Die Gartenlaube (1879)/Heft 35
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No. 35. | 1879. |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.
„Kinderraub am hellen Tage!“ rief die Frau mit ihrer markigen, tiefen Stimme. Sie schob die Kammerjungfer, welche Miene machte, sich ihr zu nähern, mit einer einzigen Bewegung bei Seite, trat weit ausschreitenden Ganges in den Garten und legte das schreiende Kind in die Arme der herbeieilenden Deborah. Dann kehrte sie ihr Gesicht den draußen Stehenden wieder zu, unbeweglich, wie eine Mauer den Rückzug der Wärterin deckend. Ihre mächtige Gestalt füllte nahezu den Thürrahmen.
Es war in der weiten, düsteren Hausflur des Klostergutes gewesen, wo sich diese zwei Frauen schon einmal gegenüber gestanden – die eine sylphenhaft und seidenrauschend, mit dem Schleier über dem Gesicht und dem im spärlichen Lampenlicht auffunkelnden Armschmuck an den Handgelenken – die andere, majestätisch trotz der Küchenschürze, mit dem vollen Haardiadem über der Stirn und den zermalmenden Worten eines Fluches auf den Lippen.
Diesmal flog der Schleier vom Gesicht der kleinen Dame, und ihre Augen funkelten feurig.
„Sie werden mir augenblicklich aus dem Wege gehen, Madame,“ sagte sie mit wuthzitternder Stimme. Sie stampfte den Boden mit dem kleinen Fuß und hob die Hände, um die Frau auf die Seite zu schieben und ihre eigene kleine Person in den Eingang zu zwängen.
„Berühren Sie mich nicht! Ich rathe es Ihnen,“ versetzte die Majorin, ohne sich zu bewegen, mit einem kalten Blick auf die leidenschaftlich gestikulirenden, schlanken Arme.
„Ah, wollen Sie mich mit Ihren großen, groben Küchenhänden zerbrechen?“ lachte die kleine Frau impertinent. „Ich fürchte mich nicht, wie Sie wissen. Ich habe Ihnen schon einmal mit diesen meinen Fingern, die Sie nicht für würdig halten, Ihre hochheilige Person zu berühren, ein Schnippchen geschlagen, an das Sie zeitlebens denken werden.“
„Sie haben wohl am wenigsten Ursache, zu triumphiren – meine Aussprüche haben sich bewahrheitet,“ erwiderte die Majorin zwischen den Zähnen hervor, mit einem Blick nach dem geschniegelten jungen Herrn, der, am offenen Wagenschlag stehend, ein so martialisch entrüstetes Gesicht machte, als wolle er die Widersacherin seiner Dame ohne Weiteres aufspießen.
Lucile sah flüchtig über die Schulter zurück.
„Bah, mein Secretär!“ sagte sie obenhin und wandte ihm wieder den Rücken, um auf’s Neue eine Bresche in den Garteneingang zu erzwingen.
Deborah’s fortgesetzte Alarmrufe klangen bereits entfernter; sie lief offenbar nach dem Säulenhause zu. Aber die Wegstrecke bis dahin war eine sehr lange – noch schien es möglich, der Wärterin das Kind abzujagen.
„Gott im Himmel, stehen Sie doch nicht so dumm und einfältig da, Forster!“ rief Lucile, abermals mit dem Fuße stampfend, nach dem Secretär zurück. „Allons – hinein müssen wir.“
Der Secretär stand mit einem Sprung dicht vor der Majorin und drückte sich herausfordernd den Cylinder fester auf den Kopf.
„Madame –“
„Ich bin die Majorin Lucian, mein Herr, wenn Sie meinen Namen wissen wollen, und – in den Garten kommen Sie nicht,“ sagte sie, wie festgewachsen auf der steinernen Schwelle verharrend. Sie hob nur den rechten Arm, um Lucile, die ebenfalls auf sie einstürmte, wie ein stechendes Insect von sich abzuwehren.
Die kleine Frau taumelte in die Arme ihrer Kammerjungfer. Sie war außer sich und lachte hohnvoll auf wie eine Bacchantin. „Ei ja, haben Sie immerhin Respect, Forster! Die Dame da in der blauen Küchenschürze, die sich vor dem Eingang aufgepflanzt hat wie der Engel mit dem feurigen Schwerte vor dem Paradiese, ist allerdings Major Lucian’s geschiedene Frau, das Bauernweib vom Klostergute, das mit Butter und Eiern handelt, die böse Sieben [WS 1], die Ehemann und Sohn in die Welt hinausgejagt hat.“
Sie trat wieder näher an die Majorin heran. „Fi donc, Madame, Sie sollten sich der infamen Rolle schämen, die Sie da wieder spielen! Aber was Wunder – es ist ja doch nur die Consequenz Ihres erbärmlichen Charakters, wenn Sie eine Mutter verhindern, in den Besitz ihres Kindes zu gelangen und ihr unbestrittenes Recht –“
„Wohl nicht so unbestritten, da es gestohlen werden muß,“ fiel die Majorin mit convulsivisch bebenden Lippen ein. Vom Garten her wurden jetzt Männerstimmen laut; Deborah rief nicht mehr um Hülfe; dafür schienen Menschen aus allen Richtungen zu kommen; denn man hörte hastig heranstürmende Schritte auf den Kieswegen. Lucile fuhr aufhorchend empor und schwang sich mit einem elastischen Sprung aus den Wagentritt.
„Himmelelement, da haben wir die Bescheerung – die Häscherbande kommt,“ rief sie grimmig. „Bah, für diesmal wäre das Spiel verloren, dank Ihrer gütigen Einmischung, wertheste [578] Frau Schwiegermutter. Die Bosheit hat gesiegt – prosit, wohl bekomm es Ihnen, verehrte Frau! Ein anderes Mal lache ich.“
Sie machte einen spöttischen Bühnenknix voll unvergleichlich drastischer Komik, sprang in den Wagen und warf sich in die Polster.
„Vorwärts!“ commandirte sie mit ihrer hochliegenden Stimme; die Pferde zogen an, und der unglückliche Secretär, der sich nach der Kammerjungfer eben auf den Tritt geschwungen hatte, taumelte auf den Vordersitz des davonbrausenden Wagens.
Die Majorin blieb auf der Schwelle stehen, als gelte es den Eingang zu hüten, bis auch das letzte, fernste Räderrollen der Equipage verhallt war. Sie wandte nur das Gesicht in den Garten hinein, wo Paula auf dem Arm ihrer schwarzen Wärterin unaufhörlich weinte und nach „Mama“ und der „wunderschönen, großen Schreipuppe“ verlangte, die ihr Minna versprochen habe.
Ein Menschentrupp hatte sich um Deborah geschaart und verlangte Auskunft über das, was eigentlich geschehen. Die Leute, wie sie sich herandrängten, der Gärtner, der Stallknecht und verschiedene weibliche Dienstboten des Schillingshofes, sie hörten dem überstürzten, athemlos hervorgestammelten Bericht der Schwarzen mit total verblüffter, verständnißloser Miene zu. Die kleine gnädige Frau habe ihr eigenes Kind stehlen wollen – darauf sollte sich Einer einen Vers machen. Das war doch zu lächerlich. Deborah vergaß vor Schrecken alle Vorsicht, und Jack, der vom Säulenhaus herbeigestürmt war, in seiner Wuth ebenfalls.
„Das hat Canaille Minna ausgeheckt,“ rief er. „Ist immer da hinausgegangen bei Besorgungen in der Stadt – hat gewußt, daß klein Paula Morgens immer dort spielt, allein mit Deborah.“
Donna Mercedes kam flüchtigen Ganges quer über die Wiesenflächen. Sie war im weißen, duftig flatternden Morgenkleide – es war, als schwebe eine Lilie [WS 2] daher.
Deborah eilte ihr mit der kleinen Paula entgegen und wiederholte unter angstvollen Geberden ihre Erzählung – sie zitterte sichtlich unter dem Blick der großen, flammenden Augen.
Das schöne Antlitz der Herrin wurde todtenblaß und ihre Brauen zogen sich finster und drohend zusammen, aber sie verlor die Geistesgegenwart nicht, – wie ihre Leute. Sie unterbrach mit kurzen, leisen Worten und einem Handwinken den Bericht, und als die Schwarze verstummend nach der Mauerthür zeigte, in deren Rahmen die Majorin noch stand, da nahm sie das Kind, das beim Erblicken der Tante ruhiger geworden war, vom Arm der Wärterin, stellte es auf die kleinen Füße und führte es direct der Frau zu, die seine Entführung verhindert hatte.
Diesmal wich die Majorin nicht zurück; sie ging im Gegentheil Donna Mercedes um einige Schritte entgegen, und diese Dame war ganz frappirt von der königlichen Haltung, dem würdevollen, edlen Gang der Frau. Sie hatte in der That die blauleinene Kochschürze über ihrem dunklen Wollenkleide; im Drang des Augenblickes waren ihr weder Zeit noch Ueberlegung verblieben, sie abzuwerfen, und auch jetzt schien sie durch das Begebniß viel zu sehr in Anspruch genommen, um zu bedenken, daß sie wie eine Magd auf fremdem Terrain, einer hocheleganten Dame gegenüber stehe. Eine feine Röthe innerer Erregung brannte auf ihren Wangen.
„Ist Ihnen das kleine Mädchen anvertraut worden, Fräulein, dann werden Sie es in Zukunft besser hüten müssen,“ sagte sie kurz mit harter Stimme. „Es möchte sich nicht immer so treffen, daß Hülfe nahe ist, wie es eben der Fall war.“
„Einen solch perfiden Streich von Seiten der Mutter konnte Niemand voraussehen,“ antwortete Donna Mercedes, peinlich berührt von dieser unverhüllten Rüge. „Ich hüte die Kinder wie meinen Augapfel.“
Die Majorin ließ einen scharfprüfenden Blick über die junge Dame hingleiten. „Sie sind die Gouvernante?“ fragte sie zögernd und etwas unsicher.
Ein leises, ironisches Lächeln stahl sich um Donna Mercedes’ Mund. „Nein – ich bin die Tante.“
Die Majorin trat unwillkürlich zurück. „Ach so – also auch eine Fournier?“ warf sie verächtlich hin, und ihre Augen hefteten sich ausdrucksvoll auf das spitzenbesetzte Morgenkleid, als wollten sie sagen: „Auch Theaterplunder!“
Donna Mercedes erröthete vor Unwillen. „Ich muß sehr bitten,“ entgegnete sie entrüstet. „Jener Familie habe ich nie angehört, weder dem Blut, noch dem Namen nach. Ich stelle mich Ihnen als Frau de Valmaseda vor.“
Ein richtiger Instinct hielt sie ab, dieser geschiedenen Frau jetzt schon, in einem Moment der Aufregung, zu sagen, daß sie Felix Lucian’s Stiefschwester sei. Eine derartige Annahme schien aber auch der Majorin vollkommen fern zu liegen. Sie forschte nicht weiter, weil sie offenbar mit brennender Ungeduld eine andere Frage zu lösen wünschte. Man sah, sie rang nach einem möglichst unverfänglichen Ausdruck, und plötzlich sagte sie. „Die Person, die da eben fortgefahren ist –“
„Sie meinen Lucile Lucian, geborene Fournier?“
Die Augen der Majorin funkelten erbittert auf – ihrem Ohr war diese Namenverbindung jedenfalls noch genau so verhaßt, so entsetzlich demüthigend, wie an jenem Abend, da sie den einzigen Sohn um seiner Wahl willen verstoßen hatte. Aber sie bezwang sich. „Ich wollte fragen, ob sie getrennt lebt von – von ihrem Manne?“
Donna Mercedes fühlte, wie ihr alles Blut zum Herzen zurücktrat – sie schauderte. Diese Mutter da, welche Liebe und Reue unwiderstehlich auf den Weg der Umkehr drängten, sie war völlig ahnungslos, daß es zur Buße zu spät sei, daß sie keinen Sohn mehr habe, zu dem sie in beglückender Verzeihung sagen konnte. „Komm an das Mutterherz zurück!“ Mit weggewendetem Blick, barsch und rauh hatte sie die Frage hingeworfen – noch wogte ein starker Rest von Trotz und Unbeugsamkeit in dem Gefühlssturm mit – aber ein kaum zu unterdrückendes Frohlocken sprach aus ihren Zügen, lag in der athemlosen Spannung, mit der sie auf die bejahende Antwort horchte. Sie glaubte das unwürdige Band gelöst und hoffte auf eine doppelt frohe Wiedervereinigung mit dem Sohn, nachdem das verhaßte Element ausgestoßen war....
„Nun, warum sprechen Sie nicht?“ fragte sie heftig und trat so dicht an Donna Mercedes heran, daß diese meinte, sie höre das starke, stürmisch bewegte Herz der Frau klopfen. „Hörten Sie denn nicht, was ich fragte? Ich will wissen, ob er sich von jenem unseligen Geschöpf getrennt hat –“
„Ja – aber in anderer Weise, als Sie denken,“ versetzte Donna Mercedes stockend; ein tiefes Mitleiden, ein inniges Erbarmen umflorte diese schwachen Töne.
Das Gesicht der Majorin wurde plötzlich fahlweiß bis in die Lippen, und die hochgehobenen Brauen falteten sich wie in Entsetzen über den starr aufgerissenen Augen.
Donna Mercedes ergriff ihre Hände und zog sie mit einem thränenfeuchten Aufblick an sich. „Glauben Sie, Felix würde seine Kinder allein hierher geschickt haben? – Er würde, nachdem sein Knabe das Zeichen Ihrer Verzeihung heimgebracht, nicht sofort hinübergestürzt sein –“
„Todt!“ stöhnte die Majorin auf. Sie riß sich los, fuhr mit beiden Händen nach dem Kopfe und stürzte plötzlich auf den Boden, wie ein Baum niederschmettert, den die Säge über der Wurzel durchschnitten hat.
Die herbeigelaufenen Leute des Hauses hatten sich inzwischen entfernt; nur Deborah war geblieben. Sie kam erschrocken herbei und half ihrer Herrin die Gestürzte aufrichten. Die Majorin war nicht bewußtlos – es war die grauenvolle Wucht des unerwarteten Schlages gewesen, die ihr plötzlich alle seelische Herrschaft über den Körper geraubt hatte.
Sie richtete sich auf und sah mit leeren, thränenlosen Augen in die Weite.... Da lag Alles in Scherben, der Wolfram’sche Starrkopf, die wüthende Eifersucht, die eingebildete, auf vertrocknete Principien gestützte Unfehlbarkeit – aber auch das letzte beseligende, aus furchtbaren Seelenkämpfen wiedergeborene Hoffen.
„Ich will Dich nie wiedersehen – selbst nach dem Tode nicht,“ hatte sie dem scheidenden Sohne in unerhörtem Frevel zugerufen, und nun – nun hätte sie büßend in die weite Welt hinein bis zu ihm pilgern und die Erde, die ihn deckte, mit ihren Fingernägeln aufscharren mögen, um ihn nur noch ein einziges Mal wiederzusehen, dessen herrliches Aufblühen und Emporwachsen sie einst mit strengverschwiegener Mutterlust erfüllt hatte.... Nun wollte sie den aufgespeicherten Schatz von mütterlicher Liebe und Zärtlichkeit verschwenderisch über den Hügel ihres Kindes ausschütten, gegen das sie zeitlebens mit Worten und Liebkosungen erbarmungslos gekargt, um des Principes [579] willen.... War sie nicht selbst schuld gewesen, daß er sein junges, enthusiastisches, zur Entbehrung grausam verurtheiltes Herz schwärmerisch an das erste weich und liebend sich anschmiegende Wesen hingegeben hatte?...
Sie erhob sich von der Erde, auf welche die furchtbar züchtigende Hand der Vergeltung sie niedergestürzt, und blickte um sich wie verirrt, als habe sie alle Wegzeichen verloren, als sei sie nicht mehr sie selbst, nicht die Frau da, die sich mit kraftlosen Armen an dem Fichtenstamme emporhalf – es war ihr, als könne kein Blut mehr in ihren Adern rinnen, kein Herz mehr in ihrer Brust klopfen denn – wozu? Für was denn in der Welt weiter leben? – Und hatte sie sich nicht auch den Himmel verschlossen mit ihrem Frevelworte?
Donna Mercedes hob erschüttert die kleine Paula vom Boden auf. „Nimm die Großmama in Deine Arme, mein Kind!“
Die Kleine hatte vorhin beim Zusammenbrechen der großen, starken Gestalt erschrocken aufgeschrieen und sich an die Rockfalten der Tante geklammert. Sie sah noch mit ängstlichen, verschüchterten Augen in das schmerzverzogene Gesicht, dem sie nahe gebracht wurde, aber das Wort „Großmama“ mochte denselben Zauber für sie besitzen, wie für ihren Bruder; sie legte die kleinen nackten Arme fest um den Hals der Majorin und drückte ihr die jugendwarme Wange an das eiskalte Antlitz.
