungen, noch lange keine wirkliche Thatsache, sondern höchstens eine ernstgemeinte Angabe über eine „ungenau beobachtete Thatsache“, und zwar eine Angabe, welche gar keinen Glauben, ja nicht einmal die geringste ernsthafte Beachtung verdient. Und zwar verdient diese Angabe nicht einmal die letztere, nicht etwa deshalb, weil sie eine „ungenau beobachtete“ Thatsache betrifft, es giebt ja viele Thatsachen dieser Kategorie, welche die höchste Beachtung verdienen, und mit welchen sich auch die Wissenschaft auf’s Ernstlichste befaßt, sondern einfach deshalb nicht, weil einerseits das unzweifelhaft Thatsächliche in Crookes’ Angabe (nämlich: ein ohne augenfällige Ursache erfolgender Ausschlag an einer Federwage oder an einem Fühlhebel) an sich gar nichts Bemerkenswerthes ist, und weil andererseits nicht der mindeste, Zutrauen erweckende, experimentelle Nachweis geliefert ist, daß die beobachteten Ausschläge wirklich nur in Gegenwart von sogenannten Medien erfolgten, und daß sie in der That keine durch die bisher bekannten Naturgesetze begreifliche Ursache gehabt haben können!

Wäre ein solcher Nachweis in exacter Weise auch nur versucht worden, so würden Crookes’ Angaben schon einige Beachtung verdienen und zu einer Wiederholung seiner Versuche einladen, um eine sonderbare, „ungenau beobachtete“ Thatsache zu prüfen; wäre jener Nachweis gar vollgültig und streng erbracht worden, dann hätte Crookes eine der unerhörtesten Thatsachen von unberechenbarer Tragweite entdeckt, und seine Angaben würden sich die allgemeinste, eingehendste Beachtung und Würdigung aller ernsten Naturforscher augenblicklich und mit Einem Schlage erzwungen haben; wie etwa seiner Zeit die Angaben Volta’s, als er seine Säule baute, welche nicht minder unglaubliche und unerhörte Erscheinungen darbot! – So aber, wie die Sachen factisch stehen, haben Crookes’ Angaben, so wie die anderen von Hunderten und Tausenden von Biedermännern bezeugten „Thatsachen“ von freischwebenden Tischen, fliegenden Guitarren, selbstmusicirenden [177] Harmonika’s, akustischen Klopferscheinungen etc. genau denselben Anspruch auf wissenschaftliche und ernste Beachtung, wie das erste beste, frappante Taschenspielerkunststückchen, dessen natürlichen Zusammenhang aufzuklären wohl von Niemandem als eine würdige Aufgabe der ernsten Naturforschung betrachtet werden dürfte, so interessant auch oft, besonders in psychologischer Hinsicht, der wahre und natürliche Grund der Täuschung sein mag.

Und so wenig es irgend einen verständigen Menschen ernstlich beunruhigen wird, wenn es ihm nicht gelingt, den natürlichen Zusammenhang eines hübschen und frappanten Kunststückchens zu ergründen, genau ebenso wenig kann und darf sich irgend Jemand, der nicht allen naturwissenschaftlichen Geistes baar ist, durch die fraglichen, so hundertfältig von den ehrenwerthesten Leuten bezeugten, absonderlichen spiritistischen etc. „Thatsachen“ beunruhigen lassen, so lange auch nicht der leiseste, Zutrauen erweckende Nachweis von Seite der Apostel dieses Spuks erbracht ist, daß jeder Gedanke an die Möglichkeit einer natürlichen Erklärung an sich so natürlicher und höchst gleichgültiger Erscheinungen, wie es die sogenannten „physikalischen“ Geistermanifestationen sind, absolut ausgeschlossen ist.

Nur dadurch, daß die Ursachen dieser Erscheinungen nicht augenfällig sind, gewinnen diese letzteren in den Augen der Urtheilslosen überhaupt eine übertriebene Bedeutung. Aber in dieser Beziehung unterscheiden sie sich doch – wie selbst der verbohrteste Fanatiker zugeben muß – durchaus nicht von guten Taschenspielerstückchen, die meist noch viel interessanter sind, und oft nicht minder unerklärlich erscheinen – sonst wären es eben nicht gute! Ob sie sich aber von Taschenspielerkunststückchen – abgesehen davon, daß wir bei ihnen den Taschenspieler nicht immer kennen, ja überhaupt nicht einmal wissen, ob ein solcher gegenwärtig ist – in irgend einer anderen Beziehung unterscheiden? darüber verlangen wir eben von den „spiritistischen“ Herren „Naturforschern“ und „Gelehrten“ wie Varley, Wallace, Crookes, Butlerow und Anderen zuerst eine halbwegs genügende Auskunft, bevor wir ihnen und der übrigen urtheilslosen Menge das Recht zugestehen, der Wissenschaft und ihren Vertretern auch nur den leisesten Vorwurf wegen ihres absolut ablehnenden Verhaltens gegenüber diesen Dingen zu machen.

Diese Herren haben weder den Schatten einer Veranlassung, sich über etwas zu beklagen, als über ihre – eigene Unfähigkeit, noch irgend ein Recht, irgend Wem einen Vorwurf zu machen, als sich selbst, daß es ihnen eben nicht gelingt, ihre sogenannten „Geistermanifestationen“ etc. über das Niveau von Taschenspielerkunststückchen zu erheben.

Damit will ich, wie ich ausdrücklich betone, durchaus nicht gesagt haben, daß man alle die an sich meist so alltäglichen und nichtssagenden Erscheinungen, welche so vielen Menschen als höchst bedeutsam und wunderbar imponiren, für mehr oder weniger geschickte, bewußte Taschenspielerkunststückchen zu halten habe, obschon manche derselben als solche nachgewiesen wurden – erinnern Sie sich nur des Davenport-Scandals![1] –, mit einem derartigen maßgebenden Ausspruche würde ich ja den einzig berechtigten, absolut ablehnenden Standpunkt der strengen Wissenschaft selbst verlassen – wohl aber will ich damit sagen, daß man die ersteren, die sogenannten „Manifestationen“, vorläufig so wenig wie die letzteren, die guten und schwer zu enträthselnden „Taschenspielerkunststückchen“, für eine würdige Aufgabe der ernsten Naturforschung betrachten könne und dürfe! Uebrigens habe ich, indem ich die Mittheilungen und Versuche von Crookes, dem bekannten englischen Gelehrten, dem verdienstvollen Entdecker des Thalliums, einem Schüler unseres großen Chemikers Hofmann in Berlin – früher in London –, als charakteristisches Beispiel aus der sogenannten „spiritualistischen“ Literatur herbeizog, noch das Beste ausgewählt, was in ihr enthalten ist. Haben sich ja doch selbst die auf diesem Gebiete thätigen Herren „Naturforscher“, wie einer der geschäftigsten Verbreiter jener Schandliteratur, bezeichnend genug, dem verstorbenen amerikanischen Chemiker und „Spiritisten“ Mr. Hare nachrühmt (!), „nicht blos bei der physikalischen Seite der (Geister-) Manifestationen aufgehalten“ (!) – und findet man in jener Literatur, auf die man uns triumphirend zu verweisen die Stirn hat, mit wachsendem Erstaunen, in einem Meere von hirnlosem Geschwätz und phantastischen Ergüssen gläubiger Fanatiker nichts – rein gar nichts als einerseits einige kindische oder ganz sinnlose Veranstaltungen, welche physikalische Apparate und exacte Prüfungsmittel vorstellen sollen – und andererseits mehr oder weniger glaubwürdige Berichte und Zeugnisse für die Realität – „ungenau beobachteter Thatsachen“!

Indessen, man wird vielleicht einwenden, „ungenau beobachtete Thatsachen“, welche von Hunderten von ehrenwerthen Menschen bezeugt werden, sind doch der wissenschaftlichen Beachtung und Prüfung werth und bedürftig?!

O ja! – aber lange nicht alle und nicht in gleich hohem Grade. Die Wissenschaft und ihre Vertreter haben das Recht und sogar die Pflicht, Zeit und Arbeit zu Rathe zu halten; sie haben mehr und Besseres zu thun, als über jedes beliebige Ding, auf jede beliebige Frage Rede und Antwort zu geben! – Sie kennen Alle das Sprüchwort von dem Einen Narren und den sieben Weisen! Was sich in keiner der ernsten Beachtung würdigen und trotz aller Unerhörtheit und Sonderbarkeit Vertrauen erweckenden Art und Weise darzustellen vermag, darf eben keinen Anspruch auf ernste Beachtung von Seiten der Wissenschaft erheben. In diesem Falle befinden sich aber die freischwebenden Tische, die fliegenden Guitarren, die akustischen Klopferscheinungen, die Crookes’schen ohne augenfällige Ursache Ausschlag gebenden Federwagen und Fühlhebel u. dergl. – von der sogenannten „intellectuellen Seite dieser Phänomene“, dem directen Verkehr mit Abgeschiedenen etc. natürlich ganz zu schweigen! –

Das Geschrei der Hunderte oder Tausende von einfachen Augen- und Ohrenzeugen, das triumphirende Hinweisen auf die sogenannten „wissenschaftlichen“ Untersuchungen einiger – eben aus der Qualität dieser Untersuchungen nachweislich unfähig gewordener Naturforscher ändert an dieser Sachlage nicht das Mindeste. Ob einer oder der andere Vertreter der Wissenschaft diese Dinge dennoch beachten mag, hängt von seinen persönlichen Neigungen und von zufälligen Umständen ab.

Wer keine Neigung dazu in sich spürt und sich fern hält, den kann darum nicht der leiseste Vorwurf treffen! Mein hochverehrter, alter Freund, Professor Sharpey, der frühere, langjährige Secretär der Gesellschaft der Wissenschaften in London, z. B. war, wie ich meine, vollkommen im Recht, als er der freundlichen Einladung von Crookes, dessen „Experimenten“ mit Mr. Home beizuwohnen, nicht nachkam; ja, er handelte zugleich mit überlegter Lebensklugheit, da die Herren Spiritisten und ähnliche Fanatiker sehr geneigt sind, Männer der Wissenschaft, welche sich bei solchen peinlichen Gelegenheiten in den schonenden Formen der gebildeten Welt aussprechen, sofort als zustimmende Zeugen von Gewicht auszuposaunen. Exempla demonstrant – Beispiele beweisen! So ist der Brief des berühmten Astronomen Huggins vom 9. Juni 1871 an Herrn Crookes offenbar nichts als eine allerdings in überaus schonenden und höflichen Wendungen vorgebrachte, aber ganz entschiedene Ablehnung jeder Meinungsgenossenschaft mit Herrn Crookes bezüglich der in Huggins’ Gegenwart im Crookes’schen Hause stattgehabten Erscheinungen – und doch wird dieser Brief mit triumphirender Freude in spiritistischen Schriften citirt, und Huggins in Folge dessen – wahrscheinlich sehr gegen seinen Willen – von manchen Seiten für eine der „wissenschaftlichen Autoritäten“ gehalten, welche ihr gewichtiges „Zeugniß“ für die Realität „spiritistischer Erscheinungen“, außernatürlicher „Geistermanifestationen“ etc. abgegeben hätten! – Urtheilen Sie selbst! Zur vollständigen Ehrenrettung von Huggins und als schlagende Illustration zu dem von mir gerügten Verfahren der Herren „Spiritisten“, sehe ich mich veranlaßt, den fraglichen Brief im Wortlaut hier mitzutheilen.

„Upper Tulse Hill, S. W., den 9. Juni 1871.

 Mein hochverehrter Mr. Crookes!

