Die Gartenlaube (1878)/Heft 33

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1878
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[537]
Aufg’setzt.
Eine baierische Bauerngeschichte.
Von Herman von Schmid.
(Fortsetzung)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
4.

Unter dem schönen Nußbaum im Wirthsgarten zu Flintsbach saß am Abend des ereignißreichen Tages dieselbe Gesellschaft zusammen wie am Abend zuvor, aber sie dachte nicht daran, sich zu trennen, obwohl der Vollmond schon lange durch dessen Krone schien und das Ave Maria schon längst die Ruhe im Dorfe eingeläutet hatte. Das kam, weil die Gesellschaft um eine Person zahlreicher war. Linkow saß dem Oberforstrath und Lina gegenüber, und man konnte nicht zu Ende kommen, sich Alles, was von beiden Seiten durchlebt und durchlitten worden, zu erzählen, sich der unvermuthet glücklichen Wendung der Dinge zu erfreuen und das weitgedehnte, unabsehbare Land der Zukunft mit Luftschlössern der Liebe und des Glückes zu bebauen. Nur das freundliche Angesicht Gertl’s fehlte; sie war heute, als an einem Werktage, zur Aushülfe nicht nöthig und mußte des andern Tages in aller Frühe wieder beim Gutsherrn zum Heumachen sich einfinden, doch war sie wohl vertreten durch den Wirth, der fast nicht vom Tische wich: aus Neugierde, bis er Alles erfahren hatte, was die Familie und den Maler, deren Begegnung gestern eine so unfreundliche war, auf einmal so vertrauensvoll zusammengeführt hatte – aus Theilnahme, als man ihn davon verständigt hatte, und aus Freude, daß so merkwürdige Ereignisse sich gewissermaßen in seinem Hause zugetragen.

Andere Gäste waren nicht mehr anwesend, nur an dem Tische neben dem Eingang saß Gori; er hatte die Arme auf den Tisch gelegt, das Gesicht darauf gedrückt, und schien, in tiefen Schlaf versunken, an Allem, was vorging, keinen Antheil zu nehmen. Niemand achtete seiner, und so entging es Jedem, daß er manchmal, wenn irgend ein Geräusch sich vernehmen ließ, leise den Kopf hob und aufhorchte, als ob er etwas erwartete.

Endlich mahnte der alte Oberforstrath zum Aufbruch. Man müsse genügsam sein, sagte er, man habe einen tüchtigen Zug aus dem Becher der Freude gethan und solle auch für den andern Tag ein Neiglein darin übrig lassen. Die Liebenden sagten sich wieder und wieder Gute Nacht; Linkow wollte in seine Wohnung nach Brannenburg zurückkehren und mit dem ersten Morgenstrahl wieder eintreffen, um den ganzen Tag mit der Familie zuzubringen und Alles zu ordnen, was noch geordnet und beredet werden mußte. Als die ganze Gesellschaft durch den Garten zur Thür schritt, schlug der Wirth dem schlafenden Gori auf die Schultern, daß er in gut gespielter Ueberraschung und Schlaftrunkenheit aufsprang und, sich die Augen reibend, fragte, was es denn gebe.

„Stell’ Dich nicht so!“ sagte der Wirth. „Ich kenn’ Dich und weiß: es schlafen nicht alle Leut’, die die Augen zu haben. Aber bei mir wird jetzt das Haus geschlossen; darum mach’, daß Du heimkommst! Bist den ganzen Abend dagesessen, hast ein Krügel um’s andere ausgetrunken und könntest genug haben.“

Der Bursche antwortete nur mit undeutlichen Lauten und anscheinend unsicheren Schrittes folgte er durch den Flur, wo die Magd den Gästen die Treppen hinanleuchtete, während Linkow und der Wirth sich der Hausthür näherten, vor der das Geräusch eines verspätet heranrollenden Fuhrwerkes hörbar wurde.

Ein hübsches, leichtes Wägelchen, wie sie bei reisenden Kaufleuten üblich waren, dazu eingerichtet, um größere Entfernungen schnell und leicht zurückzulegen, hielt vor der Thür. Der Reisende, ein wohlgekleideter älterer Mann, der das Fuhrwerk selbst leitete, verlangte nur nach einem frischen Trunk, indem er gesonnen sei, die Nachtkühle zu benützen und noch ein Stück weiter zu reisen. Er fuhr, als er das gereichte Glas ergriffen und fast geleert hatte, bedächtig um sich blickend, fort:

„Die Nacht ist mondhell, daß man fast lesen könnte, wie bei Tag. Kann man mir wohl sagen, wann der Mond untergeht?“

Der Wirth besann sich einen Augenblick – statt seiner antwortete Gori, der sich an den Thürpfosten gelehnt hatte und nun wie erwachend auffuhr. „Der Mond geht um neun Uhr unter,“ sagte er zum Ergötzen des Wirthes, der in lautes Lachen ausbrach.

„Du mußt schön geladen haben,“ rief er. „Der Mond soll um neun Uhr untergehen!? Es ist jetzt schon bald zehn, und er steht noch hoch am Himmel. – Lassen Sie sich nichts weiß machen, Herr! Vor ein Uhr geht der Mond nicht unter, und Sie können bis dahin noch eine gute Strecke zurücklegen.“

„Es ist gut,“ sagte der Reisende, zahlte und gab das Glas zurück, indem er gleichzeitig das Pferd antrieb. „Ich weiß nun, was ich wissen will. Gute Nacht, Herr Wirth!“

Das Wägelchen flog davon, wie vom Winde getragen. Bedenklich und kopfschüttelnd sah ihm der Wirth nach.

„Das muß auch ein besonderer Heiliger sein,“ sagte er vor sich hin, indem er die Thür schloß. „Was das wohl für ein nothwendiges Geschäft sein mag, das ihn noch in die Nacht so hineintreibt? Etwas Richtiges ist es nicht – da fehlt sich nichts.“

Gori warf noch einen forschenden Blick um sich; dann ging

[538] er langsam und wie wankend dem Wagen nach bis über die Häuser des Dorfes hinaus. Dort warf er Trunkenheit und Schläfrigkeit wie ein überflüssiges Gewand ab und rannte mit der Schnelligkeit eines Läufers die Straße dahin. Der Fahrende dagegen ließ den Gaul immer langsamer traben, sodaß Beide wie verabredet in Mitten eines finstern zu beiden Seiten der Straße stehenden Waldschopfes zusammentrafen.

„Steigt nur ein,“ sagte der Reisende, „und fahrt mit mir bis nach Fischbach hinüber! Unterwegs machen wir Alles aus.“

„Kann nicht,“ sagte Gori hastig. „Heut kann ich nicht. Ich hab’ noch was vor. Sie können’s mir jetzt auch sagen. Ich hab’ schon den ganzen Nachmittag auf Sie gewartet.“

„Es war nicht möglich, ohne Verdacht eher abzukommen,“ entgegnete der Andere. „Nach dem letzten Unglück kann man nicht vorsichtig genug sein. Ich denke, Ihr habt’s auch erfahren.“

„Freilich,“ lachte Gori, „und möcht’ es nicht zum zweiten Mal durchmachen.“

„Darum thut, was ich sage!“ erwiderte der Reisende. „Der letzte Schaden ist groß genug, aber er ist immerhin zu verschmerzen, wenn wir jetzt durchkommen. Eine große Partie Seidenwaaren liegt wieder versteckt. Kommt nur mit!“

„Ich hab’ es Euch schon gesagt, daß ich nicht kann,“ entgegnete Gori trotzig, „daß ich heut’ noch etwas Dringendes zu thun hab’. Wenn das geschehen ist, wird’s ohnehin nicht rathsam sein für mich, länger in der Gegend zu bleiben. Wenn Ihr wollt, so könnt Ihr ja in Fischbach übernachten. Ich komm’ in aller Früh’ nach, in den Steinbruch, wo jetzt doch nicht gearbeitet wird.“

Der Fremde schien sich einen Augenblick zu besinnen.

„Wenn’s denn nicht anders ist,“ sagte er, „so muß man sich fügen. Ich erwarte Euch also morgen ganz bestimmt. Es soll Euer Schaden nicht sein.“

Der Wagen rollte weg. Gori drückte sich seitwärts in den Straßengraben, wo er eine Weile unter dem Gebüsch niederkauerte und sich erst wieder erhob, als er sich überzeugt hatte, daß von keiner Seite Späher ober Lauscher zu fürchten seien. Dann durchschnitt er das Gehölz und zog sich an den Hecken und Rainen entlang durch die Flur gegen die Häuser und Hütten von Falkenstein.

Alle Fenster waren längst dunkel. Niemand wachte noch, um Gori zu bemerken. Er trat so behutsam und vorsichtig auf, daß ein Hund, der in einem der Gehöfte leise anschlug, bald, als habe er geträumt, sich wieder niederlegte und verstummte. Nur in Gertl’s Wohnung war die Ruhe noch nicht eingekehrt, und durch die runden Scheiben der kleinen Fenster schimmerte noch ein schwacher Lichtschein. Mit Katzentritten schlich der Bursche näher, sah hinein und gewahrte Gertl, die mit ihrer Mutter noch in Gespräch am Tische saß. Er kroch auf die Bank und legte sich darauf; durch das noch nicht geschlossene Fenster war ihm jedes Wort verständlich.

Noch immer hatte sich Gertl von der Aufregung des Abends nicht erholt. Die bedeutungsvolle Begegnung mit dem Krüppel in dem Petersberger Kirchlein zitterte in ihr nach wie eine Art Fieber, und hatte noch keinen Schlaf in ihre Augen kommen lassen.

„So sei doch nur einmal gescheidt und nimm vernünftiges Zureden an!“ hörte Gori die Mutter sagen. „Du bist doch sonst ein resolutes Leut und bist nun wegen so was so zertrellt, als wenn Dir weiß Gott was geschehen wär’. Du sagst ja selbst, daß Du nicht daran glaubst, daß Einem etwas aufg’setzt sein kann; Du hältst es für eine Sünd’ und für einen Aberglauben, so was zu denken – warum thust nachher doch, als wenn was dran sein könnt’? Geh,“ wiederholte sie schmeichelnd, „sei g’scheidt, gieb nach und leg Dich nieder! Nimm ein Weihwasser und bet ein andächtiges ‚Vater Unser‘, dann schlafst Du schon ein und bis morgen ist Alles vergessen. Du mußt ja schon morgen um zwei Uhr beim Heuen sein. Du weißt es ja – aber wenn’s Dir im Bett recht gut thut, so bleib nur liegen und schlaf aus! Dann geh’ ich statt Deiner hinauf.“

Sie war Gertl näher gerückt, so daß diese, übermannt von dem Ton der Liebe, der aus Wort und Geberde der Mutter sprach, und der bei Laubleuten um so wirksamer ist, je seltener er zum Ausdruck kommt, sich an Arm und Brust der Mutter schmiegte. – Hatte sie ja doch niemals im Leben so klar gesehen und empfunden, daß sie allein stand und daß sie Niemanden hatte, von dem sie sich geliebt wußte. Niemanden als die Mutter, deren Herz dem ihrigen jetzt so nahe, so warm und so voll entgegenschlug.

„Nein, Mutter,“ sagte sie nach einer Weile des Ausweinens, „Du darfst nicht gehen; ich geh’ schon selber. Ich will gar nicht warten, bis es Tag wird, in der Stube ist es so ängstlich warm, da könnt’ ich doch nicht schlafen – ich will lieber gleich gehen. Die Nacht draußen ist hell und kühl; da wird mir leichter werden. Ich weiß, wie man den Riegel im Heustabel aufmacht – da schlüpf’ ich hinein; da kann ich vielleicht eher schlafen. Dann bin ich auch gleich bei der Hand, wenn’s zur Arbeit geht.“

Sie erhob sich, strich das Haar von der glühenden Stirn, griff nach Hut und Jacke und wollte sich auf den Weg machen, wurde aber von der Mutter zurückgehalten.

„Das ist auch nichts Rechts,“ sagte die besorgte Frau. „Es ist Nacht; die Nacht ist keines Menschen Freund. Wie leicht könnte Dir ein Leids geschehen!“

„Auf dem kurzen Weg bis zum Bauernhaus?“ fragte Gertl lachend entgegen. „Was könnt’ mir da geschehn? Es ist kein sterblicher Mensch weit und breit und – wer sollte mir denn was zu Leib’ thun?“

„Wer? Hast Du nicht selbst erzählt, was Dir erst gestern passirt ist mit dem Gori? Wenn er Dir wieder auflauern thät’?“

„Ich glaub’, das laßt er bleiben,“ sagte Gertl ernst. „Der hat, glaub’ ich, einen ordentlichen Denkzettel bekommen, und wenn er noch was wagen thät’, den fürcht’ ich nicht mehr. Das erste Mal war der Schrecken in mir; da hab’ ich mich nicht recht verwußt; jetzt, wenn er wiederkäme, wüßt’ ich was, daß er mich gleich loslassen wird.“

„Und was wär’ denn das?“

„Wie ich die Genoveva gespielt hab’,“ lachte das Mädchen, sich vollends zurecht machend, „weißt Du – wie er mir im Spiel so zugesetzt hat mit seiner schlechten Lieb’, da hab’ ich ihm ganz nah’ in die funkelnden Augen hineingesehen, und da ist es mir gewesen, als wenn das Feuer daraus hervorgeschlagen hätt’, und auf einmal ist es mir aufgeschossen wie der Blitz: Die Kathel ist nit selber in den Inn gefallen – er hat sie hineingeworfen …“

„Heilige Mutter!“ rief die Frau und brückte erschreckend ihre Hand auf des Mädchens Mund. „So was sollst nicht denken, geschweige sagen! Das könnt’ eine schöne Geschicht’ abgeben.“

Sie wollte noch mehr hinzusetzen, aber Geräusch vom Fenster her unterbrach sie.

„Was hat sich denn da draußen gerührt?“ sagte sie näher tretend. Auch Gertl folgte ihr und hatte in die dunkle Nacht hinausgesehen.

„Ich glaub’, der Kater ist’s gewesen,“ sagte Gertl. „Ich hab’ was Schwarzes unter die Hollerstauden hineinspringen sehn. Aber jetzt mach Feierabend Mutter! Leg’ Dich nieder und lösch das Licht aus! Ich mach’ die Fenster schon zu, leg die Läden an und geh.“

„Also willst wirklich?“ fragte die Mutter abermals und wollte sie zurückhalten. Gertl aber machte sich los und erwiderte:

„Ja Mutter, ich geh’, mußt mich nicht aufhalten. Es geschieht mir nichts.“

Sie nahm Weihwasser aus dem Kesselchen an dem Thürpfosten und verließ das Haus, um welches sie die Runde machte, indem sie die Läden anlegte.

Aufathmend trat Gertl in die erfrischende Nachtkühle, die ihr sanftfächelnd um die pochenden Schläfe strich. Sie sah in den Himmel hinauf, von welchem unzählige Gestirne schimmerten, als bewegten sie sich, um ihr einen Strahl ihres Lichtes und ihrer Ruhe zuzusenden. Sie fühlte, wie ihr die Brust sich leichter hob, und legte rasch den kurzen Weg bis zur Scheune zurück. Dort schob sie den Holzriegel an der Thür zurück und trat in den dunklen Raum, in welchen nur hier und da durch die Fugen und Ritzen der Bretter der Mondschein drang und kleine Lichter auf den in der Tenne aufgethürmten Heuvorrath fallen ließ. Bald war ein zur Lagerstatt passender Platz gefunden, und rasch behaupteten Ermüdung und Schlafbedürfniß ihr Recht. Die Düfte der welkenden Pflanzen umhauchten sie mit sanfter Betäubung; sie bekreuzte sich noch und die letzte Silbe des Gebetes erlosch auf ihren verstummenden Lippen.

[539] Sie ahnte nicht, daß Gori ihr Schritt auf Schritt gefolgt war und sie nicht aus den Augen verloren hatte.

Nicht nur sein geräuschloses Schleichen, sein Lauern und Kriechen durch die Büsche machte ihn einem Raubthiere ähnlich, das sich zum Sprung auf seine Beute vorbereitet, auch was in seinem Innern vorging, glich den Begierde eines solchen.