„Die Kinder sind sein Vermächtniß für Sie,“ sagte Donna Mercedes tiefbewegt, als die Majorin bei der Berührung plötzlich den Stamm losließ und das Kind ihr förmlich vom Arme riß, um es unter einem hervorstürzenden Thränenstrome in leidenschaftlicher Innigkeit an sich zu pressen. – „Ich soll Ihnen seine Lieblinge, die sein Glück, sein Stolz gewesen sind, überbringen und Sie bitten, den Waisen Schutz und Schirm, Vater und Mutter zu sein.“
Ein unbeschreiblicher Seelenkampf malte sich in den Zügen der Majorin, aber kein Laut kam über ihre Lippen.
„Kommen Sie mit mir!“ bat Donna Mercedes und ergriff ihre Hand. „Ich habe Ihnen viel zu sagen. Gehen wir in das Haus –“
„Ja – zu seinem Knaben,“ sagte die Majorin. Das kleine Mädchen auf dem Arme ging sie festen Schrittes dem Wege zu, der sich durch die Wiesen und Bosquets direct nach dem Säulenhause schlängelte; es war dies ein schmaler Pfad, welcher den Teich berührte und in nicht sehr weiter Entfernung mit dem Zaune des Klostergutes parallel lief. Die beiden Frauen gingen neben einander, und Deborah folgte mit dem Spielzeuge des „Goldkindes“. Keine Silbe wurde gesprochen; man hörte den Sand unter den Füßen der Dahinschreitenden knirschen und dann und wann ein schmerzvolles Aufstöhnen, das sich der Brust der Majorin entrang.
„Dort, dort! Siehst Du sie denn nicht, Papa? Dort geht ja die Tante Therese,“ kreischte Veit herüber. Er saß mit zappelnden Beinen auf seinem luftigen Platz, dem weit hervorragenden Aste des Birnbaumes, und zeigte mit dem Finger nach der wandernden Frauengruppe.
Und er rauschte und knackte in den Zweigen über der Gartenbank des Klostergutes, just in dem Moment, wo die Damen näher kamen, und Deborah bekreuzte sich heimlich vor dem wuthentstellten Mann, der sich durch das Haselgestrüpp wühlte, als wolle er sich kopfüber in den Nachbargarten hereinstürzen.
Er schlug ein grimmiges Gelächter auf.
„Du da drüben, Therese?“ rief er mit weithin schallender Stimme. „Hast Du denn alle Ehre verloren? Im Namen unserer braven Eltern – herüber zu mir! Schande über Dich und den Fluch der ganzen Familie, der Du entstammst, wenn Du nicht sofort auf das Klostergut zurückkehrst!“
„Fort!“ stieß die Majorin im unbeirrten Weiterschreiten hervor, und den freien rechten Arm weit ausstreckend, schnitt sie energisch mit der flachen Hand durch die Luft, als wolle sie tabula rasa machen für immer.
Sie hatte nicht einmal die Augen hinüber gewendet. Es kümmerte sie nicht, daß der Mann hinter dem Gebüsch mit der Geberde eines Rasenden verschwand und gleich darauf hastige Schritte auf das Hinterhaus zueilten; sie schien nicht zu hören, daß der Junge auf dem Baum ihr nachhöhnte, sie habe vorhin die Gartenthür nach der Straße „sperrangelweit“ offen gelassen und die bleichende Leinwand sei gestohlen – er hatte augenscheinlich ihr ganzes Thun und Treiben beobachtet und seinen Vater herbeigeholt. Unaufhaltsam ihren Weg verfolgend, preßte sie die kleine Enkelin an sich, als griffen gierige Hände nach dem Kinde, um es ihr zu entreißen.
Sie stieg die Freitreppe des Säulenhauses hinauf, dieselben Stufen, die sie vor vierunddreißig Jahren zum letzten Mal betreten, als sie in Kranz und Schleier, am Arme des ihr eben angetrauten Mannes durch die Gärten in den Schillingshof gegangen war, um sich von der alten siechen Dame des Hauses, der Mutter des Freiherrn Krafft, zu verabschieden. Wohl war es ihr, als schreite sie über glühendes Eisen, und als sich die Thür nach der Flurhalle mit dem wohlbekannten Dröhnen aufthat, die Karyatiden auf sie niedersahen und die weißen Götterbilder seitwärts auftauchten, da war es ihr, als wurzelte ihr Fuß fest, und sie stand selbst da, wie die an das Piedestal gefesselten Gestalten, entgeistert, als sei ihr die Seele entflohen und irre nun in weiten, weiten Fernen....
Ueber diese Marmorfließen hatte damals die bräutliche weiße Seidenschleppe gewogt – „ein hehres, himmlisch schönes Weib, eine reine, stolze Königslilie sei sein eigen“, hatte er ihr dort, just vor der Ariadne, stammelnd vor Aufregung und Glückseligkeit, zugeflüstert – und neben dieser kalten „Lilie“ war es ihm dann selbst kalt geworden, weil er andern Sinnes gewesen war, als sie, weil er gemeint hatte, ein Mann und Soldat, ein feuriger Geist dürfe nicht zum trivialen Philister in der Hand einer herrschsüchtigen Frau werden.
Dann war sie Mutter eines Knaben geworden – eine stolze Mutter, die aber zugleich beflissen war, den kostbaren Schatz der Kindesseele in das althergebrachte Wolfram’sche Charaktermodell zu pressen. Die usurpirenden Seelen waren ihr entschlüpft, und sie hatte ihnen am Scheidewege trotzig den Rücken gekehrt, unbeugsamen Sinnes in eine graue, todte Wüste hineinwandernd. Aber das Modell war unter ihren Augen allmählich zerbröckelt – ihr Bruder, der Irrstern, der böse Geist, dem sie blindlings gefolgt, er hatte schließlich selbst die Ferse darauf gestellt und es zertreten um eines völlig aus der Art geschlagenen, nichtsnutzigen Buben willen.
Mit tief auf die Brust gesenktem Haupte schritt sie nun durch den Corridor und trat über die Schwelle des Holzsalons, dessen Thür die vorauseilende Deborah weit zurückschlug.
Die mächtige Dogge, die neben José’s Fahrstühlchen auf dem Teppich hingestreckt lag, fuhr mit einem wüthenden Gebell auf die fremde Erscheinung los, José aber streckte ihr freudig die Arme entgegen, während Donna Mercedes mit einem strengen Zurufe den Hund beschwichtigte – er kroch demüthig auf seinen Platz zurück.
„Aber Du solltest Dich schämen, Pirat – so toll zu bellen! Es ist ja meine Großmama,“ sagte der Knabe lachend.
Das waren dieselben Laute, die einst so fremdartig, so edel lieblich in den Räumen des finsteren Klosterhauses geklungen und dem Ohr des rauhen verdüsterten Onkels mißfallen hatten. War sie es werth, daß ihr noch einmal solch ein köstliches Kleinod in die Hand gegeben wurde, um ihr auf Erden noch die Umkehr möglich zu machen, sodaß sie den Kindern ihres Sohnes in Fülle das gewähren durfte, was sie ihm zeitlebens versagt hatte? Nicht ein Augenblick der vergönnten Frist sollte verloren gehen. Sie wollte die kleinen Sendboten seiner unwandelbaren Sohnesliebe behüten; hegen und pflegen als ihr höchstes Gut, als ihren Augentrost; schon jetzt unter den strömenden Thränen, die ihm flossen, labte sie sich an ihrer Jugend und Lieblichkeit. Hier, zwischen ihnen war ihr Platz – auf das Klostergut kehrte sie nur noch einmal zurück, um ihr Eigenthum zu holen, aber nie mehr, um ferner dort zu leben.
Noch war keine Frage über ihre Lippen gekommen, aber nun stellte sie die kleine Paula auf den Teppich, und erschöpft, als sei der Weg vom Fichtenwäldchen bis zum Säulenhause ein unermeßlicher, über rauhes Geklüft, durch dornstarrende Schluchten führender gewesen, sank sie im nächsten Lehnstuhl zusammen – es war Donna Mercedes’ Fauteuil in der Fensterecke.
„Nun sprechen Sie!“ murmelte sie, die gefalteten Hände vor die Augen gedrückt.
Donna Mercedes war neben die Pflanzengruppe getreten, welche den Schreibtisch flankirte. So stand sie der Majorin schräg gegenüber, und das Herz schlug ihr heftig – wenn die Hände [580] von den Augen dort sanken, dann sah die Majorin in das Gesicht ihres geschiedenen Mannes – und das geschah in diesem Augenblick.
Sie stieß einen halbunterdrückten Schrei aus und wollte sich erheben, aber sie sank wie gelähmt zurück und legte die Rechte mit einer schlaffen Bewegung wieder vor die Augen. Das war ja Alles tief vergraben gewesen im verschlossensten Seelenwinkel der alternden Frau, der berückende Blick der feurigen blauen Augen, das edle, bärtige Gesicht mit Geist und Humor in seinen Linien, die herrliche, ebenmäßige Gestalt voll ritterlichen Anstandes. Und wenn je einmal ein Klang, ein Wort von außen, ein unerwünschter nächtlicher Traum den kraftvoll niedergehaltenen Strom entfesselt und seine Wellen emporgespült hatte, dann war sie fortgestürmt aus dem Hause, auf die Felder hinaus; sie hatte nach Hacke und Spaten, nach Sichel und Erntegabel gegriffen und gearbeitet, bis sie todtmüde zusammengebrochen war und im tiefen, traumlosen Schlaf – vergessen hatte. Nun trat er ihr da von der Wand entgegen, jugendlich wiedererstanden in der ganzen verführerischen Herrlichkeit seiner Erscheinung, neben sich ein wunderschönes Weib, das sein war.
Eine Ahnung schien sie wie ein Blitz zu durchzucken.
„Das ist Ihr Platz – wer sind Sie?“ fragte sie kaum vernehmlich und sah unter der beschattenden geschüttelten Hand hervor in das Gesicht ihres Gegenüber.
„Ich bin Mercedes Lucian, Major Lucian’s Tochter zweiter Ehe,“ antwortete diese fest und stolz – es mußte ja doch gesagt werden, und wenn sie auch gezwungen war, einen Dolch in dem Herzen dieser Frau umzuwenden, sie durfte und konnte ihre Abkunft nicht eine Secunde verleugnen.
Und nun erzählte sie von der Heimath, möglichst schonend, ruhig und beherrscht. Und die Majorin sah den Mann, von dem sie unter innerer Genugthuung geglaubt hatte, er sei verkommen und verdorben, nachdem sie ihn verlassen, zu der Gewalt und dem Reichthume eines Fürsten auf seinem Plantagengebiete emporsteigen; sie sah ihn glücklich im Besitze einer schönen, vornehmen Frau. Sie erfuhr, daß der verstoßene Sohn in der That zu seinem Vater gegangen, mit offenen Armen empfangen und in alle Vorrechte eines geliebten, heißersehnten Kindes eingesetzt worden war. Aber an diese Mittheilungen reihte sich dann auch die Schilderung des grausen Bürgerkrieges, der seine Wogen verheerend über die glücklichen Gefilde gewälzt und Vater und Sohn in den Schlund des Todes gerissen hatte....
Bitter, bitter war der Kelch, den die Majorin, Tropfen um Tropfen, bis auf den Rest leeren mußte, und der stolze, starre Nacken beugte sich tiefer und tiefer, bis die Stirn auf die Arme sank, die sich auf der Tischplatte verschränkten.... So verharrte sie, als sei alles Leben aus ihr gewichen.
Sie hob auch den Kopf nicht, als plötzlich durch die offenen Fenster von der Straße herüber ein wüster Lärm Mercedes’ Mittheilungen unterbrach und Hannchen eintrat; sie meldete tieferregt, daß ein Zusammenlauf vor dem Klostergute stattfinde – Arbeiterfrauen hätten jammernd und schreiend die Nachricht gebracht, daß eine Kohlenwand im Bergwerke plötzlich eingestürzt, und ein furchtbarer Wasserschwall unaufhaltsam in die Gruben brause.
„Lassen Sie mich!“ murmelte die Majorin fast drohend und kaum die Stirn emporhebend, als Donna Mercedes ihr sanft die Hand auf die Schulter legte, um sie zu vermögen, sich aufzurichten. „Was geht das mich an? Der Mann hat über und übergenug“ – unbewußt wiederholte sie jetzt denselben Ausspruch, der sie einst im Munde ihres Sohnes empört hatte – „und wenn er nicht ein einziges Kohlenstück mehr gewinnt, er kann’s verschmerzen. Was ist der Verlust des Erdenplunders gegen die Schmerzen, die ich leiden muß! – O! Fahren Sie fort!“ – Sie drückte die Augen wieder auf die Arme und an Mercedes’ unterbrochenen Bericht anknüpfend, sagte sie schwerathmend: „Mein Sohn, mein armer Sohn erhielt den Schuß in die Brust auf der Schwelle seines brennenden Hauses –“ „Ja – und Jack rettete ihn und schleppte ihn auf dem Rücken in den nächsten Busch.“ – Und weiter erzählte Donna Mercedes, wie der Verwundete unter unaussprechlichen Mühsalen wochenlang durch verwüstetes Gebiet von treugebliebenen Schwarzen nach ihrer Besitzung Zamora transportirt worden war, weil er gewünscht hatte, bei Frau und Kindern zu sterben. Sie schilderte seine Sehnsucht nach der Mutter, sein heißes Verlangen, sie zu versöhnen und seine Kinder unter ihren Schutz zu stellen.
Inzwischen war es auf der Straße wieder vollkommen still geworden. Hannchen war auf die Bitten der Kinder und einen zustimmenden Wink Donna Mercedes’ im Zimmer geblieben. Sie kauerte neben José’s Fahrstuhl; ihre finsteren Augen streiften mit feindseligem Ausdruck wiederholt die tiefgebeugte Frauengestalt in der Fensterecke.... Damals, als ihr Vater, der unglückliche Adam, verzweiflungsvoll bittend an der Schwelle ihrer Küche gestanden, war dieser Nacken unbeugsam gewesen; damals hatte die hartherzige Dame gemeint, mit einem Stückchen Kuchen, das sie gnädig seinem Kinde reiche, beschwichtige sie die wunde Seele des armen Bedienten.... Ueber das verhaßte Klostergut und seine habgierigen Bewohner brach jetzt die Strafe herein – in die Kohlengruben, um deren willen ihr Vater den Tod gesucht hatte, stürzte eine unterirdische Wasserfluth und ersäufte die goldbringenden Schächte, und die Hochmüthige, die Harte dort, die wie eine tiefzerknirschte Büßerin die Stirn nicht wieder zu erheben wagte, sie weinte dem einzigen Sohne nach, den sie nie wiedersehen sollte.
Und von der Frau weg fuhr plötzlich der Blick des Mädchens auffunkelnd nach der Zimmerwand, an der sich die grüne Polsterbank hinzog. Sie erhob sich lautlos vom Boden, wie ein emportauchender Geist, starr das Schnitzgeflecht über der Bank fixirend, und der faul auf den Teppich hingestreckte Hund hob leise knurrend den Kopf von den Pfoten und schien die Ohren zu spitzen.
„Aber den Brief meines unglücklichen Bruders kann ich Ihnen leider nicht ausliefern – er ist mir hier, zu meinem Schmerz, nebst anderen wichtigen Familienpapieren entwendet worden,“ schloß Donna Mercedes mit sinkender Stimme ihre Mittheilungen, während die Majorin sich langsam emporrichtete.
„Siehst Du die Staubwölkchen dort auffliegen, José?“ flüsterte Hannchen in diesem Augenblick dem Knaben zu und zeigte mit dem ausgestreckten Arm nach der Wand. „Und horch, wie es tappt! – Jetzt kommt es wie tastende Finger an das Holz – hörst Du’s? – Du denkst wohl, das sei ein Mensch? – Bewahre – die Mäuse sind’s, die Mäuse! Die Leute sagen so, und dann muß es wohl wahr sein.“
Und auf den Zehen, athemlos, und so rot im Gesicht, als stürme ihr das ganze jugendheiße, hochwallende Blut nach dem Kopfe, trat sie der Wand näher, und Pirat erhob seine mächtige Gestalt und stellte sich knurrend und lauernd an ihre Seite, als wolle er sich im nächsten Moment mit gewaltigem Sprung auf das hervorkommende Nagethier stürzen.