Ihr mir zugegangener Correcturbogen scheint mir eine richtige Darstellung von dem zu enthalten, was in meiner Gegenwart in Ihrem Hause stattfand. Meine Stellung am Tische gestattete mir zwar nicht, Zeuge des Hinwegziehens der Hand Mr. Home’s von der Harmonika zu sein, aber es wurde dies zur Zeit sowohl von Ihnen selbst, als auch von der an der anderen Seite Mr. Home’s sitzenden Person als stattgefunden behauptet.

Die Experimente scheinen mir die Wichtigkeit einer weiteren [178] Erforschung derselben nahe zu legen; ich wünschte mich aber so verstanden, daß ich damit keinerlei Meinung in Betreff der Ursache der stattgehabten Erscheinungen ausspreche.

 Ihr treu ergebener

William Huggins.“     

Doch, wie gesagt, ob einer oder der andere der Vertreter der Wissenschaft diese Dinge beachten mag oder nicht, muß seinen persönlichen Neigungen überlassen bleiben und hängt zum Theil auch von zufälligen Umständen ab. Für die strenge Wissenschaft selbst aber existiren jene Dinge einfach – gar nicht. Die Wissenschaft anerkennt weder, noch verneint sie in solchen Fällen – sie ignorirt; – und dazu hat sie nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, weil Zeit und Arbeit zu knapp und kostbar sind, um an Erscheinungen verschwendet zu werden, welche vorläufig kein anderes und höheres Interesse darbieten, als daß ihre Ursachen nicht augenfällig sind – gerade so, wie das bei guten und frappanten Taschenspielerkunststückchen der Fall ist. Bei letzteren setzt heutzutage doch kein vernünftiger, besonnener Mensch irgend welche außernatürlichen Kräfte voraus – sonst könnten wir ja gleich wieder munter anfangen, Hexen und Zauberer zu verbrennen!

Bisher aber berechtigt und zwingt uns auch noch gar nichts, bei jenen sogenannten „Geistermanifestationen“ und sonstigen zweifelhaften Erscheinungen dieser Art die Wirkung außernatürlicher oder „neuer Naturkräfte“ u. dgl. vorauszusetzen, und deshalb ist vorläufig der ganze Spuk nicht der mindesten ernsten Beachtung werth – außer vielleicht vom psychologischen, oder vielmehr vom psychiatrischen Standpunkt!

Das absolut ablehnende Verhalten der Wissenschaft gegenüber dem Spiritismus etc. ist somit, wie Sie, meine hochverehrten Anwesenden, bei ruhiger Ueberlegung[WS 1] nun wohl zugeben müssen, vollkommen gerechtfertigt, so wenig Sie sich auch von diesem Resultate unserer Darlegung befriedigt, oder so sehr Sie sich in Ihren Erwartungen davon getäuscht fühlen mögen. Ich kann nur noch hinzufügen: Möglich, daß in Folge dieser der Wissenschaft nothwendig gebotenen Reserve überhaupt Manches, vielleicht zum Schaden der Menschheit, für lange Zeit unentdeckt blieb und bleibt, denn auch wir können in aller jener Bescheidenheit, zu der sich der Naturforscher wohl mehr als andere Berufsmenschen gedrungen fühlt – doch ohne mit diesem oft mißbrauchten Citat der Leichtgläubigkeit, dem Aberglauben und jeder ihrer Ausgeburten Thür und Thor öffnen zu wollen –, mit Hamlet sagen:

„Es giebt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden,
Als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio!“

Hamlet, 1. Act, 5. Scene.

Indessen, dies muß eben getragen werden; für jede Entdeckung, für jeden Fortschritt kommt die richtige Stunde! Allein wenn man – und ich citire hier wörtlich – den „Tonangebern unserer wissenschaftlichen Ueberzeugungen – den gelehrten Facultäten“ zum Vorwurf macht, daß sie „die Masse des Volkes ihren eigenen Kräften und Urtheilen im Kampfe mit den unwiderstehlichen Erscheinungen unbegreiflicher Thatsachen überlassen haben“, und ihnen darum einen Hauptantheil der Schuld und Verantwortlichkeit für alle Tollheiten, Abgeschmacktheiten und intellectuellen Ausschweifungen des Spiritismus, der Medienwirthschaft etc. aufbürden will, so entspringen solche Anklagen und Zumuthungen nur aus einer mit Anmaßung verquickten Urtheilslosigkeit und totalen Verkennung der Aufgaben und Verpflichtungen jener wissenschaftlichen „Tonangeber“ und Körperschaften, sowie des Weges und der Art und Weise, wie die „Masse des Volkes“ zu wahrer Bildung und Aufklärung zu erziehen ist.

Möchten doch jene leidenschaftlichen, unberufenen Schriftsteller, welche ja selbst Alles davon zu hoffen und zu erwarten vorgeben, wenn sich „nur einmal“ das Studium ihrer vermeintlich brennenden Frage „in den Händen der Wissenschaft befinden wird“, es auch dem überlegten und nüchternen Urtheile der Wissenschaft ruhig und vertrauensvoll überlassen, welche Fragen sie ihrer ernsten Beachtung würdig zu finden und in die Hand zu nehmen hat! Möchten sie auch, wenn sie anders noch einiges Vertrauen zu den wissenschaftlichen „Tonangebern“ und „gelehrten Facultäten“ wirklich bewahrt haben, ihre so übereifrigen und gemeinschaftlichen Bemühungen, statt der Verbreitung einer unbedingt zu verdammenden, weil gänzlich werthlosen und hirnverwirrenden Literatur, wie es zum Beispiel durch die sogenannte „Bibliothek des Spiritualismus“, Leipzig, geschieht, lieber der Verbreitung echter, nüchterner und gründlicher naturwissenschaftlicher Einsichten und Kenntnisse in der aufklärungsbedürftigen „Masse des Volkes“ widmen, und mit dieser verständigeren und dankenswertheren Thätigkeit recht bald – bei sich selbst beginnen!


Meine Schuljahre.

Von Gottfried Kinkel.
(Geschrieben Winter 1849–50 im Gefängniß zu Naugardt.)
III.

Neben der Schularbeit und jener heitern Geselligkeit blieb mir immer noch Zeit zum Lesen moderner Schriftsteller, und wirklich habe ich auf dem Gymnasium bereits den Grund zu späteren Arbeiten auf dem Gebiete der deutschen Literatur gelegt. Leider fehlte es uns, wie schon oben bemerkt ist, an rechter Anleitung dazu. Meist ist es das Theater, wodurch junge Leute in diese Studien eingeführt werden, und in Bonn bestand unter der Direction Ringelhardt’s damals mehrere Winter durch eine gute Bühne, auf der einmal sogar Eßlair mit seinem berühmten Lear als Gast auftrat. Allein der Besuch des Theaters war den Gymnasiasten verboten; auch meine Eltern würden empört gewesen sein, wenn sie erfahren hätten, daß ich einen Schritt dorthin setzte. Was mir untersagt war, hat mich nie gereizt: ich bin erst als Student, wie ich glaube, in’s Theater gekommen, und da ist der Eindruck weit unter meiner Erwartung geblieben, weil ich damals schon die erhabenste Vorstellung von der Tragödie mir gebildet hatte. Erst in Berlin sollte die wirkliche Bühne für mich Leben und Reiz gewinnen.

Auch die lebende Literatur übte auf uns keine mächtige Anziehung. Goethe, dessen Gestirn in seiner Jugend am allerglänzendsten funkelte, hat die Deutschen verwöhnt: von seinem Auftreten an haben sie ihren Dichtern erst nach dem Tode Anerkennung und dann oft überschwärmende Anbetung gezollt. Dieses Unglück später Würdigung widerfuhr namentlich den Schriftstellern, die auf unsere große Epoche von Weimar folgten. Man sah die Literatur als einen Tempel an, der nur eben mit Klopstock, Goethe und Schiller vollständig ausgebaut sei, statt in ihr einen lebendig wachsenden Baum zu erkennen, der jedes Jahr nothwendig einen neuen Ring ansetzt und vom Lebenssaft der Erde stets eine frische Krone nährt. Nun aber fehlte es in der Restaurationsperiode doch auch wirklich an Dichtern, die eine leidenschaftliche Begeisterung in einer Jünglingsbrust erregen konnten. Die Freiheitsdichter aus den napoleonischen Kriegen waren verstummt oder saßen im Kerker; die Romantiker hatten ihre Hauptwerke schon um 1811 abgeschlossen. Arndt lebte allverehrt in Bonn, und seine Lieder lernte ich schon als Knabe auswendig; allein ein umfangreiches, hinreißendes Dichterwerk kam auch aus seiner Feder nicht.

August Wilhelm Schlegel war damals schon für uns Gymnasiasten eine komische Figur. Immermann hatte sich vor der Julirevolution noch nicht einmal bei den Kunstgenossen durchgesetzt, und Heine, der als ein scheuer schmächtiger Junge die neubegründete Universität Bonn bezog und dort in Einsamkeit seine ersten zarten Lieder schrieb, war von dem Bonner Buchhändler Weber mitleidig zurückgewiesen worden, als er jene Erstlinge ihm zum Verlag anbot. Platen endlich kämpfte gleichfalls noch um seine Anerkennung, war aber auch zu sehr formeller Dichter und begeisterte zu wenig durch seine Stoffe, um junge [179] Leute zu fesseln. Nur Uhland besaß alle Eigenschaften dazu, und auf diesen warfen wir uns auch Alle mit größter Vorliebe. Diesem Dichter, der mehr durch Sparsamkeit und Sorgfalt, als durch Fülle und Kraft seinen Platz auf dem Musenberg erobert hat, ist es überhaupt zum größten Glücke ausgeschlagen, daß er unter der Restauration und somit zwischen wenigen und schwachen Nebenbuhlern auftrat. Erst der Juli 1830 hat den Gesang bei uns wieder erweckt. Nur eine schmackhafte Frucht trug der Baum der europäischen Literatur in der Restaurationsdürre: es war der historische Roman. In ihn als in eine harmlose Schale rettete sich, was noch von politischem und geschichtlichem Leben in der geistigen Welt fortbestand. Und wie ein verschlossenes Feuer auf dem Einen Punkte, wo es durch den Ofen scheint, um so schärfer und greller die Nacht umher durchblitzt, so war es auch hinwiederum der historische Roman, der in unsern Gebildeten den Sinn für etwas Höheres als sächsische Taschenbuchnovellen erweckte und die Freude an volksthümlicher Darstellung der Weltgeschichte verbreitete, welche seit dem mit so vielem Erfolge bei uns versucht worden ist. So sollte diese Dichtungsgattung eine große Bedeutung für das Wiedererwachen des politischen Lebens gewinnen.

Der historische Roman hatte sich zwischen 1820 und 1830 ein so breites Gebiet im Buchhandel erobert, wie jetzt der sociale inne hat. Mit dem leichtesten und fruchtbarsten Talent für ihn war unstreitig Walter Scott begabt, der ihn auch zuerst in Schwung brachte; leidenschaftlicher, durch Wildniß, Todesangst und Schrecken ergreifender hat Cooper die Gattung auf den Boden des Urwalds hinübergeführt, und die Franzosen verwandelten sie später nach Victor Hugo’s Vorgang in ein Gemisch des Häßlichen mit dem Grauenvollen. Unter den Deutschen wird an Reichtum der Erfindung und Kraft der Spannung wohl Keiner Spindlern überbieten; doch haben bei uns Unzählige diese Gattung mit ganz besonderem Fleiße ausgebildet und bis zur historischen Toilettennovelle breitgetreten. Wenn man nun überhaupt vor dem achtzehnten Jahre Romane als die bequemste Leserei allem Andern vorzieht, so mußten Werke dieses Charakters uns Gymnasiasten besonders anlocken, da uns auf dem geschichtlichen Felde eine füllereiche Anschauung durch den Unterricht nicht dargeboten wurde.