Seit der Zurückweisung während des Spiels und vollends seit dem Vorgang der darauf folgende Nacht hatte er keine anderen Gedanken, als an dem Mädchen, das seine Neigung verschmähte, Rache zu nehmen. Das Gefühl flammte wie ein Brandmal in seinem Innern, und je gewisser er sich selber sagen mußte, daß er Gertl’s Liebe nie erringen werde, desto verzehrender loderte das Verlangen in ihm empor. Wie zwei Ungeheuer rangen der Vorsatz der Rache und die Sehnsucht verwilderter Liebe mit einander und schlangen ihre zermalmenden Windungen und Knoten um ihn – in einem Augenblick nahm er sich vor, noch einen Versuch der Werbung zu machen, im nächsten war er entschlossen sie nur noch einmal zu sehen, um sie zu vernichten. Wie er über das, was er wollte, im Unklaren war, so war er es auch über die Art, wie er sein Vorhaben ausführen und eine Rache ersinnen sollte, die das stolze Mädchen so recht in’s tiefste Herz zu treffen vermöge. Der Gedanke, ihr auf das kleine, heimathliche Hüttchen den rothen Hahn zu setzen, trat am öftesten und hellsten vor seine Seele. Wenn sie ihre Heimath verlor, war sie, wenn nicht eine ausgemachte Bettlerin, doch nichts mehr als eine heimatlose Magd. Dann war doch vielleicht Aussicht, sie mürbe zu machen, denn eine Möglichkeit, ihr Haus wieder aufzubauen, war nicht denkbar.

Die Hauptursache dieses Schwankens war die Aeußerung, welche Gertl bei dem Zwiegespräch im Theater gemacht. War dieselbe nur ein zufälliges bedeutungsloses Wort oder lag geheime Beziehung darin? Hatte sie Wissenschaft oder auch nur eine Ahnung des Vorgefallenen? Darüber, so lautete zuletzt sein Entschluß, darüber mußte er vor Allem Gewißheit haben, und nach der Antwort, die er hierauf erhalte sollte, wollte er seine Handlungen einrichten. Hatte sie wirklich eine Ahnung der Wahrheit, dann mußte sie entweder trotz allen Widerstrebens sein werden, um sie zum Schweigen zu verpflichten, oder sie mußte völlig zu Grunde gehen. Ohne eigentlich sich selbst klare Rechenschaft zu geben, war er vor Gertl’s Haus geschlichen, auf ein zufälliges Begegnen, auf irgend eine Aufklärung hoffend. Diese war ihm so vollständig geworden, daß er keinen Zweifel mehr hegen konnte; damit waren in seinem Innern die Würfel über Gertl’s Schicksal gefallen; das Mädchen, das ihn verschmäht hatte, das sein Geheimniß kannte, durfte nicht leben. Die Botschaft von einer neuen großen Schmuggelei, die ausgeführt werden sollte, kam ihm daher sehr willkommen; sie sollte ihm die Mittel verschaffen, um sich einen andern Aufenthaltsort zu wählen, denn was er auch vornahm, soviel war gewiß, daß es für ihn überall sicherer sein mußte, als in der Heimath.

Im Gebüsche versteckt, belauschte Gori den Eintritt Gertl’s in die Scheune. Er schlüpfte unter die Hollunderbüsche neben dem Eingange, die eben hinreichten, ein Versteck zu gewähren. Er verweilte jedoch nicht lange daselbst, denn im Augenblicke war ihm der Weg klar geworden, wie er seine Rache am beständigsten zu befriedigen vermöge. Behutsam schob er den äußeren Holzriegel am Scheunenthore vor und lehnte an dasselbe ein paar aufgestellte Balken, daß es von innen nicht aufgedrückt werden konnte. Dann ging er vorsichtig den Bach entlang aufwärts, damit durch das Brausen desselben das Geräusch, das er machen mußte, übertönt wurde. Er holte Stahl und Stein aus der Tasche, nur einige Schläge, und der verderbliche Funke blitzte auf. Wie zuvor glitt er, einer Natter ähnlich, lautlos durch das Gras und schob den glimmenden Schwamm durch einen Bretterspalt in die Scheune, umwickelt mit Ranken von grauem dürrem Bartmoos, das er von einer Fichte gerissen, damit es schnell zur Flamme werden und den Heustadel ergreifen sollte – dann sprang er hinweg, und ein gegen die Maiwand und den Wasserfall gelegenes großes Felsstück diente ihm als Wall, um vom Verborgenen aus das ganze fürchterliche Schauspiel, das nun beginnen mußte, in der Nähe unsichtbar zu beobachten.

Kaum war er in seinem Schlupfwinkel angelangt, als es in den Fugen und Spalten der Scheune schon heller zu werden begann; aus den Luken drang dichter, dunkelroth angeschienener Qualm und verkündete, daß sein Verbrechen gelungen, daß seine Rache ihr Opfer erreicht hatte.

Es währte geraume Zeit, ehe Gertl aus dem tiefen Schlafe auffuhr, in den Ermüdung nach der Erregung sie versenkt hatte. Hastig schnellte sie empor und rieb sich die Augen, die der Feuerschein blendete und der Rauch kaum zu öffnen gestattete.

„Heilige Mutter Anna!“ rief sie mit fast erstickter Stimme, denn die ganze Hütte war bereits mit Dampf gefüllt, der sich nicht zu entfernen vermochte – „was ist da geschehen? Es brennt, und ich bin ganz allein, kein Mensch weiß, daß ich im Stadel bin; kein Mensch kann mir zu Hülfe kommen; ich muß ersticken oder elend verbrennen bei lebendigem Leib. Hilf heilige Mutter Anna, hilf!“ fuhr sie, taumelnd und fast der Besinnung beraubt, fort, indem sie durch Rauch und Feuer der Thür zutappte. Sie wollte dieselbe öffnen, aber der Riegel war von außen vorgeschoben. Mit einem Aufschrei des Entsetzens stemmte sie sich gegen die Thür, um sie aufzusprengen, aber das Brett wich nicht; es mußten von draußen Balken oder Steine vorgelegt sein, die das Aufgehen verhinderten. „Jesus, Maria und Joseph!“ keuchte sie mit vergehenden Sinnen. „Die Thür ist von draußen vermacht – das ist mit Fleiß geschehen – das ist auf mich abgesehen,“ und mit dem Worte „Gori!“ stürzte sie besinnungslos an der Thür zusammen. In demselben Augenblicke hatte die Flamme die dürren Balken des Dachgerüstes erreicht; es wich dem Luftdrucke, und wie ein furchtbares Nothzeichen stieg eine Feuersäule funkensprühend in den Nachthimmel empor.

Verwirrte Stimmen, Hülferufe und Kindergeschrei erschollen aus dem anstoßenden Bauernhause herüber. Die Bewohner waren erwacht und stürzten, wie sie dem Bette entsprungen, aus dem Hause, um ihre furchtbare Ahnung in furchtbarster Weise bestätigt zu sehen. Schon leckte die Flamme nach dem Dache des Wohnhauses hinüber; schon glimmten einzelne Funken auf den Schindeln – es war keine Möglichkeit, der Wuth des entfesselten Elementes Einhalt zu thun; nichts blieb übrig, als das Beste an Fahrniß und Habe aus dem gefährdeten Hause zu schaffen, das Gebäude selbst aber der Zerstörung zu überlassen. Betten, Kleider, Hausrath aller Art wurden in die Büsche und zwischen die Trümmer der Ruine geschleppt; die Frau des Baumannes mit ihren schreienden Kindern sank wie ohnmächtig darauf nieder, während die Magd noch mit dem Austragen von Gegenständen beschäftigt war, der Mann selbst aber mit dem Knechte den ohnmächtigen Versuch machte, Wasser aus dem Bache in einen Kübel zu schöpfen und in die Flammen zu schütten.

Es währte nicht lange, so hatte die aufsteigende Feuersäule die Bewohner der Niederungen geweckt; von den Kirchtürmen der benachbarten Orte begannen die ängstlichen Feuerglocken zu ringen; bald waren auch die Bewohner der nächsten Häuser zur Hülfe da, aber die Hülfe kam zu spät. Das Feuer hatte schon den größten Theil seiner Zerstörung vollendet; das Dach des Hauses stand schon in voller Gluth; aus den Fenstern loderten Feuerzungen empor; die Scheune drohte jeden Augenblick in sich selbst zusammenzustürzen.

Auch die Bewohner von Flintsbach kamen herbei, mit ihnen der Wirth und der alte Förster; selbst die Grenzaufseher fehlten nicht. Sie waren eben auf ihrem nächtlichen Rundgang begriffen, als sie den Feuerschein erblickten und hülfsbereit herbei eilten. Von den Einwohnern der Häuser am Abhange des Falkenstein fehlte natürlich Niemand – unter ihnen stand, gleich einer Verzweifelten, Gertl’s Mutter.

„Wo ist mein Kind?“ schrie sie, sich die Haare raufend. „Wo ist meine Gertl? – Gertl, Gertl, wo bist Du? Gieb Antwort – um’s Blut Christi willen, gieb Antwort!“

Es dauerte einige Augenblicke, bis man aus ihren verworrenen Reden begriff, daß das Mädchen wegen der Morgenarbeit schon den Berg heraufgekommen sei und die Absicht gehabt habe, bis zum Beginne derselben sich in die Scheune in’s Heu zu legen. Wie versteinert, lautlos vor Entsetzen standen Alle einen Augenblick; das Blut wollte in den Adern gerinnen. – Wenn die Unglückliche ihren Vorsatz wirklich ausgeführt hatte, war sie verloren. Unfehlbar mußte sie entweder erstickt oder gar verbrannt sein oder sie mußte, wenn sie noch lebte, von dem sich bereits zum Einsturz neigenden flammenden Giebelbalken erschlagen werden. Die Mutter, als sie die furchtbare Wirklichkeit begriffen, stürzte bewußtlos zusammen. Niemand wagte den Versuch, sich [540] dem Scheunenthor zu nähern; er wäre in den sicheren Tod gegangen. „Es geht nicht,“ schrie Alles durch einander; „das Dach stürzt jeden Augenblick ein; es hilft auch nichts mehr – die ist schon verloren; beten wir lieber ein ‚Vater unser‘, daß ihr unser Herrgott beisteht in ihrer schrecklichen Sterbestund’!“

Todtenstille ward rings, nur unterbrochen von dem Murmeln der betenden Stimme, von dem Knistern und Knattern der Flammen oder dem Gepolter hier und da stürzender Balken und Steine.

„Laßt mich durch!“ schrie plötzlich mit schallender Stimme ein Mann, der mit starkem Arm sich durch die Menge drängte und auf die Scheune zustürzte. Bei seinem Erscheinen brach Alles in Ausrufungen des Schreckes und der Verwunderung aus – des Schreckens, weil Niemand noch eine Rettung für möglich hielt und den Kühnen nur in den gewissen Tod gehe sah – der Verwunderung, denn der unerwartete Retter war keine fremde Person. Es war offenbar der blöde Krüppel, der Tiroler Stummerl, den jedes Kind kannte, und doch so verändert, daß man Mühe hatte, sich an ihm zurecht zu finden. „Was ist denn das?“ ging’s durch einander. „Wo hat denn der Stummerl seinen Stelzfuß hingebracht? Wie hat er geschwind so gut reden gelernt?“

Es war keine Zeit, sich darüber Antwort und Aufschluß zu holen – der Augenblick der furchtbaren Entscheidung war gekommen. Unbekümmert um den Funkenregen, der auf ihn niedersprühte, hatte der Mann die Balken am Eingang bei Seite geschleudert, den Riegel zurückgestoßen, und von der Gluth beschienen sahen Alle mit einem Aufschrei des Entsetzens das vermißte Mäschen hart an der Schwelle, einer Todten ähnlich, dahingestreckt. Kräftig hob der Fremde sie empor und eilte mit seiner Last in’s Freie – unmittelbar hinter ihm prasselte das einstürzende Gebälk nieder.

Beinah im nämlichen Augenblick kam die Mutter zur Besinnung, gerade recht, um ihr gerettetes und unversehrtes Kind in den Arm zu nehmen. Alles drängte glückwünschend und fragend herbei, aber der Retter ließ das Mädchen nicht mehr aus den Armen und schlug, von der Mutter begleitet, mit raschen Schritten den Bergweg nach der Hütte ein.

„Laßt ihn nur gehen!“ sagte der alte Förster. „Jetzt wissen wir auf einmal, was hinter dem Tiroler Stummerl steckt, der uns so lange zum Narren gehalten hat. Jetzt weiß ich, wer der Wildschütz war, der mir immer einen Hirsch weggeputzt und der mir die Kugel in den Arm gejagt hat. Damals hat er sich das Gesicht schwarz gemacht, aber ich hab’ ihn doch gleich erkannt, wie er auf’s Feuer zugesprungen ist.“

Allmählich verglomm der Brand. Die obdachlos gewordene Familie war, so gut es anging, in den Nachbarhäusern untergebracht; einige Männer blieben als Wächter bei der Brandstätte zurück, auch der Wirth und die Grenzer schickten sich zu Umkehr und Aufbruch an. Der Wirth lud sie ein, bei ihm vorzusprechen und nach dem Schrecken und der durchwachten Nacht einen stärkenden Trunk zu nehmen. Die Grenzer lehnten es ab; sie wollten die unterbrochene Runde wieder aufnehmen. Sie hatten vor, Gori noch in der Nacht in seiner Hütte zu überfallen und Haussuchung zu halten, den es hatten sich neue Verdachtsgründe ergeben, daß er wirklich der kühne Schmuggler gewesen, der ihnen durch Untertauchen entkommen war. Sie hatten die Mütze, die er gewöhnlich zu tragen pflegte, und die von ganz eigener Form war, aus dem Inn aufgefischt – offenbar mußte sie ihm beim Untertauchen entfallen und an den Stauden des Ufers hängen geblieben sein.

„Ja, ja, da fehlt sich nichts,“ sagte der Wirth mit lauter Stimme. „Es ist halt nichts so sein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen.“

Im Moment fiel ein noch stehender Balken des Hauses um, und seine Funken streuten hellen Schein über die Gegend und besonders auf das Felsstück, hinter welchem Gori lauerte.

Er hatte schon daran gedacht, sein Versteck zu verlassen, aber er hatte es bisher nicht vermocht, weil er sonst durch die versammelte Menge hätte gehen müssen, was sein schlechtes Gewissen ihm nicht gestattete, da er ja seine Anwesenheit durch nichts zu erklären vermocht hätte und also selbst den Argwohn gegen sich wachgerufen haben würde. Auf der andern Seite gab es keinen Ausweg als über eine steile, mit einigen Bäumen bewachsene Felswand über die nur mit Gefahr des Lebens hinabzukommen war. – Eben hatte er sich spähend hinter dem Felsen etwas vorgebeugt, als der Feuerschein ihn traf und den Grenzern sichtbar machte.

„Holla!“ schrie Einer auf. „Da ist er ja. Wie kommt denn der daher? Jetzt soll er uns nicht mehr entkommen; jetzt haben wir ihn.“

Sie eilten dem Felsen zu, aber ihre Hoffnung wurde dennoch vereitelt, denn Gori hatte schon auf gut Glück einen Baumwipfel an der Wand ergriffen und schoß oder stürzte vielmehr vor ihren Augen über diese hinunter.

„Der bricht den Hals,“ sagte hinzueilend der andere Grenzer, aber Gori hatte sich unten schon aufgerafft und rannte bereits mit der Schnelligkeit eines Hirsches das ebene Thal entlang. Er wußte noch nichts von dem neuen Verdachte wegen der Schmuggelei, und als die Grenzer sich zu seiner Verfolgung anschickten, konnte er, auch noch den laut gesprochenen Worten des Wirthes, nicht anders vermuthen, als daß man ihn wegen der Brandlegung in Verdacht habe. Die Angst, dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, beflügelte seinen Lauf.

„Lauf nur zu!“ sagten die Grenzer, „wir holen Dich schon ein; über’s Wasser kann er nicht hinüber; Einer von uns geht rechts am Ufer hinauf, der Andere links. – Wir gehen Dich ein, wie einen Fuchs im Bau.“

Dieselben Gedanken leiteten Gori bei seiner Flucht. Blieb er diesseits des Flusses, so war er verloren; jenseits desselben, im fremden Lande, war er gerettet oder wenigstens für geraume Zeit geborgen. Alles kam daher darauf an, über den Strom zu kommen, so schnell, daß keiner seiner Verfolger ihm den Vorsprung abzugewinnen vermochte. Konnte er die Ueberfuhr vor ihnen erreichen, so war Alles gewonnen. War auch die Fähre bei Nacht nicht mehr im Gange, er hatte schon einmal ohne sie den Weg über den Strom gemacht, und was ihm einmal gelungen, konnte und mußte wieder gelingen. Keuchend, ohne anzuhalten, rannte er durch Busch und Wiese auf nur ihm bekannten Wege dem Strome zu, und als wollte es ihn beschützen, war schwarzes Gewölk aufgestiegen und hatte sich wie eine breite Wand vor den Mond gelagert. Schon hatte er das Ufer vor sich, aber seinem falkenscharfen Auge entgingen die beiden Gestalten nicht, die wie Schatten von beiden Seiten durch die Niederung und am Abhange einherschlichen und ihn vom Strome abzuschneiden suchten. Die letzte Kraft zusammenraffend, kam er vor dem ersten Altwasser an, taumelte über den Steg und sah in geringer Entfernung vor sich das dunkle Gerüst der Ueberfuhr emporsteigen. Aber hinter sich hörte er bereits den Laufschritt der Verfolger, ihren Zuruf und ihre Drohung, ihm eine Kugel nachzuschicken, wenn er nicht anhalte, aber er wußte, daß sie kein Recht hatten, die Drohung zu verwirklichen, und daß sie nicht wagen würden, nach ihm zu schießen – er ließ sich nicht beirren. Noch wenige letzte Sprünge, und er war glücklich am Gestelle angelangt, als eben die Grenzer, aus dem Gebüsche auftauchend ebenfalls näher kamen.