Obgleich die entsetzliche Katastrophe in den Kohlengruben seit mehreren Tagen mit deutlich vernehmbarem Finger geklopft und sich angemeldet hatte, waren die Leute doch unbeirrt aus- und eingefahren, denn die verschriebenen Techniker von Ruf, die der Gefahr vorbeugen sollten, wurden nunmehr jede Stunde erwartet, und „gar so eilig werde es ja der Tückebold da drunten nicht haben“, hatten die Leichtsinnigen, den Herrn Rath an der Spitze, sorglos gemeint.
Die Frauen der Grubenarbeiter waren gerade mit dem Mittagsbrode für ihre Ehemänner durch das kleine Thal gegangen, als plötzlich ein dumpfes Dröhnen den Boden unter ihren Füßen erschüttert hatte. Gleich darauf waren ein paar schreckensbleiche Männer aus den Gruben zu Tage gefahren, um das furchtbare Geschehniß zu verkünden. Sie hatten sich noch retten können; wie es um die Anderen stehe, deren angstvolles Hülferufen bis zu ihnen gedrungen war, darüber hatten sie nichts zu sagen gewußt – nur die Thatsache, daß das Wasser als unermeßlicher Schwall drunten hervorstürze und binnen Kurzem Alles ersäufen müsse, war als das Unumstößliche von ihrer schreckgelähmten Zunge wiederholt hervorgestammelt worden.
Was im ersten Augenblicke an Ort und Stelle zur Rettung der Verunglückten gethan werden konnte, war sehr wenig; der größte Theil der Arbeiter befand sich in den Gruben; kaum einige Mann standen dem Inspector zur Verfügung, aber die Weiber rannten in Sturmeseile, alarmirend und laut jammernd, durch die Stadt nach dem Klostergute und drangen, umringt von einem immer stärker anwachsenden Menschenschwarm, bis in die Hausflur.... Ein zeterndes Wehklagen, in welches sich das unwillige und drohende Gemurmel der mitgelaufenen Menschen mischte, hallte schauerlich von den alten Wänden wieder. Die Knechte
[581][582] und Tagelöhner kamen aus dem Hinterhofe herbeigestürzt, die Mägde aber verriegelten die Thür der Küche und verkrochen sich – sie glaubten nicht anders, als die aufgeregte Menge wolle den Herrn Rath massacriren.
Man klopfte nicht, sondern schlug unter Fluchen und Drohungen mit derber Faust an die Thür der Amtsstube, als der fahrlässige Grubenbesitzer nicht sofort erschien. Da flog drinnen der Riegel zurück, und der Rath trat auf die Steinstufe heraus, ganz fahl im Gesichte vor Schreck und Bestürzung.
Zwanzig Kehlen zugleich schrieen ihm die Unglücksbotschaft zu. Dem sonst so kalten und ruhigen Manne wankten sichtlich die Kniee; er griff schweigend nach seinem Hute und schritt sofort durch die Leute, die sich ihm anschlossen, ohne daß er Kraft und Geistesgegenwart gefunden hätte, ihre lärmende Begleitung mit strengen Worten zurückzuweisen. Seine Knechte und Taglöhner und die beherzte Stallmagd liefen auch mit.
Von diesem Auftritt in der Hausflur hatte Mosje Veit keine Ahnung. Von dem Birnbaum herabgeklettert, war er nach der immer noch offenstehenden Gartenthür in der Mauer gelaufen und hatte sie zugeschlagen und verschlossen. Nun war die Tante gezwungen, in der Küchenschürze, ohne Hut und Shawl über die Promenade zu gehen, wenn sie auf das Klostergut zurückkehren wollte – es geschah ihr ganz recht; warum war sie fortgelaufen zu den fremden Leuten, die er und der Papa nicht ausstehen konnten.
Er hatte auch versucht, die bleichende Leinwand, die nicht gestohlen war, wie er gelogen, von den Pflöcken zu nehmen und sie zusammengerollt im Gebüsch zu verstecken; das gab einen heillosen Schrecken und Aerger für die Tante Therese, aber für seine Hände waren die starken flachshaltigen Weben doch zu schwer – den Spaß mußte er sich vergehen lassen. Er biß dafür die im Grase liegenden Frühbirnen eine um die andere an und warf sie wieder hin; schließlich griff er zu seinem an der Mauer lehnenden Blasrohr, um nach den Spatzen zu schießen.
Aber man kam ja gar nicht, um ihn zu suchen, wie das jeden Mittag geschah, wenn gegessen werden sollte, und es mußte doch längst Tischzeit sein. Er lief durch den Hof und guckte in die Ställe und in die Gesindestube. Die Thüren standen offen; das Vieh brummte und blökte, aber keine Menschenseele war zu sehen, und auf dem weißgescheuerten Tisch in der Gesindestube lag weder das große Hausbrod noch dampfte die mächtige Eßschüssel, die stets pünktlich, auf den Glockenschlag, gebracht wurde.
Auch die Küche war leer. Aus der Bratröhre quoll heißer Dampf, und auf dem Herde kochte der Suppentopf über – das brodelte, zischte und schäumte, und Veit schob kichernd vor innerer Wonne ein dürres Holzstück um das andere in das Feuer; es sollte brennen, brennen, bis kein Tropfen Suppe mehr im Topfe und der Braten in der Röhre zu Pulver verbrannt war. Die „dummen“ Mägde benutzten zu frech die Gelegenheit, wo die Tante für den Moment nicht zu Hause war, und standen irgendwo und klatschten. Und richtig, als er in die Hausflur zurückkehrte, da sah er sie drüben am offenen Mauerpförtchen in lebhaften Verhandlungen stehen.
Das sollte aber auch gleich auf der Stelle der Papa erfahren; er sollte sie beim Klatschen und Faullenzen erwischen.
Veit klopfte an die Thür der Amtsstube; denn in der letzten Zeit hatte sie der Rath stets verschlossen gehalten, auch wenn er im Zimmer war – er behauptete, man laufe ihm neuerdings zu direct und ungenirt in seine Arbeitsstube und störe ihn um jeder Lappalie willen.
Aber das Klopfen wurde nicht beachtet; und so versuchte Veit mit der Thürschnalle zu rasseln – knarrend fiel die Thür zurück; sie war nicht verschlossen gewesen, und der Papa mußte fortgegangen sein – das Zimmer war leer.
Für Mosje Veit war das eine kostbare Entdeckung. Er kramte für sein Leben gern in der Amtsstube, in den alten Scharteken, die sich auf den unteren Brettern der Bücherrepositorien hinreihten, und von denen viele alte Holzschnitte enthielten. Er trat auch oft auf die Gallerie und predigte über das Geländer herab in plärrendem Kanzelton, als sei die Amtsstube von einem andächtigen Auditorium erfüllt. Manchmal war es ihm auch geglückt, den Wandschrank auf der Gallerie zu öffnen und die alten zinnernen Orgelpfeifen, die pausbäckigen Holzengel an das Tageslicht zu schleppen.
Er lief spornstreichs die wenigen Stufen hinauf – plötzlich blieb er stehen; seine intelligenten Augen funkelten, wie die eines Fuchses, dem eine willkommene Beute zuläuft – da war ja wieder einmal dem Heiligen auf der Holzwand der Arm ausgerissen. Der Spalt, der so unbarmherzig das segnend ausgestreckte Glied von dem Rumpfe schnitt, erwies sich zwar diesmal kaum halb so breit und gähnend wie neulich, aber er war doch sichtbar und lief in scharfer Linie durch die Holzschnitzerei bis hinunter auf die Dielen, wie eine Thürluke.
Das antike Hauptforum Pompejis war ursprünglich, ähnlich unseren Marktplätzen des Mittelalters, Mittelpunkt der Stadt, wo das Rathhaus nebst den Gerichtsämtern und städtischen Verwaltungsgebäuden stand, die Märkte und der Handelsverkehr sich concentrirten. Später aber wurde es nur für die öffentlichen Angelegenheiten reservirt und dem Handelsverkehr entzogen.
Es muß einst einen ungemein schönen Gesammtanblick dargeboten haben, indem daselbst ein Triumphbogen als Haupteingang, ein prächtiger Jupiter-Tempel, eine Basilika (Gerichtsgebäude mit den drei Tribunalien), das bilderreiche Pantheon mit den Wechslerbuden, der Sitzungssaal der Decurionen, das Eumachia-Gebäude oder die Börse, ein Venus-Tempel (früher dem Bacchus gewidmet), in welchem der gesetzliche Aichungsblock oder das Normalmaß der Pompejaner sich befindet, nebst anderen Häusern zusammen ein harmonisches, an architektonischer Schönheit reiches Ganzes bildeten. In dem ebenfalls sehenswerten Zollhaus hat man einige Gewichte, eine Normalwage und zwei menschliche Skelete auf Pferdegerippen, denen Glocken um den Hals hingen, bei der Ausgrabung aufgefunden.
Aelter als das Hauptforum ist das Forum triangulare, das noch aus der Zeit der pompejanischen oder campanischen Unabhängigkeit stammt und das man als die Burg oder Akropolis der Stadt betrachten kann. Nicht nur der Ausschmuck desselben mit schönen Propyläen, sondern auch die herrliche Fernsicht, die man von dort herab genießt, haben diesen Platz wohl zu einem Lieblingsort der alten Pompejaner gemacht. Auch steht auf ihm Pompejis ältestes Bauwerk, ein griechischer Tempel.
Unter den sonstigen Tempelbauten interessiren am meisten der Tempel der Fortuna, der des Quirinus, und auch der Isis-Tempel, der sich von allen am besten erhielt. Man fand darin Opferüberreste (Brod, Wein, Hühnerfüße, Fischgräten) und das Skelet eines Opferpriesters, welcher mit dem Opfermesser in der Hand, also gerade bei seiner heiligsten Handlung, vom Aschentode ereilt worden ist.
Ganz besondere Anziehungskraft bewähren auch die drei ausgegrabenen Theater, von denen das eine, etwa 70 Ellen breit und tief, ungefähr 5000 Zuschauer faßte und noch den Platz für die Bühne, das Orchester und die Rangclassen der Zuschauerplätze erkennen läßt. Das kleinere Odeum genannt, hatte wohl nur für 1600 Menschen Raum und diente hauptsächlich für musikalische Aufführungen. – Das großartige Amphitheater am Ostende der Stadt gehört zu den schönsten und besterhaltenen Baudenkmälern des classischen Alterthums überhaupt. Dort ergötzten die grausamsten Schaustücke: Gladiatorenkämpfe, blutige Thierhetzen und andere hochbeliebte Spielarten unmenschlicher Barbarei den feinsten und niedrigsten Pöbel der Stadt und Umgegend. Die räumliche Ausdehnung des Bauwerks ist höchst bedeutend; sie umfaßt 30 Sitzreihen, die von der Arena treppenförmig aufsteigen und wohl an 20,000 Zuschauer fassen konnten.
Sehr luxuriös war sicherlich die Einrichtung der Bäder der Stadt, wohl meist Thermen, von denen 1824 ein sehr gut erhaltenes, mit Malereien und Stuckarbeiten reich verziertes öffentliches Badehaus ausgegraben wurde, das so wundervolle
[583] Einrichtungen aufzuweisen hat, wie keine von unseren heutigen luxuriösesten Badeanstalten. Freilich gehörte auch bei den Römern der Aufenthalt in Bädern so sehr zum feinen Ton und war so sehr zur Leidenschaft geworden, daß in der Kaiserzeit reiche Vertreter der Jeunesse dorée oft Tage und Nächte lang daselbst verweilten und selbstverständlich den größten Comfort verlangten.
Für alle Alterthumsforscher muß es hochinteressant sein, hier in Pompeji das echte römische Wohnhaus aus der classischen Zeit römischer Baukunst vor sich zu sehen und genau studiren zu können. Am Aeußeren desselben fällt zunächst auf, daß meist nur glatte Wände die Façade bilden, Fenster nur im höchsten Stockwerk in kleinster Gestalt vorkommen und auch das Portal keinen besondern Ausschmuck zeigt. Ganz im Gegensatz zu dem antiken Tempelbau, an welchem die Hauptzierde architektonischer, malerischer und bildnerischer Kunst hauptsächlich auf die Außenseite verwendet ist, erscheint beim antiken Wohnhaus alle Pracht und Zierde dem Innern zugewendet. Die feineren Privathäuser Pompejis haben meist eine ganz gleichartige Einrichtung. Durch die Hausthür und einen Gang (vestibulum) gelangt man in die innere Vorflur (prothyrum), dann in die innere Hausflur (ostium), neben welcher die Zelle des thürhütenden Sclaven (ostiarius) lag, und nun erst in das Atrium, einen unserem heutigen Salon entsprechenden schönen, mit Marmor getäfelten Raum mit einer großen Oeffnung (compluvium) inmitten des Plafonds. An das Atrium schließen sich an beiden Seiten die Audienzzimmer des Hausherrn an, in denen er seine Freunde oder auch Clienten empfing, und im Fond befindet sich das Tablinum oder das Archiv für die Ahnenbilder und Geschlechtstafeln der Familie. Vertrautere Bekannte wurden auch in die weiteren Zimmer, die private Abtheilung des Hauses, eingeführt, zunächst durch einen schmalen Gang (fauces) in das Peristylium (auch Porticus genannt), um welches sich die Schlafzimmer (cubicula), die Speisezimmer (triclinia), endlich die Küche, die Badezimmer, die Conversationszimmer für die Familie und die Hauscapelle (sacellum), in welcher die Penaten hausten, gruppirten. Die Säulen des Peristyls bildeten Arcaden, die ein reizendes Gärtchen umschlossen, in dessen Mitte ein Springbrunnen mit Fischbehälter (piscina), außerdem Marmorgruppen und sonstige plastische Kunstwerke den Reiz des Gesammtbildes erhöhten. Aus allen Einzeltheilen und der schönen Einheitlichkeit des Ganzen erkennt man den hochausgebildeten Kunst- und Schönheitssinn der Pompejaner.
Wie auf vielen Gebieten der Kunst, so waren auch in der Architektur die Römer mehr Eklektiker, die aus allen früheren Kunstepochen entlehnten, als orginelle oder schöpferische Geister. Speciell die Architektur der Pompejaner zeigt mehr Annäherung an die dorische und corinthische Ordnung, als an die ionische, hat aber im Allgemeinen gar keinen ausgeprägten Stil, auch nicht im Ornament, das mitunter überladen und ohne strenge Anpassung an die Hauptformen des Gebäudes erscheint, jedoch auch nicht in irgend welchen Naturalismus oder in unschöne Verwilderung verfallen ist, sondern stets den Eindruck lieblicher und zierlicher Heiterkeit macht.
Selbst die Wohnhäuser einfacher, wohlhabender Bürger Pompejis entbehren nicht des zierlichsten Ausschmuckes. Der Fußboden bestand meist aus Mosaik, von welcher sich die Säulen der Hallen und das Saftgrün der Tropenpflanzen wunderbar abhoben. Ein Musterstück solcher Mosaikkunst ist die in der sogenannten Casa del Fauno 1831 entdeckte große Alexander-Schlacht, Copie eines Gemäldes, das Timon’s Tochter Helena (aus Aegypten) zugeschrieben wird, über welche Goethe seine glühendste Bewunderung in Briefen aussprach. – Die Wände des Atriums wurden fast stets mit Malerei (al fresco und auch enkaustisch) verziert, welche als „pompejanische“, namentlich wegen der schönen Farbenzusammenstellung mit vorherrschendem Roth (pompejanisches Roth) und einem hell leuchtenden Gelb noch heute so hoch geschätzt wird, wie dies offenbar im Alterthum der Fall war.
Einzelne sehr hervorragende Privatgebäude Pompejis verdienen noch eine nähere Betrachtung, z. B. die schon erwähnte schöne Villa des Marcus Arrius Diomedes mit der unvergleichlichen Terrasse, die einen wonnereichen Blick über den Golf von Neapel gewährt. (Eine bis in die kleinsten Einzelheiten getreue Nachbildung dieser Diomedes-Villa oder der „Casa del questore“ findet sich bekanntlich in Aschaffenburg, im Auftrag des Königs Ludwig des Ersten 1842 bis 1849 vom Oberbaurath von Gärtner ausgeführt.) Bei der Ausgrabung entdeckte man an der Gartenthür zwei Skelete, von denen das eine, durch einen goldenen Ring kenntliche, vermuthlich der traurige Ueberrest des einst so glücklichen Besitzers ist. Er war offenbar auf der Flucht begriffen, um seine Gold- und Silberschätze in einem Sacke auf das Meer zu retten, als ihn der Aschenregen erstickte.