Der allererste Roman, mit dem ich überhaupt Bekanntschaft machte, war denn auch ein historischer, und es schloß sich diese Bekanntschaft auf eine sonderbare Art. Mit mir befand sich in Tertia der Sohn eines Professors, mit Namen Hasse; ein guter Junge, der aber das Unglück hatte, stets auf der letzten Bank und meist sogar als Ultimus der ganzen Classe zu sitzen. Während der Lehrstunden hockte er mit träumerisch geöffnetem Munde da, und geschah eine Frage an ihn, so fiel er aus den Wolken. Es schien, daß er zu Hause niemals ein Schulbuch ansah, denn wenn er aufsagen oder seinen Cäsar übersetzen sollte, so schlich er zwar aus seiner letzten Bank herbei, stellte sich aber, als ob er nicht reden könne, vor den Lehrer und machte auch gar keinen Versuch weder zu antworten, noch auch nur sich zu entschuldigen, bis der Lehrer kopfschüttelnd ihn zurückschickte; dann wandte er sich unter dem lauten Gelächter der Classe ebenso stumm und gleichmüthig auf seinen Hochsitz zurück, wie er gekommen war.

In der That hatte er auch wohl zum Studiren keine Anlage; später hat er sich der Mechanik zugewendet und als Instrumentenmacher sein ehrliches Brod verdient. Gleichwohl blieb eine so völlige Gleichgültigkeit allen ehrgeiziger Mitschülern unerklärlich, bis endlich mir der Zufall das Räthsel löste. Wegen eines kleinen Vergehens mußte ich eines Mittags fasten bleiben; es war das erste und das letzte Mal in meinem Leben, daß dies mir widerfuhr. Da kam Hasse zu mir und sagte: „Ich will Dir doch etwas Gesellschaft leisten.“ Mich wunderte das, denn ich hatte ihm nie einen besonderen Gefallen gethan, und sentimentale Aufopferung ist bei Tertianern nicht zu Hause. Wir wanderten in dem langen Schulsaal auf und ab, und plötzlich fragte er mich: „Hast Du den Ivanhoe gelesen?“ – „Nein,“ sagte ich. – „Dann will ich ihn Dir erzählen,“ fuhr er fort, und begann nun den dickleibigen Roman in allen Einzelheilen ganz klar und reinlich vor mir auszubreiten. Ich erstaunte; hätte er halb so viel Gedächtniß auf seine Vorbereitung zum Cäsar gewendet, so konnte er ein guter Schüler sein. Nun aber war er vollständig in’s Romanlesen verkommen und hatte für nichts Wirkliches Sinn mehr. Sein Zustand war förmlich ein Rausch von Opium, der für alle anderen Genüsse stumpf macht, und wenn er im Geiste bei Cedric’s Sauhirten oder in König Ludwig des Elften Kerker zu Péronne saß, war es ihm ganz gleichgültig, ob eine ganze Classe seine Unwissenheit in griechischen Wortformen verhöhnte.

Von einer ähnlichen Romansucht habe ich in meinem Leben weder unter Handlungsreisenden noch Ladenjungfern ein gleich starkes Beispiel entdeckt. Aus seiner Hand empfing ich denn auch den Ivanhoe selbst. Ich las ihn mit vielem Vergnügen; allein obwohl ich ohne sonderliche Mühe Alles von Walter Scott hätte haben können, so setzte meine mäßige Natur sich bald freiwillige Schranken. Höchstens zwölf dieser zahllosen Romane habe ich überhaupt gelesen, denen sich dann noch Einiges von Cooper und fast Alles von Irving anschloß; denn der Letztgenannte fesselte mich durch das Belehrende seiner Schilderungen aus den verschiedensten Ländern. Dem Reize derartiger Leserei unterlag ich nur in Unterprima noch einmal, wo ich den ganzen Van der Velden durchackerte. Auch schaffte damals Einer von uns sich die bändereiche Stuttgarter Ausgabe des Wilhelm Hauff an, und diese wurde ebenfalls gierig verschlungen. Hauff hat dadurch so jung Glück gemacht, daß er auf eine beneidenswürdige Weise sich auf der Grenze zu halten verstand, die zwischen der dichterischen Tiefe und der bloßen Unterhaltungsschriftstellerei durchläuft; daher ein angehender Erzähler wohl von ihm lernen kann. Auch ihn habe ich damals von einem Ende bis zum andern durchgelesen, und zwar zuweilen gar unter dem Tische in den mathematischen Lehrstunden. Keine seiner Schriften fesselte uns indessen so wie sein historischer Roman „Lichtenstein“; wie Krähen zur Schneezeit sich einen Bissen Brod streitig machen, so rissen wir uns um die kleinen in gelben Umschlag gehefteten Bändchen, und da ich dabei meist zu kurz kam, ist mir das Sonderbare begegnet, daß ich dieses Buch mit dem letzten Bändchen begonnen und so von hinten nach vornen, wie die Juden ihr Hebräisch, gelesen habe.

Wenn demnach die mitlebenden Schriftsteller damals im Ganzen wenige auf mich eingewirkt haben, so war desto kräftiger der Einfluß der großen Männer, welche die abgelaufene Literaturperiode schmückten. Einer der Söhne des Büchelerschen Hauses besaß eine gut gewählte Bibliothek, in welcher die größten Namen nicht fehlten, und diese durfte ich benutzen. So habe ich eigentlich das Beste, was wir Deutsche besitzen, bereits auf der Schule kennen gelernt. Klopstock’s „Messias“ zu lesen, erschien mir als eine Pflicht, und so gehöre ich zu den wenigen Lebenden, die ganz damit zu Ende gekommen sind; doch gestehe ich, daß es mir Anstrengung gekostet hat. Von Wieland standen sämmtliche Werke zum Genusse mir offen da: „Oberon“, die „Abderiten“ und mehrere der kleinen Erzählungen erfreuten mich sehr, in denen, wie in „Geron dem Adligen“, eine edlere Regung den Sieg über die Sinnlichkeit davonträgt. Tiefer aber las ich mich in diesen bändereichen Schriftsteller nicht hinein, denn ich verlangte damals große Gedanken, starke und schwärmerische Gefühle, und so konnte der feine Spott, mit dem Wieland allen Enthusiasmus züchtigt, mir nicht gefallen. Auch sträubte sich meine noch überaus strenge Knabenmoral gegen die sittliche Leichtfertigkeit in manchen dieser Sachen, und als ich im „Hexameron von Rosenhain“ die widrige Geschichte von dem Frauentausch gelesen hatte, der später durch einen Umtausch wieder aufgehoben wird, da mochte ich nichts von Wieland mehr vor Augen sehen. Doch bekenne ich, daß ich seine Wasserkufe mit aufrichtigem Vergnügen genossen habe.

In solcher Gemüthsverfassung mußte natürlich Schiller am wärmsten mich berühren; seine dramatischen Werke, sowie den „Abfall der Niederlande“, las ich mit vollem Verständniß und lebhaftem Gefühl. Auch Lessing’s Theaterstücke studirte ich mit Eifer, und als ich Goethe begann, waren es nächst den lyrischen Sachen wiederum die Dramen seiner Jugend, welche zuerst an die Reihe kamen; seine Romane habe ich erst Jahre lang später gelesen. So bin ich auch auffallend frühe in Uebersetzungen an Shakespeare und selbst an Calderon herangekommen, wie ich denn Theaterstücke immer gern las. Außer diesen hohen Meistern hat auch noch Seume durch seine Lebensbeschreibung und den „Spaziergang nach Syrakus“ mich aufgeregt und gestärkt: seine Freiheitsliebe und sein Rationalismus fanden wiederhallende Saiten in meiner Seele.

Hauptsächlich diesem fleißigem Lesen der besten Muster schreibe [180] ich es zu, daß mir der deutsche Ausdruck sowohl in der mündlichen Rede als im schriftlichen Aufsatz nie besondere Mühe gemacht hat. Auch mein lateinischer Stil reifte in der Prima schnell. Dagegen fand zu poetischem Schaffen sich keine Anregung. Zum Verlieben war ich zu jung, kein politischer oder moralischer Stoff entzündete mich, und Niemand achtete auch auf das, was ich machte. Ein Versuch, die Weinlese, wie ich sie von Oberkassel her kannte, in Hexametern zu schildern, deutet vielleicht schon auf meine späteren idyllischen Skizzen und Erzählungen hin; außerdem erinnere ich mich unter Manchem nur noch eines mit vierzehn Jahren geschriebenen Geburtstagsgedichtes an meine Schwester, das in ganz richtiger Sonettform abgefaßt war. Nach dieser Seite hin habe ich also nicht frühreif mich entwickelt. Die ganze langweilige Zeit der Restauration trieb nicht zum Dichten, denn sie krönte keinen der Lebenden mit dem glänzenden Lorbeer und weckte folglich keine Nacheiferung. Wer aber hätte als Knabe die Hoffnung gehegt, jemals neben Goethe und Schiller vom Volke auch nur genannt zu werden?

Mögen nun meine Leser und meine Leserinnen mir wieder einmal freundlich in mein stilles Pfarrdorf folgen, das jetzt nur noch halb meine Heimath blieb. Dort waren mehrere Veränderungen eingetreten, die den einfachen Linien meines Kindheitbildes eine etwas glänzendere Färbung gaben.

Meine Mutter war vor ihrer Ehe als Gesellschafterin zu reichen Verwandten nach Utrecht berufen worden und hatte bei einer derselben sich sehr in Gunst gesetzt. Es war dies eine alte unverheirathete Dame, die neben der Frömmigkeit auch die Naturwissenschaften betrieb. Seitdem Holland die großen Naturforscher Leeuwenhoeck, Swammerdam u. A. hervorgebracht hatte, war die Liebhaberei in diesen Studien dort einheimisch geblieben. Eine Menge optischer, elektrischer und sonstiger physikalischer Geräthe nebst einer großen Bibliothek mit vielen Kupferwerken diente diesem Dilettantismus der Juffrouw Grietje. Sie starb und vermachte meiner Mutter ein Legat an Geld und den größeren Theil ihrer Sammlungen. Die Erbschaft fiel nicht so glänzend aus, als zu erwarten stand, denn sie betrug nur einige tausend Gulden; allein sie kam zur rechten Zeit, denn die Erziehungskosten für meine Schwester und mich konnten von dem kläglich kleinen Pfarrgehalt nicht mehr bestritten werden, und das in die Ehe eingebrachte Vermögen beider Eltern war bereits eingeschmolzen.

Mir fiel die Bibliothek und die Instrumentensammlung der holländischen Tante zu: ich fand ein Sonnenmikroskop, ein anderes sehr kostspieliges Vergrößerungsglas mit einer Masse zierlich eingefaßter mikroskopischer Gegenstände, die den Beweis lieferten, daß man nicht zum mühsamen Forschen, sondern bloß zum mäßigen Begucken diese Sachen benutzt hatte; sodann ein vorzügliches Fernrohr, einen Guckkastenspiegel nebst Bildern, zwei Prismen und eine Masse optischer Spielereien. Die Bücher waren geschichtlichen, mathematischen und naturgeschichtlichen Inhalts und boten immerhin einen reichen Stoff. Nur sind freilich die Naturwissenschaften seit den fünfzig Jahren, daß diese Dinge sich angesammelt hatten, von allen Wissensgebieten am gewaltigsten ausgedehnt worden, und so hatten die Instrumente wenig Werth mehr, die Bücher aber waren meistentheils veraltet. Gleichwohl bot dieser Besitz mir viele Jahre einen großen Genuß und auch mannigfache Belehrung, bis er zuletzt nach dem Tode der Eltern durch Herumschleppen aus einer Wohnung in die andere mich belästigte, so daß ich denn vor einigen Jahren das Ganze zugleich mit meinen theologischen Büchern für einen Spottpreis veräußert habe. Wäre ich zum Naturforscher angelegt, so würde ein solcher Anstoß, verbunden mit meinem früheren Insectensammeln, mich jedenfalls bleibend in dieses Fach getrieben haben; nun aber war Neigung und Beschäftigung auf diesem Gebiete niemals ausdauernd, während ein unwandelbar wirksamer Zug mich in Allem, was ich unternahm, auf das Feld der Menschengeschichte zurückführte. So vieles aber der Mensch in seinem Kopfe vereinigen mag, in der Forschung schließen Natur und Geist immerdar sich aus, und nur einem dieser Erkenntnißkreise vermögen wir selbstdenkend uns mit Erfolg zu widmen.