In wenigen Augenblicken hatte Gori das Gerüst erstiegen und das Seil erfaßt. Höhnisch rief er den Verfolgern zu, wenn sie ihm etwas zu sagen hätten, sollten sie es ihm nachthun … Gewandt, geschickt und sicher bewegte er sich mit wechselnden Händen an dem Seile vorwärts.

Bald hatte er die Mitte des Stromes erreicht, als er plötzlich seine Kraft erlahmen fühlte: die Erregung und die Anstrengung hatten ihn mehr angegriffen, als er geglaubt – ein verhängnißvolles Zittern überkam ihn. Er mußte das Seil mit einem Arme loslassen. … Von Todesangst erfaßt, ermannte er sich noch einmal – es wäre ihm wohl auch gelungen, das Seil noch einmal zu fassen und den gefährlichen Weg zurückzulegen, – da riß wie auf ein Zauberwort der Wolkenvorhang vor dem Monde entzwei, und durch die klare Lücke sah derselbe in den Strom hernieder und hielt ihm da sein Spiegelbild entgegen … es war, als ob aus der bewegten Welle ein drohendes, blasses Angesicht auftauchte, als ob sich ein Hülfe verlangender Arm daraus ihm entgegenstreckte; ihm war, als müsse er mit der freien Hand nach dem Arme haschen; da glitt unwillkürlich auch der andere Arm hernieder – und mit schwerem Schlage stürzte er hinunter in den Strom. –

(Schluß folgt.)
[541]
Der „Dichter-Journalist“ der Union.

Tief betrauert von seinem ganzen Volke, starb am 12. Juni dieses Jahres zu New-York William Cullen Bryant, einer der edelsten und besten Söhne der nordamerikanischen Union, im vierundachtzigsten Jahre seines Lebens. Wer diesen herrlichen Mann recht würdigen will, der muß ihn in seiner ganzen reichen Thätigkeit auffassen, muß ihn als Menschen, als Vaterlandsfreund, als Dichter, als Journalisten und als Politiker verstehen lernen.

William Cullen Bryant.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Geboren und erzogen in einem freien Lande, dessen Berge und Thäler, Flüsse und Seen, Wälder und Prairien noch vielfach die Spuren frischer Natürlichkeit und erhabener Majestät tragen, aufgewachsen und zum Manne geworden unter dem Schutze freier Institutionen, gestählt im Kampfe politischer Parteien, hielt Bryant sich stets und überall frei von unedlem Ehrgeiz und kleinlicher Selbstsucht und betet mit den alten Spartiaten, die Götter möchten ihm und seinem Volke das Schöne zu dem Guten verleihen. Sein ganzes langes Leben bekundet eine seltene, wohlthuende Harmonie. Allenthalben, in seiner geistigen, wie in seiner praktischen Thätigkeit, bemerken wir dieselbe Frische, denselben [542] gesunden Sinn für das Schöne, Gute und Wahre, für die Wohlfahrt und den Fortschritt aller Classen der bürgerliche Gesellschaft wie in seinem besondern Vaterlande, so auch bei den übrigen Nationen. Und darum hatte Karl Friedrich Neumann Recht, wenn er in seiner „Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika“ sagte: „William Cullen Bryant giebt uns das Bild eines Menschen und Amerikaners im besten Sinne des Wortes.“

William Cullen Bryant wurde am 3. November 1794, in demselben Jahre, in welchem der bekannte Dampfer- und Eisenbahnkönig Cornelius Vanderbilt auf der Insel Staten-Island bei New-York das Licht der Welt erblickte, zu Cummington, einem Städtchen in dem vom Connecticutflusse durchströmten Hampshire-County, im Staate Massachusetts, geboren. Er stammte väterlicher- und mütterlicherseits von jenen puritanischen Ansiedlern oder „Pilgern“ ab, die, um religiöse und politischen Verfolgungen zu entgehen, im Jahre 1620 auf der „Maiblume“ über den Ocean segelten, mitten im härtesten Winter an der sturmgepeitschten Küste Neu-Englands landeten und dort ein freies Gemeinwesen gründeten, welches den Grundstock bildete für die zukünftige Republik der Vereinigten Staaten. Sein Vater, Peter Bryant, ein kenntnißreicher und von seinen Mitbürgern hochgeachteter Arzt, erkannte schon früh die reichen Geistesanlagen und den poetischen Sinn seines Sohnes und lehrte ihn, wie Letzterer in seinem großartigen „Hymnus an den Tod“ pietätvoll bestätigt, „in der ersten Jugend des Gesanges Kunst“. Damals saß er, nach dem Gedichte „Der Bach“, als kleiner Knabe, der erst kurze Zeit die Schule besuchte, am Rande des Waldbaches, horchte auf der Drossel Schlag, pflückte Veilchen und suchte, nach den Anweisungen des geliebten Vaters, „zum ersten Verse Reim und Wort“. Und damals bereits regte sich in ihm jene edle Ruhmesliebe, von der eine farbenprächtige Schilderung seiner poetischen Jugend spricht:

„Ach, nimmer vergeß’ ich das heiße Verlangen,
Wie einst ich für Ruhm und Verse geglüht.
Und sah ich in Glorie die Schöpfung prangen,
War’s wie Wind in der Flamme für mein Gemüth.

Der Frühling des Lebens gehörte den Musen,
Die Wälder durchschwärmt’ ich träum’rischen Gangs;
Wie flogen die Pulse, wie kopfte der Busen,
Wenn über mich kam der Gott des Gesangs!

Am zerklüfteten Fels, der seit Ewigkeit lauschte
Dem Brausen des Stroms am Kiesgestein,
Wo der Eisvogel schreiend die Fluthen durchrauschte,
Wie blickt’ in die Tiefen ich schauernd hinein!

Wie fühlt’ ich gewaltig mein Herz bezwingen
Die dunkle Macht aus der Wildniß Thron,
Und im Sturm des Gefühls ließ Gesang ich erklingen,
Bald düster, bald hell in kunstlosem Ton.“

Schon in seinem zehnten Lebensjahre soll der junge Bryant nach lateinischen Mustern einige Gedichte verfaßt haben, welche die „Hampshire Gazette“ der Veröffentlichung werth hielt. Drei Jahre später erschien von ihm, außer anderen poetischen Arbeiten, das politisch-satirische Gedicht „The Embargo“, in welchem er die Handelspolitik des Präsidenten Thomas Jefferson bitter angriff. Dieser merkwürdige Erguß eines frühreifen Genius hatte, da durch ihn die Klagen und Beschwerden eines großen Theiles des amerikanischen Volkes scharf und deutlich zum Ausdruck kamen, einen solchen Erfolg, daß wenige Monate nach seiner ersten Veröffentlichung eine neue Auflage nöthig wurde. Im Jahre 1810 trat Bryant in das zu Williamstown befindliche Williams-Collegium, wo er sich vorzugsweise durch seinen Eifer im Studium der alten Sprachen und der Geschichte hervorthat. Er vollendete jedoch den gebräuchlichen Schulcursus nicht, sondern widmete sich schon nach Verlauf von zwei Jahren (1812) der Jurisprudenz.

Wie es in den Vereinigten Staaten Sitte ist, arbeitete er mehrere Jahre in dem Bureau angesehener Advocaten und ließ sich dann, nachdem er im Jahre 1815 sein juristisches Examen mit Ehren bestanden hatte, zuerst in der Nähe seines Geburtsortes, bald darauf aber in Great Barrington, einem größeren Städtchen in dem benachbarten Berkshire-County, als Rechtsanwalt nieder. Hier verheirathete er sich im Jahre 1821 mit Miß Frames Fairchild und führte ein äußerst glückliches Familienleben, bis ihm der Tod seine Gattin in der Blüthe der Jahre entriß. In dem tiefempfundenen Gedichte „Das zukünftige Leben“, dessen schmerzliche Innigkeit an Robert Burns’ „Maria im Himmel“ erinnert, setzte er der Geschiedenen ein bleibendes Denkmal ehelicher Liebe und Treue. Obschon Bryant als Advocat eine geachtete und einträgliche Stellung einnahm, fand er doch auf die Dauer in der Juristerei keine volle Befriedigung und beschloß, sich ganz dem literarischen Leben zu widmen.

Nachdem er im Jahre 1825 seine Praxis an einen seiner Collegen abgetreten hatte, siedelte er nach New-York über und gab in Verbindung mit dem talentvollen Henry James Anderson die „New-York Review“ und das „Athenaeum Magazine“ heraus. Aber auch in dieser Stellung blieb Bryant nur kurze Zeit. Schon 1826, da sein Freund Anderson als Professor der Mathematik einem Rufe an das Columbia-Collegium folgte, übernahm er die Redaction der „New-York Evening Post“. Mit dieser angesehenen Zeitung, welche damals die Sache der demokratischen Partei vertrat, gegenwärtig aber die der unabhängigen Reformpartei vertheidigt, blieb er bis zu seinem Tode in engster Verbindung. Seine Stellung als Redacteur der „Evening Post“ hinderte ihn auch nicht, noch für andere Blätter zu arbeiten, z. B. für den „Talisman“, eine Jahresschrift, die er im Vereine mit Robert E. Sands und dem als Gelegenheitsredner bekannten G. C. Verplanck herausgab. Als Sands im Jahre 1832 starb, besorgten Bryant und Verplanck mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit die Sammlung der Werke des verstorbenen Freundes, die vorzugsweise in Essays und Erzählungen bestanden. In demselben Jahre erschien die erste Sammlung von Bryant’s Gedichten.

In seinem achtzehnten Lebensjahre, also um die Zeit, wo er sich zum Advocatenexamen vorbereitete, verfaßte Bryant sein vielgepriesenes Gedicht „Thanatopsis“, bei dessen Durchlesen sein Vater bis zu Thränen gerührt gewesen sein soll. Diese theosophische Dichtung, welche uns ein ergreifendes Naturbild voll elegischer Tiefe entrollt, zeichnet sich auch durch große Formvollendung aus und gehört noch jetzt zu den populärsten poetischen Schöpfungen in den Vereinigten Staaten. Wir lassen hier die Anfangsverse nach der Uebersetzung von Adolf Laun folgen:

„Wer liebend Umgang pflegt mit der Natur
Und ihren Bildungen, dem redet sie
Gar manche Sprache; seinen frohern Stunden
Leiht sie der Stimme heitern Ton und lächelt
Ihm in beredter Schönheit zu; sie schleicht
Sich in sein trüb’res Sinnen ein: sie nimmt,
Eh’ er’s gewahrt, mit sanfter Sympathie
Ihm seine Bitterkeit und heilt sein Herz.
Befällt wie gift’ger Mehlthau Dich Erinn’rung
An Deine letzte Stunde, tauchen Bilder
Von Todeskampf, von Leichenkleid und Bahrtuch,
Und von des Sargs lustloser Finsternis.
Erschreckend vor Dir auf, daß Du erbebst,
Dann tritt in’s Freie - unterm blauen Himmel
Horch’ auf die Lehren der Natur, wenn leise
Rings von der Erd’, aus Wassern und aus Lüften,
Dir ihre Stimme tönt.“

Während seiner Advocatenlaufbahn bemühte sich Bryant, wie er in dem Gedichte „Ich brach den Bann“ andeutet, sich von „der Dichtung Zauberei“ zu befreien, allein es wollte ihm nicht gelingen. Noch vor seiner Verheirathung verfaßte er in Great Barrington einige seiner bekanntesten und besten Gedichte, z. B. „Ueberschrift zum Eingang in einen Wald“ und „Der Wasservogel“. In dem ersten dieser beiden Gedichte, die einen außerordentlichen Anklang im amerikanischen Volke fanden und den ersten festen Grund zu seinem Dichteruhm legten, ladet Bryant den durch Verfolgungen und schwere Schicksalsschläge niedergebeugten Menschen ein, in den geheimnißvollen Waldtiefen „Balsam für das kranke Herz“ zu suchen; und der Wasservogel, der auf seiner schwindelnd hohen Bahn durch das weite Luftmeer sicher seinen Weg zum „Neste unter’m Binsenbach“ zu finden weiß, lehrt uns, daß die liebevoll schützende Gotteshand auch den redlich strebenden Menschen auf seinem oft wildverschlungenen Lebenspfade aufrecht erhält und ihn das ersehnte Ziel erreichen läßt.

Im Jahre 1821 schrieb Bryant sein längstes Gedicht, „Die Zeitalter“ betitelt; dasselbe ist in dem von Edmund Spenser erfundenen Versmaße gedichtet und darf als ein beschreibendes Lehrgedicht bezeichnet werden, in welchem die stufenweise Entwickelung des Menschengeschlechtes so dargestellt wird, daß die höchsten Ziele der Menschheit nur aus dem Grunde der Freiheit zu erreichen sind. Amerika geht hier, nach des Dichters Ansicht, [543] leuchtend voran, aber die alte Welt folgt, wenn auch unter harten, verzweifelten Kämpfen. Wir erkennen in diesem Gedichte bereits den späteren Politiker.

Wie viele seiner für Wissenschaft und Kunst begeisterten Landsleute, so bereiste auch Bryant zu verschiedenen Malen Europa, und zwar in den Jahren 1834, 1845, 1849 und, wenn wir nicht irren, 1868. Er besuchte unter Anderm England, Deutschland, Frankreich, die Schweiz, Italien und Spanien. Im Sommer 1843 machte er eine Erholungsreise durch die Südstaaten der Union, auch hielt er sich einige Zeit auf Cuba auf. Die unmittelbaren Früchte dieser Wanderungen finden wir in seinen „Briefen eines Reisenden in Europa und Amerika“ niedergelegt, doch blieben die Besuche fremder Länder auch nicht ohne bedeutende Rückwirkung auf seine Dichtungsweise, denn seine späteren Gedichte tragen, im Verhältnisse zu den früher verfaßten, der Mehrzahl nach den Stempel einer ruhigeren, geklärteren und festeren Weltanschauung. Unter diesen späteren, die Naturmächte verherrlichenden Gedichten Bryant’s, welche sich bald durch den Schwung der Ode, bald durch die sinnige Tiefe der Elegie auszeichnen, sind vornehmlich folgende drei bemerkenswerth: „Eine Waldhymne“, „Die Quelle“ und „Die Prairien“. Das erstgenannte psalmenartige, im Milton’schen Blankverse verfaßte Gedicht empfiehlt, wie der Altmeister Goethe, den Bryant sehr genau kannte, dies oft und eindringlich in seiner Weise gethan hat, nach dem „schönen Gleichmaß“ der Werke des Allmächtigen „zu ordnen unsers Lebens kurzen Lauf“. In dem längeren Poëm „Die Quelle“ entrollt uns der Dichter nicht nur ein großartiges Landschaftsgemälde, sondern er belebt dasselbe auch mit richtigem Künstlertacte durch Vorführung interessanter Lebens- und Culturbilder. Wir sehen in stiller Waldeinsamkeit die Quelle, in deren Ueberdachung von Steineiche und Platane der Colibri spielt; vor mehr als tausend Jahren entsprang sie am blumiggrünen Abhang, nur besucht von dem gierigen Wolfe, dem schlanken Hirsche und dem plumpen Bären. Eines Tages wird ihr Gemurmel von wildem Kriegsgeschrei übertönt und ein schwerverwundeter Indianerhäuptling schleppt sich mit Mühe hin zu ihrem Rande, den brennenden Todesdurst in der klaren Fluth zu löschen. Und wieder nach geraumer Zeit erbaut der weiße Ansiedler da, wo bisher die Thiere des Waldes und die wilde Rothhaut hausten, sich mit Pfählen und Zweigen eine dauernde Hütte, und nun schließt das Gedicht mit einer reizvollen Schilderung des Hinterwäldlerlebens und der werdenden Cultur. Das Anschauen der immerfort sprudelnden Quelle erinnert aber den Dichter an den in allem Wechsel ruhig beharrenden Geist:

     „Auch der Weise,
In deinen ew’gen Strudel blickend, sann
Im Geist der unverrückten Ordnung nach,
Die in dem Umschwung und dem Wechsel herrscht,
Und leitete von deiner Rieselfluth
Sein Denken auf des Weltalls Größe hin.“

Aehnlich wie in der „Quelle“ beschwört Bryant in dem ebenfalls längeren Gedichte „Die Prairien“ vergangene Zeiten herauf und weist dann mit dichterischem Seherblicke auf eine lichtere Zukunft hin. Als eine Probe Bryant’scher Landschaftsmalerei mögen hier die ersten Verse der „Prairien“ eine Stelle finden:

„Dies sind der Wüste Gärten, dies die Felder,
Noch ungemäht und grenzenlos und schön,
Für die kein Wort die Mutterzunge hat, –
Prairien! Heut’ zuerst erblick’ ich euch,
Mir schwillt das Herz, indeß das Auge schlürft
Den Anblick der Unendlichkeit. Ha, seht
Ihr lustiges Gewoge weit, weithin!
Und jetzt, ist’s nicht, als hätt’ der Ocean
Gefesselt seiner Wellen kräuselnd Spiel,
Als stünd’ er regungslos? – Wie, regungslos?
O nein, – entfesselt sind sie ja; es fegt
Der Wolken Schatten drüber hin, und her
Zu meinem Auge rollt die wilde Fluth,
Als sagten dunkle Streifen sonn’ge Spitzen.“

Die Wald- und Landschaftspoesie Bryant’s, in der sich das beschreibende mit dem didaktischen Elemente so schön verbindet, hat durch die erhabene Größe der Scenerien, in die sie uns führt, für uns einen gewaltigen Vorzug vor dem, was die meisten unserer Feld-, Busch- und Walddichter uns in zierlichen kleinen Bildern und Allegorien zu bieten pflegen. Der Wald erzählt sich und uns, wie Adolf Laun mit Recht hervorhebt,[1] bei Bryant ganz andere Dinge, als bei Putlitz, und selbst Freiligrath’s tropische und atlantische Schilderungen erscheinen der Wahrheit, Frische und Einfachheit jener aus unmittelbarer Anschauung hervorgegangenen Bryant’schen Gemälde gegenüber nicht selten wie stark aufgetragene, auf Effect berechnete Decorationsmalereien.