Im Kellerraume fanden sich etwa 21 Opfer des Erstickungstodes, zum Theil eng zusammengekauert vor, und eines der Weiber, mit der Brust an der Wand liegend, hinterließ die Form der Brust in der feuchten Asche abgedrückt. Dadurch kam Director Fiorelli auf die glückliche Idee, auch andere eingedrückte Formen, z. B. die eines classisch schönen Mädchenkörpers, mit Gyps ausgießen zu lassen, und so erhielt man das beste, vollständigste plastische Abbild der Originale.
Noch berühmter als die Diomedes-Villa wurde das in der Fortunastraße gelegene Haus eines dramatischen Dichters durch das entschieden vorzüglichste aller pompejanischen Wandgemälde: „Uebergabe der Briseïs durch Achill an Agamemnon“ und durch den auf dem Mosaikfußboden dargestellten Hund mit der Inschrift: „Cave canem!“ (Hüte dich vor dem Hund.)
Es giebt noch zahlreiche durch Gemäldeschmuck interessante Privathäuser, allein ihre Aufzählung würde ermüden. Wenden wir uns daher den für die Kenntniß des römischen Culturlebens wichtigen Arbeitsstätten der Handwerker und den Kaufläden zu, die in Pompeji stets die Erdgeschosse in belebten Straßen einnehmen! Wie bei uns waren manche Läden durch Abzeichen, dort aber plastische, kenntlich gemacht, z. B. bei einem Bäckerladen fand man eine von einem Maulthier getriebene Mühle, bei einem Milchladen das Bild einer Ziege aus Terracotta. Die Ladentische waren ausgemauert und oben mit Marmor bedeckt. An einigen Vertiefungen, durch die großen Wein-Amphoren gebildet, konnte man herausfinden, daß daselbst eine Weinhandlung oder Weinschenke gewesen sei. In der Herculanerstraße kennzeichneten sich die Werkstätten durch die aufgefundenen Gegenstände: Hämmer, Zangen, Wagenachsen, Hufeisen etc., sodaß man wußte: Hier hauste ein Grobschmied, dort ein Wagner, dort ein Töpfer, dort ein Bildhauer etc.. Auch die Locale der Friseure, Parfumeure und andere Luxusgeschäfte erkennt man an aufgefundenen Phiolen mit eingetrockneten Flüssigkeiten, Harzen und Pillen.
Mehrere Bäckereien wurden offengelegt, die größte in der Herculanerstraße mit vier von Menschen und Vieh getriebenen Mühlen, einem Backofen, der noch einundachtzig verkohlte, sonst aber wohlconservirte gestempelte Brode enthielt, ferner eine Conditorei mit zwei antiken Torten. Bei den aufgefundenen Handwerkerhäusern interessiren auch besonders die bildlichen Darstellungen der gewerblichen Verrichtungen, z. B. bei einer Tuchwalkerei. Manche Inschriften deuten auf die damalige Existenz von Genossenschaften und Zünften der Handwerker hin. Jedenfalls hatten in Pompeji die Goldschmiede, Zimmerleute, Stellmacher schon ihre Zünfte, und die Obsthändler, Oelhändler, Lastträger, Maulthiertreiber u. dergl. ihre Genossenschaften.
Culturelles Interesse gewähren ganz besonders auch die auf den Albums eingeschriebenen und eingeritzten Veröffentlichungen, meist geschäftlicher, aber auch ganz privater Art. Dort wurden die Wahlumtriebe und Wahlempfehlungen zum Austrage gebracht. Z. B. wird an dem Eumachia-Album der reiche Großhändler Photinus als Aedil vorgeschlagen und zwar „zum Schutze der nationalen Arbeit“; an einer andern Stelle wird ein pompejanischer Socialdemokrat von den Brüdern der Lastträgersippe zum Stadtrath decretirt. Außerdem brachten hier viele Clienten ihre Bittgesuche bei den Patronen an. Wohnungsanzeigen wurden, oft mit orthographischen Verstößen, hingekritzelt; auch wurde die Aedilen dringend ersucht, für die Straßenordnung zu sorgen, und ein gewisser „Maserius mit sämmtlichen Schläfern“ bittet um Einstellung des Straßenlärms. Am meisten wurden jedenfalls, wie auch bei uns, die Ankündigungen von Spielen und Vergnügungen gelesen, z. B. steht da zu lesen: „Die Gladiatorentruppe des A. Cerius wird in Pompeji am letzten Mai kämpfen, es wird auch eine Jagd stattfinden!“ Lustig sind zuweilen die Privatkritzeleien, die sogenannten Graffiti, z. B. der Name „Psyche“ in einem nunmehr versteinerten Herzen, dann die indiscrete Mittheilung: „Fräulein Ocula liebt den Arabinus,“ vermuthlich von einem verschmähten Rivalen, endlich eine Hauptmalice gegen die Justiz in den Worten. „Was kostet hier die Justiz?“ Auch [584] eine Weinwirthin wird wegen ihres ganz „erbärmlichen Gesöffes“ an den Pranger gestellt.
Am wenigsten zeichnet sich Pompeji durch Reichthum an plastischen Kunstwerken aus, denn die Ueberreste bestehen größtentheils in Mittelgut: Statuen, Götterbildern, Portraitstatuetten, Brunnenfiguren, Genrebildern aus Marmor, Bronze, Terracotta und Stuck. Eine Ausnahme davon machen nur wenige Meisterwerke meist von griechischen Künstlern.
Viel zahlreicher und bedeutender sind die kunstgewerblichen Werke von Meisterhand, die ein Zeugniß ablegen von dem fein ausgebildeten ästhetischen Sinne der Pompejaner für schöne, ja ideale Formen und auch von dem so löblichen Triebe, selbst triviale Dinge, wie Küchengeräte, kunstgemäß zu verzieren. Dort könnten unsere deutschen Kunsthandwerker viel lernen! Wie schön sind diese Mobilien, Geräthe, Gefäße und Schmucksachen aus Bronze, Eisen und edeln Metallen, aus Glas und Thon! Wie gut ist das Material verwendet, wie fein die Form ausgearbeitet, wie graziös der Aufbau und die Ornamentation wie stilvoll! Die größte Mannigfaltigkeit von pompejanischen kunstgewerblichen Ueberresten besitzt das Museo nazionale in Neapel und unter diesen als ein vielgepriesenes Meisterwerk eine in einem Grabe gefundene, mit prächtigem Laubwerke und Reliefs umrankte Amphora von blauem und weißem Glase. Wer solche Kunstschönheit betrachtet, wird gewiß das Schiller’sche Wort bestätigen:
„Damals war Nichts heilig, als das Schöne,
Wo die keusch erröthende Camöne,
Wo die Grazie gebot...“
So ist denn das alte Pompeji, dieser Weihealtar der Kunst, zum Segen der Künstler wieder auferstanden, gleichsam ein Dornröschen, das, vom Prinzen der Gegenwart aus seiner Versteinerung befreit, nun dem warmen Hauche des Lebens zurückgegeben worden ist, obwohl es den Anschein des Todes behält. Getreu hat Alles die Erde bewahrt, Nichts ist verloren gegangen, Nichts für die weitere Forschung und gelehrte Combination abhanden gekommen. Wurde bisher auch nur ein Theil des Verschütteten zu Tage gefördert, so ist doch der hohe Werth des bereits Vorhandenen so unschätzbar, weil es uns einen tiefen und klaren Einblick in das ganze antike Leben gestattet, mehr als alle Traditionen, Schriften und sonstige gelehrte Hülfsmittel.
Und in der That, unsere trotz alles geistigen Fortschrittes phantasie- und freudenarme moderne Zeit gewann viel durch die pompejanischen Alterthümer, denn sie haben uns hochbedeutende Anregungen gebracht. Dennoch wird beim Anblick dieser nach achtzehn Jahrhunderten wieder gefundenen Lebensspuren auch das wehmüthige Gefühl, daß jene Welt von Schönheit und Poesie für immer dahin geschwunden, zu seinem Rechte kommen.
„Aus der Zeitfluth weggerissen, schweben
Nun die Götter auf des Pindus Höh’n –
Was unsterblich im Gesang soll leben,
Muß im Leben untergeh’n!“ –
Aber das Schöne und Große, das in Pompeji trotz so langer Einsargung in Asche und Lava nicht untergegangen ist, das wird für immer der kunstbegeisterten Menschheit zur Erbauung und nachdenklichen Betrachtung dienen.[1]
Wir grüßen dich, du Tag voll Jubelschall,
Du Ehrentag am Thor der neuen Zeiten!
Heut’ mahne uns dein Siegesglockenhall:
Seid allbereit zu neuem Kampf und Streiten!
Des Friedens Ruh’ ist nicht mit heimgekehrt
Vom großen Krieg; wir fanden sie nicht wieder.
Doch deutsche Freiheit, deutsche Ehre, deutsche Lieder –
Sie wahrt mit Gott des Volkes Geist und Schwert.
Vor Allem bringt des Vaterlandes Dank
Den Tapfern dar, die einst den Kampf bestanden!
Wir rufen laut: Herbei, die – arm und krank –
Der Thaten Lohn noch nicht im Reiche fanden!
Die schwere Zeit erhebt des Mannes Werth,
Des Mannes Muth – sie drücke ihn nicht nieder!
Und deutsche Freiheit, deutsche Ehre, deutsche Lieder –
Sie wahrt mit Gott des Volkes Geist und Schwert.
Dem Kaiser Heil, und Heil dem deutschen Reich!
Sei dieser Tag die Mahnung aller Treuen,
Für Recht und Pflicht, darin wir Alle gleich,
Für’s höchste Gut nicht Noth und Tod zu scheuen!
Ein freies Reich nur ist des Lebens werth;
Vom Fels zum Meere tön’ der Hochruf wider:
Hoch deutsche Freiheit, deutsche Ehre, deutsche Lieder –
Sie wahrt mit Gott des Volkes Geist und Schwert.
Durch Verbesserung der Beobachtungsinstrumente, als da sind Windrichtungs- und Windstärkemesser, Luftfeuchtigkeits- und Regenmesser und viele andere Hülfsmittel, hat man den Meteorologen die mechanische Arbeit der Beobachtung mehr und mehr erleichtert, ja hier und da völlig abgenommen, denn man hat den Beobachter durch eine Art von Automaten ersetzt, der unermüdlich Tag und Nacht Alles, was im Luftkreise seiner Aufstellung vor sich geht, getreulich zu Papiere bringt. Der unlängst verstorbene Pater Secchi in Rom hat einen solchen Meteorographen construirt, der beständig Luftdruck, Temperatur, Niederschläge, Windrichtung und Windstärke in verschiedenen Rubriken eines langen Papierstreifens zeichnet und nur alle zehn Tage aufgezogen zu werden braucht, Wilde in Bern gar einen solchen, der gleich auf ein ganzes Jahr mit Schreibmaterial versehen wird.
Die Ausdehnung des elektrischen Telegraphennetzes gab ein anderes Mittel zur Vervollkommnung. Hatte man bisher erst nachträglich die Einzeichnung der einzelnen Beobachtungselemente in Karten vornehmen können, so wurde damit der Versuch nahe gelegt, auf Grund der bei den Centralstationen eingehenden Berichte, sofort ein kartographisches Bild des andauernden Wetters zu entwerfen, um daraus eine klarere Vorstellung von dem Gange und den Veränderungen desselben zu gewinnen. So entstanden die sogenannten synoptischen Wetterkarten, das heißt Landkarten, in welche die auf einer großen Anzahl von Stationen beobachteten gleichzeitigen Temperaturen, Barometerstände, Windrichtungen, Niederschläge etc. eingezeichnet wurden. Ein besonderer Fortschritt wurde ferner im Verständnisse der Witterungserscheinungen erreicht, als man begann, die Orte mit zur selben Zeit gleichem Barometerstande durch Linien gleichen Luftdruckes (Isobaren) mit einander zu verbinden. Es ergab sich hierbei nämlich, daß, wenn man die Isobaren für ein größeres Gebiet, z. B. für Europa, zeichnete, dieselben gewöhnlich einander umschließende Kreise oder [585] Ellipsen um einen oder mehrere Mittelpunkte geringsten Luftdruckes (barometrische Minima) bilden. Rings um ein solches steigt der Luftdruck bis zu den Grenzen eines etwaigen zweiten oder dritten barometrischen Minimums.
Wollte man sich diese durch die Isobaren dargestellten Luftdruckverhältnisse plastisch vergegenwärtigen, so könnte man sich die Minima wie tiefe Einsenkungen, Kesselthäler in der Atmosphäre vorstellen, nach denen also die Luft von allen Seiten hinströmen müßte. Man kann sich eines solchen Bildes zur Veranschaulichung bedienen, obwohl es der Wirklichkeit nicht ganz entsprechen würde, denn der niedrige Luftdruck des Mittelpunktes wird wahrscheinlich hauptsächlich dadurch bedingt, daß dort ein stärkeres Aufsteigen erwärmter und oben abfließender Luft stattfindet. Je tiefer jenes Thal und je steiler die Aufsteigung der Wandungen erscheint, um so stärker wird, um bei unserem Bilde zu bleiben, das Zuströmen der Luft erfolgen. Da man sich gewöhnt hat, die Isobaren von fünf zu fünf Millimetern Luftdrucksunterschied zu zeichnen, so wird sich der steilere Abfall des Thales durch näheres Aneinanderrücken der einfließenden Isobaren kennzeichnen, dem natürlich lebhaftere Winde entsprechen werden.
Um nun eine Einheit für diese Verhältnisse zu schaffen, die mit einem Worte die Zunahme oder Abnahme des Luftdruckes bezeichnet, hat der norwegische Meteorologe Mohn, der sich um die Klarlegung dieser Verhältnisse in neuester Zeit besonders verdient gemacht hat, den Begriff der Gradienten eingeführt, das heißt des Schrittes, um welchen der Luftdruck auf den nach dem Minimum gezogenen Radien abnimmt, wenn man sich demselben nähert. Beträgt diese Abnahme für die geographische Meile weniger als 0,3 Millimeter, so sprechen wir von Windgradienten, beträgt sie mehr, so haben wir Sturmwind; die Gradienten der Cyclonen gehen bis zu vier Millimetern.
Man könnte nun glauben, daß die Luft von allen Seiten genau in den Richtungen der Radien nach dem Minimum hinströmen müßte, allein in Folge der Erddrehung findet hierbei eine ganz ähnliche Ablenkung statt, wie wir sie im vorigen Artikel bei den Wirbelstürmen kennen gelernt haben; die Luft strömt, statt in gerader Richtung, in Spirallinien nach dem Minimum und deshalb muß rings um dasselbe überall eine andere Windrichtung herrschen. Nach Buys-Ballot’s „Windregel“ geschieht diese Ablenkung auf unserer Erdhälfte stets nach rechts von der radialen Richtung, und zwar um so stärker, je schneller der Wind weht, oder je größer die Gradienten sind; auf der Nordseite des Minimums herrscht NO, auf der Westseite NW, auf der Südseite SW und auf der Ostseite SO. Man kann das auch so ausdrücken: wenn man (auf der nördlichen Halbkugel) irgendwo mit dem Winde geht, so hat man das Minimum stets zu seiner Linken, etwas nach vorn, zu erwarten.
Man ersieht hieraus, daß sich also auch das Gesammtbild der Witterung in irgend einem größeren Theile meist als ein Wirbel darstellt, von welchem die übrige Witterung insofern abhängt, als es die Südwestwinde sind, die bei uns Wärme, Feuchtigkeit, Wolken, Nebel, Schnee, Regen etc. bringen, die Nordostwinde dagegen, welche Kälte, Trockenheit, Klarheit etc. bringen das heißt, wenn sie Bestand erringen. Auch die übrigen, obwohl weniger wichtigen Wetterereignisse, pflegt man in die Isobarenkarten einzutragen, so die Richtung der Winde, durch Pfeile, die man durch die Beobachtungsstationen legt, wobei man durch die Zahl der Fiederungsstreifen die Stärke des Windes andeutet, sodaß etwa sechs oder acht Fiederungsstreifen den stärksten Sturm bezeichnen, dagegen ein einziger Streifen schwachen Wind. Auch die Temperaturen und Niederschläge pflegt man entweder hineinzuschreiben, oder letztere durch Schraffirung des Gebietes oder durch einen die Pfeilspitze vertretenden kleinen Kreis anzudeuten, der, wenn ganz weiß gelassen, klaren Himmel bedeutet, wenn zum vierten Theil, halb oder dreiviertel geschwärzt, entsprechende Bewölkung, und wenn ganz schwarz, Regen an dem betreffenden Orte anzeigt. Aehnliche Zeichen hat man für Schnee (Sternchen), Gewitter (ein Zickzack) etc. Manche dieser Zeichen sind allerdings nur in solchen Karten gebräuchlich, die für ein größeres Publicum bestimmt sind, denn ein Fachmeteorologe ersieht z. B. Richtung und Stärke der Winde meist unmittelbar aus der Lage der Isobaren.