Durch jene Erbschaft nahm nun unser Hauswesen eine etwas behaglichere Ausstattung an. Wir galten seitdem in der öffentlichen Meinung für steinreich, und so entstanden Ansprüche an uns, denen man auch in manchem Aeußerlichen sich nicht entziehen konnte. Meine Schwester war mittlerweile zu einem kräftigen und hübschen Mädchen aufgeblüht; namentlich ihr Wuchs war tadellos. Auf ihre Erziehung hatte die Mutter alles Mögliche verwendet. Um die Haushaltung ganz aus dem Grunde zu lernen, mußte sie noch als ein halbes Kind in einem der ersten Gasthöfe von Köln eine Zeit lang am Kochherde stehen, was damals am Rhein bei Mädchen bürgerlicher Familien Sitte war. Ebendort und in Bonn lernte sie feine Näh- und Stickarbeit, und in Seidenstickerei hat sie es so weit gebracht, wie es sich überhaupt in dieser traurigen Nachäffung der Malerei bringen läßt; auf eine Nachbildung von Leonardo da Vinci’s „Abendmahl“ wurden die besten Tagesstunden mehrerer Lebensjahre verschwendet, die zur Fortbildung des Geistes ihr unschätzbar gewesen wären. Diese Sünde gegen den weiblichen Geist ist ja bis heute in den sogenannten gebildeten Familien nicht ausgerottet. Auch im Aquarellmalen hatte sie einen Anfang gemacht; sie sang leidlich und spielte fertig Clavier. Endlich war ihr in einer Pension zu Neuwied der Goldschaum von allerlei oberflächlichem Wissen angeflogen, wie man ihn für solche Mädchenanstalten zu glätten pflegt.

Unsere Töchtererziehung leidet vor Allem an dem Mancherlei. Sie geht von dem falschen Grundsatze aus, der weibliche Geist sei gleichsam ein blasses Abbild des männlichen, statt in ihm den gleichen, oft noch viel glühender leuchtenden Gottesfunken anzuerkennen. So wird dem Mädchen Alles, was auch dem Knaben, eingeprägt, aber flacher und ohne Gründlichkeit; nur der Mann darf zu den Quellen des Wissens hinabsteigen; dem Weibe gönnen wir nur einen Trunk aus dem rinnenden Strome. Hierauf ruht das Unglück der meisten Weiber. Unglücklich ist nur, wem geistige Klarheit mangelt, denn, wie ein großer Dichter des Alterthums sagt:

„Selig, wem es vergönnt den Grund der Dinge zu schauen!
Jegliche Furcht und Angst, und das unerbittliche Schicksal
Tritt er unter den Fuß, und Acherons gierige Strudel.“

Niemand kann ganz unglücklich werden, der Einen Punkt, nur Einen, der menschlichen Erkenntniß so vollständig und deutlich weiß und begreift, daß auf diesem Punkte Niemand ihn zu überbieten vermag. Ist das von einem Menschengeiste erreicht, dann stellt sich auf diesen festen Punkt die Leiter der Erkenntniß auf, deren höchste Sprosse über die Sternenwelt hinausreicht. Ist der Punkt aber nicht da, dann hilft alles Lernen und Bilden und Arbeiten nichts, der Geist bleibt ein Krüppel. Nun aber kann statt all des Geflitters und Geschwirres von Wissenschaften, Künsten, Sprachen und Handarbeiten einem heranwachsenden Mädchen sehr leicht Eines gründlich beigebracht werden, sei es eine Sprache, ein Abschnitt der Welt- und Bildungsgeschichte, ein Stück der Naturwissenschaften oder auch eine Kunstfähigkeit, wie Clavierspiel oder Declamation, verbunden mit Verständniß der Gesetze dieser Künste. Ist in diesem Einen die Gründlichkeit erreicht, dann, aber auch dann erst, bietet und lernt sich mit doppelter Leichtigkeit ein Zweites und Drittes. Auf diesem Wege werden wir Weiber bekommen, die nicht gelehrt und allweise, die aber in ihrem Geiste selbstständig sind und mit denen zu verkehren sich für denkende Männer verlohnt, während jetzt die Weiber meist Puppen sind, mit deren Seelen unser dialektischer Geist Federball spielt. Ich deute blos vorübergehend an, daß dieses auch der einzige Weg ist, aus Mädchen Charaktere zu schaffen; denn wo die Erkenntniß nebelhaft und ohne Schärfe bleibt, da können auch keine festen Grundsätze sich krystallisiren, sondern das ganze Wesen wird zur Molluske und verliert, sobald Duft und Farbe der Jugend verflogen sind, allen Reiz für Männerwelt.

Ich komme zu meiner Schwester zurück. Eine artige Pfarrerstochter, die für vermögend gilt und durch allerlei Bildung über das gewöhnliche Landconfect sich erhebt, pflegt in der Regel das Haus zu beleben. Zunächst geschah das durch eine weibliche Bevölkerung, die eine Art Pension aus dem sonst so einsamen Pfarrhause machte. Einige evangelische Hüttenbesitzer, die in der Gemeinde meines Vaters, aber von Oberkassel ziemlich entfernt wohnten, hatten Töchter im Alter der Einsegnung, was bei Protestanten in’s fünfzehnte oder sechszehnte Jahr fällt, und übergaben diese dem Unterrichte meines Vaters. Sie traten [181] somit in unser Haus und unsern Familienkreis ein, und meine Schwester gab ihnen zugleich Anweisung in Handarbeiten. Aus Elberfeld kam ein anderes Mädchen auf einige Jahre zur Erziehung zu uns, weil es verwaist war. Auch fiel es vor, daß die überaus gesunde Luft von Oberkassel Eltern bewog, kränkliche Töchter eine Zeitlang zu uns zu thun und die Traubencur bei ihnen anzuwenden, die eben damals frisch in Aufnahme kam. Fand sich dann bei dem fröhlichen Schwarme etwa noch eine Kölner Freundin der Schwester auf Besuch ein, so kam es wohl vor, daß der jugendlichen Mädchen, wie in Angely’s Lustspiel, nicht weniger als sieben waren und darunter außerordentlich hübsche.

Das lustige ungenirte Landleben gab ihnen eine Menge von Backfischstreichen ein, wozu der Umstand Gelegenheit bot, daß dem Pfarrhause gegenüber ein stattliches Wirthshaus lag, welches von Bonner Studenten stark besucht und zu Commersen und Duellen benutzt wurde. Es geschah wohl, daß an einem sonnigen Herbstabende die schöne Sieben sich auf der Brüstung des gräflichen Pavillons am Rheine aufstellte und den Reisenden auf dem vorbeifahrenden Dampfboote mit weißen Tüchern winkte. Gar manches junge Blut mag beim Anblick dieser modernen Schwestern von Oberwesel das Schiff verwünscht haben, das ihn mit so brausender Schnelle stromabwärts davonriß.

Dürfte man sich nun wundern, wenn bei solcher Versuchung auch ich mein erstes Lehrgeld in der Liebe hätte zahlen müssen, da ich doch fast jeden Sonntag und in den Ferien beständig im Pfarrhause verweilte? Und doch ist es nicht dazu gekommen, denn keins der Mädchen nahm sich meiner, wie Fräulein Karoline, in freundlicher Weise an. Ich war ja ein wenig jünger als sie, und mit dem unbändigen Stolz der Backfische blickten sie auf mich herab. Sehr junge Mädchen beachten uns Männer überhaupt nur nach dem Maßstabe, ob Aussicht da ist, daß wir sie heirathen sollen. Ich war jenen Sylphiden also eine ganz interesselose Figur, und auch von ihnen hat keine mein Herz verwundet oder geschrammt. Das Treiben der Pensionsmädchen ist überhaupt seelenlos und macht einen kläglichen Eindruck. Man soll beide Geschlechter nicht getrennt erziehen; eine Rotte von Knaben ohne allen Zusatz von Mädchen wird ungeschlacht, Mädchen aber, die nur unter sich aufwachsen, verfallen in’s Kleinliche. Weder damals noch je hat weibliche Unreife mich angelockt; nur an meiner Schwester hing ich mit grenzenloser Innigkeit und ritterlicher Galanterie.




Schul- und Grabstätte eines „Parvenu“.

Als der geschlagene und entthronte Cäsar gefangen auf Wilhelmshöhe saß und seine Blicke hinausschweifen ließ in’s deutsche Land, da mochte doch wohl zwischen den düsteren Betrachtungen der Gegenwart und den bangen Sorgen um die Zukunft manchmal die Erinnerung an das einsame stille Haus in der Heiligkreuzstraße in Augsburg in ihm aufgestiegen sein, das er mit seiner Mutter Hortense bewohnte, die Erinnerung an die Schulbank, auf der er Arm in Arm mit deutschen Jungen gesessen, und an die Tummelplätze, auf denen er mit deutschen Jungen kriegerische Spiele gespielt. Zur Zeit seines Glanzes wenigstens hatte Napoleon öfter die Gelegenheit wahrgenommen, pietätvolle Erinnerungen an jene Tage zu bekunden, was ihn freilich nicht abhielt, den Frieden des Volkes, dessen Gastrecht er genossen, bei dem er die Grundlagen seiner Bildung gelegt, freventlich zu brechen.

„Welches auch der Weg sein mag, den wir jenseits der Grenzen nehmen werden – wir werden auf ihm die ruhmvollen Spuren unserer Väter wiederfinden!“ – so lautete eine Stelle in der Proclamation, die Napoleon am 28. Juli 1870 an seine Armee erließ. Doch die treue „Wacht am Rhein“ wehrte den bewaffneten „Forscherzug“ nach den „Spuren der Väter“ der „großen Nation“ und des „großen Onkels“ von unseren Grenzen ab. Aber gerade im Hinblick auf die gewaltigen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die sich ja so ganz anders gestalteten, als unsere Feinde geplant und gehofft hatten, dürfte es nicht ohne Interesse sein, den „Spuren“ des „kleinen Neffen“ in Deutschland nachzugehen, die allerdings nur leicht und flüchtig sind und ziemlich fernab liegen vom großen Gange der Weltgeschichte, für uns Deutsche aber dennoch lehrreiche geschichtliche Vergleichungspunkte bilden. Mit ganz anderen Gefühlen betrachten wir sie heute als sonst, da der Mann von Sedan und Chislehurst noch lauernd an unserer Grenze lag.