Die glühende Freiheitsliebe des „Dichter-Journalisten“, wie seine Landsleute Bryant oft zu nennen pflegten, offenbart sich ganz besonders in dem Gedichte „Das Alter der Freiheit“. Der Dichter erklärt hier die Freiheit für älter, als die Tyrannei; sie ist ihm nicht, wie sonst wohl den Künstlern und Poeten, „eine Jungfrau mit wallenden Locken und zarten Gliedern“, sondern ein kräftiger Mann, „wohl bewaffnet und die Stirn voll Narben“. Die Freiheit ist ihm mehr göttlicher, als menschlicher Natur, doch eine „Zwillingsschwester des Menschen“ (twin-born with man). Der Usurpator sucht ihr Schlingen zu legen und mit falschen Schmeicheltönen sie in Schlummer zu wiegen; darum ruft der Dichter ihr zu:

„Noch nicht, o Freiheit, schließe Deine Augen!
Dein Feind schläft nicht, und darum mußt Du wachen
Und kämpfen, bis der neue Tag erscheint
Im Himmel und auf Erden.“

In dem Gedichte: „Der Lauf der Zeit“ preist Bryant die hohe Mission der nordamerikanischen Republik, die er in begeisterter Vaterlandsliebe allen Völkern als ein nachahmenswertes Muster hinstellt, vor deren zornigem Stirnrunzeln die gekrönten Tyrannen ihren Blick scheu zu Boden senken müssen. Allerdings war zu der Zeit, wo dieses Gedicht entstand, die nordamerikanische Union noch nicht in den Sumpf der Corruption versunken, in welchen sie vornehmlich unter der Grant-Administration gerieth. Dichtungen, wie „Der Lauf der Zeit“, haben den Amerikanern vorzugsweise Bryant als einen nationalen Dichter lieb und werth gemacht. In dieser Beziehung sind noch zwei seiner tief in’s Volk eingedrungenen Vaterlandslieder zu nennen: „Der zweiundzwanzigste December“, jener Tag, an dem die Pilgerväter im Jahre 1620 in der Plymouth-Bai landeten, und „Das Jahr 1776“, in dem die Unabhängigkeitserklärung veröffentlicht ward.

In die beiden Hauptrichtungen der Poesie Bryant’s, wie sie uns gleich beim Beginne seiner dichterischen Laufbahn entgegen treten: Vertiefung in die Natur und Verherrlichung der Freiheit, macht sich ergreifend der lebhafte Ausdruck inniger Gatten- und Kindesliebe. Oben haben wir bereits eines Gedichtes erwähnt, welches Bryant’s verstorbene Gattin feiert: „Das zukünftige Leben.“ Auch in dem rührend schönen Liede „Der Blumen Tod“ gedenkt der trauernde Gatte der früh Geschiedenen: „die eine Blume war, so schön und zart - sie welkte auch, wie ihrer Schwestern Schaar“. Und neben ihr Bild tritt am lebhaftesten dasjenige seines Vaters, so z. B. in dem Gedichte „Die Vergangenheit“. Umsonst rüttelt er an des Todes Gitter, in dessen „dunkler Haft so manches großen Namens Glanz erblaßte“; das Gitter weicht nicht, denn es läßt nur diejenigen ein, die aus diesem Leben geschieden sind. Doch endlich richtet ihn der Gedanke an die Unsterblichkeit auf, und er ruft getröstet aus:

„Nein, sie vergingen nicht. –
Sie werden aufersteh’n; ich werd’ sie wiederschau’n:
Ihn, dessen Vaterhand mich treu gelenkt,
Und sie, die kalt und still
Im Nachbarhügel ruht – in Jugendschönheit schau’n.“

Der Tod als solcher hat für Bryant keine Schrecken, vielmehr preist er ihn als den „Befreier“, den Gott sendet, „zu erlösen die Unterdrückten und den Unterdrücker zu zermalmen“; er nennt ihn auch den „Rächer und Helfer“, der den Dulder dort zur Ruhe bringt, wo sein Verfolger ihn nicht mehr quälen kann, der die geistlichen und weltlichen Tyrannen zu Boden wirft, dem Lügner und Verleumder Schweigen auferlegt und dem schwelgerischen Wolllüstling ein grausig „Halt!“ zuruft.

Wenn von einigen Kritikern Bryant’s gesagt worden ist, er sei „ein strenger Katholik“ gewesen, so ist dies ein grober Irrthum, er schloß sich vielmehr der Secte der Unitarier an, die bekanntlich von einer göttlichen Dreieinigkeit nichts wissen will und überhaupt einer freiern religiösen Richtung huldigt. Bryant's [544] Religiosität ist, wie aus seinen Dichtungen zur Genüge hervorgeht, ein gut Theil Pantheismus beigegeben; Religion war ihm jene Geistes- und Lebensmacht, welche das menschliche Dasein mit dem ewigen Urquell aller Dinge in Verbindung setzt, die dem menschlichen Geiste im wechselnden Strome der Endlichkeit das Bewußtsein, daß er selbst unendlich ist, verleiht, die ihn erhebt über die sichtbare Welt und ihn auf eine unsichtbare ideale Höhe stellt, von welcher er die Zeitlichkeit zu beherrschen, die wilden Wallungen der Gefühle zu mäßigen und die Stürme der Leidenschaften zu beschwichtigen vermag. Die Quintessenz seines poesievollen Gottesglaubens hat er in den Worten ausgesprochen: „Ewige Liebe umschließt in ihren schützenden Armen die Erde, den Himmel und das Meer.“

Unter seinen neueren und neuesten Arbeiten verdienen noch die Ode, welche er dem erschütternden Ende Abraham Lincoln’s weihte, seine Uebersetzung von Homer‘s „Iliade“ und das längere Gedicht erwähnt zu werden, welches er unter dem Titel „Die Fluth der Jahre“ bei Gelegenheit der Säcularfeier der hundertjährigen nationalen Existenz der Vereinigten Staaten im Jahre 1876 verfaßte.

Was nun noch Bryant’s Wirken als Journalist und Politiker betrifft, so mag erwähnt werden, daß er als Herausgeber und Leiter der „New-York Evening Post“ ein Vertheidiger des Präsidenten Andrew Jackson war, daß er seit 1840 die sogenannte Freiboden-Partei unterstützte und die allmähliche Aufhebung der Negersclaverei empfahl; 1856 half er die republikanische Partei mit gründen; 1860 wirkte er eifrig für die Erwählung Abraham Lincoln’s, bekämpfte stets das übermäßig hohe Zollsystem und die unter der Grant-Administration zu Tage getretenen starken Centralisationsbestrebungen und verfolgte mit unserm talentvollen Landsmann Karl Schurz bei der Präsidentenwahl im Jahre 1872 und ebenso im Jahre 1876 eine weise und durchgreifende Reformpolitik. Er befürwortete eine ehrliche Abzahlung der Nationalschuld und die locale Selbstregierung, die nach dem Rebellionskriege im Süden der Union arg bedroht war, und war zu allen Zeiten der entschiedenste Gegner aller schwindelhaften Gewinne und der Corruption im Aemterwesen der Vereinigten Staaten. Während der letzten fünfzehn Jahre trat er häufig bei feierlichen Gelegenheiten als öffentlicher Redner auf, so z. B. bei dem großen Friedensfeste, welches am Ostermontage des Jahres 1871 in New-York von den dort lebenden Deutschen zur Feier des Sieges von Deutschland über Frankreich veranstaltet wurde, und im Jahre 1875, als der deutsche „Goethe-Club“ in New-York beschlossen hatte, eine wohlgelungene Büste unseres großen Dichterfürsten im dortigen Centralpark aufzustellen. Bryant’s letzte öffentliche Handlung war sein Auftreten als Redner bei Enthüllung der Büste von Giuseppe Mazzini im New-Yorker Centralparke am 29. Mai dieses Jahres. Er hatte sich bei dieser Gelegenheit zu sehr den Sonnenstrahlen ausgesetzt und wurde, als er auf dem Heimwege in das Haus des ihm befreundeten Generals James G. Wilson eintreten wollte, von einer Art Schlaganfall getroffen. Die bei diesem Unfalle erhaltene Gehirnerschütterung führte, wie schon erwähnt, am 12. Juni seinen Tod herbei.

Seit dem Jahre 1847 hielt sich Bryant gern, oft den größeren Theil des Jahres, auf seinem Landsitze bei Roslyn auf der in der unmittelbaren Nähe von New-York gelegenen Insel Long-Island auf. Seine dortige Villa, die einfach, aber bequem eingerichtet ist, liegt auf einer waldigen Anhöhe, dem sogenannten Hempstead-Hafen gegenüber, der zur Zeit der Fluth den Anblick eines großen und schönen Sees gewährt. Roslyn hieß früher North-Hempstead; um es von gleichnamigen Ortschaften zu unterscheiden, vertauschte man auf Bryant’s Vorschlag den letzteren Namen mit dem ersteren. Bryant wählte aber den Namen Roslyn, weil im Jahre 1781 die noch aus Long-Island befindlichen englischen Truppen diese Insel unter den Klängen der Melodie von Roslyn Castle räumten. In Roslyn wurden auch die irdischen Ueberreste des Dichters unter zahlreicher Betheiligung der angesehensten Bewohner New-Yorks am Freitage 14. Juni zur Erde bestattet.

In seiner äußeren Erscheinung war Bryant von schlanker und hoher Gestalt, mit einem ausdrucksvollen, mächtigen Kopfe, den lockiges Silberhaar umwallte. In seiner Jugend soll seine Gesundheit nicht die stärkste gewesen sein, doch besserte sich dies im Laufe der Jahre, sodaß er noch bis kurz vor seinem Tode geistig und körperlich thätig und rüstig war. Er stand durchschnittlich um fünf Uhr Morgens auf und nahm dann körperliche Uebungen vor, worauf ein Bad zu folgen pflegte. Darauf arbeitete er, bis er zum Frühstück gerufen wurde; dasselbe war sehr einfach und bestand meistens aus Maisbrod, gebackenen Aepfeln, buchweizenem Kuchen und Milch. Thee und Kaffee liebte er nicht, wohl aber zuweilen eine Tasse Chocolade; Früchte waren ihm sehr willkommen. Nach dem Frühstücke studirte er wiederum oder ging, wenn er in New-York war, auf das Geschäftslocal der „Evening Post“; nach etwa drei Stunden kehrte er heim. Wenn er sich auf seinem Landsitze befand, beschäftigte er sich mit literarischen Arbeiten, bis er ermüdet entweder ausfuhr oder ausging, um in der frischen Luft selbst wieder frisch zu werden. Auf dem Lande nahm er sein Mittagsmahl, welches ebenfalls sehr frugal ausfiel, früher, als in der Stadt. Er trank gewöhnlich Wasser, doch verschmähte er zu Zeiten ein Glas Wein nicht. Tabak liebte er in keiner Weise. Da er früh aufstand, ging er auch früh zu Bette: in New-York um zehn Uhr Abends, auf dem Lande noch früher. Des Abends war er seit längerer Zeit literarisch nicht beschäftigt; er schrieb dann kaum einmal Briefe, um jede nervöse Aufregung zu vermeiden.

Was Bryant einen so hohen Rang in der amerikanischen Literatur einräumt, das ist neben der plastischen Anschaulichkeit und schillernden Farbenpracht, mit welcher er die Landschaften seiner Heimath dichterisch nachzugestalten versteht, das durchaus nationale Gepräge seiner poetischen Schöpfungen, namentlich jener ausgesprochen amerikanisch-patriotische Zug, der ihn zu einem dichterischen Interpreten der freiheitlichen Ideen Nordamerikas macht. Uns Deutschen aber ist er besonders sympathisch, weil er zu jener Gruppe transatlantischer Dichter gehört, welche, wie auch Bayard Taylor, einen guten Theil ihrer Bildung auf den Wegen deutscher Literatur und Wissenschaft gefunden, und deutschen Geistesgrößen und deren Schöpfungen jenseits des Oceans mit Wärme und Verständniß allzeit das Wort geredet haben.

Rudolf Doehn.






Die Insel der Aphrodite.

Auf dem viel gepriesenen Eiland, wo einst die schaumgeborene Göttin der Schönheit dem Meere entstieg, wo der Venus Anadyomene geweihte Tempel, Cypressen, und Myrthenhaine prangten, da wehen jetzt die Banner und Flaggen der meerbeherrschenden Thetis unserer Tage, der Königin Britanniens. Wo einst rosenbekränzte Jünglinge in erotischen Reigen amathusische Feste feierten, da tummeln sich jetzt britische Theerjacken, verwetterte Seemänner und ungeschlachte Schiffsknechte.

Cypern ist am 4. Juni dieses Jahres unerwartet Besitzthum Englands geworden.

Mag nun der Dichter immerhin klagen:

„Es ist dahin, es ist verschwunden,
Jenes hochbegünstigte Geschlecht“ –

die Gegenwart antwortet keck:

„Wir, wir leben. Unser sind die Stunden,
Und der Lebende hat Recht.“

Das Ereigniß der englischen Annexion Cyperns ist so bedeutsam, daß ein Rückblick auf dessen viertausendjährige Schicksale und Wandlungen, die Natur und Weltstellung dieses Eilands gerechtfertigt ist, um darnach auf den Werth jener Annexion für Großbritannien, auf die möglichen und voraussichtlichen Folgen für die russische und englische Machtentwickelung, für die Schicksale einzelner Länder in Asien und die Rückwirkungen dieser Verhältnisse auf Europa hinzuweisen.

In dem nordöstlichen Winkel des Mittelländischen Meeres, zwischen der Südküste Kleinasiens und Syrien, erstreckt sich Cypern

[545]

Ein wenig Wehren – spornt das Begehren.
Originalzeichnung von K. Kögler.


in länglicher, buchtenreicher Gestalt. Die Insel ist nächst Sicilien und Sardinien die drittgrößte im Mittelmeer und umfaßt nach den am meisten zuverlässigen statistischen Angaben hundertdreiundsiebenzig Quadratmeilen mit freilich nicht viel mehr als hundertvierzigtausend Bewohnern, von welchen etwa zwanzigtausend türkischer und die übrigen meist griechischer Nationalität sind. An der Nordküste zieht sich die mäßige Bergkette von Cerynia hin, während im Südosten der plutonische Gebirgsstock des Troodos mit dem Olympus bis zur Höhe von sechstausend Fuß emporsteigt. Zwischen diesen Bergzügen breitet sich die Ebene Messaria aus, von mehreren Wildbächen des Olympus durchströmt, ein wunderbar fruchtbarer Boden, wie das Nildelta Aegyptens, von fast zwanzig Fuß hoch aufgeschwemmtem Lande.