Die Ausbreitung des Telegraphennetzes, welche das Entwerfen der synoptischen Karten auf den Centralstationen und damit überhaupt erst einen klareren Einblick in den Gang des Wetters ermöglichte, hat nun auch andererseits die tägliche Veröffentlichung der eingelaufenen Berichte aus dem ganzen Land- oder Erdtheile durch die Zeitungen ermöglicht. Da dies natürlich nur Werth hat, wenn es spätestens bis zum Morgen des nächsten Tages geschehen kann, so hat man die sinnreichsten Mittel und Wege erdacht, um die Witterungsverhältnisse irgend einer Station mit je einem Worte sowohl der Centralstation mitzutheilen, als von dieser weiter nach den kleineren Centren zu befördern. Die praktischen Amerikaner haben eine förmliche Wettersprache erfunden, um mit je einem kurzen Worte Barometerstand, Windgeschwindigkeit etc. zu bezeichnen. Es bedeutet z. B. nach diesem Wörterbuch:
Barometerstand. | Thermometerstand. | Windgeschwindigkeit. |
28.60" Fallow | 50° F Tory | 20 Meilen Ready |
28.61" False | 51° F Total | 21 " Rebate |
28.62" Falsify | 52° F Touch | 22 " Rebel |
28.63" Falstaff | 53° F Toulon | 23 " Rebuff |
Man sieht, für jedes Witterungselement braucht dem Namen der Station nur ein kurzes Wort beigefügt zu werden, dessen Anfangsbuchstabe sofort die Kategorie anzeigt. Da das Centralamt von Washington täglich die Berichte von 400 Stationen empfängt, so ist eine solche Abkürzung allerdings sehr wichtig. An dieser vom Staate glänzend ausgestatteten und der Leitung des General Myer unterstellten Centralstation werden nun seit 1870 nicht nur die Berichte alsbald weiter vertheilt, sondern auch nach ihrer Entzifferung dreimal täglich sehr detaillirte Karten entworfen, in mehreren Farben gedruckt und trotz dessen für den Preis von anderthalb Cent (sechs Pfennig) auf den Straßen verkauft. Diese Wetterkarten wurden, wie schon früher in der „Gartenlaube“ (1877, S. 92) erzählt wurde, während der Weltausstellung zu Philadelphia dorthin durch den zeichnenden Telegraphen übermittelt und sofort vervielfältigt. Eine regelmäßige Verbreitung auf diesem Wege hat sich indessen bisher nicht ausführen lassen, und man mußte, wie anderwärts, den Nebenstationen die Aufgabe überlassen, ihren Umkreis mit ähnlichen Karten zu versehen.
Der Großartigkeit dieser Organisation ist man in der alten Welt nur in so weit nachgekommen, daß einzelne Morgenzeitungen täglich die Witterungskarte des vorherigen, einige Abendblätter die desselben Tages bringen, seit April 1875 die „Times“ seit Mai 1876 „l'Opinion“, seit October 1876 die „Wiener alte Presse“, seit Juli und November 1877 die „Hamburgische Reform“ und der „Hamburgische Correspondent“. Natürlich sind nur Zeitungen, die am Orte einer Centralstation erscheinen, ohne allzugroße Opfer im Stande, rechtzeitig eine Wetterkarte zu bringen, denn andere müßten sich den Inhalt der Karte telegraphiren und dieselbe durch einen Meteorologen zeichnen lassen, was im Verhältniß zu dem Nutzen einen zu großen Geld- und Zeitaufwand erfordern würde.
Schon die alltägliche Veröffentlichung der Karte erfordert, wie man denken kann, eine sehr schnell arbeitende Organisation. Man hat dazu eine Form, welche die Umrisse der regelmäßigen Karte erhaben auf ebener Fläche zeigt, von welcher man Abgüsse in schwerflüssiger Metalllegirung gießt. Auf diesen Abguß werden dann die Isobaren der größeren Karte der meteorologischen Station mittelst eines Storchschnabels verkleinert copirt und eingravirt, die Zeichen, Buchstaben und Worte aber mit Stempeln eingeschlagen. Davon wird in leichtflüsigem Metall die erhabene Form für die Druckpresse durch neuen Abguß gewonnen.
Diese Karten, welche uns mit einem Blicke den Gang der Witterung auf den heimischen und Nachbargebieten zeigen, eignen sich nun auch außerordentlich für den Versuch einer Vorhersage (Prognose) von Fall zu Fall. Wenn man die Karten der letzten Tage vergleichend neben einander legt, so läßt sich die Tendenz des Wetters aus den Bewegungen der Minima der Isobaren bis zu einem gewissen Wahrscheinlichkeitsgrade vorauserkennen, zumal wenn die Minima in ihrer gewöhnlichen Richtung (von Westen nach Osten) vorwärts rücken, und es sich nicht um die Jahreszeit der Ueberraschungen (Nachwinter und Spätherbst) handelt, in welcher indessen die Vorherkenntniß der Witterung viel weniger wichtig ist, als z. B. im Sommer. Doch ist diese Wahrsagung aus den Karten durchaus keine leichte Kunst, die etwa Jeder üben könnte. Es gehört dazu vielmehr eine genaue Kenntniß der örtlichen Verhältnisse, namentlich in Gebirgsländern, und die Berücksichtigung vieler Einzelheiten, wie z. B. des [586] herrschenden Sättigungsgrades der Luft mit Feuchtigkeit, der in den Karten gewöhnlich nicht verzeichnet steht. Daher erscheint auch der praktische Nutzen der Kartenveröffentlichung von einem problematischen Werthe, denn der durchschnittliche Zeitungsleser wird kaum im Stande sein, sich daraus einen einigermaßen sichern Schluß über die kommende Witterung abzuleiten.
Von einem viel größeren Werthe muß es somit für Feld-, Garten- und Forstwirthschaft, für Weinbau, Fischerei, Schifffahrt und Handel, für alle Gewerbe, die des Sonnenscheins oder des Regens bedürfen, erscheinen, wenn auf der Centralstation von einem erfahrenen Meteorologen sogleich ein Wahrscheinlichkeitsbild von der künftigen Gestaltung des Wetters entworfen und mitgetheilt wird. Die Hoffnung, welcher der große Lavoisier schon im Jahre 1790 Ausdruck gegeben, daß man einst im Stande sein werde, des Morgens in der Zeitung ein Bülletin darüber auszugeben, wie die Witterung an dem betreffenden Tage und vielleicht auch dem folgenden sein werde, hat sich trotz der dazwischen erfolgten Verzweiflung der Meteorologen, siebenzig Jahre später erfüllt. Schon im Jahre 1863 gab das Pariser meteorologische Institut unter der Leitung von Marié-Davy sogenannte Wahrscheinlichkeiten (Probabilités) für die Witterung des nächsten Tages aus, und obwohl dieselben bald wieder eingeschränkt wurden, gebührt ihm, wie bei den Sturmwarnungen, auch für die Einführung der allgemeinen Prognose, das Verdienst der Initiative.
Später sind auf demselben Wege auch England und die Continentalstaaten gefolgt, aber zu der größten Ausdehnung ist dieses System in Nordamerika gelangt. Die Verbreitung der von Washington ausgegebenen Voraussagen (Probabilities oder Inications) geschieht unter allen möglichen Erleichterungen seitens der Verkehrsämter nach allen Richtungen der Windrose. Um elf Uhr Abends wird die Prognose für den nächsten Tag telegraphisch an zwanzig Centralämter versandt, welche sie an alle Postanstalten übermitteln, denen sie bis zum nächsten Mittag zukommen kann. Seit 1873 wird sie auf allen Postanstalten angeschlagen, und gleichzeitig erhalten die Anwohner der Wasserläufe regelmäßige Wasserstands- und Eisgangsberichte.
Seit dem September 1878 hat auch die unter der Leitung des ausgezeichneten Meteoro- und Hydrologen Neumayer stehende deutsche Seewarte damit begonnen, solche Witterungs-Prognosen auszugeben, und durch das ihr von allen Seiten, auch seewärts zuströmende Material ist sie offenbar vorzüglich befähigt, als Centralstätte einer solchen Organisation zu dienen. Aber in richtiger Erkenntniß der Schwierigkeit, diese Prognosen den Verhältnissen der einzelnen Bezirke anzupassen und die vor Allem nöthige schleunige Beförderung zu garantiren, macht sie die weitere Bearbeitung ihres Materials von den Centralstationen der einzelnen Provinzen zur ersten Bedingung ihrer Mitwirkung.
Einige solcher Bezirksorganisationen haben sich bereits seit mehreren Jahren bei uns völlig bewährt. So versendet Professor Klinkerfues in Göttingen seit 1876 alltäglich seine Prognosen an die „Göttinger“, „Kölnische“ und „Braunschweigische Zeitung“, sowie an die Landwirthschaftlichen Vereine in Braunschweig und Celle, auch an einige Privatpersonen. Er verwerthet dabei außer den Isobarenkarten vorzüglich noch Hygrometerbeobachtungen, welche für die Voraussage von Niederschlägen und namentlich von Nachtfrösten sehr wichtig sind. Vorzüglichen Erfolges erfreut sich das unter der Leitung des Professor Bruhns in Leipzig seit Jahr und Tag bestehende System der Vorhersage für Sachsen, welches vorläufig auf zwei Jahre vom Landesculturrathe eingeführt worden ist. Es kommen dort täglich, außer den directen Berichten von Dresden, Annaberg, Bamberg und anderen Orten, drei Depeschen von der Seewarte, die letzte um fünf Uhr Abends, an. Um sechs Uhr ist die Prognose fertig und wird telegraphisch an die Stadtverwaltung von Dresden, Chemnitz, mehrere Zeitungen und Vereine gesandt, Außerdem wird sie in Leipzig sofort gedruckt und an zwanzig Orten angeschlagen, auch den Zugführern der abgehenden Eisenbahnzüge mitgegeben. Schließlich findet noch mehrfach eine Verbreitung durch optische Signale statt: eine an einer hohen Signalstange aufgezogene Kugel bedeutet gutes, zwei veränderliches und drei schlechtes Wetter. So erfahren die Landwirthe in weiten Kreisen das Wetter für den nächsten Tag um sieben Uhr Abends. Eine ähnliche Organisation für Mittelfranken bestand unter Leitung des Dr. van Bebber zu Weißenburg und wird für Württemberg durch Profeffor Dr. Schoder in Stuttgart projectirt.
Die vorjährige Conferenz zu Kassel beabsichtigte die Ausdehnung einer solchen Voraussage für das ganze Reich in’s Auge zu fassen und über die Heranziehung der Interessenten zur Kostenbegleichung zu berathen. Merkwürdiger Weise zeigten sich auf dieser Conferenz die amtlichen und nichtamtlichen Vertreter der Landwirthschaft den zu erhoffenden Vortheilen gegenüber am kühlsten. Sie fanden die Voraussetzungen nicht sicher genug. Die Statistik derselben betreffend, bemerkte Professor Klinkerfues, daß von seinen Prognosen 76 Procent eintreffen, Professor Bruhns erreichte bei strengster Controle, in welcher z. B. eine Prognose als falsch angesehen wurde, wenn der vorhergesagte Regen eine Minute nach Ablauf des Tages eintrat, im Juli 81 Procent und Dr. van Bebber sogar 98 Procent Treffer. Diese Verschiedenheit kann sich zum Theil auf eine verschiedene Kritik der einzelnen Ergebnisse, theils auch auf locale Schwierigkeiten beziehen, wenn z. B. nahe Gebirge Wetterscheiden bilden und die Prognose erschweren. Die Vertreter der Landwirthschaft machten geltend, daß nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung Jedermann 50 Procent Treffer haben würde und daß erfahrene Landwirthe es wohl auf 60 bis 65 Procent aus eigener Erfahrung und Beobachtung bringen würden, somit sei der Vortheil zu gering, um bedeutende Kosten aufzuwiegen.
Dabei wird aber übersehen, daß die wissenschaftlichen Prognosen nicht einfach die Alternative: gutes oder schlechtes Wetter in’s Auge fassen, sondern mancherlei Einzelheiten enthalten, die von großem praktischem Werthe sind. So haben die Prognosen des Professor Bruhns in Leipzig fünf Rubriken: 1) Wetter im Allgemeinen, 2) Temperatur, 3) Windrichtung, 4) Windstärke, 5) Niederschläge. Bei 50 Procent der Fälle waren alle fünf Angaben richtig. Auch darf man annehmen, daß bei geregelter Organisation die Treffer um einige Procent steigen werden, und sich fragen, ob der Vorsprung der 15 bis 20 Procent sicherer Prognosen nicht die Kosten lohnen würde.
Ein den Weinbauern vorausverkündeter Nachtfrost im Mai kann durch Schmokfeuer, die in Frankreich vielfach erprobt wurden, unschädlich gemacht werden, und was einige Sicherheit in der Erntezeit werth ist, weiß Jedermann. Aber auch selbst dann, wenn die Kosten den Nutzen für die Gesammtheit vorläufig übersteigen sollten – ein Nutzen, der freilich in keiner Weise zu berechnen ist, – können wir nur wünschen, daß die Reichsregierung die ihr gemachten Vorschläge ausführen möchte, denn es handelt sich hierbei offenbar um eine Culturaufgabe. Den Leser aber, der sich noch genauer über diese Fragen zu orientiren wünscht, verweisen wir auf das im ersten Artikel erwähnte und von uns mehrfach benutzte Buch: „Einiges über Witterungsangaben von Professor Dr. Hermann Kopp“.
Die Lohengrinsage und die Schwanenburg zu Cleve.
Wenn der Rhein beim Godesberge und Drachenfels das Wunderreich der Romantik verlassen und ihm die himmelanragenden Zinnen des Doms zu Köln noch den letzten Gruß der bildenden Kunst zugesandt haben, durchläuft er eine weite Strecke nüchternen Flachlands. Die vorher verschwenderische Natur ist schaffensmüde geworden, und die Sagen sind verklungen. Aber wie vielfach in den Ausgang eines Menschenlebens der Widerschein rosiger Jugend noch einmal blendend hineinfällt, so schmückt und ziert, wie es im Liede des Dichters heißt,
„der letzte deutsche Gau
Den Rhein noch einmal mit den schönsten Reizen;
Geschichte, Sage, Wiese, Hügel, Au
Umarmen ihn.“
Da liegt Xanten, die Heimat des größten deutschen Sagenhelden, des kühnen Siegfried. Begeisterten Mundes erzählt uns der Dichter der Nibelungen von den hohen Festen, die dort gefeiert wurden, als das blühende Königskind, Sigmundens und Sigelindens Sohn, das Ritterschwert empfing, mit dem er, sich [587] und Andern zu schwerem Leide, auszog gen Worms, zu werben um Chrimhilden, „deren übergroße Schöne war kundig weit im Lande“. Besonders aber bilden die schwanenreichen Niederungen zwischen Rhein, Maas und Schelde den Schauplatz der alten Schwansage und der aus ihr erwachsenen Sage vom Schwanritter Helias, wie ihn die Volksdichtung, oder Lohengrin, wie ihn die Kunstdichtung benannt hat. Im Mittelpunkte dieses sagenreichen Gebiets steht das Schloß Cleve, das noch bis zum heutigen Tage die Schwanenburg heißt. Auf der Spitze des uralten, wenn auch später erneuten Thurmes, von dem es heißt, daß schon Julius Cäsar ihn fünfzig Jahre vor Christus als eine Schutzwehr wider die großen Feinde des Römerreiches, die blondlockigen Germanen, erbaut habe, prangt jetzt ein vom Winde bewegter Schwan, und ein Schwan steht im Wappenschilde derer von Cleve.