Die Herzogin von St. Leu (Königin Hortense) lebte mit ihrem Sohne Louis Napoleon vom Jahre 1817–1823 mit wenigen Unterbrechungen in Augsburg. Im Archive der Stadt Augsburg befindet sich nicht die geringste Notiz über den Aufenthalt und das Leben der interessanten Fremdlinge, nur in dem sogenannten Grundbuche, welches über Besitzveränderungen der Häuser geführt wird, steht über das von ihnen bewohnte Haus Litera F Nr. 371 und 372 in der Heiligkreuzstraße Folgendes:

     „1807, 14. Januar. Josepha Fürstin von Waldburg zu Wolfegg und Waldsee;
     1817, 16. Mai. Herzogin von St. Leu;
     1828, 11. März. Albert von Pappenheim, kgl. Generalmajor;
     1848, 4. Juli. Graf Fugger zu Kirchberg und Weissenhorn.“

Das in Rede stehende Gebäude hat keinen bestimmt ausgeprägten Charakter. Es ist einstöckig und bildet im Grundriß eine T-Form. Der mit einem Mansardendach bedeckte Mittelbau grenzt an die Heiligkreuzstraße an. Die unteren Fenster haben Segmentbogen, die oberen einen geraden Fenstersturz. Die Mansardenetage hat gegen die Straßenseite drei größere Fenster. Die zu beiden Seiten des Mittelbaues befindlichen Höfe sind durch eine hohe Mauer von der Straßenseite abgeschlossen und rechts durch eine zum Hause gehörige Remise, links durch das Nachbarhaus abgegrenzt. Das Haus hat einen gelblichen, ziemlich verwitterten Anstrich und, von der Straßenseite betrachtet, weder ein stattliches noch freundliches Aussehen.

Unsere Abbildung zeigt die dem großen, schönen Garten zu gelegene Rückseite des Gebäudes; denn gerade dieser Theil des Hauses wurde, weil er geräumiger und wohnlicher als der Mittelbau und wohl auch wegen der Aussicht in den Garten, von der Herzogin und ihrem Sohne bewohnt, was auch bei der gegenwärtigen Herrschaft der Fall ist. Die Zimmer des Prinzen – ein Arbeits- und ein Schlafzimmer im ersten Stock mit den ersten vier Fenstern rechts gegen den Garten – waren höchst einfach möblirt.

Hortense bewohnte die übrigen Zimmer im ersten Stock, die höchst geschmackvoll, aber ebenfalls prunklos eingerichtet und besonders mit Gegenständen der Erinnerung, namentlich in Bildern und Gemälden, an Hortensens Abgott, an Napoleon I., geschmückt waren. Das Häuschen links vom Beschauer war damals die Hauscapelle, die jetzt in ein profanes Waschhaus umgewandelt ist. Sonst sind wesentliche bauliche Veränderungen nicht vorgenommen worden. Die sämmtlichen Wände des ganzen Gebäudes, mit Ausnahme der in der Straßenlinie liegenden Wand des Mittelbaues, sind bis unter das Dach hinauf dicht mit wilden Reben bewachsen. Diese seine schönste Zierde besaß das Haus zu Napoleon’s Zeit noch nicht. Doch standen damals auf der Straßenseite hohe italienische Pappeln vor dem Hause, die demselben einen so eigenthümlichen Charakter verliehen, daß Napoleon bei seiner späteren Anwesenheit in Augsburg im Jahre 1867 die Bäume, welche mit der Zeit den Weg alles Holzes gegangen waren, sofort vermißte und nach ihnen fragte.

Die auf dem Bilde sichtbaren Kirchen liegen dem Hause schräg gegenüber auf der andern Seite der Heiligkreuzstraße. Die rechts mit dem kleinen Thurme ist die protestantische Pfarrkirche zum hl. Kreuz, die mit dem größeren Thurme die katholische Wallfahrtskirche zum hl. Kreuz, in welcher „das wunderbarliche Gut“ (eine „blutrothe“ Hostie) aufbewahrt wird und wohin am 11. Mai jeden Jahres die fromme Einfalt aus weitem Umkreis schaarenweis „wallfahrten geht“; denn an diesem Tage wird das „wunderbarliche Gut“ in feierlicher Procession durch die Straßen des dortigen Stadttheils getragen.

Unsere Mittheilungen über das Privatleben der Herzogin und das Thun und Treiben des Prinzen Napoleon verdanken wir der Güte einzelner in Augsburg lebender Herren, die theils [182] mit der Herzogin selbst gesellschaftlich verkehrten, theils Mitschüler und Spielgenossen des Prinzen waren und die uns zum Zwecke dieser Aufzeichnungen für die „Gartenlaube“ das Schatzkästlein ihrer Erinnerungen mit Vergnügen öffneten.

Das Leben im Hause der Herzogin von St. Leu war still und einfach. Hortense selbst war fast übertrieben sparsam und kleinlich in häuslichen Dingen, aber dabei höchst wohlthätig und leutselig und daher allgemein beliebt. Ihren Hofstaat, wenn wir ihre häusliche Umgebung so nennen wollen, bildeten zwei Hofdamen, der Hausgeistliche (aumônier) Bertrand, der Hofmeister des Prinzen, Lebas, und der Haushofmeister. Die Amme und der Milchbruder Napoleon’s wurden gleichsam als Familienglieder betrachtet. Die Dienerschaft war nicht zahlreich. Vom Koch,

Das Wohnhaus des Prinzen Louis Napoleon (Fugger’sches Haus) in Augsburg.

Bassinet mit Namen, wird gesagt, daß er das Factotum des Hauses gewesen. Der Beichtvater der Herzogin, ein Emigrant, Namens Bigault, war zugleich Sprachlehrer in Augsburg und wohnte nicht im Hause der Herzogin. Hortense verließ ihre Wohnung nur selten; die Messe hörte sie in ihrer Hauscapelle, und nur einigemal besuchte sie die jetzt abgebrochene, dem Regierungsgebäude (der ehemaligen bischöflichen Pfalz) angebaute Capelle, vielleicht hingezogen von der Erinnerung an Napoleon I., der im October 1805 in der bischöflichen Residenz sein Hauptquartier aufgeschlagen und in jener Capelle mehrmals dem Gottesdienste beigewohnt hatte.[2] In der Hauscapelle empfing Prinz Louis durch den Weihbischof Fürsten v. Hohenlohe das Sacrament der Firmung.

Ihre ganze Sorgfalt widmete Hortense der Erziehung ihres Sohnes, den sie zärtlich liebte. Der Aumonier Bertrand und der Hofmeister Lebas leiteten den Unterricht des jungen Prinzen bis zu dessen Uebertritt an die öffentliche Studienanstalt, das Gymnasium zu St. Anna. Zu jener Zeit bestand in Augsburg nur jenes eine (paritätische) Gymnasium. Erst Ende der zwanziger Jahre wurde wieder ein zweites, specifisch katholisches Gymnasium (zu St. Stephan) errichtet. Im Jahresbericht 1821 der Studienanstalt von St. Anna findet sich unter den „später Eingetretenen“ der Unterprogymnasialclasse der Name „Charles Louis Napoleon, Herzog von St. Leu, aus Paris, dreizehn Jahre alt“ mit folgender Anmerkung des Classenlehrers Martin verzeichnet: „Im Anfange des zweiten Semesters trat der Herzog von St. Leu aus dem Privatunterricht in die Classe und machte – obgleich noch nicht vollkommenen mit der deutschen Sprache vertraut – dieses Hindernisses ungeachtet, einen guten Fortgang.“ Das Verzeichniß von 1822 bringt ihn als den vierundzwanzigsten unter sechsundfünfzig Schülern des Oberprogymnasiums, dessen Classenlehrer Dr. Dobel die Notiz anfügt: „Ehrenerwähnung verdient unter Anderen der Prinz Charles Louis Napoleon, welcher, bei genauerer Bekanntschaft mit der deutschen Sprache, sich einen höhern Platz würde erworben haben.“

Wir finden ihn zuletzt noch im Kataloge von 1823, wo er in der Untergymnasialclasse des Professors Eckert als der neunzehnte unter achtundfünfzig Mitschülern angeführt ist.

Napoleon hatte wie jeder andere Schüler seinen Platz auf der gemeinsamen Schulbank. Er war sehr fleißig und machte namentlich in der Geschichte, seinem Lieblingsstudium, gute Fortschritte. Sein Hofmeister Lebas begleitete ihn regelmäßig bis zur Schulpforte, worauf sich derselbe in die nahegelegene Stadtbibliothek [183] begab, um den Prinzen nach beendeter Schulzeit wieder abzuholen. Napoleon durfte sich unter seinen Mitschülern zwölf specielle Spielcameraden auswählen, wobei nach „demokratischen“ Principien ohne Rücksicht auf Stand und Geburt verfahren wurde. Von diesen zwölf lebt noch ein einziger, der Oberstabsarzt a. D., Herr Dr. Dobelbauer in Augsburg.

Der Prinz war sehr einfach gekleidet; er trug in der Regel ein dunkelblaues Beinkleid, eine Jacke von gleicher Farbe mit gelben Knöpfen und im Winter einen Radmantel. Jeden Mittwoch, Sonnabend und Sonntag von zwei bis vier Uhr Nachmittags waren die Spielcameraden zu dem prinzlichen Freunde geladen. Im Sommer wurden meistens militärische Spiele im Garten veranstaltet, bei denen der eine Theil Griechen, der andere Türken vorstellte. Im Winter fanden Schneeballenkämpfe statt, die manchem Fenster verderblich wurden, oder man vergnügte sich mit Schlittschuhlaufen auf dem sogenannten „Schleifgraben“. Bei ungünstiger Witterung wurde die Zeit im Zimmer des Prinzen mit Lottospiel vertrieben, wobei die Gewinnste in Confect bestanden. Auch Verstecken ward häufig gespielt – nicht zum Vergnügen der Kammerfrau, denn die lustige

Begräbnißcapelle Louis Napoleon’s in Chislehurst.

Schaar respectirte bei solchen Gelegenheiten selbst die Gemächer der Herzogin nicht. Ueberhaupt war es Erziehungsprincip, daß die ganze Cameradschaft sich ungezwungen bewegen und cordial mit einander verkehren solle. Die sämmtlichen Spielcameraden hatten die Weisung, mit dem Prinzen nur Deutsch zu sprechen, worin er sich ziemlich vervollkommnete, und ihn zu duzen.

Die noch überlebenden Freunde und Mitschüler des Prinzen aus jener Zeit rühmen dessen freundliches, verträgliches Wesen. Doch ließ es derselbe auch nicht an manchem mehr als blos lustigen Knabenstreiche fehlen. Einmal stiftete er einen Mitschüler dazu an, ein sogenanntes Knallkügelchen auf den Katheder des Professors zu werfen, das auch richtig explodirte. Dieses allerdings sehr ungefährliche Bombenattentat en miniature brachte dem Thäter zwölf Stockstreiche, dem moralischen Urheber einen zweistündigen Arrest ein, den er mit seinem Mitschuldigen in gemeinsamer Haft verbüßen mußte. Ein anderes Mal riß der Prinz dem Papagei der Schwiegermutter des Haushofmeisters Lacroix, die im Nachbarhause wohnte, sämmtliche Schwanzfedern aus und decorirte damit die Mützen seiner Cameraden. Sein Hofmeister dictirte ihm dafür ebenfalls Arrest und die Cameraden durften acht Tage lang nicht mehr zu ihm kommen.

Harmloser war ein anderes Vergnügen, dem der Prinz gleich dem gewandtesten Augsburger Straßenjungen huldigte, nämlich das Voltigiren über die säulenartigen, zum Schutze des Trottoirs angebrachten „Abweissteine“. Sein nun verstorbener Privatzeichenlehrer Kaufmann zeichnete den Springinsfeld später in dieser Situation und schickte dann das Bild dem Kaiser nach Paris, der darob sehr erfreut war und es natürlich an einer gewichtigen Dankesbezeigung nicht fehlen ließ.