Wie die Bodenplastik, mag auch das Klima des Eilands unverändert geblieben sein. Noch heute, wie zu der Phönicier Zeit, wechseln nur drei Horen im Reigen des Jahres. Ein Drittel des Jahres regnet es unaufhörlich, von Mitte October bis zum Februar hin. Das ist der cyprische Winter. Im Februar hält ein himmlischer Lenz seinen Einzug. Es kommt ein wonniger Frühling voll frischen Blüthenduftes und heiterer Farbenpracht. Während der Olymp noch die Schneehaube trägt, hat sich das Land mit dem herrlichsten Blumenteppich geschmückt und alle Früchte gereift, deren der Mensch bedarf. Aber schon im Mai, wo bei uns erst alle Knospen springen, verdunstet alle Feuchtigkeit der Luft; es beginnt eine wolkenlose Sommerzeit, in der die Sonnenhitze Alles zu vernichten droht. Der Himmel scheint eine glühende, eherne Wölbung; das Thermometer zeigt im Schatten dreißig Grad, und in Levkosia (dem alten Nikosia), [546] der Hauptstadt Cyperns, ist es heißer als in Kairo. Das dauert bis in den September; dann erneuert sich die Zeit der fruchtbaren Regen. So ist es heute, und so war es wohl auch in der frühesten culturlosen Zeit.

So nahe den Landschaften der ältesten Cultur, war Cypern schon im höchsten Alterthum bekannt und schon in den Bibelschriften wird es wegen seiner reichen Naturschätze gepriesen. Von Cypern, von Chittim, dem heutigen Kiti, holten die Phönicier Bauholz zu ihren Schiffen, und von Metallen namentlich dasjenige, welches nach der Insel: Kypron, von den Römern Cuprum genannt wurde, unser Kupfer. Auch der Cypressenbaum und der edle Cyperwein haben ihren Namen von dem Eiland.

Unerschöpflich schienen einst die Holzvorräthe der Insel für den Schiffsbau und die Verhüttung der Silber- und mehr noch der Kupfererze. Bis zu den obersten Kuppen deckte ein immergrünes Wälderkleid die cyprischen Gebirge; Nadelholz jeder Art, Eichen und Platanen, Eschen, Terebinthen, prächtige Nußbäume beschatteten ihren Fuß. Und hierzu die mächtigen schwarzgrünen Pyramiden der Cypressen, schwanke Dattelpalmen wie unter afrikanischem Himmel! – Die fruchtbare cyprische Ebene, die Messaria, sammt kleineren Geländen am südlichen Abhange des südlichen Gebirges sind im Alterthume die großen Kornkammern gewesen für eine Bevölkerung von nahe an eine Million Menschen. Alles, was nur die wärmere Hälfte der gemäßigten Zone hervorzubringen vermochte, gedieh hier vortrefflich: Getreide, Weizen, Hafer, Hülsenfrüchte in erster Reihe, dann auch Weinstock und Oelbaum, Feigenbaum und Zuckerrohr, Citrone und Orange, Pflaume, Kirsche und Pfirsich, Banane und Johannisbrodbaum, ferner die vielen Gemüsearten, die hier noch wild wachsen, wie Spargel, Artischocken, Kohl, Kapern, Portulak und Kresse, Salbei und Majoran. Diese Gewächse blieben sich beständig gleich, ebenso das vielartig blühende Gebüsch mit würzigem Laube, das in den Thalschluchten und an ihren Abhängen sich drängt, Oleander und Myrthe, Arbutus und Lentiscus, Wachholder und Mastix, ebenso der liebliche Blumenteppich, der mit immer frischem Reize die Fels- und Berghalden schmückt, Rosen und Jasmin und vor Allem die einheimischen Knollengewächse, die ganze Strecken überziehen, Tulpen und Hyacinthen, Narcissen und Tazetten, Crocus und Anemonen. Cypern trägt Producte von allen drei Erdtheilen, denen es nahe liegt.

Was Wunder, daß die Griechen die Insel, wo schon in urältester Zeit der sinnliche Liebescultus der phönicischen Astarte heimisch war, zur Heimath und Lieblingsfrüchte ihrer holdesten Gottheit geweiht hatten! Zu Paphos, Amathunt, Idalia standen ihre heiligen Tempel.

Ein Sagenkreis, aus Liebe und Schönheit gewoben, knüpft sich an den Namen Cypern. Auf Cypern wurde Adonis aus einem Myrthenbaume geboren, in welchen seine Mutter von der Aphrodite verwandelt worden. Dem Adonis wurde ein Tempeldienst bis tief nach Asien hinein gewidmet. Auf Cypern war es, wo König Pygmalion in heftigster Liebe zu einem Götterbilde entbrannte, „wo er einst mit flehendem Verlangen den Stein umschloß, bis in des Marmors kalte Wangen Empfindung glühend sich ergoß“. Nach seinem Sohne Paphos nannte Aphrodite ihren Lieblingssitz auf Cypern, wo ihr marmorner Tempel ragte und ihr die Grazien das Bad bereiteten. Nirgendwo anders feierte auch Bacchus glühendere Feste als auf Cypern, dessen Wein vor allen anderen als der Schöpfer „seliger Tagesträume“ gepriesen ward.

Wegen seines Reichthums wurde Cypern, die „Perle des Mittelmeeres“, seit vier Jahrtausenden von allen Machthabern begehrt, erobert und bis zur Verwüstung ausgesogen. Die Eroberer wechselten hier in wüster Herrschaft: Phönicier, Syrier, Griechen, Perser, Aegypter, Römer, Byzantiner, Araber, Franken und Normannen, Genuesen, Venetianer waren wechselnd die Herren des Landes, und seit drei Jahrhunderten liegt es unter dem Todesschatten des Halbmondes ohne Wandel, ohne Hoffnung. In allen Perioden dieser verschiedenen Beherrscher hat das Schwert hier entsetzlich gewüthet, und immer wieder wurden die kaum vernarbten Wunden von Neuem aufgerissen, während der besseren Zeiten der Blüthe nur wenige waren.

Wir schließen die Augen vor den stets blutigen Eroberungen und der Ausbeutung Cyperns im Alterthume. Nur Eines sei hervorgehoben. Die Mystik des phönicischen Astarte-Cultus, die von den Griechen in den schönen Tempeldienst der Aphrodite, von den Römern in den der Venus Cypria verwandelt wurde, ward hier endlich Madonnen-Cultus.

Es war um die vierziger Jahre nach Christi Geburt, als die Apostel Paulus und Barnabas, letzterer selber ein Cypriot, auf der Insel das Evangelium predigten, und das Volk taufte die Mutter Gottes, die Jungfrau Maria, auf den Namen „Aphroditissa“. Noch heute legt dieser Name Zeugniß ab von der Naivetät, mit welcher man bei Einführung des Christenthums die alte Göttin Astarte die zweite große Wandelung durchmachen und die Cypria zur Jungfrau Maria erheben ließ. Was heute an kleinen antiken Aphroditefiguren ausgegraben wird, verehrt der kindliche Sinn des Volkes und seiner Geistlichen ohne weiteres als Madonnenbild, als allerheiligstes Mutter-Gottesbild, als „Panhagia“. – Vielleicht ebendarum machte das Christenthum dort nur desto raschere Fortschritte. In kurzer Zeit brachte man es auf dreißig Bisthümer; die Insel wurde ein wahres Heiligenland. Barnabas, Lazarus, Heraklides, Hilarion, Spiridion, Epiphanes, Johannes Lampadista, Johannes der Almosenier, Katharina, Akona, Maura und noch eine lange Reihe von Heiligen beiderlei Geschlechts stehen im Kalender, die alle aus Cypern stammen.

Nach der Theilung des römischen Reiches kam die Insel unter die Herrschaft byzantinischer Statthalter, die sie mit der Willkür des Raubbaues ausbeuteten, bis endlich Comnenus der Erste sie zu einem unabhängigen Königreiche erhob, das sich bis in die Zeit der Kreuzzüge erhielt. Cypern wurde nach Stiftung des Tempelherrenordens 1118 der gewöhnliche Aufenthalt der Großmeister, deren letzter, Jakob Molay, bei Aufhebung des Ordens nach Frankreich gelockt und dort 1314 verbrannt wurde. Inzwischen hatte Richard Löwenherz 1191, da König Isaak Comnenus einige Schiffe der Kreuzfahrer feindlich behandelt, die Insel wie im Fluge erobert, nach englischer Weise zu einem feudalen Königreiche umgestaltet und den Titularkönig von Jerusalem, Guido von Lusignan, den Abkömmling eines Geschlechtes, das die schöne Fee Melusine als ihre Ahnfrau nannte, zum König von Cypern gemacht. – Um seinem Königthume die rechte Weihe zu geben, bat der Nachfolger Guido’s den römischen Kaiser Heinrich den Sechsten, sein Lehnsherr sein zu wollen. Heinrich sandte 1197 den Bischof von Hildesheim nach Nicosia, um bei der Krönung des neuen Königs den Treueid entgegenzunehmen. So hat denn auch Cypern eine Zeitlang zum römisch-deutschen Reiche gehört.

Glänzend, wie das Ritterthum, entwickelte sich zur Zeit der Lusignans auch der Handel der italienischen Stadtrepubliken, Pisa, Genua, Venedig, mit der Levante. Die Richtung des Welthandels ging damals vorwiegend vom Morgen- zum Abendlande: die Güter von und für Indien, welche von Karawanen auf die Schiffe umgeladen werden mußten, fanden auf Cypern in Limasol, Larnaka, vor allen in Famagusta die besten Hafen. Das blühendste Leben entfaltete sich hier und in den Landstädten. Nicosia gewann durch Industrie und Reichthum ein bedeutendes Ansehen. Die Goldbrocate von Nicosia, die „draps d’ur de Chypre“, waren hochgeschätzt. Famagusta kannte man weit und breit im deutschen Reiche. Wenn der Kreuzfahrer, der hanseatische Handelsmann, von seinen Erlebnissen erzählte, so blieb der Märchendichter nicht zurück. „Fortunat’s Wunschhütchen und sein immer gefüllter Goldsäckel“ war und ist noch heute eines der beliebtesten und besten Volksmärchen; der Glückliche war Kaufmann in Famagusta.

Aber die Blüthe dieses Handels welkte in der steten Rivalität der Handelsrepubliken und bei dem Aufschwung der großen iberischen Entdeckungen, die alsbald den Welthandel in andere Bahnen leiteten. Im Jahre 1489 legte endlich die kinderlose Wittwe des letzten Königs Jakob des Zweiten von Cypern, Katharina Cornaro, die hochgefeierte Schönheit, die Krone nieder; sie mußte die ganze Insel ihrer Vaterstadt Venedig schenken, damit die Flagge von San Marco dieselbe decke. Die schöne Königswittwe wird uns oft vor Augen geführt. Wer kennt nicht Lachner’s, Halevy’s melodienreiche Opern „Katharina Cornaro“ und „Die Königin von Lusignan“ – wer nicht das üppige, farbenprächtige Bild Markart’s?

Die Schenkung hatte einen unermeßlichen Werth, aber der Wurm saß schon an der Blüthe. Venedig behielt Cypern nur bis 1571.

[547] Selim, einem Schlemmer, der stündlich süßen Weines voll, genügte es, zu wissen, daß die Insel die edelste Traube der Welt hervorbringe, und der Türkenzug nach Cypern wurde ausgeführt. Die Belagerung von Famagusta, welches der Venetianer Bragadino heldenhaft vertheidigte, und der endliche Fall der festen Stadt entschieden das Schicksal Cyperns. Der Sultan brach die Bedingungen der Capitulation, metzelte zwanzigtausend Einwohner nieder und ließ Bragadino bei lebendigem Leibe rösten. Die Türken blieben im Besitze. Venedig verlor sein reichstes Gut, seine nie versiechende Schatzkammer für die heimischen Zecchinenbeutel; auch der Sieg des Juan d’Austria bei Lepanto konnte das Verlorene nicht wiederbringen. Mit dem Verlust Cyperns begann der Verfall Venedigs.

Cypern war während dieses letzten Zeitraums von vierhundert Jahren in den Händen christlicher Abendländer. Was ist aus jener Zeit der abendländischen Herrschaft geblieben? Wo sind die Spuren derselben noch heutzutage sichtbar? Die große Lawine, welche in den nachfolgenden Jahrhunderten in dem verwüstenden Strom der türkischen Eroberungen über die Länder des Orients dahinbrauste, hat Alles verschlungen. Von den Feudalherzogthümern und Baronien giebt es keine Erinnerung mehr; die abendländische Bevölkerung ist bis auf einige tausend Katholiken die auf mehreren Inseln des griechischen Archipelagus, z. B. auf Naxos, noch gegenwärtig leben, verschwunden.

Drei Jahrhunderte des türkischen Despotismus sind über die Insel gerauscht; Land und Leute wurden verwahrlost, sie verkamen und verwilderten. „Cypern,“ sagt Löher in seiner eben zur rechten Stunde erschienenen vortrefflichen Schrift, „Cypern glich, seitdem die Türken vorüber kamen, einem Thier, dem gewaltsam das Rückgrat verrenkt und zerbrochen ist; es lebt nur so dahin. Auch ihre kleinen Mordfeste haben die Türken auf der Insel gefeiert. Denn – so denken sie – eine vollbrachte Thatsache hat immer Verstand; die Todten beißen nicht mehr, und wer noch lebt, den lähmt heilsamer Schrecken. Gegenwärtig ist in Cypern, einige wenige Familien ausgenommen, jeder Sinn des Aufschwunges gelähmt, erloschen jede höhere sittliche Kraft; nichts rührt sich mehr in den Geistern und Armen.“

(Schluß folgt.)



Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungstrecht vorbehalten.

Brunnow trat zurück. „Ich Dir Genugthuung geben? Was soll das heißen?“

„Was das heißen soll? Ich dächte, das bedürfte keiner Erklärung. Die Beleidigung, die Du mir zugefügt hast, läßt nur eine Sühne zu. Du wirst sie mir doch nicht verweigern?“

Ueber die Lippen des Doctors kam kein Wort.

„Schon als wir uns das erste Mal wiedersahen,“ fuhr der Andere fort, „an jenem Abende in meinem Arbeitszimmer, sprachst Du Worte, die mein Blut sieden machten. Damals warst Du ein Flüchtling, warst heimlich an das Krankenlager Deines Sohnes geeilt, und jede Stunde des Aufenthaltes hier brachte Dir Gefahr. Damals war keine Zeit, Erklärung von Dir zu fordern. Jetzt bist Du frei – bestimme Zeit und Waffen!“

„Ich soll mich mit Dir schlagen?“ brach Brunnow aus.

„Nein, Arno, das kannst, das darfst Du nicht verlangen.“

„Ich bestehe darauf – Du wirst meine Forderung annehmen.“

„Nein.“

„Rudolph, ich sage Dir, Du wirst es thun.“

„Und ich sage Dir nochmals: nein! Mit jedem Anderen will ich mich schlagen, wenn es sein muß, aber mit Dir nicht.“

Zwischen den Augen des Freiherrn zeigte sich eine tiefe Falte. Aber er kannte den einstigen Jugendfreund, der sich trotz seiner grauen Haare noch den alten Feuerkopf bewahrt hatte und dessen Leidenschaftlichkeit, einmal gereizt, ihn über alle Besinnung und alle Schranken hinwegriß. Es galt, den verwundbaren Punkt zu treffen.

„Ich habe nicht geglaubt,“ entgegnete Raven mit unverhaltenem Hohn, „daß Du seit unserer Trennung zum Feigling geworden.“

Das traf – der Doctor fuhr auf und seine Augen begannen zu funkeln.

„Nimm das Wort zurück!“ rief er drohend. „Du weißt es, daß ich kein Feigling bin; ich brauche es Dir nicht erst zu beweisen.“

„Ich nehme nichts zurück,“ erklärte Raven. „Du hast eine entehrende Anklage gegen mich ausgesprochen, hast sie einem Fremden gegenüber wiederholt, von dem Du wußtest, daß er sie der Welt preisgeben würde, und willst Dich jetzt der Rechenschaft entziehen – nenne Du’s, wie Du willst – ich nenne es Feigheit.“

Es war um Brunnow’s Fassung geschehen, als ihm abermals das verhängnißvolle Wort entgegengeschleudert wurde.