Der alte flandrische Chronist Heliand, der im zwölften Jahrhundert eine Weltgeschichte schrieb, meldet uns, es sei zu der hoch über dem Rhein ragenden Burg Juwamen, allwo gerade die Fürsten des Reichs versammelt waren, ein unbekannter Ritter in einem Kahne geschwommen gekommen, den ein Schwan an einem silbernen Kettlein zog. Er habe sich allda vermählt, Kinder erzeugt und sei dann auf dem wieder erscheinenden Schwanschiffe verschwunden. Sein Geschlecht blühe noch bis auf den heutigen Tag. Spätere Chronisten, wie Gert von Schueren und Jan Waldenaar, wissen, daß der fremde Ritter Helias hieß und daß es Beatrix war, die schöne Tochter des Grafen Dietrich von Cleve, die er und zwar im Jahre 711 gefreit. Ein Anderer, Vinandus Pighius, ist auch über die Herkunft des Ritters unterrichtet, indem er schreibt: „Dieser Jüngling nannte sich Helias de Grail und gab vor, aus dem irdische Paradiese (wohl gar aus dem himmlischen gekommen zu sein, und ist er wegen seinen Kriegsthaten und andern vortrefflichen Eigenschaften vom Kaiser zum Grafen und das Land Cleve zur Grafschaft erhoben worden mit der ausdrücklichen Bewilligung der Erbfolge auf seine Nachkommen.“ Also ward der Schwanenritter zum Ahnherrn der Grafen von Cleve und Mark und es durfte der Dichter des reizenden Idylls „Otto der Schütz“ sagen:
„Ihr habt die Sage weit vernommen,
Wie einst des Hauses großer Ahne,
Vom Schwan gelenkt, an’s Land geschwommen –
Von Monsalwatsch war’s Lohengrin;
Beatrix warb er zum Gemahle.
Wohl trieb ein kläglich Schicksal ihn
Hinweg von ihr zum Dienst dem Grale,
Doch blieb der Stamm, von ihr geboren,
Des Vaters Banner unverloren.
Solch hohen Stammes rühmte sich
Der Gral von Cleve Dieterich.“
Was uns der Chronist in seiner trockenen Weise kurz und flüchtig andeutet, ist aber nur der matte Abglanz eines bunt schillernden Bornes, der das Reich der Mythe, der Mär, Sage und Geschichte gemeinsam durchfließt und ist dessen Zaubertiefe es wohl lohnt einmal hinabzusteigen.
Der Schwan war durch seine Farbe und den ihm angedichteten Gesang für die mythische Zeit der geheimnißvolle Repräsentant des schöpferischen Lichts. Und des himmelentstammten Klangs, der wie der Geist über den Wassern schwebte (als Zugvogel), aus unbekannter Ferne erschien und wieder dahin zurückkehrt. Er stand da im Gegensatze zu dem Raben, dem Vogel der das Leben vernichtenden Nacht, dem Repräsentanten der Hölle. So fliegen die Nornen als Schicksalsjungfrauen in der Gestalt von Schwänen durch die Lüfte; die Walküren erscheinen von Schwanenfittigen getragen über dem Getümmel der Schlachten und entscheiden deren Loos. Wie Allem, was einen geheimnißvollen Zusammenhang sich wahrt zwischen Himmel und Erde, so wohnte auch den Schwänen die Gabe der Weissagung bei. So kommt auch in den Liedern der Edda die wunderbare Natur des Schwans vielfach zur poetischen Verwerthung.
Im Reiche des Märchens und der Sage erscheint der Schwan als ein Abkömmling oder Sendbote aus einer andern glückseligeren Heimath, zu der er, von Sehnsucht getragen, immer wieder zurückkehrt. Indem er von Osten gen Westen fliegt, verbindet er auf geheimnißvollem Wege das Morgen- und Abendland und trägt die Wunder des erstern in dieses hinüber, wie sich dies charakteristisch ausprägt in dem bekannten Schwanenmärchen von Musäus: „Der geraubte Schleier“. Hier begegnen wir namentlich der Mär von den Schwanenjungfrauen, die ihr Schwangefieder beim Baden ablegen und zu wunderschönen Mädchen sich wandeln, damit aber auch den Wechselfällen des irdischen Daseins, vor Allem der süßen Gefahr der Liebe verfallen. Von ihrem Anblicke bethört, raubt ein schöner Menschenjüngling ihnen das Gewand, wie den an eine goldene Krone befestigten Schleier, dessen Besitz ihrer Wiederverwandlung bedingt. Sie können nicht mehr zurück zu ihrer Schwanenheimath, verbleiben im Banne des Herzens und genießen nun die Lust und das Leid der irdische Liebe. Aber die Sehnsucht nach der fernen Heimath voll ewigen Glückes lebt in ihnen fort, und als der Gatte ist unbewachter Stunde ihnen das streng verwahrte Schwanenkleid zeigt, das sie wieder zu Schwänen wandelt, fliegen sie durch die Lüfte davon, unbekümmert darum, daß dem verlassenen Gatten darüber das Herz vor Sehnsucht bricht.
Dasselbe leitende Motiv, nur aus dem Weiblichen in’s Männliche übersetzt, geht durch die Sage vom Schwanenritter. An die Stelle des verborgen gehaltenen Schleiers tritt hier die verbotene Frage nach der Heimath des auf räthselhafte Weise erworbenen Gatten. Auch vollzieht sich im Schwanenritter selbst keine Wandlung aus dem Menschen zum Thiere, vielmehr ist ihm der Schwan der Führer und Bote aus und nach den seligen Gefilden. Diese Sage vom Schwanenritter, wie sie nach vielen Wandlungen ist das Volksbuch übergegangen ist, erzählt uns Folgendes:
Rion, Sohn des Pirion und der Matabruna, König im Lande Lillefort, führt die schöne Beatrix als Gattin heim. Matabruna, die böse Mutter, sinnt darauf, wie sie dem Sohne das Herz der jungen Königin abwendig machen könne. Sieben Hündlein, sprengt sie im Lande aus, habe die junge Mutter geboren, indeß sie deren sieben blühende Kinder, welche bei der Geburt jedes ein silbernes Kettchen am Halse trugen, bei Seite bringt. Ein frommer Einsiedler, Helias, nimmt die im Walde Ausgesetzten erbarmend auf und erzieht sie heimlich. Dort später entdeckt und zum zweiten Male vom Tode bedroht, flattern sie, der Zier ihrer Kettchen beraubt, als Schwäne in die Luft. Nur der älteste entgeht durch Zufall dieser Metamorphose. Er wird nach dem Einsiedler „Helias“ genannt und weist, zum Jüngling herangewachsen, durch das Gottesurtheil eines glücklich bestandenen Zweikampfes, die Unschuld seiner Mutter nach. Die böse Matabruna wird verbrannt, und die Schwanengeschwister werden durch die Wiederherbeischaffung der silbernen Kettchen entzaubert bis auf einen, dessen Kettchen sich nicht mehr im alten Zustande befindet. Helias selbst wird König an des Vaters Statt. Da erscheint eines Tages der noch als Schwan verzauberte Bruder mit einem Schifflein und deutet mit stummer Geberde an, sein Bruder möge es besteigen – und nun geht die bisher vorwiegend märchenhafte Vorgeschichte über in die eigentliche Sage vom Schwanenritter. Helias folgt der Leitung des brüderlichen Schwanes und kommt in das Land der Herzogin von Billon (Bouillon). Diese ist von ihrem Schwager, dem Grafen von Frankenburg, der Vergiftung ihres Gatten bezichtigt worden und soll nun einen Ritter zum Kampfe mit ihrem Ankläger stellen, zum Erweise ihrer Unschuld.
Da naht, wie ein Traum ihr vorher verkündet, auf einem von einem Schwan gezogenen Schifflein ein fremder Ritter; er besiegt den Verleumder und erhält die Hand der schönen Clarissa, Tochter der Königin. Diese fragt den Gemahl eines Tages nach dem Lande, dem er entstamme. Helias verbietet ihr diese Frage zu thun; sonst müsse er scheiden. Die junge Herzogin bescheidet sich dessen. „Man weiß aber wohl,“ erzählt das Volksbuch in seiner naiven Treuherzigkeit, „wie die Frauen sind. Was man ihnen verbietet, das thun sie gerade zumeist und sind sie erst einmal neugierig nach einer Sache, dann haben sie keine Ruhe mehr Tag und Nacht, bis sie darum wissen.“ Also erging’s auch Frau Clarissen. Denn sie fragt nach sechs Jahren abermals. Vergebens ist die rührende Bitte des Kindes, vergebens das vermittelnde Wort des Kaisers – der Schwan steht schon auf der Wacht. Helias kehrt wieder heim gen Lillefort, ohne daß Frau und Kind seinen Namen erfuhren. Der Schwan, sein Bruder, wird endlich entzaubert, er aber siedelt über in ein Kloster, tief im Walde der Ardennen. Nach langem Suchen gelingt es treuer Gattenliebe, ihn noch in der Stunde des Sterbens aufzufinden. Hier liegt [588] die Vorgeschichte des Schwanenritters noch ganz im Bereiche des Märchenhaften. Es klingt in dieselbe hinein nicht sowohl die Mär von den Schwanenjungfrauen, als vielmehr jenes wunderliche Märchen von den sieben Brüdern und der treuen Schwester, das durch den Pinsel Moritz von Schwind’s eine neue künstlerische Verklärung gefunden hat. Im zweiten Theile, der eigentlichen Schwanenrittersage, steigt die Erzählung aus dem romantischen Dämmer zur Helle des geschichtlichen Tages; sie führt den sächsischen Kaiser Otto den Ersten in die Scene und bezeichnet weiter als die Enkel des Schwanenritters Gottfried von Bouillon und Balduin, den ersten König von Jerusalem.
Der Minnesänger Conrad von Würzburg rückt in seinem uns nur fragmentarisch überlieferten Schwanenritter die geschichtliche Basis noch weiter zurück – in die Zeiten Karl’s des Großen. Hier ist es Beatrix, die schöne Tochter Gottfried’s von Brabant und Erbin von Cleve, deren Herz und Land der Schwanenritter wider deren ländersüchtigen Schwager, den Sachsenherzog, gewinnt. Da sind wir also wieder auf Cleve’schem Boden. Eine ältere belgisch-französische Tradition macht den Schwanenritter von Cleve zu einem Krieger Julius Cäsar’s, und weitere Forschungen führen ihn zurück bis auf Ulysses, der, nach einer Stelle im Tacitus, auf seinen Irrfahrten auch rheinaufwärts gefahren ist.
Eine eigenartige Entwickelung erhielt die Sage vom Schwanenritter dadurch, daß die mittelalterliche Kunstdichtung sie mit der Gral- und Artussage in Verbindung brachte. An die Stelle des heidnischen Mythus mit seiner grandiosen Phantastik des Märchens, mit seinem sinnlichen Zauber, tritt hier die weihrauchduftende, sinnbethörende Mystik des Christenthums, wie sie sich in jener wunderbaren, ursprünglich maurischen Legende von dem heiligen Gefäße, in welches das zur Erlösung der Welt geflossene Blut des Heilands aufgefangen war, und im König Artus und seiner Tafelrunde ausspricht, die das heilige Kleinod in einem besondern mit Gold, Marmor und Edelstein verschwenderisch ausgestatteten Tempel im fernen Lande India hüten. Der rettende Ritter des Schwans ist jetzt ein Abgesandter des Grals, Lohengrin, der Sohn des Tempelritters Parcival. Der Schwan, der ihn führt, erscheint nicht mehr unter der Metamorphose eines Menschen, sondern unter der eines Engels, als Bote des Himmels. So führt ihn zuerst Wolfram von Eschenbach am Schlusse seiner großen Graldichtung „Parcival“ in Scene. Es herrschte im Lande Brabant, heißt es dort, eine Frau von würdereichem Leben, großem Reichthum und hohem Stande. Viele Fürsten warben um ihre Hand, aber ihr demüthig keuscher Sinn widerstand all ihrem Werben; nur der sollte ihr Genosse sein, der ihr gesandt werde von Gottes Hand. Da erscheint der von den Grafen des Landes hart Bedrängten der ersehnte Bräutigam des Himmels auf einem von einem Schwan gezogenen Schifflein. Dann folgen Verlöbniß und Hochzeit, das Verbot der Frage und dessen verhängnißvoller Bruch.
Im jüngeren Titurel (1270), einer Nachbildung des Fragment gebliebenen älteren Titurels von Wolfram von Eschenbach, nimmt die Geschichte Lohengrin’s eine von der herkömmlichen total verschiedene Entwickelung, welche dadurch von Wichtigkeit ist, daß Richard Wagner sie theilweise als Leitmotiv in seinem „Lohengrin“ verwandte. Hier wird die Gattin Lohengrin’s, Belaye de Lizeborge, weniger von den Qualen der Neugier, die Abkunft des Gemahls zu erfahren, als von der Furcht vor dessen Unbeständigkeit gepeinigt. Da erhält sie von einer Zofe den Rath, sich ein Stück vom Leibe Lohengrin’s zu verschaffen und dasselbe heimlich zu verzehren. Dies Mittel wirke ein unzertrennliches Band der Liebe zwischen ihr und ihm. Zu diesem Ende dringen die Verwandten der Frau Nachts in Lohengrin’s Schlafgemach; dieser erwacht, sieht traum- und schlaftrunken die bloßen Schwerter, wittert Verrath, holt aus zum Kampf und fällt durch das Schwert der eigenen Freunde. Seine Gattin tödtet der Gram.
Zwanzig Jahre später erschien ein selbstständiges größeres Gedicht, das den Namen unseres Sagenhelden Lohengrin an der Spitze trägt. Der Anordnung des Gedichtes nach trägt Wolfram von Eschenbach auf den Wunsch des Landgrafen Hermann von Thüringen vor versammeltem Hofe die Märe vor, wie Lohengrin vom König Artus gesandt war gen Brabant. Gleichwohl ist Wolfram von Eschenbach nicht der Verfasser des Gedichts, vielmehr ist derselbe bis zum heutigen Tage unbekannt geblieben. Die Sage ist hier, soweit sie sich nicht im Wundergebiet des Grals bewegt, auch mehr auf den Boden des Geschichtlichen fixirt und rein menschlicher Empfindung nahe gerückt.
Der Inhalt ist im Wesentlichen derselbe wie der des allbekannten Libretto’s von Richard Wagner’s Oper „Lohengrin“, und darf daher ein näheres Eingehen auf denselben dem Leser hier wohl erspart bleiben. Nur einer Personen-Veränderung müssen wir besonders gedenken. Nach der Sage ladet das Brautpaar Lohengrin und Elsa den Kaiser, die Kaiserin und alle Fürsten zur Hochzeit nach Brabant. Unter letzteren befindet sich ein Graf von Cleve, den beim Turnier Lohengrin in den Sand streckt, wobei dem Besiegten der Arm zerschmettert wird. Da ersteht in der Gattin des Grafen von Cleve die Rächerin an Lohengrin, indem sie Elsa aufreizt, nach ihres Gemahls geheimnißvoller Abkunft zu fragen. Diese in der Sage episodische Figur der Frau von Cleve wächst in der Oper „Lohengrin“ zu der dämonischen Ortrud empor, welche das dramatische Gegenspiel wider Lohengrin und Elsa mit wahrhaft furchtbarer Energie vollzieht. Sie hat den Bruder Elsa’s in einen Schwan verzaubert und dadurch den Verdacht erregt, daß Elsa ihn gemordet habe. Telramund, ihr Gatte, zeiht diese vor dem Kaiser ausdrücklich des Mordes, er wird von Lohengrin im Kampfe besiegt, aber begnadigt. (In der Sage läßt der Kaiser dem Besiegten den Kopf abschlagen.) Dafür klagt er ihn offen der Zauberei an, an die er selbst auch glaubt. Die zauberkundige Ortrud weiß, daß, wenn ihm ein Stück seines Leibes, auch nur das kleinste Glied, entrissen wird (Motiv aus dem jüngeren Titurel), sein Zauber gebrochen ist. Telramund beschließt, ihm ein solches Stück gewaltsam zu entreißen, und kommt dabei um. Der Rangstreit zwischen Elsa und Ortrud beim Kirchgange weist zurück auf die gleiche Scene zwischen Brunhild und Chrimhild in den Nibelungen. Lohengrin darf seinen Namen nicht nennen, weil seine heilige Kraft als Gralritter nur so lange wirkt, wie er unerkannt bleibt, doch bringt ein brünstiges Gebet ihm seine Kraft noch so weit wieder, daß er vor seiner Heimkehr Elsa’s Bruder entzaubert.
Der Born sagenhafter Romantik im Schloß zu Cleve ist mit der Schwanenrittersage noch nicht ausgeschöpft. Auch die Sage von der weißen Frau hat dort einen ihrer vielverzweigten Wohnsitze eingenommen. Sie steht mit der Schwansage in innerer Verbindung. In die Farbe des Schwans gekleidet, wohnt der weißen Frau, gleich den Walküren, die Gabe der Weissagung bei, und sie ist gleich den Schwanenjungfrauen und dem das Schiff geleitenden Schwane die Botin zum höhern ewigen Leben. Nach einer Deutung ist auch die weiße Frau Niemand anders als die schöne Beatrix von Cleve, die Gattin des Schwanenritters Helias, welche aus Reue über ihre unselige Frage und zur Sühne des gebrochenen Gelübdes ruhelos fortlebt und als Schutzgeist ihres Hauses im Schloßthurme zu Cleve von Zeit zu Zeit erscheint, um bedeutungsvolle Wendungen in der Geschichte ihres Geschlechts voraus zu verkünden. Von da ging sie mit dem Heimfall des Geschlechts im Wege Erbgangs an das Haus Brandenburg auch dahin mit über.