Wöchentlich einmal war bei Hortense größere Abendgesellschaft, wobei in der Regel musicirt wurde. Von den beiden Hofdamen spielte die eine, Madame Cochelet, vortrefflich die Harfe, die andere, Fräulein von Mollenbeck, eine Deutsche, wie schon ihr Name besagt, ausgezeichnet Clavier. Der Herzog von Leuchtenberg, der von München öfters auf Besuch nach Augsburg kam, sang einige Male in jenen musikalischen Soiréen. Abwechslungsweise fand sich die Gesellschaft auch bei dem damaligen Regierungspräsidenten von Augsburg, Grafen von Gravenreuth, ein. Einer unserer Gewährsmänner, Herr Regierungsdirector Dr. von Ahorner, damals Präsidialsecretär des Grafen von Gravenreuth, ein vorzüglicher Musiker, spielte bei Quartetten das Violoncell. Im Winter veranstaltete die Herzogin auch französische Theatervorstellungen, bei denen Prinz Louis mehrmals selbst mitspielte. Seine Spielgenossen durften den Vorstellungen beiwohnen. – Die Ausflüge in die Umgegend erstreckten sich auf das nahegelegene Affing, wo Graf von Gravenreuth ein Gut besaß, und das Schloß Wöllenburg, ein Besitzthum des Fürsten Fugger-Babenhausen. – In den fünfziger Jahren ließ Napoleon für seine Gemahlin das Haus in Augsburg, sowie Ansichten von Affing und Wöllenburg durch einen Münchener Künstler aufnehmen.

So flossen der einstigen Königin und ihrem Sohne die Jahre in Augsburg dahin, äußerlich still und ruhig. Was in dem Herzen Hortensens vorging, was sie ihrem Sohne in den Stunden trauten Beisammenseins zu erzählen, wie sie seine Seele mit Bildern einer schöneren, größeren Zukunft zu entflammen wußte, – darüber fehlt uns freilich die Kunde, aber wir können es ahnen. – Der Tag des Abschieds war herangekommen, und eine glänzende Festlichkeit beschloß diesen Abschnitt des Lebens Napoleon’s. An dem Springbrunnen im Garten, den unser Bild zeigt, wurde zum Schluß des Abschiedsfestes ein großartiges Feuerwerk abgebrannt, was wir, als gewissenhafte Chronisten, zu erwähnen nicht unterlassen wollen.

Napoleon hat während seines ganzen späteren Lebens seinen Lehrern und Genossen aus damaliger Zeit eine dankbare und freundschaftliche Erinnerung bewahrt und derselben vielfach in Wort und That Ausdruck verliehen. – Als Anfangs September 1862 die ehemaligen Schüler der beiden Gymnasien Augsburgs das „Studiengenossenfest“, ein Fest des Wiedersehens und der Erinnerung feierten, zu welchem alle ehemaligen Schüler geladen waren, da bezeigte auch der Studiengenosse auf dem Throne Frankreichs seine lebhafte Theilnahme an der Feier und sendete an den Präsidenten des Festcomités, den nunmehrigen Medicinalrath, Herrn Dr. med. Hertel, ein eigenhändiges Schreiben, das damals natürlich sofort in alle Zeitungen zum Abdruck kam, trotzdem aber an dieser Stelle nicht fehlen darf.

Das Schreiben kam während des Festmahls am 2. September zur Verlesung und lautet also: „St. Cloud, 30. August 1862. Herr Präsident! Ich habe mit größtem Antheil von einer Zusammenkunft der ehemaligen Schüler des Augsburger Gymnasiums gehört, welche mit einem Gastmahl die Erinnerung früherer zusammen verlebter Studienjahre feiern wollen, und wünsche, wenigstens als ein ehemaliger Mitschüler in Gedanken an diesem freundlichen Feste Theil zu nehmen. Ich habe nie die Zeit vergessen, [184] die ich in Deutschland zugebracht habe, wo meine Mutter eine edle Gastfreundschaft fand und ich die ersten Wohlthaten des Unterrichts genoß. Die Verbannung bietet traurige, aber doch nützliche Erfahrungen, sie lehrt fremde Völker besser kennen, ohne Vorurtheil ihre guten Eigenschaften und ihren Werth schätzen, und ist man später so glücklich, den Boden des Vaterlandes wieder zu betreten, so behält man doch für die Gegenden, in welchen man die Jugendjahre verlebte, die freundlichsten Erinnerungen, welche trotz Zeit und Politik sich lebendig erhalten. Ihre Vereinigung giebt mir die Gelegenheit, Ihnen diese meine Gefühle auszusprechen. Empfangen Sie sie als Beweis meiner innigsten Theilnahme und meiner Hochachtung, mit der ich bin Ihr wohlgewogener Napoleon.“ –

Für die Armen der Stadt spendete der Kaiser bei diesem Anlaß fünftausend Franken. Eine Sendung von einhundert Flaschen Champagner kam nicht rechtzeitig an. Das Festcomité versteigerte daher den Wein und bestimmte den Erlös mit den Erübrigungen von den Beiträgen der Festtheilnehmer zu einem Fond, dessen Zinsen alljährlich an arme Studirende vertheilt werden. Der kaiserliche Brief konnte unter den obwaltenden Umständen eines gewissen Eindrucks nicht verfehlen. Nachdem die Versammlung dem kaiserlichen Studiengenossen ein „dreifaches Hoch“ ausgebracht hatte, ging folgendes Telegramm an denselben ab:

„Die versammelten Studiengenossen Augsburgs haben soeben Ew. Kaiserlichen Majestät, als ehemaligem Schüler der Anstalt von St. Anna, ein Hoch ausgebracht und sprechen für die huldvolle Erinnerung und so reichlich gespendete Gabe ihren herzlichsten Dank aus.“

Erscheint diese Huldigung in Anbetracht der damaligen Situation der Festversammlung wohl nicht als eine das Nationalgefühl verletzende, so muthete es uns doch wohlthuend an, wenn wir sofort unsern Völk (den jetzigen Reichstagsabgeordneten), der bei St. Stephan in Augsburg studirte, sich erheben sahen, um dem deutschen Gedanken Worte zu leihen. „Ich glaube,“ sagte er, „daß wir damit (mit dem Hoch auf Napoleon) unser Fest nicht abzuschließen vermögen. Da, wo deutsche Männer versammelt sind, sei es aus was immer für einem Anlaß, kann nicht blos das im Herzen der Deutschen leben, was man zollt den verstorbenen, den lebenden Lehrern; es kann nicht blos das im Herzen der Deutschen leben, was man zollt der Pietät, dem auswärtigen Herrscher, sondern zunächst hat bei uns im Herzen des Deutschen zu leben das Nationalgefühl, ein Deutscher zu sein, einem großen, einigen, mächtigen Ganzen anzugehören.“ Der Redner bringt also dem „großen, herrlichen, deutschen Vaterland“ ein Hoch. Als die Versammlung jubelnd in dieses Hoch einstimmte, da konnte freilich keiner von Allen auch nur ahnen, daß kaum ein Jahrzehnt später jener Studiengenosse, der soeben von den „nützlichen Erfahrungen“ der Verbannung gesprochen, die „fremde Völker besser kennen“ und „ohne Vorurtheil ihre guten Eigenschaften und ihren Werth schätzen lehre“, wiederum in die Verbannung ziehen müsse, weil er unser deutsches Volk nicht kannte …

Am 18. August 1867 begegnen wir dem französischen Kaiserpaar in Augsburg. Die Kaiserbegegnung in Salzburg steht bevor, und auf der Hinreise will Napoleon mit seiner Gattin die Stätten besuchen, an die sich die schönsten Erinnerungen seiner Jugend knüpfen. Im Garten seines ehemaligen Wohnhauses brach Napoleon seiner Gemahlin einen Zweig ab. Von da fuhr das Kaiserpaar zu St. Anna.

Napoleon besichtigte mit seiner Gattin alle die Räume, in denen er einst als Schüler geweilt. Auch auf seinen Namenszug, den er nach Schülerart bei seinem Abgang von der Anstalt mit Bleistift in die äußere Wand einer Fensternische gezeichnet, machte er die Kaiserin aufmerksam. Dieser Namenszug, der so lange der Zeit getrotzt, ist jetzt verwischt. Man sagte uns, es müßten wohl patriotische Schüler der Anstalt gewesen sein, die beim Ausbruch des Krieges den verhaßten Namen austilgten.

Wir sind mit unsern Aufzeichnungen über die Augsburger Episode aus dem Leben Napoleon’s zu Ende. Es ist ein gewaltiges Stück Geschichte, das sich mit dem Lebensgang jenes Mannes von Augsburg bis Wilhelmshöhe vor unseren Blicken entrollt, und erst durch das Capitel „Wilhelmshöhe“ gewinnt das Capitel „Augsburg“ für uns Deutsche ein erhöhtes Interesse. Das letzte Capitel aber in dem Romane „Napoleon, der Abenteurer“ heißt Chislehurst. Nach den kühnen Wagnissen und lärmenden Triumphen dieses wechselvollen Cäsarenlebens – die Katastrophe von Chislehurst! Welch ein tieftragischer Contrast zwischen dem geräusch- und triumphvollen Leben des Decembermannes und seinem stillen, weltabgeschiedenen Sterben! Der Ruhelose, dessen Wort von den stolzen Tuilerien aus sonst die Welt erzittern machte, ist in einem unscheinbaren Capellchen, fern von dem Schauplatze seiner Größe, zur Ruhe gegangen. Sein ganzes Leben war nur ein einziges großes Abenteuer. Geboren im Glanze der mächtigsten Krone, doch als Kind schon hinausgestoßen in die Verbannung, irrte er als Jüngling und Mann unstät und flüchtig von Land zu Land, die Seele voll brennender Sehnsucht nach einem neuen Morgen des Kaiserreichs. Mit der fieberischen Hast des Ehrgeizes stürzte er sich in Verschwörungen und tollköpfige Unternehmungen und erklomm schließlich, mit eiserner Zähigkeit von Stufe zu Stufe, über seine Eide, über Blut und Leichen hinwegschreitend, den Gipfel der ersehnten Macht, um nach einigen Jahren cäsarischer Herrlichkeit seinen Stern wiederum sinken, das stolze Gebäude auf Sand gebaut und in dem letzten verzweiflungsvollen Abenteuer alle Pläne und Hoffnungen vernichtet, Schwert und Krone zerschellt zu sehen und als Verbannter auf fremder Erde zu sterben. Wahrlich, hier hat uns der Griffel der Geschichte wieder einmal eines jener großen Dramen geschrieben, wie sie reicher an grellen Contrasten und erschütternden Effecten keines Dichters Phantasie ersinnen könnte!




Bühnen-Erinnerungen.
2. Emil Devrient.


Emil Devrient! – Vor wenigen Monden hat man ihn, den letzten großen Vertreter des reinen Idealismus in der Schauspielkunst, zu Grabe getragen! – Er war der prädestinirte Verkörperer des Idealismus. Die schlanke und doch imponirende Figur, das durchgeistigte, edle, der Antike nachgeschnittene Antlitz mit seinem herrlichen Profil, das schöne, alle Tonschattirungen willig gebende, wie Musik tönende Organ, die vollständige Beherrschung der Individualität zum technischen Zwecke und die umfassendste Bildung sind der Nation noch in keinem Zweiten in diesem Maße nahe getreten. Seine frische, glückliche Jugend blühte im goldenen Nachsommer unserer neu erstandenen Literatur. An Goethe und Schiller labte sich die feurige Seele des Jünglings. Dem frischen, berauschenden Taumel des Schiller’schen kosmopolitischen Idealismus schlug sein jugendliches Herz entgegen, und wenn für Einen, so hatte dieser für ihn seinen Marquis Posa geschrieben!