„Halte ein, Arno!“ stieß er hervor. „Ich ertrage das nicht.“

Der Freiherr schien völlig unbewegt; nicht eine Muskel seines Gesichtes zuckte. Mit eisiger Ruhe stand er da und reizte seinen Gegner, den er Schritt für Schritt vorwärts trieb, bis zum Aeußersten.

„Das also ist Deine Rache!“ sagte er im Tone der Verachtung. „Zwanzig Jahre lang hast Du den Streich zurückgehalten. So lange ich hoch und mächtig dastand, wagtest Du es nicht, mich zu treffen. Freilich, dem Manne, dem der Sturz droht, ist leichter beizukommen. Winterfeld war wenigstens ein ehrlicher Gegner. Er griff mich an, aber er bat mir offen den Kampf und trat mir Auge in Auge gegenüber. Du zogst es vor, mich aus dem Hinterhalte zu verwunden, und brauchtest fremde Hände dazu. Du bedachtest Dich nicht, dem Polizeidirector und den Zeitungen die Waffen gegen mich zu liefern, aber Dich meiner Waffe zu stellen, die den Schimpf rächen soll – dazu fehlt Dir der Muth. Wahrlich, Rudolph, ich habe Dich einer solchen Niedrigkeit und Erbärmlichkeit nicht fähig gehalten –“

„Genug!“ unterbrach ihn Brunnow mit halb erstickter Stimme. „Kein Wort weiter! Ich nehme Deine Forderung an.“

Seine Brust hob sich in kurzen, stürmischen Athemzügen, er war leichenblaß geworden und stützte sich, bebend am ganzen Körper, auf die Lehne des nächsten Stuhles. In dem Auge des Freiherrn schimmerte etwas wie Mitleid mit dem furchtbar erregten Manne, den er vor eine so schreckliche Wahl gestellt hatte, aber seine Stimme verrieth auch nicht den leisesten Anklang dieser Empfindung, als er erwiderte:

„Gut. Ich werde Oberst Wilten, den Commandanten der hiesigen Garnison, ersuchen, mein Secundant zu sein; er wird mit dem Deinigen das Nöthige ordnen.“

Brunnow machte nur eine zustimmende Bewegung. Der Freiherr nahm seinen Hut vom Tische und trat dann nochmals vor den Doctor hin.

„Noch Eines, Rudolph!“ sagte er langsam, aber mit Nachdruck. „Die Sache ist mir blutiger Ernst, und ich erwarte, daß Du den Zweikampf, der nach dem, was Du mir zugefügt hast, auf Tod und Leben gehen muß, nicht etwa zu einer Komödie gestaltest. Du wärst im Stande, in die Luft zu schießen. Zwinge mich nicht, das, was ich Dir soeben sagte, vor unseren Zeugen zu wiederholen. Mein Wort darauf: ich thue es, wenn Dein Schuß absichtlich fehl geht.“

Brunnow hatte sich emporgerichtet, und aus seinen Augen flammte jetzt nur wilder, glühender Haß.

„Sei ruhig,“ antwortete er. „Was Du mir vorhin anzuhören gabst, begräbt den letzten Rest der Jugenderinnerungen. Du hast Recht, wir Beide können uns nur noch auf Tod und Leben gegenüber stehen. Auch ich weiß einen Schimpf zu rächen.“

Beide standen einen Moment lang Blick in Blick. Sie redeten eine stumme, aber furchtbare Sprache; dann wandte sich Raven zum Gehen.

„Auf morgen denn! Ich gehe, den Oberst aufzusuchen.“

Er schob den Riegel von der Thür zurück und verließ das

[548] Zimmer. Draußen athmete er tief, tief aus, als sei eine Last von seiner Brust gesunken, und schlug dann mit raschem Schritte den Weg nach der Wohnung des Oberst Wilten ein.




Der Spätherbst war auch diesmal in R. und dessen Umgebung so rauh und unfreundlich gewesen, wie er in der Nähe des Hochgebirges meist zu sein pflegt. Jetzt aber, wo er Abschied nahm, schien sich das schwindende Leben der Natur noch einmal aufzuraffen. Die letzten Tage waren ungewöhnlich klar und mild gewesen, sodaß man sich um Monate zurückversetzt glaubte. Die Erde träumte noch einen letzten kurzen Traum von Sonnenglanz und Sommerluft, ehe sie sich den eisigen Banden des Winters gefangen gab.

Es war Nachmittag geworden. Freiherr von Raven saß am Schreibtische, mit der Durchsicht seiner Papiere beschäftigt. Seine testamentarischen Verfügungen waren zwar schon seit längerer Zeit getroffen, aber es gab doch noch so Manches zu ordnen. Oberst Wilten hatte sich mit der größten Bereitwilligkeit zur Verfügung gestellt. Wenn ihm auch eine Verbindung seines Sohnes mit der Raven’schen Familie jetzt nicht mehr wünschenswerth erschien, so drückte ihn doch das kalte, gezwungene Verhältniß, das seit jener Erklärung zwischen ihm und dem Freiherrn waltete, und er ergriff mit Eifer die Gelegenheit, diesem einen Dienst zu leisten. Er hatte versprochen, alles Nöthiage abzumachen und selbst die Nachricht über die näheren Bestimmungen des Duells zu bringen, das auf morgen früh festgesetzt war.

Raven hatte soeben einem Brief beendigt und schrieb jetzt die Adresse: Doctor Rudolph Brunnow. Seine düstere Stirn furchte sich noch tiefer, als er mit sicheren und festen Schriftzügen den Namen auf das Papier warf.

„Ich konnte es Dir nicht ersparen, Rudolph,“ sagte er dumpf. „Du wirst nie die unglückselige Stunde verwinden, in der wir uns so gegenüberstehen, aber es gab keinen anderen Ausweg.“

Er legte den Brief bei Seite und ergriff von Neuem die Feder, aber diesmal schien sie seiner Hand nicht gehorchen zu wollen. Es dauerte Minuten, ehe er die ersten Zeilen schrieb, dann hielt er plötzlich inne – begann von Neuem – stockte wieder und zerriß endlich das Blatt. Wozu denn auch noch ein Lebewohl! Jedes Wort war ja doch in Bitterkeit gemacht. Der Brief konnte nur zu einem ewigen Vorwurf für die werden, an die er gerichtet war.

Der Freiherr warf die Feder von sich und stützte den Kopf in die Hand. Er hatte nicht umsonst den Augenblick gefürchtet, wo die einzige Empfindung, die ihn jemals schwach gesehen und die er tief in den Hintergrund zurückgedrängt hatte, sich wieder Bahn brechen werde. Es war ihm gelungen, während der letzten Stunden ruhig zu erscheinen, obgleich Haß, Empörung und tief gedemüthigter Stolz seine Seele tausendfach zerrissen, die gewohnte strenge Pünktlichkeit hatte ihn auch beim Ordnen seiner Angelegenheiten nicht verlassen. Jetzt war Alles geordnet, Alles beendigt, bis auf eins – jetzt brach dieses Bitte wieder hervor, mit der alten widerstehlichen Gewalt, und mit ihm brach die Fassung des sonst so eisernen Mannes zusammen.

Freilich waren es keine weichen und zärtlichen Regungen, die ihn erfüllten. Die Natur Arno Raven’s war nicht darnach geartet, zu entsagen oder zu verzeihen, wo er sich verrathen glaubte. Sein eigener Wille hatte die Trennung verhängt und Gabriele fortgesandt, und er bereute dies nicht. Entweder – oder war von jeher der Wahlspruch seines Lebens gewesen; auch die Geliebte hatte er entweder ganz und ungeteilt besitzen oder verlieren wollen. Nun wohl, er hatte sie verloren, an einen Anderen verloren, der das mächtige Recht der Jugend und der ersten Liebe geltend zu machen wußte. Der Freiherr zweifelte nicht daran, daß die Beziehungen zu Winterfeld in der Residenz wieder aufgenommen wurden. Der tyrannische Vormund, der so lange trennend zwischen dem jungen Paare gestanden trat ja nun zurück und gab ihnen volle Freiheit, sich wieder einander zu nähern, und die Baronin war viel zu charakterlos, um sich dauernd den Wünschen ihrer Tochter zu widersetzen, wenn die Furcht vor dem Schwager sie nicht länger gefesselt hielt. Ueberdies nahm Winterfelds Laufbahn ja jetzt einen so ungeahnten Aufschwung, und damit fiel das größte Hinderniß dieser Verbindung. Es ging Alles seinen natürlichen, längst vorgezeichneten Weg, den eine unsinnige Leidenschaft vergebens zu kreuzen suchte. Wie konnte denn auch ein Wesen wie Gabriele eine solche Leidenschaft verstehen und erwidern! Es mochte sie geblendet und ihrer Eitelkeit geschmeichelt haben, der Gegenstand derselben zu sein. Von tieferen Empfindungen war dabei keine Rede, und als es sich um eine Wahl handelte, da wandte sich das aufblühende Mädchen dem zu, der ihr Jugend und Glück zu bieten hatte. Dieses holde, sonnige Geschöpf gehörte nicht in die dunkle Stunde, wo die Ehre und das Leben eines Mannes zusammenbrachen.

Der schöne, aber kurze Herbsttag neigte sich zu Ende, und die Strahlen der Abendsonne suchten und fanden ihren Weg in das Zimmer. Durch das Bogenfenster wogte ein breiter, goldiger Lichtstrom in das Gemach und erfüllte es mit seltsam verklärendem Schimmer. Raven’s Blick haftete düster auf diesem Lichtglanz. So war der Sonnenstrahl auch in sein Leben gedrungen, hatte eine kurze Zeit lang alles in Gluth und Verklärung getaucht und war dann erloschen, um ihn in Nacht und Einsamkeit zurück zu lassen. Vergebens suchte er sich von der Erinnerung loszureißen oder sie in Bitterkeit zu ersticken, es führte ihn ja doch Alles wieder auf Gabriele zurück; jeder Gegenstand, jeder Gedanke gewann Bezug auf sie. Er hatte abgeschlossen mit der Vergangenheit, mit der Welt und dem Leben, aber die wilde, Alles überfluthende Sehnsucht nach dem einzigen Wesen, das er je geliebt, hielt ihn fest an der Schwelle dieses Lebens. Ein schwerer, qualvoller Athemzug rang sich wie ein Stöhnen aus seiner Brust empor. Er war ja jetzt allein und brauchte die Maske stolzer unnahbarer Ruhe nicht mehr; sie jetzt noch festzuhalten ging über Menschenkräfte. Er preßte die Hand gegen die glühende Stirn und schloß die Augen.

Ewige Zeit war so in dumpfem Hinbrüten vergangen, da wurde leise, fast unhörbar die Thür geöffnet und ebenso leise wieder geschlossen. Raven bemerkte es nicht und regte sich nicht, bis das Rauschen eines Frauenkleides ihn aufschreckte. Er wandte sich um und zuckte zusammen, aber der Aufschrei, der sich seinen Lippen entringen wollte, erstarb und keines Wortes mächtig starrte er die Erscheinung an, die doch nur ein Gebilde seiner Phantasie sein konnte. Ihm gegenüber, mitten in dem Lichtstrome, stand Gabriele, so regungslos, so goldig umwogt von den Strahlen, als sei sie wirklich nur eine Erscheinung, die die glühendste, leidenschaftlichste Sehnsucht herangezwungen hatte, und die in der nächsten Minute so spurlos wieder verschwand, wie sie gekommen war.

Der Freiherr hatte sich erhoben.

„Du – Du bist es,“ sagte er endlich mit stockendem Atem. „Ich glaubte Dich weit entfernt.“

„Ich habe heute Morgen die Residenz verlassen,“ erwiderte das junge Mädchen leise. „Ich bin soeben erst angekommen. Man sagte mir. Du seist in Deinem Zimmer.“

Raven antwortete nicht; sein Blick hing noch immer an der zarten, lichten Gestalt, als könne er nicht an die Wirklichkeit ihrer Nähe glauben. Er wußte nur, daß sie da war – wie, warum, darnach fragte er im Augenblicke nicht. Gabriele schien dieses Schweigen zu mißdeuten; sie stand scheu und ängstlich da, als wage sie es nicht, ihm zu nahen; endlich faßte sie Muth und kam langsam näher.

„Wirst Du mich wieder von Dir weisen, Arno, wenn ich Dir sage, daß Du mir Unrecht gethan hast mit Deinem Verdachte? Ich hätte es längst thun sollen, aber Du stießest mich so rauh, so hart zurück – Du wolltest mich nicht einmal anhören. Da regte sich auch mein Trotz; ich wollte nicht um den Glauben bitten, den Du mir versagtest. Ich,“ sie stand jetzt dicht an seiner Seite und sah bittend zu ihm auf, „ich wußte nichts von jenem Angriff. Erst in der Abschiedsstunde sagte mir Georg, daß er in einen Kampf gegen Dich gehe. Ich drang vergebens in ihn; er wollte sich nicht näher erklären, und wenige Minuten darauf mußten wir uns trennen. Seitdem erfuhr ich kein Wort, keine Silbe weiter, bis zu der Stunde, wo Du mir die Schrift vor Augen hieltest. Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, Du hättest es erfahren. Ich habe Dich nicht verrathen, Arno – gewiß nicht!“

Ihr Antlitz und ihre Stimme trugen deutlich genug den Stempel der Wahrheit. Raven ergriff mit einer heftigen Bewegung ihre Hand. Noch lag die wilde, forschende Unruhe in seinen Zügen, als er Gabriele an sich zog und, ohne ein Wort

[549]

Das „Bratwurstglöckle“ in Nürnberg.
Original-Zeichnung von Georg Nestel.

[550] zu sprechen, ihr in das Auge sah, das mit feuchtem Schimmer, aber klar und fest dem seinigen begegnete. Einige Secunden lang dauerte dieses stumme unverwandte Anschauen; dann beugte der Freiherr sich plötzlich nieder und drückte seine Lippen auf die Stirn des jungen Mädchens.

„Nein, Du nicht!“ sagte er tief aufathmend. „Ich glaube Dir.“

Seine Hand umschloß fester die ihrige. Er sah erst jetzt, daß Gabriele in voller Reisekleidung war, nur ohne Hut und Mantel, die sie bereits abgelegt hatte. Noch war er weit entfernt, die Wahrheit zu ahnen; das bewies seine nächste Frage.

„Wo ist Deine Mutter? Und was veranlaßte Euch zu dieser plötzlichen Rückkehr? Ich erwartete Euch erst in einigen Wochen.“

In dem Gesichte des jungen Mädchens stieg langsam eine tiefe Röthe auf. „Mama ist in der Residenz zurückgeblieben. Ich habe mir die Erlaubniß zu dieser Reise von ihr erzwingen müssen. Sie gab erst nach, als sie sah, daß es doch unmöglich war, mich zu halten. Ich bin nur in Begleitung unseres alten Dieners gekommen.“

Raven folgte ihren Worten in athemloser Spannung; es überkam ihn wie die Ahnung eines grenzenlosen, unaussprechlichen Glückes, aber in demselben Augenblicke trat auch wieder der alte Schatten dazwischen.

„Und Winterfeld?“ fragte er in beinahe schneidendem Tone.

Gabrielens Blick sank zu Boden, und ihre Stimme bebte in schmerzlicher Erregung.

„Ihm habe ich wehe thun müssen, bis in das innerste Herz hinein,“ antwortete sie, „aber er mußte die Wahrheit erfahren, ehe ich zu Dir ging. Georg weiß jetzt, wem meine Liebe allein gehört. Er hat mir mein Wort zurückgegeben; ich bin frei –“

Sie konnte nicht vollenden. Arno hatte sie bereits an seine Brust gepreßt; sie fühlte sich von seinen Armen umfangen, fühlte seine Lippen auf den ihrigen, und alles Andere, auch der Gedanke an Georg’s Schmerz, ging unter in der Seligkeit dieser Minute. Endlich richtete sich Raven wieder empor, aber ohne die Geliebte aus seinen Armen zu lassen.

„Und weshalb eiltest Du gerade jetzt zu mir?“ fragte er. „Du wußtest ja nicht, konntest nicht wissen, was inzwischen geschehen ist.“

Gabriele blickte unter Thränen lächelnd zu ihm auf. „Ich wußte nur, daß eine neue, schwere Gefahr Dir drohte – und da wollte ich bei Dir sein.“

Es klang so einfach und selbstverständlich dieses „da wollte ich bei Dir sein“, aber Raven verstand die ganze unendliche Hingebung, die in den wenigen Worten lag. Er blickte schweigend nieder auf das junge Wesen, das er eben noch so bitter angeklagt, für so schwankend und unselbstständig gehalten hatte und das sich jetzt so entschlossen allen Banden entriß, um an seine Seite zu eilen und mit ihm unterzugehen. Mitten durch all die Nacht, die ihn umgab, brach es wie ein strahlender Triumph, sich so geliebt zu wissen.