In Beziehung zur Schwansage steht auch der Cleve’sche Schwanenorden, der als Ordenswappen einen sitzenden Schwan mit goldener Kette führte.
Endlich schlingt auch noch eine andere Sage ihr frisches Blätterwerk in die trockenen Lettern der Chronik des Hauses Cleve. Es ist die durch Gottfried Kinkel in so anmuthiger Weise poetisch wiedergeborene Aventiure von Otto dem Schützen. Der junge Graf Otto, erzählt der Chronist, Sohn des Landgrafen Heinrich von Hessen, sollte nach dem gewöhnlichen Loose der nachgeborenen Söhne in den geistlichen Stand treten. Sein Sinn aber steht auf männliche Thaten und Abenteuer; er kauft sich statt der Bücher Schwert und Armbrust und zieht statt auf die hohe Schule nach Paris unerkannt als schlichter Schütze an den Hof des Grafen Adolph des Fünften von Cleve. Dort gewinnt er sich durch sein ritterliches Wesen, seinen Muth und seine Gewandtheit das laute Lob des Grafen und die stille Gunst von dessen Tochter, der schönen Beatrix. Da erscheint nach sieben Jahren ein hessischer Ritter, Heinrich von Homberg, am Hofe, der alsbald den jungen Prinzen erkennt, von diesem aber um Beibehaltung seines Incognitos gebeten wird, denselben aber doch durch sein Benehmen dem Grafen Adolph verräth. Da nun inzwischen
[589][590] des Landgrafen ältester Sohn gestorben war, und es dem Lande Hessen an einem Erben gebrach, tritt der alte Landgraf dem Todtgeglaubten die Landgrafschaft ab, und Otto der Schütze hält mit der geliebten Beatrix fröhlichen Einzug im Lande der Hessen. Die strenge Forschung schüttelt, um die Wahrheit der Geschichte befragt, zwar verneinend ihr Haupt, vermag aber nicht ihr das Leben zu nehmen, das sie fortlebt im Reiche der Poesie.
Aus vergessenen Acten.
Eine Criminalgeschichte von Hans Blum.
(Fortsetzung.)
„Eine Dolchscheide,“ sagte der Amtsrichter, „von schwarzen Leder mit silbernem Beschlag. Die Waffe muß eine ungewöhnliche Länge und Breite besessen haben. Kennt Jemand diese Dolchscheide?“
Niemand kannte sie. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und schritt, nachdem Kern die Kellerthür verschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt, in’s Erdgeschoß; und wieder weiter in die erste Etage, in das Zimmer Wolf’s, das des jungen Ehegatten Schlafzimmer hatte werden sollen und nun seiner Leiche zur letzten Ruhestätte über der Erde diente. –
Das Schlafzimmer und Bett des Todten waren unversehrt; letzteres machte den Eindruck, als sei es eben vom Inhaber verlassen worden, nachdem dieser kurze Zeit auf demselben geruht hatte. Uhr, Geldbeutel, Verlobungsring des Ermordeten lagen auf dem Nachttischchen; seine Kleidung auf dem Stuhle am Fuße des Bettes. Nirgends im Zimmer die Spur einer Unordnung, eines Kampfes. Wolf mußte das Bett verlassen haben – aus welcher Veranlassung, war noch unklar – in der Meinung, sogleich dahin zurückkehren zu können, halb entkleidet, wie er im Keller gefunden worden, ohne Ahnung einer Gefahr, die ihn bedrohe.
Der Arzt begann den Todten zu entkleiden, und Kern hatte soeben den Begleitern geboten abzutreten und in der Flur seiner Befehle zu harren, als die Mutter des Ermordeten mit Frau Martin hereinwankte.
Die arme Frau hatte ihr einziges Kind verloren, die Stütze ihres Wittwenstandes. Sie hatte den Sohn geboren; sie hatte ihn als Knaben und Jüngling wachsen und gedeihen sehen mit Mutterlust; sie hatte mit allem mütterlichen Stolze das Streben und den Erfolg seiner jungen Mannesjahre begleitet. Und nun – todt! Von ihr genommen für immer! Sie allein gelassen, mutterseelenallein, in der weiten, öden Welt! Sie ergriff seine kalte Hand und schmiegte ihre Stirn, ihren Mund daran; sie bedeckte die todte Hand mit Küssen. Es war ja dieselbe Hand, die einst ihren Hals umschlungen hatte, während der Mund, der jetzt für immer stumm war, zum ersten Mal ihr den süßen Namen Mutter gab.
„Frau Wolf,“ sagte Kern nach langer, andächtiger Stille, „haben Sie die Güte, uns bei der Ausübung unsrer traurigen Pflicht allein zu lassen!“
„Sie haben Recht,“ erwiderte sie, sich erhebend. „Empfangen Sie meinen innigsten Dank für Ihre aufopfernden Bemühungen!“
Sie schritt, auf den Arm der Frau Martin gestützt, hinaus, und Kern begleitete sie bis an die Schwelle ihres Schlafzimmers.
„Sie konnten nicht auf den Flur heraus, als Margret Sie rief und Sie Geräusch vom Keller hörten, nicht wahr?“ fragte er.
„Nein. Die Thür war von hier aus verriegelt.“
„Lassen Sie mich doch das Schloß einmal betrachten!“
Auch Margret war mit der Lampe in der Hand der Herrin treppab gefolgt, sie leuchtete nach dem Thürschlosse, und der Amtsrichter prüfte aufmerksam den Griff des Schlüssels, der in dem Schlosse steckte.
„Das sind Blutflecke,“ sagte er bestimmt, indem er mit dem Zeigefinger auf den Schlüssel wies. „Leuchten Sie mir an die Hinterthür, Margret!“
Auch hier fanden sich am Riegel, der nach Margret’s Bericht vorgeschoben worden war, während sie im Hofe verweilte – Blutspuren, blutige Fingerabdrücke. Dieselbe Wahrnehmung machte der Amtsrichter an der Klinke der Hausthür.
„Sonderbar,“ dachte Kern für sich. „Wenn wir dem blutigen Taschentuch glauben wollen, hatte der Mörder im Keller seine Hände von Blut gereinigt. Und hier erscheinen von neuem Blutspuren an allen Thüren, die er nach der That berührt hat. Wie ist das zu erklären?“
Der Gerichtsdiener, der zur Verhaftung Karl Bahring’s entsendet worden war, kehrte jetzt zurück – allein. Der sonst so ruhige Mann schien sehr aufgeregt.
„Sie haben den Gesuchten wohl nicht getroffen?“ fragte Kern, indem ein leichtes Lächeln bei dem Unmuth des eifrigen Dieners über sein Gesicht glitt; denn daß dieser den Fleischer nicht mehr zu Hause, auch nicht in der Stadt finden werde, nahm er als selbstverständlich an.
„O ja,“ erwiderte der Diener mürrisch. „Getroffen hab’ ich ihn schon.“
„Nun, warum haben Sie ihn denn nicht mitgebracht?“ fragte Kern erstaunt.
„Sie hatten doch nicht befohlen: ‚todt oder lebendig’, Herr Amtsrichter?“
„Natürlich nicht, da er ja lebt,“ rief Kern unwillig.
„Nein, er ist eben todt,“ versicherte der Amtsbote.
„Karl Bahring? Todt?”
„Karl Bahring, der Fleischermeister – ist todt,“ versicherte Etzold mit jener Amtswürde, die keines Irrthums fähig ist.
„An was denn gestorben, so plötzlich? Ich kann es kaum glauben.“
„Nun, er hat sich erschossen. Was denn weiter?“
„Etzold, reden Sie so über den Tod eines Menschen?“
„Ich meine nur, es war doch das Vernünftigste, was er thun konnte, Herr Amtsrichter.“
„Warum?“
„Nachdem er den Mord hier begangen und die ganze Stadt in Alarm war – –“
„Hielten Sie ihn auch für den Mörder?“
„Nun, Herr Amtsrichter, so dumm ist doch Etzold nicht? Und dann lesen Sie ’mal diesen Zettel, den ich neben dem erschossenen Leichnam gefunden und zu mir gesteckt habe!“
Der Amtsrichter nahm begierig den Zettel und las.
„Es ist vollbracht –“ stand da geschrieben, in schweren, aufgeregten Schriftzügen. „Ich kann nicht weiter leben. Erst wollte ich sie tödten, die Ungetreue – dann mich. Doch es ist besser so, wie ich es nun beschlossen und gethan habe, wenn dieser Zettel gefunden wird. So wird das Glück ihrer Untreue doch getrübt. – Gott mag über mich richten und über –
„Unklar und zweideutig,“ murmelte der Amtsrichter vor sich hin. „Wo haben Sie den Zettel gefunden, Etzold?“
„Neben der Leiche, Herr Amtsrichter. Der Todte lag auf dem Sopha seines Zimmers, der Zettel auf dem Tische daneben, und das Notizbuch, aus dem das Papier gerissen war, wenige Zoll davon. Die Pistole, mit der er sich umgebracht, war aus seiner Hand auf die Diele gesunken.“
„Wann mag die That geschehen sein?“
„Kaum vor einer halben Stunde, Herr Amtsrichter. Als ich ankam, hatte er eben den letzten Athemzug gethan; die alte Haushälterin hatte ihn nach Hause kommen hören. Wenige Minuten später fiel der Schuß, und als sie in sein Zimmer eilte, that er eben die letzten Seufzer.“
Der Amtsrichter sann einen Augenblick nach, dann wandte er sich an die Umstehenden, welche das Gespräch herbeigezogen, an King, Margret, die Lehrlinge und die Nachbarn und sagte:
„Ich danke Ihnen. Sie können schlafen gehen. Ich werde Sie nicht mehr nöthig haben. Gute Nacht!“
„Besten Dank, Herr Amtsrichter!“ erwiderte King gähnend. „Ich kann mich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Beinen halten.“
Und die Leute des Hauses geleiteten die Nachbarn zur Thür und stiegen dann, mit Ausnahme Margret’s, wieder in ihre [591] Kammern hinauf. Diese eilte zu ihrer Herrin, um noch nach ihren etwaigen Befehlen zu fragen.
Der Amtsrichter Kern begab sich zum Bezirksarzt zurück, der noch bei der Leiche weilte, um diesen von Bahring’s Tod in Kenntniß zu setzen.
„Mir ist nun Alles klar,“ schloß der Amtsrichter seinen Bericht über die bisherigen Ermittelungen an den Arzt. „Bahring hat den Mord begangen, aus Eifersucht, um sich an seinem glücklicheren Nebenbuhler, an seiner ungetreuen Geliebten zu rächen. Aber er war schon bei Vollführung der Mordthat entschlossen, sich der weltlichen Gerechtigkeit durch Selbstentleibung zu entziehen. Er achtete daher auch nicht auf die Gefahr, welche ihm die Zurücklassung seines blutigen Taschentuches und die Zerreißung der Briefe der Braut bringen mußte. Denn vor der Entdeckung hoffte er sicher sein Haus zu gewinnen. Die Reinigung seiner Hände von Blut war eine Regung jenes menschlichen Schauders, der auch den Mörder erfaßt, wenn er das vergossene Blut des Opfers an seiner Hand gewahrt. Er verschloß alle Thüren bei seinem Weggang, die ihm Entdecker und Verfolger hätten zuziehen können, ehe er die Straße und sein Haus gewonnen. Er mußte sich freilich von dem Schlosse der Hausthür einen Abdruck, einen Nachschlüssel verschafft haben. Diesen hat er vermuthlich unterwegs versteckt, verloren oder in den Fluß geworfen. Damit ist das Interesse der Justiz an dem Falle erledigt, Herr Doctor, und wir müssen, der gesetzlichen Vorschrift halber, nur noch im Laufe des Tages eine vollständige äußere Besichtigung des Leichnams des armen Wolf und dann dessen Section vornehmen.“
„Dann möchte ich, wenn Sie erlauben, die äußere Besichtigung des Leichnams jetzt gleich vollenden,“ erwiderte der Bezirksarzt.
„Ganz wie Sie wünschen! Ich werde unterdessen das Protokoll über die bisherige Resultate unserer Erörterungen aufsetzen. – Ist hier irgendwo ein Schreibtisch mit Tinte und Feder?“ fragte Kern die eintretende Margret.
„In dem zweitnächsten Zimmer,“ erwiderte sie und leuchtete dem Amtsrichter dorthin.
„Wo?“ fragte er, sich umblickend.
„Dort im Secretär,“ sagte sie leise. Und nachdem sie einen Augenblick argwöhnisch in der Richtung nach dem Flur gehorcht, fügte sie rasch und erregt hinzu. „Ich habe Ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen, Herr Amtsrichter.“
„Eine Mittheilung? Reden Sie,“ bat Kern, indem sein Auge mit Spannung und Wohlgefallen auf den klugen, schönen Zügen des Mädchens ruhte.
„Ich glaube nicht, daß Bahring der Mörder meines Herrn war,“ stieß Margret leise und dringend hervor.
„Bahring nicht – wer denn, Margret?“
„Das mögen Sie selbst ermessen, Herr Amtsrichter, wenn Sie mich angehört haben!“
„Nehmen Sie Platz!“ bat der Amtsrichter eifrig, indem er sich in einen Lehnstuhl setzte.
Margret blieb stehen. Sie stellte ihr Licht auf den Tisch und trat dann nahe an den Amtsrichter heran, damit ihre leisen Worte von ihm verstanden würden, und der Horcher, der etwa draußen an die Thür träte, nichts vernehme. Ihr Busen wogte. Das ruhige, muthige Mädchen war sichtlich erregt über das, was sie zu sagen hatte.
„Herr Amtsrichter,“ begann sie, „ich muß sehr kurz sein; denn während ich rede, wird der Mörder Alles aufbieten, die Spuren seiner That zu verwischen. Folgen Sie den geringen Beweisen, die ich jetzt bieten kann, sofort! Sonst ist es für immer zu spät. – Ich muß Ihnen also vor Allem sagen: Ich wachte, als sich der erste Lärm diese Nacht erhob. Bis nach elf Uhr wachte ich – nun, weil ich nicht schlafen konnte, aber von da an – weil Herr King nach Hause kam und weil ich erst schlafen wollte, nachdem ich sicher war, daß er schlief. Ich sehe, ich bin Ihnen unverständlich. Ich muß Ihnen leider, um Ihnen etwas verständlicher zu werden, ein Geheimniß anvertrauen, das bisher nur mir gehörte. Herr King ist mir von jeher unheimlich gewesen, aber seit etwa einem halben Jahr wurde er mir verächtlich. Ich schlief bis dahin, auf den Frieden dieses Hauses vertrauend, bei offener Thür. Eines Nachts fahre ich aus dem Schlaf empor und sehe zu meinem namenlosen Schrecken einen Mann am Rande meines Bettes sitzen, seine Rechte ist um meinen Hals geschlungen. Es war King. Der gebrochene Strahl des Mondes, der durch mein kleines Fenster drang, verrieth ihn. Ich verlor kein unnützes Wort, Herr Amtsrichter. Im nächsten Augenblick saß ihm ein so kräftiger Faustschlag unter dem Kinn, daß alle seine Zähne klapperten. Ich sah, wie er beide Hände an die Kinnladen erhob, um den Schmerz zu verbeißen.
‚Sie gehen augenblicklich, oder ich rufe um Hülfe,’ sagte ich. Er verschwand geräuschlos, Herr Amtsrichter. Ich hörte nur noch, wie er auf seinen wollenen Socken unheimlich leise auf den Vorsaal huschte und in der Gesellenkammer verschwand. So muß eine giftige Schlange schleichen, dachte ich mir. Am andern Morgen klagte er über Zahnschmerzen. Das geschah vor etwa einem halben Jahr. Ich sagte bis zur Stunde Niemandem davon.