Die weimar’sche Schule unserer Dichterheroen war damals maßgebend in Sachen der Menschendarstellung. Sie war logisch hervorgegangen aus der Sturm- und Drangperiode; die gesättigte Kraft wollte um jeden Preis zur Anmuth zurückkehren. Was Schiller die Griechheit nennt, dominirte; man lehnte sich also an die Antike und damit an das Ideale. Das Bedürfniß dazu war dringendst vorhanden; denn die rohe Kraft der Haupt- und Staatsactionen hatte Publicum und Darsteller corrumpirt. Mit der Laterne des Diogenes mußte man suchen, um einen Schauspieler zu finden, der im Stande war, Jamben zu sprechen. So lächerlich es heutzutage klingt, die Rollen in den Schiller’schen und Goethe’schen Jambentragödien durften nicht dem Versmaß entsprechend ausgeschrieben werden, da die Schauspieler der damaligen Zeit erklärten, das nicht lernen zu können. So mußte Schiller, um seine Reformation des Geschmackes zu ermöglichen, zugeben, daß die betreffenden Rollen in glatter Prosa ausgeschrieben wurden. Wie sehr berechtigt war also die Rückkehr zum Schönen um jeden Preis!

Freilich – man ging in vielen Beziehungen viel zu weit. Goethe besonders. Seine Ukase zu Gunsten des Schönen auf [185] Kosten des Wahren haben einen Schaden angerichtet, der theilweise noch heute zu bekämpfen ist. Eine Rückenstellung des Mimen zum Publicum galt ihm als Todsünde, wie überhaupt die im Tone eines Gebieters gegebenen Vorschriften zur Geltendmachung des absolut Schönen, die er dem Schauspieler machte, diesen in einen ungestraft nicht zu überschreitenden Zauberkreis von Regeln bannten. Man blieb nicht künstlerisch, man wurde künstlich. Verlangte Goethe doch sogar vom Schauspieler: er solle nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Leben bei der geringfügigsten Handlung ein plastisch schönes Bild seiner Geste oder Action zu gewinnen suchen. Diese Sucht, stets schön sein zu wollen, sündigt gegen die Natur, die Natur aber läßt nicht ungestraft gegen sich sündigen. Es genügt in der Kunst nicht, nur schön zu sein, auch die Natur und ihr liebstes Kind, die Wahrheit, gehört zu ihren Erfordernissen. Die Goethe’sche Schule führte also in letzter Consequenz zur Unnatur. Goethe bannte den Schauspieler auf der Bühne in einen abgezirkelten Regelzwang, der aller Ursprünglichkeit des Gefühls spottete, und für das Leben erzog er den Menschen im Schauspieler zur affectirten Komödianterie!

Deutschland ist nicht nur geographisch das Land der Mitte, es ist auch der geistige Mittel- und Angelpunkt der Welt, der wahre Culturträger der Menschheit. Weil wir nun in so vielen Dingen Vermittler sind und die Mitte zu halten haben, sagt dem Geiste der Deutschen die goldene Mittelstraße besonders zu. Dieser goldenen Mittelstraße folgend, bedauern wir es nicht, daß die neuere Schule der Menschendarstellung den Idealismus als Norm über Bord geworfen hat und sich bestrebt, nicht nur schön, sondern auch wahr zu sein!

Emil Devrient war der letzte Vertreter des Idealismus als Norm. Seine besten Rollen waren die hoch-idealen. Sein Posa, Sigismund (in „das Leben ein Traum“), Tasso waren die schönsten Blüthen seiner Kunst; dagegen lagen ihm Rollen, welche realistische Schärfen herauskehren, wie Tell, Lear, Narciß, völlig fern, und er verunglückte mit ihrer Darstellung selbst in dem ihn vergötternden Dresden. Darin war Dawison, so lange er in Dresden weilte, sein Ergänzungspartner. So diametral entgegengesetzte Charaktere und zugleich so bedeutende Künstler in ihrer Sphäre werden nicht leicht wieder an einer Bühne vereinigt sei. Ein großartiger Abend war es, als Devrient den Posa und Dawison den König Philipp spielten – schöner und besser sind diese Rollen wohl nie verkörpert worden.

Der jetzigen Generation stand Devrient bereits etwas fremd gegenüber, wobei ich indessen Dresden ausnehme, wo die Tradition auch bei den jüngeren Leuten ihm einen Cultus schuf. Aber anderwärts war es nicht in gleichem Maße der Fall. Gewiß war die Frische und Kraft, welche ihm bei der Hochzahl der Jahre noch zu Gebote stand, bewundernswerth, aber der einsichtsvolle, jüngere Beobachter, dem die wache Erinnerung an das früher von dem Künstler Gebotene nicht Pietät aufnöthigte, fühlte doch, daß die Zeit ihren Tribut forderte. Leider gehöre ich zu Denen, die es tief beklagen müssen, Emil Devrient nicht mehr in den Jahren der wahren Kraft gesehen zu haben. So wunderbar Schönes er noch gab, ich vermißte doch schmerzlich Eins an ihm, das Goethe’sche:

„– Wenn es nicht aus der Seele dringt,
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt – –

Man verstehe mich hier recht! Devrient war in so hohem Maße Herr seiner Individualität und aller technischen Anforderungen, daß er dem oberflächlichen Zuschauer wohl noch die volle Illusion gewähren konnte. So war z. B. der Monolog der zehnten Scene des dritten Actes in Calderon’s „Das Leben ein Traum“ ein Meisterstück der Rhetorik, und das Organ selbst war noch von schönster Fülle und Modulationsfähigkeit. Aber jetzt kommt etwas schwer Definirbares: man muß fühlen, im Innersten fühlen, daß das Herz des Darstellers und nicht nur sein Verstand en masque spricht! Was hätte ich bei seinem Posa, als ich ihn zuletzt sah, nicht für einen vollen, warmen, ehrlichen, nicht gemachten Herzton gegeben! Das ist es, worin die Jahre unerbittlich ihr Recht gefordert hatten: das Blut fließt langsamer in den Adern des Hochbetagten und ist der leidenschaftlichen, ursprünglich kräftigen Erregung nicht mehr fähig.

Schön war aber immer noch Alles, was er gab. Jede Bewegung war voll Adel und Plastik, und sein wogender Gang – so lächerlich bei einigen seiner Nachahmer – gab seiner Erscheinung etwas elastisch Jugendliches. Ich machte die Beobachtung, daß er soviel wie möglich seitliche Stellungen zum Publicum zu gewinnen suchte. Erklärlich war das; denn sein Profil war von einer bezaubernden Reinheit des Schnittes, und es wirkten darum Seitenstellungen ganz besonders. Die Wirkung des Profils unterstützte er gern durch einen vollen, kurzgehaltenen, braunen oder blonden Bart, ohne den er nur in wenigen Rollen, z. B. als Bolingbroke im „Glas Wasser“ erschien. Freilich bekam seine Erscheinung dadurch etwas Stereotypes.

Im Leben war Emil Devrient von einer gewissen zurückhaltenden Liebenswürdigkeit, d. h. im Verkehr mit Männern und Collegen. Den Damen gegenüber war war er gern und ganz Cavalier. Bei mir und vielen Anderen hätte er nichts verloren, wenn er es – seinen hohen Jahren entsprechend – weniger gewesen wäre. Es lag etwas forcirt Jugendliches darin, und die Person, der man eben gern alle Verehrung widmen möchte, gewinnt dadurch nicht. Ein leichter Nasalton gab seiner Sprache einen eigenthümlichen Reiz; doch konnte dieser Reiz bei einiger Verstärkung dieser Eigenthümlichkeit leicht in vornehmer Suffisance untergehen. Ganz im Geiste der Goethe’schen Schule wachte er, auch außerhalb der Bühne, ängstlich über Bewegung und Haltung, was mir im August 1863 beim Begräbnisse der preußischen Hofschauspielerin Ida Pellet am deutlichsten ward.

Ida Pellet stand in freundschaftlichen Beziehungen zu dem Meister, und ihre Carrière war, gewiß durch Devrient’s Gönnerschaft, eine schnelle und glänzende. Im August 1863 gastirte sie am Leipziger Stadttheater, wo ich damals engagirt war. Sie hatte bereits einige Male mit bedeutendem Beifalle gespielt, als wir die Schiller’sche „Jungfrau von Orleans“ probirten. Ich spielte damals den Liebhaber Johannens, Raimond, und als ich nach den Worten:

„– Ergreift den Augenblick! Die Straßen sind leer.
Gebt mir die Hand! Ich will Euch führen –“

sie beim Abgange begleitete, sagte sie plötzlich zu mir:

„Mir wird so eigenthümlich zu Muthe. Ich fürchte eine schwere Krankheit!“

Die Probe ward aufgehoben, und zwei Tage später war Ida Pellet eine Leiche. Wir Schauspieler begleiteten den Trauerzug. Am Grabe sah ich Emil Devrient zum ersten Male. Daß der Meister im tiefsten Innern schmerzlich bewegt war, bekundeten die durch die Thränen geröteten Augen – aber welche Beherrschung dennoch! Schön in Bewegung, Haltung und Geberde auch im tiefsten Schmerz – der große Schüler Goethe’s!

In demselben Jahre widmete Emil Devrient der Leipziger Bühne ein längeres Gastspiel. Ich hatte von jeher am stillen Beobachten meine Freude, und in diesem Falle war es mir als angehendem Jünger der dramatischen Kunst doppeltes Bedürfniß.

Ein kleiner Zwischenfall in diesem Devrient’schen Gastspielcyklus ist mir besonders im Gedächtniß geblieben. Calderon’s „Das Leben ein Traum“ ging in Scene und den ersten Kammerherrn spielte einer unserer besten Schauspieler. Wenn Sigismund (Emil Devrient) sagt:

„– Von meiner Hand sollst Du dafür nun sterben!“

tritt dieser Kammerherr mit einem begütigenden

          „Herr!“

dazwischen. Darauf Sigismund:

„Keiner hind’re mich! Gelingen
Wird es Euch Allen nicht, so wahr Gott lebt!
Ein Jeder, der mir tollkühn widerstrebt,
Soll flugs aus diesem Fenster springen!“

Nichts ist wohl natürlicher und psychologisch richtiger, als daß der vom Prinzen in dieser wenig Vergnügen verheißenden Weise angeredete Hofschranze vor Schreck unwillkürlich einen Schritt zurücktritt. Der betreffende Schauspieler tat dies auch.

„Ach! Bleiben Sie stehen!“ hauchte mit unnachahmlicher aristokratischer Suffisance, ohne den Schuldigen eines Blickes zu würdigen, der Meister. „Bleiben Sie stehen, machen Sie keine Bewegung! Sie ruiniren mir sonst das Bild.“

Der betreffende Schauspieler war ein schlagfertiger Humorist; auf seinem Antlitz wetterleuchtete eine Entgegnung, aber er bezwang sich. Nur eine sehr tiefe Verbeugung machte er dem Meister.

Wie sehr Devrient vor der Welt seine Jugendlichkeit zu [186] documentiren strebte, davon sollte ich während dieses Gastspiels einen ungesuchten Beweis erhalten. Er spielte den Rubens in dem Birch-Pfeiffer’schen „Rubens in Madrid“. Im Laufe des Stückes verkleidet sich Rubens in einen alten holländischen Maler, und Emil Devrient spielte diesen Theil der Rolle mit von der Last der Jahre gebeugtem Rücken, am Stock gehend, völlig greisenhaft. Ich und mehrere Collegen standen hinter dem Prospect, als er nach dieser Scene abging. Kaum hatte er die Thüre hinter sich, als er mit einem aus tiefster Brust geholten „Ah!“ sich hoch emporrichtete, den Umstehenden gewissermaßen andeutend, wie schwer ihm die gebeugte Greisenhaltung geworden sei. Gleich darauf ging er in seine Garderobe, welche an das Conversationszimmer stieß. Als ich kurz darauf in dieses letztere ging, warf ich unwillkürlich einen Blick in die halbgeöffnete Garderobe Devrient’s. Da lag der Mann, mit schwer arbeitender Brust, vollständig erschöpft im Stuhle. Diesmal war es kein Verbergen des natürlichen Zustandes, umsoweniger, als er sich unbeobachtet glaubte. Ich kann nicht leugnen, daß ich dem großen Meister die demonstrative Jugendlichkeit bei seinem Abgange gern erlassen hätte!