Der goldene Lichtstrom verschwand allmählich, als die Sonne tiefer sank, nur einzelne Strahlen suchten sich noch ihren Weg durch das Fenster, endlich erloschen auch diese und nur ein matter, röthlicher Schimmer erfüllte das Gemach, der Abglanz der Abendröthe. Arno und Gabriele achteten nicht darauf. Er hatte sie an seine Seite gezogen und sprach zu ihr, aber nicht von Gefahr oder Untergang – sie hatten beide vergessen, daß so etwas existirte, sie dachten nicht mehr daran. Zum ersten Male lag kein Schatten, kein Mißverständniß zwischen ihnen; zum ersten Male konnten und durften sie einander angehören. Vergangenheit und Zukunft versanken ihnen in diesem Bewußtsein; sie fühlten nur, daß sie sich liebten und daß sie grenzenlos glücklich waren.

„Herr Oberst Wilten,“ meldete der eintretende Diener in gewohnter förmlicher Weise.

Raven sah auf, als werde er aus einem Traume geweckt, und fuhr mit der Hand über die Stirn.

„Oberst Wilten?“ wiederholte er langsam. „Ja so – das hatte ich vergessen.“

Gabriele wurde aufmerksam. „Mußt Du den Oberst heute noch sprechen?“ fragte sie, wie von einer unbestimmten Ahnung ergriffen. „Deine Empfangsstunden sind ja längst vorüber.“

Der Freiherr stand auf. Der eben noch so strahlende Ausdruck seiner Züge war verschwunden.

„Ich habe ihn erwartet; es handelt sich um eine nothwendige Besprechung. – Ich lasse den Herrn Oberst bitten, mich im Salon zu erwarten. Ich bin sogleich bei ihm.“

Der Diener entfernte sich. Ich muß Dich verlassen, Gabriele; „Du weißt nicht, was es mich kostet, Dich jetzt auch nur eine Minute lang von meiner Seite zu lassen,“ sagte er gepreßt, „aber was mir Wilten bringt, muß erledigt werden, wenn ich für den Abend frei sein will. Dann gehören wir uns allein, und dann soll Niemand uns stören. Komm’! Ich geleite Dich in Dein Zimmer!“

Er nahm ihren Arm und führte sie durch die Bibliothek und über den Corridor nach dem anderen Flügel hinüber. Wenige Minuten später trat er in den Salon, wo der Oberst ihn erwartete. Die Unterredung dauerte nur kurze Zeit. Nach kaum einer Viertelstunde verließ Wilten wieder das Schloß, und der Freiherr zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, wo er sich von Neuem an den Schreibtisch setzte. Er hatte die Wahrheit gesagt: es kostete ihn unendlich viel, Gabriele auch nur auf Minuten zu entbehren, und doch entzog er sich ihr auf eine volle Stunde. Sie konnte doch nicht an seiner Seite sein, während er den Abschiedsbrief an sie schrieb. –

Im Schlosse hatte die unerwartete Ankunft der Baroneß Harder allerdings Befremden erregt, um so mehr, als sie ohne ihre Mutter eintraf, aber der alte Diener, der sie begleitete, gab die nöthige Auskunft darüber. Der Freiherr hatte seine Schwägerin und deren Tochter brieflich zu sich gerufen. Die Frau Baronin war aber leider wieder erkrankt und noch zu angegriffen, um die Reise zu unternehmen; sie hatte deshalb das Fräulein vorausgesandt und wollte in einigen Tagen nachkommen. Die Baronin hatte dieses Auskunftsmittel ergriffen, als sie die Unmöglichkeit einsah, ihre Tochter zu halten. Sie selbst war in der That nicht wohl, die Nachrichten des Grafen Selteneck hatten ihr einen erneuten Nervenanfall zugezogen, der sie hinderte, zu reisen, zur großen Erleichterung Gabrielens, die nur zu gut wußte, wie unwillkommen ihre Mutter dem Freiherrn in solchen Stunden war. Sie fügte sich geduldig dem Vorwande, und die einfache, natürliche Erklärung ihrer Abreise fand dort wie hier Glauben.

Der Abend war inzwischen hereingebrochen. Gabriele befand sich allein in ihrem Gemache und harrte auf die besprochene Rückkehr Arno’s. Der Besuch des Oberst Wilten fiel ihr nicht besonders auf, denn vor ihrer Abreise hatten ja so häufig Conferenzen zwischen ihm und dem Freiherrn stattgefunden. Sie hatte das Fenster geöffnet. Träumend lehnte sie in der Fensterbrüstung, als endlich der ersehnte Schritt sich hören ließ. Sie flog dem Kommenden entgegen, und er schloß sie in die Arme, als sei diese Stunde eine endlose Trennung gewesen.

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüthen.

Ein Theolog über die Christlich-Socialen. Der orthodoxe Pastor Todt hat nicht blos in einem vielbesprochenen Buche die erste wirksame Anregung zur Gründung der neuen Secte „Christlicher Sozialisten“ gegeben, es ist ihm in diesem Buche auch eine recht offenherzige und leicht verständliche Andeutung über die eigentlichen Absichten dieser neuerdings so vieles Geräusch erregenden Bewegung entschlüpft. Um nämlich den Eifer der Amtsbrüder für diese jüngste Art pietistischer Wühlerei auf den erforderlichen Wärmegrad zu bringen, giebt ihnen Herr Todt ausdrücklich den Wink, daß „die Geistlichkeit, wenn sie dieser Richtung folgt, einen überwiegenden Einfluß auf die Institution der Völker behaupten werde“. Hierzu bemerkt der berühmte Theologe, Professor und Kirchenrath Schenkel in Heidelberg: Deutlich entlarvt sich in diesen Worten die hinter den Bestrebungen jener socialistische Partei lauernde Herrschsucht. Der ‚christliche Staatssocialismus‘ erklärt damit unumwunden: ‚Unser Reich ist von dieser Welt.‘ Und wenn er gar, wie dies unlängst geschehen ist, die abgenöthigte Enteignung der städtischen Hauseigenthümer zu Gunsten einer socialistischen Wohnungsgenossenschaft in das Programm seiner Vorträge aufnimmt, dann hat er sich auf die schiefe

[551] Ebene eines Communismus begeben, der uns unter der Maske des Christenthums auf’s Widerlichste angrinzt. Dieser Ausblick in die Zukunft ist wahrhaftig nicht erfreulich. Aber der Schleier muß gelüftet werden; die Zeit ist zu ernst und gefahrvoll, als daß wir uns in optimistischen Illusionen wiegen dürften. Aus erhabenem Munde ist in Folge eines ruchlosen Verbrechens, das uns in einen Abgrund sittlicher Verwilderung blicken läßt, das Wort gesprochen worden: ‚Die Religion muß uns helfen.‘ Wer möchte nicht aus vollstem Herzen in dieses Wort einstimmen? Die Religion wird uns aber nur dann helfen, wenn sie sich nicht auf die Irrwege der Hierarchie und des Satzungswesens verirrt, wenn sie auf ihrem eigenen Gebiete verbleibt und mit den ihr eigenen geistigen Kräften, insbesondere im Glauben und mit der Liebe arbeitet, wenn sie weder den Staat beherrschen, noch die Gewissen bevormunden will. Leider scheinen die Diener der Religion in der Mehrzahl jetzt anderer Meinung zu sein. Und so muß es sich denn zeigen, was das deutsche Volk in seinen berufensten und urtheilsfähigsten Vertretern zu der gegenwärtigen so bedeutungsvollen kirchlichen und gesellschaftlichen Krisis sagt.“

Der angeführte Ausspruch gegen eine für unsere Zeit wahrhaft unbegreifliche Wüstheit und Verwilderung religiösen Denkens findet sich am Schlusse eines ausgezeichneten Aufsatzes, den Schenkel im diesjährigen Julihefte der von Richard Fleischer herausgegebenen „Deutschen Revue über das gesammte nationale Leben der Gegenwart“ veröffentlicht hat. Wir können dieser Zeitschrift um solcher und ähnlicher Gaben willen nur weiter das ersprießlichste Gedeihen wünschen. Auch in ihrem neuen Verlage (Otto Janke in Berlin) hat sich die „Deutsche Revue“ den bisherigen Charakter belehrender Gediegenheit und den glänzenden Kreis regelmäßig mitarbeitender Autoritäten für alle Fächer bewahrt, während die Anordnung des Ganzen im Interesse des Geschmackes und der Uebersichtlichkeit wesentliche Verbesserungen zeigt. Namentlich Aufsätze wie der Schenkel’sche – wir heben nur diesen aus einer ganzen Reihe von interessanten Gaben hervor – sollten eine weite Verbreitung in einem Momente finden, wo neben der Fanatisirung und Verthierung der Massen durch den frivolsten Materialismus auch der roheste hierarchische Hochmuth seine Fahne so keck entfaltet, daß vor einiger Zeit in der That ein mecklenburgischer Pastoralverein zur Heilung aller gesellschaftlichen Schäden als höchstes zu erstrebendes Ziel an die deutschen Regierungen die Mahnung zu richten wagte: „Der Ketzerbegriff muß wieder hergestellt werden.“


Das Bratwurstglöckle in Nürnberg. (Mit Abbildung Seite 549.) Zu den persönlichen Eigenthümlichkeiten des echten Nürnbergers gehört auch seine Vorliebe für kleine, engbegrenzte Wirthshausräume. Je niedriger und abgeschlossener dieselben sind, um so traulicher heimeln sie ihn an; eine große lustige Bierhalle nach Wiener, Berliner oder Hamburger Art würde in Nürnberg nur durch den Fremdenbesuch lebensfähig sein, obschon der einheimische Bierconsum den anderer gleich bevölkerter Städte wohl noch übersteigt. So sehen wir denn in allen Stadttheilen besonders beliebte kleine Stammkneipen, und immerhin bieten dieselben auch für den Fremden viel Anheimelndes, vorausgesetzt, daß er dem Tabakrauch nicht allzu abhold ist. Neben der ausgedehnteren, wenn auch niedrigen und winkligen „Wolfsschlucht“ erwähnen wir nur das „Hopfenstöckle“, ein Local, welches in seinen engen Räumen neben den Gelehrten des Germanischen Museums fast Alles versammelt, was mit den künstlerischen und kunstwissenschaftlichen Interessen Nürnbergs zusammenhängt. Doch besser als „Wolfsschlucht“, „Hopfenstöckle“, „Weichselbäumchen“, „Baumwolle“, „Bernleinhuber“, „Himmelsleiter“ etc. ist auswärts das „Bratwurstglöckle“ gekannt; es hat sich den Rang einer Nürnberger Sehenswürdigkeit und damit das Recht erworben, ein Plätzchen in der „Gartenlaube“ einzunehmen.

Auf der Sebalder Seite der Stadt findet der Wanderer in der Nähe der Sebaldus-Kirche die alte Moritz-Capelle und an die Hinterwand derselben als Anbau gelehnt ein langes, schmales Häuschen, und das ist das Wurstglöckle. Es gewährt schon von außen einen höchst romantischen alterthümlichen Anblick. Die nächste Umgebung des Platzes selbst, gebildet durch die Sebaldus-Kirche, die Moritz-Capelle, den prachtvollen Erker des Pfarrhofes und den Dürer-Platz mit dem Dürer-Denkmal, giebt einen überraschenden Rahmen ab für das kleine, trauliche Bild dieses Anbaues mit seinen „Butzenscheiben“ (runde in der Mitte mit Buckel versehene und in Blei gefaßte Scheiben), seinen grünen Fensterladen und seinem Wahrzeichen: dem blauen Glöckle mit der Jahreszahl 1440.

Gegen die Richtigkeit dieser Jahrzahl als Angabe der Gründungszeit des originellen Wirthshäuschens erheben die gelehrten Forscher Nürnbergischer Geschichte allerdings Einspruch. Urkunden sprechen nirgends für ein so ehrwürdiges Alter desselben, und wie gern man sich auch Albrecht Dürer und seine großen Zeitgenossen hier als Stammgäste denken möchte, so gehen die beglaubigten Nachrichten über das Bestehen des Wurstglöckchens doch nicht über die zweite Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts zurück. Erst Delsenbach stellt es uns gegen 1700 in seinem großen Kupferstichwerke über Nürnberg dar. Daß es aber zu dieser Zeit in der That schon als „Bratwurstglöckle“ existirt, beweist uns sein ausgehängtes Wirthszeichen, welches neben der Glocke einen Kochlöffel als Wahrzeichen culinarischer Genüsse führt. Zur nähern Bezeichnung dieser Genüsse (Metzelsuppe und Bratwürste) sehen wir auf dem Bilde den Wirth ein fettes Schwein seinem Hause zutreiben. –

Das Häuschen macht schon von außen durch seine Sauberkeit in Bauart und Anstrich einen höchst einladenden Eindruck auf den Besucher, und ebenso werden wir beim Eintritt in das einzige Gemach des Hauses durch die echt alterthümliche Einrichtung desselben unwillkürlich gefesselt. Rings von den Gesimsen blinken in peinlichster Sauberkeit zinnerne Schüsseln und Kannen. Alte Bilder – zumeist auf Nürnbergs Vorzeit sich beziehend – schmücken in seltenen Exemplaren die Wände. Den großen Kachelofen umgiebt die trauliche Bank, in Wintertagen ein gern gesuchter Platz. Die große Tafel über dem Fenster, hinter dessen weißen Gardinen das hübsche Gesicht der Wirthin den neu eingetretenen Gast mustert, erzählt uns des Ausführlichen von Adam Krafft, Albrecht Dürer, Veit Stoß, Hans Sachs und wie all die berühmten Nürnberger heißen mögen, welche seit Jahrhunderten das Bratwurstglöckle als Stammgäste besucht haben sollen. Draußen in der engen Küche prasseln delicate Würste auf dem Rost, brodelt das Kraut in mächtigen Töpfen, in dem kühlen Gelaß der entgegengesetzten Seite aber sprudelt die erfrischende Bierquelle. Alles ladet zum traulichen Niedersitzen auf den alterthümlichen Sesseln, an den sauber gescheuerten Tisch ein.

Gar oft ist, besonders in den Stunden des Frühschoppens, das kleine Gemach überfüllt. Der Stammgast und der wißbegierige Fremdling nehmen theils stehend, theils sitzend, wie die Gelegenheit es bietet, ihr Frühstück ein, das hier ausschließlich aus Bratwurst, Sauerkraut und Bier besteht. Zur Reisezeit wechselt in dem engen Raum eine Gesellschaft, die man sich nicht bunt genug vorstellen kann. Mehr als die Güte des von Küche und Keller Gebotenen hat der Ruf der kleinen Kneipe dieselbe zu einer Goldquelle gemacht; die ganze Baulichkeit ist nur wenige hundert Gulden werth, aber ihr Preis ist schon auf vierundzwanzigtausend Gulden geschätzt worden. Auch das gehört zur Curiosität dieser lustigen Sehenswürdigkeit der alten lieben Frankenstadt.

K. U.


In den „Drei Mohren“ zu Lermoos.

 „Ist’s Land der Schweizer? ist’s Tirol?
 Dies Land und Volk gefiel mir wohl!“

Die heil’gen drei König aus Mohrenlanden
Den Weg nach Bethlehem leichtlich fanden,
Folgten andächtig dem güldenen Stern,
Trafen in seiner Krippe den Herrn,
Beteten an, und opferten willig,
Gewannen die Seligkeit, wie billig,
Nahmen auch mit sich des Segens g’nug:
Also lehrt es der Bücher Buch.
Aber bisher hat Niemand vernommen,
Ob sie nach Hause sind wied’rum gekommen;
Darum, ihr Leute, merket wohl:
Da sie erreichet das Land Tirol
Nach tagelangem beschwerlichen Wandern,
Sagte der Eine zu den zwei Andern:
„Seht, wie lieblich dies Land zu schauen;
Hier laßt uns rasten und Hütten bauen!“
Drauf entgegnet – ich weiß nicht welcher —
Kaspar, Balthasar oder Melcher:
„Amen, College, Dein Rath ist klüglich.“
Und auch der Dritte schmunzelt vergnüglich,
Und sie siedelten an sich gleich
Im benedeieten Oesterreich;
Nahmen Weiber, gewannen Kinder,
Buben und dralle Mägdlein nicht minder,
Welches dann all’ sind Tiroler worden:
(Dürft euch drum wundern nicht so sehr,
Daß es dort giebt der „Schwarzen“ mehr
Als sonst in Deutschland in Süden und Norden:
’s stammt noch so von den Vätern her)
– Und daß sie das Thal just von Lermoos erkoren,
Weis’t klar das Wirthshaus zu den „Drei Mohren“.
Der Du dies Obdach gewählt Dir hast,
Spürst Gottes Segen, willkommner Gast;
Sicher und weich wie in Abraham’s Schooß
Bettest Dein Haupt Du hier zu Lermoos;
Wärmer dringt hier in’s Herz hinein,
Voller und freud’ger der Sonnenschein,
Und nebelt’s draußen: hierorts, Gesell,
Bleibt Dir’s in Busen und Kopf doch hell.
Also den Segen mit off’ner Hand
Spenden „Drei Kön’ge aus Mohrenland“. –

Wer aber hat uns dies Märlein erlesen?
’s sind die Terlaner Wein-Geister gewesen –
Und weil im Weine stets Wahrheit ist,
Könnt dreist Ihr’s glauben, Jud’, Heide und Christ.