Diese Nacht nun hörte ich nach elf Uhr deutlich, wie King mit schwerem Männerschritt die Treppen heraufkam. Er ging direct in seine Kammer. Eine halbe Stunde etwa verging in lautloser Stille, und ich durfte wohl annehmen, er sei fest eingeschlafen. Auf einmal höre ich wieder denselben hastenden, schleichenden Tritt, mit dem King in jener Nacht aus meiner Kammer entwichen war. Ich fürchtete nichts; denn meine Kammer hielt ich seitdem gut verriegelt, und er wußte das. Um so auffallender war es mir, daß jetzt seine Schritte gerade auf meine Thür zukamen. Wollte er sich überzeugen, daß ich schlief, und weshalb? Ich that ihm den Gefallen und athmete laut und lang, wie eine Tiefschlafende, obwohl ich in meinem Bette aufsaß und mindestens mit derselben Spannung jede seiner Bewegungen begleitete, wie er die meinigen. Sowie er mein tiefes, regelmäßiges Athmen gehört, schlich er wieder davon. Er schlich der Treppe zu.
Was mag er vorhaben? dachte ich. Offenbar etwas, wozu er keine Zeugen habe möchte – am wenigsten mich; denn er wußte, daß ich seit jener Nacht jeden seiner Schritte bewachte. Was konnte er aber vorhaben? Ich machte mich bereit, sofort hinabeilen zu können, sowie ich eine Thür, ein Fenster würde gehen hören. Aber ich hörte nichts, gar nichts mehr; denn seine Tritte waren schon auf der obern Treppe unhörbar geworden. Minuten vergingen geräuschlos. Da hörte ich doch etwas. Die Stimme meines Herrn sprach gedämpft in der ersten Etage, ruhig, aber sehr leise, zu einem Andern. Dieser Andere mußte King sein. Beide mußten nun tiefer, nach dem Keller zu gehen; denn ich hörte die Stimme meines Herrn noch einmal auf der untern Treppe, die bei der Hausthür endet. Ich hörte auch, daß sein Tritt jene Stufe der untern Treppe berührte, welche man nicht betreten kann, ohne daß sie knarrt. Dann hörte ich kurze Zeit später, von der Gegend der Kellerthür, aus dem Hausflur einen Schrei – dann noch einen, tiefer im Hause, schriller, und doch gedämpfter. Ich eilte nun hinunter. Das Uebrige wissen Sie, von Tromper, von den Damen.“
„Sie halten King für den Mörder, Margret?“ fragte der Amtsrichter, sinnend in ihr Auge blickend, als sie inne hielt.
„Ja, Herr Amtsrichter,“ antwortete sie leise und scharf, und ein sichtbares Schaudern ging durch ihren ganzen Körper.
„Geben Sie mir nur Beweise,“ sagte der Amtsrichter ermuthigend.
„Was ich bisher Ihnen mittheilte, erscheint Ihnen also nicht wichtig?“ fragte Margret kleinlaut.
„Im Zusammenhang mit Anderm gewinnt es vielleicht Bedeutung,“ erklärte Kern freundlich, „Vor Allem eine Frage: wie denken Sie sich den Hergang von dem Augenblick an, wo Sie King’s Schritte auf der oberen Treppe verhallen hörten, bis zu dem Moment, wo Sie den ersten Schrei Wolf’s vernahmen?“
„Nun, das scheint mir einfach,“ erwiderte Margret. „King wußte, daß Wolf gestern Felle von bedeutendem Werth erhalten hatte. Er kannte auch den seligen Herrn genau und wußte, daß dieser ein bischen ängstlich war. Auf diese Aengstlichkeit, diesen Argwohn des Herrn hat der schreckliche Mensch da oben seinen Plan gebaut. Sie wissen wohl, Herr Amtsrichter: ich habe nachher, als der Mörder sich gegen die Kellerthür stemmte, um mich von der Mordstelle fern zu halten, Licht aus der Tiefe schimmern sehen. Dieses Licht konnte der Thäter nicht anzünden, während er den Meister an der Thür überfiel, auf der Treppe mit ihm in hartem Kampfe lag. Er muß es vorher angezündet [592] haben. Er ist wahrscheinlich zuerst von oben in den Keller geschlichen. Dort hat er zunächst Licht angebrannt.“
„Hat King denn ein Licht?“
„Nein, aber Hark.“
„Wo?“
„Hinter einem kleinen, schräg hängenden Spiegel über seinem Bett, an dem King vorbei muß, wenn er nach seiner Kammer geht oder von dieser herkommt.“
„Gut – weiter!“
„Sowie also King dieses Licht im Keller angebrannt hatte, schlich er – so denke ich mir den Hergang – wieder nach oben, zum Zimmer seines Meisters und weckte diesen durch den leisen Zuruf: ‚es seien Diebe im Keller.’ Der Meister öffnete, halb angekleidet, seine Thür, und der Geselle bat ihn, sehr still zu sein, um die Diebe nicht zu verscheuchen. Er zeigte ihm vielleicht zu seiner Beruhigung die Waffe, die meinem armen Herrn später das Herz durchbohren sollte.“
Ein Aufruf. Als sehr beachtenswerthes Zeichen der sorgenschweren Bewegung, welche die neuerdings wieder sichtlich hereindrohende Gefahr einer Gewaltherrschaft des orthodox-pietistischen Rückschrittsgeistes in den Kreisen des unabhängigen Bürgerthums hervorgerufen hat, ist soeben ein Aufruf erschienen, den wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Derselbe ist von angesehenen Ehrenmännern der deutschen Reichshauptstadt unterzeichnet und lautet:
„Die evangelische Landeskirche in Preußen krankt seit langer Zeit an dem ebenso allgemein beklagten wie bekannten Uebel, daß die in ihrem Namen verkündete Lehre in scharfem Widerspruche steht mit dem Glauben weitaus der meisten ihrer denkenden Glieder. Alle bisherigen Versuche, unsere Kirche aus der ertödtenden Umklammerung einer fanatischen Orthodoxie zu befreien, haben sich als fruchtlos erwiesen. In starrer Unduldsamkeit weist diese Orthodoxie jede Versöhnung mit dem modernen Geistesleben unseres Volkes zurück und zwingt diejenigen Männer, welche gegen die jetzt maßgebende unprotestantische Deutung des Evangeliums zu protestiren wagen, entweder um der Selbsterhaltung willen ihrer Ueberzeugung Schweigen zu gebieten, oder das Opfer dieser Ueberzeugung zu werden. – Die Hoffnungen, welche man in vereinzelten Kreisen auf die Wirkung der neuen Gemeinde-, Kirchen- und Synodal-Ordnung setzte, sind nach den Erfahrungen der letzten Jahre für den freisinnigen Protestantismus in ihr Gegentheil umgeschlagen. Auch die anerkennenswerthen Bestrebungen des Protestanten-Vereins haben die rückläufige Bewegung unserer kirchlichen Verhältnisse nicht aufzuhalten vermocht, weil die Arbeiten dieses Vereins bisher einen vorwiegend theoretischen Charakter an sich trugen, ohne einen thatkräftigen Reformversuch aus sich erzeugt zu haben.
An die Laienwelt, an das Volk selbst ist somit gebieterisch die Pflicht herangetreten, seiner Gewissensnoth aus eigener Kraft abzuhelfen und die als unerläßlich erkannte Reform der Kirche selbstständig in die Hand zu nehmen. – Dieser Aufgabe hat sich der in Berlin seit einigen Monaten wirkende ‚Protestantische Reform-Verein’ gewidmet, indem er es unternahm, unabhängig von dem officiellen Regimente der Landeskirche dem religiösen Bedürfniß der denkenden Gemeinde die Befriedigung zu verschaffen, welche das Herz verlangt, der Verstand aber am Fuße der orthodoxen Kanzeln nicht zu finden vermag.
Selbstverständlich bedürfen diese idealen Bestrebungen zu ihrer erfolgreichen Durchführung bedeutender materieller Mittel, zu deren Beschaffung die gegenwärtige Mitgliederzahl des ‚Protestantischen Reform-Vereins’ keineswegs ausreicht. Schon der Hauptverein in Berlin, an welchen sich im Laufe der Zeit immer mehr Zweigvereine in den Provinzen angliedern sollen, hat bei mäßigster Berechnung einen jährlichen Ausgabe-Etat von 6000 Mark, wovon 2000 Mark allein zur Beschaffung eines für unsere Gottesdienste geeigneten Saales erforderlich sind. An alle Diejenigen, welche mit uns der Ueberzeugung leben, daß die Religion, das heiligste Gut der Menschheit, nicht in todtem Formelwesen, sondern in der lebendigen That des Geistes besteht, an alle Diejenigen, welche noch einen Glauben an den Beruf und die Macht des freie Protestantismus haben, richten wir deshalb vertrauensvoll die Bitte, von diesem ihrem Glauben Zeugniß abzulegen durch die That.
Keineswegs sind wir gewillt, ohne Noth unsere Rechte als Mitglieder der evangelischen Landeskirche durch den Austritt aus derselben aufzugeben oder irgend Jemanden zu diesem Schritte zu veranlassen; ebenso fern liegt es uns aber auch, in unserem Vereine die Mitgliedschaft von der Zugehörigkeit zur Landeskirche abhängig zu machen. Um so weiter ist also der Kreis freisinniger Männer, an den wir uns wenden.
Zwei Dinge sind es, deren wir bedürfen: Mitglieder und Geld. Den größten Dienst werden Ihr uns erweisen, wenn Ihr mit Eurer Person für unsere Sache, das heißt in unseren Verein eintretet, aber auch diejenigen werden sich um unseren Verein verdient machen, welche aus Nah und Fern zu der Beschaffung der unserem Vereine nothwendigen Subsistenzmittel beitragen. Ueber die eingehenden Geldspenden soll in dem Jahresbericht des Vereins, welcher sämmtlichen Gönnern zugehen wird, Quittung ertheilt werden. Zur Empfangnahme von Beitrittserklärungen und Spenden, sowie zur Ertheilung näherer Auskunft ist jeder der Unterzeichneten gern bereit. Der Jahresbeitrag für die Mitgliedschaft ist auf mindestens sechs Mark festgesetzt.
Berlin, den 1. August 1879.
Dr. Kalthoff, Prediger, Steglitz bei Berlin, Mittelstraße 10. – Otto Albrecht, Kaufmann, Thurmstraße 45. - Hermann Lier, Rentier, Heiligenstraße 11. – Freese jun., Fabrikant, Wassergasse 18a. – Otto Geist, Buchdruckereibesitzer, Lindenstraße 13a. – Kalischer, Bezirksvorsteher, Bernauerstraße 15. – Dr. Roeseler, Arzt, Französischestraße 11/12. – I. F. Rauch, Kaufmann, Invalidenstraße 164. – Karl Meyer, Kaufmann, Oranienstraße 147. – W. Fiedler, Gürtlermeister, Brunnenstraße 107.“
Sind wir Deutschen denn wirklich unverbesserlich? Der große Krieg hat mit all seiner Glorie nichts an dem alten deutschen Hang geändert, das Fremde allezeit dem Heimischen vorzuziehen. „Nicht weit her sein“ ist heute noch ein Tadel für Menschen und Dinge: nur von jenseits der deutschen Grenze muß Etwas kommen, um Anspruch auf sofortige Beachtung zu haben – und so gilt sogar ein Hülferuf, der von draußen kommt, mehr, als einer innerhalb unserer Grenzen, wo er eben „nicht weit her“ sein kann. Das ist ein schweres nationales Gebrechen. Gewiß stimmen wir von ganzem Herzen dem Ausspruche bei, daß die Hülfe sich nicht nach dem Heimathschein und dem Glaubensbekenntniß der Unglücklichen richten soll. Wenn aber zwei Hülferufe zugleich an unser Ohr dringen, der eine von draußen, der andere von innen, so weiß der rechte Mann, daß die erste Hülfe dem Landsmann gebührt. Bei uns beliebt man in der Regel das Umgekehrte. Als vor Kurzem von den Ufern der Theiß und der Oder zugleich die Hülferufe der von der Wassersnoth Bedrängten laut wurden, nahm das imposantere Unglück in der Fremde uns so vollständig in Anspruch, daß die armen deutschen Landsleute fast ganz darüber vergessen wurden. War denn aber nach Stillung der heimischen Noth nicht immer noch Zeit genug übrig, um sich um die „ungarische Dankbarkeit“ zu bewerben?
Ein doppeltes Unglück, diesmal durch Feuersbrunst, hat abermals die Gelegenheit gegeben, unsern Patriotismus zu erproben: im Osten von Deutschland liegt die Hauptstadt Bosniens in Asche, das jetzt in Oesterreich-Ungarn seine Sympathien zu suchen hat, und im Westen, innerhalb der neuen Reichsgrenzen, ist ein Marktflecken abgebrannt, der durch die Vernichtung seiner werthvollen Erwerbsquellen einen Verlust von zwei Millionen Franken erlitten hat und rascher Hülfe bedarf. Als das Elsaß noch französisch war, hieß der Ort Châtenois; jetzt ist er wieder in’s Deutsche übersetzt worden und heißt Kestenholz (Kastanienholz). In der Hauptstadt Frankreichs rufen die Zeitungen die „patriotische Wohlthätigkeit“ für das abgebrannte „Châtenois“ an. Wird man in Deutschland „Kestenholz“ vergessen, weil – es nicht mehr im Ausland liegt? Mehr als je zuvor ist der deutsche Patriotismus in diesem Falle zu ermahnen, erst seine Schuldigkeit zu thun, ehe der kosmopolitische Zug wieder in die Fremde schwärmt. Der Opferstock für das elsässische Kestenholz sollte in jedem Orte des Reichs aufgestellt werden: es ist noch viel Gutes nöthig, um dort mit der neuen Wandlung zu versöhnen. Hier gilt’s: praktische Liebe!
Der Botaniker in Nöthen. (Mit Abbildung S. 581.) Wer heute die an Forschungen und Belehrungen so unschätzbaren Prachtwerke über Bonaparte’s ägyptische Expedition bewundert, glaubt es kaum noch, daß damals – zum Hohngelächter der ganzen Armee – für die Marsch- oder Lagerordnung der Befehl ertheilt werden konnte: „Die Packesel und die Gelehrten in die Mitte!“ – Und war denn die alte deutsche Volksphilosophie klüger, als sie das Sprüchwort erfand: „Je gelehrter, desto verkehrter?“ An diesen Witzreim hält sich noch heute gern die bildende Kunst, wenn es sie gelüstet, den in die Augen springenden Contrast darzustellen zwischen einem oft sehr ernsten geistigen Ziel und der ebenso oft vorkommenden körperlichen Unbeholfenheit im Forschen und Sammeln für dieses Ziel. Der Geologe, der im Feld oder im Gebirg mit dem Hammer Steine losschlägt und die Stückchen in die Sammelbüchse steckt, wird ebenso vom Bauer verlacht, wie vom vornehmen Waidmann; wenn das Resultat seiner Steinklopferei aber beim Spüren nach unterirdischen Schätzen Tausende an vergeblichen Bohrkosten erspart und für Hunderttausende neue Erwerbsmittel erforscht, sollte das Lachen aufhören. Auch der Botaniker auf unserem heutigen Bilde müht sich schwerlich einer Spielerei wegen ab, den Stengel der Wasserpflanze zu erhaschen. Wenn er aber dabei doch noch in den Teich fällt, dann wird wieder unser Sprüchwort floriren „Je gelehrter, desto verkehrter!“
A. E. in Riga. Dank für den Nachweis, daß der am Schluß unserer Notiz „Der schönste Tod“ („Blätter und Blüthen“ unserer Nr. 30) erwähnte Unglücksfall in einem Kaffeegarten in Riga, nicht aber in dem Geschäftshause stattfand, dessen Angehöriger der junge Mann war. Indessen ist das doch nur ein unwesentlicher Nebenumstand.
M. R. Leider nicht verwendbar, da wir den Gegenstand bereits in einem früheren Artikel behandelt haben.
Friederike M. Geben Sie vor allen Dingen Ihre volle Adresse an und stellen Sie uns einige Vertrauenspersonen!
G. in Frankfurt a. M. Herzlichen Dank für Ihre liebenswürdige Sendung!
- ↑ Wir machen die Besitzer der früheren Jahrgänge der „Gartenlaube“ darauf aufmerksam, daß sie im Jahrgang 1856, Nr. 1, Overbeck’s „Vogelansicht von Pompeji“, im Jahrgang 1861, Nr. 49, eine bildliche Darstellung der Ausgrabungsarbeiten und im Jahrgang 1869 eine Wiedergabe von R. Riffe’s Oelgemälde nach E. L. Bulwer’s berühmtem historischem Roman „Die letzten Tage von Pompeji“ mit den dazu gehörigen Texten finden. D. Red.
- ↑ Wird am Sedantage als officielles Festlied nach der Melodie „Hinaus, hinaus, es ruft das Vaterland“ auf dem Marktplatz in Leipzig gesungen.