Im April 1864 kehrte er gelegentlich des Shakespeare-Jubiläums nochmals zu einem Gastspiele zurück. Er spielte den Hamlet. Rosencranz und Güldenstern waren durch mich und einen ähnlich in den Schuhen der Anfängerschaft steckenden Schauspieler vertreten. Mit Zittern und Zagen geht man als „blutiger“ Anfänger zur Probe, wenn man weiß: Du spielst heute mit Emil Devrient! Und unser verdienter Regisseur hatte mir gesagt:

„Nehmen Sie sich zusammen! Es ist schwer mit Emil zu spielen.“ Demnach bebte ich pflichtschuldigst. Ich ziehe zwar stets meinen Hut vor Shakespeare, aber in diesen Rosencranz und Güldenstern hat er – die Theatersprache sei mir erlaubt! – ein Paar sehr netter Jungen geschaffen. Derartige Rollen erfordern doppelte Aufmerksamkeit, wenn sie nicht das hochgeehrte Publicum unter gewissen Umständen zu mitleidigem Lächeln reizen sollen.

Die Probe ging ganz gut. Nur Eins hatte mir der Meister eingeschärft:

„Wenn Sie mir die Flöte überreichen, so thun Sie es in dieser Weise.“ Er zeigte es mir umständlich.

Abends war ich sehr befangen, und dieser verwünschten Befangenheit verdanke ich es wahrscheinlich, daß ich ihm die Flöte nicht so, wie er es wünschte, übergab. Noch ängstlicher wurde ich, und der Boden brannte mir unter den Füßen, als ich bemerke, daß diese Unterlassungssünde meinerseits den großen Meister ebenfalls vollständig aus dem Concept gebracht hatte. Eine ziemlich lange Pause entstand! Das Publicum harrte achtungsvoll und mit bekanntem Verständniß fand es wahrscheinlich innerlich diese große dramatische Pause ganz zweckentsprechend! Weiß der Himmel, wie es kam, daß der Humor sich mir selbst in dieser peinlichen Situation aufdrängte!

Niemals werde ich den vornehm-mitleidigen Blick vergessen, den der Meister mir beim Abgange zuwarf und den ich in meines Nichts durchbohrendem Gefühle demüthig hinnahm. Dieser Blick sprach mir alles Talent ab, obwohl ich hoffen durfte, daß er sich darin geirrt habe. Aber trotzalledem: ich verehrte ihn doch hoch und verehre ihn noch heute – den großen Emil Devrient!
Arno Hempel.




Blätter und Blüthen.

Ein Tanz auf der Alm. (Mit Abbildung, S. 175.) Wir glauben unsere Leser abermals mit einer ebenso tüchtigen als lieblichen Künstlerleistung zu erfreuen, indem wir ihnen ein zweites Bild aus dem Alpenleben von Franz Defregger in einem gelungenen Holzschnitte vorlegen. Die erste Illustration von der Hand desselben jungen Meisters erhielten sie 1870 mit Nr. 4 der Gartenlaube, wo er den Tirolerhelden Speckbacher darstellt, wie er seinen Sohn Anderl als Landesschützen wiedersieht. Schon jene Gestaltengruppe aus dem wilden Kriegsjahre von 1809 zeigte uns, wie redlich und eifrig Defregger danach strebte, durch seine Kunst in edlen Gebilden die Wahrheit der Natur zu erreichen. Daß er in diesem Streben glücklich fortfuhr, bewies er mit einem zweiten Bilde, „Tiroler Ringer“; das Vortrefflichste aber leistete er mit seiner jüngsten Schöpfung, der „Tanz auf der Alm“ (nicht Ball, wie man es in Berlin nannte), ein Gemälde, das bei der Ausstellung in Berlin ungewöhnliche Anerkennung fand, das sogar Friedrich Pecht, der strenge Richter, mit seinem ungetheilten Lobe beehrte, dem wir uns in dem Folgenden anschließen.

Der Künstler führt uns in eine Sennhütte, in welcher sich eine lustige Gesellschaft zusammengefunden hat. Da ist wahrscheinlich die Red’ auf das Schuhplatteln gekommen, und sofort ist ein alter Hirt oder Führer bereit, dem jungen Geschlechte den alten originellen Gebirgstanz wieder beizubringen. Er tritt eben dazu an und schnalzt lustig im Andenken an seine „gute alte“ Zeit, und ein Altersgenosse in der Ecke bei der hereindrängenden Kindergruppe ist offenbar derselben Anschauung und jubelt ihm zu, während in dem Köpfchen des liebreizend zum Tanz angetretenen Mädchens wohl die Schelmerei stecken kann, nun auch die richtige Partnerin eines so alten Tänzers zu machen.

So thaufrisch und überzeugend wie diese beiden Hauptfiguren sind auch fast alle anderen empfunden, welche sich in den mannigfachsten Gruppen als Zuschauer um sie versammelt haben. Aber auch die beiden Musikanten verdienen unsere Aufmerksamkeit um so mehr, als der Künstler hier sich das Vergnügen gemacht hat, sie in voller Thätigkeit zu zeigen, ohne daß wir nur ein Stückchen von ihren Instrumenten sehen. Das aufmerksame Niederschauen auf seine Hände zeigt den Citherspieler, der bis zum Ellenbogen hinausgestreckte rechte Arm und die erforderliche Kopfneigung den Schwegelpfeifer an. Sie haben sich bescheiden in die Ecke neben dem großen Herd gedrückt, auf welchem soeben die großen Würste aus dem Kessel in die Schüssel kommen. „Besonders,“ so schließt Pecht sein Urtheil, „ist der Kinder fröhliche Neugier unübertrefflich nüancirt, wie dies außer Vautier eben nur Defregger so kann. Wenn er nicht so reich an Erfindung ist, nicht so edel, fest und sicher zeichnet und modellirt, wie jener, so hat er dafür eine noch größere Frische und Unmittelbarkeit voraus, die sich zu jenem verhält wie naive Poesie zur Kunstpoesie. Auch ist seine Farbe tiefer und gesättigter, mehr individualisirt.“ Andere, die der Münchener Kunststätte näher stehen, behaupten sogar, Defregger’s „Tanz“ sei geradezu das beste Genrebild, das in München seit Piloty’s Lehramt gemalt worden, und es könne durch seine einfach ansprechende, nicht überladene Composition, durch die lebenswahren Gruppen, durch die Reellität der Charaktere und ihre ungekünstelte Lebensfreude an die Seite von Knaus’ „Taufe“ gestellt werden. Jedenfalls verdient ein junger Künstler, der mit einem Vautier und Knaus verglichen wird, alle Beachtung.

Leider ist des Künstlers Gesundheitszustand ein so beklagenswerther! Mit nun gänzlich gelähmten Beinen kann er nur auf dem Sopha liegend arbeiten, er – der Sohn der Tiroler Berge! Carl Piloty verdanken wir die Auffindung dieser Künstlerperle. Als einfachen Tiroler Landmann nahm er ihn zu sich und bildete aus ihm den Meister, der seiner Schule und ihm stets zur Zierde und Ehre gereichen wird.



Für unsere unglücklichen Ostsee-Deutschen

haben zu unserer Freude deutsche Landsleute in Callao (Republik Peru) in Südamerika eine Sammlung veranstaltet, deren Ergebniß uns in einer Tratte von 234 Pfd. Sterl. 7 Sh. 6 P. (1560 Thlr. 10 Ngr.) vor einigen Tagen zuging. Den Comitémitgliedern Ad. Schulz, Carl Krug und Friedr. Lang, sowie allen Landsleuten drüben, besten Dank und Gruß dafür!

Karl Krug 50, aus der Sparbüchse der Kinder Wilhelm (5), Karl (3), Adolf (2), Mathilde Krug (1), zusammen 11, Wilhelm Zöllner 50, Johannes Claußen 20, Friedrich Lang 30, aus der Sparbüchse der Kinder Mathilde (2), Adolf (2), Ottilie Lang (1), zusammen 5, Karl Weiß 50, Eduard Gaats 50, Heinrich Helsen 5, Ernst Heine 5, G. Bohl 8, Emil Othon 10, Alexander Wolff 5, E. W. Sartori 8, Joseph Bachebele 20, Christian Brenner 20, A. Heitkamp 5, A. Urban 5, P. Grühm 5, Jacob Kaiser 20, Wilhelm Scheel 100, Joh. Voß 20, Moß u. Comp 50, Rodatz u. Comp. 50, Heinrich Hamm 10, Adolf Kruse 10, Th. Stöckchen 5, August Borchers 2, Chr. Mayer 2, Gustav Heil 10, Adolf Biber 10, Julius Peters 10, Nicolas Wohlers 10, J. von der Bosch 5, C. J. Breiding 30, aus der Sparbüchse der Kinder Heinrich, Elise, Emil und Karl Breiding 4, Wittwe Langnickel 10, Frdr. Funk 10, C. T. Thienell 10, H Buschmann 2, August Jenssen 2 Soles, Heinrich Heinson 50 Cent, J. Repinsky 1, H. Wobbe 10, Heinrich Prüß 30, Georg Stamm 30, Bernhard Plaga 15, Adolf Schulz 30, Chr. Oettinger 4, Karl Soltau 5, Adam Haag 2, Henry Smith 2, Johannes Wind 40, Emil Gätjens 20, O. J. Redlich 5, Georg Henkell 8, Adolf E. Kretschmer 10, Wilhelm Wiese 40, F. Möller 5, M. Müller 5, Thomas Escribens 20, J. Jahnson 3, J. Averdieck 20, José Ignacio Contreras 2, Bertha Schmidt 10, J. Lüders 4, J. P. Martin 10, Bernhard von Hagel 2, Joh. Wollenberg 20, H. Mayer 5, F. Gründer 2, Bruno Lindenberg 5, Louis Ungefroren 5, Kieffer u. Dennis 10, Anton Janssen 20, Johann Hahn 2, Andreas Breimann 5, Christian Breimann 4, Wittwe Gonzalez 5, Th. Petersen 1, Bernhard Prüß 40, J. Bobzien 10, H. Krohn 8, M. Württele 10, F. Lüthje 5, Louis Friedrichsen 1, Christian Krüger 1, Ungenannt 20, zusammen 1251 Soles 50 Cent,

Gesammtbetrag der Sammlung: 10,498 Thlr. 5 Ngr. 1 Pf.
Quittung über die inzwischen noch eingegangenen reichen Gaben folgt in einer der nächsten Nummern.
Die Redaction.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Vgl. auch den reizend erzählten Bericht Tyndall’s über eine „séance“ mit Spiritisten, in dessen Werk: Fragments of science. London 1871. 2. Edition. pag. 427.
  2. Beim Einritt in Augsburg am 18. October 1805, Abends 9 Uhr, stürzte Napoleon mit dem Pferde. Beim Empfang einer Rathsdeputation am nächsten Morgen sprach er das Schreckenswort für die freien Reichsbürger: „Sie haben ein schlechtes Pflaster. Ich muß Sie einem Fürsten geben,“ ein Wort, das der Allgewaltige auch bald darauf zur Wahrheit machte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Uebelegung