Richard Schmidt-Cabanis.


Der Verein deutscher Lehrerinnen in England. Dieser Verein hat seit der kurzen Zeit seines Bestehens – er wurde vor zwei Jahren gegründet – einen solchen Aufschwung genommen, daß es wohl an der Zeit sein dürfte, auf seine Wirksamkeit und seine Ziele aufmerksam zu machen. Jeder weiß, daß alljährlich viele deutsche Lehrerinnen nach England wandern, um hier ihre Kenntnisse höher als im Vaterlande zu verwerthen. Die Meisten kommen ohne eine klare Vorstellung der Verhältnisse, in die sie sich begeben, und der Anforderungen, die an sie gestellt werden. Viele kommen ohne die nöthigen Kenntnisse; Alle glauben, es genüge, in London zu sein, um gleich eine passende Stelle mit entsprechend hohem Gehalte zu finden. Die Zeitungen sind ja voller Anzeigen voll Stellungen, welche zu besetzen sind – durch Agentinnen, und Wohnung findet man vorläufig in einem der vielen „Homes“ für Lehrerinnen. Daß die Agentin fünf oder gar sieben Procent des ersten Jahrgehaltes beansprucht, außer den bei der Anmeldung sofort zu entrichtenden Einschreibegebühren, daß sie für jede zu besetzende Stelle wenigstens [552] ein Dutzend Bewerberinnen auf ihren Büchern hat, daß die meist unbemittelte deutsche Lehrerin oft genug Wochen, ja Monate auf eigene Kosten in London leben muß, ehe sie eine Stelle findet – das steht nicht in den Zeitungen; ebenso wenig, wie elend die „Homes“ meistens sind und in was für unangenehme Gesellschaft die Lehrerin oft genug dort geräth, wo sie für ihr sauer erworbenes Geld kaum anständig gespeist wird.

Die Agentin und die „Homes“ überflüssig zu machen, dazu haben die deutschen Lehrerinnen sich vereint, sie streben gemeinsam nach Befreiung von einem Uebel, das ebenso entwürdigend wie drückend für ihren Stand ist. Der Gedanke der Selbsthülfe hat solchen Anklang gefunden, daß der Verein sich der lebhaftesten Theilnahme erfreut. Deutsche und englische Künstler, Herr Joachim an der Spitze, gaben im Mai ein Concert zu seinem Besten und legten damit den Grund für das zu errichtende „Daheim deutscher Lehrerinnen“. Unser Kaiser und andere fürstliche und Privatpersonen haben namhafte Beisteuern gesandt; viele Ehrenmitglieder zahlen jährliche Beiträge, und so hofft man bald im Stande zu sein, ein Vereins-Daheim eröffnen zu können. Bis jetzt hat der Verein nur ein Nachweisungsbureau, 12 Wyndham Place, Bryanston Square, London, wo ein Mitglied, Fräulein Maulere, als Secretärin des Vereins, die Vermittlung zwischen den Familien und den Stellesuchenden übernimmt. Ein anderes Mitglied besorgt die Versendung der im Verein gehaltenen deutschen Zeitschriften, und ein drittes Mitglied leitet als Rechnungsführerin, unter gütiger Mitwirkung zweier in London wohnender Herren, die Geldgeschäfte. Jedes Mitglied zahlt einen Beitrag von fünf Mark und bei Annahme einer Stelle zwei Procent an die Krankenkasse des Vereins, zum Vortheil bedürftiger Lehrerinnen. Die Verwaltung des Ganzen liegt in den Händen eines Rathes von sieben Damen, für deren Wohlberathensein der schnelle Aufschwung des Vereins, das beste Zeugniß ablegt.

Jetzt handelt es sich darum, dem Vereine auch außerhalb Englands einen Wirkungskreis zu schaffen. Tausende von deutschen Familien leben in allen Welttheilen zerstreut, und viele würden gewiß gern eine deutsche Lehrerin bei sich aufnehmen, wenn sie die Garantie hätten, eine wirklich gediegen vorgebildete junge Dame zu erhalten. Nun: der Verein deutscher Lehrerinnen in England bietet sie ihnen. Es werden nur Damen mit den besten Zeugnissen, welche außerdem noch persönlich von einem Mitgliede empfohlen sind, aufgenommen. England ist mit deutschen Lehrerinnen überfüllt. Wenn auch die angesehensten englischen und deutschen Familien hier, deren Damen als Ehrenmitglieder an der Spitze des Vereins stehen, ihre Lehrerinnen durch denselben beziehen, so reicht dies nicht aus, um alle Stellesuchenden unterzubringen. Darum an alle im Auslande lebenden Deutschen und Nichtdeutschen die Aufforderung, den „Verein deutscher Lehrerinnen in England“ fördern zu helfen und ihm die Unterstützung von Seiten der Familien zu gewähren, wie sie ihm so reichlich in England geschenkt wird.

C. E. Hartwig.


Für Mütter. Wichtige Kleinigkeiten. Diesmal zunächst etwas über Klystierspritzen. Das jetzige Geschlecht ist im Durchschnitt leider auf künstliche Ernährung angewiesen; im Anfang Kuh- oder Schweizermilch in genau bestimmter Verdünnung, später ein Zusatz von Nestle-Mehl, das sind die gebräuchlichen Ersatzmittel der Muttermilch, ohne sie jedoch vollständig ersetzen zu können. Verdauungsstörungen finden sich beinahe immer, Trägheit der Därme, langsamere Fortbewegung des Inhaltes, verbünden mit Aufgetriebenheit des Leibes sowie hartem Stuhlgang und Verstopfung durch stärkere Aufsaugung der wässrigen Bestandtheile, sind die fast regelmäßige Folge, nur unterbrochen durch Diarrhöen, welche durch die in Gährung gerathenen Massen entstanden sind. Gegen diese fortdauernde Verstopfung erweist sich das Klystier als das einfachste und unschädlichste Mittel. Der Darminhalt wird durch Anwendung desselben erweicht und dadurch eine raschere Bewegung desselben angeregt. –

Wie soll nun das Klystier gegeben werden? Hier müssen wir vor Allem auf einen Fehler aufmerksam machen, welcher von uns bisher an jeder Spritze gefunden wurde. Wir meinen die Anwendung eines festen Hornansatzes, welcher auf das Ende der Spritze gesteckt und in den Darm eingeführt wird. Dies Einführen der harten unnachgiebigen Spitze ist, vorzüglich in ungeübten Händen, nichts weniger als ungefährlich; Verletzungen, ja Durchstoßungen der Darmschleimhaut oder ihrer Falten sind als eine Folge der Benutzung solcher Hornansätze öfter beobachtet. Man lasse sich beim Kauf der Spritze daher stets einen nicht zu kurzen, dünnen biegsamen Ansatz mitgeben, welcher, gut eingeölt, drei bis vier Centimeter weit eingeführt, keine Verletzungen verursachen kann. Das Kind liegt dabei auf dem Leibe und bleibt auch noch eine Zeitlang zugedeckt in dieser Lage. Ferner hüte man sich, zu viel einzuspritzen, mehrere Eßlöffel von reinem lauem Wasser genügen vollständig; nur bei stärkerer Verstopfung versetze man dasselbe mit gewöhnlichem Oele. Der Nützlichkeit des Klystiers bei Diarrhöen wurde schon früher, namentlich von unserem Bock, mehrfach Erwähnung gethan. Ein Wasserklystier oder einige innerlich gegebene Theelöffel Ricinusöl entleeren zuerst die vorhandenen gährenden Massen, während gekochte Stärke später die entzündeten sich zu heftig bewegenden Därme beruhigt. – Die in letzter Zeit sehr in Aufnahme gekommenen Druckspritzen mit Schläuchen können wir für die Kinderpraxis nicht empfehlen; es wird theils leicht zu viel eingespritzt und lassen sich andererseits medicamentöse Stoffe oder Stärkeklystiere schwer anwenden. Die Furcht, daß ein Kind bei öfterer Wiederholung sich an das Klystier gewöhne, ist unberechtigt.

Soviel über das Klystier! Nun noch einige Worte über eine kleine sehr verbreitete Unsitte. Die kleinen Familienmitglieder pflegen in der Frühe ziemlich zeitig zu erwachen und äußern dann meist ziemlich kräftig ihr Verlangen aufzustehen. Diesem Wunsche wird auch gewillfahrtet; oberflächlich angekleidet werden die Kleinen oft eine geraume Zeit sich selbst überlassen, bis genügende Zeit vorhanden, um mit Ruhe das Baden oder die große Wäsche vorzunehmen. Wir müssen in diesem Verfahren die Quelle häufiger Erkältungen suchen. Die Bettwärme hat die Blutgefäße der Haut erweitert; noch warm kommen die Kinder in die kältere oft zugige Zimmerluft – was Wunder, wenn eine Verkühlung eintritt, das Blut nach den inneren Organen getrieben wird und vorzüglich bei reizbarem Körper Lungenentzündungen und Katarrhe entstehen. Wir rathen daher jeder Mutter direct beim Herausnehmen des Kindes mit einem in abgestandenes kaltes Wasser getauchten Lappen oder Schwamm rasch über Gesicht, Hals, Brust und Rücken desselben wegzufahren und darauf die so befeuchteten Körpertheile gehörig abzutrocknen. Das Kind wird auf diese Weise abgehärtet und gegen Erkältung gefeit.

Dr. –a.–


„Hinaus in die Ferne!“ Reisehandbücher sind ein fruchtbarer Literaturzweig der Gegenwart geworden, seitdem der Dampf Wagen und Schiffe bewegt und alle Entfernungen, die er beherrscht, uns um das Acht- bis Zehnfache verkürzt hat. Früher zählte man diejenigen welche „reisen konnten“, zu den Ausnahmen jedes Orts, jetzt sind’s diejenigen, welche immer daheim bleiben; so ist das Reisehandbuch zugleich ein Erzeugniß und ein Bedürfniß dieser durch den Dampf gehobenen neuen Zeit geworden. – Die beiden Hauptpfleger dieser Branche, Bädeker und Meyer, bedürfen für ihre Reisebücher keiner Empfehlung; dagegen sind wir unserem Publicum die Aufmerksamkeit schuldig, auf wesentliche Verbesserungen der letzteren hinzuweisen. Von den Meyer’schen, die uns vorliegen und die in die größeren „Führer“ und die kleinen „Wegweiser“ zerfallen, sind die „Führer“ durch Italien auf sechs Bändchen, je zwei für Ober-, Unter- und Mittelitalien, angewachsen; daneben steht der „Wegweiser“: Italien in fünfzig Tagen. In Frankreich theilen sich zwei „Führer“: der für Paris mit Nordfrankreich und der für Südfrankreich. Großbritannien und die Schweiz nehmen je einen, aber einen starken „Führer“ in Anspruch; für die Schweiz steht noch ein „Wegweiser“ bereit. Oesterreich, das bisher nur durch „Wien“ vertreten war, findet in dem ganz neuen „Führer“ durch die „Deutschen Alpen“ besondere Beachtung hinsichtlich aller seiner Alpenländer. Mit demselben ist nun auch Deutschland in sechs Bänden vertreten, von welchen zwei auf Norddeutschland und je einer noch auf Süddeutschland, die Rheinlande und Thüringen kommt und die zusammen nicht weniger als hundertvier Karten, siebenzig Pläne, vierunddreißig Panoramen und zweihundertdreiundvierzig Ansichten in Stahlstich und Holzschnitt enthalten. Neben diesen „Führern“ stehen den Reisenden noch die vier „Wegweiser“ durch Thüringen, durch den Harz, durch das Riesengebirge und durch den Schwarzwald, Odenwald, die Bergstraße und Heidelberg zu Gebote. – Von anderen empfehlenswerthen Reisewerken nennen wir vorläufig noch folgende: Dr. Eduard Amthor hat der in seinem Verlage erschienenen vierten verbesserten und vermehrten Auflage seines schon 1868 in der „Gartenlaube“ ausführlich besprochenen „Tirolerführers“ eine Kunstbeilage von dreiundzwanzig Blättern, Karten, Panoramen und Stadtplänen beigefügt. An seinen und Jabornegg’s „Kärnterführer“ schließen sich ergänzend Tom. Koschat’s „Dorfbilder aus Kärnten“ (Leipzig, Leuckart) an, der auch den dortigen Volksgesang, den schönsten der Alpenwelt, mit Glück pflegt. – Als vortreffliche, wenn auch nicht neueste Bücher verdienen Adolph Bühler’s „Historisch-topographischer Führer durch Salzburg“ (Reichenhall, H. Bühler) und Dr. C. A. Scherner’s „Tatra-Führer“ (zwei Bändchen, Breslau. A. Kiepert) genannt zu werden. Endlich schließt der Prager Professor Moritz Willkomm der Reiselust auch den „Böhmerwald“ (Prag, C. Bellmann) in einem zwar bescheiden illustrirten, aber mit sichtlicher Liebe zum Gegenstand geschriebenen Werkchen auf.

Fr. Hfm.


Noch einmal „Heil Dir im Siegerkranz!“ Unter Anknüpfung an unsern kleinen Artikel über die Entstehung des Liedes „Heil Dir im Siegerkranz“ erhalten wir von unserm alten Mitarbeiter Theodor Drobisch die nachfolgenden historischen Daten zu dem Thema.

„Das Lied,“ schreibt uns der Genannte, „wurde zum ersten Male im Jahre 1795 im Nationaltheater zu Berlin gesungen. Was die Melodie betrifft, so wird behauptet, Henry Carrey habe sie am Vorabend der Insurrection zu Gunsten des Kronprätendenten Jacob Stuart von 1715 componirt. Der Aufstand schlug fehl, und die Melodie schlummerte bis zum Siege des Admirals Vernow 1740, wo der Componist bei einem Gelage das Lied sang, doch statt Jacob’s den Namen Georg setzte. 1745 ließ es Dr. Arne, als ein neuer Kronprätendent auftrat, im Drurylane-Theater zum ersten Male singen. 1743 starb der Componist. Die Franzosen behaupten, daß Cally (1697 in Paris) ein Lied: ‚Grand Dieu sauvez le Roi!‘ für die Schüler in St. Cyr componirt, und daß Händel die Melodie desselben im Jahre 1714 für Georg den Ersten arrangirt und den Text ‚God save the King‘ veranlaßt habe.



Kleiner Briefkasten.

Vielen Fragestellern zur Antwort, daß das längst verheißene Lebensbild des unvergeßlichen Begründers der „Gartenlaube“ in einer der allernächsten Nummern unseres Blattes erscheinen wird.

A. M. in Berlin. Allerdings! Durch jede Buchhaltung.

Junges Menschenkind! Lernen Sie etwas Tüchtiges und vertreiben Sie sich die Zeit mit Besserem, als mit Reimeschmieden, das nur der Eitelkeit schmeicheln, aber Sie schwerlich glücklich machen wird! Man kann auf der Welt gar nichts Unnützeres treiben, als die Millionen der schlechten Verse noch zu vermehren. Die besten Wünsche!

Fr. v. M. in Str. Wenn Sie es ernst mit dem Wunsche nehmen, sich der Krankenpflege zu widmen, so bietet sich Ihnen besonders vortheilhaft die neue Anstalt in Bremen, in welcher Damen jeden Standes praktisch und theoretisch zu Krankenpflegerinnen ausgebildet werden. Die Oberin ist Fräulein Louise Meyer aus Lippstadt, der dirigirende Arzt der Anstalt Dr. Goering.


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Wir machen bei dieser Gelegenheit unsere Leser gern auf die in Bremen im Verlag von J. G. Heyse im Jahre 1865 erschienene treffliche Uebersetzung der meisten Gedichte Bryant’s von Adolf Laun aufmerksam.
    D. Red.